Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2015 - 1 StR 235/14

bei uns veröffentlicht am29.04.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 2 3 5 / 1 4
vom
29. April 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr
zu 2. und 3.: Bestechung im geschäftlichen Verkehr u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2015 beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 17. Oktober 2013 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten N. wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren, die Angeklagten D. und E. jeweils wegen wettbewerbsbeschränkender Absprache bei Ausschreibungen in Tateinheit mit Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten (Angeklagter D. ) bzw. zwei Jahren und vier Monaten (Angeklagter E. ) verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen , mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts geltend machen und Verfahrensrügen erheben. Die Rechtsmittel bleiben erfolglos.

A.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
I. Der Angeklagte N. war als Geschäftsführer der ET. GmbH von der P. , einem Zweckverband von elf Landkreisen und einem Stadtkreis, beauftragt worden, beschränkte Ausschreibungen für Aufträge im Rahmen der technischen Umgestaltung einer Tierkörperverbrennungsanlage durchzuführen. Seitens der P. war dabei vorgegeben, dass mindestens drei unterschiedliche Firmen ein Angebot abgeben sollten; die Aufträge sollten – sofern möglich – an Unternehmen aus der näheren Umgebung vergeben werden. Den regen Wettbewerb wollte die P. nutzen, um ein möglichst günstiges Angebot zu bekommen.
4
Der Angeklagte N. beschloss, die Ausschreibungen zu manipulieren , um sich dadurch eine erhebliche Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. In Absprache mit einem der Mitangeklagten bzw. dem gesondert Verfolgten K. , von denen jeder um die Beauftragung des Angeklagten N. durch die P. wusste, wollte er deren Unternehmen den jeweiligen Auftrag verschaffen. Dazu sollten neben dem Angebot des be- günstigten Unternehmens noch „Schutzangebote“ abgegeben werden, um die Anforderungen an die Zahl der an der Ausschreibung teilnehmenden Firmen dem Schein nach zu erfüllen. Diese „Schutzangebote“ sollten von Unternehmen stammen, mit deren Verantwortlichen eine Absprache dahingehend erfolgt ist, dass das Angebot über demjenigen des für den Zuschlag ausersehenen Unternehmens liegt. Auf diese Weise sollte der tatsächliche Wettbewerb ausgeschaltet , für die P. aber der Eindruck erweckt werden, das zuvor vom Angeklagten ausersehene Unternehmen habe sich unter Wettbewerbsbedingungen als der wirtschaftlich günstigste Anbieter der ausgeschriebenen Leistungen erwiesen. Als Gegenleistung für die vom Angeklagten N. bereitete Sicherung der Auftragsvergabe unter Ausschaltung des Wettbewerbs sollten die jeweils begünstigten Unternehmen eine dem Angeklagten N. zuzuordnende Fir- ma „rückbeauftragen“ und ihm dadurch ein Auftragsvolumen in „nicht unerheblicher Höhe“ verschaffen. Damit diese Rückbeauftragung für die P. uner- kannt blieb, plante der Angeklagte N. zur Verschleierung die Nutzung seines komplexen Firmengeflechts. So sollte der Auftrag an die PI. , eine dem Angeklagten N. zuzurechnende Firma, erfolgen, für die er bewusst gegenüber der P. nicht nach außen in Erscheinung trat, deren faktischer Geschäftsführer er aber war.
5
Im Einzelnen handelte es sich um die Manipulationen der folgenden Ausschreibungen:
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1. Im Frühjahr 2009, noch vor dem 15. April 2009 in Ausführung der beschriebenen Vorgehensweise plante der Angeklagte N. mit dem Mitangeklagten E. , diesem als Geschäftsführer der A. einen lukrativen Auftrag für den Bereich Prozessleitsysteme zu verschaffen. Absprachegemäß besorgte der Angeklagte E. zwei „Schutzangebote“ von mit ihm gut bekannten Unternehmern. Während das erste das Angebot der A. , welches auf 1.221.784,90 € lautete, um etwa 181.600 € überschritt, lag das zweite etwa 52.700 € über dem A. -Angebot. Jedoch war dieses Angebot, welches von dem gesondert Verfolgten Kl. stammte, von einer nicht ermittelbaren Person manipuliert worden, indem bei zwei Positionen vermerkt wurde, die Leistung könne nicht erbracht werden. Entsprechend der Empfehlung des Angeklagten N. , der dabei zur zusätzlichen Absicherung der Auftragsvergabe an die A. trotz des Umstands, dass diese nicht aus der Region stammte, die Unvollständigkeit des durch Kl. abgegebenen Angebots als besonderes Manko darstellte, erteilte die P. am 30. April 2009 der A. den Zuschlag. In der Folge erteilte der Angeklagte E. der dem Angeklagten N. zuzurechnenden PI. zwei Aufträge in Höhe von 478.839,74 €.

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2. Ebenfalls im Frühjahr 2009, noch vor dem 15. April 2009 wollte der Angeklagte N. der M. GmbH auf die vorbeschriebene Weise einen Auftrag für unternehmerische Leistungen aus dem Bereich Metallverarbeitung verschaffen. In Absprache mit dem Angeklagten N. gab K. ein Angebot ab und erklärte sich bereit, im Gegenzug seinerseits den Angeklagten N. bzw. zur Verschleierung eine ihm zuzurechnende Firma zu beauftragen. K. erhoffte sich neben der Vergabe des lukrativen Auftrags auch zukünftige „Bevorzugungen“. Der Angeklagte N. selbst beschaffte sich von einem mit ihm befreundeten Unternehmer ein „Schutzangebot“, wel- ches deutlich über dem Angebotspreis von K. lag. Über die Firma Pr. , die ebenfalls dem Angeklagten N. zuzurechnen war, bei der er aber nach außen zur Verschleierung nicht in Erscheinung trat, gab er selbst schließlich das dritte Angebot ab, welches ebenfalls absprachegemäß über dem Angebot von K. lag. Auf die Empfehlung des Angeklagten N. erhielt die M. GmbH den Auftrag von der P. . In der Folge erteilte K. der PI. einen Auftrag in Höhe von 140.560,50 €.
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3. Im Herbst 2009, jedoch noch vor dem 21. Oktober 2009, beschloss der Angeklagte N. , das beschriebene Geschäftsmodell einzusetzen, um seinem Freund, dem Angeklagten D. , als Geschäftsführer der C. GmbH einen Auftrag aus dem Bereich Klima- und Lüftungstechnik zu verschaffen. D. ließ sich darauf ein, die erforderlichen „Schutzangebote“ zu beschaffen und die dem Angeklagten N. zuzurechnende PI. seinerseits zu beauftragen , um den lukrativen Bauauftrag zu erhalten, aber auch, da er sich weitere Vorteile aus der Geschäftsverbindung versprach. Der Angeklagte D. beschaffte die „Schutzangebote“ von mit ihm bekannten Unternehmern, deren Angebote absprachegemäß über dem der C. GmbH lagen. Auf die Empfehlung des Angeklagten N. erhielt diese den Auftrag von derP. und beauftragte ihrerseits über den Angeklagten D. die PI. mit der Leis- tung von „Know-How“ in Höhe von 102.250 €.
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4. Im Herbst/Winter 2009, noch vor dem 9. Dezember 2009, kam der Angeklagte N. erneut mit dem gesondert Verfolgten K. überein, der Firma des K. einen weiteren Auftrag aus dem Bereich Metallverarbeitung zu beschaffen. Die zur Manipulation der Ausschreibung erforderlichen „Schutzangebote“ beschaffte der Angeklagte N. durch Vermittlung des Angeklagten D. von bekannten Unternehmern. Diese Angebote überstiegen wie abgesprochen das von K. abgegebene. Sowohl das von K. abgegebene als auch eines der „Schutzangebote“ hatte der Angeklagte N. hinsichtlich Einzel- und Gesamtpreis in seinen Geschäftsräumen ausgefüllt. Auf Empfehlung des Angeklagten N. beauftragte die P. das Unternehmen des K. , der wiederum die PI. in Höhe von 281.383 € rückbeauftragte.
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II. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten N. als vier Fälle der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 Abs. 1 StGB gewertet und sich vom Vorliegen der Regelbeispiele des § 300 Satz 2 Nr. 1 und 2 Alt. 1 StGB überzeugt. Das Verhalten der Angeklagten D. undE. hat es jeweils als eine wettbewerbsbeschränkende Absprache bei Ausschreibungen nach § 298 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Bestechung im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 Abs. 2 StGB gewertet. Insoweit ist es jeweils vom Vorliegen des Regelbeispiels des § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB ausgegangen, da sich ihre Tat auf die Verschaffung eines Vorteils großen Ausmaßes durch den Angeklagten N. bezogen habe.

B.


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Die von den Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Ergänzend zu den Antragsschriften des Generalbundesanwalts bedarf Folgendes der Erörterung:
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I. Zu den Verfahrensrügen des Angeklagten N.
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Die Rüge der Verletzung des „§§ 243 Abs. 4 Satz 1 und 2, 273 Abs. 1a Satz 2 StPO" ist bereits unzulässig soweit sie sich gegen die unterlassene Mitteilung von auf eine Verständigung abzielenden Gesprächen betreffend den früheren Mitangeklagten Dr. richtet und bleibt auch im Übrigen ohne Erfolg.
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1. Nach dem Revisionsvortrag liegt der Rüge folgendes Geschehen zugrunde :
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Im Anschluss an einen Hauptverhandlungstermin fand zwischen den berufsrichterlichen Strafkammermitgliedern, den Verteidigern und den Vertretern der Staatsanwaltschaft ein Rechtsgespräch statt. Gegenstand desselben war die Möglichkeit einer Verständigung bezüglich aller Angeklagten. Der Vorsit- zende verwies darauf, dass nach „derzeitiger Sachlage“ für den Angeklagten Kli. eine Einstellung nach § 153a StPO in Betracht komme. Bezüglich des Angeklagten Dr. wurde für den Fall eines Geständnisses eine Freiheitsstrafe von sieben bis acht Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung in Aussicht gestellt. Angesichts dieser Strafvorstellung beendeten die Verteidiger das Gespräch. Am darauffolgenden Termin der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende lediglich mit, dass ein Rechtsgespräch geführt und dass bezüglich des Angeklagten Kli. eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO erörtert worden sei; eine Verständigung im Übrigen sei nicht zustande gekommen.
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2. Dieser Vortrag genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Danach sind die Verfahrenstatsachen so vollständig, genau und aus sich heraus verständlich vorzutragen, dass das Revisionsgericht allein auf dieser Grundlage prüfen kann, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt. Der Revisionsführer macht insoweit eine Verletzung der Mitteilungspflichten aus nicht ihn selbst betreffenden Verständigungsgesprächen geltend. Ob der von den Transparenzvorschriften des Verständigungsgesetzes bezweckte Schutz des von der Verständigung betroffenen Angeklagten ausnahmsweise auch auf Mitangeklagte zu erstrecken sein kann, die von der nicht hinreichend transparenten Verständigung nicht betroffen sind, bedarf – auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des fairen Verfahrens – der Kenntnis der Verfahrensrolle des Angeklagten, auf den sich die Verständigungsgespräche bezogen haben. Denn ist derjenige nicht mehr Mitangeklagter, liegt in Bezug auf ihn schon keine unmittelbare Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO vor, was Auswirkungen auf die Frage der Schutzwirkung für den nicht betroffenen Angeklagten haben kann. Die Revision unterlässt es aber mitzuteilen, dass Dr. zum Zeitpunkt der Mitteilung nicht mehr Mitangeklagter in diesem Verfahren war. Das Verfahren war bereits zuvor abgetrennt worden. Dies steht dem Erfolg der Rüge möglicherweise entgegen und wäre daher vorzutragen gewesen (vgl. zur Vortragspflicht von gegenläufigen Tatsachen BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – 1 StR 711/13, NStZ 2014, 532; BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13, BGHSt 59, 292 ff.).
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3. Die Rüge würde aber auch dessen ungeachtet nicht durchgreifen. Durch die unzureichende Mitteilung und Protokollierung von Verständigungsgesprächen , die allein Mitangeklagte betroffen haben, ist der Beschwerdeführer im Regelfall nicht in seinen Rechten betroffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2014 – 2 BvR 989/14, StV 2014, 649; BGH, Beschluss vom 24. April 2014 – 5 StR 123/14; BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, NJW 2014, 2514, 2516; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 587/14). Dass der Angeklagte bei Kenntnis des konkreten Inhalts des mit dem Verteidiger des Dr. geführten Verständigungsgesprächs sein Prozessverhalten geändert hätte, wird von der Revision nicht behauptet und es ist auch nicht ersichtlich, wie sich solche Kenntnis auf sein Verteidigungsverhalten hätte auswirken können.
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4. Soweit die Revision eine Verletzung in Bezug auf den Mitangeklagten Kli. geführte Gespräche geltend macht, liegen nach dem Revisionsvortrag schon die Voraussetzungen für eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO nicht vor. Denn diese besteht nur hinsichtlich solcher Erörterungen der Verfahrensbeteiligten , deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung war, in denen also ausdrücklich oder konkludent Fragen des prozessualen Verhaltens des Angeklagten in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1065; BGH, Beschluss vom 29. April 2014 – 3 StR 24/14, NStZ 2014, 529; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15).
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5. Soweit der Revisionsführer mit seiner Rüge eine Verletzung der Mitteilungspflichten in Bezug auf ihn betreffende Verständigungsgespräche geltend machen möchte, ist die Rüge jedenfalls unbegründet. Nach seinem Revisionsvortrag ist nicht dargelegt, dass insoweit etwas erörtert worden wäre, was gemäß § 243 Abs. 4 StPO hätte mitgeteilt werden müssen. Zu dem vorzutragendem Inhalt gehört auch dann, wenn keine Verständigung zustande gekommen ist, jedenfalls der Verständigungsvorschlag und die zu diesem abgegebenen Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 1 StR 242/14, NStZ 2015, 352). Dass solches erörtert worden wäre, trägt die Revision nicht vor. Soweit der Revisionsführer die Mitteilungspflichten schon dadurch ausgelöst sehen will, dass Zweck des Rechtsgesprächs die Möglichkeit einer Verständigung bezüglich aller Angeklagten, mithin auch ihn selbst betreffend gewesen sei (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2014 – 1 StR 422/14, NStZ 2015, 293 f.), verkennt er, dass es allein auf die tatsächlich erfolgten Erörterungen ankommt, die er selbst nicht behauptet.
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6. Soweit die Revision eine Verletzung der Protokollierungspflicht aus § 273 Abs. 1a Satz 2 i.V.m. § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO rügt, ergibt sich schon aus ihrem Vortrag, dass ein solcher Rechtsfehler nicht vorliegt. Nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO muss das Protokoll u.a. die Beachtung der in § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Mitteilungen wiedergeben. Sollte entgegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO eine Erörterung, die außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden hat, nach Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht oder nur unzureichend bekannt gemacht und damit die Informationspflicht nicht beachtet worden sein, so ergibt sich aus dem Schweigen des Protokolls kein zusätzlicher Rechtsfehler. Ein "Fehlen der Protokollierung" liegt gerade nicht vor (BGH, Beschluss vom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418 f.). Vielmehr gibt das Protokoll auch nach dem Vortrag der Revision den Gang der Hauptverhandlung zutreffend wieder.

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II. Zur Verfahrensrüge des Angeklagten D.
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Die Revision macht das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StGB geltend. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde :
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Der Angeklagte D. war zum Fortsetzungstermin am 17. April 2013 nicht erschienen. Unmittelbar vor dem Beginn der Sitzung um 9.30 Uhr hatte er über seinen Verteidiger dem Gericht mitgeteilt, er sei verhandlungsunfähig krank. Der Verteidiger erklärte, er habe kein Attest, auch wisse er nicht, um welche Krankheit es sich handele, der Angeklagte wisse aber, dass er nicht einfach fortbleiben könne. Nach Unterbrechung gab der Verteidiger an, dass er vergeblich versucht habe, seinen Mandanten unter allen ihn bekannten Telefonnummern zu erreichen. Nach einer erneuten Verhandlungspause teilte der Vorsitzende mit, dass polizeiliche Ermittlungen am bisher bekannten Wohnort des Angeklagten in B. durchgeführt worden seien, Polizeibeamte hätten mit dem Vermieter des Angeklagten D. gesprochen. Dieser habe angegeben , D. halte sich schon seit Monaten nicht mehr in der Wohnung auf, er sei abgemeldet und nach unbekannt verzogen. Die Strafkammer fasste sodann einen Beschluss nach § 231 Abs. 2 StPO und setzte die Verhandlung gegen 11.30 Uhr fort. Im nächsten Termin zur Hauptverhandlung am 24. April 2013 erklärte der Angeklagte D. kein Attest beibringen zu können, da er in der Schweiz lebe. Er teilte weiter seine aktuelle Schweizer Wohnadresse mit und dass er sich dort am 16. April 2013 angemeldet habe.
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Nunmehr wird mit der Revision vorgetragen, der Angeklagte sei am Morgen des betreffenden Hauptverhandlungstermins an schweren Migräneattacken erkrankt, er habe deswegen Paracetamol nehmen müssen. Seine Reisefähigkeit sei aufgrund der Schmerzen deutlich eingeschränkt gewesen. Krankheitsbedingt wäre er auch nicht in der Lage gewesen, einer Hauptverhandlung zu folgen und seine Interessen vernünftig zu vertreten. Hierzu legt er eine ärztliche Bestätigung eines Schweizer Arztes vom 25. Februar 2014 vor. Diese stellt die eigenanamnestischen Angaben des Angeklagten zu seinem Befinden – die sich mit seinem Revisionsvortrag decken – am 17. April 2013 zusammen. Auf- grund der geschilderten Schmerzen kommt der Mediziner zu dem Schluss, dass die Reisefähigkeit vorübergehend deutlich eingeschränkt gewesen sei.
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Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Es bedarf keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob am 17. April 2015 ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung stattfand. Denn das Vorgehen der Strafkammer verletzt § 231 Abs. 2 StPO nicht. Über den Wortlaut dieser Vorschrift hinaus darf eine unterbrochene Hauptverhandlung nur dann ohne den Angeklagten fortgesetzt werden, wenn dieser ihr eigenmächtig ferngeblieben ist, d.h. ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt hat (BGH, Urteil vom 30. November 1990 – 2 StR 44/90, BGHSt 37, 249, 251; BGH, Beschluss vom 17. März 1999 – 3 StR 507/98; NStZ 1999, 418; BGH, Beschluss vom 25. Juli 2011 – 1 StR 631/10, BGHSt 56, 298). Dabei obliegt es nicht dem Angeklagten, glaubhaft zu machen, dass sein Ausbleiben nicht auf Eigenmächtigkeit beruht, diese ist ihm vielmehr nachzuweisen (BGH, Urteil vom 26. Juni 1957 – 2 StR 182/57, BGHSt 10, 304, 305; BGH, Beschluss vom 6. Juni 2001 – 2 StR 194/01, BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 24). Das Revisionsgericht hat dabei zwar ausgehend vom Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung (vgl. aber BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 282/11, StV 2012, 72; Becker in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 231 Rn. 44 mwN) die Frage der Eigenmächtigkeit gegebenenfalls im Freibeweis zu überprüfen, jedoch – wie auch sonst bei behaupteten Verletzungen von Vorschriften über das Verfahren – nur auf der Grundlage eines entsprechenden Revisionsvortrags (BGH, Urteil vom 6. März 1984 – 5 StR 997/83, StV 1984, 326; Beschluss vom 3. April 2003 – 4 StR 506/02, BGHSt 48, 264, 267; BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 282/11, StV 2012, 72; MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 231 Rn. 25).
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Ein ausreichender Nachweis der Eigenmächtigkeit ist zur Überzeugung des Senats geführt. Der Schluss, dass der Angeklagte am 17. April 2013 schuldhaft der Hauptverhandlung fern blieb, wird durch eine Gesamtschau seines Verhaltens belegt, was auf Verdeckung seines tatsächlichen Zustands an diesem Tag gerichtet ist und sich zudem im zeitlichen Verlauf nicht nachvollziehbar uneinheitlich darstellt. So hat er sich bei seiner Krankmeldung gegenüber seinem Verteidiger lediglich auf die floskelhafte Beschreibung, krank zu sein, beschränkt; erst mit der Revisionsschrift legt er dies näher dar. Zeitnahe Nachforschungen zur Frage der Verhandlungsfähigkeit durch die Strafkammer – deren Ausbleiben er mit der Revision beanstandet – hat er dann aber vereitelt. So war er telefonisch unerreichbar – was selbst durch das in der Revision beschriebene Krankheitsbild nicht plausibel erklärt wird – und er hatte seinen Aufenthaltsort bis zum 24. April 2013 nicht offen gelegt, obwohl er sich an seinem bisherigen, dem Gericht bekannten Wohnort seit Monaten nicht mehr aufhielt. Seine Anmeldung am neuen Wohnsitz im Ausland erfolgte demgegenüber erst einen Tag vor seinem Ausbleiben. Trotz des von seinem Verteidiger bestätigten Wissens, nicht einfach unentschuldigt fortbleiben zu können, hat er sich weder am Tag der angeblichen Erkrankung noch zeitnah um eine ärztliche Bestätigung derselben bemüht. Im Revisionsverfahren aber – entgegen seiner Erklärung am nächsten Hauptverhandlungstermin, wegen seines Schweizer Wohnsitzes kein Attest beibringen zu können, was freilich für sich genommen kaum nachvollziehbar ist – hat er sich über zehn Monate später zu einem Schweizer Arzt begeben und diesem die behaupteten Schmerzen bzw. Symptome unterbreitet. Eine Überprüfung der Angaben ließ der vom Angeklagten gewählte Zeitpunkt nicht mehr zu. Hinzu tritt, dass selbst diese auf seinen eigenen Angaben basierende ärztliche Bestätigung die Behauptung, er sei verhandlungsunfähig gewesen, nicht trägt.
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III. Zu den Verfahrensrügen des Angeklagten E.
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1. Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO
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Nach dem Revisionsvorbringen stellte der Verteidiger am 23. Sitzungstag den Antrag, den in der Schweiz wohnhaften Zeugen Z. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass der Angeklagte N. in Zusammenhang mit der Tierkörperbeseitigungsanlage des ZweckverbandsP. O. ab dem Jahr 2009 auch für die PI. im Geschäftsverkehr aufgetreten ist. Zur Begründung führte er aus, der Zeuge sei Revisor einer Firma, die für die PI. Dienstleistungen erbracht habe. In diesem Zusammenhang seien dem Zeugen die geschäftlichen Aktivitäten des Angeklagten N. für die PI. bekannt geworden. Mit Beschluss vom 26. März 2013 lehnte das Landgericht die beantragte Beweiserhebung ab. Soweit mit dem Antrag bewiesen werden sollte, dass der Angeklagte N. im allgemeinen Geschäftsverkehr für die PI. aufgetreten sei, sei dies aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos; soweit bewiesen werden sollte, dass der Angeklagte N. gegenüber der P. für die PI. aufgetreten sei, sei das Gegenteil bereits erwiesen. Dies gründete es auf die zeugenschaftlichen Angaben der diesbezüglich dargestellten P. -Verantwortlichen. Es zog in seine Bewertung mit ein, dass es schon fragwürdig sei, ob der Zeuge dies bestätigen würde, da bisher kein Anhaltspunkt zu Tage getreten sei, wonach er Geschäftskontakten zwischen der P. und PI. persönlich beigewohnt habe; jedenfalls wäre ein Einfluss einer derartigen Aussage auf die Überzeugungsbildung der Strafkammer ausgeschlossen.
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Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteter Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung nach dem pflicht- gemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 244 Abs. 2 StPO). Dabei ist das Gericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags, als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13, NStZ 2014, 531 f.; BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; vgl. auch Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 356).
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Diesen Anforderungen hat das Landgericht genügt. Der Ablehnungsbeschluss legt angesichts der jedenfalls unkonkret gehaltenen Beweisbehauptung (vgl. zu den Anforderungen an die Wahrnehmungssituation des Zeugen BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 275/10, NJW 2011, 1299, 1300; BGH, Beschluss vom 24. März 2014 – 5 StR 2/14, NStZ 2014, 351, 353 f.) die maßgeblichen Erwägungen so umfassend dar, dass der Angeklagte seine Verteidigung darauf einstellen konnte; hierdurch kann auch überprüft werden, dass die Antragsablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2010 – 1 StR 644/09, wistra 2010, 410, 411; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 63; Becker aaO Rn. 359). Es lag keine besondere Beweissituation vor, der durch die Anlegung eines strengeren Maßstabes an die Ablehnung des Beweisantrages Rechnung zu tragen gewesen wäre (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13, NStZ 2014, 531 f.). Dies gilt auch nicht angesichts des von der Verteidigung herangezogenen Schreibens aus dem Jahr 2011, ausweislich dessen der Angeklagte im Schriftverkehr mit der P. für die PI. aufgetreten ist, da zu diesem Zeitpunkt die Ermittlungen wegen der Vorwürfe sowohl dem Angeklagten als auch den Verantwortlichen der P. bekannt waren. Einer Auseinandersetzung mit diesem Schreiben bedurfte es entgegen dem Vorbringen der Revision wegen des offensichtlichen zeitlichen Auseinanderfallens und dem fehlenden Bezug zum Zeugen Z. nicht.
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Da das Landgericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass eine Einvernahme des Zeugen für die Sachaufklärung nicht notwendig ist, war es – entgegen der Auffassung des Revisionsführers – nicht gehalten, Vernehmungsalternativen zu prüfen. Denn mit der Ablehnung nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO entfällt die Pflicht, sich um den Zeugen weiter zu bemühen. Das Tatgericht hat auch nicht mehr zu prüfen, ob eine Vernehmung in der Hauptverhandlung durch eine Vernehmung im Ausland im Wege der Videokonferenz nach § 247a StPO ersetzt werden kann (BGH, Beschluss vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13, NStZ 2014, 531 f.; BGH, Beschluss vom 5. September 2000 – 1 StR 325/00, NJW 2001, 695 f.).
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2. Rüge der Verletzung des § 261 StPO
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Der Revisionsführer macht geltend, es fehle an einer den Anforderungen des § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO genügenden Feststellung über den Abschluss eines Selbstleseverfahrens, weswegen die davon betroffenen Urkunden nicht wirksam in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien.
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Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde:
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Am 37. Sitzungstag ordnete der Vorsitzende hinsichtlich der „aus der Anlage 1 ersichtlichen Urkunden“ das Selbstleseverfahren an. Im Folgetermin wurde folgendes protokolliert: „Es wird festgestellt, dass die Berufsrichter und Schöffen von der Selbstleseverfügung vom 10.06.2013 Kenntnis genommen haben und die übrigen Verfahrensbeteiligten dazu Gelegenheit hatten.“ Weitere Feststellungen zur Kenntnisnahme der in der Anordnung bezeichneten Urkunden erfolgten entgegen dem Vorbringen des Generalbundesanwalts nicht.
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Eine Verletzung des § 261 StPO i.V.m. § 249 Abs. 2 Satz 1 und 3 StPO liegt nicht vor. Durch die protokollierte Feststellung des Vorsitzenden sind die von den Selbstleseanordnungen umfassten Urkunden wirksam zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2013 – 5 StR 461/12, NStZ-RR 2013, 255 f.). Zwar erfasst die Feststellung über die Kenntnisnahme nur die „Selbstleseverfügung“, nicht den Wortlaut der be- troffenen Urkunden. Diese Feststellung ist als Prozesserklärung nach allgemeinen Regeln der Auslegung zugänglich, die bei zweifelhaftem Sinn des Protokolls geboten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 6; BGH, Urteil vom 11. Oktober2012 – 1 StR 213/10, ZuM 2013, 124, 126 = BGHSt 58, 15 ff.; BGH, Urteil vom 9. Januar 2013 – 5 StR 461/12, NStZ-RR 2013, 255 f.). Die Feststellung der Kenntnisnahme allein von der „Selbstleseverfügung“, mithin der Anordnung des Selbstleseverfahrens – und nicht der Liste der erfassten Urkunden – erweist sich als sinnentleert. Denn diese Verfügung war bereits am Tag zuvor in Gegenwart aller zu Protokoll gegeben worden. Auch unter Berücksichtigung der im Übrigen den gesetzlichen Anforderungen nach § 249 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 3 StPO entsprechenden Formulierung ist offensichtlich, dass versehentlich die erfassten Urkunden keinen Eingang in die Feststellung gefunden haben. Danach war ohne weiteres erkennbar, dass sich die Feststellung auf die von der „Selbstleseverfügung“ erfassten Urkunden bezieht.
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3. Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts (Beweisanträge Nr. 14, 15 und 17)
39
Soweit die Revision den Ablehnungsbeschluss der Strafkammer deswegen für rechtlich fehlerhaft erachtet, da er nicht zwischen tatsächlicher und rechtlicher Bedeutungslosigkeit unterscheide, weist der Generalbundesanwalt zu Recht darauf hin, dass die Ablehnung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit erfolgte, was von der auch im Übrigen rechtsfehlerfreien Begründung der Ablehnung getragen werde. Insoweit handelt es sich auch nicht um eine nachgeschobene Begründung durch den Generalbundesanwalt, sondern fußt auf Ausführungen im Ablehnungsbeschluss, der ausdrücklich auf tatsächliche Bedeutungslosigkeit gestützt ist (vgl. RB S. 42).
40
4. Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts (Beweisantrag Nr. 30)
41
Die Revision beanstandet die Ablehnung eines auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichteten, am 30. April 2013 gestellten Beweisantrags , mit dem bewiesen werden sollte, dass es für die Ausführung der der A. von der P. erteilten Aufträge noch technisch notwendig gewesen sei, zahlreiche, im Einzelnen aufgeführte technische Aspekte durch einen Verfahrenstechniker klären zu lassen und in für EDV-Unternehmen umsetzbare Vorgaben zu definieren. Nach der Begründung sollte das Beweisziel dahin gehen , die Beauftragung der PI. als sachlich zwingend und nur auf die Erlangung technischer Beratung gerichtet darzustellen. Dies sei deswegen von Relevanz , da eine sachlich zwingende Beauftragung in der gesamten bisherigen Rechtsprechung noch nicht als Vorteil angesehen worden wäre. Der Antrag habe erst jetzt gestellt werden können, da er eine Reaktion auf die Entscheidungen der Kammer vom 26. März 2013 darstelle.
42
Die Strafkammer hat diesen Antrag zurückgewiesen. Hierzu hat sie darauf abgestellt, dass das aufgestellte Beweisziel nicht dem Sachverständigenbeweis zugänglich sei und sie es kraft eigener Sachkunde selbst zu beurteilen habe. Zudem sei ein weiterer Aufklärungseffekt nicht zu erwarten. Hilfsweise werde der Antrag auch wegen Prozessverschleppung abgelehnt. Denn die zur Stellung von Beweisanträgen gesetzte Frist sei seit dem 28. November 2012 abgelaufen. Die Staatsanwaltschaft habe die Einstellung der Untreuevorwürfe nach § 154a StPO bereits Ende des Jahres 2012 angeregt. Die Strafkammer habe ein dementsprechendes Ansinnen gegenüber der Verteidigung mit Fax vom 13. März 2013 angekündigt. Am 25. März 2013 schließlich sei die Einstellung beschlossen worden. Der Verteidiger des Angeklagten E. habe in den darauffolgenden Sitzungen erklärt, „heute“ keine Anträge stellen zu wollen. Erst am 30. April 2013 sei dann der Antrag gestellt worden, wofür die Verteidigung keine Gründe genannt habe. Solches ergebe sich auch nicht aus sonstigen Umständen. So habe die Verteidigung schon zu früheren Zeitpunkten Beweisanträge zu dem Thema gestellt, ob der Angeklagte N. der A. verfahrenstechnische Informationen vermittelt hat.
43
Ungeachtet der Zulässigkeit dieser Rüge – an der auch wegen der unterlassenen Mitteilung des Faxes vom 13. März 2013, aus dem sich Anhaltspunkte für die Beurteilung der Verschleppungsabsicht ergeben könnten, Bedenken bestehen – bleibt die Rüge ohne Erfolg. Denn jedenfalls kann ein Beruhen des Urteils auf dem von der Revision behaupteten Verfahrensfehler ausgeschlossen werden. Nach den Feststellungen wurde dem Angeklagten N. von dem Angeklagten E. diese Beauftragung als Gegenleistung für die sachwidrige Bevorzugung im Wettbewerb gewährt. Auf die sachliche Notwendigkeit der Erteilung von Unteraufträgen seitens der A. kommt es nicht an. Dies hatte die Strafkammer in dem Ablehnungsbeschluss vom 26. März 2013, der u.a. zu den von ihr in Bezug genommenen Beweisanträgen ergangen war – deren Ablehnung von der Revision ebenfalls nicht vollständig vorgetragen wird – bereits ausgeführt und dementsprechend die unter Beweis gestellte Tatsache als tatsächlich bedeutungslos behandelt.
44
5. Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts (Beweisanträge Nr. 31, 33 bis 41)
45
Ebenfalls am 30. April 2013 stellte die Verteidigung zahlreiche weitere Beweisanträge, die in eine ähnliche Richtung zielten wie der Beweisantrag Nr. 30. Diese Anträge hat die Strafkammer mit ausführlicher Begründung als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos erachtet und abgelehnt. Hilfsweise hat sie sie auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt.
46
Die Rüge ist unzulässig. Um die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu erfüllen, sind alle Umstände, die für die Prüfung, ob das Tatgericht den Beweisantrag rechtlich richtig gewertet und beschieden hat, Bedeutung haben, vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – 4 StR 78/14, NStZ 2014, 604, 606; BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14, NStZ-RR 2014, 318 f.; Gericke in KK, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 ff. mwN). Dem genügt die Rüge schon deswegen nicht, da der Beschluss zur Ablehnung der Beweisanträge Nr. 9, 11, 14 bis 21, auf dessen Ausführungen die Strafkammer im Ablehnungsbeschluss Bezug nimmt, nicht vorgetragen wird.
47
6. Rüge der fehlerhaften Bescheidung von Hilfsbeweisanträgen (Hilfsbeweisanträge 64 bis 72)
48
Die Revision beanstandet die Zurückweisung von 37 Hilfsbeweisanträgen (den Nummern waren teilweise mehrere Anträge zugeordnet), die im Rahmen des Verteidigerplädoyers für den Fall der Verurteilung gestellt wurden. Sie erachtet die Annahme der Ablehnungsgründe als rechtsfehlerhaft; die Ablehnung wegen Prozessverschleppungsabsicht habe nicht erst im Urteil erfolgen dürfen.
49
Die Strafkammer hat in den Urteilsgründen den Hilfsbeweisantrag Nr. 66 zu Ziffer 8 wegen eigener Sachkunde, Anträge auf wiederholte Zeugeneinvernahme mangels Aufklärungspflicht, alle Hilfsbeweisanträge im Übrigen als tat- sächlich bedeutungslos und sämtliche Anträge „lediglich hilfsweise“ auch we- gen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt.
50
a) Die Rüge erweist sich als unzulässig. Dem Senat ist es nicht möglich, auf der Grundlage des Revisionsvortrags die erforderliche eigene umfassende Überprüfung des Verfahrens im Hinblick auf die behauptete rechtsfehlerhafte Annahme der Prozessverschleppungsabsicht vorzunehmen. Die Strafkammer nimmt insoweit ausdrücklich auf die Fristsetzung vom 28. November 2012 Bezug , wobei in einer solchen Entscheidung die Annahme von Verschleppungsabsicht bei Antragstellung nach Fristablauf in ihren Grundzügen darzulegen ist, so dass die vollständige Fristsetzung vorzutragen gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2014 – 1 StR 605/13, NStZ-RR 2014, 251). Da die Revision aber „dem Fristenkriterium in der besonderen Verfahrenskonstellation keine Bedeutung“ zumessen will, wäre diese Verfahrenskonstellation, z.B. durch das gerichtliche Fax vom 13. März 2013, näher darzulegen gewesen. Solches ergibt sich auch aus der Verweisung auf die anderen Rügen – unge- achtet der sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Verpflichtung zum geordneten und für jede einzelne Rüge zusammenhängenden Vortrag, um den Revisionsvortrag aus sich heraus verständlich zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 1 StR 234/13) – nicht. Der Vortrag des maßgebenden Verfahrensstoffs durch den Revisionsführer war auch nicht deshalb entbehrlich, weil er die Sachrüge erhoben und die Strafkammer im Rahmen ihrer schriftlichen Urteilsgründe diese Vorgänge erwähnt, freilich ohne den Inhalt der in Bezug genommenen Entscheidungen und Schreiben darzustellen. Denn den vorliegenden Urteilsgründen können die maßgebenden Verfahrensvorgänge nicht mit der erforderlichen Klarheit entnommen werden, so dass dem Senat eine Prüfung verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14, NStZRR 2014, 318 f.). Soweit die Strafkammer sich auch darauf stützt, dass teilweise wortgleiche Beweisanträge bereits zu einem früheren Zeitpunkt gestellt und beschieden worden seien, versäumt es die Revision, alle in dem Zusammenhang benannten Beweisanträge vorzutragen. So finden sich die von der Strafkammer hierzu angeführten Beweisanträge Nr. 16, 26, 50 ausweislich des Inhaltsverzeichnisses auch nicht in dem der Revisionsbegründung angefügten Konvolut. Ihre genaue Kenntnis wäre aber für die abschließende Beurteilung, ob die Anträge wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt werden durften , erforderlich.
51
b) Jedenfalls aber begegnet die Ablehnung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit keinen Bedenken.
52
Soweit die Strafkammer den „Beweisantrag Nr. 66“ zu Ziffer 8 auch nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO abgelehnt hat, ist schon zweifelhaft, ob es sich im Hinblick auf das Erfordernis eines hinreichend konkreten Tatsachenkerns überhaupt um einen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 bis 6 StPO handelt. Der Antrag war darauf gerichtet, durch Sachverständigengutachten zu belegen, dass die zwei Unternehmen, die die Schutzangebote abgegeben haben, „im April 2009 … nicht in der Lage“ gewesen seien, die ausgeschriebenen elektro- technischen Arbeiten zu erbringen. Jedenfalls hat die Strafkammer den Antrag ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 70) rechtsfehlerfrei ebenfalls wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Denn ob die Unternehmen im April 2009, mithin vor der Vergabe des Auftrags in der Lage waren, diesen zu erfüllen , ist für die Entscheidung ohne Bedeutung gewesen.

C.


53
Die auf die jeweiligen Sachrügen vorzunehmende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Der Ausführung bedarf ergänzend zu den Antragsschriften des Generalbundesanwalts nur Folgendes:
54
I. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in den dargestellten Fällen durch den Angeklagten N. und spiegelbildlich dazu die Voraussetzungen der Bestechung im geschäftlichen Verkehr durch die Angeklagten D. bzw. E. .
55
1. Die Vorschrift des § 299 StGB setzt eine Unrechtsvereinbarung dergestalt voraus, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine künftige unlautere Bevorzugung angenommen bzw. gewährt wird (BGH, Urteil vom 10. Juli2013 – 1 StR 532/12, NStZ 2014, 42, 43 f.; BGH, Beschluss vom 14. Juli 2010 – 2 StR 200/10, wistra 2010, 447). Bevorzugung in diesem Sinne bedeutet da- bei die sachfremde Entscheidung zwischen zumindest zwei Bewerbern, setzt also Wettbewerb und Benachteiligung eines Konkurrenten voraus. Hierbei genügt es aber, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen Handlungen nach der Vorstellung des Täters geeignet sind, seine eigene Bevorzugung oder die eines Dritten im Wettbewerb zu veranlassen. Danach ist das Tatbestandsmerkmal der Bevorzugung im Wettbewerb subjektiviert; es reicht aus, wenn nach der Vorstellung des Täters der Wettbewerb unlauter beeinflusst werden soll (Fischer, StGB 62. Aufl., § 299 Rn. 15). Der Vorstellung eines bestimmten verletzten Mitbewerbers bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 16. Juli 2004 – 2 StR 486/03, NJW 2004, 3129, 3133). Zur Erfüllung des Tatbestandes braucht die vereinbarte Bevorzugung tatsächlich nicht eingetreten zu sein. Es muss auch keine objektive Schädigung eines Mitbewerbers eingetreten sein. Schutzgut des § 299 StGB ist die strafwürdige Störung des Wettbewerbs sowie die abstrakte Gefahr sachwidriger Entscheidungen (BGH, Urteil vom 9. August 2006 – 1 StR 50/06, NJW 2006, 3290, 3298).
56
2. Indem der Angeklagte N. jeweils mit den Angeklagten E. und D. sowie dem gesondert Verfolgten K. übereinkam, diesen den Auftrag zu verschaffen und dafür von diesen beauftragt zu werden, haben sie eine die dargestellten Anforderungen erfüllende Unrechtsvereinbarung geschlossen.
57
a) Das Landgericht hat sich aufgrund der rechtsfehlerfrei festgestellten Vorgehensweise der Angeklagten davon überzeugt, dass nach ihrer Vorstellung der Wettbewerb unlauter beeinflusst werden sollte. Hierfür hat es unter anderem darauf abgestellt, dass es des manipulativen Vorgehens im Wege gezielter Ausschaltung von potentiellen Mitbewerbern durch Unterlassen der beauftragten Ausschreibung bei gleichzeitiger Vorspiegelung gegenüber der P. , es handele sich um das jeweils günstigste Angebot im Rahmen eines Wettbewerbs zwischen drei Unternehmen, nicht bedurft hätte, wären die Angeklagten nicht vom Vorliegen einer Wettbewerbslage ausgegangen. Die vor der Auf- tragsvergabe abgesprochene Vergabe des Folgeauftrags an die PI. hat es als Vorteil für den Beauftragten der P. , den Angeklagten N. angesehen , der für die Bevorzugung gewährt worden ist. Hierfür hat es sich auch darauf gestützt, dass die über die PI. erfolgende „Rückbeauftragung“ des Angeklagten N. vor dem Auftraggeber P. verschleiert und hierfür ein Unternehmen genutzt wurde, das dem Angeklagten N. zwar zuzurechnen , für das er aber bewusst gegenüber der P. nicht in Erscheinung trat. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
58
b) Gleiches gilt, soweit das Landgericht die vom Angeklagten E. nach über 35 Hauptverhandlungstagen abgegebene Einlassung, er sei davon ausgegangen, dass allein die A. in der Lage gewesen sei, den Auftrag zu den vorgegebenen Konditionen zu erfüllen, als an den Ertrag der Hauptverhandlung angepasste Schutzbehauptung angesehen hat und ihr diesbezüglich nicht gefolgt ist. Es hat die von anderen Beweismitteln hinreichend gestützte Einlassung des Angeklagten E. insoweit zugrunde gelegt, er habe die „Schutzangebote“ beschafft, dabei den beteiligten Unternehmen die einzutragenden Preise vorgegeben und dem „Wunsch“ des Angeklagten N. nach Beauftragung der PI. entsprochen, wobei er dies gegenüber der P. nicht offen gelegt habe. Hiervon ausgehend erweist sich die Würdigung, für dieses Verhalten gebe es keinen anderen Grund, als dass die vertragliche Beauftragung der PI. die „Rückvergütung“ für die Bevorzugung der A. bereits im Vorfeld der Ausschreibung darstelle, als tragfähig. Den Schluss von dieser Vorgehensweise auf die Vorstellung von der unlauteren Beeinflussung des Wettbewerbs hat das Landgericht zu Recht dadurch gestützt gesehen, dass der Angeklagte E. eingeräumt hat, es habe sich um die „Inszenierung einer Charade“ gehandelt.
59
3. Das Landgericht durfte in der Erteilung des Folgeauftrags an die dem Angeklagten N. zuzurechnende PI. einen Vorteil im Sinne des § 299 StGB sehen. Hierunter ist jede Leistung zu verstehen, auf die der Empfänger keinen Rechtsanspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert (BGH, Urteil vom 18. Juni 2003 – 5 StR 489/02, BGH NJW 2003, 2996, 2997; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 299 Rn. 7). Ein solcher Vorteil kann bereits in dem Abschluss eines Vertrages liegen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 – 4 StR 99/07, NStZ 2008, 216 f. zu § 333 Abs. 1 StGB; zur identischen Begrifflichkeit des Vorteils in § 333 Abs. 1 und § 299 Abs. 1 vgl. nur Tiedemann in LK, 12. Aufl., § 299 Rn. 25). Dass die Erteilung des jeweiligen Auftrags für das Firmengeflecht des Angeklagten N. günstig war, lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hinreichend deutlich entnehmen.
60
Auch soweit die Revision des Angeklagten E. geltend macht, das Urteil setze sich nicht hinreichend mit der Möglichkeit auseinander, dass der Angeklagte N. für den erteilten Folgeauftrag ein „einzigartiges Fachwis- sen“ aufgewiesen habe und daher seine Rückbeauftragung eine „zwingende Notwendigkeit“ gewesen wäre, zeigt sie keine rechtsfehlerhafte Lücke auf. Denn angesichts der Verschleierung der Vergabe des Folgeauftrags an den Angeklagten N. , die der Revisionsführer selbst im Rahmen seiner Einlas- sung in der Hauptverhandlung als „vertragswidriges Verhalten“ gegenüber dem Auftraggeber bezeichnete, und der Absprache einer solchen Vorgehensweise im Vorfeld der Ausschreibungen auf Wunsch des Angeklagten N. , durfte das Landgericht darauf schließen, dass der in der Rückbeauftragung liegende Vorteil für die Bevorzugung im Wettbewerb gewährt wurde, mithin im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses mit ihr verknüpft sein sollte. Einer Auseinandersetzung mit möglichen Sachgründen für eine nicht mit einer Gegenleistung verknüpfte Folgebeauftragung des Angeklagten N. bedurfte es nicht. Soweit die Revision unter Berufung auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 2007 – 4 StR 99/07 (NStZ 2008, 216) meint, es sei eine besonders sorgfältige Prüfung erforderlich gewesen, ob der Auftrag wegen der besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten erfolgt sei, verkennt sie, dass sich diese Anforderungen auf die von § 333 Abs. 1 StGB erfassten Fälle beziehen, in denen der Vorteil nicht für eine bestimmte oder zumindest bestimmbare Gegenleistung gewährt wurde, sondern zu prüfen ist, ob er möglicherweise in Bezug zur allgemeinen Dienstausübung steht.
61
4. Der von der Revision des Angeklagten N. als unauflösbarer Widerspruch gerügte Schreibfehler in den Feststellungen zu der unter I. 1.b. dargestellten Tat (Fall III. 2. der Urteilsgründe) berührt den Bestand des Urteils nicht. Zwar ist der Revision insoweit Recht zu geben, als dass die festgestellte Angebotssumme, die der gesondert Verfolgte K. für die M. GmbH abgegeben hat, über den jeweils bezifferten der „Scheinangebote“ liegt. Jedoch lässt sich aus dem Sachzusammenhang der Feststellungen eindeutig entnehmen, dass das Angebot unter denen der „Konkurrenzangebote“ gelegen hat. So ist es auch an mehreren Stellen in den Urteilsgründen ausdrücklich festgehalten (zum Angebot von Da. : „deutlich über dem Ange- botspreis“ des … K. liegendes Angebot in Höhe von 527.418,50 EUR“, UA S. 15; zum Angebot von Pr. : „Der Gesamtangebotspreis lag dabei mit 458.420,00 EUR wie … geplant über dem Angebotspreis der M. GmbH“, UA S. 16; zur Empfehlung gegenüber der P. : „Der Ange- klagte N. erstellte einen Vergleich der einzelnen Angebotsdetails, bei welchem tatplangemäß das Angebot der M. GmbH das Günstigste war“, UA S. 16). Insoweit ist der Widerspruch auflösbar.
62
5. Die Annahme der Voraussetzungen des Regelbeispiels gemäß § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB durch das Landgericht hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
63
Wann ein solches Ausmaß vorliegt, ist betragsmäßig nicht bestimmt. Neben der entsprechenden Regelung in § 335 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist das Merkmal des „großen Ausmaßes“ auch in weiteren Strafzumessungsregelungen als Regelbeispiel zu finden. So nennen § 263 Abs. 3 Nr. 2 und § 267 Abs. 3 Nr. 2 StGB die Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes als Erschwerungsgrund , während § 264 Abs. 2 Nr. 1 StGB auf die Erlangung einer nicht gerechtfertigten Subvention und § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO auf den Hinterziehungsumfang großen Ausmaßes abstellen. Jedoch hat sich die Auslegung an dem jeweiligen Tatbestand zu orientieren (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2003 – 1 StR 274/03, BGHSt 48, 360, 364; BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08; BGHSt 53, 71, 83).
64
Der Gesetzgeber hat keine dahingehende Festlegung getroffen. Er hat zwar wenig erhellend einerseits auf die begriffliche Identität hingewiesen (BT-Drucks. 13/5584, S. 15, 17), andererseits deutlich gemacht, dass sich die Auslegung an dem jeweiligen Tatbestand zu orientieren habe. Deswegen könne ein Vorteil großen Ausmaßes nach § 300 StGB schon vorliegen, wenn man bei einer Subvention in dieser Höhe noch nicht von einem großen Ausmaß sprechen würde (BT-Drucks. aaO S. 15). Bei der Bestechung und Bestechlichkeit von Amtsträgern könne ein anderer Auslegungsmaßstab geboten sein (BT-Drucks. aaO S. 17).
65
Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts hat sich die Bestimmung nur auf die Höhe des Vorteils und nicht auf den Umfang der Bevorzugung zu beziehen (Krick in MK, StGB, 2. Aufl., § 300 Rn. 2; Sinner in Matt/Renzikowski, StGB, § 300 Rn. 2; Tiedemann in LK, StGB, 12. Aufl., § 330 Rn. 3; jeweils mwN; kritisch zur Gesetzesfassung Fischer, StGB, 62. Aufl., § 300 Rn. 3; Heine/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 300 Rn. 3). Schutzzweckspezifisch ist danach ein großes Ausmaß erreicht, wenn der Vorteil besonders geeignet ist, den Vorteilnehmer zu korrumpieren (Dannecker in NK, StGB, 4. Aufl., § 300 Rn. 5; Rogall in SK, StGB, 8. Aufl., § 300 Rn. 4; Tiedemann, aaO Rn. 4; vgl. auch Rosenau in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 300 Rn. 2). Dies erfordert eine Berücksichtigung einzelfallbezogener Umstände (vgl. Dannecker, aaO Rn. 5; Fischer, aaO Rn. 4; Sinner, aaO Rn. 3; Tiedemann, aaO Rn. 4; kritisch zum hierdurch eröffneten weiten Beurteilungsspielraum Rosenau, aaO Rn. 2, der die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Vorteilsnehmers aber ebenfalls für berücksichtigenswert erachtet; a.A. Krick aaO). Denn anders als die nach objektiven Maßstäben zu bestimmenden Merkmale des großen Ausmaßes in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2003 – 1 StR 274/03, BGHSt 48, 360, 364) und § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08; BGHSt 53, 71, 83) ist der Anreiz für Korrumpierbarkeit abhän- gig von den jeweiligen Verhältnissen des Vorteilnehmers, mithin von individuellen Kriterien.
66
Ob es im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit der Anwendung der kodifizierten Strafzumessungsregel (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 7. Oktober 2003 – 1 StR 274/03, BGHSt 48, 360, 364) dennoch der Festlegung einer betragsmäßig festgelegten Untergrenze als Begrenzung für den Einfluss individueller Kriterien bedarf, braucht der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.
Denn diese Untergrenze müsste angesichts der gesetzgeberischen Vorgabe unter der für § 264 Abs. 2 Nr. 1 StGB geltenden Größenordnung (ab etwa 50.000 €, vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1990 – 1 StR 548/90, wistra 1991, 106: 100.000 DM als Grenze; BGH, Urteil vom 7. Oktober 2003 – 1 StR 274/03) liegen. In der Literatur werden stark variierende und damit keine klaren Maßstäbe für eine Grenzziehung vertreten (Rosenau, aaO: nicht diesseits der 50.000 €; Heine/Eisele, aaO: in der Regel 50.000 €, mindestens aber 25.000 €; Krick, aaO Rn. 2: 25.000 €; Dannecker, aaO: in der Regel nicht unter 25.000 €; Tiedemann, aaO Rn. 4: ein Vorteil unter 20.000 € könne ohne das Vorliegen besonderer Umstände nur schwer vorstellbar einen besonders schweren Fall darstellen, was freilich neben dem Vorliegen des tatbestandsähnlich ausgestalteten Regelbeispiels die strafzumessungsrechtliche Gesamtwürdigung, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt, mit in den Blick nimmt; Rogall, aaO Rn. 6: mehr als 10.000 €; demgegenüber noch Rudolphi in der Vorauflage § 300 Rn. 3: 5.000 €; vgl. auch Fischer, aaO Rn. 4: 10.000 € können ausreichen; zu Recht kritisch zu dieser Kasuistik Sinner, aaO). Die danach in Betracht kommenden Grenzwerte sind nach der Bewertung des Landgerichts jedenfalls überschritten (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2006 – 1 StR 50/06, NJW 2006, 3290, in diesem Fall war die Größenordnung von jedenfalls 50.000 € überschritten

).


67
Denn das Landgericht hat die jeweils als Vorteil gewährten, einen erheblichen Umfang aufweisenden Aufträge, die sich stets im sechsstelligen Bereich bewegten und die sich in Anbetracht der schwierigen finanziellen Verhältnisse des Angeklagten N. und seiner Firmen auch als äußerst lukrativ für diesen darstellten, als großes Ausmaß gewertet. Das weist angesichts der dem Tatrichter obliegenden Gewichtung und Bewertung der einzelfallbezogenen Umstände und des insoweit nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprü- fungsmaßstabs keinen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat den zutreffenden Maßstab seiner Würdigung zugrunde gelegt und die zugehörigen Tatsachen rechtsfehlerfrei festgestellt. Dass es sich dabei an der Bedeutung des Auftragsvolumens für den Geschäftsbetrieb des Angeklagten orientiert und keinen kalkulierten Gewinn ermittelt hat, ist im Rahmen des § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB nicht zu beanstanden.
68
II. Auch der die Angeklagten D. und E. jeweils betreffende Schuldspruch wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen wird von den auch insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragen.
69
Soweit die Revision des Angeklagten E. beanstandet, dass der Anwendungsbereich des § 298 StGB nicht eröffnet sei, da auch für beschränkte Ausschreibungen zuvor der Bewerberkreis durch öffentliche Ausschreibung zu ermitteln sei, wird sie dem Regelungsgehalt des § 3 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 und 4 VOB/A 2009 nicht gerecht. Danach können bei einer beschränkten Ausschreibung Bauleistungen nach Aufforderung einer beschränkten Zahl von Unternehmen zur Einreichung von Angeboten vergeben werden, § 3 Abs. 3 VOB/A. Ein vorhergehender öffentlicher Teilnahmewettbewerb ist nur nach § 3 Abs. 4 VOB/A vorgesehen. Auch beschränkte Ausschreibungen ohne vorangegangenen öffentlichen Teilnahmewettbewerb unterfallen dem Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – 3 StR 167/13, BGHSt 59, 34 mwN).
70
Dass die von den Angeklagten D. und E. abgegebenen Angebote auf einer Absprache beruhten, ist entgegen den Beanstandungen der Revision des Angeklagten E. ausdrücklich und hinreichend deutlich festgestellt. Denn danach haben die Angeklagten mit den anderen Anbietern, den Erstellern der „Schutzangebote“, jeweils eine kartellrechtswidrige, nämlich ge- gen § 1 GWB verstoßende Vereinbarung getroffen, die darauf abzielte, die P. zur Annahme ihres Angebots zu veranlassen. Die Feststellungen sind auch nicht etwa hinsichtlich des Inhalts der Absprache lückenhaft. So ergibt sich aus der vorangestellten Darstellung der grundsätzlichen Vorgehensweise in Verbindung mit den Feststellungen zu den einzelnen Fällen, dass mit den hinter den „Schutzangeboten“ stehenden Unternehmensverantwortlichen jeweils eine Vereinbarung getroffen worden war. Diese hatte den Inhalt, dass die Abgabe von „Schutzangeboten“ nur dazu diente, einen tatsächlich unterdrück- ten Wettbewerb vorzuspiegeln und die „Schutzangebote“ deswegen über dem Angebot der A. bzw. der C. GmbH liegen müssen. Das gilt auch für das „Schutzangebot“, welches der gesondert Verfolgte Kl. abgegeben hat. Dass danach noch Manipulationen am entsprechend der Absprache erstellten , über dem Angebotspreis der A. liegenden Angebot vorgenommen worden sind, hindert die Tatbestandserfüllung durch die Abgabe des auf der Absprache beruhenden Angebots des Angeklagten E. nicht.
71
Daneben erfüllt auch die vertikale Absprache zwischen den jeweiligen Angeklagten D. und E. einerseits und dem Angeklagten N. als auf Veranstalterseite Handelnden andererseits ebenfalls die Anforderungen an § 298 Abs. 1 StGB (vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. Juli 2012 – 2 StR 154/12, NJW 2012, 3318 mwN zur Rechtslage nach Novellierung des § 1 GWB zum 1. Juli 2005).
72
Angesichts des für die Angeklagten deutlich zu Tage liegenden Verstoßes gegen das Verbot solcher Vereinbarungen aus § 1 GWB bedurfte es der von der Revision vermissten weiteren Ausführungen zum Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Absprache nicht.
73
III. Die Strafzumessung erweist sich aus den vom Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften aufgezeigten Gründen als revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ergänzend ist nur darauf hinzuweisen, dass das dem Angeklagten E. angelastete Hineinziehen von befreundeten Unternehmern, die die „Schutzangebote“ abgegeben haben, keine unzulässige Doppelverwertung darstellt. Denn der Angeklagte E. ist wegen seiner Beteiligung an der Absprache und nicht zugleich wegen Anstiftung zu – auf der Grundlage der Feststellungen – strafbaren Beteiligung der befreundeten Unternehmer bestraft worden.
Rothfuß Graf Jäger
Cirener Radtke

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2015 - 1 StR 235/14

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Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


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(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,2.die Finanzbehörden pflichtwidrig über steu

Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

Strafprozeßordnung - StPO | § 154a Beschränkung der Verfolgung


(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind, 1. für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder2. neben einer Strafe oder Maß

Strafprozeßordnung - StPO | § 153a Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen


(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen u

Strafgesetzbuch - StGB | § 267 Urkundenfälschung


(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch i

Strafprozeßordnung - StPO | § 243 Gang der Hauptverhandlung


(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind. (

Strafgesetzbuch - StGB | § 264 Subventionsbetrug


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. einer für die Bewilligung einer Subvention zuständigen Behörde oder einer anderen in das Subventionsverfahren eingeschalteten Stelle oder Person (Subventionsgeber) ü

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen - GWB | § 1 Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen


Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.

Strafprozeßordnung - StPO | § 273 Beurkundung der Hauptverhandlung


(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesu

Strafprozeßordnung - StPO | § 249 Führung des Urkundenbeweises durch Verlesung; Selbstleseverfahren


(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind. (2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen

Strafgesetzbuch - StGB | § 299 Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens 1. einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprech

Strafgesetzbuch - StGB | § 333 Vorteilsgewährung


(1) Wer einem Amtsträger, einem Europäischen Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr für die Dienstausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewähr

Strafprozeßordnung - StPO | § 231 Anwesenheitspflicht des Angeklagten


(1) Der erschienene Angeklagte darf sich aus der Verhandlung nicht entfernen. Der Vorsitzende kann die geeigneten Maßregeln treffen, um die Entfernung zu verhindern; auch kann er den Angeklagten während einer Unterbrechung der Verhandlung in Gewahrsa

Strafgesetzbuch - StGB | § 298 Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen


(1) Wer bei einer Ausschreibung über Waren oder Dienstleistungen ein Angebot abgibt, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, die darauf abzielt, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen, wird mit Freiheitsstrafe bi

Strafprozeßordnung - StPO | § 247a Anordnung einer audiovisuellen Vernehmung von Zeugen


(1) Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Vernehmung an einem and

Strafgesetzbuch - StGB | § 335 Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung


(1) In besonders schweren Fällen wird 1. eine Tat nach a) § 332 Abs. 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Abs. 3, undb) § 334 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, jeweils auch in Verbindung mit Abs. 3, mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren und2. ein

Strafgesetzbuch - StGB | § 300 Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr und im Gesundheitswesen


In besonders schweren Fällen wird eine Tat nach den §§ 299, 299a und 299b mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn 1. die Tat sich auf einen Vorteil großen Ausmaßes bez

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Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2015 - 1 StR 235/14 zitiert oder wird zitiert von 40 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2015 - 1 StR 235/14 zitiert 32 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverfassungsgericht Urteil, 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10

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Die Verständigung ist der sog. „Deal“ im Strafprozess. Schon umstritten ist, wie sie strafrechtsdogmatisch überhaupt einzuordnen ist. Die Verständigung ist eine Verfahrensweise, bei der sich das Gericht mit den Verfahrensbe

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juli 2011 - 1 StR 631/10

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 631/10 vom 25. Juli 2011 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja StPO § 231 Abs. 2 AO § 371 Abs. 1 1. Eigenmächtigkeit des Entfernens im Sinne von § 231 Abs. 2 StPO kann vorliegen, wenn der Ang

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Okt. 2011 - 3 StR 282/11

bei uns veröffentlicht am 25.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 282/11 vom 25. Oktober 2011 in der Strafsache gegen wegen Untreue Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. Oktober 2011

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juli 2012 - 2 StR 154/12

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 154/12 vom 25. Juli 2012 in der Strafsache gegen wegen Untreue Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. Juli 2012 gemäß § 349

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. März 2014 - 1 StR 711/13

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 S t R 7 1 1 / 1 3 vom 11. März 2014 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2014 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagt

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. März 2014 - 1 StR 605/13

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 S t R 6 0 5 / 1 3 vom 12. März 2014 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2014 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen d

Bundesgerichtshof Urteil, 13. März 2014 - 4 StR 445/13

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 445/13 vom 13. März 2014 in der Strafsache gegen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. März 2014, an der teil

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. März 2014 - 5 StR 2/14

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR2/14 vom 24. März 2014 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. 4. 5. 6. wegen schwerer Körperverletzung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2014 beschlossen: 1. Auf die Revisionen der Ange

Bundesgerichtshof Urteil, 02. Dez. 2008 - 1 StR 416/08

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 416/08 vom 2. Dezember 2008 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja _________________________ StGB § 266a AO § 370 Abs. 1 und 3 1. Die Berechnung der nach § 266a StGB vorenthaltenen.

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Apr. 2014 - 5 StR 123/14

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR123/14 vom 24. April 2014 in der Strafsache gegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2014 beschlossen: Die Revision d

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2012 - 1 StR 213/10

bei uns veröffentlicht am 11.10.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 213/10 vom 11. Oktober 2012 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja _____________________________ UrhG § 106 Abs. 1, § 108a, § 17 AEUV Art. 34, 36 StGB § 17, § 27 1. B

Bundesgerichtshof Urteil, 04. Sept. 2014 - 4 StR 473/13

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 473/13 vom 4. September 2014 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ––––––––––––––––––––––––––- StGB § 13 Abs. 1, § 222, § 239 Abs. 1 und Abs. 4 1. Hat es der h

Bundesgerichtshof Urteil, 21. Juni 2007 - 4 StR 99/07

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 99/07 vom 21. Juni 2007 in der Strafsache gegen wegen Vorteilsgewährung Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Juni 2007, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richt

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juli 2013 - 1 StR 532/12

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 532/12 vom 10. Juli 2013 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Untreue Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 27. Juni 2013, in der Sitzung am 10. Juli 2013, an

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juli 2013 - 1 StR 234/13

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Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juni 2001 - 2 StR 194/01

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 194/01 vom 6. Juni 2001 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6. Juni 2001 gemäß § 349

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Feb. 2015 - 4 StR 587/14

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR587/14 vom 25. Februar 2015 in der Strafsache gegen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Okt. 2013 - 3 StR 167/13

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Bundesgerichtshof Urteil, 09. Jan. 2013 - 5 StR 461/12

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5 StR 461/12 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 9. Januar 2013 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9.

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Aug. 2006 - 1 StR 50/06

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 50/06 vom 9. August 2006 in der Strafsache gegen wegen Untreue u. a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 8. August 2006 in der Sitzung am 9. August 2006, an d

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2010 - 1 StR 644/09

bei uns veröffentlicht am 29.04.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 644/09 vom 29. April 2010 in der Strafsache gegen wegen Computerbetruges u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2010 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land

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Nachschlagewerk: ja BGHSt : nein Veröffentlichung: ja StGB §§ 27, 78a, 299 AO § 370 1. Zur Beendigung der Bestechung durch Versprechen eines Vorteils. 2. Zur Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch objektiv neutrale Handlung. BGH, Urteil vom 18. Ju

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2010 - 1 StR 275/10

bei uns veröffentlicht am 14.12.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 275/10 vom 14. Dezember 2010 Nachschlagewerk: ja BGHSt: nein BGHR: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung gem

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 76/10 vom 20. Juli 2010 Nachschlagewerk: ja BGHSt: nein Veröffentlichung: ja ___________________________________ StPO § 249 Abs. 2 Satz 3, § 274 Abs. 1 Satz 1 Zum Umfang der Beweiskraft des Protokollvermerks n

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR9/15 vom 14. April 2015 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. April 2015 beschlossen:

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2014 - 1 StR 242/14

bei uns veröffentlicht am 18.12.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 S t R 2 4 2 / 1 4 vom 18. Dezember 2014 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Dezember 2014 gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. § 154 Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4 St

Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Dez. 2014 - 1 StR 422/14

bei uns veröffentlicht am 02.12.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 S t R 4 2 2 / 1 4 vom 2. Dezember 2014 in der Strafsache gegen wegen Steuerhinterziehung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Dezember 2014 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urte

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2014 - 4 StR 78/14

bei uns veröffentlicht am 17.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 78/14 vom 17. Juli 2014 in der Strafsache gegen wegen Bestimmens einer Person unter 18 Jahren, mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Juli 2014 - 3 StR 140/14

bei uns veröffentlicht am 10.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 S t R 1 4 0 / 1 4 vom 10. Juli 2014 in der Strafsache gegen wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Juli 2014, an der teilgenommen

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Juni 2014 - 2 StR 381/13

bei uns veröffentlicht am 05.06.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 S t R 3 8 1 / 1 3 vom 5. Juni 2014 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja BGHR: ja Veröffentlichung: ja ____________________ StPO §§ 243 Abs. 4 Satz 2, 238 Abs. 2 Die Rüge ein

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2014 - 3 StR 24/14

bei uns veröffentlicht am 29.04.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 S t R 2 4 / 1 4 vom 29. April 2014 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerde

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Apr. 2014 - 3 StR 89/14

bei uns veröffentlicht am 15.04.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 S t R 8 9 / 1 4 vom 15. April 2014 in der Strafsache gegen wegen Wohnungseinbruchdiebstahls Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 1
8 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2015 - 1 StR 235/14.

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Jan. 2020 - 5 StR 385/19

bei uns veröffentlicht am 22.01.2020

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 385/19 vom 22. Januar 2020 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr u.a. ECLI:DE:BGH:2020:220120U5STR385.19.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Jan. 2020 - 1 StR 421/19

bei uns veröffentlicht am 29.01.2020

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 421/19 vom 29. Januar 2020 in der Strafsache gegen wegen Steuerhinterziehung u.a. ECLI:DE:BGH:2020:290120B1STR421.19.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach A

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Apr. 2019 - 4 StR 38/19

bei uns veröffentlicht am 09.04.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 38/19 vom 9. April 2019 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwer

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2018 - 1 StR 115/18

bei uns veröffentlicht am 13.09.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 115/18 vom 13. September 2018 in der Strafsache gegen wegen Bestechlichkeit u.a. ECLI:DE:BGH:2018:130918B1STR115.18.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach An

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens

1.
einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, oder
2.
ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze.

(2) Ebenso wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr einem Angestellten oder Beauftragten eines Unternehmens

1.
einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen ihn oder einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, oder
2.
ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze.

(1) Wer bei einer Ausschreibung über Waren oder Dienstleistungen ein Angebot abgibt, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, die darauf abzielt, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Ausschreibung im Sinne des Absatzes 1 steht die freihändige Vergabe eines Auftrages nach vorausgegangenem Teilnahmewettbewerb gleich.

(3) Nach Absatz 1, auch in Verbindung mit Absatz 2, wird nicht bestraft, wer freiwillig verhindert, daß der Veranstalter das Angebot annimmt oder dieser seine Leistung erbringt. Wird ohne Zutun des Täters das Angebot nicht angenommen oder die Leistung des Veranstalters nicht erbracht, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Annahme des Angebots oder das Erbringen der Leistung zu verhindern.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens

1.
einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, oder
2.
ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze.

(2) Ebenso wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr einem Angestellten oder Beauftragten eines Unternehmens

1.
einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen ihn oder einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, oder
2.
ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze.

In besonders schweren Fällen wird eine Tat nach den §§ 299, 299a und 299b mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
die Tat sich auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht oder
2.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht,

1.
zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen,
2.
einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen,
3.
sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen,
4.
Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen,
5.
sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben,
6.
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder
7.
an einem Aufbauseminar nach § 2b Abs. 2 Satz 2 oder an einem Fahreignungsseminar nach § 4a des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen.
Zur Erfüllung der Auflagen und Weisungen setzt die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten eine Frist, die in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 bis 3, 5 und 7 höchstens sechs Monate, in den Fällen des Satzes 2 Nummer 4 und 6 höchstens ein Jahr beträgt. Die Staatsanwaltschaft kann Auflagen und Weisungen nachträglich aufheben und die Frist einmal für die Dauer von drei Monaten verlängern; mit Zustimmung des Beschuldigten kann sie auch Auflagen und Weisungen nachträglich auferlegen und ändern. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen, so kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen nicht, so werden Leistungen, die er zu ihrer Erfüllung erbracht hat, nicht erstattet. § 153 Abs. 1 Satz 2 gilt in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 bis 6 entsprechend. § 246a Absatz 2 gilt entsprechend.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen. Absatz 1 Satz 3 bis 6 und 8 gilt entsprechend. Die Entscheidung nach Satz 1 ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Satz 4 gilt auch für eine Feststellung, daß gemäß Satz 1 erteilte Auflagen und Weisungen erfüllt worden sind.

(3) Während des Laufes der für die Erfüllung der Auflagen und Weisungen gesetzten Frist ruht die Verjährung.

(4) § 155b findet im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 6, auch in Verbindung mit Absatz 2, entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, dass personenbezogene Daten aus dem Strafverfahren, die nicht den Beschuldigten betreffen, an die mit der Durchführung des sozialen Trainingskurses befasste Stelle nur übermittelt werden dürfen, soweit die betroffenen Personen in die Übermittlung eingewilligt haben. Satz 1 gilt entsprechend, wenn nach sonstigen strafrechtlichen Vorschriften die Weisung erteilt wird, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 7 1 1 / 1 3
vom
11. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2014 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 13. Mai 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
Der Angeklagte macht zu Recht geltend, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO gegeben ist. Er war von der Teilnahme an der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin (auch) nach deren zweiter Vernehmung ausgeschlossen.
3
1. Der Verfahrensbeanstandung liegt folgendes Geschehen zugrunde:
4
a) Dem Angeklagten liegt zur Last, am 6. Dezember 2011 als Kleinbusfahrer während der Fahrt der geistig behinderten Nebenklägerin und Zeugin M. unter Zwang seinen Penis in den Mund eingeführt, ihr einen Finger in die Scheide gesteckt und sie verbal beleidigt zu haben. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung zur Sache im Wesentlichen nicht geäußert, sondern lediglich geltend gemacht, dass er zu einer Erektion gesundheitlich nicht mehr in der Lage sei. Das Landgericht hält den Angeklagten durch die Aussage der Nebenklägerin, deren Glaubhaftigkeit es anhand der Aussagen mehrerer Zeugen, denen sich die Nebenklägerin anvertraut hatte, sowie anhand einer sachverständigen Begutachtung für überführt.
5
b) In der Hauptverhandlung wurde die Nebenklägerin zweimal als Zeugin vernommen. Während der Vernehmungen wurde der Angeklagte jeweils gemäß § 247 StPO aus dem Sitzungssaal entfernt. Auch die Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin als Zeugin erfolgte jeweils in Abwesenheit des Angeklagten.
6
Nach der ersten Vernehmung der Nebenklägerin wurde sie im allseitigen Einverständnis entlassen. Erst dann wurde der Angeklagte wieder in den Sitzungssaal gelassen und vom Kammervorsitzenden über den Inhalt der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin informiert. Nach der Vernehmung der Mutter der Nebenklägerin wurde die Nebenklägerin erneut vernommen. Auch bei dieser zweiten Vernehmung und der anschließenden Verhandlung über die Entlassung der Zeugin war der Angeklagte nach § 247 StPO ausgeschlossen.
7
2. Die Rüge des absoluten Revisionsgrundes gemäß § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO wegen Abwesenheit des Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin nach ihrer zweiten Vernehmung ist zulässig erhoben.
8
a) Zwar muss nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO der Revisionsführer die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensmangel begründen, so vollständig und genau mitteilen, dass das Revisionsgericht aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 344 Rn. 24 mwN). Für einen erschöpfenden Vortrag sind dabei auch diejenigen Verfahrenstatsachen vorzutragen, die einer erhobenen Rüge entgegenstehen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 23. September 2008 – 1 StR 484/08).
9
b) Solche Umstände ergaben sich hier aber nicht aus der Besonderheit, dass die Nebenklägerin am selben Tag bereits schon einmal als Zeugin vernommen worden war und es sich somit lediglich um eine ergänzende Vernehmung handelte. Der Sachvortrag des Beschwerdeführers ist ausreichend. Er musste hier keine Ausführungen zum Inhalt der zweiten Vernehmung der Nebenklägerin machen, um darzulegen, dass es sich bei der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin nach ihrer zweiten Vernehmung um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung gehandelt hat.
10
aa) Die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen ist grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Die währenddessen fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 Satz 1 oder Satz 2 StPO entfernten Angeklagten ist deshalb regelmäßig geeignet, den absoluten Revisionsgrund zu begründen (BGH, GrS, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92). Ob ein Verfahrensteil als wesentlich einzuordnen ist, bestimmt sich nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie danach, in welchem Umfang ihre sachliche Bedeutung betroffen sein kann. Nach dem Zweck des § 247 StPO ist aber die Entlassungsverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten grundsätzlich als wesentlich anzusehen. Die das Anwesenheitsrecht und die Anwesenheitspflicht des Angeklagten betreffenden Vorschriften bezwecken auch, dem Angeklagten eine allseitige und uneingeschränkte Verteidigung zu ermöglichen, insbesondere durch Vornahme von Verfahrenshandlungen aufgrund des von ihm selbst wahrgenommenen Verlaufs der Hauptverhandlung. Das wird dem Angeklagten durch seinen Ausschluss von der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen erschwert, weil er in unmittelbarem Anschluss an die Zeugenvernehmung keine Fragen oder Anträge stellen kann, die den Ausgang des Verfahrens beeinflussen können (BGHSt, aaO). Einer besonderen Darlegung, dass es sich bei der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung handelt, bedarf es daher nicht.
11
bb) Ein Fall, in dem die Verhandlung über die Entlassung einer Zeugin ausnahmsweise nicht als wesentlicher Teil der Hauptverhandlung angesehen werden könnte, liegt hier auch nicht darin, dass es sich bereits um die zweite Vernehmung der Zeugin handelte.
12
Auch einer ergänzenden Vernehmung einer Opferzeugin kommt grundsätzlich erhebliche Bedeutung für das Verfahren zu, sodass der Angeklagte auch nach einer solchen stets die Möglichkeit haben muss, ergänzende Fragen oder Anträge zu stellen, die das Verfahren beeinflussen können (BGH, GrS, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92). Beim Vorwurf von Sexualstraftaten liegt es sogar nahe, dass Umstände zum Tatgeschehen selbst dann erörtert werden, wenn es nur deshalb zu einer erneuten Verneh- mung der Opferzeugin kommt, weil eine für sich genommen „neutrale“ Frage zum Randgeschehen noch geklärt werden muss. Auch in einem solchen Fall ist kein Verfahrensbeteiligter rechtlich gehindert, bisher noch nicht gestellte, aber zur Sache gehörende – also den gesamten Anklagevorwurf betreffende – Fra- gen zu stellen (vgl. zu § 171b GVG: BGH, Beschlussvom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06 Rn. 9, in BGHSt 51, 180 nicht abgedruckt). Bei der Verneh- mung der Opferzeugin als zentraler Belastungszeugin bedarf es daher auch im Falle einer wiederholten Vernehmung für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge gemäß § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO grundsätzlich nicht der Darlegung des wesentlichen Inhalts der Aussage der Zeugin.
13
Hier kam der Möglichkeit, an die Opferzeugin nach deren zweiter Vernehmung ergänzende Fragen stellen zu können, sogar gesteigerte Bedeutung zu. Denn das Landgericht hatte den Angeklagten nach seinem – von der Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenerklärung als richtig bestätigten – Vortrag bereits gemäß § 247 StPO von der Teilnahme an der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin nach ihrer ersten Zeugenvernehmung ausgeschlossen. Damit lag die besondere Verfahrensbedeutung der zweiten Zeugenvernehmung darin, dass mit dieser Vernehmung der Verfahrensfehler, dem Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung nach der ersten Zeugenvernehmung der Nebenklägerin nicht die Anwesenheit zu gestatten, geheilt wurde (vgl. BGH, GrS, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 94). Der Sachvortrag des Beschwerdeführers war daher ausreichend, auch wenn er keine Ausführungen zum Inhalt der zweiten Vernehmung gemacht hat.
14
3. Der geltend gemachte absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO liegt vor.
15
a) Der Beschwerdeführer war entgegen § 247 StPO von der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin als Zeugin nach deren zweiter Vernehmung ausgeschlossen. Dies begründet den Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO, denn die Verhandlung über die Entlassung der Opferzeugin war – auch wenn es sich um eine ergänzende Vernehmung handelte – ein wesent- licher Teil der Hauptverhandlung (s.o.).
16
b) Ein Fall, in dem ein Beruhen des Urteils auf der bloßen Abwesenheit des Angeklagten während der Entscheidung über die Entlassung eines Zeugen denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 – 4 StR 131/06; NStZ 2006, 713; BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 – 5 StR 387/10, NStZ 2011, 534), liegt nicht vor.
17
c) Allerdings kommt grundsätzlich die Heilung des Verfahrensverstoßes, etwa durch erneute Vernehmung eines Zeugen in Betracht (BGH, GrS, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 94). Eine solche Heilung hat hier aber nur durch die zweite Vernehmung im Hinblick auf den Ausschluss des Angeklagten von der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin nach deren erster Zeugenvernehmung stattgefunden. Demgegenüber ist, weil dem Angeklagten die Anwesenheit bei der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin (auch) nach ihrer zweiten Zeugenvernehmung verwehrt wurde, der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben. Da der Fehler unbemerkt blieb und auch keine weitere Vernehmung der Nebenklägerin mehr stattgefunden hat, ist insoweit keine Heilung eingetreten (vgl. BGHSt, aaO, S.94). Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
RiBGH Dr. Wahl befindet sich im Urlaub und ist deshalb an der Unterschriftsleistung verhindert. Raum Raum Rothfuß Jäger Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 473/13
vom
4. September 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
1. Hat es der hierfür verantwortliche Polizeibeamte unterlassen, nach einer ohne
richterliche Entscheidung erfolgten Ingewahrsamnahme oder Festnahme, an der
er selbst nicht beteiligt war, die für die Fortdauer der Freiheitsentziehung erforderliche
unverzügliche Vorführung beim Richter vorzunehmen bzw. die für sie
gebotene richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen, ist dies geeignet
, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
2. Jedoch entfällt die Kausalität eines solchen Unterlassens jedenfalls dann, wenn
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der
zuständige Richter bei unverzüglicher Vorführung und rechtmäßiger Entscheidung
- unter Ausschöpfung ihm zustehender Beurteilungsspielräume zugunsten
des Angeklagten - die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet hätte.
BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 4 StR 473/13 - LG Magdeburg
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Verhandlung vom
28. August 2014 und in der Sitzung am 4. September 2014, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung
-,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung
-
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Nebenkläger M. D. in Person - bei der Verkündung
-,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger B. D. und A.
D. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers M. D. ,
Herr S. aus Frankfurt am Main
als allgemein vereidigter Dolmetscher für die Sprache Fulla,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 werden verworfen.
2. Die Rechtsmittelführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Ferner werden der Staatskasse die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Nachdem der Bundesgerichtshof das den Angeklagten nach 58-tägiger Hauptverhandlung vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freisprechende Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Dezember 2008 mit Urteil vom 7. Januar 2010 mit den Feststellungen wegen Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben hatte, verurteilte das Landgericht Magdeburg nach 67-tägiger Hauptverhandlung den Angeklagten nunmehr wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 90 €. Ferner hat es bestimmt, dass davon infolge einer dem Angeklagten nicht anzulastenden Verfahrensverzögerung 20 Tagessätze als vollstreckt gelten. Gegen das Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und dreier Nebenkläger jeweils mit der Sachrüge. Der Angeklagte sowie die Nebenkläger beanstanden zudem das Verfahren. Keines der Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Das Verfahren betrifft den Tod des damals knapp 22 Jahre alten, in Sierra-Leone geborenen J. in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers De. am 7. Januar 2005, in dem der damals 44jährige Angeklagte als Dienstgruppenleiter tätig war.
3
1. Hierzu hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
Am 7. Januar 2005 ab 8.03 Uhr teilte die Zeugin Be. , die mit weiteren Frauen im Rahmen eines sogenannten 1-Euro-Jobs Pflegearbeiten in den Verkehrs- und Grünflächen im Bereich der T. straße in De. verrichtete, der Polizeibeamtin H. telefonisch mehrfach mit, dass sie von einem "Ausländer belästigt" werden. Frau H. war damals beim Polizeirevier De. als stellvertretende Dienstgruppenleiterin und "Streifeneinsatzführerin" tätig. Die daraufhin von ihr verständigten Polizeibeamten Mä. und Sc. trafen um 8.20 Uhr vor Ort ein. Ihnen war zum Grund des Einsatzes mitgeteilt worden, dass vier weibliche Personen durch einen Ausländer massiv belästigt werden, der hinter ihnen herrenne und versuche, sie "anzutatschen". Während der Zeuge Mä. sich zunächst den anwesenden Frauen zuwandte, fragte der Zeuge Sc. den ihm nicht bekannten, in der Nähe stehenden und sich unauffällig verhaltenden J. nach seinem "Passport". Nachdem J. dessen Herausgabe verweigert hatte, forderte der Zeuge Sc. ihn auf, in das Polizeifahrzeug zu steigen; er wollte " J. erst einmal vor Ort weg und ins Revier bringen". Auch dies lehnte J. ab. Als der Polizeibeamte Sc. ihn daraufhin zu dem Polizeifahrzeug verbringen wollte, setzte sich J. dagegen durch Hin- und Herdrehen zu Wehr. Ihm wurden sodann bei fortdauernder Gegenwehr Handfesseln angelegt und er wurde vom Zeugen Mä. und dessen Kollegen in das Polizeifahrzeug und zum Polizeirevier De. verbracht. Der Grund hierfür wurde J. weder zu diesem Zeitpunkt noch später mitgeteilt; auch wurde er zu keinem Zeitpunkt belehrt oder befragt, ob jemand von seiner Ingewahrsamnahme unterrichtet werden soll. Noch im Polizeifahrzeug versuchte J. nach dem Polizeibeamten Sc. zu treten, wobei entweder durch diesen oder durch einen weiteren Tritt die Plastikverkleidung an der Kurbel der hinteren Seitenscheibe des Polizeifahrzeugs beschädigt wurde. Auch während der Fahrt zum Polizeirevier machte J. "weiterhin sich wehrende Körperbewegungen", wobei er möglicherweise mit der Nase gegen die Fahrzeugscheibe stieß und sich hierbei leicht verletzte.
5
Auf dem Polizeirevier wurde J. von den Polizeibeamten Mä. und Sc. zunächst in das im Untergeschoss im Gewahrsamsbereich gelegene sogenannte "Arztzimmer" verbracht, wo er sich "erneut renitent" verhielt und unter anderem mit seinem Kopf in Richtung Wand und Tisch schlug, woraufhin er vom Zeugen Mä. durch Wegrücken des Stuhles, auf dem er saß, und Festhalten "von erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten wurde. Bei seiner Durchsuchung wurde eine seine Personalien ausweisende, hinsichtlich einzelner Buchstaben oder Ziffern (des Geburtsjahres und der Straße seines Wohnsitzes) allerdings nicht oder nur schlecht lesbare, mit einem Lichtbild versehene "Duldung" (Aussetzung der Abschiebung) des Landkreises An. aufgefunden. Hiervon wurde der Angeklagte unterrichtet, der von der Polizeibeamtin H. auch über den Grund der Verbringung des J. in den Gewahrsam, nämlich dessen Belästigung von Passanten, seine Widerstandhandlung bei dem Versuch der Personalienfeststellung, seine unklaren Personalien und seinen alkoholisierten Zustand unterrichtet worden war. Der Angeklagte versuchte daraufhin um 8.44 Uhr vergeblich, Auskunft über J. beim Einwohnermeldeamt zu erhalten. Nachdem er auch vom Ausländeramt keine vollständigen Daten erhalten hatte, führte der Angeklagte eine INPOL-Abfrage durch, die die Personalien aus der "Duldung" im Wesentlichen bestätigte und ergab, dass J. bereits in den Jahren 2000, 2001 und 2002 unter anderem in De. und in R. jeweils durch Fertigung eines Lichtbildes sowie von Finger- und Handflächenabdrücken erkennungsdienstlich behandelt worden war. Eine erkennungsdienstliche Behandlung von J. hatte zwischenzeitlich auch der Zeuge Mä. angeordnet. Ferner verständigte der Angeklagte um 8.47 Uhr den Arzt Dr. Bl. , der J. eine Blutprobe entnehmen sollte und - trotz weiterer Gegenwehr - um 9.15 Uhr entnahm. Deren spätere Untersuchung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 Promille ; ferner wurden im untersuchten Blut Cocain-Metaboliten nachgewiesen. Dr. Bl. bejahte auch die Gewahrsamsfähigkeit von J. .
6
Im Anschluss an die Blutentnahme wurde der etwa 170 cm große und 60 kg schwere J. von mehreren Polizeibeamten - da er auch hierzu nicht freiwillig bereit war - in die Gewahrsamszelle Nr. 5 gebracht und - nach Rücksprache mit Dr. Bl. - auf dem Rücken liegend mit vier Hand- bzw.Fußfesseln auf einer Matratze fixiert, indem an jedem Hand- bzw. Fußgelenk eine entsprechende Fessel angebracht und mit jeweils einem in den Podest, auf dem die Matratze lag, bzw. in der Wand eingelassenen Metallbügel verbunden wurde. Trotz dieser Fixierung war es J. möglich, seinen Oberkörper in eine sitzende Position aufzurichten und seine Hosentaschen mit den Händen zu erreichen.
7
In der Zelle befand sich - an der Decke - ein Rauchmelder, der bei einem Auslösen in dem im ersten Stock des Dienstgebäudes befindlichen Zimmer des Dienstgruppenleiters einen Piepton und eine blinkende Diode am Bedienele- ment der Alarmanlage einschaltete. Ferner war in der in der Wand der Zelle befindlichen Belüftungsanlage ein ebenfalls auf Rauch reagierender Alarmmelder angebracht. Auch dieser löste - allerdings später als der an der Decke angebrachte Rauchmelder - im Zimmer des Dienstgruppenleiters ein akustisches Signal aus. In der Zelle befand sich zudem eine mit dem Zimmer des Dienstgruppenleiters verbundene Wechselsprechanlage. Vor der Zelle war am Anfang und am Ende des Flures jeweils eine Kamera angebracht, deren Bilder - ohne Aufzeichnung - auf einen Monitor im Zimmer des Dienstgruppenleiters übertragen wurden. In der Zelle selbst war keine Kamera angebracht. Eine Überwachung durch einen im Zellentrakt ununterbrochen anwesenden Polizeibeamten fand nicht statt.
8
Nachdem die Zellentür und die Tür zum Flur der Zellenräume abgeschlossen worden waren, brachte der Polizeibeamte Mä. die hierfür benötigten Schlüssel sowie die Schlüssel der Fußfesseln in das Zimmer des Dienstgruppenleiters. Er informierte den Angeklagten darüber, dass J. fortdauernd renitent geblieben sei, sich selbst zu verletzen versucht habe und er deshalb in der Zelle Nr. 5 vierfach fixiert worden sei, nunmehr sei aber alles in Ordnung. Der Angeklagte trug daraufhin die Ingewahrsamnahme mit den entsprechenden Uhrzeiten sowie den Personalien von J. in das Buch über Freiheitsentziehungen ein und gab als Grund "Identitätsfeststellung § 163 StPO" an; auch die "Fixierung zur Eigensicherung" vermerkte er und versah die Eintragung mit dem Zusatz "i.O.". Er ging davon aus, dass J. zum eigenen Schutz aufgrund seines alkoholisierten Zustands sowie zur genaueren Identitätsfeststellung wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung (an dem Polizeifahrzeug ) und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ordnungsgemäß festgenommen worden war und bis etwa 14.00 Uhr in der Zelle bleiben muss. Davon, ob durch die Fixierung weitere selbstgefährdende Handlungen von J. - etwa ein Schlagen des Kopfes gegen die Zellenwand - ausgeschlossen waren, überzeugte er sich nicht. Auch einen Richter verständigte der Angeklagte von der Ingewahrsamnahme des J. nicht, da ihm die entsprechenden Vorschriften unbekannt waren und während seiner Zeit als Dienstgruppenleiter seit 1993 noch nie ein Richter über eine freiheitsentziehende Maßnahme zur Identitätsfeststellung oder nach dem damals in SachsenAnhalt geltenden Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG LSA) informiert worden war. Vielmehr ging er davon aus, dass solche Ingewahrsamnahmen (ohne richterliche Anordnung) bis zu 12 Stunden andauern dürfen. Auch nach dem Tod von Ma. Bi. im Oktober 2002, der "zum Ausnüchtern" in die Gewahrsamszelle Nr. 5 des Polizeireviers De. verbracht und dort während der Dienstschicht des Angeklagten 16 Stunden später an den Folgen eines Schädelbruchs verstorben war, und dem hierzu gegen den Angeklagten eingeleiteten - schließlich gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellten - staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wurde der Angeklagte auf einen - im damaligen Verfahren "nicht thematisierten" - Richtervorbehalt bei Ingewahrsamnahmen nicht hingewiesen, obwohl seinen Vorgesetzten die Praxis der Beamten des Polizeireviers De. , keine richterlichen Entscheidungen zu erholen, bekannt war. Auch der vom Angeklagten gegen 11.30 Uhr von der Ingewahrsamnahme des J. unterrichtete Einsatzleiter K. wies ihn nicht darauf hin, dass er hiervon einen Richter informieren müsse. Dem Angeklagten hätte jedoch bewusst sein müssen, dass es einer ständigen optischen Überwachung des stark alkoholisierten J. , der zuvor schon versucht hatte, sich selbst zu verletzen, bedurft hätte, um diesen von weiteren Selbstgefährdungen abzuhalten, und allein die akustische Überwachung und die Überwachung zu bestimmten Kontrollzeiten nicht geeignet waren, eine Gesundheitsbeeinträchtigung oder -verschlechterung bei ihm zu verhindern. Einer Überwachung der Zelle durch einen im Zellentrakt ständig anwesenden Beam- ten stand indes zumindest aus Sicht des Angeklagten die geringe Personalstärke an jenem Tag entgegen; seinen Vorgesetzten teilte er das Problem oder entsprechende Bedenken aber nicht mit. Vielmehr sollten - wie bei Ma. Bi. - neben den in Betrieb befindlichen Alarmmeldern lediglich regelmäßige , bei J. in halbstündlichem Abstand erfolgende Zellenkontrollen sowie die akustische Überwachung über die Wechselsprechanlage stattfinden.
9
Um 10.03, 10.37 und 11.05 Uhr wurde J. in seiner Zelle von einem bzw. mehreren Polizeibeamten auch kontrolliert; eine weitere, vom Angeklagten für 9.30 Uhr eingetragene Kontrolle war - wie er wusste - nicht erfolgt. Ferner betrat möglicherweise gegen 11.30 Uhr der Polizeibeamte Mä. die Gewahrsamszelle , um nach seinem Feuerzeug zu suchen, das er dort jedoch nicht auffand. Um 11.45 Uhr begab sich die Polizeibeamtin H. mit einem Kollegen zur Zelle des J. , da dieser schon einige Zeit lang durch lautes Schimpfen und Rufen über die Wechselsprechanlage zu hören war und verlangt hatte, dass ihm die Fesseln gelöst werden. J. bat auch die Beamtin , seine Fesseln zu lösen, und fragte, warum er sich in der Zelle befinde, was die Zeugin damit beantwortete, er wisse schon, warum er dort sei.
10
Nachdem J. auch bei dieser Kontrolle der Grund seines Gewahrsams nicht genannt worden war und er den Eindruck hatte, dass er mit einer alsbaldigen Lösung der Fixierung nicht rechnen konnte, kam er auf die Idee, in der Zelle ein Feuer anzuzünden, wobei er davon ausging, dass Polizeibeamte alsbald auf das Feuer aufmerksam und ihn aus der Zelle herausholen werden. Mit einem Feuerzeug, das er entweder bei sich hatte, weil es bei seiner Durchsuchung übersehen worden war, oder das der Polizeibeamte Mä. in der Zelle verloren hatte, gelang es J. , die schwer entflammbare Polyesterummantelung der etwa neun Zentimeter dicken Matratze durch Erhitzen mit dem in der rechten Hand gehaltenen Feuerzeug aufzuweichen und aufzureißen und die aus Polyurethan bestehende Füllung der Matratze auf einer Länge von bis zu 50 cm und einer Breite von maximal 30 cm freizulegen. Anschließend setzte er kurz vor 12.05 Uhr das Füllmaterial der Matratze in Brand, wobei bis zu dessen selbständigem Brennen weder Rauch noch Ruß entstand, der ausreichte , um einen der Rauchmelder auszulösen. Entweder um dem sich ausbreitenden Feuer auszuweichen oder bei dem Versuch, das Feuer auszublasen , geriet J. bei leicht erhobenem Oberkörper mit der Nase über oder in die heißen Gase der Flamme oder in die Flamme selbst und atmete Luft mit einer Temperatur von 180ºC oder mehr ein. Hierbei erlitt er einen inhalativen Hitzeschock, der zu seinem sofortigen Tod führte. Ob J. zuvor Hilfeoder Schmerzensschreie ausgestoßen hatte, vermochte das Schwurgericht nicht festzustellen.
11
Am Arbeitsplatz des Angeklagten waren über die Wechselsprechanlage zu Beginn des Brandgeschehens von dem Feuer verursachte Geräusche zu hören, die dort wie Plätschern zu vernehmen waren. Auf diese Geräusche machte die Zeugin H. den Angeklagten aufmerksam, der sie aber ebenfalls nicht einordnen konnte. Kurz darauf wurde von dem in der Decke der Zelle angebrachten Rauchmelder Alarm ausgelöst und im Zimmer des Dienstgruppenleiters mit einem lauten Piepen und einer blinkenden Diode angezeigt. Daraufhin schaltete der Angeklagte den Alarm ab, da er ihn für einen im Jahr 2004 schon mehrmals ausgelösten Fehlalarm hielt. Auch das etwa zehn Sekunden später erneut einsetzende Alarmsignal wurde entweder vom Angeklagten oder von der Zeugin H. abgeschaltet. Der Angeklagte - der bis dahin J. nicht zu Gesicht bekommen hatte - verließ sodann das Zimmer in Richtung Gewahrsamsbereich. Da er nicht alle Schlüssel mitgenommen hatte, musste er jedoch umkehren und diese holen, wobei er entweder zuvor oder auf dem Weg zum Zellentrakt den Einsatzleiter K. von dem Alarm verständigte. Nachdem der Angeklagte sodann mit einem auf dem Weg in den Gewahrsamsbereich hinzugebetenen Kollegen die Türen zum Zellentrakt und zur Zelle Nr. 5 geöffnet hatte und ihm dort "eine große Menge verrußter Luft" entgegengekommen war, lief der Angeklagte auf den Parkplatz des Polizeireviers, während sein Kollege vergeblich versuchte, das Feuer in der Zelle zu löschen. Dies gelang letztlich erst der um 12.20 Uhr eingetroffenen Feuerwehr.
12
2. Das Landgericht ist nach umfangreicher Beweisaufnahme von einer Brandlegung durch J. selbst überzeugt. Misshandlungen von J. durch den Angeklagten oder andere Polizeibeamte vermochte die Kammer auch hinsichtlich eines bei der zweiten Obduktion entdeckten Nasenbeinbruchs des J. nicht festzustellen. Andere Brandursachen - insbesondere einen technischen Defekt oder eine Brandlegung durch Polizeibeamte oder Dritte - schloss das Schwurgericht aus. Zugunsten des Angeklagten ging es davon aus, dass J. schon im Zeitpunkt des im Zimmer des Dienstgruppenleiters über die Wechselsprechanlage zu hörenden Plätscherns verstorben war und er deshalb auch bei einem sofortigen Hinuntereilen des Angeklagten nach dem Wahrnehmen dieses Plätscherns oder des ersten Alarmsignals nicht mehr hätte gerettet werden können.
13
Die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung stützt das Schwurgericht auf der Grundlage der diesem bekannten, damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung darauf, dass er trotz des Wissens um die Selbstverletzungsversuche des J. und um die Einschränkung seiner Willensbestimmung dessen Gewahrsam ohne ständige optische Überwachung und - falls ihm dies wegen der knappen Personallage nicht möglich gewesen sei - ohne Remonstration bei seinen Vorgesetzten zugelassen habe. Zwar habe der An- geklagte - insbesondere aufgrund der Mitteilungen des Zeugen Mä. - davon ausgehen dürfen, dass die Ingewahrsamnahme des J. rechtmäßig gewesen sei, da gegen diesen der Verdacht einer Straftat bestanden habe, seine Personalien noch nicht abschließend geklärt gewesen seien und die Gefahr einer Selbstschädigung bestanden habe. Auch sei die Fixierung des J. rechtmäßig gewesen. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hätte dem Angeklagten aber zumindest aufgrund seiner Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Tod von Ma. Bi. sowie der erkennbar starken Alkoholisierung des J. und seiner Versuche, sich zu verletzen, bewusst sein können und müssen, dass eine Zellenkontrolle im halbstündlichen Abstand nicht ausreichend gewesen sei, um bei Fortsetzung des selbstschädigenden Verhaltens oder einer Gesundheitsgefahr aus anderen Gründen rechtzeitig eingreifen zu können. Der Tod von J. sei für den Angeklagten vorhersehbar gewesen. Der Angeklagte hätte ihn auch vermeiden können, zumal Ziffer 5.2 der damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung geregelt habe, dass - sollte während der Unterbringungszeit ausreichend Personal für den Gewahrsamsdienst nicht zur Verfügung stehen - die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen habe. Für eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts fehle es dagegen am Vorsatz. Eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge, die nach Ansicht des Schwurgerichts wegen der Missachtung des Richtervorbehalts nach der Ingewahrsamnahme des J. in Betracht gekommen wäre, scheide aus, weil der Angeklagte insofern einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.

II.


14
Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
15
1. Die Rüge, das Schwurgericht habe den Sachverhalt "nicht umfassend genug aufgeklärt", weil es den Angeklagten hinsichtlich der - im Urteil bejahten - Pflicht zur Remonstration nicht zum Inhalt seines Gesprächs mit dem Zeugen K. befragt habe, ist bereits unzulässig. Denn die Revision teilt das Beweisergebnis , also die zu erwartenden Angaben des Angeklagten hierzu, nicht mit (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 81 mwN).
16
Eine Rüge, das Gericht hätte den Angeklagten darauf hinweisen müssen , dass es die Verletzung der Pflicht zur Remonstration zur Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs heranziehen könnte, ist nicht erhoben. Die Beanstandung wurde vom Verteidiger des Angeklagten in der Revisionsbegründungsschrift vielmehr (mehrfach) ausdrücklich als Aufklärungsrüge bezeichnet. Der dortige Vortrag zu dem gerichtlichen Hinweis diente ersichtlich allein dazu, deutlich zu machen, dass für den Angeklagten und seine Verteidiger in der Hauptverhandlung kein Anlass bestand, sich zu diesem Punkt zu äußern bzw. hierauf die Befragung des Angeklagten auszuweiten. Dem Senat ist es daher verwehrt, sich in diesem Zusammenhang mit einer Verletzung des § 265 StPO zu befassen. Denn Voraussetzung und Grundlage einer zulässigen Verfahrensrüge ist die präzise Bezeichnung der Handlung oder Unterlassung des Gerichts, gegen die der Vorwurf der fehlerhaften Verfahrensweise erhoben wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 449/05, StV 2006, 57, 58 mwN). Allein die sich hieraus ergebende Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts, da es einem Revisionsführer wegen seiner Dispositionsbefugnis freisteht, ein Prozessgeschehen nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu rügen, einen etwa zusätzlich begangenen Verfahrensverstoß aber hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2013 - 5 StR 318/13, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Zulässigkeit 1 mwN).
17
2. Soweit der Angeklagte geltend macht, das Schwurgericht "hätte den Fall Bi. weiter ausermitteln müssen", ist die Verfahrensrüge unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da schon nicht mitgeteilt wird, welcher Beweismittel es sich hierbei hätte bedienen sollen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO).
18
3. Auch die zur Vorhersehbarkeit des Taterfolgs für den Angeklagten erhobene Aufklärungsrüge hat keinen Erfolg. Soweit die Revisionsbegründung insofern konkrete Beweismittel benennt, wurden die Beweise vom Schwurgericht erhoben.
19
4. Die Rüge, das Schwurgericht habe gegen § 265 Abs. 1 StPO verstoßen , weil es den Angeklagten nicht darauf hingewiesen habe, "dass er wegen seiner Erfahrungen aus dem Fall Bi. und aus einer vermeintlichen allgemeinen Lebenserfahrung hätte erkennen müssen, dass eine stetige visuelle Beobachtung geboten war und deshalb eine Verurteilung wegen Fahrlässigkeit in Betracht gezogen werde", ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 12. Dezember 2013 aufgeführten Erwägungen jedenfalls unbegründet.

III.


20
Die Verfahrensrüge des Nebenklägers M. D. , mit der er geltend macht, dass an den Hauptverhandlungstagen vom 14. Januar und 6. Dezember 2011 für ihn kein Dolmetscher zugezogen worden sei, greift nicht durch. Auch die Verfahrensrügen der Nebenkläger B. und A. D. haben keinen Erfolg.
21
1. a) Der Rüge des Nebenklägers M. D. liegt im Wesentlichen folgender Verfahrensgang zugrunde:
22
Am 14. Januar 2011 war für den Nebenkläger M. D. bei Sitzungsbeginn zwar eine Dolmetscherin für die französische Sprache anwesend ; diese wurde aber nach kurzer Zeit entlassen, weil der Nebenkläger M. D. nicht französisch, sondern nur Fulla spricht. Lediglich am Nachmittag wurde für die Abgabe einer Erklärung des Nebenklägers ein Dolmetscher für Fulla zugezogen. Die Hauptverhandlung im Übrigen, unter anderem die Vernehmung zweier Zeugen, wurde an diesem Tag ohne Dolmetscher für den Nebenkläger durchgeführt. Auch am 6. Dezember 2011 wurden mehrere Zeugen vernommen, Urkunden verlesen und ein Augenschein eingenommen , ohne dass für den Nebenkläger ein Dolmetscher tätig war.
23
b) Die Rüge hat keinen Erfolg.
24
aa) Der Nebenkläger gehört nicht zu den Personen, deren Anwesenheit in der Hauptverhandlung das Gesetz vorschreibt (BGH, Urteil vom 30. Juli 1996 - 5 StR 199/96, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 2; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO, § 338 Rn. 42). Seine Abwesenheit in der Hauptverhandlung führt daher nicht zum Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO, vielmehr kann er sie lediglich nach § 337 StPO rügen (BGH aaO; Beschluss vom 13. Januar 1999 - 2 StR 586/98, NStZ 1999, 259; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO). Nichts anderes gilt in Fällen, in denen der Nebenkläger zwar anwesend ist, ihm aber kein Dolmetscher zur Seite steht. Zwar ist nach § 185 GVG von Amts wegen ein Dolmetscher zuzuziehen, wenn in der Hauptverhandlung ein Beteiligter - ein solcher ist auch der Nebenkläger - der deutschen Sprache nicht mächtig ist (BGH, Beschluss vom 22. November 2002 - 1 StR 298/02, BGHR GVG § 185 Zuziehung 3). Da die Abwesenheit eines notwendigen Dolmetschers aber für den Nebenkläger zur Folge hat, dass er der Hauptverhandlung nicht folgen und er dort seine Rechte nicht wahrnehmen, sie also nicht beeinflussen kann, kann er bei Vorliegen einer solchen Gesetzesverletzung - revisionsrechtlich - nicht besser gestellt sein, als wenn er gar nicht anwesend war. Wie seine eigene Abwesenheit kann er deshalb auch die Abwesenheit des für ihn notwendigen Dolmetschers lediglich als relativen Revisionsgrund geltend machen.
25
bb) Die hierfür erforderliche Verfahrensrüge ist jedoch nicht zulässig erhoben.
26
(1) Zwar braucht sich die Revisionsbegründung mit der Frage des Beruhens grundsätzlich nicht zu befassen (vgl. dazu indes BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 135). Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es aber erforderlich, dass die Revisionsbegründung den zur Beurteilung der Zulässigkeit erforderlichen Sachverhalt eigenständig und vollständig vorträgt. Hierfür muss sie im Fall einer Nebenklägerrevision auch - soweit sich dies nicht schon aus dem Antrag ergibt oder von selbst versteht - darlegen, dass sie mit der Verfahrensrüge ein nach § 400 StPO zulässiges Ziel verfolgt. Beanstandet der Nebenkläger daher, dass er an der Hauptverhandlung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt teilnehmen konnte, muss er vortragen, dass er - läge die Gesetzesverletzung nicht vor - Tatsachen hätte vorbringen oder Beweismittel hätte benennen können, die für den Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts wesentliche Bedeutung haben konnten (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1996 - 5 StR 199/96, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 2; Beschluss vom 13. Januar 1999 - 2 StR 586/98, NStZ 1999, 259).
27
(2) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen genügt der Vortrag der Revision, die ohne weitere Konkretisierung lediglich behauptet, dass der Nebenkläger "Anträge oder Erklärungen abgegeben hätte, die das Urteil hätten beeinflussen können", jedenfalls angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass der bei dem Tatgeschehen nicht anwesende Nebenkläger, dessen anwaltlicher Beistand auch an den in Frage stehenden Hauptverhandlungstagen ununterbrochen anwesend war, ohne die Abwesenheit des Dolmetschers zu beanstanden, an diesen beiden Tagen Tatsachen hätte vorbringen oder Beweismittel hätte benennen können , die für den Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts wesentliche Bedeutung haben konnten, zumal an mehreren weiteren Hauptverhandlungstagen für ihn Dolmetscher tätig waren und ihm auf Anregung seiner Rechtsanwältin auch am Nachmittag des 14. Januar 2011 für die Abgabe einer Erklärung ein Dolmetscher zur Seite gestellt wurde. Dass der Nebenkläger M. D. in seinen Rechten dadurch betroffen wurde, dass er bei anderer Gelegenheit keine (sachdienlichen) Erklärungen abgeben, Tatsachen vorbringen oder Beweisanträge stellen konnte, weil er der an den beiden Verhandlungstagen durchgeführten Beweisaufnahme bzw. Hauptverhandlung im Übrigen ohne einen Dolmetscher nicht folgen konnte, hat die Revision nicht behauptet und nicht geltend gemacht.
28
(3) Im Übrigen versäumt es die Revision vorzutragen, dass die Vertreterin des Nebenklägers M. D. selbst mit Schriftsatz vom 15. November 2011 mitgeteilt hat, dass ihr Mandant in der Hauptverhandlung einen Dolmetscher für die französische Sprache benötige. Auch dies hat die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge zur Folge (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 mwN).
29
2. Die Verfahrensrügen der Nebenkläger B. und A. D. haben bereits aus diesen Gründen keinen Erfolg, soweit sie ebenfalls beanstanden , dass für den Nebenkläger M. D. an den Hauptverhandlungstagen vom 14. Januar und 6. Dezember 2011 kein Dolmetscher für Fulla zugezogen worden war; denn auch ihr Revisionsvortrag geht nicht weiter als der des Nebenklägers M. D. . Soweit sie ferner geltend machen, auch sie seien der deutschen Sprache nicht mächtig, trägt die Revision selbst vor, dass diese Nebenkläger an keinem der Hauptverhandlungstage zugegen waren. Auf einer Gesetzesverletzung zu ihrem Nachteil durch die Abwesenheit eines Dolmetschers kann das Urteil daher nicht beruhen.

IV.


30
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
31
1. Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung hält der Überprüfung stand. Insbesondere ist das Schwurgericht rechtsfehlerfrei von einer Pflichtverletzung des Angeklagten ausgegangen, dem es aufgrund des Zustandes und des Verhaltens von J. oblag, dessen ständige (auch) optische Überwachung in der Zelle zu veranlassen, um hierdurch der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J. zu begegnen.
32
a) Fahrlässig handelt, wer eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte , und die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteile vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 58).
33
b) Diese Voraussetzungen hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei bejaht.
34
aa) Insbesondere ist das Landgericht aufgrund einer aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Würdigung von einem pflichtwidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen.
35
Pflichtwidrig handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient. Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6 mwN). Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Pflichtwidrigkeit durch ein aktives Tun begangen wurde oder in einem Unterlassen begründet ist (BGH, Urteile vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, aaO; vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, jeweils mwN).
36
Die Pflichten eines im Jahr 2005 in De. für denGewahrsamsvollzug verantwortlichen Polizeibeamten ergeben sich insbesondere aus der Polizeigewahrsamsordnung (in der damals geltenden Fassung vom 27. März 1995, MBl. LSA Nr. 34/1995 S. 1211 ff.; im Folgenden abgekürzt als PGO). Diese forderte schon in Nummer 3.1. Satz 2, dass der Gewahrsamsvollzug so auszugestalten ist, dass "die Gefahr gesundheitlicher Schäden" für die verwahrte Person vermieden wird. Hierzu regelte Nummer 5.2. Sätze 5 und 6 PGO, dass für die Unterbringungszeit ausreichend Personal - insbesondere für den Gewahr- samsdienst (dazu Nummer 7. PGO) - zur Verfügung stehen muss oder - soweit diese Voraussetzung nicht erfüllt ist - die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen hat. Zudem bestimmte Nummer 31.3. PGO, dass betrunkene Personen im Abstand von "höchstens" 30 Minuten zu kontrollieren sind, soweit seitens des untersuchenden Arztes keine besonderen Hinweise ergangen sind.
37
Daran gemessen begegnet es keinen Bedenken, dass das Schwurgericht bei der gebotenen objektiven Betrachtung ex ante einen Sorgfaltsverstoß des Angeklagten bejaht hat, weil er nicht für eine ständige auch optische Überwachung des J. gesorgt hat. Denn der Angeklagte war - wie erwusste - trotz der Einschaltung eines Arztes zur Prüfung der Gewahrsamsfähigkeit des J. gemäß Nummer 2.1. Satz 4 PGO selbst für den ordnungsgemäßen Vollzug der Polizeigewahrsamsordnung verantwortlich. Ihm oblag es daher auch, durch geeignete Maßnahmen der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J. entgegenzuwirken. Eine solche - erforderliche und geeignete - Maßnahme hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei in der ständigen optischen Überwachung des J. gesehen. Denn dieser war nicht nur stark alkoholisiert, so dass schon nach Nummer 31.3. PGO eine Kontrolle in "höchstens" halbstündlichem Abstand zu erfolgen hatte. Vielmehr war er - wie der Angeklagte wusste - an allen Gliedmaßen fixiert und daher allenfalls eingeschränkt in der Lage, den aufgrund seines (alkoholisierten) Zustandes bestehenden Gesundheitsgefahren zu begegnen. Hinzu kam, dass dem Angeklagten auch das zuvor von J. gezeigte aggressive, insbesondere sein selbstverletzendes Verhalten bekannt war (unter anderem mit Stößen des Kopfes in Richtung Wand und Tisch, wobei er erst durch das Eingreifen eines Polizeibeamten von "erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten werden konnte). Vor diesem Hintergrund ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht - auch angesichts der Erfahrungen des Angeklagten im "Fall Bi. " - das Unterlassen der Anordnung einer ständigen optischen Überwachung des J. durch den Angeklagten als eine den Fahrlässigkeitsvorwurf gegen diesen begründende Pflichtverletzung gewertet hat.
38
bb) Da die genannten Regelungen in den Nummern 3.1., 5.2. und 31.3. der Polizeigewahrsamsordnung zumindest auch zum Schutz von Leben und Gesundheit der verwahrten Person bestimmt waren, hat der Angeklagte mit deren Missachtung gegen eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht verstoßen, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts gedient hat.
39
cc) Auch konnte der Angeklagte, der eingeräumt hat, die Polizeigewahrsamsordnung und deren hier einschlägige Regelungen gekannt zu haben, nach den Feststellungen des Landgerichts die Pflichtverletzung nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten insbesondere dadurch vermeiden, dass er die dauerhafte optische Überwachung von J. von einem der im "üblichen Streifeneinsatzdienst" befindlichen Polizeibeamten als einem im Zellenbereich ununterbrochen anwesenden Gewahrsamsbeamten vornehmen lässt oder er die Verbringung des J. in eine Justizvollzugsanstalt veranlasst.
40
dd) Das Schwurgericht ist ferner ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat.
41
Die Vorhersehbarkeit erfordert nicht, dass der Angeklagte die Folgen seines Nicht-Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnte; vielmehr genügt , dass sie in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren (BGH, Urteile vom 8. September 1993 - 3 StR 341/93, BGHSt 39, 322, 324; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 59). Tritt der Erfolg durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände ein, müssen dem Täter alle - jedoch ebenfalls nicht in allen Einzelheiten - erkennbar sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, BGHR StGB § 222 Vorhersehbarkeit 1 mwN).
42
Dies war hier nach den Feststellungen und rechtsfehlerfreien Wertungen des Schwurgerichts der Fall. Dass der betrunkene J. , der bereitszuvor versucht hatte, sich selbst zu verletzten, dieses Verhalten fortsetzen und für sich gefährliche Handlungen vornehmen wird, lag unter den gegebenen Umständen - auch angesichts seiner fortwährenden Beschwerden über die Fortdauer des Gewahrsams und der Fesselung - nach dem Maßstab des gewöhnlichen Erfahrungsbereiches eines Polizeibeamten nicht fern und war daher objektiv und subjektiv für den Angeklagten als erfahrenem Polizeibeamten vorhersehbar (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Zwar kann insbesondere eine gänzlich vernunftswidrige Handlungsweise eines Getöteten die Vorhersehbarkeit des Erfolgs entfallen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 2. Oktober 1952 - 3 StR 389/52, BGHSt 3, 218, 220; vom 23. April 1953 - 3 StR 894/52, BGHSt 4, 182, 187; vom 10. Juli 1958 - 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75, 78). Jedoch musste der Angeklagte zum einen, wie die Selbstverletzungsversuche belegen, mit irrationalen Handlungen des J. gerade rechnen. Zum anderen entfällt in solchen Fällen die Vorhersehbarkeit nur, wenn der Getötete zu einer freien Entscheidung fähig war, er mithin insbesondere - anders als hier - nicht stark betrunken war (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Eine die Vorhersehbarkeit möglicherweise beseitigende eigenverantwortliche Selbsttötung liegt nicht vor, weil es nach den Feststellungen des Landgerichts an einer ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers, sich zu töten, gefehlt hat (vgl. dazu auch nachfolgend ee) (2) sowie BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320).
43
ee) Die Kausalität des Nicht-Handelns des Angeklagten für den Eintritt des Erfolges hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei ebenfalls nicht in Frage gestellt. Auch die insbesondere von Teilen des Schrifttums geforderte Zurechenbarkeit des Todes ist zu bejahen.
44
(1) Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB erfordert , dass das tatbestandsrelevante Verhalten des Angeklagten den Erfolg verursacht hat, also der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN).
45
Die danach gebotene Prüfung, ob eine ständige auch optische Überwachung von J. dessen Tod verhindert hätte, hat das Schwurgerichtvorgenommen und rechtsfehlerfrei bejaht. Dies begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Denn schon der zwischen dem Ansengen des Matratzenbezugs und dem Inbrandsetzen der Füllung vergangene Zeitraum sowie die festgestellten Tätigkeiten des J. , die er bis zum Inbrandsetzen vorgenommen hat, belegen hinreichend den Schluss des Landgerichts, dass bei einer ständigen optischen Überwachung der Tod von J. verhindert worden wäre.
46
(2) In der Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht verliert, wenn außer ihr noch andere Ursachen zur Herbeiführung des Erfolges beitragen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO, mwN). Ein Ursachenzusammenhang ist jedoch dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Dies kann der Fall sein, wenn eine Selbstgefährdung oder ein selbstschädigendes Verhalten vorliegt (BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 60). Auch macht sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sofern er nicht kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Tötende oder Verletzende, grundsätzlich nicht strafbar, wer das zu einer Selbsttötung oder Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert (BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 60 mwN). Straffrei ist ein solches Handeln regelmäßig auch dann, wenn es nicht auf die Selbsttötung oder -verletzung gerichtet war, sich aber ein entsprechendes, vom Opfer bewusst eingegangenes Risiko realisiert hat (BGH aaO).
47
Es kann dahinstehen, ob und inwiefern diese Grundsätze eine Ausnahme erfahren, wenn der sich selbst Gefährdende oder Tötende hoheitlich verwahrt wird. Denn nach den Feststellungen des Schwurgerichts wollte J. sich gerade nicht selbst verletzen oder töten, sondern wollte mittels der Brandlegung das Lösen der Fixierung und seine Freilassung ohne eigene Schädigung erreichen (vgl. auch BGH, Urteile vom 4. Dezember 2007 - 5 StR 324/07, StV 2008, 182, 184; vom 29. April 2010 - 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121, 137 mwN). Auch dass J. bei der Brandlegung bewusst das Risiko einer Selbstverletzung oder -tötung eingegangen ist, hat das Landgericht nicht festgestellt; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass dieser darauf vertraut hat, dass die Polizeibeamten "alsbald" auf das Feuer aufmerksam werden und ihn (rechtzeitig) aus der Zelle holen.
48
2. Der Strafausspruch weist ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
49
Insbesondere ist bei Verhängung einer Geldstrafe diese bei einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht um einen bezifferten Abschlag zu ermäßigen, sondern - wie dies das Schwurgericht getan hat - die schuldangemessene Geldstrafe in der Urteilsformel auszusprechen und zugleich festzusetzen , dass ein bezifferter Teil der zugemessenen Tagessätze als bereits vollstreckt gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124).
50
Auch dass das Landgericht die Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB nicht erörtert hat, stellt angesichts der Tatumstände und des Fahrlässigkeitsdelikten ohnehin immanenten Unterlassens der gebotenen Sorgfalt keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.

V.


51
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben mit der Sachrüge ebenfalls keinen Erfolg. Die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen fahrlässiger Tötung weist keinen ihn begünstigenden Rechtsfehler auf.
52
1. Insbesondere begegnet es im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht der Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat.
53
a) Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte könne bereits deshalb nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge bestraft werden, weil er hinsichtlich des Richtervorbehalts bei der Gewahrsamsanordnung bzw. deren Aufrechterhaltung einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.
54
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum nur, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebensund Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 1952 - GSSt 2/51, BGHSt 2, 194; Urteil vom 7. März 1996 - 4 StR 742/95, NJW 1996, 1604, 1606; vgl. auch Fischer, StGB, 61. Aufl., § 17 Rn. 7 ff. mwN). Bei einem erfahrenen Polizeibeamten wie dem Angeklagten, der mit dem Vollzug von grundrechtsbeschränkenden Gesetzen betraut ist, liegt dies hinsichtlich der sich bereits aus dem Gesetz unzweifelhaft ergebenden Voraussetzungen gängiger Befugnisse zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie einer Freiheitsentziehung derart fern, dass schon die - allenfalls bei einem hier ersichtlich nicht gegebenen Vorliegen gänzlich außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommende - Prüfung der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht geboten war.
55
b) Jedoch begegnet es aus einem anderen Grund keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht der Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat.
56
aa) Das Landgericht ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Vorwurf der Freiheitsberaubung nicht allein darauf gestützt werden kann, dass J. nach seiner Verbringung in die Gewahrsamszelle fixiert worden war. Denn diese Fesselung war zulässig. Rechtsgrundlage für sie war § 64 Nr. 3 SOG LSA (Schutz vor Selbstschädigung), dessen Voraussetzungen auf der Grundlage des vorangegangenen Verhaltens von J. und der entsprechenden - indes den Angeklagten nicht bindenden (vgl. Nummer 11.1. Satz 2 PGO) - Empfehlung des seine Gewahrsamsfähigkeit bestätigenden Arztes gegeben waren (zur Fortdauer der Fixierung: unten dd) (3) (c) (aa)).
57
Ebenso wenig kann die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung dem Angeklagten allein deshalb angelastet werden, weil J. der Grund seiner Ingewahrsamnahme nicht mitgeteilt und er nicht belehrt wurde (vgl. dazu u.a. §§ 136, 137, 163c Abs. 1 Satz 3 StPO; § 39 SOG LSA; Nummer 15. PGO; Art. 36 Abs. 1 WÜK). Zwar erfolgte die Ingewahrsamnahme nicht mit dem Einverständnis von J. , jedoch hatte der Angeklagte, der weder die Festnahme vorgenommen hat, noch unmittelbar mit der Vernehmung von J. befasst war, nach den Feststellungen der Strafkammer keine Kenntnis davon, dass dieser weder vom Grund seiner Festnahme informiert, noch über seine Rechte belehrt worden war. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte berechtigte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit des entsprechenden Ablaufs der Ingewahrsamnahme hätte haben müssen oder er sich aus sonstigen Gründen hiervon hätte überzeugen müssen, liegen nicht vor, zumal es sich um eine gängige polizeiliche Maßnahme ohne besondere rechtliche oder tatsächliche Problematik handelte.
58
bb) Ferner nimmt das Schwurgericht rechtsfehlerfrei an, dass dem Angeklagten hinsichtlich der in seinen Verantwortungsbereich fallenden Fortdauer der Freiheitsentziehung des J. kein aktives Tun, sondern ein Unterlassen zur Last zu legen wäre.
59
Die Rechtsprechung fasst die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen als Wertungsfrage auf, die nicht nach rein äußeren oder formalen Kriterien zu entscheiden ist, sondern eine wertende (normative) Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns verlangt. Maßgeblich ist insofern, wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Tun 3; Beschluss vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6; Urteile vom 7. September 2011 - 2 StR 600/10, NJW 2011, 3528, 3529; vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277, 286 mwN).
60
Daran gemessen ist nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht hinsichtlich des hier maßgeblichen Zeitraums ab etwa 9.30 Uhr von einem Unterlassen ausgegangen ist. Denn der Schwerpunkt des insofern strafrechtlich möglicherweise relevanten Verhaltens des Angeklagten lag ab diesem Zeitpunkt im Aufrechterhalten des Gewahrsams von J. ohne Einschalten eines Richters, also in einem passiven Verhalten, nicht aber in einem aktiven Tun (vgl. RG, Urteil vom 20. Oktober 1893 - Rep. 2727/93, RGSt 24, 339, 340). Hinsichtlich des davor liegenden Zeitraums kann dahinstehen, ob insofern ein aktives Tun des Angeklagten (insbesondere mit der in dem Eintrag in das Buch über Freiheitsentziehungen liegenden Entscheidung ["i.O."]) oder ein Unterlassen vorliegt. Denn ein aktives Tun hätte ebenso wie ein Unterlassen nicht zu einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung geführt, da auch in diesem Zeitraum, in dem die Einholung einer richterlichen Entscheidung noch nicht unerlässlich war, ein Gewahrsamsgrund vorlag (vgl. dazu im Einzelnen die nachfolgenden Ausführungen).
61
cc) Der Angeklagte war jedenfalls insofern auch Garant für den Schutz des J. vor rechtswidriger Freiheitsentziehung, als deren Rechtmäßig- keit von Handlungen oder Unterlassungen abhing, die ihm oblagen oder für die er die Verantwortung trug.
62
Denn als Dienstgruppenleiter trug er an diesem Tag die Verantwortung dafür, dass die zulässige Dauer der Freiheitsentziehung nicht überschritten wird (Nummer 33.2. PGO) und der Gewahrsam "ordnungsgemäß" vollzogen wird (Nummer 2.1. Satz 4 PGO). Dementsprechend oblag es dem Angeklagten auch, dafür Sorge zu tragen, dass in den ihm bekannten Gewahrsamsfällen die der Polizei zugeordneten Voraussetzungen der gesetzesgemäßen Fortdauer einer Ingewahrsamnahme gewahrt und erfüllt werden bzw. bleiben. Deshalb hat er es zu Recht als seine Aufgabe angesehen, "das Dienstgeschehen zu überwachen" und dies auch auf den Gewahrsam von J. bezogen, für den er als Dienstgruppenleiter verantwortlich gewesen ist.
63
dd) Als sogenanntem "Beschützergaranten" (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 82 ff., 91 f. mwN) oblag dem Angeklagten eine Erfolgsabwendungspflicht, hier mithin die Pflicht, die unverzügliche Vorführung von J. beim zuständigen Richter zu veranlassen bzw. unverzüglich dessen Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams herbeizuführen.
64
(1) Der Inhalt und der Umfang der Garantenpflicht bestimmen sich aus dem konkreten Pflichtenkreis, den der Verantwortliche übernommen hat (BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 49).
65
(2) Dieser Pflichtenkreis umfasste beim Angeklagten - wie sich aus obigen Ausführungen zu seiner Garantenstellung ergibt - die Wahrung der der Polizei zugeordneten Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung von J. .
66
Dabei bedarf es - wie ausgeführt - schon wegen der fehlenden Kenntnis und des damit fehlenden Vorsatzes hinsichtlich eines entsprechenden Pflichtenverstoßes auch an dieser Stelle keiner Entscheidung darüber, ob die Ingewahrsamnahme von J. als solche rechtmäßig war. Maßgeblichist vielmehr, ob die Freiheitsentziehung zur Wahrung ihrer Rechtmäßigkeit ab dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte mit ihr befasst war, weiteren polizeilichen Handelns bedurfte und ob bejahendenfalls der Angeklagte vorsätzlich ihm obliegende und mögliche Handlungen unterlassen hat, um einen drohenden oder bestehenden rechtswidrigen Zustand zu verhindern oder zu beseitigen.
67
Dies hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei bejaht, da dem Angeklagten bekannt war, dass die Freiheitsentziehung weder mit dem Einverständnis von J. erfolgt war noch von einem Richter angeordnet oder bestätigt worden war. Dass er hierauf gerichtete Handlungen gleichwohl unterließ, ist angesichts des Gewichts eines solchen Eingriffs in das Freiheitsrecht des Betroffenen und der Bedeutung der für eine solche Maßnahme erforderlichen richterlichen Entscheidung grundsätzlich geeignet, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
68
(a) Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit, die Freiheitsentziehung , fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen , dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Diese praktische Wirksamkeit wird nur erreicht, wenn in jedem Fall, in dem die Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Entscheidung ausnahmsweise zulässig ist, diese Entscheidung unverzüglich nachgeholt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00, BVerfGE 105, 239; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, jeweils mwN). Dabei gilt diese verfahrensmäßige Seite der grundrechtlichen Freiheitsverbürgung nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch bei Freiheitsentziehungen fürsorgerischer Art und bei sonstigen Freiheitsentziehungen (BGH, Urteil vom 30. April 1987 - 4 StR 30/87, BGHSt 34, 365, 368 mwN; siehe auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 1 S 2963/11, NVwZ-RR 2012, 346; Nr. 37 der Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt).
69
(b) Dementsprechend setzten alle im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage für den Eingriff in das Freiheitsrecht des J. in Betracht kommenden Normen grundsätzlich eine unverzüglich zu erholende richterliche Entscheidung voraus (vgl. zur vorläufigen Festnahme wegen des Verdachts einer Straftat: § 128 Abs. 1 StPO; zur Festnahme zur Identitätsfeststellung: § 163c Abs. 1 StPO und § 38 Abs. 1 SOG LSA; zum "Schutzgewahrsam" und zum Gewahrsam zur Verhinderung der Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit: § 38 Abs. 1 SOG LSA).
70
(c) Ausnahmen von diesem Grundsatz waren im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben.
71
Soweit § 128 Abs. 1, § 163c Abs. 1 StPO und § 38 Abs. 1 SOG LSA die "unverzügliche" Vorführung bzw. das "unverzügliche" Herbeiführen einer richterlichen Entscheidung fordern, ist dem schon im Hinblick auf den seit der Ingewahrsamnahme des J. (ca. 8.30 Uhr) und Befassung des Angeklagten (spätestens ab 8.44 Uhr) bis zum Tod des J. (nach 12.00 Uhr) vergangenen Zeitraum nicht genügt. Denn "unverzüglich" ist - wie bei Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG - dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00, aaO; vom 19. Januar 2007 - 2 BvR 1206/04, NVwZ 2007, 1044, 1045; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, jeweils mwN). Zwar sind nicht vermeidbar z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung , ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (BVerfG aaO). Solche Umstände waren vorliegend aber nicht gegeben bzw. ihnen konnte - etwa hinsichtlich des renitenten Verhaltens des J. - durch geeignete Maßnahmen, wie sie etwa mit seiner Fesselung und der Überwachung durch Polizeibeamte schon nach der Festnahme ergriffen worden waren, zumindest so weit entgegengewirkt werden, dass eine Vorführung möglich gewesen wäre. Dass sich J. in einem Zustand befunden hat, der seine unverzügliche Vorführung schlechterdings unmöglich machte, ergeben die vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht. Auch lagen die Voraussetzungen des § 420 Abs. 2 FamFG, die ohnehin lediglich ein Absehen von der Anhörung, nicht aber der richterlichen Befassung ermöglichen , ersichtlich nicht vor (vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2012, 346). Unabhängig davon, ob der Zustand von J. dazu ausgereicht hätte, zumindest eine lediglich "symbolische" Vorführung - wie sie Nr. 51 RiStBV für Fälle des § 128 StPO vorsieht (siehe dazu auch Träger/ Schluckebier in LK-StGB, 11. Aufl., § 239 Rn. 23) - vorzunehmen, zielt der Richtervorbehalt auf eine Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2007 - 2 BvR 273/06, NJW 2007, 1345, 1346 [zu § 81a StPO]), erschöpft sich mithin nicht in der bloßen Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern dient auch dazu, dem Richter insbesondere in den Fällen des "Schutzgewahrsams" die Möglichkeit eines persönlichen Eindrucks von dem Betroffenen zu verschaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 - 1 BvR 338/07, NJW 2007, 3560 mwN).
72
Die in § 163c Abs. 2 StPO und § 40 Abs. 2 SOG LSA geregelte 12-Stunden -Frist, auf die sich der Angeklagte beruft, setzt dem Festhalten einer Person zur Identitätsfeststellung lediglich eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (vgl. - zu Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG - auch BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, aaO).
73
Es bestehen auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung längere Zeit in Anspruch genommen hätte als die Identitätsfeststellung (vgl. § 163c Abs. 1 Satz 2 StPO; § 38 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA) bzw. erst nach dem Wegfall des Grundes für den "Schutzgewahrsam" ergangen wäre (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA sowie VGH Baden-Württemberg aaO). Denn der 7. Januar 2005 war ein Werktag und die Vorführung wäre zu einer üblichen Arbeitszeit erfolgt, so dass - entsprechend den Feststellungen des Schwurgerichts - davon auszugehen ist, dass die richterliche Entscheidung alsbald ergangen wäre. Zudem sollte mit der erkennungsdienstlichen Behandlung von J. erst um 14.00 Uhr begonnen werden; dies war auch der vom Angeklagten prognostizierte Zeitpunkt, bis zu dem J. in der Zelle verbleiben sollte.
74
(3) Jedoch fehlt es nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen an der Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung.
75
(a) Ein Unterlassen, also ein Nichtgeschehen kann - ontologisch - nicht Ursache eines Erfolges sein. Deshalb stellen die ständige Rechtsprechung und die allgemeine Lehre zur - notwendigerweise normativen - Beurteilung der Kausalität bei den unechten Unterlassungsdelikten auf die "hypothetische Kausalität" , die so genannte "Quasi-Kausalität", ab. Diese birgt für die Fälle des Unterlassens die Entsprechung zu der nach der Äquivalenztheorie in den Fällen aktiven Tuns anzuwendenden conditio sine qua non-Formel. Nach ihr ist ein Unterlassen mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als "quasi-ursächlich" in Zurechnungsverbindung zu setzen und zu prüfen, ob dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, ob also die gebotene Handlung den Erfolg verhindert hätte (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 4. März 1954 - 3 StR 281/53, BGHSt 6, 1, 2; vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126; vom 19. Dezember 1997 - 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 397; vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 93). Hierfür muss - da es sich nicht um die Feststellung realer Kausalzusammenhänge handelt - das Gericht eine hypothetische Erwägung anstellen und sich auf deren Grundlage eine Überzeugung bilden (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN; vgl. auch SSW-StGB/Schluckebier, aaO, § 239 Rn. 8 a.E. mwN).
76
Dabei streitet für einen Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo. Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs auch bei Vornahme der gebotenen Handlung nicht entgegen. Ebenso wenig genügt es, dass das Unterlassen der gebotenen Handlung lediglich das Risiko des Erfolgseintritts erhöht hat (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN). Vielmehr muss sich die alternative Bewertung, der gleiche Erfolg wäre auch bei Vornahme der gebotenen Handlung eingetreten, aufgrund bestimmter Tatsachen so verdichtet haben, dass die Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist (BGH, Beschlüsse vom 25. September 1957 - 4 StR 354/57, BGHSt 11, 1; vom 29. November 1985 - 2 StR 596/85, NStZ 1986, 217; vom 25. April 2001 - 1 StR 130/01; vom 6. März 2008- 4 StR 669/07, BGHSt 52, 159, 164; Urteile vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126 f.; vom 19. April 2000 - 3 StR 442/99, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 1; vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN).
77
Die Formulierung, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ müsse die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Taterfolg in diesem Sinn feststehen, bedeutet jedoch nicht, dass höhere Anforderungen an das erforderliche Maß an Gewissheit von der Kausalität als sonst gestellt werden müssen. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ist nichts anderes als die überkommene Beschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 127).
78
(b) Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus das Folgende:
79
Welche Handlung eines Unterlassungstäters im Rahmen der Kausalitätsprüfung hinzuzudenken ist, bestimmt sich bei bestehenden Handlungsalternativen vorrangig danach, ob und gegebenenfalls welche von ihnen geeignet ist, den Erfolgseintritt zu verhindern. Bei erfolgsqualifizierten Delikten wie § 239 Abs. 4 StGB ist dabei der für diese Prüfung maßgebliche "Erfolg" - jedenfalls zunächst - nicht die Todesfolge, sondern der des Grunddelikts, mithin eine rechtswidrige Freiheitsentziehung, da deren Verhinderung bei Vornahme einer der gebotenen Handlungen zur Straflosigkeit führen würde. Kommen dabei - wie vorliegend - alternative Handlungen in Betracht, die den Erfolgseintritt entweder durch die Beendigung der Freiheitsentziehung als solcher (z.B. durch Entlassen des J. aus dem Gewahrsam) oder aber durch das Herbeiführen ihrer Rechtmäßigkeit verhindert hätten, besteht bei der Prüfung der hypothetischen Kausalität kein "Vorrang" von sich auf die Freiheitsentziehung als solche beziehenden Handlungen gegenüber denjenigen, die (erst) deren Rechtswidrigkeit beseitigen. Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem der Wille des Angeklagten als dem Unterlassenden auf die Fortsetzung des Gewahrsams gerichtet war (im Ergebnis ebenso: BGH, Urteil vom 4. April 1978 - 1 StR 628/77, bei Holtz MDR 1978, 624; Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 17).
80
Da die gebotene Handlung des Angeklagten bei Fortführung des Gewahrsams das Veranlassen der unverzüglichen (zumindest "symbolischen") Vorführung des J. beim zuständigen Richter bzw. das unverzügliche Herbeiführen von dessen Entscheidung war, entfällt die Kausalität, wenn diese Handlung vorgenommen worden wäre und der Richter den Gewahrsam jedenfalls bis einschließlich zum Zeitpunkt des Todes von J. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angeordnet hätte (ähnlich für den Fall der Fixierung eines Heiminsassen ohne vormundschaftgerichtliche Anordnung: Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 17; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. April 1978 - 1 StR 628/77, bei Holtz MDR 1978, 624). Hierbei ist eine Recht und Gesetz entsprechende Entscheidung des Richters zugrunde zu legen. Soweit dem Richter dabei jedoch Beurteilungsspielräume eingeräumt sind, gebietet es der Grundsatz in dubio pro reo, diese zugunsten des Angeklagten auszu- schöpfen (vgl. dazu auch Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 20 a.E.).
81
(c) Auf dieser Grundlage ist für die Beurteilung der "Quasi-Kausalität" des Unterlassens des Angeklagten davon auszugehen, dass der zuständige Richter den Gewahrsam des J. angeordnet hätte. Damit entfällt die Ursächlichkeit des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung des J. .
82
(aa) Die Annahme, der zuständige Richter hätte den diesen Zeitraum umfassenden Gewahrsam des J. angeordnet, kann sich zwar nichtauf § 127 StPO (vorläufige Festnahme nach einer Straftat) bzw. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SOG LSA (Gewahrsam zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit bzw. zur Verhinderung deren Fortsetzung) stützen. Denn es war schon bei der Festnahme weder Fluchtgefahr gegeben, noch lagen die weiteren Voraussetzungen eines Haft- oder Unterbringungsbefehls vor oder bestanden tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung Straftaten oder erhebliche Ordnungswidrigkeiten unmittelbar bevorstehen bzw. deren Fortsetzung droht, zu deren Verhinderung die Ingewahrsamnahme von J. unerlässlich war.
83
Auch die Voraussetzungen des als Rechtsgrundlage für das Festhalten des J. in Betracht kommenden § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO (Identitätsfeststellung für Zwecke der Strafverfolgung), des § 127 Abs. 1 StPO (in der die Identitätsfestellung betreffenden Alternative) oder von § 20 Abs. 4 SOG LSA (Identitätsfeststellung zur Gefahrenabwehr) lagen jedenfalls schon geraume Zeit vor dem unmittelbar zum Tod von J. führenden Geschehen nicht mehr vor. Denn ein hierauf gegründeter Eingriff in das Freiheitsgrundrechtdes J. kam erst dann in Betracht bzw. durfte - wenn er rechtmäßig begonnen worden war - nur fortgesetzt werden, wenn die der Polizei bereits bekannten Daten des J. noch nicht ausreichten, um dessen Identität eindeutig zu bestimmen. Dies wäre etwa der Fall gewesen, wenn konkreter Anlass bestanden hätte, an der Echtheit der bei seiner Durchsuchung aufgefundenen, mit seinem Lichtbild und seinen Personalien versehenen "Duldung" zu zweifeln. Für eine solche Annahme bestand indes ab dem Zeitpunkt, in dem die vom Angeklagten vorgenommene INPOL-Abfrage diese Personalien zumindest im Wesentlichen bestätigt hatte, kein Anhalt mehr. Jedenfalls mit dem ersichtlich zeitnah möglichen Abgleich mit dem Ergebnis bereits früher - auch in De. - durchgeführter erkennungsdienstlicher Behandlungen war die Rechtsgrundlage für ein weiteres Festhalten des J. zur Identitätsfeststellung entfallen (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 1992 - 2 BvR 658/90, NVwZ 1992, 767; vom 11. Juli 2006 - 2 BvR 1255/04, NStZ-RR 2006, 381 mwN). Selbst wenn der zuständige Richter zunächst noch die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung angeordnet hätte, wäre diese von ihm derart befristet worden, dass J. lange vor dem tödlichen Geschehen entlassen worden wäre.
84
Jedoch ist davon auszugehen, dass der zuständige Richter den "Schutzgewahrsam" des J. gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 1 SOG LSA auch über 12.00 Uhr hinaus angeordnet hätte. Nach dieser Vorschrift waren die Ingewahrsamnahme und deren weiterer Vollzug zulässig, "wenn dies zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder in sonst hilfloser Lage befindet". Diese Voraussetzungen waren - am oben dargelegten Maßstab gemessen - gegeben. Denn J. war stark alkoholisiert. Die bei ihm um 9.15 Uhr entnommene Blut- probe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 Promille, die Blutalkoholkonzentration im Leichenblut betrug noch 2,68 Promille; zudem wurden im untersuchten Blut Cocain-Metaboliten nachgewiesen. Hinzu kam sein - bis hin zum Anzünden der Matratze - gezeigtes selbstgefährdendes Verhalten, das schon kurz nach dem Eintreffen auf dem Polizeirevier und den Kopfstößen in Richtung Tisch und Wand einen Polizeibeamten zum Eingreifen zugunsten von J. gezwungen und den Arzt, der ihn auf seine Gewahrsamstauglichkeit untersucht hat, dazu veranlasst hat, die Fixierung von J. zu empfehlen. Auch war sein zunächst noch anlasslos belästigendes, später aber aggressives und - bei den Widerstandshandlungen - mit körperlicher Gewalt verbundenes Verhalten mit der Gefahr verbunden, dass sich die Betroffenen dagegen zur Wehr setzen und hierdurch (berechtigt) die Gesundheit von J. beeinträchtigen. Dabei belegen insbesondere die hohe Alkoholisierung und das schon vor dem Eingreifen der Polizeibeamten von J. gezeigte Verhalten hinreichend, dass die Gefahr für dessen Gesundheit nicht lediglich durch die seiner (möglichen) Einschätzung nach unberechtigte Ingewahrsamnahme, sondern zumindest wesentlich durch seine Alkoholisierung und den Drogenkonsum bedingt waren.
85
Aufgrund dieser Tatsachen ist "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" davon auszugehen, dass der zuständige Richter - bei Ausschöpfen ihm eröffneter Beurteilungsspielräume zugunsten des Angeklagten - die Fortdauer des Gewahrsams des J. auch über 12.00 Uhr hinaus angeordnet hätte.
86
Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass nach einer solchen richterlichen Entscheidung (zumindest) die Fixierung hätte beendet werden müssen oder beendet worden wäre, bestehen nicht. Dies liegt aufgrund des von J.
gezeigten Verhaltens auch nicht nahe. Zwar darf nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch eine solche Sicherungsmaßnahme nicht länger aufrechterhalten werden als es notwendig und angemessen ist; sie ist ferner zu beenden , wenn mildere Mittel den Zweck ebenfalls erreichen würden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. April 1999 - 2 BvR 827/98, NStZ 1999, 428, 429). Im Hinblick auf die bestehende Gefahr selbstgefährdenden Verhaltens des J. , das sich bis hin zum Anzünden der Matratze fortsetzte, überschritt der Zeitraum der Fixierung aber trotz der zunehmenden Dauer und der mit ihr verbundenen Belastungen aus den oben dargelegten Gründen (noch) nicht den Beurteilungsspielraum, der (auch) den Polizeibeamten bei ihrer Anordnung und dem Vollzug einer solchen Sicherungsmaßnahme zukommt. Einer besonderen richterlichen Gestattung oder Anordnung der Fixierung bedurfte es jedenfalls unter den gegebenen Umständen nicht (vgl. § 64 Nr. 3 SOG LSA; ferner BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1993 - 2 BvR 213/93, NJW 1994, 1339; Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rn. 28 [Stand: 2014]).
87
(bb) Für die Beurteilung der "Quasi-Kausalität" des Unterlassens des Angeklagten kommt es in Fällen parallelen Unterlassens gleichrangiger Garanten zwar nicht auf das alleinige Verhalten des einzelnen Garanten, sondern auf das Verhalten der Garantengemeinschaft an (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 87 mwN). Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht gegeben.
88
Sollte nämlich das Verhalten anderer, für den Gewahrsam des J. verantwortlicher Polizeibeamter ebenfalls als pflichtwidrig zu bewerten sein, würde nicht eine Garantengemeinschaft im obigen Sinn vorliegen, sondern Nebentäterschaft. Denn der Angeklagte hätte allein durch eigenes Handeln , mithin unabhängig vom (Nicht-)Handeln der anderen, die ihm obliegenden Voraussetzungen für eine rechtmäßige Freiheitsentziehung herbeiführen können. Ein Fall des objektiven Ineinandergreifens jeweils individuell rechtswidrigen Verhaltens im Sinn einer Garantengemeinschaft liegt daher nicht vor (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN).
89
(cc) Der Senat ist - jedenfalls aufgrund der Besonderheiten des Falles - befugt, die Prüfung der "Quasi-Kausalität" selbst vorzunehmen.
90
Dabei steht der Entscheidung durch den Senat nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft die Ausführungen des Schwurgerichts dahin versteht, dieses habe nicht feststellen können, ob die Ingewahrsamnahme von J. zu dessen Schutz unerlässlich gewesen sei. Denn die - wie ausgeführt - normative Beurteilung der Kausalität des Unterlassens bezieht sich nicht darauf, ob die Gefahr tatsächlich vorlag und der Gewahrsam zu ihrer Abwendung unerlässlich war, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Prüfung, welche Entscheidung ein rechtmäßig handelnder Richter hierzu getroffen hätte. Dafür stand dem Schwurgericht und steht dem Senat angesichts der von jenem rechtsfehlerfrei und vollständig getroffenen, im - wie die (erfolglosen) Verfahrensrügen belegen - angefochtenen Urteil auch umfassend mitgeteilten Feststellungen eine ausreichende und tragfähige Grundlage zur Verfügung.
91
2. Soweit das Schwurgericht die Verwirklichung anderer Straftatbestände durch den Angeklagten ausgeschlossen hat, begegnet dies ebenfalls keinen Bedenken.
92
Wegen Totschlags durch Unterlassen hätte sich der Angeklagte nur strafbar gemacht, wenn das gebotene Handeln den als möglich erkannten Tod noch hätte verhindern können und er sich dessen bewusst war (vgl. BGH, Be- schluss vom 14. Februar 2012 - 3 StR 446/11, NStZ 2012, 379, 380 mwN). Letzteres hat das Landgericht indes ebenso rechtsfehlerfrei verneint wie hinsichtlich weiterer in Betracht kommender Strafvorschriften den Vorsatz.
93
Ein strafbarer Versuch der Freiheitsberaubung (mit Todesfolge) liegt nicht vor, da bei diesem der Tatplan - von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen - auf einen nach der Vorstellung des Täters kausal durch sein Verhalten herbeigeführten Erfolg gerichtet sein muss (vgl. SSW-StGB/Kudlich/ Schuhr, 2. Aufl., § 22 Rn. 16, 24). An einem entsprechenden Vorsatz (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - 1 StR 577/13 [Rn. 36]) fehlt es - wie oben ausgeführt - jedoch.
94
3. Auch der Strafausspruch enthält keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vor- oder zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten.

VI.


95
Ein Teilfreispruch vom Vorwurf der Körperverletzung bzw. Freiheitsberaubung mit Todesfolge war und ist - entgegen der Ansicht der Verteidiger des Angeklagten - nicht geboten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 260 Rn. 10).
96
Im Revisionsverfahren ist eine Entscheidung über die notwendigen Auslagen der dort Beteiligten nur insofern veranlasst, als diese das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten betrifft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 473 Rn. 10a, 15, 18 mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR123/14
vom
24. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2014 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. Juni 2013 wird nach § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie der mittelbaren Falschbeurkundung schuldig ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen mittelbarer Falschbeurkundung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Sie führt jedoch zu einer Berichtigung des Schuldspruchs.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beteiligte sich der Angeklagte zusammen mit mindestens fünf weiteren Personen an der Abwicklung eines Geschäfts über 36 Kilogramm Kokain. Der Angeklagte bewirkte über niederländische Kontaktleute den Umbau eines Schmuggelfahrzeugs für den Transport des aus Brasilien per Flugzeug in die Schweiz verbrachten Kokains nach Deutschland und zeigte den früheren Mitangeklagten Y. und T. vor Antritt der Fahrt in die Schweiz die Zugänge zu den in das Fahrzeug eingebauten Hohlräumen. Schließlich begleitete er das von T. gelenkte Schmuggelfahrzeug mit einem anderen Pkw in die Schweiz. Dort traf er sich mit dem früheren Mitangeklagten D. , der das Kokain am Flughafen in Genf von dem Kurier R. übernommen hatte, öffnete die Hohlräume des Schmuggelfahrzeugs in der Tiefgarage eines Hotels und war dort während des von T. vorgenommenen Einbaus der Kokainpäckchen in die Hohlräume zugegen, wobei er „im Wesentlichen Aufpasserdienste“ leistete (UA S. 27). An- schließend wurde er von D. über die Grenze nach Deutschland gebracht. Nachdem die anderen sodann mit dem Schmuggelfahrzeug und einem von D. geführten, zur Absicherung vorausfahrenden weiteren Fahrzeug die deutsch-schweizerische Grenze passiert hatten, nahm D. den Angeklagten wieder auf und fuhr mit ihm nach Berlin. Aufgrund von Telefonüberwachungsmaßnahmen und einer Innenraumüberwachung des Schmuggelfahrzeugs konnte das Landeskriminalamt den Transport mitverfolgen und das Schmuggelfahrzeug mitsamt dem noch darin befindlichen Kokain alsbald sicherstellen sowie den Angeklagten und seine Mittäter festnehmen.
3
Obwohl sich der Angeklagte wenige Tage vor dem Kokaintransport von Brasilien in die Schweiz in Brasilien aufhielt, vermochte das Landgericht keine näheren Feststellungen dazu zu treffen, inwieweit er in die Planung des Rauschgiftgeschäfts und die Beschaffung des aus Brasilien stammenden Kokains eingebunden war. Die Strafkammer hat sich aber davon überzeugt, dass der Angeklagte ein erhebliches – wie sich von selbst versteht auch finanzielles – Eigeninteresse an der Tatausführung hatte und jedenfalls in die Absprachen über den Transport des Rauschgifts von der Schweiz nach Deutschland einge- bunden war. Hiervon ausgehend hat sie den Angeklagten aufgrund der „ge- wichtigen Tatbeiträge“, des eigenen Tatinteresses, von dem aufgrund des ein- gegangenen Risikos auszugehen sei, und seines durch „gleichberechtigtes, Tatherrschaft ausstrahlendes Handeln“ gekennzeichneten Verhaltens (UA S. 112) als Mittäter des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angesehen. In Bezug auf die zugleich verwirklichte Einfuhr hat sie hingegen ohne nähere Begründung lediglich Beihilfe angenommen.
4
2. Die Rüge einer Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO greift jedenfalls aus folgenden Gründen nicht durch: Nach dem Revisionsvorbringen des Beschwerdeführers haben in Bezug auf seine Person keinerlei Verständigungsgespräche stattgefunden. Der Senat vermag nicht zu erkennen, wie sich eine Kenntnis des Angeklagten von etwaigen Verständigungsbemühungen mit den Mitangeklagten, zu denen er nichts Konkretes vorträgt, auf seine Verteidigungsmöglichkeiten und sein Verteidigungsverhalten hätte auswirken sollen.
5
3. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben; jedoch war der Schuldspruch zu berichtigen.
6
Das rechtsfehlerfrei festgestellte Verhalten des Angeklagten erfüllt die Voraussetzungen einer Mittäterschaft sowohl in Bezug auf den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG als auch hinsichtlich des Tatbestandes der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG.
7
a) Ob die Beteiligung am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln als Mittäterschaft oder Beihilfe zu bewerten ist, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die Abgrenzung zwischen diesen Beteiligungsformen. Mittä- ter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Tatbeitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein solches enges Verhältnis des Beteiligten zur Tat besteht, ist nach den gesamten Umständen in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft in dem Sinne sein, dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Angeklagten abhängen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2013 – 5 StR 606/12, NStZ 2013, 549, und Urteil vom 10. April 2013 – 2 StR 604/12).
8
Bei einer Bewertung von Transporttätigkeit eines Beteiligten an Rauschgiftgeschäften kommt es für die Frage, ob täterschaftliches Handeltreiben angenommen werden muss, nicht entscheidend darauf an, welches Maß an Selbständigkeit und Tatherrschaft der Beteiligte hinsichtlich dieses isolierten Teilakts des Umsatzgeschäfts innehat. Abzustellen ist vielmehr darauf, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Mittäterschaftliches Handeltreiben wird daher vor allem dann in Betracht kommen, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, etwa am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten soll (BGH, Urteil vom 10. April 2013 – 2 StR 604/12 mwN, und Beschluss vom 19. März 2009 – 4 StR 20/09, NStZ- RR 2009, 254).
9
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Landgericht das Verhalten des Angeklagten zu Recht nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Mittäterschaft bewertet. Hierbei durfte es neben den zutreffend als gewichtig bezeichneten Tatbeiträgen auch den Umstand heranziehen, dass der Angeklagte ein erhebliches Eigeninteresse an der Tat hatte und über eine maßgebliche Tatherrschaft verfügte. Zwar konnte die Strafkammer insoweit keinerlei konkrete Feststellungen über die Höhe einer finanziellen Beteiligung des Angeklagten treffen; gleiches gilt hinsichtlich seiner Einbindung in die Planung des Erwerbs und des Absatzes des Kokains. Es ist indessen nicht zu beanstanden , wenn sich das Tatgericht auch ohne nähere Konkretisierung aufgrund tragfähiger Indizien die Überzeugung verschafft, der Angeklagte habe mit Erbringung seiner Tatbeiträge „gewichtige Eigeninteressen verfolgt“ (UA S. 111) und „den Tatausgang maßgeblich mitbestimmt“ (UA S. 110). Beides ist dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe in ausreichendem Maße zu entneh- men. Das „deutliche Tatinteresse“ hat das Landgericht nachvollziehbar mit dem erheblichen Risiko begründet, das der Angeklagte durch die Fahrt in die Schweiz und seine Anwesenheit beim Einbringen des Kokains eingegangen sei, wobei er seinen Beitrag nicht auf das Minimum dessen beschränkt habe, wofür seine Hilfe benötigt wurde (UA S. 111), was wiederum auf ein Eigeninteresse am Erfolg des Gesamtgeschäfts hinweist. Hinsichtlich der Tatplanung hat das Landgericht zum einen konkret festgestellt, dass sich der Angeklagte neben D. und dem weiteren früheren Mitangeklagten Y. , für den zumindest 13 der 36 Kilogramm Kokain bestimmt waren, an den Überlegungen zum Transport von der Schweiz nach Deutschland beteiligt hat (vgl. UA S. 25). Zum anderen hat es in vertretbarer Weise angenommen, aus den Umständen des Aufenthalts des Angeklagten in der Schweiz, insbesondere seiner Verabredung des Treffens mit D. und seinem detaillierten Informationsstand, folge eine – wenngleich nicht näher aufklärbare – besondere Einbindung in die Abspra- chen über die Abwicklung des Geschäfts. Ausgehend hiervon ist sowohl ein eigenes Interesse des Angeklagten am Schicksal des Gesamtgeschäfts als auch die Annahme einer gleichberechtigt verabredeten, arbeitsteiligen Durchführung des Umsatzgeschäfts hinreichend belegt, so dass die Annahme von Mittäterschaft auch in Ansehung des Umstands gerechtfertigt ist, dass sich die konkreten Tathandlungen des Angeklagten lediglich auf den Transport des Rauschgifts bezogen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. März 2014 – 3 StR 375/13 – und vom 24. April 2013 – 5 StR 135/13, NStZ 2013, 549).
10
b) Die vorstehenden Erwägungen greifen ebenso in Bezug auf die tateinheitlich verwirklichte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Tatbestand der Einfuhr erfordert nicht, dass der Täter das Betäubungsmittel eigenhändig über die Grenze bringt. (Mit-)Täter kann vielmehr auch sein, wer das Rauschgift über die Grenze transportieren lässt (BGH, Beschluss vom 1. September 2004 – 2 StR 353/04, NStZ 2005, 229). Insoweit gelten die dargestellten Kriterien zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe prinzipiell in gleicher Weise. Gründe, den – gerade wesentlich auf den Transport des Kokains über die schweizerisch-deutsche Grenze gerichteten – Tatbeitrag des Angeklagten in Bezug auf die Einfuhr etwa anders als hinsichtlich des Handeltreibens lediglich als Beihilfe zu bewerten, sind nicht ersichtlich. Zur Vermeidung eines irreführenden Schuldspruchs ändert der Senat diesen entsprechend ab. An einer Schuldspruchverschärfung ist er durch das Verschlechterungsverbot nicht gehindert.
11
c) Wie der Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 17. März 2014 zutreffend ausgeführt hat, lassen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler erkennen. Eine Verletzung des aus § 46 Abs. 3 StGB folgenden Doppelverwertungsverbots liegt nicht vor.
Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist mit hinreichender Deutlich- keit zu entnehmen, dass das Landgericht mit der Erwähnung der „gewichtigen Tatbeiträge“ des Angeklagten lediglich ein die angeführten strafschärfenden Umstände schmälerndes geringes Gewicht seiner Tatbeteiligung verneint hat. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Andererseits weist der Senat vorsorglich im Blick auf die Revision der Staatsanwaltschaft darauf hin, dass ungeachtet der höheren Mindeststrafe des § 30 Abs. 1 BtMG auszuschließen ist, dass der Einzelstrafausspruch wegen des Betäubungsmittelverbrechens bei zutreffender Beurteilung höher ausgefallen wäre: Der vom Tatgericht festgestellte , im Rahmen des gesamten Tatgefüges begrenzte Unrechtsgehalt bleibt unverändert; an der Mindeststrafe hat sich das Landgericht nicht orientiert.
Basdorf Schneider Dölp
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 3 8 1 / 1 3
vom
5. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
____________________
Die Rüge eines Verstoßes gegen die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten gemäß
§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO setzt nicht voraus, dass der Verteidiger zuvor von
dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat.
BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/13 - LG Frankfurt am Main
1.
2.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
28. Mai 2014 in der Sitzung am 5. Juni 2014, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Richterin am Landgericht bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger des Angeklagten H. ,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Justizangestellte in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten H. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. April 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weitergehende Revision des Angeklagten A. wird verworfen. Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen sowie wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 25 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren sowie den Angeklagten A. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel des Angeklagten H. führt auf die Verfahrensrüge hin zur Aufhebung des gegen ihn ergangenen Urteils. Das Rechtsmittel des Angeklagten A. hat hingegen mit der Sachrüge lediglich hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen verkaufte der weitgehend geständige Angeklagte H. jeweils auf Weisung des gesondert verfolgten B. gegen Provision im Zeitraum August 2010 bis Oktober 2011 an den gesondert verfolgten P. in 30 Fällen Heroin in Mengen zwischen 10 bis 50 Gramm mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 5 %. Im Zeitraum Anfang März 2011 bis zum 16. Februar 2012 verkaufte er wiederum im Auftrag B. 's in 11 Fällen Heroin in Mengen zwischen 70 bis 200 Gramm an die gesondert verfolgte M. . Am 4. Oktober und am 4. Dezember 2012 verkaufte er - diesmal im Auftrag des Mitangeklagten A. - ihm von diesem ausgehändigtes Rauschgift, ca. 50 bzw. 45 g Heroin mit Wirkstoffanteilen von 6,2 bzw. 5,6 %, an die gesondert verfolgten K. und Pe. . Bei einer Wohnungsdurchsuchung des Angeklagten H. im Januar 2013 wurden u.a. zwei Cannabisplatten mit einem Gesamtgewicht von ca. 185 Gramm mit einer Wirkstoffmenge von 15,9 Gramm sichergestellt, die teils zum Eigenkonsum, überwiegend aber zum Verkauf bestimmt waren.

II.

3
Während die übrigen Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg bleiben, führt die Rüge eines Verstoßes gegen §§ 257c, 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zur Aufhebung des gegen den Angeklagten H. ergangenen Urteils.
4
1. Dem liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:
5
Für den ersten Hauptverhandlungstag, den 9. April 2013, weist das Protokoll nach Verlesung des Anklagesatzes folgendes Geschehen aus: "Weiter wurde festgestellt, dass Erörterungen gem. §§ 202a und 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO gewesen ist, nicht stattgefunden haben. Die Angeklagten wurden darauf hingewiesen, dass es ihnen freistehe , sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Der Angeklagte A. erklärte sich derzeit zur Äußerung nicht bereit. RAin. Ha. regte ein Rechtsgespräch an. Die HV wurde um 09.47 Uhr unterbrochen und fortgesetzt um 10.17 Uhr. Alle vorher erschienenen Prozessbeteiligten waren wieder anwesend. Es wurde festgestellt, dass ein Rechtsgespräch geführt, jedoch keine Verständigung getroffen wurde. Im Rahmen des Gesprächs hat der StA. zum Ausdruck gebracht, dass eine geständige Einlassung des Angeklagten H. werthaltiger sein könnte, sofern sie auch Angaben zur Tatbeteiligung des Angeklagten A. enthalte.
Es bestand Gelegenheit zur Stellungnahme. Erklärungen wurden nicht abgegeben."
6
2. Die Revisionen rügen, es seien weder Erklärungen zur "personellen Beteiligung" an diesem Rechtsgespräch, an dem alle professionellen Verfahrensbeteiligten sowie die beiden Schöffen teilgenommen hatten, noch zu dessen vollständigem Inhalt erfolgt. So habe der Vertreter der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten H. eine Straferwartung von über sechs Jahren geäußert, die sich bei einer geständigen, den Mitangeklagten A. belastenden Einlassung verringern könne. Der Vorsitzende Richter habe eine Strafhöhe von fünf bis sechs Jahren in den Raum gestellt, was die Verteidigung des Angeklagten H. als nicht akzeptabel bezeichnet habe. Hinsichtlich des Angeklagten A. seien von keiner Seite irgendwelche Straferwartungen geäußert worden, dies auch deshalb, weil dessen Verteidiger "schweigend verteidigt" und sich deshalb an den Gesprächen nicht aktiv beteiligt habe.
7
Durch die unvollständige Unterrichtung seitens des Vorsitzenden habe die Strafkammer ihre Verpflichtung zur Transparenz und Dokumentation verletzt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil - auch wenn keine Verständigung zustande gekommen sei - auf den nicht mitgeteilten Gesprächsinhalten beruhe.
8
3. Eine von den Revisionsführern vorgelegte anwaltliche Versicherung des Instanzverteidigers des Angeklagten A. , RA S. , bestätigt das Revisionsvorbringen. Aus eingeholten dienstlichen Stellungnahmen des Sitzungsstaatsanwalts und der Berufsrichter ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft eine Straferwartung von "nicht unter 6-7 Jahren" gehabt habe. Seitens des Gerichts seien entgegen dem Revisionsvorbringen keine Strafvorstellungen geäußert worden.
9
4. Die Revision macht zu Recht geltend, es liege ein Verstoß gegen die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO vor.
10
a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 47/13, BGHSt 58, 315, 316). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn aber außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben (BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2013 - 4 StR 272/13, StV 2014, 67 und vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219; MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 243 Rn. 18c). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verhalten eröffnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, StV 2011, 72, 73, vom 8. Oktober 2013 - 4 StR 272/13, StV 2014, 67, vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219 und vom 15. April 2014 - 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418). Die Pflicht zur Dokumentation der zur Vorbereitung einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung unter Umständen erfolglos geführten Gespräche ist zwar im Vergleich zur tatsächlichen Verständigung reduziert. Gleichwohl sollen alle Verfahrensbeteiligte und die Öffentlichkeit nicht nur darüber informiert werden, dass solche Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfGE 133, 168, 215 f.; BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f., vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219 und vom 9. April 2014 - 1 StR 612/13, NStZ 2014, 416, 417). Zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden hierüber - sofern sie nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschrieben ist - gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen.
11
Gemessen daran enthält die Mitteilung des Vorsitzenden nicht alle Informationen , die zur Transparenz und Dokumentation von Verfahrensabläufen im Zusammenhang mit möglichen Verständigungen nach § 257c StPO mitgeteilt werden müssen. So hat es der Vorsitzende - was sich aus dem Protokoll, den eingeholten dienstlichen Erklärungen und der anwaltlichen Versicherung ergibt - rechtsfehlerhaft unterlassen, jedenfalls die von der Staatsanwaltschaft für den Angeklagten H. geäußerte Straferwartung mitzuteilen.
12
b) Der Angeklagte ist mit seiner darauf gerichteten Revisionsrüge nicht deshalb präkludiert, weil er es unterlassen hat, von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch zu machen. Kommt der Vorsitzende ungeachtet eines ihm zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraum seinen Mitteilungs- und Dokumentationspflichten nur unzureichend nach, muss dies - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - von dem Verteidiger nicht entsprechend § 238 Abs. 2 StPO beanstandet werden (so im Ergebnis auch Schneider, NStZ 2014, 252; a.A. Altvater, StraFo 2014, 221, 226; offengelassen von BGH, Beschluss vom 15. April 2014 - 3 StR 89/14). Dies gilt selbst dann, wenn dem Verteidiger - wie hier - ausdrücklich Gelegenheit gegeben wird, sich zur Unterrichtung durch den Vorsitzenden zu erklären.
13
aa) Der Senat lässt offen, ob der Rechtsansicht zu folgen wäre, wonach ein Verteidiger die Unvollständigkeit von Mitteilungen schon deswegen nicht nach § 238 Abs. 2 StPO rügen müsse (und könne), weil solchen Mitteilungen nach dem Verständigungsgesetz die Funktion abgehe, auf das Verhalten des Verfahrensbeteiligten sachleitend Einfluss zu nehmen, es sich mithin nur um bloße, dem Anwendungsbereich des § 238 Abs. 2 StPO thematisch entzogene bloße Wissensentscheidungen handele (so Schneider NStZ 2014, 252).
14
bb) Entscheidend ist, dass keine eine Rügeobliegenheit begründende Mitwirkungspflicht des Verteidigers im Verständigungsverfahren besteht, was die Mitteilung und Protokollierung von außerhalb der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführten Gespräche anbelangt.
15
Der mit dem Verständigungsgesetz eingeführte § 243 Abs. 4 StPO überantwortet die Informationspflicht für außerhalb der Hauptverhandlung geführte Verständigungsgespräche ausschließlich dem Vorsitzenden des Gerichts. Wie der Senat bereits in seiner Grundsatzentscheidung vom 10. Juli 2013 (2 StR 195/12, BGHSt 58, 310, 314) näher ausgeführt hat, will das Gesetz die Transparenz der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden, durch die Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts in der Verhandlung für die Öffentlichkeit und alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere aber für den Angeklagten herbeiführen. Durch die Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO und deren Protokollierung gemäß § 273 Abs. 1a StPO werden außerhalb der Hauptverhandlung im Hinblick auf eine Verständigung erfolgte Geschehnisse festgeschrieben und einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht. Zudem soll dem Angeklagten eine eigenverantwortliche Entscheidung ermöglicht werden, wie er sein eigenes Verteidigungsverhalten einrichtet.
16
Die Zuweisung der Mitteilungs- und Informationspflicht ausschließlich an den Vorsitzenden folgt auch aus den Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts zur Schutzfunktion des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO, wonach eine "vollum- fängliche Rechtsmittelkontrolle" des Verständigungsgeschehens erfolgen soll (BVerfGE 133, 168, 204, 207). Gewollt ist die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes für den Angeklagten durch revisionsgerichtliche Verfahrenskontrolle. Unzulässige "deals", aber auch informelle Absprachen hinter dem Rücken des Angeklagten auszuschließen, entspricht der Intention des Gesetzgebers und des Bundesverfassungsgerichts. Danach gilt es u.a. zu verhindern, "dass sich ein möglicher Interessengleichlauf von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zum Nachteil des Angeklagten auswirkt" (BVerfGE 133, 168, 232). "Die Transparenzvorschriften des Verständigungsgesetzes dienen somit dem Schutz der Grundrechte des von einer Verständigung betroffenen Angeklagten vor einem im Geheimen sich vollziehenden 'Schulterschluss' zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung" (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14). Vor diesem Hintergrund kommt der Informationspflicht durch den Vorsitzenden auch die Funktion zu, den Angeklagten vor einer fehlerhaften Beratung durch seine Verteidiger zu schützen. Diese Schutzfunktion wäre jedoch eingeschränkt, würde man - z.B. nach einem Verteidigerwechsel zwischen den Instanzen - die Zulässigkeit einer auf die Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO gestützten Rüge davon abhängig machen, dass der Instanzverteidiger , der zuvor unter Umständen an einer informellen Absprache hinter dem Rücken des Revisionsführers mitgewirkt hat, eine dies verschweigende Mitteilung des Vorsitzenden gemäß § 238 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung beanstandet hat.
17
cc) Im Übrigen könnte § 238 Abs. 2 StPO, der darauf abzielt, die Verantwortung des gesamten Spruchkörpers für die Rechtsförmigkeit der Verhandlung zu aktivieren, von vornherein nur dann zum Tragen kommen, wenn die Verständigungsgespräche zuvor in Gegenwart sämtlicher zur Entscheidung berufener Mitglieder des Gerichts geführt worden wären. Verständigungsgespräche vor Beginn der Hauptverhandlung erfolgen jedoch regelmäßig ohne die Schöf- fen; vorbereitende Gespräche während, aber außerhalb laufender Verhandlung, z.B. an Nichtsitzungstagen, müssen nicht zwingend von dem gesamten Spruchkörper geführt werden (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 29. November 2013 - 1 StR 200/13, NStZ 2014, 221). In diesen Fällen müsste eine Befassung des gesamten Spruchkörpers mit der Frage der Vollständigkeit der Information leerlaufen. Letztlich würde damit eine Rügeverpflichtung von Zufälligkeiten des Einzelfalles abhängen.
18
c) Auf der Verletzung der Informationspflichten aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO beruht das Urteil zum Nachteil des Angeklagten H. .
19
Zwar hat das Verständigungsgesetz davon abgesehen, den Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO den absoluten Revisionsgründen zuzuordnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. September 2013 - 1 StR 237/13, StV 2013, 740 [für § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO]; vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 210/13, NJW 2014, 1254, 1256); indes ist, sofern die Mitteilung über das Gespräch unterbleibt oder sich auf eine unzureichende Darstellung beschränkt, grundsätzlich die Verteidigungsposition des Angeklagten tangiert (vgl. BVerfGE 133, 168, 223 f.; BGH, Beschluss vom 25. November 2013 - 5 StR 502/13, NStZ-RR 2014, 52). Nur in besonderen Ausnahmefällen ist ein Beruhen auszuschließen (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - 1 StR 423/13, NStZ 2014, 217, 218). Dies gilt selbst dann, wenn - wie hier - im Ergebnis eine Verständigung nicht zustande kommt, weil auch in einem solchen Fall nicht auszuschließen ist, dass das Prozessverhalten des Angeklagten durch die vorangegangenen Verständigungsgespräche beeinflusst wurde (BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219, 220 und vom 9. April 2014 - 1 StR 612/13, NStZ 2014, 416, 417 f.). Ein solcher das Beruhen ausschließender Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.
20
Es kommt auch nicht darauf an, ob der Instanzverteidiger den Angeklagten über den Ablauf und den Inhalt außerhalb der Hauptverhandlung geführter Gespräche unterrichtet und so ein etwaiges Informationsdefizit seines Mandanten ausgeglichen hat oder ob dies möglich gewesen wäre. Für die Entscheidung des Angeklagten, die meist mit der Frage nach einem Geständnis in der Hauptverhandlung verbunden wird, ist es von besonderer Bedeutung, ob er über die Einzelheiten der in seiner Abwesenheit geführten Gespräche nur zusammenfassend und in nicht dokumentierter Weise von seinem Verteidiger nach dessen Wahrnehmung und Verständnis informiert wird, oder ob ihn das Gericht unter Dokumentation seiner Mitteilungen im Protokoll der Hauptverhandlung unterrichtet (BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310, 314; anders wohl BGH, Beschluss vom 15. April 2014 - 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418, 419 und Schneider, NStZ 2014, 252, 253).

III.

21
1. Die auch von dem Angeklagten A. erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen §§ 257c, 243 Abs. 4 Satz 2 StPO führt hinsichtlich dieses Angeklagten nicht zur Urteilsaufhebung, weil der Senat insoweit ein Beruhen des Urteils auf dem unter II. festgestellten Verfahrensverstoß ausschließt. Der Verteidiger des "sich schweigend verteidigenden" Angeklagten A. hat sich an den Verständigungsgesprächen nicht aktiv beteiligt. Welche Straferwartung die Staatsanwaltschaft für den wegen der Beteiligung an insgesamt 44 Fällen des Betäubungsmittelhandels angeklagten H. hatte, war für den nur in zwei Fällen als Täter Angeklagten A. ohne Aussagekraft und für seine Entscheidung , sich nicht einzulassen, erkennbar ohne Belang (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14 sowie BGH, Beschluss vom 29. November 2013 - 1 StR 200/13, NStZ 2014, 221, 222 f.). Soweit die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Verständigungsgesprächs den Angeklagten H. darauf hingewiesen hat, belastende Angaben zu seinem Mitangeklagten könnten sein Geständnis werthaltiger machen, ist dieser für A. bedeutende Umstand - nach anwaltlicher Versicherung seines Verteidigers auf dessen Initiative - vom Vorsitzenden entsprechend mitgeteilt und protokolliert worden.
22
2. Während der Schuldspruch betreffend des Angeklagten A. aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts auch auf die Sachrüge hin nicht zu beanstanden ist, unterliegt der Strafausspruch der Aufhebung , weil das Landgericht die durch § 46 Abs. 2 StGB gezogene Grenze zulässiger strafschärfender Berücksichtigung nicht angeklagter Taten überschritten hat.
23
Gemäß § 46 Abs. 2 StGB hat der Tatrichter bei der Strafzumessung die für und gegen den Täter sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen und dabei namentlich auch sein Vorleben zu berücksichtigen. Insoweit ist er bei der Feststellung und Bewertung von Strafzumessungstatsachen durch den Anklagegrundsatz (§§ 155, 264 StPO) nicht beschränkt und kann daher auch strafbare Handlungen ermitteln und würdigen, die nicht Gegenstand der Anklage sind, bzw. die nach § 154 StPO eingestellt worden sind, soweit diese für die Persönlichkeit eines Angeklagten bedeutsam sein können und Rückschlüsse auf dessen Tatschuld gestatten. Allerdings müssen solche Taten - wie jeder für die Strafzumessung erhebliche Umstand - prozessordnungsgemäß und damit hinreichend bestimmt festgestellt werden und zur Überzeugung des Tatrichters feststehen (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2003 - 4 StR 359/03, NStZ-RR 2004, 359 [Pfister]; Beschluss vom 19. November 2013 - 4 StR 448/13, NJW 2014, 645, 646 mwN; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 46 Rn. 41 f.).
24
Diesen Anforderungen genügen die insoweit rudimentären Urteilsgründe nicht. Das Landgericht hat hinsichtlich des Angeklagten A. strafschärfend gewertet, dass die "hier abgeurteilten Taten nur die Spitze des Eisberges" darstellen , was sich nicht zuletzt etwa aus den Angaben des Zeugen Pe. ergebe , mehrfach in gleicher Weise von den Angeklagten Heroin erworben zu haben (UA 26). Im Rahmen der Beweiswürdigung heißt es dazu, es hätten "auch weitere vermutliche Rauschgiftübergaben, die jedoch nicht konkret aufgeklärt werden konnten", stattgefunden (UA 18), und der Zeuge Pe. habe glaubhaft ausgesagt, insgesamt dreimal zum Rauschgiftkauf nach F. gefahren zu sein. In den ersten beiden Fällen vom 13. November 2012 und am 4. Dezember 2012 habe er das Rauschgift von dem Angeklagten H. im dritten Fall, wohl am 19. Januar 2013, von dem Angeklagten A. erhalten.
25
Solche Ausführungen belegen, dass die nur vermeintlich begangenen Rauschgiftgeschäfte nicht konkretisiert werden konnten; es bleibt demnach offen , ob, welche und wie viele Straftaten die Angeklagten über die hier abgeurteilten Taten hinaus noch begangen haben sollen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 1991 - 4 StR 138/91, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 14). Dies lässt eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten besorgen.
26
Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch insgesamt auf den rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht; die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe können deshalb nicht bestehen bleiben. Fischer Appl Schmitt Krehl Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR587/14
vom
25. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. Februar 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 24. Juni 2014 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in elf Fällen, davon in drei Fällen wegen Versuchs, und wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die auf die Sachrüge und auf eine Verfahrensrüge gestützt ist. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 22. Dezember 2014 zutreffend dargelegt hat, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3
Auch die Rüge einer Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO greift nicht durch. Nach dem Revisionsvorbringen hat in Bezug auf den Revisionsfüh- rer kein Verständigungsgespräch stattgefunden, sondern lediglich mit dem Verteidiger des Mitangeklagten D. . Durch die unzureichende Mitteilung und Protokollierung von Verständigungsgesprächen, die allein Mitangeklagte betroffen haben, ist der Beschwerdeführer im Regelfall nicht in seinen Rechten betroffen (vgl. BVerfG, StV 2014, 649; BGH, Beschluss vom 24. April 2014 – 5 StR 123/14 Rn. 4; Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, NJW 2014, 2514, 2516). Dass der Angeklagte bei Kenntnis des konkreten Inhalts des mit dem Verteidiger des Mitangeklagten geführten Verständigungsgesprächs sein Prozessverhalten geändert hätte, wird von der Revision nicht behauptet und es ist auch nicht ersichtlich, wie sich solche Kenntnis auf sein Verteidigungsverhalten hätte auswirken können.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

A. 

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ihre strafgerichtliche Verurteilung im Anschluss an eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten. Mittelbar richten sich die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. zudem gegen die Vorschrift des § 257c StPO, die durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2353) - im Folgenden: Verständigungsgesetz - in die Strafprozessordnung eingefügt wurde und seither die rechtliche Grundlage für die Verständigung bildet. 

I. 

1. Die Praxis urteilsbezogener Verständigungen hat sich - feststellbar jedenfalls seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts - als Instrument zur Bewältigung von Strafverfahren herausgebildet, ohne dass es dafür eine ausdrückliche Rechtsgrundlage gegeben hätte. Es handelt sich hierbei um Absprachen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidigung und dem Angeklagten, nach denen das Gericht dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine bestimmte Strafe oder jedenfalls eine Strafobergrenze zusagt. Solche Verständigungen wurden häufig außerhalb der Hauptverhandlung getroffen. Bei Abgabe des Geständnisses wurde sodann in der Regel auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet, so dass die Verständigung zu einer wesentlichen Verfahrensabkürzung führte. In den meisten Fällen wurde gegen ein Urteil, das auf einer solchen Verständigung beruhte, kein Rechtsmittel eingelegt, oftmals wurde sogar ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet (vgl. zur Entwicklung der Verständigungspraxis Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, Einl. Rn. 119 ff.). 

2. Eine wesentliche Ursache für die hohe praktische Bedeutung von Verständigungen wird in der stetig wachsenden Arbeitsbelastung der Strafjustiz gesehen, die bereits an die Grenze der Überlastung heranreiche (vgl. eingehend Krey/Windgätter, in: Festschrift für Hans Achenbach, 2011, S. 233 ff.). Neben der zunehmenden Komplexität der Fallgestaltungen infolge des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts sowie der Globalisierung, die auch in neuen Formen grenzüberschreitender Kriminalität in Erscheinung tritt, trägt der Bundesgesetzgeber durch eine immer stärkere strafrechtliche Durchdringung vieler Lebensbereiche zu dieser Entwicklung bei. Die Regelungsdichte des materiellen Strafrechts ist in den vergangenen Jahrzehnten beständig gestiegen; dies gilt besonders für das Wirtschafts- und das Nebenstrafrecht (vgl. etwa Braun, AnwBl 2000, S. 222 <225>; Theile, MSchrKrim 2010, S. 147 <149 f.>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 249). Gleichzeitig bringt die zunehmende Differenzierung und Komplizierung des Strafprozessrechts immer höhere Anforderungen mit sich. So ist etwa die Rechtsprechung zu den Beweisverwertungsverboten für die tatrichterliche Praxis mittlerweile kaum noch überschaubar (vgl. Gössel, in: Festschrift für Reinhard Böttcher, 2007, S. 79 <80>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 242 ff.). Zudem bieten extensiv einsetzbare Verfahrensrechte der Verteidigung zahlreiche Möglichkeiten, den Fortgang des Verfahrens zu erschweren; vor allem Ablehnungsgesuche und Beweisanträge sowie das Fragerecht können zu diesem Zweck missbraucht werden (vgl. Gössel, a.a.O., S. 81; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 238 ff.). Unterdessen sehen sich die Tatgerichte durch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen einem immer stärkeren Druck ausgesetzt, die Verfahrensdauer trotz aller prozessualen Schwierigkeiten zu verkürzen. Dass die Bewertung richterlicher Arbeit und die Festsetzung der Arbeitspensen nicht unwesentlich nach quantitativen Gesichtspunkten erfolgt, schafft zusätzliche Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung auch unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite. Der steigenden Belastung der Strafjustiz haben die Länder nicht durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung Rechnung getragen; vielmehr ist auch die Justiz immer wieder von Sparmaßnahmen betroffen (vgl. Krey/Windgätter, a.a.O., S. 235). 
 
3. Das Bundesverfassungsgericht prüfte 1987 in einer Kammerentscheidung (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 f.) die Zulässigkeit von Verständigungen im Strafprozess unter den Gesichtspunkten eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und des Schuldprinzips. Diese Grundsätze verböten nicht, außerhalb der Hauptverhandlung eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Verhandlung herbeizuführen, der schon das Strafrecht Grenzen setze. Sie schlössen es aber aus, die Handhabung der richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in einer Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen solle, ins Belieben oder zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft sei es deshalb untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen. Das Gericht dürfe sich also beispielsweise nicht mit einem Geständnis des Angeklagten begnügen, das dieser gegen die Zusage oder das In-Aussicht-Stellen einer Strafmilderung abgelegt habe, obwohl es sich beim gegebenen Verfahrensstand mit Blick auf das Ziel der Wahrheitserforschung und der schuldangemessenen, gerechten Ahndung der Tat zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Das Gericht müsse es sich auch versagen, den Angeklagten auf eine in Betracht kommende geständnisbedingte Strafmilderung hinzuweisen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Darüber hinaus sei die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Angeklagten vor beachtenswerter Beeinträchtigung geschützt, was seinen Ausdruck auch in der Bestimmung des § 136a StPO finde. Der Angeklagte dürfe infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen oder durch Täuschung zu einem Geständnis gedrängt werden. Das schließe jedoch eine Belehrung oder einen konkreten Hinweis auf die Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses nicht aus, wenn dies im Stand der Hauptverhandlung eine sachliche Grundlage finde. Nach diesen Maßstäben gelangte die Kammer im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die Verständigung bei der im damaligen Ausgangsverfahren gegebenen besonderen Sachverhaltsgestaltung - der anwaltlich verteidigte Angeklagte hatte von sich aus eine Verständigung angeregt, als die Beweisaufnahme bereits vor ihrem Abschluss stand - keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. 

4. Nachdem der Bundesgerichtshof gegenüber Verständigungen (in dessen früherer Terminologie: „Absprachen“) außerhalb der Hauptverhandlung anfänglich eine ablehnende Haltung eingenommen hatte (vgl. etwa BGHSt 37, 298 <304 f.>; BGH, Beschlüsse vom 19. Oktober 1993 - 1 StR 662/93 -, NJW 1994, S. 1293 f., und vom 25. Oktober 1995 - 2 StR 529/95 -, wistra 1996, S. 68; BGHSt 42, 46 <48>), wurden Verständigungen innerhalb der Hauptverhandlung zunächst durch den 4. Strafsenat und sodann durch den Großen Senat für Strafsachen grundsätzlich gebilligt. 

a) In seiner Leitentscheidung vom 28. August 1997 (BGHSt 43, 195 ff.) erklärte der 4. Strafsenat - trotz ausdrücklicher Anerkennung der Vergleichsfeindlichkeit des Strafverfahrens und des Verbots einer Disposition über den staatlichen Strafanspruch - in der Hauptverhandlung getroffene Verständigungen für grundsätzlich zulässig und sprach zudem aus, dass sie - sofern nach den von ihm aufgestellten Vorgaben zustande gekommen - für das Gericht verbindlich seien. Unter folgenden Voraussetzungen könne eine Verständigung getroffen werden: Der Schuldspruch dürfe nicht Gegenstand der Verständigung sein. Ein verständigungsbasiertes Geständnis müsse auf seine Glaubhaftigkeit überprüft werden; sich hierzu aufdrängende Beweiserhebungen dürften nicht unterbleiben. Die freie Willensentschließung des Angeklagten müsse gewahrt bleiben; insbesondere dürfe er nicht durch Drohung mit einer höheren Strafe oder durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu einem Geständnis gedrängt werden. Die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts sei unzulässig. Die Verständigung selbst müsse in öffentlicher Hauptverhandlung erfolgen; Vorgespräche außerhalb der Hauptverhandlung seien aber möglich. In die Verständigung seien alle Verfahrensbeteiligten einzubeziehen. Das Ergebnis der Verständigung sei im Protokoll niederzulegen. Eine bestimmte Strafe dürfe das Gericht nicht zusagen; unbedenklich sei aber die Zusage einer Strafobergrenze. Von dieser dürfe nur abgewichen werden, wenn sich neue schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergäben; auf eine beabsichtigte Abweichung sei in der Hauptverhandlung hinzuweisen. Der Strafausspruch dürfe den Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen. 
 
b) Der Große Senat für Strafsachen hielt in seinem Beschluss vom 3. März 2005 (BGHSt 50, 40 ff.) an den vom 4. Strafsenat aufgestellten Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verständigungen fest und präzisierte diese dahingehend, dass die Differenz zwischen der verständigungsgemäßen und der bei einem „streitigen Verfahren“ zu erwartenden Sanktion nicht unangemessen groß sein („Sanktionsschere“) und das Gericht nicht nur wegen neuer Erkenntnisse von seiner Zusage abweichen dürfe, sondern - nach entsprechendem Hinweis - auch dann, wenn schon bei der Verständigung vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen worden seien. Der nach einer Verständigung erklärte Rechtsmittelverzicht sei grundsätzlich unwirksam; die Unwirksamkeit entfalle jedoch, wenn der Rechtsmittelberechtigte darüber belehrt worden sei, dass er ungeachtet der Verständigung in seiner Entscheidung frei sei, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Die grundsätzliche Billigung der Verständigung begründete der Große Strafsenat mit der Notwendigkeit, trotz knapper Ressourcen die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz zu gewährleisten, und mit Hinweisen auf den Beschleunigungsgrundsatz, die Prozessökonomie sowie den Zeugen- und Opferschutz. Allerdings sei die Strafprozessordnung in ihrer geltenden Form am Leitbild der materiellen Wahrheit orientiert, die vom Gericht in der Hauptverhandlung von Amts wegen zu ermitteln und der Disposition der Verfahrensbeteiligten weitgehend entzogen sei. Die Praxis der Verständigungen sei daher kaum ohne Bruch in das gegenwärtige System einzupassen. Aus diesem Grund appellierte der Große Senat für Strafsachen an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und, bejahendenfalls, die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Verständigungen im Strafprozess gesetzlich zu regeln. 

5. Dieser Forderung nach einer gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber mit dem Verständigungsgesetz Rechnung getragen. Das darin enthaltene Regelungskonzept geht ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 8) in seinem Grundansatz davon aus, dass für die Verständigung im Strafverfahren keine neue - dem deutschen Strafprozess bislang unbekannte - Form einer konsensualen Verfahrenserledigung eingeführt werden sollte, die die Rolle des Gerichts, insbesondere seine Verpflichtung zur Ermittlung der materiellen Wahrheit, zurückdrängen würde. Die Grundsätze des Strafverfahrens sollten vielmehr weiterhin Geltung behalten, namentlich, dass eine Verständigung unter Beachtung aller maßgeblichen Verfahrensregeln einschließlich der Überzeugung des Gerichts vom festgestellten Sachverhalt und der Glaubhaftigkeit eines Geständnisses stattfinden müsse, die Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs, nicht zuletzt auch die Transparenz der Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gewahrt sein müssten, und dass insbesondere der Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen werden dürfe. 

Die zentrale Bestimmung des gesetzgeberischen Regelungskonzepts in § 257c StPO hat folgenden Wortlaut:

§ 257c
(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. 
(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein. 
(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen. 
(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen. 

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren. 

Die Vorschrift erlaubt dem Gericht ausdrücklich eine Verständigung über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nach den darin genannten Maßgaben; sie stellt außerdem klar, dass die Pflicht des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) unberührt bleibt. Hierdurch soll in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs die Beachtung der rechtsstaatlichen Anforderungen an das Strafverfahren gewährleistet und insbesondere die Schuldangemessenheit der Strafe sichergestellt werden (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9). 

Außerdem wurden Vorschriften eingeführt, die es der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren sowie dem Gericht vor und nach Eröffnung des Hauptverfahrens sowie in der Hauptverhandlung ausdrücklich erlauben, „den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern“ (§§ 160b, 202a, 212, 257b StPO). Der wesentliche Inhalt einer solchen Erörterung ist jeweils aktenkundig zu machen; der Inhalt einer in der Hauptverhandlung durchgeführten Erörterung ist in das Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1 Satz 2 StPO). 

§ 160b
Die Staatsanwaltschaft kann den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 202a
Erwägt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, kann es den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 212
Nach Eröffnung des Hauptverfahrens gilt § 202a entsprechend. 

§ 257b
Das Gericht kann in der Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. 

§ 273
(1) […] In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden. […] 
Flankiert werden diese Regelungen durch weitere neue Vorschriften, die die Transparenz der Verständigung und die Möglichkeit einer Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gewährleisten sollen. Nach § 243 Abs. 4 StPO ist in der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob - und falls ja mit welchem Inhalt - außerhalb der Hauptverhandlung Erörterungen des Verfahrensstandes zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten stattgefunden haben, in denen die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO thematisiert wurde:

§ 243
[…] (4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, muss dies in den schriftlichen Urteilsgründen angegeben werden (§ 267 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 Satz 2 StPO). 

Die in § 273 StPO enthaltenen Vorschriften über die Protokollierung der Hauptverhandlung wurden wie folgt erweitert:

§ 273
[…] (1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, ist ein Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO). In diesem Fall ist der Angeklagte darüber zu belehren, dass er in jedem Fall frei in seiner Entscheidung ist, ein Rechtsmittel einzulegen (§ 35a Satz 3 StPO). 

6. Das Regelungskonzept des Gesetzgebers ist teils auf Zustimmung (vgl. etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 ff.) gestoßen, teils aber auch auf scharfe Kritik (vgl. etwa Meyer-Goßner, ZRP 2009, S. 107 ff.; Bittmann, wistra 2009, S. 414 ff.; Fezer, NStZ 2010, S. 177 ff.). Nach verbreiteter Ansicht entsprechen die gesetzlichen Vorschriften über die Verständigung nicht den Bedürfnissen der Praxis. So werden die Protokollierungs- und Belehrungspflichten sowie der generelle Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts als Erschwerung der richterlichen Tätigkeit und damit als Rückschritt gegenüber der früheren Rechtslage empfunden; der mit der Verständigung angestrebte Entlastungseffekt werde dadurch jedenfalls teilweise wieder zunichte gemacht (vgl. Polomski, DRiZ 2011, S. 315 f.). Ferner wird die Auffassung vertreten, § 257c StPO regele nur die „förmliche“ Verständigung, weshalb für „informelle“ Absprachen oder „Gentlemen‘s Agreements“ außerhalb der Hauptverhandlung weder die gesetzlichen Protokollierungs- und Belehrungspflichten noch der Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts gälten (vgl. Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, a.a.O., S. 416 Fn. 25). 

II. 

1. a) Der Beschwerdeführer zu I. wurde als einer von vier Angeklagten durch das Landgericht München II mit Urteil vom 9. März 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 259 tatmehrheitlichen Fällen in Tateinheit mit vier Fällen der Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Unmittelbar nach Anklageverlesung und Belehrung der Angeklagten war die Hauptverhandlung für ein Rechtsgespräch unterbrochen worden. Anschließend gaben die Verteidiger für ihre Mandanten jeweils eine Erklärung ab, und die Angeklagten erklärten sich zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Vorsitzende schlug die Erteilung eines Hinweises vor, wonach das Gericht in voller Besetzung das Verfahren gemäß § 257b StPO mit den Verteidigern und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft ausführlich erörtert habe. Unter Berücksichtigung der vorläufigen rechtlichen Bewer- tung, der Vorstrafen und eines angekündigten Geständnisses der Angeklagten rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu I. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Jahren und die drei Mitangeklagten zu Gesamtfreiheitsstrafen von nicht mehr als fünf Jahren und sechs Monaten, zwei Jahren und vier Jahren verurteilt würden. Für den Fall einer Verurteilung in dieser Größenordnung habe die Staatsanwaltschaft angekündigt, ein dort noch anhängiges Ermittlungsverfahren zu einem weiteren Tatkomplex im Wesentlichen nach § 154 Abs. 1 StPOeinzustellen. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Die Angeklagten, die Verteidiger und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärten sich mit dem Vorschlag des Gerichts einverstanden. Im Anschluss machten die Angeklagten jeweils Angaben zur Sache, wobei der Beschwerdeführer zu I. auch Fragen beantwortete. Sämtliche polizeilichen Zeugenvernehmungsprotokolle wurden gemäß § 249 Abs. 2, § 251 Abs. 1 Satz 1 StPO im Selbstleseverfahren eingeführt und die entsprechenden Zeugen abgeladen. In der Folge vernahm die Kammer noch mehrere Polizeibeamte und Behördenmitarbeiter als Zeugen. Unterlagen wurden teils in Augenschein genommen oder verlesen, teils im Selbstleseverfahren eingeführt. 

b) Mit seiner Revision beanstandete der Beschwerdeführer zu I. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhob die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 8. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. In Bezug auf den Belehrungsfehler verwies der Bundesgerichtshof auf eine frühere Entscheidung (Beschluss vom 17. August 2010 - 4 StR 228/10 -), in der er die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c Abs. 5 StPO mit der Erwägung zurückgewiesen hatte, das Urteil beruhe nicht auf dem Fehler, weil die Strafkammer die im Rahmen der Verständigung angekündigte Strafobergrenze eingehalten habe. 

2. a) Die Beschwerdeführer zu II. wurden durch das Landgericht München II mit Urteil vom 27. April 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges in 27 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten (Beschwerdeführer zu II. 1)) und drei Jahren und vier Monaten (Beschwerdeführer zu II. 2)) verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Zu Beginn der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger des Beschwerdeführers zu II. 2) ein Rechtsgespräch angeregt, für das die Verhandlung unterbrochen wurde. In der Pause führten die Verteidiger, das Gericht und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Verständigungsgespräche. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung stellte das Gericht fest, das Verfahren gemäß § 257b StPO mit allen Verfahrensbeteiligten ausführlich erörtert zu haben. Die Kammer habe darauf hingewiesen, dass nach Aktenlage und vorbehaltlich des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme ein Schuldspruch wegen 27 Fällen des Betruges in besonders schwerem Fall jeweils in Tateinheit mit dem vorsätzlichen gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts in Betracht komme. Unter Berücksichtigung dieser Bewertung sowie eines angekündigten Geständnisses rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu II. 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und sechs Monaten verurteilt werde und der Beschwerdeführer zu II. 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und vier Monaten. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Dem Vorschlag stimmten die Beschwerdeführer zu II., ihre Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ausdrücklich zu. Auf die Einvernahme von Zeugen - mit Ausnahme des ermittelnden Polizeibeamten - wurde allseits verzichtet. Die Verteidiger gaben Erklärungen zur Sache ab, die sich die Beschwerdeführer zu II. jeweils zu eigen machten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf diesen Erklärungen und auf den Angaben des ermittelnden Polizeibeamten sowie den im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten Ergebnissen einer von der Polizei in Form von Fragebögen durchgeführten schriftlichen Zeugenbefragung. 

b) Mit ihrer Revision beanstandeten die Beschwerdeführer zu II. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhoben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 2. November 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Zu dem Belehrungsmangel führte er aus, dass eine der von § 257c Abs. 4 StPO erfassten Fallgestaltungen, über deren Rechtsfolgen vorab zu belehren sei, nicht vorliege. Die verhängten Strafen überstiegen auch nicht die vom Gericht jeweils zugesicherte Höhe. Konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, so dass letztlich ein für sie günstigeres Urteil nicht auszuschließen wäre, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. 

3. a) Der Beschwerdeführer zu III. wurde als einer von zwei Angeklagten durch das Landgericht Berlin mit Urteil vom 15. März 2011 wegen zweier Fälle des schweren Raubes und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Der Vorsitzende hatte die Angeklagten nach Verlesung der Anklageschrift darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Raubtaten im Wesentlichen drei Möglichkeiten gebe. Die erste sei ein Freispruch, die zweite eine Verurteilung wegen eines oder zweier Fälle des schweren Raubes mit jeweils einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren nach streitiger Beweisaufnahme. In der zweitgenannten Konstellation - so die Urteilsgründe - „verspüre“ die Kammer angesichts dessen, dass es sich um Taten handele, die die Angeklagten als Polizeibeamte im Dienst begangen hätten, „wenig Neigung“ zur Annahme von minder schweren Fällen. Die dritte Möglichkeit schließlich sei hinsichtlich der Konsequenzen ein Mittelweg: Falls die Angeklagten sich zu Geständnissen, die eine Beweisaufnahme überflüssig machen, entschlössen, könne dieser Umstand bei der Gesamtabwägung, ob minder schwere Fälle vorliegen, eine entscheidende Rolle spielen und letztlich den Ausschlag zugunsten der Angeklagten geben. In diesem Fall seien Gesamtfreiheitsstrafen zu erwarten, deren Vollstreckung die Kammer zur Bewährung aussetzen könne. Während einer 85-minütigen Verhandlungspause hatten die Angeklagten Gelegenheit, über den Vorschlag des Gerichts nachzudenken und ihn mit ihren Verteidigern zu beraten. Der Vorsitzende mahnte derweil zur Eile. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers zu III. warnte ihn sein Verteidiger zudem vor der Möglichkeit einer „Saalverhaftung“, wenn er der vorgeschlagenen Verständigung nicht nähertrete. Nach der Verhandlungspause erklärten die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu dem Vorschlag des Gerichts, was entsprechend zu Protokoll genommen wurde. Nach allgemeiner und besonderer Belehrung gemäß § 257c Abs. 4 und 5 StPO legten die Angeklagten Geständnisse in Form einer schlichten Bestätigung des Anklagesatzes ab. Anschließend erklärten die Verteidiger jeweils, dass Fragen zur Sache nicht beantwortet würden. Auf die Vernehmung von Zeugen wurde allseits verzichtet. Nach den Plädoyers und dem letzten Wort der Angeklagten zog sich die Kammer zur Beratung zurück, trat sodann aber noch einmal in die Beweisaufnahme ein, um die Angeklagten zu fragen, ob sie bei den Taten ihre Dienstwaffen bei sich geführt hätten und ob diese geladen gewesen seien, was die Angeklagten bejahten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf den Erklärungen der Angeklagten und entsprechen weitgehend dem Anklagesatz. 

b) Mit seiner Revision machte der Beschwerdeführer zu III. im Wege der Verfahrensrüge Verstöße gegen § 244 Abs. 2 StPO und gegen § 136a StPO geltend und erhob daneben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 2 StPOals unbegründet und bemerkte lediglich ergänzend, dass er der Revision jenseits der vom Generalbundesanwalt zutreffend als unzulässig bewerteten Verfahrensrügen eine noch zulässig erhobene Beanstandung der Anwendung von § 257c StPO entnehme. Diese greife in der Sache aber nicht durch. Das Landgericht habe den Angeklagten vor Augen halten dürfen, dass im Verurteilungsfall nur unter der Voraussetzung eines Geständnisses der Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB (minder schwerer Fall) eröffnet sein könne. Eine Drohung mit einer willkürlich bemessenen „Sanktionsschere“ liege deshalb nicht vor. Zu allen darüber hinausgehenden Behauptungen unzulässigen Drucks fehle es schon an ausreichendem Revisionsvortrag. Abgesehen davon sei insoweit ersichtlich nichts erwiesen. 

III. 

1. Die Beschwerdeführer zu I. und zu II. rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Selbstbelastungsfreiheit und des fairen Verfahrens sowie dem Schuldprinzip, ferner Verstöße gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 101 Abs. 1 GG durch das Unterlassen der von § 257c Abs. 5 StPO verlangten Belehrung vor Zustandekommen der Verständigung. Hilfsweise rügen sie die Verfassungswidrigkeit des § 257c StPOwegen Verstoßes insbesondere gegen das Schuldprinzip und das Rechtsstaatsgebot. 

a) Die Möglichkeit einer Beeinflussung des Verfahrensausgangs durch eine Verständigung übe mittelbar Druck auf den Angeklagten aus, ein Geständnis abzulegen. Eine freiverantwortliche, auf autonomer Einschätzung des damit verbundenen Risikos beruhende Entscheidung über die Abgabe eines Geständnisses setze voraus, dass der Angeklagte wisse, dass sich das Gericht über § 257c Abs. 4 StPOwieder von der Verständigung lösen könne. Die Gerichte hätten diese Aufgabe, die der Gesetzgeber der Belehrungspflicht zugewiesen habe, übersehen und § 257c Abs. 5 StPO unter Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG zu einer reinen Ordnungsvorschrift entwertet. Käme nämlich - worauf die Revisionsentscheidung hinauslaufe - ein Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO nur bei einer Abweichung des Gerichts von der Verständigung zum Tragen, so bliebe ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht letztlich in allen Fällen ohne Konsequenz, da bei einer Abweichung von der Verständigung das Geständnis schon wegen § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO nicht verwertbar sei. Auch aus tatsächlicher Sicht überzeuge die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht, da niemand wissen könne, ob bei ordnungsgemäßer Belehrung die Verständigung überhaupt zustande gekommen wäre. 

b) Die Vorschrift des § 257c StPO verstoße gegen das Schuldprinzip und das aus Rechtsstaatsgebot und Gleichheitssatz folgende Legalitätsprinzip, die beide die Ermittlung des wahren Sachverhalts verlangten. Das Bemühen um Gewährleistung einer - trotz der Verständigung - schuldangemessenen Strafe sei mit dem zugleich verfolgten Anliegen einer Verfahrensverkürzung unvereinbar. Dieser innere Widerspruch präge die gesamte Diskussion zu § 257c StPO. Die gesetzliche Regelung sei nicht geeignet, die Realität der Verständigungspraxis zu beeinflussen. Eine wirksame revisionsgerichtliche Kontrolle von Verständigungen sei nicht möglich. Die Verständigung laufe darauf hinaus, der gerichtlichen Entscheidung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zugrundezulegen; dieses sei aber gerade nicht zur Findung der materiellen Wahrheit, sondern lediglich zu einer Verdachtsklärung bestimmt. Die Schöffen, die den Akteninhalt nicht kennten, seien für ihre Überzeugungsbildung auf den Inbegriff der Hauptverhandlung angewiesen. Im Falle eines Scheiterns der Verständigung sei die Neutralität des Richters im weiteren Verlauf des Verfahrens gefährdet. Dass dem unverteidigten Angeklagten faktisch die Möglichkeit einer Verständigung verschlossen bleibe, verstoße gegen den Gleichheitssatz. 

2. Der Beschwerdeführer zu III. rügt eine Verletzung seiner Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Der Bundesgerichtshof habe die Anforderungen an die Zulässigkeit von Verfahrensrügen in der Revision überspannt. Ferner verstoße die vom Landgericht angedrohte „Sanktionsschere“ gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Schließlich habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es das Geständnis nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft habe. 

IV. 

1. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Durch die Verständigung werde nicht ermöglicht, dass sich die Verfahrensbeteiligten ohne Ermittlung des wahren Sachverhalts auf ein bestimmtes Ergebnis einigten. § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO stelle vielmehr klar, dass der Amtsermittlungsgrundsatz auch im Falle einer Verständigung unberührt bleibe. Entsprechendes gelte für die Strafzumessung, die sich weiterhin nach § 46 StGB bestimme. Der Angeklagte könne unabhängig vom Vorliegen einer Verständigung frei entscheiden, ob er sich geständig einlassen wolle oder nicht. § 257c StPO lasse daher die Selbstbelastungsfreiheit unberührt. Auch die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege werde durch die gesetzliche Regelung nicht beeinträchtigt. Vielmehr könne eine geständige Einlassung zu einer weniger umfangreichen Beweisaufnahme führen. Auch könnten Verständigungen eine Verbesserung des Opferschutzes bewirken, wenn ein Geständnis die Vernehmung von Opferzeugen in der Hauptverhandlung entbehrlich mache. 

2. Die Bayerische Staatsregierung, die sich zu den Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und zu II. geäußert hat, hält diese für unbegründet. Ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren liege nicht vor. Zum einen habe sich das Gericht an die zugesagten Strafobergrenzen gehalten, zum anderen mache die bloß abstrakte Möglichkeit, dass die Beschwerdeführer bei ordnungsgemäßer Belehrung von der Verständigung insgesamt Abstand genommen hätten, das Verfahren nicht unfair. § 257c StPO verletze weder das Schuldprinzip noch den Legalitätsgrundsatz. Die nunmehr gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, ein Ermittlungs- oder Strafverfahren durch Einräumung von inneren und äußeren Umständen im Rahmen einer Verständigung abzukürzen, werde der Tatsache gerecht, dass dem Angeklagten aufgrund seiner Subjektqualität auch zugetraut werden müsse, Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Außerdem lasse § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO die Amtsaufklärungspflicht unberührt. 

3. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Vorsitzenden des 1., 3., 4. und 5. Strafsenats vorgelegt. 

a) Der Vorsitzende des 1. Strafsenats führt aus, eine frühe Einbeziehung des Angeklagten und seines Verteidigers in die Überlegungen zur Strafzumessung bis hin zu einer Verständigung stärke die Stellung des Angeklagten als Subjekt. An der Bedeutung eines Geständnisses für die Strafzumessung habe sich durch § 257c StPO nichts geändert. Seien die zur Wahrheitsfindung erforderlichen Tatsachen nach Überzeugung des Gerichts durch ein Geständnis umfassend erwiesen, komme einer weiteren Beweisaufnahme keine Bedeutung mehr zu. Sie werde von § 244 Abs. 2 StPO nicht gefordert und sei zur Vermeidung unnötiger Belastung des Angeklagten, der Tatopfer sowie zum effektiven Einsatz der Ressource Recht zu vermeiden. Eine überdurchschnittliche Fehlerquote könne der Senat bei dem Verständigungsverfahren gemäß § 257c StPO nicht konstatieren. Von den im Jahr 2011 beim 1. Strafsenat anhängig gewordenen 650 Revisionsverfahren habe dem Urteil nur in 34 Fällen (ca. 5 %) eine Verständigung zugrunde gelegen. Nur in drei Fällen habe es Anlass zu Kritik gegeben: In zwei Fällen habe eine unzulässige Vereinbarung über den Schuldspruch vorgelegen, im dritten Fall eine unvertretbare Nichtberücksichtigung eines besonders schweren Falles. 

b) Die Vorsitzenden des 3. und 4. Strafsenats verweisen auf Entscheidungen ihrer Senate. Der Vorsitzende des 5. Strafsenats verweist ebenfalls auf Entscheidungen seines Senats und teilt mit, die von seinem Strafsenat bislang entschiedenen Fälle ließen aus seiner Sicht noch keine generelle Beurteilung der Normanwendung durch die Tatgerichte aus der in diesem Bereich ohnehin eingeschränkten Sicht des Revisionsgerichts zu. Der Senat hege bislang keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 257c StPO.
 
4. Der Generalbundesanwalt hält § 257c StPO für grundsätzlich verfassungskonform. Die Norm ersetze nicht die bisherige Struktur des Strafprozesses durch ein adversatorisches Verfahren, sondern füge sich entsprechend dem Willen des Gesetzgebers in das bestehende System ein. Sie verletze weder das Schuldprinzip noch das Recht auf ein faires Verfahren. Die Unschuldsvermutung und die Selbstbelastungsfreiheit blieben ebenso unangetastet wie der Gleichheitssatz. Zwar führe die gesetzliche Zulassung von Verständigungen zu Spannungen mit zahlreichen Verfahrensmaximen des Strafprozesses. In Anbetracht des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers folge hieraus aber nicht die Verfassungswidrigkeit der Norm. Erheblich für die Verfassungsmäßigkeit der Verständigung spreche, dass sie besonders geeignet sei, den - in seiner Bedeutung im Verhältnis zum Ideal der Wahrheitsfindung zuletzt deutlich aufgewerteten - Zweck der Herstellung von Rechtsfrieden zu erreichen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Verständigung auch auf einer angemessenen Einbeziehung und Interessenwahrung des Opfers beruhe. Eine Legitimation der Verständigung lasse sich teilweise auch aus dem Prinzip der Disponibilität von Rechten ableiten. Die Rechtsordnung gewähre dem Angeklagten in weitem Umfang die Möglichkeit, auf Verfahrensrechte zu verzichten und die Art seines Verteidigungsverhaltens autonom zu bestimmen. Anführen lasse sich für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Verständigungen ferner, dass diese Erledigungsart auf dem durchweg als modern und zeitgemäß empfundenen Gebot eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils aufbaue. 

Ungeachtet dessen entfalte die gesetzliche Verankerung der Verständigung eine erhebliche Sogwirkung in Richtung auf strukturelle Veränderungen des Strafprozesses. Die Anerkennung und Ausbreitung quasi-vertraglicher Erledigungsformen habe sich in mehreren Stufen mit bislang ungebrochen expansiver Tendenz vollzogen. Rechtsprechung und Gesetzgebung hätten die normative Kraft des Faktischen nur nachholend bestätigen können, wobei gegenläufige, auf eine Kanalisierung der Verständigungspraxis gerichtete Bestrebungen bislang nicht in der Lage gewesen seien, die Dynamik der Entwicklung aufzuhalten. Ein wesentliches Motiv für die gewachsene Zahl von Verständigungen sei die in den vergangenen Jahrzehnten gestiegene Arbeitsbelastung der Justiz, mit der deren sachliche und personelle Ausstattung nicht Schritt gehalten habe. Angesichts dessen beziehe die Verständigung als Gegenmodell zur Durchführung einer aufwendigen streitigen Hauptverhandlung einen wesentlichen Teil ihrer Attraktivität aus der Möglichkeit für alle Beteiligten, das Verfahren drastisch abzukürzen, es möglichst weiterer rechtlicher Kontrolle zu entziehen und so über die Einsparung von Arbeitsaufwand im konkreten Fall die jeweiligen Erledigungsquoten - beim Verteidiger zudem mit positiven ökonomischen Folgen - zu erhöhen. 

Zur Sicherung der Verfassungskonformität sei daher einer weiteren Expansion von Formen der Verständigung im Strafprozess Einhalt zu gebieten. Dieser Erledigungsart könne im strafprozessualen System nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine ergänzende Funktion zukommen. Sie dürfe nicht zum Regelfall des Strafverfahrens werden. Um den mit ihr verbundenen mittelbaren Gefährdungen verfassungsrechtlich geschützter Verfahrensprinzipien auf Dauer entgegenzuwirken, bedürften Anwendungsbereich und Voraussetzungen des § 257c StPO in Fortführung bereits vorhandener Ansätze in der fachgerichtlichen Rechtsprechung einer einschränkenden Auslegung. Ferner seien die im Gesetz angelegten Restriktionspotenziale über die bisherige Rechtsanwendung hinaus weiter auszuschöpfen und weitere flankierende Maßnahmen geboten. 

Vor diesem Hintergrund hält der Generalbundesanwalt die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Beruhensprüfung hinsichtlich des Belehrungsmangels sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. erachtet der Generalbundesanwalt dagegen auf der Grundlage der von ihm als notwendig erachteten verfassungskonformen Auslegung des § 257c StPOals nicht aussichtslos. Es fehle bereits an der plausiblen Darlegung der Eignung des Falles für eine Verständigung, auf die die Strafkammer vorschnell ausgewichen sei. Zudem habe das Landgericht das erkennbar auf eine reine Bestätigung der Anklage beschränkte Geständnis keiner weiteren Überprüfung unterzogen. Schließlich gehe die Verständigung auf ein verfassungsrechtlich bedenkliches Aufzeigen von Alternativstrafen zurück. 

5. Der Senat hat ferner Stellungnahmen des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer eingeholt. 
a) Der Deutsche Richterbund vertritt die Auffassung, das Verständigungsgesetz habe zwar einen erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit gebracht; gleichwohl habe sich die gesetzliche Regelung aus Sicht der Praxis nicht uneingeschränkt bewährt. Das Risiko, dass eine Verständigung auch und gerade wegen des erwünschten Beschleunigungseffekts einen Verzicht auf gründliche und umfassende Sachaufklärung zur Folge haben könne, sei unübersehbar. Die Verkürzung der Hauptverhandlung führe außerdem dazu, dass der - in der Praxis in aller Regel von der Polizei erstellte - schriftliche Inhalt der Akten an Bedeutung gewinne. Die Justiz drohe die gebotene Kontrolle über die polizeilichen Ermittlungsergebnisse zu verlieren. Hinzu komme, dass es für alle Verfahrensbeteiligten verführerisch sei, sich die oft notwendige Erfassung, Auswertung und Beurteilung umfangreicher elektronisch gespeicherter Beweismittel durch eine Verständigung zu ersparen unter Inkaufnahme und im Bewusstsein des Umstandes, dadurch nur einen kleinen Teil des Beweisstoffes zur Kenntnis zu nehmen. Nicht von der Hand zu weisen sei die Gefahr, dass gerade bei Verfahren großen Umfangs das zu einem frühen Zeitpunkt aus echter Reue abgegebene Geständnis im Vergleich zu dem im Hinblick auf eine mögliche Verständigung taktisch zurückgehaltenen Geständnis entwertet werde. Damit verbunden sei die bedenkliche Tendenz, „kleine“, häufig unverteidigte Straftäter härter zu bestrafen, während die Justiz in Großverfahren aus Mangel an Mitteln immer nachgiebiger werde. Die in vielen Ländern unzureichende Personalausstattung der Justiz führe in der Kombination mit weiteren ungünstigen Rahmenbedingungen des deutschen Strafprozesses, deren Verbesserung bislang nicht gelungen sei, immer wieder zu Hauptverhandlungen, die der Öffentlichkeit nicht als dem hohen Gerechtigkeitsanspruch der deutschen Justiz entsprechend vermittelt werden könnten. Dadurch leide das Ansehen der Rechtspflege insgesamt. Hinzu komme, dass das Verständigungsverfahren zahlreiche noch offene Probleme aufweise. So würden die Öffentlichkeits- und Protokollierungspflichten teilweise als Belastung empfunden; zugleich würden vielfältige Hinweis- und Fürsorgepflichten des Tatrichters die Handhabung des § 257c StPO erschweren. Auch die umfangreichen Belehrungspflichten des § 257c Abs. 5 StPO hätten sich als wenig praxistauglich erwiesen. Der Ausschluss des Verzichts auf Rechtsmittel stehe im Widerspruch zu der Erwartung der Praxis, mit der ausgehandelten Verständigung eine rasche Rechtskraft des Ergebnisses zu erreichen. Die Verlockung, „es so zu machen wie früher“ und eine unzulässige „informelle“ Absprache außerhalb des § 257c StPO zu treffen, erscheine daher evident. Nicht zu unterschätzen sei zudem die Gefahr, dass sich Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidiger dergestalt an Absprachen gewöhnten, dass die Beendigung des Verfahrens auf diese Weise zum Regelfall werde. Die Warnungen vor einem „schleichend eingeläuteten Systemwechsel“ seien ernst zu nehmen. Dem Zeitgeist folgend versuche der Gesetzgeber, unter dem Deckmantel der Förderung eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils Versäumnisse bei der Ausgestaltung und Praktikabilität des formellen und materiellen Rechts zu kompensieren. Der Gesetzgeber sei jedoch verpflichtet, die prozessualen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass die Justiz ihrem gesetzlichen Strafverfolgungsauftrag gerecht werden könne, ohne sich auf Verhandlungen mit dem Angeklagten zulasten der materiellen Wahrheit und der Gerechtigkeit einlassen zu müssen. Um dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot Genüge zu tun und die Handlungsfähigkeit der Justiz zu gewährleisten, kämen etwa eine Neuordnung des Ablehnungsrechts, die Befristung von Beweisanträgen, eine Neufassung des § 265 Abs. 3 StPO, Erleichterungen bei Beweistransfers aus dem Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung (etwa bei der Einführung von Urkunden) und eine Änderung des § 273 Abs. 3 StPO in Betracht. 

b) Der Deutsche Anwaltverein hält die Anwendung des § 257c StPO durch die Gerichte in den Ausgangsverfahren für verfassungswidrig und die Verfassungsbeschwerden daher für begründet. Insbesondere verstoße die Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO gegen das Recht auf ein faires Verfahren, da bei fehlender Belehrung die Willensfreiheit des Angeklagten im Zeitpunkt der Entscheidung über den Abschluss der Verständigung nicht gegeben sei. Zudem bestünden an der Verfassungsmäßigkeit des § 257c StPO erhebliche Zweifel. Der Aufklärungsgrundsatz und das Schuldprinzip stünden dem mit § 257c StPO verfolgten Ziel einer Verfahrensverkürzung und -vereinfachung strukturell entgegen. Eine „Bändigung der Verständigung“ sei durch die gesetzliche Regelung nicht geglückt. Dieser Befund werde durch Erfahrungsberichte von Mitgliedern des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins bestätigt. In einem Fall habe etwa der Vorsitzende einer Strafkammer im Gespräch mit dem Verteidiger geäußert, dass das Urteil, das aufgrund der Verständigung zustande kommen sollte, einer revisionsgerichtlichen Überprüfung vermutlich nicht standhalten würde. Dieses Risiko würde er aber eingehen, weil er davon ausgehe, dass sich alle Beteiligten an die Verständigung halten und daher keine Revision eingelegt werde. In einem anderen Fall habe die Kammer für die Abgabe umfassender Geständnisse im Sinne der Anklage eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich in Aussicht gestellt, obwohl sich der Sachverhalt in der Hauptverhandlung anders dargestellt habe. Da für die Angeklagten die Freiheit wichtiger gewesen sei als die Wahrheit, seien entsprechende, die Anklage bestätigende Geständnisse abgegeben worden. Die Gefahr falscher Geständnisse habe durch das Verständigungsgesetz eher zugenommen. Benachteiligt werde der Angeklagte, der schon früh im Ermittlungsverfahren gestanden habe, da er für eine Verständigung nichts mehr anzubieten habe. Die Förmlichkeiten und Beschränkungen des gesetzlich vorgesehenen Verständigungsverfahrens würden in der Praxis überwiegend umgangen. Die Revisionsgerichte ließen die Möglichkeiten zur „Domestizierung“ der Verständigung ungenutzt. 

c) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält § 257c StPO für verfassungsgemäß. Die Vorschrift stehe im Spannungsverhältnis zwischen den Verpflichtungen zur Ermittlung des wahren Sachverhalts und zur Bestimmung der schuldangemessenen Strafe als Elementen des Schuldprinzips, dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem Gebot wirksamer Strafrechtspflege. Die gesetzliche Regelung sei ausgerichtet auf einen praktisch konkordanten Ausgleich zwischen diesen Grundsätzen. Sie schaffe im Vergleich zur früheren Rechtslage ein beträchtliches Maß an Rechtssicherheit. Tragende Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens seien nicht verletzt. Dies gelte insbesondere für den Amtsermittlungsgrundsatz, die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit und das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung. Das generell mit der Verurteilung auf der Grundlage eines Geständnisses verbundene Risiko eines Fehlurteils werde durch die gesetzlichen Verständigungsregelungen nicht signifikant erhöht. Dass der Bundesgerichtshof dazu neige, bei Verstößen gegen die formellen Voraussetzungen einer Verständigung, namentlich die Dokumentations-, Mitteilungs- und Belehrungspflichten, ein Beruhen des Urteils auszuschließen, sei der vom Gesetzgeber angestrebten Transparenz des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens allerdings nicht förderlich. Die Eindämmung „informeller“ Absprachen werde dadurch erschwert. Im Ergebnis sei ein struktureller Mangel des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren derzeit nicht erkennbar. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die unterbliebene Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO habe das Verfahren nicht insgesamt unfair gemacht, da das Gericht letztlich von der Verständigung nicht abgewichen sei. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. hält die Bundesrechtsanwaltskammer dagegen für begründet. Insbesondere habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es sich mit einem Formalgeständnis begnügt habe. Zudem sei dem Geständnis ein Aufzeigen von Alternativstrafen vorausgegangen. Dies stelle einen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar. 

V. 

Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. Altenhain, Universitätsprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, mit der Durchführung einer repräsentativen empirischen Untersuchung zur Praxis der Verständigung im Strafverfahren beauftragt. Zu diesem Zweck hat der Sachverständige im Zeitraum zwischen dem 17. April und 24. August 2012 insgesamt 190 mit Strafsachen befasste Richterinnen und Richter des Landes Nordrhein-Westfalen befragt, von denen 117 als Strafrichter oder Vorsitzende eines Schöffengerichts und 73 als Vorsitzende einer Strafkammer tätig waren. Als Kontrollgruppe wurden daneben 68 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie 76 Fachanwältinnen und Fachanwälte für Strafrecht befragt. 

Nach Einschätzung der befragten Richter wurden im Kalenderjahr 2011 17,9 % der Strafverfahren an Amtsgerichten und 23 % der Strafverfahren an Landgerichten durch Absprachen erledigt. Auf die Frage, in wieviel Prozent der Fälle nach ihrer Einschätzung in der gerichtlichen Praxis die gesetzlichen Vorschriften zur Verständigung verletzt würde, gaben etwas mehr als die Hälfte der Richter an, dass dies in mehr als der Hälfte aller Verfahren mit Absprachen der Fall sein dürfte. So gaben 58,9 % der befragten Richter an, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen „informell“, also ohne Anwendung des § 257c StPOdurchgeführt zu haben, 26,7 % gaben an, immer so vorgegangen zu sein. 33 % der befragten Richter gaben an, außerhalb der Hauptverhandlung Absprachen geführt zu haben, ohne dass dies in der Hauptverhandlung offengelegt wurde, während 41,8 % der Staatsanwälte und 74,7 % der Verteidiger angaben, dies schon erlebt zu haben. Die Offenlegungspflicht wird von einem nicht unbeachtlichen Teil der Richter als überflüssiger Formalismus empfunden. Die Regelung zum sogenannten Negativattest (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO) bleibt in der Praxis oft unbeachtet. 54,4 % der befragten Richter gaben an, eine nicht erfolgte Verständigung für im Protokoll nicht erwähnenswert zu halten. 46,7 % der befragten Richter weisen entgegen § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO nicht in den Urteilsgründen auf eine dem Urteil vorausgegangene Verständigung hin. Sehr häufiger Inhalt von Absprachen ist die Einstellung beziehungsweise Beschränkung des Verfahrens nach §§ 154, 154a StPO; in diesem Zusammenhang wird auch die Einstellung anderer, nicht in die Anklage einbezogener Verfahren im Rahmen sogenannter „Gesamtlösungen“ immer wieder thematisiert. (Im Rahmen einer von G. Schöch durchgeführten anonymisierten empirischen Erhebung zur Absprachepraxis in München sind sogar „Familienlösungen“ bekanntgeworden, bei denen etwa der Mann eine höhere Freiheitsstrafe erhält und im Gegenzug die Frau eine Bewährungsstrafe, um zu Hause die Kinder versorgen zu können, oder die zukünftigen Strafen von Familienangehörigen in anderen Verfahren gleich mit abgesprochen werden [vgl. G. Schöch, Urteilsabsprachen in der Strafrechtspraxis, 2007, S. 147]). Teilweise werden ausweislich der Studie von Prof. Dr. Altenhain durch § 257c Abs. 2 StPO ausdrücklich ausgeschlossene Inhalte wie etwa der Schuldspruch in die Absprache aufgenommen. Während 61,7 % der Richter angaben, die Glaubhaftigkeit von im Anschluss an eine Absprache abgelegten Geständnissen immer zu überprüfen, räumten 38,3 % der Richter ein, die Glaubhaftigkeit des Geständnisses nicht immer, sondern nur häufig, manchmal, selten oder nie zu überprüfen. 35,3 % der befragten Richter haben nach eigenem Bekunden dem Angeklagten oder seinem Verteidiger in Verständigungsgesprächen neben der Strafobergrenze beziehungsweise dem bestimmten Strafmaß für den Fall einer Kooperation schon einmal eine zweite Strafe für den Fall einer „streitigen“ Hauptverhandlung genannt, 16 % gaben an, typischerweise so vorzugehen. Die Einlegung eines Rechtsmittels nach einer Absprache ist sehr selten. Nach Auskunft von 27,4 % der Richter wurde sogar bei Verständigungen gemäß § 257c StPO - entgegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO - ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet. Von den Richtern gaben 14,7 % an, dass bei ihnen nach einer Absprache „immer“ auf Rechtsmittel verzichtet werde; bei 56,6 % geschah dies „häufig“ (Staatsanwälte: 5,6 % bzw. 64,8 %; Verteidiger: 5,6 % bzw. 76,1 %). Nicht weniger als 16,4 % der Richter und 30,9 % der Staatsanwälte erklärten, sich im Rahmen einer Absprache schon auf eine ihrer Ansicht nach zu milde Strafe eingelassen zu haben.

Demgegenüber haben sich von den Verteidigern 30,3 % nach eigener Auskunft schon auf eine ihrer Ansicht nach zu hohe Strafe im Wege der Absprache eingelassen. Der „Strafrabatt“ im Anschluss an ein absprachegemäß abgelegtes Geständnis liegt nach Angaben der Befragten zumeist zwischen 25 % und 33,3 % der wahrscheinlich zu erwartenden Strafe nach „streitiger“ Verhandlung. 

VI. 

Mit Beschlüssen vom 22. Mai 2012 und vom 21. Juni 2012 hat die 1. Kammer des Zweiten Senats auf Antrag der sich zu dieser Zeit in Strafhaft befindenden Beschwerdeführer zu I. und II. die Vollstreckung aus den angegriffenen Urteilen des Landgerichts München II bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden, längstens für sechs Monate, einstweilen ausgesetzt. Mit Beschlüssen vom 22. Oktober 2012 und vom 5. Dezember 2012 hat der Senat auf Antrag der Beschwerdeführer zu I. und II. die einstweiligen Anordnungen wiederholt. 

VII. 

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat Prof. Dr. Altenhain zu dessen im Auftrag des Senats angefertigter empirischer Studie über die Praxis der Verständigung im Strafverfahren gehört, zu den Erfahrungen und Einschätzungen bei den Tat- und Revisionsgerichten den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, Generalbundesanwalt Range, Vorsitzenden Richter am Landgericht Marburg Dr. Paul, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hildesheim Pohl, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hamburg Dr. Tully und Vorsitzenden Richter am Landgericht Freiburg im Breisgau i.R. Royen. Prof. Dr. Frisch, Direktor der Abteilung 1 des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, hat sich zum Schuldprinzip und dessen Bedeutung für die Legitimation staatlichen Strafens im Rechtsstaat und die Erfüllung der freiheitssichernden Funktion des Strafrechts sowie zur Vereinbarkeit der Verständigungspraxis und des § 257c StPO mit dem Schuldprinzip geäußert. Die Bevollmächtigten der Beschwerdeführer sowie Vertreter der Bundesregierung, des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer haben ihren schriftlichen Vortrag ergänzt und vertieft. Zur Verfassungsmäßigkeit von Verständigungen im Strafprozess hat ferner ein Vertreter der Neuen Richtervereinigung Stellung genommen. 

B. 

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet, soweit sie sich gegen die angegriffenen Entscheidungen richten; im Übrigen haben sie keinen Erfolg. 

I. 

1. Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz (BVerfGE 123, 267 <413>), der den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrscht. Der Schuldgrundsatz hat Verfassungsrang; er ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert (vgl. BVerfGE 45, 187 <259 f.>; 86, 288 <313>; 95, 96 <140>; 120, 224 <253 f.>; 130, 1 <26>). 
a) Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 123, 267 <413>). Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne (vgl. BVerfGE 95, 96 <140>) sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 80, 367 <378>; 90, 145 <173>; 123, 267 <413>). Die Strafe ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, dass sie - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - auf gerechte Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt. Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 110, 1 <13>). Eine solche strafrechtliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>). 

b) Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes (BVerfGE 20, 323 <331>). Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt (BVerfGE 95, 96 <130>). Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit (vgl. BVerfGE 7, 89 <92>; 7, 194 <196>; 45, 187 <246>; 74, 129 <152>; 122, 248 <272>) und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein (vgl. BVerfGE 84, 90 <121>). Für den Bereich des Strafrechts werden diese rechtsstaatlichen Anliegen auch im Schuldgrundsatz aufgenommen (BVerfGE 95, 96 <130 f.>). Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen Straftatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 25, 269 <286>; 27, 18 <29>; 50, 205 <214 f.>; 120, 224 <241>; stRspr). Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 5 <12>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>; 96, 245 <249>; 109, 133 <171>; 110, 1 <13>; 120, 224 <254>). In diesem Sinne hat die Strafe die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BVerfGE 45, 187 <253 f.>; 109, 133 <173>; 120, 224 <253 f.>). 

2. Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (vgl. BVerfGE 80, 244 <255>; 95, 96 <140>), zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 118, 212 <231>; 122, 248 <270>; 130, 1 <26>). Dem Täter müssen Tat und Schuld prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 <169>; 74, 358 <371>). Bis zum Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 <320>; 74, 358 <371>). 

a) Der Staat ist von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272>; 130, 1 <26>). Der Schutz elementarer Rechtsgüter durch Strafrecht und seine Durchsetzung im Verfahren sind Verfassungsaufgaben (vgl. BVerfGE 107, 104 <118 f.>; 113, 29 <54>). Das erfordert, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten, also schuldangemessenen Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272 f.>; 129, 208 <260>). Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, umfasst auch die Pflicht, die Durchführung eingeleiteter Strafverfahren und die Vollstreckung rechtskräftig erkannter (Freiheits-)Strafen sicherzustellen. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und der Anspruch aller in Strafverfahren Beschuldigten auf Gleichbehandlung erfordern grundsätzlich, dass der Strafanspruch durchgesetzt, also auch eingeleitete Verfahren fortgesetzt und rechtskräftig verhängte Strafen vollstreckt werden (BVerfGE 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>). 

b) Bei alledem darf der Beschuldigte im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht bloßes Objekt des Strafverfahrens sein; ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 65, 171 <174 f.>; 66, 313 <318>). 

aa) Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>). Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Strafverfahren - unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ (vgl. BVerfGE 110, 226 <253>) - in der Rollenverteilung begründete verfahrensspezifische Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung in jeder Beziehung ausgeglichen werden müssten (vgl. BVerfGE 63, 45 <67>; 63, 380 <392 f.>; 122, 248 <272>); vielmehr sind angesichts der besonderen, zur Objektivität verpflichtenden Stellung der Staatsanwaltschaft Differenzierungen möglich. Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; 64, 135 <145 f.>; 122, 248 <272>). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239 <250>; 80, 367 <375>; 122, 248 <272>). Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Strafrechtspflege dienen, verletzen daher nicht schon dann den grundrechtlichen Anspruch auf ein faires Strafverfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Angeklagten oder Beschuldigten dabei eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksameren Strafrechtspflege erfahren (BVerfGE 122, 248 <273>). Das Beschleunigungsgebot ist bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 41, 246 <250>; 63, 45 <68 f.>; 122, 248 <273>), denn unnötige Verfahrensverzögerungen stellen nicht nur die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>) und die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage, sondern beeinträchtigen, da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden kann, auch die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl. BVerfGE 57, 250 <280>; 122, 248 <273>; 130, 1 <27>). 

bb) Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>). Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>; 110, 1 <31>). Er umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfGE 56, 37 <49>; 109, 279 <324>). Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt (vgl. BVerfGE 38, 105 <113>; 56, 37 <43>). Dies setzt voraus, dass er über seine Aussagefreiheit in Kenntnis gesetzt wird. 

cc) Die Unschuldsvermutung hat als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls Verfassungsrang (BVerfGE 74, 358 <371>). Sie verbietet zum einen, im konkreten Strafverfahren ohne prozessordnungsgemäßen - nicht notwendiger Weise rechtskräftigen - Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen, und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor diese dem Verurteilten im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <371>). Als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips enthält die Unschuldsvermutung - wie auch das Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren - allerdings keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dies ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers (BVerfGE 74, 358 <371 f.>; vgl. auch BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 57, 250 <275 f.>; 65, 283 <291>). 

3. Das Grundgesetz gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; 21, 139 <145 f.>; 23, 321 <325>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>). Neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs.1 und 2 GG) ist es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt wird (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 4, 331 <346>; 21, 139 <145>; 27, 312 <322>; 48, 300 <316>; 87, 68 <85>; 103, 111 <140>). Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen „Richter“ und „Gericht“ untrennbar verknüpft (vgl. BVerfGE 4, 331 <346>; 60, 175 <214>; 103, 111 <140>). Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten (BVerfGE 21, 139 <146>; 103, 111 <140>). Das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden Richter (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>), sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt (BVerfGE 21, 139 <146>; 89, 28 <36>). Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters ist zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 37, 57 <65>). 

4. Das im Rechtsstaatsprinzip und dem allgemeinen Freiheitsrecht verankerte Recht auf ein faires Strafverfahren umfasst das Recht des Beschuldigten, sich von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfGE 66, 313 <318 f.>; 110, 226 <253>). Wenngleich das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote enthält, sondern der Konkretisierung durch den Gesetzgeber je nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf, untersagt es jedenfalls eine Ausgestaltung des Strafverfahrens, bei der rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind (BVerfGE 57, 250 <276>; 122, 248 <272>). Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zukommt (vgl. BVerfGE 110, 226 <254>), verbietet es sich, im Strafprozess Verfahrensweisen vorzusehen, die - etwa aufgrund der Schaffung sachwidriger Anreize - erwarten lassen, dass dieses Vertrauen unterlaufen und damit das Recht auf eine effektive Verteidigung entwertet wird. 

II. 

Nach diesen Maßstäben kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung der Verständigung im Strafverfahren nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat Verständigungen im Strafprozess lediglich in einem begrenzten Rahmen zugelassen und sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die bei der gebotenen präzisierenden Auslegung und Anwendung erwarten lassen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Strafprozesses erfüllt werden (1. und 2.). Eine das Verständigungsgesetz in nicht unerheblichem Umfang vernachlässigende Praxis belegt derzeit noch kein verfassungsrechtlich relevantes Regelungsdefizit (3.). Der Gesetzgeber ist allerdings gehalten, die Wirksamkeit der zur Wahrung eines verfassungskonformen Strafverfahrens vorgesehenen Vorkehrungen zu beobachten und erforderlichenfalls erneut über die Zulässigkeit sowie die Bedingungen von Verständigungen zu entscheiden (4.). 

1. Das Verständigungsgesetz statuiert nach dem in seinem Wortlaut und Normgefüge zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers (a) kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell. Vielmehr integriert es die von ihm zugelassene Verständigung mit dem Ziel in das geltende Strafprozessrechtssystem, weiterhin ein der Erforschung der materiellen Wahrheit und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass eine Verständigung als solche niemals alleinige Urteilsgrundlage sein kann, sondern das Gericht weiterhin an die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Amtsaufklärungspflicht gebunden ist und die rechtliche Würdigung nicht der Disposition der Beteiligten an einer Verständigung unterliegt (b). Das Verständigungsgesetz regelt die Zulässigkeit einer Verständigung im Strafverfahren abschließend; es untersagt damit die beschönigend als „informell“ bezeichneten Vorgehensweisen bei einer Verständigung (c). Der Gesetzgeber hat sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die eine vollständige Transparenz und Dokumentation des zu einer Verständigung führenden Geschehens sicherstellen und so die vom Gesetzgeber als erforderlich bewertete vollumfängliche Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht ermöglichen sollen (d). Schließlich gewährleistet das Gesetz über eine Einschränkung der Bindungswirkung einer Verständigung die Neutralität des Gerichts und sieht mit der Pflicht zur Belehrung des Angeklagten über diese Einschränkung eine dessen Belangen dienende Sicherung vor (e). 

a) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <130 f.>; 105, 135 <157>; stRspr). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 105, 135 <157>). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122, 248 <283> - abw. M.). Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall - auch unter gewandelten Bedingungen - möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.>). In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 <24> m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248 <284> - abw. M.).  

b) Der Gesetzgeber hat eine gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren als notwendig erachtet, weil das in der Praxis entstandene und dort bedeutsame, aber stets umstritten gebliebene Institut der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung dringend klarer gesetzlicher Vorgaben bedürfe. Dabei war dem Gesetzgeber bewusst, dass sich auf das Urteil bezogene Verständigungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten nicht ohne Weiteres mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Strafverfahren, insbesondere hinsichtlich der Erforschung der materiellen Wahrheit, der Schuldangemessenheit der Strafe und der Verfahrensfairness, würden in Einklang bringen lassen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1). Dementsprechend war es ausdrücklich sein zentrales Ziel, die Verständigung in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werdenden Weise in das geltende Strafverfahrensrecht zu integrieren, ohne die den Strafprozess dominierenden Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung anzutasten. Die Auslegung und Anwendung des Verständigungsgesetzes hat sich zuvörderst an diesem gesetzgeberischen Konzept zu orientieren. Das gilt auch für das Bundesverfassungsgericht, das dann, wenn eine präzisierende Auslegung eines Gesetzes möglich ist, diese seiner Prüfung zugrunde zu legen hat (vgl. zur Bestimmtheit von Strafnormen BVerfGE 126, 170 <196 f.>; siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2012 - 1 BvR 1509/10 -). Der Gesetzgeber wollte zwar eine offene, kommunikative Verhandlungsführung des Gerichts stärken, aber gerade kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell einführen. Vielmehr war es sein erklärtes Regelungsziel, weiterhin ein Strafverfahren sicherzustellen, das dem fundamentalen und verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Wahrheitsermittlung sowie der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtet ist (vgl. dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.), weshalb auch in der Verständigungssituation das Maß der Schuldangemessenheit weder über- noch unterschritten werden darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <594>, und vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 44). Um diese Aufgabenstellung zu verwirklichen, hat der Gesetzgeber nicht nur den zulässigen Inhalt von Verständigungen und das Verständigungsverfahren „umfassend“ normieren wollen, sondern einen Schwerpunkt seines Regelungskonzepts in der Herstellung von Transparenz, Öffentlichkeit und einer vollständigen Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens gesehen, die wiederum die von ihm als erforderlich bewertete „vollumfängliche“ Rechtsmittelkontrolle ermöglichen und wirksam ausgestalten soll (vgl. nur Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f., 12, 15, sowie Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Das Verlangen nach umfassender Transparenz des Verständigungsgeschehens kennzeichnet die gesetzliche Regelung insgesamt (ebenso BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 -, NStZ 2012, S. 347 <348>, und Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 StR 349/11 -, StV 2012, S. 649 <652>). Hiernach muss sich eine Verständigung unter allen Umständen „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (BTDrucks 16/12310, S. 12). 

aa) Als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, Möglichkeiten einer Verständigung in das geltende Strafprozessrechtssystem zu integrieren, ist vor allem die Klarstellung des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zu verstehen, die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen bleibe „unberührt“. Der Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO ist eindeutig; die Norm schließt jede Disposition über Gegenstand und Umfang der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Pflicht zur Aufklärung des mit der Anklage vorgeworfenen Geschehens aus. Damit wird hervorgehoben, dass eine Verständigung niemals als solche die Grundlage eines Urteils bilden kann, sondern weiterhin allein und ausschließlich die - ausreichend fundierte - Überzeugung des Gerichts von dem von ihm festzustellenden Sachverhalt maßgeblich bleibt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13). Dem Gesetzgeber waren die Besonderheiten des aufgrund einer Verständigung abgegebenen Geständnisses, insbesondere dessen erhöhte Fehleranfälligkeit infolge der Anreiz- und Verlockungssituation, in der sich der Angeklagte wie auch sein Verteidiger befinden können, und demzufolge die Gefahr von „Falschgeständnissen“, bewusst, und er hat deshalb die Geltung der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO ausdrücklich klargestellt. Dementsprechend bleibt das nach § 244 Abs. 2 StPO erforderliche Maß an Beweiserhebung stets insoweit unberührt, als ein wirksamer Verzicht auf (weitere) Beweisanträge und Beweiserhebungen sich nicht außerhalb dessen bewegen kann, was durch die unverändert geltende Sachaufklärungspflicht des Gerichtes bestimmt ist (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; siehe auch BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - 3 StR 285/11 -, StV 2012, S. 653 <654>; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11 -, juris, Rn. 5). 

Die Regelung des § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO, nach der die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist, baut auf der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO auf und bestätigt die dargelegte Grundentscheidung des Gesetzgebers. Entsprechendes gilt für das die Zulässigkeit von Verständigungen nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPObeschränkende Kriterium der „geeigneten Fälle“, mit dem der Gesetzgeber nicht nur die Anwendung der Verständigung im Jugendstrafverfahren mit Blick auf den dieses beherrschenden Erziehungsgedanken einschränken, sondern vor allem auch sicherstellen wollte, dass das Gericht nicht vorschnell auf eine Verständigung ausweicht, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich und rechtlich überprüft zu haben (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 10, 13; siehe auch BGHSt 50, 40 <49>, sowie BGH, Beschlüsse vom 20. April 2004 - 5 StR 11/04 -, juris, Rn. 14 ff., und vom 9. Juni 2004 - 5 StR 579/03 -, juris, Rn. 13 ff.). 

Aufgrund des klarstellenden Hinweises auf § 244 Abs. 2 StPO durch § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO bedurfte es auch keiner zusätzlichen ausdrücklichen Festlegung der an ein Geständnis zu stellenden „Qualitätsanforderungen“. Vielmehr genügt dieser Hinweis, um einerseits zu verdeutlichen, dass auch in der Verständigungssituation ein bloßes inhaltsleeres Formalgeständnis - vor allem, wenn die Beantwortung von Fragen zum Sachverhalt verweigert wird - oder gar die nicht einmal ein Geständnis darstellende schlichte Erklärung, der Anklage nicht entgegenzutreten, allein keine taugliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein können. Andererseits hat es der Gesetzgeber damit den Gerichten ermöglicht, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. 

Vor dem Hintergrund des Regelungsziels, die Grundsätze der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts und der richterlichen Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen, kann § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zudem nur so verstanden werden, dass das verständigungsbasierte Geständnis zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen ist. Diese Überprüfung hat sich - unter zusätzlicher Berücksichtigung des Grundanliegens des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen - durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO) zu vollziehen. Freilich kann dies nicht bedeuten, dass die Überprüfung eines verständigungsbasierten Geständnisses strengeren Anforderungen unterliegt als sie an eine Beweisaufnahme in der nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung nach Abgabe eines Geständnisses zu stellen wären; so bleiben etwa Vorhalte oder das Selbstleseverfahren nach den allgemeinen Regeln möglich. Es genügt jedoch nicht, das verständigungsbasierte Geständnis durch einen bloßen Abgleich mit der Aktenlage zu überprüfen (anders noch BGHSt 50, 40 <49>, in diese Richtung auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387 f.>), da dies keine hinreichende Grundlage für die erforderliche Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) darstellt und mit einem solchen Verständnis dem Transparenzanliegen des Verständigungsgesetzes und der Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle verständigungsbasierter Urteile gerade nicht Rechnung getragen werden könnte. 

Dieses Verständnis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass hiernach der Raum für Verständigungen - insbesondere mit Blick auf das Ausmaß der ermöglichten Verfahrensabkürzung - spürbar eingeengt wird. Diese Wirkung ist nicht etwa Ausdruck einer unauflösbaren inneren Widersprüchlichkeit der Norm, sondern achtet das ausdrückliche Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung mit den Grundsätzen der Amtsaufklärung nach § 244 Abs. 2 StPO und der richterlichen Überzeugungsbildung in Einklang zu bringen. Die Beschränkung des praktischen Anwendungsbereichs von Verständigungen ist die zwangsläufige Konsequenz der Einfügung von Verständigungsmöglichkeiten in das System des geltenden Strafprozessrechts. 

bb) Nach dem Regelungsziel des Gesetzgebers, weiterhin ein der Wahrheitserforschung und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen, bleiben nicht nur die tatsächlichen Feststellungen, sondern auch deren rechtliche Würdigung der Disposition der an einer Verständigung Beteiligten entzogen (ebenso BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - 4 StR 623/11 -, juris, Rn. 16). Unmittelbaren Ausdruck findet das gesetzliche Regelungsanliegen in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO, der den zulässigen Gegenstand von Verständigungen ausdrücklich auf die „Rechtsfolgen“ beschränkt, ferner in dem von § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO ausgesprochenen Verbot einer Verständigung über den Schuldspruch und dem Wegfall der Bindungswirkung einer Verständigung unter den Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO

Aus § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO folgt unter Berücksichtigung der Systematik und von Sinn und Zweck des gesetzlichen Regelungskonzepts insbesondere, dass eine Strafrahmenverschiebung nicht Gegenstand einer Verständigung sein darf, und zwar auch dann nicht, wenn sie sich auf Sonderstrafrahmen für besonders schwere oder minder schwere Fälle im Vergleich zum Regelstrafrahmen bezieht. Zwar handelt es sich bei diesen Sonderstrafrahmen nach herrschender Meinung (vgl. BGHSt 23, 254 <256>; 26, 104 <105>; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, Vor §§ 38 ff., Rn. 47; Theune, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, Vor §§ 46 ff. Rn. 18) um gesetzliche Strafzumessungsregeln, die mit Ausnahme von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht in den Urteilstenor aufzunehmen sind. Allerdings weist die Regelungstechnik der besonders schweren und minder schweren Fälle eine spezifische Nähe zu Qualifikations- und Privilegierungstatbeständen auf. Wesentliche Unterschiede zwischen diesen Regelungsbereichen sind im Hinblick auf die Schuldangemessenheit des Strafens nicht zu erkennen. So werden die Regelbeispiele besonders schwerer Fälle als „tatbestandsähnlich“ angesehen (vgl. BGHSt 33, 370 <374>; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1997 - 5 StR 328/97 -, NStZ 1998, S. 91 <92>; Urteil vom 7. August 2001 - 1 StR 470/00 -, NStZ 2001, S. 642 <643>; Beschluss vom 28. Juli 2010 - 1 StR 332/10 -, NStZ 2011, S. 167). Die Regelungstechnik unterfällt auch dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 45, 363 <371>) sowie dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 2004 - 3 StR 113/04-, NStZ-RR 2004, S. 262, und vom 20. Juli 2004 - 3 StR 231/04 -, NStZ-RR 2005, S. 373 <374>). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Fall besonders schwer, wenn er sich nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt vorkommender Fälle so abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (vgl. BGHSt 28, 318, <319 f.>; BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 - 3 StR 145/91 -, NStZ 1991, S. 529 <530>); für das Vorliegen eines minder schweren Falls ist zu prüfen, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maß abweicht, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2000 - 5 StR 349/00 -, NJW 2000, S. 3580; Urteil vom 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02 -, NJW 2003, S. 1679 <1680>; Beschluss vom 26. August 2008 - 3 StR 316/08 -, NStZ 2009, S. 37). Auch die Sonderstrafrahmen sind daher - wie jeder Strafrahmen - Ausdruck des Unwert- und Schuldgehalts, den der Gesetzgeber einem unter Strafe gestellten Verhalten beigemessen hat. Mit der Normierung von Sonderstrafrahmen bringt der Gesetzgeber - nicht anders als bei Qualifikationen und Privilegierungen - zum Ausdruck, innerhalb eines Deliktstypus eine Differenzierung schon auf der Ebene der Strafrahmenwahl für geboten zu erachten. Bei umfassender Würdigung des dem Verständigungsgesetz zugrundeliegenden Regelungskonzepts kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe diese Bewertung für den Fall einer Verständigung aufgeben und den Begriff der „Rechtsfolge“ in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO auch auf Strafrahmenverschiebungen ausdehnen wollen. 
c) Mit den Vorschriften des Verständigungsgesetzes hat die Zulassung von Verständigungen im Strafverfahren eine abschließende Regelung erfahren. Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende sogenannte informelle Absprachen sind unzulässig. 

aa) Bereits aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO, der Verständigungen nur „nach Maßgabe der folgenden Absätze“ zulässt, folgt, dass jegliche sonstigen „informellen“ Absprachen, Vereinbarungen und „Gentlemen‘s Agreements“ untersagt sind. Damit wird das Ziel der gesetzlichen Regelung, der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung durch ein „umfassendes und differenziertes Regelungskonzept“ (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 7 f., 9) klare Vorgaben zu setzen, verwirklicht. Hätte die Regelung keinen abschließenden Charakter, könnten die vom Gesetzgeber als erforderlich erachteten flankierenden Vorschriften, die Transparenz und Öffentlichkeit des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens sichern, die ihnen zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle von Verständigungen zugedachte Funktion von vornherein nicht wirksam erfüllen. Hierin liegt aber gerade ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers. So ist im Gesetzgebungsverfahren die in der Stellungnahme des Bundesrats kritisierte Regelung des sogenannten „Negativattests“ in § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO mit dem Argument verteidigt worden, dass mit ihrer Streichung „eine wichtige Regelung entfiele, die dazu dienen soll, mit höchst möglicher Gewissheit und in der Revision überprüfbar das Geschehen in der Hauptverhandlung zu dokumentieren und auszuschließen, dass ‚stillschweigend‘ und ohne Beachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten eine Verständigung stattgefunden hat“ (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Schließlich findet sich in dem Anliegen, eine „vollumfängliche“ Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht zu gewährleisten, eine Bestätigung des abschließenden Charakters des gesetzlichen Regelungskonzepts. Diese Kontrolle soll nämlich gerade „einen unterstützenden Beitrag dazu leisten, dass Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). 

In Anbetracht der strikten Bindung jeglicher Ausübung hoheitlicher Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) bedurfte die Absicht des Gesetzgebers, nur solche Verständigungen zuzulassen, die sich innerhalb des vom Gesetz gezogenen Rahmens bewegen, keiner weiteren ausdrücklichen Hervorhebung. 

bb) Aus dem gesetzlichen Regelungskonzept zum Inhalt, zum Zustandekommen und zu den Folgen einer Verständigung folgt unter anderem, dass ein wirksamer Rechtsmittelverzicht auch dann ausgeschlossen ist, wenn sich die Beteiligten unter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften verständigt haben (vgl. dazu bereits BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. März 2012 - 2 BvR 1464/11 -, juris, Rn. 21 ff.; ebenso etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 <2630>; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <393>). Eine solche Verständigung unterliegt zudem der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO. Sollte in letzterem Fall ein Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO erteilt werden, wäre dieses falsch und könnte den Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) erfüllen. 

cc) Ebenso wenig können etwaige Zusagen der Staatsanwaltschaft, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren - etwa nach § 154 Abs. 1 StPO - einzustellen, eine Bindungswirkung oder ein schutzwürdiges Vertrauen auslösen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; anders noch zur Rechtslage vor dem Verständigungsgesetz BGHSt 37, 10 <13 f.>). Aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 und 2 StPO folgt, dass sich Verständigungen ausschließlich auf das „zugrundeliegende Erkenntnisverfahren“ beziehen dürfen, also sogenannte „Gesamtlösungen“ unter Einbeziehung anderer Verfahren und nicht in der Kompetenz des Gerichts liegende Zusagen unzulässig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 2 StR 354/10 -, wistra 2011, S. 28; siehe auch Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 34; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387>). Nur dieses Verständnis entspricht dem Ziel des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen. Bei Einbeziehung anderer, nicht den Gegenstand der Hauptverhandlung bildender Verfahren ist insoweit eine wirksame Kontrolle der Verständigung - insbesondere durch die Öffentlichkeit - nicht gewährleistet. 

d) Einen Schwerpunkt des Regelungskonzeptes des Verständigungsgesetzes bildet die Gewährleistung der vom Gesetzgeber ausdrücklich als „erforderlich“ bewerteten Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens als Voraussetzung einer effektiven Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.). Zur Erreichung dieses Ziels hat der Gesetzgeber spezifische, das Regelungskonzept prägende Schutzmechanismen vorgesehen. 

aa) In der Konzeption des Gesetzgebers kommt der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung eine zentrale Bedeutung zu. Mit dem Gebot, die mit einer Verständigung verbundenen Vorgänge umfassend in die Hauptverhandlung einzubeziehen, gewährleistet der Gesetzgeber nicht nur vollständige Transparenz; er legt zugleich besonderes Gewicht auf die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und bekräftigt damit, dass auch im Fall der Verständigung der Inbegriff der Hauptverhandlung die Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung bleibt (§ 261 StPO). 
(1) (a) Dem Gesetzgeber kam es maßgeblich darauf an, die Transparenz der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gerade im Falle einer Verständigung zu bewahren; die Verständigung müsse sich „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 12). Dementsprechend hat das Verständigungsgesetz umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten mit Bezug auf die Hauptverhandlung statuiert. Sie zielen darauf, nicht nur die Verständigung selbst, also den formalen Verständigungsakt des § 257c Abs. 3 StPO, sondern darüber hinausgehend auch die zu einer Verständigung führenden Vorgespräche in die Hauptverhandlung einzuführen. Zwar ist nach der Begründung des Regierungsentwurfs die „Vorbereitung“ einer Verständigung auch außerhalb der Hauptverhandlung möglich. Gegenstand einer Erörterung im Vorfeld der Hauptverhandlung kann es danach auch sein, Möglichkeit und Umstände einer Verständigung zu besprechen (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9, 12). Für alle Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung verlangt § 243 Abs. 4 StPO eine Mitteilung deren „wesentlichen Inhalts“. Diese Mitteilung ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO zu protokollieren. Demgegenüber sind hinsichtlich der Verständigung selbst gemäß § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO der wesentliche Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis wiederzugeben. Die Protokollierungspflicht hinsichtlich der Verständigung geht also über die Protokollierung der nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschriebenen Mitteilung hinaus. Dem liegt zugrunde, dass die Verständigung als solche nach § 257c Abs. 1 StPO nur in der Hauptverhandlung erfolgen kann. Die im Vergleich zur Verständigung selbst reduzierte Pflicht zur Dokumentation der Gespräche zur Vorbereitung einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2, § 243 Abs. 4 StPO fügt sich in das vom Gesetzgeber verfolgte Konzept der Stärkung der Transparenz und Dokumentation ein, weil die Verständigung selbst erst in der Hauptverhandlung stattfinden kann und § 273 Abs. 1a Satz 1 StPOdie Dokumentation der wesentlichen Abläufe, des Inhalts und des Ergebnisses dieser Verständigung gebietet. Alle wesentlichen Elemente einer Verständigung, zu denen angesichts des vom Gesetzgeber verfolgten Konzepts auch außerhalb der Hauptverhandlung geführte Vorgespräche zählen, sind zum Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung zu machen und unterliegen der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO

(b) Hinsichtlich des Inhalts möglicher Erörterungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten und der dabei bestehenden Transparenz- und Dokumentationspflichten ist zu unterscheiden: 

(aa) Möglich sind Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, etwa die Abstimmung der Verhandlungstermine. Mangels eines Bezugs auf das Verfahrensergebnis sind diese Gespräche dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen. Sie unterliegen deshalb nicht der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO

(bb) In Betracht kommen weiterhin Gespräche, die als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können und über deren wesentlichen Inhalt deshalb nach § 243 Abs. 4 StPO in der Hauptverhandlung zu informieren ist. Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 12) einer Verständigung im Raum stehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt. Im Zweifel wird in der Hauptverhandlung zu informieren sein. Zum mitzuteilenden Inhalt solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, juris; siehe auch Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a; Altenhain/Haimerl, JZ 2010, S. 327 <336>; Schlothauer/Weider, StV 2009, S. 600 <603>). Fehlt im Hauptverhandlungsprotokoll der nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO vorgeschriebene Hinweis auf eine Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO, ergibt sich daraus lediglich, dass eine solche Mitteilung in der Hauptverhandlung unterblieben ist, nicht aber, dass es keine Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung gegeben hat, weil diese Tatsache nicht von der negativen Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) umfasst ist (a.A. ohne nähere Begründung Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a a.E.). 

(cc) Die Verständigung selbst hat zwingend in der Hauptverhandlung stattzufinden, wo die vom Gesetzgeber verlangte Protokollierung nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO und damit eine Voraussetzung vollumfänglicher Kontrolle gewährleistet ist. Zum „wesentlichen Ablauf und Inhalt“ im Sinne dieser Norm gehört nach Sinn und Zweck der Dokumentationspflicht insbesondere, wer die Anregung zu den Gesprächen gab und welchen Inhalt die einzelnen „Diskussionsbeiträge“ aller Verfahrensbeteiligten sowie der Richter hatten, insbesondere von welchem Sachverhalt sie hierbei ausgingen und welche Ergebnisvorstellungen sie äußerten (vgl. Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 71). 

(2) Darüber hinaus folgt aus dem Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung in das Licht der öffentlichen Hauptverhandlung zu stellen, dass er der Kontrollfunktion der Öffentlichkeit besondere Bedeutung beigemessen hat. 

Der in § 169 GVG niedergelegte Öffentlichkeitsgrundsatz soll eine Kontrolle der Justiz durch die am Verfahren nicht beteiligte Öffentlichkeit ermöglichen und ist Ausdruck der demokratischen Idee. Die mit der Möglichkeit einer Beobachtung der Hauptverhandlung durch die Allgemeinheit verbundene öffentliche Kontrolle der Justiz, die historisch als unverzichtbares Institut zur Verhinderung obrigkeitlicher Willkür eingeführt wurde (vgl. zum Ganzen Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff. m.w.N.), erhält als demokratisches Gebot durch die gesetzliche Zulassung der in eine vertrauliche Atmosphäre drängenden Verständigungen zusätzliches Gewicht. Dem hat der Gesetzgeber durch die Mitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 StPO Rechnung getragen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 12). 
Die Öffentlichkeit kann ihre Kontrollfunktion nur ausüben, wenn sie die Informationen erhält, die zur Beurteilung der Angemessenheit einer etwaigen Verständigung erforderlich sind. Nur so bleibt der gerichtliche Entscheidungsprozess transparent und die Rechtsprechung auch in Verständigungsfällen für die Allgemeinheit durchschaubar. Dies ist notwendig, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten (vgl. zu dieser Aufgabe des Öffentlichkeitsgrundsatzes Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff.) und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren, uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. 

(3) Die Einbeziehung des zu einer Verständigung führenden Geschehens in die öffentliche Hauptverhandlung hat auch die Aufgabe, deren Funktion als alleinige Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung zu wahren. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese Funktion der öffentlichen Hauptverhandlung unberührt bleiben. In den Materialien wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Überzeugung des Gerichts von dem festzustellenden Sachverhalt stets erforderlich bleibt und eine Verständigung als solche niemals die Grundlage eines Urteils bilden kann (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 13). Das Gericht bildet sich seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO). Dieser Grundsatz ist nicht zuletzt im Hinblick auf die während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter ausübenden Schöffen (§§ 30, 77 Abs. 1 GVG) von Bedeutung. Da aus § 257c Abs. 4 StPO folgt, dass der Gesetzgeber der Verständigung eine - wenn auch nur eingeschränkte - Bindungswirkung für das Gericht beigemessen hat, musste er zugleich gewährleisten, dass die Schöffen in das zu einer Verständigung führende Geschehen, soweit es in der Hauptverhandlung stattfindet, unmittelbar eingebunden und im Übrigen nach § 243 Abs. 4 StPO umfassend über dieses unterrichtet sind. Anderenfalls wäre ihnen eine verantwortbare Entscheidung über die Verständigung - insbesondere die damit verbundene Zusage einer Strafobergrenze und Ankündigung einer Strafuntergrenze - und über den Inhalt des nach einer Verständigung oder nach dem Scheitern von Verständigungsbemühungen ergehenden Urteils nicht möglich. Dementsprechend ermöglicht § 257c StPO es ausschließlich „dem Gericht“ - nicht nur dem Vorsitzenden oder nur den Berufsrichtern -, eine Verständigung mit den Verfahrensbeteiligten herbeizuführen. Damit ist es ausgeschlossen, dass ohne eine Beteiligung der Schöffen Strafgrenzen mit der Bindungswirkung des § 257c Abs. 4 StPO in Aussicht gestellt werden. 

bb) Mit dem Erfordernis ihrer Zustimmung zu einer Verständigung weist der Gesetzgeber der Staatsanwaltschaft eine aktive Rolle bei der Verwirklichung seines Ziels zu, eine wirksame Kontrolle von Verständigungen zu gewährleisten. 

Ihr ist die Aufgabe zugewiesen, an der Sicherung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrensablaufs und -ergebnisses mitzuwirken. Mit ihrer Verpflichtung zur Objektivität (§ 160 Abs. 2 StPO) ist sie Garantin für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe; als Vertreterin der Anklage gewährleistet sie eine effektive Strafrechtspflege (vgl. Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2006, Einl. J Rn. 42). Diese Bedeutung der Staatsanwaltschaft ist nicht auf die erstinstanzliche Hauptverhandlung beschränkt, sondern setzt sich in ihrer Aufgabenstellung im Rechtsmittelverfahren fort (vgl. § 296 Abs. 2, § 301 StPO). Ihren Niederschlag hat diese Stellung der Staatsanwaltschaft in den Bestimmungen der Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 und Nr. 147 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) gefunden. 

In der Verständigungssituation kommt der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft herausgehobene Bedeutung zu, weil sich Angeklagter und Gericht hinsichtlich des möglichen Verfahrensergebnisses einer - wenngleich eingeschränkten - Bindung unterwerfen. Die Einbindung der Staatsanwaltschaft in die Verständigung hat damit vor allem den Zweck, deren Gesetzmäßigkeit zu sichern (vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23 f.; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 274/11 -, StV 2011, S. 645 f.; BGH, Urteil vom 9. November 2011 - 1 StR 302/11 -, juris, Rn. 45). Dem Verständigungsgesetz liegt die Erwartung zugrunde, dass die Staatsanwaltschaft - entsprechend ihrer Rolle als „Wächter des Gesetzes“ (vgl. hierzu Promemoria der Staats- und Justiz-Minister von Savigny und Uhden über die Einführung der Staats-Anwaltschaft im Kriminal-Prozesse vom 23. März 1846, abgedruckt bei Otto, Die Preußische Staatsanwaltschaft, 1899, S. 40 ff.) - sich gesetzwidrigen Vorgehensweisen im Zusammenhang mit Verständigungen verweigert. Weisungsgebundenheit und Berichtspflichten ermöglichen es, einheitliche Standards für die Erteilung der Zustimmung zu Verständigungen sowie für die Ausübung der Rechtsmittelbefugnis aufzustellen und durchzusetzen. Die Staatsanwaltschaft ist nicht nur gehalten, ihre Zustimmung zu einer gesetzwidrigen Verständigung zu versagen. Sie hat darüber hinaus gegen Urteile, die - beispielsweise von der Staatsanwaltschaft zunächst unerkannt - auf solchen Verständigungen beruhen, Rechtsmittel einzulegen. In Anbetracht der hohen Bedeutung, die der Gesetzgeber der Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess auch in Verständigungsfällen beigemessen hat, werden Verstöße gegen die Vorgaben des Verständigungsgesetzes in der Regel von wesentlicher Bedeutung (vgl. auch Nr. 147 Abs. 1 Satz 1 RiStBV) und deshalb durch die Staatsanwaltschaft einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zuzuführen sein. Auch kann es angezeigt sein, dass sich die Generalstaatsanwaltschaften dieser Aufgabe in besonderer Weise annehmen. 

cc) Schließlich verfolgen die in dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgesehenen Schutzmechanismen das Ziel, eine wirksame „vollumfängliche“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen. 

(1) Diese Kontrolle soll dazu beitragen, dass „Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). Hiernach verzichtete der Gesetzgeber darauf, nach vorangegangener Verständigung Rechtsmittel auszuschließen oder einzuschränken, um die Verständigung in einer insbesondere mit dem Gebot schuldangemessenen Strafens und der daraus folgenden Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit in Einklang stehenden Weise in das geltende Strafverfahren integrieren zu können (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1 f., 8 f.; siehe auch Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 12). Mit dieser Zielsetzung grenzt sich das Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes ausdrücklich von dem vom Bundesrat vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren (BTDrucks 16/4197) ab, der die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen ein verständigungsbasiertes Urteil durch einen Ausschluss der Berufung sowie eine Beschränkung der Revision auf im Zusammenhang mit der Verständigung stehende Verfahrensfehler und die Revisionsgründe des § 338 StPO wesentlich einschränken wollte (vgl. Gesetzentwurf und Begründung des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 5 f., 7, 11 sowie die Stellungnahme der Bundesregierung, BTDrucks 16/4197, S. 12). Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts nach gesonderter qualifizierter Belehrung hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages verworfen, um sicherzustellen, dass sich die Berechtigten in Ruhe und ohne Druck überlegen können, ob sie Rechtsmittel einlegen wollen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 6, 15 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 16/13095, S. 7, 10). In bewusster Abkehr von den Entwürfen schränkt das Verständigungsgesetz die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen verständigungsbasierte Urteile nicht ein, sondern schließt - über die dem Regelungskonzept weitgehend zugrundeliegende Entscheidung des Großen Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGHSt 50, 40 ff.) hinausgehend - einen Rechtsmittelverzicht nach einer Verständigung generell aus (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO) und sichert die Ermöglichung einer Rechtsmittelkontrolle durch das Erfordernis einer qualifizierten Belehrung noch zusätzlich ab. 

(2) Die Wirksamkeit der Kontrolle soll durch umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten sichergestellt werden. Diese Schutzmechanismen können nicht als bloße Ordnungsvorschriften verstanden werden. Die Gewährleistung einer „vollumfänglichen“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile setzt umfassende Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung sowie eine vollständige Dokumentation im Verhandlungsprotokoll voraus. Dementsprechend kommt im Wortlaut der Normen, in der Systematik des Regelungskonzepts und in den Materialien unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber eine Verständigung nur bei Wahrung der Transparenz- und Dokumentationspflichten für zulässig hält. Das gesetzliche Regelungskonzept ist damit als eine untrennbare Einheit aus Zulassung und inhaltlicher Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten zu begreifen. Dabei dienen die Verfahrensnormen in gleicher Weise wie die den zulässigen Inhalt von Verständigungen beschränkenden Vorschriften und der Verweis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO auf § 244 Abs. 2 StPO dem Ziel, die mit einer urteilsbezogenen Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten verbundenen Risiken für die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess zu minimieren. Die Vorschriften zur Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung, zu dessen Dokumentation und zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle auch durch das Rechtsmittelgericht zählen zum Kern des gesetzlichen Regelungskonzepts. 

(3) Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führt deshalb grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer gleichwohl getroffenen Verständigung. Hält sich das Gericht an eine solche gesetzwidrige Verständigung, wird ein Beruhen des Urteils auf diesem Gesetzesverstoß regelmäßig schon deshalb nicht auszuschließen sein, weil die Verständigung, auf der das Urteil beruht, ihrerseits mit einem Gesetzesverstoß behaftet ist. Diese Auslegung entspricht der Funktion dieser Vorschriften im Konzept des Verständigungsgesetzes. Dass Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung nicht den absoluten Revisionsgründen zugeordnet worden sind, steht einer Auslegung des § 337 Abs. 1 StPO nicht entgegen, derzufolge das Revisionsgericht ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten - die nach dem Willen des Gesetzgebers gerade zum Kern des dem Verständigungsgesetz zugrunde liegenden Schutzkonzepts gehören - nur in besonderen Ausnahmefällen wird ausschließen können (vgl. zur Verletzung von § 258 Abs. 2 und 3 StPOBGHSt 21, 288<290>; 22, 278 <280 f.>). 

(4) Kommt eine Verständigung nicht zustande und fehlt es an der gebotenen Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.) oder dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, wird nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO grundsätzlich ebenfalls nicht auszuschließen sein (str., im Ergebnis wie hier Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <100>; Schlothauer, StV 2011, S. 205 <206>; in der Tendenz auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <390>; anders BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <593> zu § 243 Abs. 4 StPO), sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 - 32 Ss 87/11 -, juris, Rn. 11, 13). Bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich nämlich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle“ Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht.

e) Aus der in § 257c Abs. 4 StPO getroffenen Regelung ergibt sich zwar einerseits, dass das Gericht (nur) an eine nach den Vorgaben des Gesetzes entsprechende Verständigung grundsätzlich gebunden ist. Andererseits stellt die Regelung zugleich klar, dass die Bindungswirkung entfällt, wenn das Gericht nach Zustandekommen der Verständigung zu der Überzeugung gelangt, dass der nach § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht (mehr) tat- und schuldangemessen ist. Die Bestimmung des § 257c Abs. 4 StPO ist somit Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, die richterliche Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen. Mit dem Verwertungsverbot des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ist dort zudem eine dem Schutz des Angeklagten dienende Vorschrift enthalten, der im Vertrauen auf den Bestand einer Verständigung ein Geständnis abgegeben und damit von seinem Recht, sich nicht zur Sache einzulassen, keinen Gebrauch gemacht und der Verurteilung eine Grundlage verschafft hat. Mit dem Ziel, dem Angeklagten überhaupt eine autonome Entscheidung über das für ihn mit einer Mitwirkung an einer Verständigung verbundene Risiko zu ermöglichen, sieht schließlich § 257c Abs. 5 StPO vor, dass der Angeklagte vor der Verständigung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren ist. Hiermit wollte der Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahrens sichern und - wie sein Hinweis auf das Ziel der Ermöglichung einer autonomen Einschätzung (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 15) bestätigt - zugleich die Autonomie des Angeklagten im weiten Umfang schützen. Der Angeklagte sieht sich durch die Aussicht, mit der Verständigung eine das Gericht bindende Zusage einer Strafobergrenze zu erreichen und so Einfluss auf den Verfahrensausgang zu nehmen, einer besonderen Anreiz- und Verlockungssituation ausgesetzt. Der hiermit einhergehenden Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit soll unter anderem durch die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO Rechnung getragen werden. Bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht wird daher im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung regelmäßig davon auszugehen sein, dass das Geständnis und damit auch das Urteil auf dem Unterlassen der Belehrung beruht. Ein Beruhen wird nur dann verneint werden können, wenn sich feststellen lässt, dass der Angeklagte das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte (vgl. zu dem in seiner Bedeutung für die Selbstbelastungsfreiheit ähnlich gelagerten Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPOBGHSt 38, 214<226 f.>). Nur so ist gewährleistet, dass die Schutzfunktion der Belehrungspflicht ihre vorgesehene Wirkung entfaltet. 

2. Das Verständigungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dieses schließt Verständigungen im Strafprozess nicht schlechthin aus (a). Der Gesetzgeber hat ausreichende Vorkehrungen getroffen, um zu gewährleisten, dass sich Verständigungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren halten (b).

a) Verständigungen im Strafprozess berühren die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren (aa), der Gesetzgeber ist aber nicht gehindert, Verständigungen mit den zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit gebotenen Vorkehrungen zuzulassen (bb). 
aa) Der Strafprozess hat das Schuldprinzip zu verwirklichen und darf sich von dem ihm vorgegebenen Ziel der bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit und der Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein unabhängiges und neutrales Gericht nicht entfernen. Das Fehlen eines nicht an den sachlichen Verfahrenszielen orientierten eigenen Interesses des Gerichts am Verfahrensausgang bildet im Zusammenwirken mit seiner Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) die Grundlage für die bestmögliche Ermittlung des wahren Sachverhaltes und die richtige Anwendung des materiellen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt. Dabei trägt das Gebot einer schuldangemessenen Bestrafung auch im Einzelfall dem Verlangen nach Rechtsgleichheit als einem der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate Rechnung. Das Maß der verwirklichten Schuld legitimiert die Differenzierung in den Rechtsfolgen und sichert so zugleich die gebotene Gleichbehandlung der Beschuldigten im Strafverfahren. 
(1) Das verfassungsrechtliche Schuldprinzip steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>). Dies schließt es nicht aus, den Strafverfolgungsbehörden Möglichkeiten zu einem Absehen von der Strafverfolgung zu eröffnen, namentlich in Fällen geringfügiger Kriminalität, in denen der Rechtsfrieden nicht ernsthaft beeinträchtigt und eine Kriminalstrafe zum Schuldausgleich nicht zwingend geboten ist, so dass ein öffentliches Interesse an einem Schuldspruch nicht besteht oder durch die Erfüllung von Auflagen oder/und Weisungen beseitigt werden kann. Solche Ausnahmen dürfen die Geltungskraft des Schuldprinzips nicht in Frage stellen und bedürfen stets einer gesetzlichen Regelung, wie sie der Gesetzgeber etwa in den §§ 153 ff. StPO getroffen hat. Als Ausnahmen von der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sind sie fest zu umgrenzen und bedürfen jeweils einer eigenständigen Legitimation (vgl. zu Beschränkungen der Sachverhaltsaufklärung BVerfGE 33, 367 <382 f.>; 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>; 129, 208 <260>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 - 1 BvR 77/96 -, NStZ 2001, S. 43 <44>). 

(2) Als unerlässliche Voraussetzung der Verwirklichung des Schuldprinzips unterliegt auch die Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit nicht der Disposition des Gesetzgebers. Sie ist das bestimmende Ziel, von dem sich der Strafprozess nicht entfernen darf. Allerdings ist es Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln er die Verwirklichung des Schuldprinzips gewährleistet. Es ist dem Gesetzgeber auch nicht versagt, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze für Fälle einfach gelagerter und eindeutiger Sachverhalte - etwa bei einer sich mit den Ermittlungsergebnissen deckenden geständigen Einlassung schon im Ermittlungsverfahren oder bei einem auf frischer Tat angetroffenen Beschuldigten - ein vereinfachtes Verfahren zur Gewinnung der richterlichen Überzeugung von Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten und der hieraus zu ziehenden Folgen ohne das Erfordernis einer öffentlichen Hauptverhandlung mit ihrer formalisierten Beweisaufnahme einzurichten, wie es die Strafprozessordnung mit dem Strafbefehlsverfahren gemäß § 407 Abs. 1 und 2 StPO vorsieht (vgl. dazu Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, Vor § 407 Rn. 25 f. m.w.N.). Ermöglichen es die in der Akte befindlichen Unterlagen und Beweismittel dem Richter, sich die Überzeugung von der Richtigkeit des dem Angeschuldigten zur Last gelegten Sachverhalts zu bilden, ist eine öffentliche Hauptverhandlung zur Gewinnung einer tragfähigen Grundlage für die Schuldfeststellung, die rechtliche Beurteilung und die Strafzumessung von Verfassungs wegen nicht zwingend geboten, sofern es der Angeschuldigte in der Hand hat, durch einfache Erklärung die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung zu erzwingen (vgl. BVerfGE 25, 158 <164 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Februar 1995 - 2 BvR 1950/94 -, NJW 1995, S. 2545 <2546> und vom 4. Juli 2002 - 2 BvR 2168/00 -, NJW 2002, S. 3534 m.w.N.). 
(3) Das im Grundgesetz verankerte Schuldprinzip und die mit ihm verbundene Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit sowie der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, die Unschuldsvermutung und die Neutralitätspflicht des Gerichts schließen es jedoch aus, die Handhabung der Wahrheitserforschung, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in der Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen soll, zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht muss es untersagt bleiben, im Wege vertragsähnlicher Vereinbarungen mit den Verfahrensbeteiligten über die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit zu verfügen und sich von dem Gebot schuldangemessenen Strafens zu lösen. Es ist Gericht und Staatsanwaltschaft untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen (vgl. schon BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>) und mit dem Angeklagten einen bestimmten Schuldspruch oder auch nur eine konkrete Strafe zu vereinbaren. Der Rechtsanwendungspraxis ist es untersagt, das vom Gesetzgeber normierte Strafverfahren in einer Weise zu gestalten, die auf solche vertragsähnliche Erledigungsformen hinausläuft. 

Demgegenüber steht das Grundgesetz unverbindlichen Erörterungen der Beurteilung der Sach- und Rechtslage zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten nicht entgegen. Eine offene, kommunikative Verhandlungsführung kann der Verfahrensförderung dienlich sein und ist daher heute selbstverständliche Anforderung an eine sachgerechte Prozessleitung. So begegnen etwa Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche Formen der kommunikativen Verhandlungsführung stellen insbesondere nicht die Unvoreingenommenheit des Gerichts in Frage, solange sie transparent bleiben und kein Verfahrensbeteiligter hiervon ausgeschlossen ist. 

bb) Verständigungen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Hauptverhandlung, die dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze zusagen und eine Strafuntergrenze ankündigen, tragen das Risiko in sich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang beachtet werden. Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber in Anbetracht seiner Gestaltungsmacht von Verfassungs wegen nicht schlechthin verwehrt, zur Verfahrensvereinfachung Verständigungen zuzulassen. Er muss jedoch zugleich durch hinreichende Vorkehrungen sicherstellen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt bleiben. Die Wirksamkeit der vorgesehenen Schutzmechanismen hat der Gesetzgeber fortwährend zu überprüfen. Ergibt sich, dass sie unvollständig oder ungeeignet sind, hat er insoweit nachzubessern und erforderlichenfalls seine Entscheidung für die Zulässigkeit strafprozessualer Absprachen zu revidieren (vgl. BVerfGE 110, 141 <158> m.w.N.). 

b) Das Verständigungsgesetz sichert die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in ausreichender Weise. 

aa) Nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO dürfen Gegenstand einer Verständigung nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrunde liegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO schließt den Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung als Gegenstand einer Verständigung aus. Das Verständigungsgesetz entbindet das Gericht auch nicht von der Beachtung der Strafzumessungsregeln, wenn es in § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO das Gericht ermächtigt, bei der Bekanntgabe des möglichen Inhalts einer Verständigung unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe anzugeben. Damit sind nicht nur, wie vom Schuldgrundsatz gefordert, Verständigungen über den Schuldspruch wirksam ausgeschlossen, sondern es ist auch sichergestellt, dass die aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens folgenden Grundsätze der Strafzumessung nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten stehen. Dem Gericht ist es nicht gestattet, im Wege der Verständigung seine Wertungen an die Stelle derjenigen des Strafgesetzgebers zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass eine maßgebliche Bedeutung insoweit den gesetzlichen Strafrahmen zukommt, die mit ihren nach Straftat und Strafhöhe gestaffelten Sanktionen die Abstufung der verschiedenen Straftaten nach ihrem Unrechtsgehalt erst zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 27, 18 <29>). Tatbestand und Rechtsfolge sind wechselseitig aufeinander bezogen und müssen - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - sachgerecht aufeinander abgestimmt sein. Einerseits richtet sich die Strafhöhe nach dem normativ festgelegten Wert des verletzten Rechtsgutes und der Schuld des Täters. Andererseits lässt sich das Gewicht einer Straftat, der ihr in der verbindlichen Wertung des Gesetzgebers beigemessene Unwertgehalt, in aller Regel erst aus der Höhe der angedrohten Strafe entnehmen. Insofern ist auch die Strafandrohung für die Charakterisierung, Bewertung und Auslegung des Straftatbestandes von entscheidender Bedeutung (BVerfGE 25, 269 <286>; 27, 18 <29>). Erst von einer differenzierenden Bewertung des Unwertgehaltes der verschiedenen Straftaten her wird die Abstufung der strafrechtlichen Sanktionen verständlich und sachlich gerechtfertigt (BVerfGE 27, 18 <29>). Innerhalb eines Deliktstypus kommt die differenzierende Bewertung des Unwertgehaltes vor allem durch Qualifikations- und Privilegierungstatbestände zum Ausdruck. Aber auch die Sonderstrafrahmen für besonders schwere und minder schwere Fälle nehmen an dieser Abstufung teil, auch wenn es sich hierbei nach überwiegender Auffassung um Strafzumessungsregeln handelt (Nachweise siehe oben unter B. II. 1. b) bb)). Diese Regelungstechnik ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt (vgl. BVerfGK 14, 177 <182>). Wenn er jedoch mit der Einführung solcher Sonderstrafrahmen zum Ausdruck gebracht hat, eine Differenzierung schon bei der Strafandrohung für erforderlich zu halten, ist diese Bewertung für die Rechtsanwendung bindend. 

bb) Das Verständigungsgesetz wahrt den Schuldgrundsatz auch insoweit, als eine Verfahrensverkürzung um den Preis der Erforschung der materiellen Wahrheit ausgeschlossen ist. Wie dargestellt, enthebt die Möglichkeit einer Verständigung das Gericht nicht von der Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen. Ein Geständnis darf nicht zur „Handelsware“ werden und kann als Grundlage der Zusage einer Strafobergrenze nur akzeptiert werden, wenn es - aus sich heraus oder aufgrund der Beantwortung von Fragen - überprüfbar ist. Das im Zusammenhang mit der Zusage einer Strafobergrenze abgegebene Geständnis in der - die Grundlage der richterlichen Überzeugung über Schuld oder Unschuld und die daran zu knüpfenden Folgen bildenden - Hauptverhandlung ist auf seine Richtigkeit zu überprüfen, denn eine solche Zusage kann den Angeklagten zur Abgabe eines (teilweise) falschen Geständnisses veranlassen. 

cc) Mit den Bestimmungen zum Entfallen der Bindung des Gerichts an eine Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) hat der Gesetzgeber ferner die aus dem Schuldprinzip, der Pflicht des Gerichts zur Erforschung der materiellen Wahrheit und seiner Neutralitätspflicht sowie der Unschuldsvermutung zu ziehenden Konsequenzen für die Grenzen der richterlichen Selbstbindung an gegebene Zusagen konkretisiert. Es ist gewährleistet, dass die der Verständigung beigemessene Bindung entfällt, wenn sich im Laufe der Hauptverhandlung der in Aussicht gestellte eingegrenzte Strafrahmen als nicht (mehr) tat- oder schuldangemessen erweist. 

dd) Der insbesondere im Grundsatz der Verfahrensfairness verankerten Forderung, dass der Angeklagte autonom darüber entscheiden kann, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgibt, sich auf eine Verständigung einlässt und mit einem Geständnis sich seines Schweigerechts begibt, genügt das Verständigungsgesetz ebenfalls. Das Strafverfahrensrecht trägt dem Anliegen, die Entscheidungsfreiheit des Angeklagten zu wahren, bereits generell in allen Verfahrensstadien Rechnung. So haben Belehrungspflichten sowie die Freiheit von Willensentschließung und Willensbetätigung in den allgemeinen Vorschriften der §§ 136, 136a StPO und - beispielsweise - für das Ermittlungsverfahren in § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO sowie für die Hauptverhandlung in § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO ihren Niederschlag gefunden. Wenn diese Sicherungen schon bei der Entscheidungsfindung über allgemeines Aussageverhalten greifen, so haben sie eine umso größere Bedeutung, wenn es um die Frage eines Schuldeingeständnisses geht, vor allem in der für eine Verständigung typischen Anreiz- und Verlockungssituation (vgl. oben B. II. 1. e)). Vor diesem Hintergrund kommt der in § 257c Abs. 5 StPOvorgesehenen Belehrung über die Reichweite der Bindungswirkung und die Folgen eines Scheiterns der Verständigung besondere Bedeutung zu, der auch revisionsrechtlich Rechnung zu tragen ist. 

Von ebenso hohem Gewicht ist, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit es dem Gericht verbietet, dem Angeklagten eine geständnisbedingte Strafmilderung in Aussicht zu stellen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Der Angeklagte darf infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen, aber auch nicht durch Täuschung oder Drohung zu einem Geständnis gedrängt werden. Letzteres hat in § 136a StPO bereits seinen Ausdruck gefunden (vgl. BVerfG, Vorprüfungsausschuss, Beschluss vom 19. Oktober 1983 - 2 BvR 859/83 -, NStZ 1984, S. 82; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>). Erst recht greift dieses Schutzgebot zugunsten eines Angeklagten, mit dessen Geständnis in der Hauptverhandlung der Ausgang des Verfahrens steht oder fällt. 
ee) Das Verständigungsgesetz trifft umfangreiche Vorkehrungen dahin, dass das maßgebliche Verständigungsgeschehen in die Hauptverhandlung einbezogen und dokumentiert wird, und gibt mit der in § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO vorgesehenen Abhängigkeit der Verständigung von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft dieser ein Mittel zur Wahrung rechtsstaatlicher Standards in die Hand, zu der die effektiv zu handhabende Überprüfung durch Rechtsmittel hinzutritt (vgl. oben B. II. 1. d)). Der Gesetzgeber begegnet damit der mit der Möglichkeit der Verfahrensverkürzung durch eine Verständigung einhergehenden Gefahr einer Motivationsverschiebung bei dem erkennenden Gericht und trägt dem mit der Zusage einer wesentlichen Strafmilderung für den Fall eines Geständnisses verbundenen Anreiz für den Angeklagten Rechnung, ein (teilweise) falsches Geständnis abzulegen. Zugleich wirkt er dem Risiko entgegen, dass sich ein möglicher Interessengleichlauf von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zum Nachteil des Angeklagten auswirkt. Die verfahrensrechtlichen Sicherungen lassen jedenfalls in ihrem Zusammenwirken erwarten, dass die mit Verständigungen verbundenen rechtsstaatlichen Risiken beherrscht werden. Dabei kann unentschieden bleiben, ob bestimmte Vorkehrungen von Verfassungs wegen unverzichtbar sind, solange ein ausreichendes Gewährleistungsniveau verwirklicht wird. 

ff) Schließlich hat der Gesetzgeber eindeutig entschieden, dass auf das Strafurteil bezogene „informelle“ Absprachen unzulässig sind. Ausweislich des § 257c Abs. 1 StPO sind Verständigungen über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nur nach Maßgabe der folgenden Absätze zulässig. Intransparente, unkontrollierbare „Deals“ sind im Strafprozess wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens bereits von Verfassungs wegen untersagt, und der Gesetzgeber hat derartige Vorgehensweisen in unmissverständlicher Weise verworfen. 

3. Der in erheblichem Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt derzeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung. 

a) Die repräsentative empirische Erhebung von Prof. Dr. Altenhain, die Anhörung der Auskunftspersonen in der mündlichen Verhandlung, aber auch die schriftlichen Stellungnahmen zu den Verfassungsbeschwerden und die vorliegende obergerichtliche Rechtsprechung zeigen zwar, dass Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidigung in einer hohen Zahl von Fällen die gesetzlichen Vorgaben missachten und die Rechtsmittelgerichte der ihnen zugewiesenen Aufgabe der Kontrolle der Verständigungspraxis nicht immer in genügendem Maße nachgekommen sind. Aus diesem empirischen Befund kann jedoch derzeit noch nicht auf ein in der Norm selbst angelegtes und daher zu deren Verfassungswidrigkeit führendes Versagen der zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Vorgaben normierten Schutzmechanismen geschlossen werden. 

b) Eine gesetzliche Regelung, gegen die in der Rechtsanwendungspraxis in verfassungswidriger Weise verstoßen wird, verletzt nur dann auch selbst das Grundgesetz, wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen, mithin Ausdruck eines strukturbedingt zu dieser Praxis führenden normativen Regelungsdefizits ist. Ein solches Defizit kann im vorliegenden Zusammenhang nicht schon darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber urteilsbezogene Verständigungen, welche sich durch ihre Grundstruktur für die Verwirklichung des Schuldprinzips als gefährlich erweisen, überhaupt gestattet hat. Dies ließe unberücksichtigt, dass er ihre Zulassung an umfangreiche flankierende Schutzmechanismen gekoppelt hat, die die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess sicherstellen sollen (vgl. auch BVerfGE 81, 123 <129 f.>; 83, 24 <31>; 118, 212 <231 f.>). Verfassungswidrig wäre das gesetzliche Regelungskonzept nur, wenn die vorgesehenen Schutzmechanismen in einer Weise lückenhaft oder sonst unzureichend wären, die eine gegen das Grundgesetz verstoßende „informelle“ Absprachepraxis fördert, das Vollzugsdefizit also durch die Struktur der Norm determiniert wäre. 

c) Ein strukturelles Regelungsdefizit kann gegenwärtig nicht festgestellt werden. Die Gründe für den erheblichen, keineswegs auf Einzelfälle beschränkten Vollzugsmangel sind vielschichtig und finden sich nach gegenwärtiger Erkenntnis nicht in einer Schutzlücke der gesetzlichen Regelung. Die gesetzliche Regelung traf auf Rahmenbedingungen, die von immer komplexer werdenden Lebenssachverhalten, einer stetigen Ausweitung des materiellen Strafrechts sowie immer differenzierteren Anforderungen an den Ablauf des Strafverfahrens geprägt sind, und hatte die schwierige Aufgabe, eine zuvor über drei Jahrzehnte in der Praxis entstandene und dort längst verfestigte Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken. Im Vergleich zu der lang andauernden und - wie auch die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigt - immer weiter um sich greifenden Praxis jedenfalls gesetzlich nicht geregelter Absprachen ist der Zeitraum der bisherigen Geltungsdauer der gesetzlichen Schutzmechanismen noch sehr kurz, was dafür spricht, dass die Durchsetzung der strikt umgrenzten und stark formalisierten Verständigungsform entsprechend dem gesetzlichen Regelungskonzept noch nicht abgeschlossen ist und insbesondere die hohe Bedeutung der Schutzmechanismen von der Praxis noch nicht vollständig verinnerlicht wurde. Hierfür spricht auch, dass in der Literatur Stellungnahmen anzutreffen sind, die dahin verstanden werden können, dass die gesetzliche Regelung nicht abschließend sei und die Schutzmechanismen insbesondere des § 273 Abs. 1a und des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht für „informelle“ Vorgehensweisen außerhalb der Vorgaben des § 257c StPO gälten (vgl. etwa Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, wistra 2009, S. 414 <416>; Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <101>). Hinzu kommt die nicht selten anzutreffende Bewertung gerade der Schutzmechanismen als „praxisuntauglich“, welche die Sicherung der verfassungsrechtlichen Vorgaben als zentrale Aufgabenstellung des Strafverfahrensrechts übergeht. Dies verkennt, dass im Rechtsstaat des Grundgesetzes das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht. 
d) Weder das Ergebnis der empirischen Erhebung noch die in den Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen zwingen zu der Annahme, dass es strukturelle Mängel des gesetzlichen Regelungskonzepts sind, die zu dem bisherigen Vollzugsdefizit geführt haben könnten. Als Hauptgrund für die Nichtbeachtung der gesetzlichen Regelungen wird in der empirischen Untersuchung vielmehr eine „fehlende Praxistauglichkeit“ der Vorschriften genannt. Dabei werden als praxisuntauglich oftmals die Begrenzung des zulässigen Inhalts von Verständigungen, die Transparenz- und Dokumentationspflichten - hier vor allem das Negativattest des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO - sowie das Verbot eines Rechtsmittelverzichts angeführt, also gerade diejenigen Vorschriften, die die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben gewährleisten sollen. So gaben viele Verteidiger in der Befragung an, die gesetzliche Regelung widerspreche dem „Wesen des Deals“; dieser sei informell. Auch dies spricht für ein bisher nur unzureichend ausgeprägtes Bewusstsein, dass es Verständigungen ohne die Einhaltung der Anforderungen des Verständigungsgesetzes nicht geben darf. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung stützen daher nicht die Annahme eines im gesetzlichen Regelungskonzept verankerten strukturellen Defizits, sondern sprechen für interessengeleitete Missverständnisse und Bestrebungen, die gesetzliche Regelung wegen ihrer - als unpraktisch empfundenen - Schutzmechanismen zu umgehen. 

4. Auch wenn derzeit aus dem defizitären Vollzug des Verständigungsgesetzes nicht auf eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung geschlossen werden kann, muss der Gesetzgeber die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten. Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und sollten die materiellen und prozeduralen Vorkehrungen des Verständigungsgesetzes nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen und dadurch die an eine Verständigung im Strafverfahren zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, muss der Gesetzgeber der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken (vgl. zu Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten des Gesetzgebers BVerfGE 25, 1 <12 f.>; 49, 89 <130>; 95, 267 <314>; 110, 141 <158, 166>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. November 2009 - 1 BvR 213/08 -, GRUR 2010, S. 332 <334>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Januar 2011 - 1 BvR 3222/09 -, NJW 2011, S. 1578 <1582>). Unterbliebe dies, träte ein verfassungswidriger Zustand ein. 

5. Das Normgefüge des Verständigungsgesetzes gestattet nach der hier zugrunde gelegten Auslegung des einfachen Rechts keine Verfahrensweise im Strafprozess, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben widerspräche. Die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften sind deshalb weder für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären noch besteht Anlass, sie im Wege einer verfassungskonformen Auslegung einzugrenzen. Damit ist der Anwendungsbereich von § 79 BVerfGGnicht eröffnet. 

III.  

Die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für eine Verständigung im Strafprozess nicht zu vereinbaren. 

1. Die von den Beschwerdeführern zu I. und II. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts München II und des Bundesgerichtshofs verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und verstoßen gegen die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Im Anschluss an die in beiden Fällen unterbliebene Belehrung der Angeklagten über die Voraussetzungen und Folgen des Wegfalls der Bindung an eine Verständigung (§ 257c Abs. 5 StPO) hat der Bundesgerichtshof im Rahmen der Prüfung, ob die Urteile des Landgerichts München II auf dem Gesetzesverstoß beruhen, die grundlegende Bedeutung der Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPOfür die Fairness des Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit verkannt. 

a) Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Die Belehrungspflicht verliert nicht deshalb an Bedeutung oder wird gar obsolet, weil eine Lösung des Gerichts von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO das infolge der Verständigung abgegebene Geständnis unverwertbar macht. Denn die Belehrung hat sicherzustellen, dass der Angeklagte vor dem Eingehen einer Verständigung, deren Bestandteil das Geständnis ist, vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert ist (vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 15). Nur so ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, (weiterhin) Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt. 

Zwar muss der Angeklagte unabhängig von der Möglichkeit einer Verständigung darüber befinden, ob und gegebenenfalls wie er sich zur Sache einlässt. Mit der Aussicht auf eine Verständigung wird jedoch eine verfahrensrechtliche Situation geschaffen, in der es dem Angeklagten in die Hand gegeben wird, durch sein Verhalten spezifischen Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses zu nehmen. Anders als in einer nach der herkömmlichen Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung kann er nämlich mit einem Geständnis die das Gericht grundsätzlich bindende Zusage einer Strafobergrenze und damit Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens erreichen. Damit ist aus der Perspektive des Angeklagten das Festhalten an der Freiheit von Selbstbelastung nur noch um den Preis der Aufgabe der Gelegenheit zu einer das Gericht bindenden Verständigung und damit einer (vermeintlich) sicheren Strafobergrenze zu erlangen. Die Erwartung der Bindung des Gerichts bildet dementsprechend Anlass und Grundlage der Entscheidung des Angeklagten über sein prozessuales Mitwirken; damit entsteht eine wesentlich stärkere Anreiz- und Verführungssituation als es - mangels Erwartung einer festen Strafobergrenze - etwa in der Situation von § 136 Abs. 1 oder § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO der Fall ist. Der Angeklagte muss deshalb wissen, dass die Bindung keine absolute ist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen - die er ebenfalls kennen muss - entfällt. Nur so ist es ihm möglich, Tragweite und Risiken der Mitwirkung an einer Verständigung autonom einzuschätzen. Die in § 257c Abs. 5 StPO verankerte Belehrungspflicht ist aus diesem Grund keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern eine zentrale rechtsstaatliche Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit. 

b) Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs verkennen diese besondere Funktion des § 257c Abs. 5 StPO. Eine Verständigung ohne vorherige Belehrung nach dieser Vorschrift verletzt den Angeklagten grundsätzlich in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit. Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das auf der Verständigung basierende Geständnis in das Urteil ein, beruht dieses auf der mit dem Verstoß einhergehenden Grundrechtsverletzung, es sei denn eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis kann ausgeschlossen werden, weil der Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Hierzu müssen vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen getroffen werden. Soweit der Bundesgerichtshof in beiden Fällen damit argumentiert, dass ein Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung nach § 257c Abs. 4 StPO nicht eingetreten sei, führt dies im Hinblick auf die Frage, ob die Urteile gerade wegen der Verwertung des nach einem Belehrungsmangel abgegebenen Geständnisses auf einer Verletzung der Autonomie des Angeklagten beruhen, nicht weiter. Wenn der Bundesgerichtshof im Fall der Beschwerdeführer zu II. ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO darüber hinaus mit der Erwägung verneint, konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, verkennt er die grundlegende Bedeutung des § 257c Abs. 5 StPO für den Grundsatz des fairen Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten. Es ist nicht auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof bei Anwendung des oben genannten Maßstabs in beiden Fällen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Aus diesem Grund sind die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs aufzuheben und die Sachen an diesen zurückzuverweisen. 

2. Die von dem Beschwerdeführer zu III. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Bundesgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG

a) Das Urteil des Landgerichts Berlin verstößt schon deshalb gegen den verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz und die darin verankerte Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit, weil das Landgericht ein unter weitgehender Weigerung, Fragen zu beantworten, abgegebenes inhaltsleeres Formalgeständnis als Grundlage einer Verurteilung akzeptiert hat, ohne es - abgesehen von einer, dann auch beantworteten Frage zum Mitführen und Ladezustand der Dienstwaffen - durch eine weitere, auf eigenständige Spezifizierung seitens des Angeklagten zielende Beweiserhebung in der Hauptverhandlung zu überprüfen. Ein Geständnis, das sich in einer Bezugnahme auf die Anklage erschöpft, ist als Grundlage einer Verständigung bereits deshalb ungeeignet, weil es keine Grundlage für eine Überprüfung seiner Glaubhaftigkeit (§ 257c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO) bietet. Darüber hinaus beruht das angegriffene Urteil auf einer Verständigung, die infolge der Kopplung eines Geständnisses „im Sinne der Anklage“ an den Verzicht auf die Stellung von Beweisanträgen „zur Schuldfrage“ unzulässig über den Schuldspruch disponiert und zudem eine Strafrahmenverschiebung zum Gegenstand hat. Deshalb stellt sich das Urteil als ein vom Grundgesetz untersagter „Handel mit der Gerechtigkeit“ dar. 
Hinzu kommt, dass dieser „Handel mit der Gerechtigkeit“ auf einer verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit des Beschwerdeführers beruht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob für den Fall einer Verurteilung ohne vorherige Verständigung für jede der beiden angeklagten schweren Raubtaten eine Mindeststrafe von drei Jahren in Aussicht gestellt wurde - so die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden der Strafkammer im Revisionsverfahren - oder ob eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren im Raum stand, wie der Beschwerdeführer vorträgt. Entscheidend ist die vor dem Gebot schuldangemessenen Strafens nicht zu rechtfertigende Spannweite zwischen der zugesagten Strafobergrenze für den Fall einer Verständigung auf der einen Seite und der für den Fall einer Verurteilung in einer nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung im Raum stehenden Straferwartung auf der anderen Seite. Die Frage, wann die Grenze zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit überschritten ist, entzieht sich zwar einer exakten mathematischen Berechnung. Im vorliegenden Fall ist diese Grenze jedoch deutlich überschritten, nachdem eine schon für sich gesehen übermäßige Differenz zwischen den beiden Strafgrenzen noch zusätzlich mit der Zusage einer Strafaussetzung zur Bewährung verbunden wurde, die überhaupt nur aufgrund der ebenfalls zugesagten Strafrahmenverschiebung zu einem minder schweren Fall (§ 250 Abs. 3 StGB) möglich war. 

b) Das Urteil des Landgerichts Berlin ist aus diesen Gründen aufzuheben; gleiches gilt für den Beschluss des Bundesgerichtshofs, mit dem die Grundrechtsverletzung perpetuiert worden ist. Die Sache ist an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen. 

C. 

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.
 

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 4 / 1 4
vom
29. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 29. April 2014 einstimmig

beschlossen:
Die Revision desAngeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 2. September 2013 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend zu der Begründung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Die Rüge, der Strafkammervorsitzende habe die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nur unzureichend erfüllt, weil er weder mitgeteilt habe , welche Standpunkte in dem außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräch von den einzelnen Beteiligten vertreten worden sind, noch von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden und ob diese bei den einzelnen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist, ist nicht zulässig erhoben.
Der Revisionsführer trägt insoweit folgende Verfahrenstatsachen vor: Nachdem der Vorsitzende eingangs der Hauptverhandlung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mitgeteilt gehabt habe, dass Verständigungsgespräche im Vorfeld nicht stattgefunden hatten, und nach der Belehrung des Angeklagten nach § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO habe der Verteidiger ein "Rechtsgespräch" angeregt. Die Hauptverhandlung sei deshalb für 35 Minuten unterbrochen worden. Nach deren Fortsetzung habe der Vorsitzende bekannt gegeben, dass es zwischen dem Verteidiger, den Vertretern der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage sowie dem Gericht zu einem Gespräch gekommen sei, in dem die Sach- und Rechtslage erörtert worden sei. Zu einer Verständigung sei es nicht gekommen.
Dies genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO besteht nur hinsichtlich solcher Erörterungen der Verfahrensbeteiligten, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung war, in denen also ausdrücklich oder konkludent Fragen des prozessualen Verhaltens des Angeklagten in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1065). Für die Beurteilung der Frage, ob der Mitteilungspflicht genügt wurde, ist deshalb von maßgebender Bedeutung, welchen Inhalt die zwischen den Verfahrensbeteiligten stattgefundenen Erörterungen hatten. An Angaben hierzu fehlt es. Soweit die Revision anführt, im Rahmen der Erörterung sei die Frage nach dem Aussageverhalten des Angeklagten im Zusammenhang mit der Straferwartung thematisiert worden, umschreibt sie nur abstrakt die Voraussetzungen der Mitteilungspflicht. Eine Wiedergabe des konkreten Gegenstandes der Erörterungen vermag dies nicht zu ersetzen. Hatte das Gespräch den Inhalt, wie ihn der Vorsitzende der Strafkammer in seiner dienstlichen Erklärung vom 9. Dezember 2013 dargestellt hat, so hat er durch die knappe Mitteilung in der Hauptverhandlung nicht gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO verstoßen.
Becker Pfister Schäfer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR9/15
vom
14. April 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. April 2015 beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. Juli 2014 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 277 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten E. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 256 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt; ferner hat es einen Wertersatzverfall in Höhe von fünf Millionen Euro angeordnet, für den beide Angeklagte gesamtschuldnerisch haften. Gegen ihre Verurteilungen wenden sich die Angeklagten jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts und mit Verfahrensrügen.
2
Keines der Rechtsmittel hat Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Näherer Erörterung bedürfen nur die folgenden beiden Rügen einer Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO:
3
1. Soweit die Angeklagten geltend machen, der Vorsitzende der Strafkammer habe in der Hauptverhandlung entgegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht bekanntgegeben, ob vor der Hauptverhandlung Erörterungen stattgefunden hätten, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen sei, ist diese Rüge jedenfalls unbegründet.
4
Zwar erfordert § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO eine sogenannte Negativmitteilung , wenn keine auf eine Verständigung abzielenden Gespräche stattgefunden haben (BVerfG, NJW 2014, 3504 f.). Eine solche Negativmitteilung ist hier nach dem Revisionsvorbringen, das durch die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft Bestätigung gefunden hat, nicht erfolgt. Ein zur Aufhebung des Urteils nötigender Verfahrensfehler liegt aber nur vor, wenn das Urteil auf der fehlenden Mitteilung beruht. Dies kann auszuschließen sein, wenn zweifelsfrei fest- steht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, „in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand“ (BVerfGE 133, 168, 223 Rn. 98; BVerfG, NJW 2014, 3504, 3506; siehe auch Senat, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 5 StR 258/13 mwN).
5
So verhält es sich hier. Nach der von der Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsgegenerklärung mitgeteilten dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden Richters hat es keine Gespräche gegeben, „die in irgendeiner Weise der Vorbe- reitung einer Verständigung im Sinne des § 257c StPO gedient hätten.“ Der Wahrheitsgehalt dieser unwidersprochen gebliebenen dienstlichen Erklärung steht für den Senat außer Zweifel, zumal auch die Revisionen keinerlei Anhaltspunkte für weitere im Vorfeld der Hauptverhandlung geführte und die Frage einer Verständigung berührende Erörterungen vorgebracht haben. Vielmehr gibt die Revision des Angeklagten E. eine Erklärung von dessen Instanzverteidigern wieder, selbst an keinem Vorgespräch teilgenommen zu haben.
Soweit der Revisionsverteidiger dieses Angeklagten darüber hinaus die ein- schränkende Äußerung der Instanzverteidiger vorträgt, „(sie) können aber auch nicht ausschließen, dass wenigstens der Versuch einer Verständigung von Verteidigern der Mitangeklagten unternommen worden sei," vermag diese nicht tatsachengestützte Spekulation die Beweiskraft der vom Senat freibeweislich zu verwertenden Äußerung des Vorsitzenden nicht einzuschränken (vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 520/14). Ohne sich noch zu eigenen freibeweislichen Erhebungen veranlasst sehen zu müssen, kann der Senat mithin ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem Verstoß gegen die Negativmitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO beruht.
6
2. Die Revisionen rügen weiter, der Vorsitzende der Strafkammer habe entgegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht vollständig über ein Gespräch außerhalb der Hauptverhandlung unterrichtet, das die Möglichkeit einer Verständigung zum Gegenstand gehabt habe.
7
a) Den Rügen liegt aufgrund des Revisionsvorbringens, das sich auf eine Erklärung des Instanzverteidigers des Angeklagten E. stützt und im Protokoll in Bezug auf das Geschehen innerhalb der Hauptverhandlung seine Bestätigung findet, sowie aufgrund der in der Revisionsgegenerklärung mitgeteilten dienstlichen Erklärungen des Vorsitzenden Richters und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft folgender Verfahrensgang zugrunde:
8
Am 2. Juli 2014, dem 40. Tag der Hauptverhandlung, die nach mehreren Verfahrensabtrennungen und Verurteilungen der früheren insgesamt acht Mitangeklagten nur noch gegen die beiden Angeklagten durchgeführt wurde, fand vor Aufruf der Sache ein Gespräch der Verteidiger beider Angeklagten mit der Strafkammer und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft statt. Voraus- gegangen war die Ankündigung des Vorsitzenden im Zusammenhang mit einem noch unerledigten Antrag auf Akteneinsicht in die Daten auf diversen sichergestellten Datenträgern, dass er hierzu neue Informationen vom LKA habe. Einer der Verteidiger nutzte diese Mitteilung zu der Anfrage, ob die Strafkam- mer bereit sei, „über den weiteren Gang der Verhandlung ein Rechtsgespräch zu führen.“ Zu einem solchen Gespräch war die Strafkammer bereit. Deren Vorsitzender hatte – wie die Revisionen mit einer weiteren Verfahrensrüge vorgetragen haben – an einem früheren Verhandlungstag die Anfrage des Verteidigers eines ehemals Mitangeklagten, ob es bilaterale Absprachen der Strafkammer mit einzelnen Angeklagten gegeben habe, verneint und erläuternd hinzugefügt , seine Kammer sei bekannt dafür, keine Absprachen zu treffen; der beisitzende Richter hatte im Zuge des Verfahrens über Ablehnungsgesuche, die an diese Äußerung anknüpften und in der grundsätzlichen Nichtanwendung des § 257c StPO durch die Strafkammer eine Art. 3 Abs. 1 GG verletzende Rechtsanwendungsverweigerung zu Lasten des Angeklagten sahen, erklärt, dass der Vorsitzende damit die Gepflogenheit der Strafkammer zutreffend dargelegt habe.
9
In dem Gespräch vom 2. Juli 2014 beschrieb der Vorsitzende zunächst den Umfang des sichergestellten Datenmaterials, dessen Auswertung sich wohl über Wochen oder Monate hinziehen könne. Die Verteidiger des Angeklagten E. trugen daraufhin vor, der Angeklagte habe wegen einer schweren Erkrankung seines Vaters Interesse an einer schnellen Beendigung des Verfahrens und an einer Haftverschonung. Die Verteidiger suchten mit ihrem Vortrag von der Strafkammer „endlich irgendein Signal zu erhalten“, welches Strafmaß bei einer geständigen Einlassung des Angeklagten zu erwarten sei. Sie argumentierten unter Würdigung der Einlassung eines ehemals Mitangeklagten zum Umfang der Tatbeteiligung des Angeklagten E. und in Kenntnis der gegen die früheren Mitangeklagten in den abgetrennten Verfahren bereits verhängten Strafen, dass eine Strafe von knapp sieben Jahren für den Angeklagten E. ausreichend sei. Für den Angeklagten S. kündigte dessen Verteidiger an, dass er eine Einlassung zur Sache abgeben wolle. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärte, dass für ihn eine Haftverschonung des Angeklagten E. nicht in Betracht komme. Er begründete seine negative Haltung auf Nachfrage der Verteidigung unter anderem damit, dass er die Beweisaufnahme für nahezu abgeschlossen halte und keine weitergehenden Ergebnisse mehr erwarte, selbst wenn das Gericht den bereits gestellten Anträgen der Verteidigung noch nachgehen sollte; ein Geständnis sei für ihn angesichts der bereits erfolgten Verurteilungen der früheren Mitangeklagten ohne Bedeutung. Außerdem verfüge der Angeklagte E. über ausgeprägte Auslandskontakte und er habe aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine höhere Freiheitsstrafe als die gesondert Verfolgten zu erwarten. Im weiteren Verlauf des Gesprächs äußerte der Strafkammervorsitzende, dass von ihm oder den anderen Richtern zur Straferwartung keine Zahlen genannt würden, die Kammer aber ein Geständnis auch jetzt noch zugunsten der Angeklagten bewerten werde. Aus seiner Sicht käme aber für den Angeklagten E. eine Haftverschonung ebenso wenig in Betracht wie eine Strafe in dem von der Verteidigung genannten Bereich. Möglich sei allerdings eine Verfahrensbeschränkung nach § 154 StPO. Hierüber wurden beide Angeklagte durch ihre Verteidiger unterrichtet.
10
Nach Eintritt in die Verhandlung teilte der Vorsitzende den Inhalt des Gesprächs nicht mit. Zum verzögerten Verhandlungsbeginn wurde im Protokoll der Hinweis aufgenommen, dass „der Aufruf der Sache verspätet (erfolgte), da au- ßerhalb der Hauptverhandlung ein Rechtsgespräch stattfand.“ Der Vorsitzende gab den Inhalt eines Schriftsatzes zu dem Akteneinsichtsgesuch der Verteidiger bekannt. Sodann erklärten die Verteidiger beider Angeklagten die Rücknahme des Akteneinsichtsgesuchs und aller noch nicht beschiedenen Beweisanträge. In seiner anschließenden Einlassung räumte der Angeklagte E. die Ankla- gevorwürfe unter Einschränkung des Tatzeitraums als „im Wesentlichen zutreffend“ ein und machte hierzu weitere Ausführungen. Am folgenden Hauptver- handlungstag endete das Verfahren, nachdem sich zuvor auch der Angeklagte S. noch geständig eingelassen und das Landgericht hinsichtlich der von dem Angeklagten E. nicht eingestandenen Taten das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hatte.
11
b) Die Rügen bleiben ohne Erfolg.
12
aa) Diejenige des Angeklagten S. ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
13
bb) Eine Verletzung der Informationspflichten aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO liegt nicht vor.
14
Nach dieser Vorschrift muss der Vorsitzende über Erörterungen mit den Verfahrensbeteiligten (§ 202a StPO), die nach Beginn, aber außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, in der Hauptverhandlung Mitteilung machen. Das Transparenzgebot soll sicherstellen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und durch die Möglichkeit , Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung zu führen, kein informelles und unkontrolliertes Verfahren betrieben wird (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13,NJW 2014, 2514, 2515 mwN; Beschlussvom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418). Mitteilungspflichtig ist danach jedes ausdrückli- che oder konkludente Bemühen um eine Verständigung in Gesprächen, die von den Verfahrensbeteiligten insoweit als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können.
15
Ein verständigungsbezogenes (Vor-)Gespräch ist als Unterfall der „Erörterung des Verfahrensstandes“ (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, BT-Drucks. 16/12310, S. 12) von sonstigen zur Verfahrensförderung geeigneten Erörterungen zwischen den Verfahrensbeteiligten abzugrenzen, wie gesetzessystematisch das Nebeneinander der Bestimmungen der §§ 257b, 257c StPO für Erörterungen innerhalb der Hauptverhandlung zeigt. Während sich § 257b StPO auf kommunikative Elemente beschränkt, die der Transparenz und Verfahrensförderung dienen, aber nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung gerichtet sind, ist diese in § 257c StPO gesondert geregelt (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 13). Als Gegenstände von unverbindlichen Erörterungen , die das Gericht ohne Verständigungsbezug allein als Ausdruck transparenten kommunikativen Verhandlungsstils führen kann, sind als verfassungsrechtlich unbedenklich etwa Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses angesehen worden (BVerfGE 133, 168, 228 Rn. 106). Darüber hinaus hielt der Gesetzgeber auch die Mitteilung einer Ober- und Untergrenze der nach dem Verfahrensstand vorläufig zu erwartenden Strafe durch das Gericht für ein Beispiel einer offenen Verfahrensführung (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 12; siehe auch Schneider, NStZ 2014, 198, zur Bekanntgabe einer Strafmaßprognose als bloßer „Wissenserklärung“), die inzwischen eine selbstverständliche Anforde- rung an eine sachgerechte Prozessleitung ist (BVerfG, aaO).
16
Vor diesem Hintergrund weist hier die Erörterung der Verfahrensbeteilig- ten, die von der Verteidigung selbst als Rechtsgespräch „über den weiteren Gang der Verhandlung“ initiiert worden ist, nachdem bedingt durch ein Akten- einsichtsgesuch der Verteidiger eine erhebliche Verlängerung des fortgeschrittenen Verfahrens zu erwarten war, keinen Verständigungsbezug auf. Zwar ist es den Instanzverteidigern beider Angeklagten nach dem übereinstimmenden Revisionsvorbringen bei dem Gespräch mit der Strafkammer auch darum gegangen , eine Äußerung des Gerichts zur Straferwartung zu erhalten. Diese Intention hat jedoch weder ausdrücklich zu einer Anfrage nach der Möglichkeit einer Verständigung geführt, noch stand eine solche konkludent im Raum. Den Instanzverteidigern war vielmehr die grundsätzlich ablehnende Haltung der Strafkammer gegenüber Verfahrensabsprachen aufgrund der in einem früheren Verfahrensstadium erfolgten und zum Gegenstand eines Befangenheitsantrags gemachten Bemerkung des Vorsitzenden bekannt. Diese Haltung war unverändert geblieben, wie der Vorsitzende mit der seine Stellungnahme einleitenden Bemerkung nachdrücklich klargestellt hat, niemand werde irgendwelche Zahlen von ihm oder den anderen Richtern hören. Außerdem war der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft schon vor der Stellungnahme des Vorsitzenden dem Vortrag der Verteidigung des Angeklagten E. und dessen Wunsch nach einer Haftverschonung – auch für die Verteidigung unmissverständlich – entgegengetreten. Auch insoweit stellte sich die Frage nach einer Verfahrenserledigung durch Verständigung, die eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft vorausgesetzt hätte (§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO), nicht. Die nachfolgenden Äußerungen des Vorsitzenden, die aus der Sicht der Instanzverteidiger des Angeklagten E. ohnehin „sehr vage“ geblieben waren, haben sich daher nicht als Vorbereitung einer Verständigung, sondern nur als Akte eines kommunikativen Verfahrensstils verstehen lassen. Insbesondere hat zwischen seiner Ablehnung einer Haftverschonung des Angeklagten E. und eines von dessen Verteidigung in Erwägung gezogenen Verfahrensergebnisses einerseits und einer von der Verteidigung in den Raum gestellten Ablegung eines Geständnisses andererseits keine Verknüpfung bestanden, wie sie ein Verständigungsverfahren nach § 257c StPO mit dem Gegenseitigkeitsverhältnis von der Zusage eines Strafrahmens (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) und der Abgabe eines Geständnisses bzw. der Zusage sonstigen Prozessverhaltens als Gegenleistung des Angeklagten (§ 257c Abs. 2 StPO) kennzeichnet.
17
Ebenso wenig hat der Hinweis des Vorsitzenden, ein Geständnis auch im fortgeschrittenen Verfahrensstadium noch strafmildernd zu berücksichtigen, einen solchen synallagmatischen Konnex zwischen einem prozessualen Verhalten des Angeklagten und dem Verfahrensergebnis begründet, der zur Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO wegen einer dann im Raum stehenden Verständigungsmöglichkeit führt (BVerfGE 133, 168, 216 Rn. 85). Die allgemein gehaltene Erklärung des Vorsitzenden hat sich erkennbar auf die Stellungnahme des Staatsanwalts zur fehlenden Bedeutung eines Geständnisses angesichts der für ihn vor dem Ende stehenden Beweisaufnahme bezogen. Sie hat insofern eine Selbstverständlichkeit beinhaltet und gehört – wie dargelegt – zum beispielhaften Inhalt unverbindlicher Erörterungen ohne Verständigungsbezug.
18
cc) Nach dem Verfahrensablauf kann der Senat ausschließen, dass eine gesetzeswidrige Absprache angestrebt oder gar getroffen wurde.
Sander Dölp König
Berger Bellay

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 2 4 2 / 1 4
vom
18. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Dezember 2014 gemäß
§ 154 Abs. 2 i.V.m. § 154 Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13. Dezember 2013 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Verleumdung (B.III. der Urteilsgründe) verurteilt ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorbezeichnete Urteil im Schuld- und Strafausspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Beleidigung, Körperverletzung und versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt ist; 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Beleidigung, vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung (Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren) sowie wegen Verleumdung zu einer Ge- samtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt. Ferner hat es angeordnet, dass drei Monate der Gesamtstrafe als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er auf die Sachrüge und eine verfahrensrechtliche Beanstandung stützt. Das Rechtmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren nach § 154 Abs. 2 i.V.m. § 154 Abs. 1 StPO ein, soweit der Angeklagte wegen Verleumdung (B.III. der Urteilsgründe: Tatgeschehen vom 19. März 2012) verurteilt worden ist. Dies hat den Wegfall der für den eingestellten Sachverhalt festgesetzten Geldstrafe und der Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.
3
2. Die weitergehende Revision bleibt erfolglos.
4
a) Der Schuld- und Strafausspruch im Übrigen zeigt auf die sachlichrechtliche Überprüfung keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler auf.
5
b) Auch die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte einen Verstoß gegen die Mitteilungs- und Dokumentationspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO geltend macht, hat keinen Erfolg.
6
aa) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
7
Der Angeklagte gab in der Hauptverhandlung zum Vorwurf der Vergewaltigung eine bestreitende Einlassung ab. Nachdem die Hauptbelastungszeugin an mehreren Tagen nicht erschienen war, bat der Vorsitzende der Strafkammer den Verteidiger, die Staatsanwältin und die Nebenklägervertreterin in das Beratungszimmer. Nachdem erörtert worden war, dass die Nebenklägerin bisher nicht vernommen werden konnte, fragte der Vorsitzende, ob die Möglichkeit einer Verständigung bestehe, wobei ein Geständnis des Angeklagten hierfür Voraussetzung sei. Der Verteidiger erklärte, dass dies vor der Vernehmung der Nebenklägerin nicht in Betracht komme. Er kam sodann mit dem Vorsitzenden überein, zunächst die Nebenklägerin zu hören, ein Geständnis „müsse“ nicht heute erfolgen.
8
Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung gab der Vorsitzende folgende Erklärung ab, die er auch protokollieren ließ: „Der Vorsitzende gab bekannt, dass auf Initiative der Kammer ein Rechtsgespräch mit den Mitgliedern der Kammer, dem Verteidiger, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und der Nebenklagevertreterin stattgefunden hat. Seitens des Gerichts wurde die Möglichkeit einer Verständigung angesprochen. Dies wurde vom Verteidiger abgelehnt. Man kam überein, zunächst die Geschädigte zu vernehmen.“
9
Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung – auch nach Vernehmung der Nebenklägerin – kam keiner der Verfahrensbeteiligten auf das Verständigungsgespräch zurück.
10
Die Revision trägt darüber hinaus vor, der Vorsitzende habe bei dem Verständigungsgespräch zudem erklärt, dass „die Sache aus Sicht der Kammer bei Ablegung eines Geständnisses mit einer Bewährungsstrafe ausreichend sanktioniert sein könnte.“
11
bb) Die Rüge erweist sich ungeachtet der Frage ihrer Zulässigkeit schon deswegen als unbegründet, weil der behauptete Verfahrensverstoß – die Nichtmitteilung einer im Rahmen von Verständigungsgesprächen außerhalb der Hauptverhandlung konkret geäußerten Strafvorstellung des Gerichts – nicht erwiesen ist. So belegen die dienstlichen Stellungnahmen der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, des Vorsitzenden und des Beisitzers, dass von Seiten des Gerichts ein für den Fall des Geständnisses für angemessen erachteter konkreter Strafrahmen, gar in Form einer noch die Aussetzung zur Bewährung eröffnenden Strafhöhe, nicht genannt worden ist. Zwar sei durch den Vorsitzenden zu Beginn erklärt worden, dass ein Geständnis Auswirkungen auf das Strafmaß habe und man sich abhängig vom Strafmaß gegebenenfalls Gedanken über eine Strafaussetzung machen könne. Übereinstimmend ergibt sich aus den dienstlichen Stellungnahmen jedoch, dass zur Abgabe von konkreten Strafrahmenvorstellungen nach „kategorischer“ Ablehnung eines Geständnis- ses durch den Verteidiger kein Raum mehr gesehen wurde.
12
Dem Inhalt der dienstlichen Erklärungen ist die Revision nicht entgegengetreten , vielmehr hat sie sich diese zu eigen gemacht, soweit sie nunmehr al- lein noch behauptet, dass von „einer möglichen Bewährungsstrafe gesprochen wurde“. Da daher der Sachverhalt aufgeklärt ist (vgl. zu einer anderen Konstel- lation BVerfG, Beschluss vom 5. März 2012 – 2 BvR 1464/11, NJW 2012, 1136), sieht der Senat kein Erfordernis zur Einholung von dienstlichen Erklärungen der ebenfalls an dem Gespräch teilnehmenden Schöffen.
13
cc) Der danach der revisionsgerichtlichen Prüfung zugrunde zu legende Verfahrensablauf deckt keinen Rechtsfehler auf. Zwar verlangt die nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO bestehende Informationspflicht, dass der Vorsitzende über Erörterungen mit Verfahrensbeteiligten (§§ 202a, 212 StPO), die nach Beginn der Hauptverhandlung, aber außerhalb von dieser stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, in der Hauptverhandlung Mitteilung zu machen. Das Transparenzgebot soll sicherstellen , dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und durch die Möglichkeit, Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung zu führen, kein informelles und unkontrolliertes Verfahren betrieben wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1065; BGH, Beschluss vom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418, 419). Mitzuteilen ist dabei nicht nur der Umstand, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Hierzu gehört auch dann, wenn keine Verständigung zustande gekommen ist, jedenfalls der Verständigungsvorschlag und die zu diesem abgegebenen Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober 2013 – 5StR 411/13, NStZ 2013, 722 und vom 9. April 2014 – 1 StR 612/13, NStZ 2014, 416).
14
Die hier vom Vorsitzenden erfolgte Unterrichtung genügte diesen Anforderungen. Denn sie umfasste sowohl den Aspekt, auf wessen Initiative es zu dem Verständigungsgespräch gekommen war, als auch dass der Verteidiger eine Verständigung abgelehnt hatte und man zunächst die Nebenklägerin vernehmen wolle, mithin den wesentlichen Inhalt. Da ein konkreter Verständigungsvorschlag nach dem bewiesenen Verfahrensablauf von keinem geäußert wurde, bestand auch nicht das Erfordernis einer darauf gerichteten Mitteilung. Allein der Hinweis des Vorsitzenden, dass ein Geständnis Auswirkungen auf das Strafmaß habe und es vom Strafmaß abhängig sei, ob man sich Gedanken über eine Strafaussetzung machen könne, stellt noch keinen Verständigungsvorschlag dar. Hierin liegt weder die Zusage, dass das Gericht sich für den Fall des Zustandekommens der Verständigung daran gebunden sehen wollte, eine bewährungsfähige Strafe zu verhängen, noch beinhaltet es die Information, dass das Gericht eine bewährungsfähige Strafe im konkreten Fall für angemessen erachten würde. Gerade diese Frage ist offen gelassen worden, so dass bei dem Angeklagten kein Informationsdefizit bestand.
15
Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass die Änderung des Strafausspruchs durch das Revisionsgericht grundsätzlich nicht die Entscheidung über die Kompensation einer bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung erfasst (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135; BGH, Beschluss vom 25. September 2012 – 1 StR 212/12, wistra 2013, 35).
Raum Graf Jäger
Cirener Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 4 2 2 / 1 4
vom
2. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Dezember 2014 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Lübeck vom 15. April 2014 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat zur Rüge der Verletzung formellen
Rechts:
Der Angeklagte beanstandet, das Landgericht habe gegen § 243 Abs. 4
Satz 1 StPO verstoßen, weil sich der Vorsitzende in seiner in der Hauptverhandlung
gemachten Mitteilung über die letztlich gescheiterten verständigungsorientierten
Gespräche nicht zu der Frage verhalten habe, auf wessen Initiative
die Gespräche zurückgegangen waren. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet.
1. Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat der Vorsitzende mitzuteilen, ob
Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand
die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, und
wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass
Gespräche, welche die Möglichkeit einer Verständigung zum Gegenstand hatten
, stets in der Hauptverhandlung zur Sprache kommen (Transparenzgebot;
vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133,
168, 215; BGH, Beschluss vom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418).
Zu dem mitzuteilenden Inhalt gehört auch dann, wenn keine Verständigung zustande
gekommen ist, jedenfalls der Verständigungsvorschlag und die zu diesem
abgegebenen Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten (vgl. BGH,
Beschlüsse vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 411/13, NStZ 2013, 722 und vom
9. April 2014 – 1 StR 612/13, NStZ 2014, 416).
2. Demgegenüber gehört die Frage, von wem die Initiative zu dem Gespräch
ausgegangen ist, in dem ein Verständigungsvorschlag unterbreitet oder
über die Möglichkeit einer Verständigung gesprochen wurde, nicht zu dem gemäß
§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mitzuteilenden wesentlichen Inhalt des Gesprächs.
Sie betrifft allein den äußeren Ablauf des Verfahrens, nicht aber den
Inhalt von Verständigungsgesprächen (vgl. Schneider, NStZ 2014, 192, 200).

a) Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut von § 243 Abs. 4 Satz 1
StPO, der die Mitteilungspflicht lediglich auf den „Inhalt“ des Gesprächs be-
zieht, nicht aber auf die Art und Weise, wie es zustande gekommen ist. Vom
Begriff „Inhalt“ ist die Frage, auf wessen Initiative es zu einem Gespräch kam,
nicht umfasst.

b) Dieses Ergebnis entspricht auch der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts
in seinem Urteil vom 19. März 2013 (BVerfG, aaO). Das Bundesverfassungsgericht
bezieht darin die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO
nur auf den Gesprächsinhalt und nicht auf die Gesprächsgenese (BVerfG, aaO
S. 215 Rn. 85). Zu dem mitzuteilenden Gesprächsinhalt gehört nach dem Bundesverfassungsgericht
, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern
vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung
aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung
oder Ablehnung gestoßen ist (BVerfG, aaO). Eine Mitteilungspflicht hin-
sichtlich der Frage, wer die Initiative zur Verständigung ergriffen hat, besteht
deshalb auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nur insoweit
, als gerade dieser Umstand Inhalt des mitzuteilenden Gesprächs war.
Deshalb unterfällt der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO lediglich die
Frage, wer in einem auf Verständigung abzielenden Gespräch die Frage der
Verständigung aufgeworfen hat.
Dies wird auch aus der vom Bundesverfassungsgericht vorgenommenen
Differenzierung zwischen Mitteilungspflichten über außerhalb der Hauptverhandlung
geführte Gespräche einerseits und Dokumentationspflichten bezüglich
innerhalb der Hauptverhandlung geführter Gespräche andererseits deutlich.
Bei letzteren verlangt das Bundesverfassungsgericht – nicht nur im Wortlaut,
sondern auch in der Reihenfolge deutlich abweichend von den bei § 243 Abs. 4
StPO genannten Mitteilungsinhalten – die Protokollierung, wer die Anregung zu
den Gesprächen gab und welchen Inhalt die einzelnen Diskussionsbeiträge
aller Verfahrensbeteiligten sowie der Richter hatten, insbesondere von welchem
Sachverhalt sie hierbei ausgingen und welche Ergebnisvorstellungen sie
äußerten (BVerfG, aaO Rn. 86). Dies alles sind Umstände, die das in öffentlicher
Hauptverhandlung passierende Verständigungsgeschehen prägen, in dieser
wahrgenommen werden können und deshalb der erweiterten Protokollierungspflicht
unterfallen (vgl. auch § 273 Abs. 1a Satz 1 in Vergleich zu § 273
Abs. 1a Satz 2 StPO).

c) Soweit der Senat in verschiedenen Entscheidungen, auf die sich die
Revision bezieht, auch von einer Mitteilungspflicht zu der Frage ausgeht, auf
wessen Initiative es zu dem Verständigungsgespräch gekommen ist (vgl. Senat
, Beschlüsse vom 9. April 2014 – 1 StR 612/13, NStZ 2014, 416; vom
22. Juli 2014 – 1 StR 210/14, NStZ 2015, 48; vom 8. Oktober 2014 – 1 StR
352/14 und vom 18. Dezember 2014 – 1 StR 242/14; enger hingegen noch Senat
, Beschlüsse vom 2. Oktober 2013 – 1 StR 386/13, NStZ 2014, 168 und
vom 29. November 2013 – 1 StR 200/13, NStZ 2014, 221), hält er hieran aus
den oben genannten Gründen nicht fest.
Auch die übrigen Strafsenate des Bundesgerichtshofs haben anknüpfend
an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 (BVerfG,
aaO) die aus § 243 Abs. 4 StPO folgende Mitteilungspflicht gemäß dem Wortlaut
der Norm bislang – soweit ersichtlich – tragend lediglich auf den Inhalt von
verständigungsorientierten Vorgesprächen bezogen, nicht aber auf die Art und
Weise, wie solche Gespräche zustande gekommen sind (vgl. BGH, Urteil vom
10. Juli 2013 – 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310; Beschlüsse vom 8. Oktober 2013
– 4StR 272/13, StV 2014, 67; vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 411/13, NStZ
2013, 722 m. Anm. Mosbacher; vom 25. November 2013 – 5 StR 502/13,
NStZ-RR 2014, 52; vom 3. Dezember 2013 – 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219;
vom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418; vom 29. April 2014 – 3 StR
24/14, NStZ 2014, 529 m. Anm. Allgayer; Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR
381/13, NStZ 2014, 601 m. Anm. Grube; Beschlüsse vom 14. Juli 2014 – 5 StR
217/14, NStZ-RR 2014, 315; vom 29. Juli 2014 – 4 StR 126/14, NJW 2014,
3385).
3. Die Revision rügt nicht, dass die hier vom Vorsitzenden unter Verle-
sung seines Vermerks über das „Vorgespräch vom 26. Februar 2014“ erfolgte
Unterrichtung über den Inhalt dieses Gesprächs den Anforderungen des § 243
Abs. 4 Satz 1 StPO nicht entspricht. Der Vermerk enthielt jedenfalls die Information
, wer an dem Gespräch im Vorfeld der Hauptverhandlung teilgenommen
hatte, Angaben zum Ablauf des Gesprächs, die Mitteilung, welche Gesprächsteilnehmer
in welcher Reihenfolge welche Vorstellungen zur Strafhöhe geäu-
ßert hatten, und schließlich die Wiedergabe des dann von den Berufsrichtern
unterbreiteten Verständigungsvorschlags. Die von der Revision vermisste Angabe
, von wem die Initiative zu dem Gespräch als solchem ausgegangen war
(es war nach der unwidersprochenen dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden
der frühere Verteidiger des Angeklagten), hätte auch zum Verständnis des Inhalts
des Gesprächs nichts beitragen können.
Rothfuß Jäger Radtke
Mosbacher Fischer

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 8 9 / 1 4
vom
15. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchdiebstahls
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 15. April 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 17. September 2013 wird verworfen; jedoch wird der Strafausspruch dahin ergänzt, dass die in Italien erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in fünf Fällen und wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf eine Verfahrensrüge und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten führt nur zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Ergänzung des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Der Schuldspruch wird von den auf rechtsfehlerfreier Grundlage getroffenen Feststellungen getragen.
3
Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, der Vorsitzende der Strafkammer habe entgegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO in einem Fall nicht vollständig und im anderen Fall überhaupt nicht über Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung unterrichtet, die die Möglichkeit einer Verständigung zum Gegenstand hatten.
4
a) Der Rüge liegt aufgrund des Vortrags der Verteidigung, der unwidersprochen geblieben ist und im Protokoll in Bezug auf das Geschehen innerhalb der Hauptverhandlung seine Bestätigung findet, folgender Verfahrensgang zugrunde :
5
Am ersten Hauptverhandlungstag wurde die Sitzung nach Verlesung der Anklage und Belehrung des Angeklagten für ein Gespräch zwischen dem Gericht , dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger unterbrochen. Hierbei gab der Staatsanwalt auf Nachfrage des Verteidigers seine Straferwartung für den Fall anklagegemäßer Verurteilung mit und ohne Geständnis bekannt; der Verteidiger erwiderte, der Angeklagte erwarte bei einem Geständnis eine Strafe "im bewährungsfähigen Rahmen"; die Voraussetzungen einer möglichen Verständigung wurden erörtert, ohne dass eine Einigung erzielt worden wäre. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende mit, dass "Gespräche im Hinblick auf das Verfahren geführt wurden, diese haben zu keinem Ergebnis geführt".
6
Am fünften Hauptverhandlungstag wurde die Sitzung auf Anregung des Verteidigers erneut zu einem Gespräch unterbrochen, an dem dieser, das Gericht und die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft teilnahmen. Dabei nannte die Staatsanwältin für den Fall eines vollumfänglichen Geständnisses des Angeklagten eine Straferwartung von nicht unter vier Jahren Freiheitsstrafe , während der Verteidiger "ein wesentlich geringeres Strafmaß vertrat". Im Anschluss an eine Diskussion hierüber unterrichtete der Verteidiger den Angeklagten über die Strafvorstellungen der Verfahrensbeteiligten. Der Angeklagte war damit nicht einverstanden, was der Verteidiger wiederum dem Gericht und der Staatsanwältin mitteilte. Daraufhin wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt. Eine Mitteilung über das vorangegangene Gespräch machte der Vorsitzende nicht.
7
Am siebten Hauptverhandlungstag gab der Verteidiger eine Erklärung zur Sache ab, die sich der Angeklagte zu Eigen machte. Hierin räumte er die Beteiligung an zwei der ihm vorgeworfenen Taten ein und bestritt die weitergehenden Tatvorwürfe.
8
b) Die Revision rügt, in beiden Fällen seien die "Mitteilungs- und Protokollierungspflichten" nach § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO verletzt worden; auf der mangelnden Transparenz der ohne den Angeklagten geführten Gespräche beruhe das Urteil, da ein Einfluss auf das Verteidigungsverhalten des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden könne.
9
c) Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Eine Verletzung der Protokollierungspflicht liegt nicht vor. Die Informationspflichten aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO hat der Vorsitzende zwar jeweils verletzt, indes ist ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler auszuschließen. Hierzu im Einzelnen:
10
(1) Soweit die Revision eine Verletzung der Protokollierungspflicht aus § 273 Abs. 1a Satz 2 i.V.m. § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO rügt, ergibt sich schon aus ihrem Vortrag, dass ein solcher Rechtsfehler nicht vorliegt. Nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO muss das Protokoll u.a. die Beachtung der in § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Mitteilungen wiedergeben. Wird entgegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO eine Erörterung, die außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden hat, nach Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht bekannt gemacht und damit die Informationspflicht nicht beachtet, so ergibt sich aus dem Schweigen des Protokolls kein zusätzlicher Rechtsfehler. Ein "Fehlen der Protokollierung" (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310, 312 f.) liegt gerade nicht vor. Vielmehr gibt das Protokoll den Gang der Hauptverhandlung zutreffend wieder. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO ist nicht verletzt. So liegt es - wie die Revision selbst vorträgt - auch hier. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass allein auf einer fehlenden oder fehlerhaften Protokollierung das Urteil ohnehin nicht beruhen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 210/13, NJW 2014, 1254, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
11
(2) Verletzt worden ist hingegen die nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO bestehende Informationspflicht. Danach muss der Vorsitzende über Erörterungen mit Verfahrensbeteiligten (§ 202a StPO), die nach Beginn der Hauptverhandlung , aber außerhalb von dieser stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, in der Hauptverhandlung Mitteilung machen. Das Transparenzgebot soll sicherstellen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und durch die Möglichkeit, Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung zu führen, kein informelles und unkontrolliertes Verfahren betrieben wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1065; BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310, 312 f.). Mitzuteilen ist dabei nicht nur der Umstand, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Hierzu gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (BVerfG aaO, BGH aaO). Eine Unterrichtung, die sich auf die Mitteilung beschränkt, es hätten Vorgespräche stattgefunden, aber noch nicht zu einer Einigung geführt, ist nicht ausreichend (BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober 2013 - 5 StR 411/13, StV 2014, 66; vom 29. November 2013 - 1 StR 200/13, NStZ-RR 2014, 85, 86).
12
Danach genügt schon die am ersten Hauptverhandlungstag erfolgte Mitteilung nicht den inhaltlichen Anforderungen. Erst recht stellt das vollständige Übergehen der am fünften Hauptverhandlungstag in Unterbrechung der Hauptverhandlung erfolgten Erörterungen eine Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO dar. Daran ändert der Umstand nichts, dass der Angeklagte selbst hatte mitteilen lassen, er sei auf der Basis des in den Gesprächen Erörterten nicht zu einem Geständnis bereit.
13
(3) Auf den beiden Verfahrensfehlern beruht das Urteil nicht.
14
Die Mitteilungspflicht betreffend außerhalb der Hauptverhandlung geführte Erörterungen über die Möglichkeit einer Verständigung dient der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit und der Information des Angeklagten, der regelmäßig an dem Gespräch nicht teilnimmt und der über das in Kenntnis gesetzt werden soll, was in seiner Abwesenheit über mögliche Abkürzungen des Verfahrens gesprochen worden ist, um seine Verteidigung darauf einrichten zu können (vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 243 Rn. 52a). Zwar hat das Verständigungsgesetz davon abgesehen, den Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO den absoluten Revisionsgründen zuzuordnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. September 2013 - 1 StR 237/13, StV 2013, 740 [für § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO]; vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 210/13, NJW 2014, 1254, 1256), indes ist, sofern die Mitteilung über das Gespräch unterbleibt oder sich auf eine unzureichende Darstellung beschränkt, grundsätzlich die Verteidigungsposition des Angeklagten tangiert (vgl. BVerfG aaO, NJW 2013, 1058, 1067; BGH, Beschluss vom 25. November 2013 - 5 StR 502/13, NStZ-RR 2014, 52).
15
Vorliegend hat der Angeklagte indes eine Einlassung zu den Tatvorwürfen erst abgegeben, nachdem er - wie die Revision selbst vorträgt - von seinem Verteidiger über den Ablauf und den Inhalt der Erörterungen am Rande des fünften Verhandlungstags unterrichtet worden war und er über seinen Verteidiger hatte mitteilen lassen, unter den in Aussicht gestellten Strafrahmen nicht zu einem Geständnis bereit zu sein. Er hat seine Entscheidung, wann und in welcher Weise er sich zu den Tatvorwürfen einlassen würde, in voller Kenntnis dessen getroffen, was in seiner Abwesenheit zuletzt und damit zugleich die Erörterungen am Rande des ersten Hauptverhandlungstags überholend besprochen worden war. Es ist deshalb auszuschließen, dass sich der Angeklagte anders eingelassen hätte, wenn ihm durch den Vorsitzenden nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung Ablauf und Inhalt der Erörterung ordnungsgemäß mitgeteilt worden wären.
16
(4) Da die Rüge letztlich ohne Erfolg bleibt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob sie - wie der Generalbundesanwalt meint - hinsichtlich der unvollständigen Unterrichtung am ersten Hauptverhandlungstag schon deshalb unzulässig ist, weil der Angeklagte vom Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO keinen Gebrauch gemacht hat.
17
2. Der Strafausspruch ist ebenfalls beanstandungsfrei. Allerdings hat das Landgericht entgegen § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB im Urteil keine Bestimmung über den Maßstab getroffen, nach dem die in Italien erlittene Auslieferungshaft auf die hier erkannte Freiheitsstrafe anzurechnen ist. Diese Entscheidung muss in der Urteilsformel zum Ausdruck kommen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 1977 - 2 StR 410/77, BGHSt 27, 287, 288). Der Senat holt den grundsätzlich dem Tatrichter obliegenden Ausspruch über die Festsetzung des Anrechnungsmaßstabes nach. Im Hinblick darauf, dass die Anrechnung bei einer Freiheitsentziehung in Italien nur im Verhältnis von 1:1 in Betracht kommt, hat der Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Anrechnungsmaßstab selbst bestimmt.
Schäfer Pfister Hubert Mayer Gericke

(1) Der erschienene Angeklagte darf sich aus der Verhandlung nicht entfernen. Der Vorsitzende kann die geeigneten Maßregeln treffen, um die Entfernung zu verhindern; auch kann er den Angeklagten während einer Unterbrechung der Verhandlung in Gewahrsam halten lassen.

(2) Entfernt der Angeklagte sich dennoch oder bleibt er bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung aus, so kann diese in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden, wenn er über die Anklage schon vernommen war, das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet und er in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass die Verhandlung in diesen Fällen in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden kann.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 631/10
vom
25. Juli 2011
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
1. Eigenmächtigkeit des Entfernens im Sinne von § 231 Abs. 2 StPO kann
vorliegen, wenn der Angeklagte aufgrund einer mittelgradigen depressiven
Episode einen Suizidversuch unternimmt, der zu seiner Verhandlungsunfähigkeit
führt.
2. Zur Wirksamkeit von Selbstanzeigen mit geringfügigen Abweichungen von
dem in § 371 Abs. 1 AO für Selbstanzeigen vorgeschriebenen Inhalt.
BGH, Beschluss vom 25. Juli 2011 - 1 StR 631/10 LG Darmstadt
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Juli 2011 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 26. März 2010 wird
a) das Verfahren auf den Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellt, soweit dem Angeklagten im Tatkomplex "Umsatzsteuerhinterziehung" Steuerhinterziehung in 20 Fällen (betreffend die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate März, April, Juni, Oktober und Dezember 2001, Januar, März, Juni und Juli 2002, Januar bis April, Juli, September und Dezember 2003 sowie die Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2000 bis 2003) zur Last liegt;
b) das genannte Urteil im Schuldspruch dahingehend abgeändert , dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in 32 Fällen schuldig ist. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 52 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Von weiteren Vorwürfen hat es ihn freigesprochen. Weiter hat das Landgericht festgestellt, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe ein Monat als verbüßt gilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er sich gegen seine Verurteilung wendet und dabei die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, führt zu einer Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO. Im Übrigen ist sie unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.
2
Näherer Erörterung bedürfen die auf den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gestützte Verfahrensrüge (A) und der Schuldspruch (B).

A.

3
Die Hauptverhandlung wurde an fünf Tagen in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt. Die Revision macht deshalb einen Verstoß gegen § 230 Abs. 1, § 231 Abs. 2 StPO geltend. Zwar habe sich der Angeklagte selbst in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit gebracht, indem er während laufender Hauptverhandlung bei "eingeschränkter Steuerungsfähigkeit" versucht habe , sich das Leben zu nehmen. Er habe sich deshalb aber - anders als das Landgericht annimmt - noch nicht eigenmächtig der weiteren Hauptverhandlung entzogen. Die Verfahrensrüge ist unbegründet.
4
I. Der Rüge liegt folgendes Prozessgeschehen zu Grunde:
5
1. Die Hauptverhandlung gegen den ordnungsgemäß geladenen Angeklagten begann am 18. Oktober 2009 mit Verlesung des Anklagesatzes aus der Anklageschrift und aus einer Ergänzungsanklage. Im Anschluss hieran erklärte einer der Verteidiger, der Angeklagte werde an diesem Tag keine Stellungnahme abgeben. Nach Erteilung des Hinweises an den Angeklagten, dass es ihm freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, trat das Landgericht im Einverständnis mit allen Verfahrensbeteiligten in die Beweisaufnahme ein. Es wurden ausschließlich Urkunden verlesen. Am zweiten Hauptverhandlungstag sagte der Angeklagte zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Sache aus und beantwortete Fragen des Vorsitzenden. Am dritten Verhandlungstag fuhr das Gericht mit der Beweisaufnahme fort. Der Angeklagte erklärte, er fühle sich nicht in der Lage, weitere Fragen des Vorsitzenden zu beantworten, er sei aber in der Lage, die Fragen aufzunehmen. Der Vorsitzende stellte seine Fragen und gab dem Angeklagten anheim, diese am nächsten Verhandlungstag, der für den 11. November 2009 angesetzt war, zu beantworten.
6
2. Zu dem danach erfolgten Suizidversuch des Angeklagten hat das Landgericht - im Urteil - folgende Feststellungen getroffen: "In der Nacht vom 10.11.2009 auf den 11.11.2009, mithin während laufender Hauptverhandlung, lag beim Angeklagten W. eine mittelgradige depressive Episode vor, hervorgehend aus einer zuvor bestehenden leichteren depressiven Verstimmung bei äußerer Belastungssituation. Am 11.11.2009 stand nämlich für den Angeklagten eine Reihe von belas- tenden Aussagen der Zeugen … bevor. … Nur wenige Stunden vor Be- ginn des Fortsetzungstermins der Hauptverhandlung, zu einer Zeit, als er mit seinem Auffinden rechnen konnte, fügte sich der Angeklagte W. Verletzungen an den Armbeugen zu, die zu einem hohen Blutverlust führten. Der Angeklagte W. war bei Vornahme der Selbstverletzungen in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt; gänzlich ausgeschlossen war sie aber nicht. Der Angeklagte W. wollte durch sein Handeln der Hauptverhandlung entgehen und nahm hierbei billigend seinen Tod in Kauf. Gleichzeitig hoffte er aber noch - wie dann auch geschehen - rechtzeitig von seiner Ehefrau … aufgefunden und gerettet zu werden."
7
3. Infolge des Selbstmordversuchs war der Angeklagte für einen für das Landgericht nicht vorhersehbaren Zeitraum nicht mehr verhandlungsfähig. Deshalb beauftragte das Landgericht am 12. November 2009 Dr. S. , einen Arzt für Neurologie und Psychiatrie, mit einem Sachverständigengutachten, in dem geklärt werden sollte, ab wann und in welchem Umfang der Angeklagte wieder verhandlungsfähig sein werde. Der Gutachter sollte sich "auch zu der Frage äußern, ob der Angeklagte seinen Selbstmordversuch schuldhaft unternommen hat, d.h. nicht im Zustand fehlender Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB". Das Landgericht stellte in Aussicht, im Falle fortdauernder Verhandlungsunfähigkeit die Hauptverhandlung auszusetzen und zu einem späteren Zeitpunkt von vorne beginnen zu lassen.
8
Die Exploration durch den Sachverständigen fand am 21. November 2009 statt. Nachdem der Sachverständige im Hauptverhandlungstermin vom 26. November 2009 sein Gutachten mündlich erstattet hatte (das schriftliche Gutachten ging am 7. Dezember 2009 bei der Strafkammer ein) und zudem ärztliche Atteste verlesen worden waren, verkündete das Landgericht nach Beratung den Beschluss, dass die Hauptverhandlung gemäß § 231 Abs. 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten fortgesetzt und gegebenenfalls zu Ende geführt werden solle. In diesem Beschluss vom 26. November 2009 führt das Landgericht u.a. aus: "Das Fernbleiben des Angeklagten W. war eigenmächtig. Der Angeklagte W. ist seiner Anwesenheitspflicht wissentlich durch die von ihm nur wenige Stunden vor dem Verhandlungstermin vom 11.11.2009 begangene Selbstverletzung nicht nachgekommen. Diese Verletzungshandlung diente nach Überzeugung der Kammer dazu, dem Gang der Urteilsfindung durch Missachtung seiner Anwesenheitspflicht durch das Herbei- führen eines andauernden Zustandes der Verhandlungsunfähigkeit vorsätzlich entgegenzutreten. Dies ergibt sich aus den folgenden Umständen: Gegen Ende des 3. Verhandlungstages am Freitag, den 06.11.2009, konfrontierte die Kammer den Angeklagten mit einer Reihe aus ihrer damaligen Sicht bestehender unauflösbarer Widersprüche zwischen der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung abgegebenen Einlassung und dem schriftsätzlichen Vortrag seiner Verteidiger im Ermittlungs- und Besteuerungsverfahren , dessen Richtigkeit er teilweise sogar eidesstattlich versichert hat. Bereits zuvor traten an diesem Verhandlungstag im Rahmen der Vernehmung des Zeugen T. ersichtlich nicht nur für die Kammer überraschend unterschiedliche Versionen von Gesellschaftsverträgen zutage , die die Kammer dazu veranlassten, den Angeklagten nach dem Zustandekommen und der Verwendung der unterschiedlichen Versionen zu befragen. Diese Fragen und Hinweise auf Widersprüche blieben unbeantwortet. Die Kammer hat dabei auch zu verstehen gegeben, dass sie bei vorläufiger Würdigung der Sachlage der Einlassung des Angeklagten wohl nicht würde folgen können. Mit diesen Widersprüchen konfrontiert endete der 3. Verhandlungstag. Für den 4. Verhandlungstag am Mittwoch, den 11.11.2009, waren Zeugen vorgesehen, die nach Aktenlage wie z.B. die Zeugin H. über intime Details über das Verhältnis des Angeklagten W. zu Margit C. würden berichten können und hieraus folgernd das mögliche Motiv für die nicht versteuerten Zahlungen von Margit C. an den Angeklagten beleuchtende Angaben machen würden. Diese Angaben wären für den Angeklagten W. deswegen besonders unangenehm, weil der Prozess intensiv durch die Medien verfolgt wird und entsprechende Angaben aufgrund der Berichterstattung der Medien große Verbreitung finden würden. Unter Würdigung dieser Prozesslage zieht der Sachverständige Dr. S. den naheliegenden Schluss, dass der Angeklagte W. aus seiner Sicht keine befriedigenden Antworten auf die durch die Kammer aufgezeigten Widersprüche finden konnte und der kommende Prozessverlauf für ihn äußerst peinlich zu werden schien. Um sich diesen Widersprüchen und der Peinlichkeit der weiteren Hauptverhandlung zu entziehen , hat der Angeklagte W. sich dann selbst körperlich beschädigt. Der Begriff der Selbstbeschädigung rührt dabei vom Sachverständigen (her), der in Zweifel zieht, ob es sich überhaupt um einen ernsthaften Selbstmordversuch gehandelt hat. Wegen der Unaufklärbarkeit dieser Frage geht die Kammer davon aus, dass die Selbstbeschädigung mit beding- tem Selbsttötungsvorsatz erfolgte – zu einem Zeitpunkt und an einem Ort, wo der Angeklagte auf ein rechtzeitiges Auffinden hoffen konnte. Ein weiteres Indiz dafür, dass der Angeklagte W. sich der weiteren Hauptverhandlung durch die Selbstbeschädigung entziehen wollte, ergibt sich aus dem Zeitpunkt der Tat: Der Angeklagte W. hat die Selbstverletzung gegen 6.30 Uhr nur wenige Stunden vor der Fortsetzung der Hauptverhandlung um 9.00 Uhr unternommen. Dieser enge zeitliche Zusammenhang mit der Fortsetzung der Hauptverhandlung spricht nach Überzeugung der Kammer ebenfalls dafür, dass der Angeklagte W. hierdurch die unmittelbar bevorstehenden und für ihn aller Voraussicht nach höchst peinlichen Zeugenaussagen in öffentlicher Verhandlung verhindern wollte. Der Angeklagte W. hat sich seine Verletzungen nicht im Zustand fehlender Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB zugefügt. Aus dem stets nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten des vom Gericht beauftragten, forensisch sehr erfahrenen Sachverständigen Dr. S. , dem sich die Kammer anschließt, ergibt sich, dass die eigene körperliche Beschädigung des Angeklagten W. Ausdruck eines wachen und abwägenden, bilanzierenden Verstandes war und nicht im Zustand des Ausschlusses seiner Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit begangen wurde. Zu diesem Ergebnis kommt der Sachverständige für die Kammer nachvollziehbar aufgrund des mit dem Angeklagten W. am 21.11.2009 geführten Gesprächs sowie der ihm geschilderten prozessualen Situation, die – wie oben bereits ausgeführt – beim Angeklagten W. Gefühle wie Scham, Ehre und Gesichtsverlust ausgelöst haben. Diese Gefühle führen jedoch nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht dazu, dass sie die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufheben. Seinem vom Angeklagten W. im Rahmen des mit ihm geführten Gespräches gewonnenen Eindrucks sei der Angeklagte merklich davon entfernt, in einem schuldausschließenden Zustand ge- handelt zu haben. … Aufgrund der vorgenannten Umstände gelangt die Kammer daher zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte W. versuchte, sich dem weiteren Gang der Hauptverhandlung durch Herbeiführen einer Verhandlungsunfähigkeit vorsätzlich zu entziehen, ohne dass seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen wäre."
9
In diesem Beschluss, die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten fortzusetzen , wies das Landgericht darauf hin, dass der Angeklagte uneingeschränkt Gelegenheit gehabt habe, zum Anklagevorwurf Stellung zu nehmen, und von diesem Recht auch Gebrauch gemacht habe. Es hielt deswegen dessen weitere Anwesenheit nicht für erforderlich. Das Landgericht kündigte allerdings an, sich an diesem und am folgenden Hauptverhandlungstag auf ein minimales Beweisprogramm zu beschränken, um die Mitwirkungsrechte des Angeklagten soweit wie möglich zu achten. Den Aussetzungsantrag eines Verteidigers lehnte das Landgericht ab.
10
4. In der Folge verhandelte das Landgericht an fünf Hauptverhandlungstagen ohne den Angeklagten; ab dem 11. Hauptverhandlungstag (22. Dezember 2009) war der Angeklagte wieder anwesend. Der Vorsitzende unterrichtete ihn in entsprechender Anwendung des § 231a Abs. 2 StPO über den wesentlichen Inhalt dessen, was Gegenstand der Verhandlung während seiner Abwesenheit gewesen ist.
11
Am 12. Januar 2010 lehnte der Angeklagte den Sachverständigen Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit ab und beantrage die Einholung eines weiteren fachpsychiatrischen Gutachtens "insbesondere zu der Frage, ob anlässlich des Suizidversuchs am 11. November 2009 ein freier Willensentschluss von Herrn W. vorlag."
12
Am 22. Januar beschloss das Landgericht, den Psychiater Dr. J. mit einem Sachverständigengutachten zu beauftragen, wobei dieser sich auch zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten vom Beginn der Hauptverhandlung am 28.10.2009 bis zum Fortsetzungstermin am 6.11.2009 äußern sollte.
13
5. In seinem am 15. Februar 2010 erstellten schriftlichen Gutachten, das - soweit es um den Zustand des Angeklagten ging - im Wesentlichen auf dessen eigenen Angaben beruhte, führte der Sachverständige Dr. J. u.a. aus: Eine "depressive Episode" trat "in der Nacht zum 11.11.2009 ein, nachdem Herr W. von seinem Verteidiger über unangenehme Aussichten im Strafverfahren hingewiesen wurde und er danach noch ein längeres Gespräch unbekannten Inhalts mit seiner Ehefrau führte. Die depressive Verstimmung nahm nun ein so großes Ausmaß an, dass Herr W. in einen Zustand geriet, der von Herrn Dr. M. [dem behandelnden Arzt] tref- fend als ‚präsuizidales Syndrom‘ beschrieben wurde, gekennzeichnet durch das Gefühl der Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit, der Isolierung von den Mitmenschen und dem immer verführerischen Drang, diese als unerträglich empfundene Situation durch den Freitod zu entfliehen. … Herr W. war im Zeitraum der ersten Verhandlungstage angeschlagen, er litt an einer Anpassungsstörung mit depressiver und vielleicht auch ängstlicher Symptomatik, aber er war nicht verhandlungsunfähig. Zum Zeitpunkt seines Suizidversuchs befand sich Herr W. allerdings in einem akuten depressiven und präsuizidalen Verstimmungszustand, der sich aus der leichteren depressiven Verstimmung am Abend durch das Gespräch mit dem Anwalt und danach mit seiner Frau verstärkt hatte und nun innerhalb von Stunden sein Denken und Handeln zunehmend im Sinne eines Tunnelblicks lenkte. Hierbei ließ er sich zum Teil von noch vernünftig scheinenden Erwägungen leiten, zum Beispiel davon, vielleicht durch seinen Tod seiner Familie zusätzliches Unbill ersparen zu können. Dass er mit einem Freitod seiner Frau ein noch viel größeres Leid zufügen würde, vermochte er allerdings nicht mehr zu erkennen. Das impliziert, dass er in seiner Hemmungsfähigkeit (Steuerungsfähigkeit ) zum Zeitpunkt des Suizids erheblich beeinträchtigt war."
14
Dr. J. verneinte die Annahme von Dr. S. , es habe ein "rein demonstrativer Suizidversuch" vorgelegen und kam zu dem Ergebnis: "Die Wahrheit dürfte, wie so oft, in der Mitte liegen: Herr W. war weder im Tatzeitraum so ‚larviert depressiv‘, in der Ausgestaltung einer typischen ‚Männer-Depression‘ …, noch war er bei seinem Suizidversuch so ‚gesund ‘, wie dies Herr Dr. S. schlussfolgerte. Ein schuldfähigkeitsrele- vantes Krankheitsbild lag erst in der Nacht zum 11.11.2009 vor, in Form einer mittelgradigen depressiven Episode mit Suizidversuch, hervorge- hend aus einer zuvor leichteren depressiven Verstimmung bei äußerer Belastungssituation (Strafprozess und Medienkampagne)."
15
Seinen Befund zur Frage der Schuldhaftigkeit des Herbeiführens von Verhandlungsunfähigkeit fasste Dr. J. so zusammen: "Der in diesem Zustand begangene Suizidversuch war nach Überzeugung des Unterzeichnenden nicht demonstrativ im Sinne eines reinen Zweckverhaltens, sondern Ausdruck und Symptom dieses depressivsuizidalen Verstimmungszustandes im Sinne einer akuten krankhaften seelischen Störung (entsprechend dem ersten Eingangsmerkmal der § 20, 21 StGB). Hinsichtlich der Schuldhaftigkeit des Herbeiführens von Verhandlungsfähigkeit [gemeint wohl Unfähigkeit] am Folgetag ist von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei erhaltener Einsicht auszugehen (gemäß § 21 StGB). Es lag keine wahnhafte depressive Psychose vor und bei dem Suizidversuch, der sich über zwei Stunden hinzog, handelte es sich nicht um einen melancholischen Raptus, so dass weder von Einsichtsunfähigkeit noch von aufgehobener Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt des Suizidversuchs auszugehen ist."
16
6. Auch den Sachverständigen Dr. J. lehnte der Angeklagte wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Landgericht wies diesen Befangenheitsantrag mit Beschluss vom 18. März 2010 zurück. Zugleich teilte der Vorsitzende mit, dass die Strafkammer "auf die gutachtlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. nichts stützt". Nachdem der Verteidiger an dem Ablehnungsantrag gegen Dr. S. festhielt, beschloss das Landgericht: "Der gegen den Sachverständigen Dr. S. gerichtete Ablehnungsantrag wird als unzulässig zurückgewiesen, weil die Sachverständigentätigkeit des Dr. S. bei der weiteren Entscheidungsfindung keine Rolle spielt und damit der Befangenheitsantrag gegenstandslos ist."
17
II. Bei dieser Sachlage ist ein absoluter Revisionsgrund i.S.d. § 338 Nr. 5 StPO nicht gegeben. Das Landgericht durfte deshalb an den fraglichen fünf Hauptverhandlungstagen ohne den Angeklagten verhandeln.
18
1. Allerdings findet gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung grundsätzlich nicht statt (§ 230 Abs. 1 StPO); ein erschienener Angeklagter darf sich aus der Hauptverhandlung auch nicht wieder entfernen (§ 231 Abs. 1 Satz 1 StPO). Diese gesetzlichen Vorgaben dienen der Gewährleistung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in jeder Phase der Hauptverhandlung. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs ist der Angeklagte im Gegenzug zur Teilnahme an der Hauptverhandlung grundsätzlich verpflichtet und kann dazu auch gezwungen werden (§ 230 Abs. 2, § 231 Abs. 1 Satz 2, § 112 StPO). Ein Angeklagter, der sich der Hauptverhandlung entzieht, hat zwar im Grunde seinen Anspruch auf Gehör verwirkt (zur Verwirkung vgl. Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 103 Abs. 1 Rn. 18, 83 [Stand: 48. Lfg. 2006 bzw. 27. Lfg. 1988]). Wegen der besonderen Bedeutung des Rechts auf rechtliches Gehör als Voraussetzung für ein faires rechtsstaatliches Verfahren erlaubt die Strafprozessordnung die Durchführung einer Hauptverhandlung gleichwohl nur unter den Voraussetzungen des § 231 Abs. 2 StPO und des - hier nicht einschlägigen - § 231a StPO sowie nach Entfernung eines Angeklagten aus der Hauptverhandlung wegen Ungebühr nach § 177 GVG (BGH, Beschluss vom 7. November 2007 – 1 StR 275/07, NStZ-RR 2008, 285). Im Falle des § 231 Abs. 2 StPO muss der Angeklagte dabei über den bloßen Wortlaut dieser Vorschrift hinaus seine Pflicht zum Verbleiben oder Wiedererscheinen eigenmächtig verletzt haben, denn bei genügender Entschuldigung kann sein Erscheinen auch sonst nicht erzwungen werden (vgl. § 230 Abs. 2 StPO; BGH aaO).
19
2. Eigenmächtigkeit liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Angeklagte wissentlich und ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund der weiteren Hauptverhandlung fernbleibt (BGH, Urteil vom 30. November 1990 - 2 StR 44/90, BGHSt 37, 249). Dem Ausbleiben i.S.v.
§ 231 Abs. 2 StPO steht es gleich, wenn sich der Angeklagte nach der Vernehmung zur Sache - vorher gilt § 231a StPO - eigenmächtig in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat (BGH, Urteil vom 19. Februar 2002 - 1 StR 546/01, NStZ 2002, 533, 535 mwN; BGH, Urteil vom 26. Juli 1961 - 2 StR 575/60, BGHSt 16, 178, 183). Für die Annahme eines eigenmächtigen Ausbleibens ist nicht die Feststellung erforderlich, dass der Angeklagte versucht habe, im Sinne einer Boykottabsicht den "Gang der Rechtspflege" zu stören oder ihm "entgegenzutreten" (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1990 - 2 StR 44/90, BGHSt 37, 249, 254 f. mwN). Gegenteiliges lässt sich auch älterer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entnehmen (vgl. BGH aaO mN).
20
3. Der Gesetzgeber hat die zu § 231 Abs. 2 StPO ergangene Rechtsprechung aufgegriffen, als er mit dem Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRErgG) vom 20. Dezember 1974 die Vorschrift des § 231a in die Strafprozessordnung einfügte (BGBl. I S. 3686, 3688). Nach dieser Vorschrift kann die Hauptverhandlung, auch wenn der Angeklagte noch nicht über die Anklage vernommen worden war, in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden, wenn er sich vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages führte in seinem Bericht (BT-Drucks. 7/2989) aus, diese Vorschrift lehne sich an den von der Rechtsprechung und Wissenschaft herausgearbeiteten Gehalt des § 231 Abs. 2 StPO an. Ohne den Angeklagten dürfe nur verhandelt werden, wenn er seine Verhandlungsunfähigkeit selbst herbeigeführt hat und ihm dies zuzurechnen ist. Den seine Verhandlungsunfähigkeit ergebenden Zustand müsse er dabei vorsätzlich bewirkt haben und zwar ("wissentlich") in Kenntnis des Umstandes, dass hierdurch die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung verhindert wird. Allerdings brauche das nicht das Ziel des Angeklagten zu sein. Es genü- ge, wenn er dies als notwendige Folge seines Verhaltens erkennt und damit will. Ferner müsse der Angeklagte schuldhaft handeln; wer schuldunfähig sei, wenn er die entscheidende Ursache für die Verhandlungsunfähigkeit setze, falle nicht unter diese Vorschrift.
21
4. Eigenmächtigkeit kann danach grundsätzlich auch dann gegeben sein, wenn der Angeklagte - wie hier - während laufender Hauptverhandlung einen Suizidversuch unternimmt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 1961 - 2 StR 575/60, BGHSt 16, 178; vom 19. Februar 2002 - 1 StR 546/01, NStZ 2002, 533).
22
Für den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten und vom Gesetzgeber übernommenen Begriff der Eigenmächtigkeit sind bei einem Suizidversuch während laufender Hauptverhandlung folgende Kriterien maßgebend:
23
a) Der Angeklagte muss seine Verhandlungsunfähigkeit selbst herbeigeführt haben und dies muss ihm zuzurechnen sein. Dabei muss er vorsätzlich handeln und in Kenntnis des Umstandes, dass hierdurch die ordnungsmäßige Durchführung der Hauptverhandlung verhindert wird. Die Verhinderung der Hauptverhandlung muss allerdings nicht das Ziel des Angeklagten sein. Es genügt , wenn er dies als notwendige Folge seines Verhaltens erkennt und damit will; eine Boykottabsicht ist demnach nicht erforderlich.
24
b) Zu diesen Kriterien muss hinzukommen, dass der Angeklagte "schuldhaft" handelt. Das in § 231a Abs. 1 Satz 1 StPO genannte Merkmal "schuldhaft" gilt nach dem Vorstehenden in gleicher Weise für das Verständnis des ungeschriebenen Merkmals "Eigenmächtigkeit" in § 231 StPO.
25
Den Begriff "schuldhaft" verwendet die Strafprozessordnung auch in § 464c StPO (Säumnis des Angeschuldigten und Dolmetscherauslagen). Vergleichbare Merkmale finden sich etwa in § 230 StPO (Vorführung oder Haftbe- fehl, wenn der ausgebliebene Angeklagte "nicht genügend entschuldigt" ist) und in § 51 Abs. 2 StPO (Ausbleiben des Zeugen); vgl. auch § 44 StPO. Auch wenn es bei den Vorschriften der §§ 51, 230 und § 464c StPO um Fälle der Säumnis geht, ist der Senat doch der Ansicht, dass das dortige Begriffsverständnis von "schuldhaft" jedenfalls auf Fälle der vorliegenden Art nicht übertragbar ist.
26
c) Für Fälle der vorliegenden Art erscheint dem Senat eine Konturierung des Merkmals "schuldhaft" anhand der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB besser geeignet (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 231a Rn. 8). Freilich spricht die amtliche Überschrift der §§ 20, 21 StGB von "Schuldunfähigkeit" bzw. "Schuldfähigkeit". Das sind materiell-rechtliche Begriffe, die mit dem in der Strafprozessordnung verwendeten verfahrensrechtlichen Merkmal "schuldhaft" nicht deckungsgleich sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 1961 - 2 StR 575/60, BGHSt 16, 178, 183). Hinzu kommt, dass es dort um die Schuldfähigkeit "bei Begehung der Tat" - also der Straftat - und die Fähigkeit geht, das Unrecht der Straftat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
27
Soweit es um die eingeschränkte Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB geht, ist darüber hinaus von Bedeutung, dass diese Fähigkeit "erheblich" vermindert sein muss. Dafür gilt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221, 223): Bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit "erheblich" i.S.d. § 21 StGB ist, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die das Tatgericht ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten hat. Dabei fließen normative Erwägungen ein. Die rechtliche Erheblichkeit der Verminderung des Hemmungsvermögens hängt auch von den Ansprüchen ab, die die Rechtsordnung an das Verhalten des Einzelnen stellt. Dies zu beurteilen, ist allein Sache des Gerichts. Lediglich zur Beurteilung der Vorfrage nach den medizinisch- psychiatrischen Anknüpfungstatsachen bedarf es sachverständiger Hilfe, wenn es hierüber nicht aufgrund eigener Sachkunde befinden kann.
28
Dies verdeutlicht, dass in Fällen der vorliegenden Art für die Auslegung der "Eigenmächtigkeit" i.S.v. "schuldhaft" nur begrenzt auf das Verständnis von Schuldfähigkeit i.S.v. §§ 20, 21 StGB zurückgegriffen werden kann, namentlich dann, wenn keine volle "Schuldunfähigkeit" gegeben ist. Nach Ansicht des Senats gilt daher:
29
Nicht "schuldhaft" bzw. nicht eigenmächtig kann ein Suizidversuch vor allem dann sein, wenn der ihn auslösende Zustand von dem ersten Eingangsmerkmal des § 20 StGB (krankhafte seelische Störung) bestimmt wurde. Beruht der Suizidversuch entscheidend auf einer "Schuldunfähigkeit" im Sinne des ersten Eingangsmerkmals, dann wird eine Eigenmächtigkeit regelmäßig zu verneinen sein. Das zweite und dritte Eingangsmerkmal dürfte insoweit kaum praktisch relevant sein. Soweit das vierte Eingangsmerkmal (schwere andere seelische Abartigkeit) Ursache des Suizidversuchs sein sollte, kommt es auf den Schweregrad an. Dieser muss, um überhaupt relevant zu sein, dem Schweregrad der anderen Eingangsmerkmale entsprechen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45; vom 5. April 2006 - 2 StR 41/06, NStZ-RR 2006, 235). Dies gilt auch für eine Depression, sofern sie dieses Eingangsmerkmal erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2008 - 5 StR 387/07).
30
Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, handelt ein Angeklagter im Hinblick auf die Aufhebung seiner Verhandlungsfähigkeit selbst dann "schuldhaft" bzw. eigenmächtig, wenn er einen ernsthaften Suizidversuch unternimmt. Der Senat ist der Ansicht, dass das Kriterium der "Ernsthaftigkeit" (vgl. dazu Becker in LR-StPO, 26. Aufl., § 231 Rn. 18 mwN) bei der hier vorliegenden Fallgestaltung für die hier maßgebliche Fragestellung - eigenmächtig im Sinne von "schuldhaft" - nicht relevant sein kann. Denn auch bei einem "ernsthaften" Suizidversuch kann, und wird sogar zumeist, der - schuldfähige - Angeklagte die notwendigen Auswirkungen seines Verhaltens auf den weiteren Fortgang des Strafverfahrens erkennen. Freilich ist es richtig, dass bei der - hier nicht vorliegenden - Fallgestaltung eines bloß inszenierten und deshalb nicht ernsthaft gemeinten Suizidversuchs eines "schuldfähigen" Angeklagten die Eigenmächtigkeit zu bejahen wäre. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass allein die Ernsthaftigkeit eines Suizidversuchs die Bewertung der hierdurch herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit als eigenmächtig ausschließen würde.
31
5. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat der Senat das Verfahrensgeschehen freibeweislich geprüft.
32
a) Dabei war zu bedenken, dass die hier entscheidenden Fragen, wie der psychische Zustand des Angeklagten war und welche Motive für den Suizidversuch handlungsleitend waren, innere Tatsachen betreffen, die letztlich nur aufgrund äußerer Umstände erschlossen werden können. Grundlage der Prüfung des Senats sind zum einen das Gutachten des Sachverständigen Dr. J. und zum andern die - auch - auf dieses Gutachten aufbauenden Feststellungen und Bewertungen des Landgerichts. Dabei hat der Senat bedacht, dass das Landgericht eine breitere Entscheidungsgrundlage hatte als der Sachverständige. Dieser stützte sich - entsprechend seinem Auftrag - schwerpunktmäßig auf die eigenen Angaben des Angeklagten im Rahmen der Exploration. Demgegenüber hat das Landgericht - zusätzlich zum Befund des Sachverständigen - auch das mit dem Suizidversuch einhergehende Prozessgeschehen und weitere Umstände in seine Bewertung einbezogen. Hinzu kommt - und auch das ist hier von Bedeutung -, dass die Frage, ob der Angeklagte eigenmächtig i.S.v.
schuldhaft gehandelt hat, eine Rechtsfrage ist, die nicht der Sachverständige, sondern allein der Richter zu entscheiden hat.
33
b) Der Senat geht von folgendem Sachverhalt aus:
34
Soweit es den psychischen Zustand des Angeklagten betrifft, liegt dem zugrunde, dass der Suizidversuch zwar in einem Zustand erfolgte, der einer akuten krankhaften seelischen Störung i.S.d. des ersten Eingangsmerkmals der §§ 20, 21 StGB entsprach. Allerdings war diese Störung nicht wahnhaft und es lag auch kein melancholischer Raptus vor. Das Störungsbild war vielmehr eine "mittelgradige depressive Episode". Die "Einsichtsfähigkeit" des Angeklagten war voll erhalten; er war lediglich in seiner Hemmungsfähigkeit beeinträchtigt. Soweit Dr. J. hierbei im Zusammenhang mit der "Steuerungsfähigkeit" den insoweit unzutreffenden Rechtsbegriff "erheblich" verwendet hat, versteht der Senat dies dahin, dass der Angeklagte, wie der Sachverständige ausführte, "sein Denken und Handeln im Sinne eines Tunnelblicks lenkte."
35
Bei den äußeren Umständen, die Rückschlüsse auf Zustand und Motive des Angeklagten ermöglichen, ist zunächst die Prozesssituation vor dem vierten Verhandlungstag von Bedeutung. Der Angeklagte war am vorausgehenden Verhandlungstag mit Widersprüchen zu seiner Einlassung konfrontiert worden. Für den vierten Verhandlungstag standen belastende Zeugenaussagen bevor, die für den Angeklagten besonders unangenehm und zudem öffentlichkeitswirksam waren. Hinzu kommen der enge zeitliche Zusammenhang des Suizidversuchs mit dem Fortsetzungstermin und das Auffinden durch die Ehefrau. Ob auch dem Umstand, dass der Angeklagte keinen Abschiedsbrief verfasst hatte, Bedeutung zukommen könnte, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
36
Bei der Bewertung des Zustands des Angeklagten gerade mit Blick auf die genannten äußeren Umstände kommt der Bewertung des Landgerichts be- sonderes Gewicht zu. Dieses hatte nicht nur einen persönlichen Eindruck vom Angeklagten und seinem Prozessverhalten; es konnte auch am ehesten die prozessuale Drucksituation des Angeklagten einschätzen.
37
c) Von daher ist für den Senat der Schluss des Landgerichts nicht nur nachvollziehbar, sondern überzeugend, dass handlungsleitendes Motiv des Angeklagten war, der Hauptverhandlung zu entgehen, wenn er auch hierbei seinen Tod billigend in Kauf genommen hat. Diese Würdigung trägt die rechtliche Bewertung als Eigenmächtigkeit. Aber selbst wenn - wovon der Senat mit dem Landgericht allerdings nicht ausgeht - die erkannte Verhinderung des Fortgangs der Hauptverhandlung lediglich die in Kauf genommene Folge des Suizidversuchs gewesen wäre, würde dies nach den oben dargestellten rechtlichen Maßstäben ein eigenmächtiges Handeln des Angeklagten belegen.

B.

38
I. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Hinterziehung von Schenkungsteuer in 32 Fällen.
39
1. Indem es der Angeklagte entgegen § 30 Abs. 1 ErbStG pflichtwidrig unterließ, die im Zeitraum von Dezember 1999 bis Dezember 2003 erhaltenen Schenkungen dem zuständigen Finanzamt anzuzeigen und dieses in Folge des Unterlassens keine Steuererklärungen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG anforderte , bewirkte er, dass die geschuldete Schenkungsteuer nicht festgesetzt und dadurch verkürzt wurde (§ 370 Abs. 4 AO).
40
2. Die Schenkungssteuerhinterziehungen sind nicht verjährt. Durch die Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit Schreiben vom 13. Januar 2005 (UA S. 74) wurde die Verfolgungsverjährung rechtzeitig unterbrochen.
41
a) Der Lauf der Verjährungsfrist begann jeweils mit der Beendigung der Unterlassungstaten (§ 78a Satz 1 StGB). Da es sich bei der Schenkungsteuer um eine Veranlagungssteuer handelt, ist die Hinterziehung zu dem Zeitpunkt beendet, zu dem die Veranlagung spätestens stattgefunden hätte, wenn der Angeklagte seiner Anzeigepflicht gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG rechtzeitig nachgekommen wäre (vgl. Jäger in Klein, Abgabenordnung, 10. Aufl., § 370 Rn. 201). Da - anders als bei anderen Veranlagungssteuern - für die Schenkungsteuer mangels kontinuierlichem abschnittsbezogenem Veranlagungsverfahren kein allgemeiner Veranlagungsschluss festgestellt werden kann, ist für den Verjährungsbeginn maßgeblich, wann die Veranlagung der Schenkungsteuer dem Steuerpflichtigen bei rechtzeitiger Anzeige der Schenkung frühestens bekanntgegeben worden wäre (vgl. Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts - und Steuerstrafrecht, 1. Aufl. 2011, § 376 AO Rn. 48, § 370 AO Rn. 487 mwN; Wulf in MüKo-StGB § 376 AO Rn. 36). Die Bearbeitungsdauer bei den Finanzbehörden ist bei dieser fiktiven Steuerfestsetzung mit einem Monat anzusetzen, denn das Finanzamt könnte gemäß § 31 Abs. 1 und Abs. 7 ErbStG die Abgabe einer Steuererklärung binnen eines Monats verlangen, in welcher der Steuerpflichtige die Steuer selbst zu berechnen hat.
42
b) Nach diesen Grundsätzen bestimmen sich hier die Beendigungszeitpunkte für die Hinterziehung von Schenkungsteuer durch Unterlassen wie folgt: Der Angeklagte hatte die Schenkungen jeweils binnen einer Frist von drei Monaten nach Kenntnis von der jeweiligen Schenkung beim zuständigen Finanzamt schriftlich anzuzeigen (§ 30 Abs. 1 ErbStG). Wäre er dieser Pflicht fristgerecht nachgekommen, hätte ihn das Finanzamt auffordern können, binnen einer Frist von einem Monat eine Steuererklärung mit von ihm selbst berechneter Schenkungsteuer abzugeben (§ 31 Abs. 1 und 7 ErbStG). Damit hätte die Veranlagung und deren Bekanntgabe vier Monate nach der jeweiligen Schenkung erfolgen können, so dass zu diesem Zeitpunkt die jeweilige Unterlassungstat beendet war. Auf die früheste Möglichkeit, die Schenkung anzuzeigen, ist hingegen nicht abzustellen, denn die Verjährung kann nicht beginnen, bevor die Tat begangen wurde. Dies war hier erst mit Ablauf der Anzeigefrist gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG der Fall.
43
c) Bei einer Verjährungsfrist von fünf Jahren ist hier somit auch die erste verfahrensgegenständliche Schenkungssteuerhinterziehung nicht verjährt: Die ihr zugrundeliegende Schenkung erfolgte am 15. Dezember 1999, damit lief die diesbezügliche Anzeigefrist am 15. März 2000 ab. Die Unterlassungstat war somit (frühestens) am 15. April 2000 beendet. Mit Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens am 13. Januar 2005 wurde die Verjährungsfrist vor Ablauf der regulären Verjährungsfrist unterbrochen. Die Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht am 26. März 2010 fand vor Eintritt der absoluten Verjährung (§ 78b Abs. 3, Abs. 4 StGB) statt.
44
II. Im Tatkomplex "Umsatzsteuerhinterziehung" erfolgt eine Teileinstellung des Verfahrens.
45
Dem Angeklagten liegt u.a. zur Last, in 20 Fällen durch Unterlassen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Umsatzsteuer hinterzogen zu haben. Die Tatvorwürfe, wegen derer das Landgericht den Angeklagten auch verurteilt hat, beziehen sich nach Beschränkung gemäß § 154a StPO auf die Nichtabgabe bzw. nicht rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate März, April, Juni, Oktober und Dezember 2001; Januar, März, Juni und Juli 2002; Januar bis April sowie Juli, September und Dezember 2003 sowie der Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2003. Der Senat stellt das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO insoweit ein und ändert den Schuldspruch des angefochtenen Urteils entsprechend.
46
Die Teileinstellung erfolgt aus verfahrensökonomischen Gründen, weil die Urteilsfeststellungen insoweit die Verurteilung des Angeklagten wegen Umsatzsteuerhinterziehung nicht tragen. Sie lassen keine abschließende Beurteilung zu, ob die von dem Angeklagten im Jahr 2005 für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2003 verspätet abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärungen als Selbstanzeigen gemäß § 371 AO insoweit zur Straffreiheit des Angeklagten geführt haben. Zwar waren die verspätet abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärungen unvollständig, so dass sie lediglich "Teilselbstanzeigen" enthielten. Die Urteilsgründe nennen jedoch allein die nach den Selbstanzeigen verbliebenen Unrichtigkeiten, so dass der Senat - ohne weitergehende Feststellungen - nicht prüfen kann, ob die Abweichungen gegenüber dem für eine Selbstanzeige notwendigen Inhalt lediglich geringfügig waren.
47
Im Einzelnen beruht die Teileinstellung auf folgenden Erwägungen:
48
1. Selbstanzeigen i.S.v. § 371 Abs. 1 AO müssen nicht als solche bezeichnet werden. Für ihre Vollständigkeit ist allein von Bedeutung, ob sie den nach § 371 AO erforderlichen Inhalt haben. Wird - wie hier - eine Umsatzsteuerjahreserklärung verspätet abgegeben, kann sie deshalb Selbstanzeige für die Unterlassungstat sein, die mit der nicht rechtzeitigen Einreichung der Jahreserklärung begangen wurde.
49
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine Umsatzsteuerjahreserklärung - selbst wenn sie verspätet abgegeben wird - auch eine strafbefreiende Selbstanzeige für unrichtige oder pflichtwidrig nicht abgegebene Umsatzsteuervoranmeldungen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 5 StR 392/98, wistra 1999, 27).
50
3. Welche Anforderungen an die Vollständigkeit einer Selbstanzeige zu stellen sind, hängt im Hinblick auf die Änderung des § 371 AO durch das "Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung" (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz) vom 28. April 2011 (BGBl. I S. 676) sowohl vom Tatzeitpunkt als auch vom Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige ab.
51
a) Gemäß § 2 Abs. 1 StGB bestimmen sich die Strafe und ihre Nebenfolgen grundsätzlich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat galt. Wird allerdings das Gesetz, das bei der Beendigung der Tat galt, vor der Entscheidung geändert , so ist gemäß § 2 Abs. 3 StGB das mildeste Gesetz anzuwenden. Diese Vorschrift ist auch noch im Revisionsverfahren anzuwenden.
52
b) Hier ist das zur Tatzeit geltende Gesetz für den Angeklagten das mildere Gesetz. Zwar sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Teilselbstanzeigen - auch wenn sie als solche zunächst nicht erkennbar sind - schon bisher keine wirksamen Selbstanzeigen i.S.d. § 371 AO, weil es bei solchen Selbstanzeigen an der erforderlichen (vollständigen) Rückkehr zur Steuerehrlichkeit fehlt (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180). Allerdings hat der Gesetzgeber mit dem durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz neu geschaffenen Art. 97 § 24 EGAO (BGBl. I 2011, S. 676, 677) bestimmt, dass bei Selbstanzeigen nach § 371 AO, die bis zum 28. April 2011 bei der zuständigen Finanzbehörde eingegangen sind, § 371 AO in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass im Umfang der gegenüber der zuständigen Finanzbehörde berichtigten, ergänzten oder nachgeholten Angaben Straffreiheit eintritt. Im Hinblick auf die- se rückwirkend in Kraft gesetzte und damit materiell wie eine Teilamnestie wirkende Regelung ist das zur Tatzeit geltende Recht für den Angeklagten milder.
53
c) Auch nach der Vorschrift des Art. 97 § 24 EGAO bleibt allerdings der Täter einer Steuerhinterziehung in dem Umfang strafbar, in dem eine Berichtigung oder Nacherklärung nicht erfolgt ist. Denn die - in solchen Fällen wirksame - Teilselbstanzeige vermindert lediglich den Schuldumfang der Tat. Demgegenüber führt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Selbstanzeige auch dann zur vollständigen Strafaufhebung, wenn die Abweichungen in der Berichtigung oder Nacherklärung vom geforderten Inhalt der Selbstanzeige nur geringfügig sind (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 5 StR 392/98, wistra 1999, 27). Enthält die Selbstanzeige neue, erhebliche Unrichtigkeiten, ist sie keine Berichtigung und kann daher nicht zur Straffreiheit führen (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1976 - 1 StR 196/76, BB 1978, 698).
54
aa) Diese Rechtsprechung gilt fort und ist auch in den Gesetzesmaterialien zum Schwarzgeldbekämpfungsgesetz aufgegriffen worden. Dabei wurde zum Erfordernis der Berichtigung oder Nachholung "in vollem Umfang" in der Neufassung des § 371 Abs. 1 AO darauf hingewiesen, dass Bagatellabweichungen weiterhin nicht zur Unwirksamkeit der strafbefreienden Selbstanzeige als solcher führen sollen. Vielmehr müssten wie bisher im praktischen Vollzug Unschärfen hingenommen werden (BT-Drucks. 17/5067 [neu] S. 19).
55
bb) Welcher Maßstab für die Rechtsfrage gilt, ob Differenzen der Angaben in einer Selbstanzeige gegenüber wahrheitsgemäßen Angaben nur "geringfügig" sind, so dass die Selbstanzeige als solche wirksam bleibt, ist umstritten. Der Bundesgerichtshof hat hierzu bisher keine Grundsätze aufgestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 5 StR 392/98, wistra 1999, 27; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1976 - 1 StR 196/76, BB 1978, 698). In der Literatur wird überwiegend auf ein Urteil des OLG Frankfurt (Urteil vom 18. Oktober 1961 - 1 Ss 854/61, NJW 1962, 974) verwiesen, bei dem im entschiedenen Fall eine Abweichung von sechs Prozent als unschädlich angesehen wurde (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 28. August 1979 - 1 Ss 574-575/79 sowie die weiteren Nachweise bei Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 371 AO Rn. 215). Anknüpfend hieran werden zum Teil Abweichungen von bis zu zehn Prozent noch für "geringfügig" gehalten (vgl. Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht , 43. EL November 2010, § 371 AO Rn. 68).
56
cc) Der Senat ist der Ansicht, dass nach der neuen Gesetzesfassung des § 371 Abs. 1 AO, die für die Wirksamkeit einer Selbstanzeige eine Berichtigung bzw. Nacherklärung "in vollem Umfang" verlangt, jedenfalls eine Abweichung mit einer Auswirkung von mehr als fünf Prozent vom Verkürzungsbetrag i.S.d. § 370 Abs. 4 AO nicht mehr geringfügig ist. Wurden damit z.B. im Rahmen einer Steuerhinterziehung Steuern im Umfang von 100.000 Euro verkürzt, so wären die Abweichungen in einer sich auf diese Tat beziehenden Selbstanzeige jedenfalls dann nicht mehr geringfügig, wenn durch die Selbstanzeige lediglich eine vorsätzliche Verkürzung von weniger als 95.000 Euro aufgedeckt würde.
57
Allerdings führt nicht jede Abweichung unterhalb dieser (relativen) Grenze stets zur Annahme einer unschädlichen "geringfügigen Differenz". Vielmehr ist - in diesen Fällen - eine Bewertung vorzunehmen, ob die inhaltlichen Abweichungen vom gesetzlich vorausgesetzten Inhalt einer vollständigen Selbstanzeige noch als "geringfügig" einzustufen sind. Diese wertende Betrachtung kann auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Umstände bei Abgabe der Selbstanzeige auch unterhalb der Abweichungsgrenze von fünf Prozent die Versagung der Strafbefreiung rechtfertigen. Bei dieser Bewertung spielen neben der relativen Größe der Abweichungen im Hinblick auf den Verkürzungsumfang insbesondere auch die Umstände eine Rolle, die zu den Abweichungen geführt haben. Namentlich ist in die Würdigung mit einzubeziehen, ob es sich um bewusste Abweichungen handelt oder ob - etwa bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen - in der Selbstanzeige trotz der vorhandenen Abweichungen noch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit gesehen werden kann, denn gerade diese soll durch die Strafaufhebung gemäß § 371 AO honoriert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180, 181, Rn. 7 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 17/4182 S. 4, BR-Drucks. 851/10 S. 4). Bewusst vorgenommene Abweichungen dürften schon deshalb, weil sie nicht vom Willen zur vollständigen Rückkehr zur Steuerehrlichkeit getragen sind, in der Regel nicht als "geringfügig" anzusehen sein (vgl. Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig aaO § 371 AO Rn. 44).
58
dd) Der Senat ist der Auffassung, dass diese Maßstäbe auch für die Frage der Wirksamkeit von Selbstanzeigen gelten, die vor Inkrafttreten des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes abgegeben worden sind, denn auch nach der bisherigen Rechtslage setzte die (vollständige) Straffreiheit eine Rückkehr zur Steuerehrlichkeit voraus (BGH aaO). Die vom Gesetzgeber mit Art. 97 § 24 EGAO rückwirkend normierte Wirksamkeit von Teilselbstanzeigen ändert daran nichts, weil sie gerade nur zu einer teilweisen Straffreiheit führen soll.
59
4. Ausgehend von diesen Grundsätzen kann der Senat aufgrund der Urteilsfeststellungen nicht abschließend prüfen, ob im Tatkomplex "Umsatzsteuerhinterziehung" nach der verspäteten Abgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen noch eine Strafbarkeit des Angeklagten verblieben ist oder ob in vollem Umfang strafbefreiende Selbstanzeigen vorlagen.
60
a) Dies gilt zunächst für die Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener rechtzeitiger Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2000 bis 2003. Denn das Landgericht hat in den Urteilsgründen zu diesen Taten jeweils lediglich den nach den Selbstanzeigen verbliebenen Tatumfang, d.h. die nicht von den Selbstanzeigen erfassten Umsätze und die sich hieraus ergebende Steuerverkürzung, geschildert. Die Taten im Übrigen und die durch diese insgesamt bewirkten Steuerverkürzungen hat das Landgericht demgegenüber nicht wiedergegeben. Im Hinblick auf die vom Landgericht gemäß § 154a StPO vorgenommene Beschränkung des Verfahrens erschließt sich der Gesamtumfang der Taten auch nicht aus den die nicht abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen betreffenden Taten.
61
Die vom Landgericht gewählte Darstellung hindert den Senat an der Prüfung , ob die verspätet eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärungen als Selbstanzeigen zu einer vollständigen Strafbefreiung bezüglich der nicht rechtzeitigen Abgabe der Jahreserklärungen geführt haben. Da das Landgericht den Gesamtumfang der im Rahmen der einzelnen Taten verschwiegenen Umsätze nicht angegeben hat, kann der Senat bereits nicht prüfen, ob die in den Selbstanzeigen enthaltenen Abweichungen gegenüber dem für eine vollständige Selbstanzeige erforderlichen Inhalt einen Umfang hatten, bei dem eine Wertung als lediglich unerhebliche geringfügige Abweichung in Betracht kam. Im Übrigen enthalten die Urteilsgründe auch keine ausreichenden Feststellungen zu den Umständen, die zu diesen Abweichungen geführt haben, so dass - mangels Gesamtwürdigung - auch aus diesem Grund nicht nachgeprüft werden kann, ob die vorhandenen Abweichungen lediglich geringfügig waren.
62
b) Die Urteilsfeststellungen lassen auch keine Nachprüfung zu, ob die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 16 Fällen durch Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen zu Recht erfolgt ist. Denn das Landgericht teilt nicht mit, in welchem Umfang hinsichtlich dieser Taten durch die verspäteten Umsatzsteuerjahreserklärungen jeweils eine Nacherklärung bisher verschwiegener Umsätze stattgefunden hat. Dessen hätte es aber be- durft, weil eine Umsatzsteuerjahreserklärung auch hinsichtlich nicht eingereichter Umsatzsteuervoranmeldungen eine Selbstanzeige darstellen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 5 StR 392/98, wistra 1999, 27). Die Urteilsgründe hätten daher so gefasst werden müssen, dass die Vollständigkeit und Wirksamkeit der Selbstanzeige für jede Tat im materiellen Sinn gesondert geprüft werden kann (vgl. dazu auch BT-Drucks. 17/5067 [neu] S. 19). Nur dann hätte der Senat nachprüfen können, in welchem Umfang die Umsatzsteuerjahreserklärungen als Selbstanzeige für die einzelnen Taten entweder teilweise (vgl. Art. 97 § 24 EGAO) oder - bei lediglich geringfügigen Abweichungen - sogar insgesamt strafbefreiend wirkten. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte hier jeweils mit einer Umsatzsteuerjahreserklärung zugleich mehrere durch Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen begangene Unterlassungstaten offenbart hatte. Anders als bei § 371 Abs. 1 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes ("zu allen unverjährten Steuerstraftaten in vollem Umfang") führt die Unvollständigkeit der Selbstanzeige hinsichtlich einer Tat nicht auch zur Unwirksamkeit der Selbstanzeigen hinsichtlich anderer Taten, welche dieselbe Steuerart betreffen.
63
5. Der Senat sieht davon ab, die Sache zur Nachholung der fehlenden Feststellungen und - hieran anknüpfend - zur gegebenenfalls erforderlichen Gesamtwürdigung, ob die Selbstanzeigen lediglich geringfügige Abweichungen gegenüber dem gesetzlich geforderten Inhalt aufwiesen, an das Landgericht zurückzuverweisen. Da die für die Hinterziehung von Umsatzs teuer zu erwartenden Strafen gegenüber den übrigen - rechtsfehlerfrei bemessenen - Strafen nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würden, sieht der Senat insoweit auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO von der Verfolgung ab.
64
III. Die Strafzumessung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
65
Auch der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe hat trotz des Wegfalls der Einzelstrafen im Tatkomplex "Umsatzsteuerhinterziehung" Bestand. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht eine geringere als die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten festgesetzt hätte, wenn es die für die Hinterziehung von Umsatzsteuer verhängten 20 Einzelstrafen - Strafen zwischen Geldstrafe von 15 Tagessätzen und Freiheitsstrafe von zwei Monaten - bei der Gesamtstrafenbildung nicht berücksichtigt hätte. Dies gilt namentlich mit Blick auf die Tatsache, dass die von den Tatvorwürfen erfasste Umsatzsteuerverkürzung neben der hinterzogenen Schenkungsteuer lediglich einen geringen Bruchteil ausmacht.
Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 194/01
vom
6. Juni 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 6. Juni 2001 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. Oktober 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. II. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 in Verb. mit § 230 Abs. 1 StPO Erfolg. 1. Die Rüge der vorschriftswidrigen Abwesenheit des Angeklagten im Termin vom 23. Oktober 2000 wird im wesentlichen auf folgendes gestützt:
Der Fortsetzungstermin vom 23. Oktober 2000 war zunächst auf 14.30 Uhr anberaumt. Die Ladung zu diesem Termin wurde dem Angeklagten am 11. Oktober 2000 durch Niederlegung beim Postamt zugestellt. Im Termin vom 12. Oktober 2000 ordnete der Vorsitzende an, daß die Verhandlung am 23. Oktober 2000 um 9.00 Uhr fortgesetzt werde. Alle Prozeßbeteiligten - auch der anwesende Angeklagte - wurden zu diesem Termin mündlich geladen. Unter dem 19. Oktober 2000 wurde der Angeklagte durch das Landgericht aufgefordert , die am 11. Oktober 2000 niedergelegte Ladung zum Fortsetzungstermin am 23. Oktober 2000, 14.30 Uhr, beim Postamt abzuholen.
Im Hauptverhandlungstermin vom 23. Oktober 2000, 9.00 Uhr, in dem das Urteil verkündet werden sollte, war der Angeklagte nicht erschienen, er fand sich - nach seinen Angaben - vielmehr erst um 14.30 Uhr bei Gericht ein. Die Strafkammer hatte die Sache um 9.00 Uhr aufgerufen und festgestellt, daß der Angeklagte nicht erschienen war. Sein Verteidiger konnte das Fernbleiben des Angeklagten nicht erklären. Daraufhin hatte die Strafkammer beschlossen, die Hauptverhandlung gemäß § 231 Abs. 2 StPO ohne den Angeklagten fortzusetzen , und verkündete nach Beratung das Urteil durch Verlesen der Urteilsformel und mündliche Mitteilung der wesentlichen Urteilsgründe.
2. Dieses Verfahren war rechtsfehlerhaft. Die Revision hat mit der Verfahrensrüge der vorschriftswidrigen Abwesenheit des Angeklagten (§ 338 Nr. 5 StPO) Erfolg, da die Verlesung der Urteilsformel nach § 268 StPO einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung darstellt (vgl. BGHSt 16, 178, 180).
Eine unterbrochene Hauptverhandlung darf nur dann ohne den Angeklagten fortgesetzt werden, wenn dieser ihr eigenmächtig ferngeblieben ist, d.h. ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt hat (BGHSt 37, 249, 251; 46, 81 ff.). Eigenmächtiges Handeln liegt unter anderem dann nicht vor, wenn der Angeklagte sich über den Zeitpunkt des Fortsetzungstermins geirrt hat (BGH StV 1981, 393, 394). Dabei obliegt es nicht dem Angeklagten, glaubhaft zu machen, daß sein Ausbleiben nicht auf Eigenmächtigkeit beruht, diese ist ihm vielmehr nachzuweisen (BGHSt 10, 304, 305; 16, 178, 180). Es kommt auch nicht darauf an, ob das Gericht Grund zur Annahme hatte, der Angeklagte habe den Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung vorsätzlich nicht wahrgenommen , sondern allein darauf, ob eine solche Eigenmächtigkeit im Sinne von § 231 Abs. 2 StPO tatsächlich vorlag (BGH StV 1981, 393, 394). Das Revisionsgericht prüft dabei selbständig - gegebenenfalls im Wege des Freibeweises - nach, ob die Eigenmächtigkeit auch noch im Zeitpunkt des Revisionsverfahrens nachgewiesen ist, ohne an die Feststellungen des Tatrichters gebunden zu sein (BGH NStZ 1999, 418).
Ein ausreichender Nachweis für ein eigenmächtiges Fernbleiben des Angeklagten ist zur Überzeugung des Senats nicht geführt. Der Beschluß der Strafkammer über die Fortsetzung der Hauptverhandlung am 23. Oktober 2000, 9.00 Uhr, und damit die Abänderung des bisherigen Termins von 14.30 Uhr ist zwar am 12. Oktober 2000 in Anwesenheit des Angeklagten verkündet worden. Durch die eine Woche später nachfol-
gende Mitteilung der Geschäftsstelle vom 19. Oktober 2000 konnte beim Angeklagten aber der Eindruck entstehen, der Verkündungstermin finde nunmehr doch um 14.30 Uhr statt. Zweifel hieran mußten sich dem Angeklagten jedenfalls nicht in einem solchen Maße aufdrängen, daß von einem bewußten Ausnutzen der Unklarheit und damit von einem eigenmächtigen Fernbleiben auszugehen ist.
Vizepräsident Dr. Jähnke Detter Otten befindet sich in Urlaub und kann deshalb nicht unterschreiben. Detter Fischer Elf

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 282/11
vom
25. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. Oktober 2011 einstimmig

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 23. März 2011 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Zu der Rüge, das Landgericht habe die Hauptverhandlung zu Unrecht in Abwesenheit des Angeklagten zu Ende geführt (§ 231 Abs. 2, § 338 Nr. 5 StPO), bemerkt der Senat ergänzend: Ob sich ein Angeklagter im Sinne des § 231 Abs. 2 StPO eigenmächtig aus der Hauptverhandlung entfernt hat oder bei deren Fortsetzung eigenmächtig ausgeblieben ist, hat das Revisionsgericht nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar ausgehend Freibeweis zu überprüfen, jedoch - wie auch sonst die behauptete Verletzung von Vorschriften über das Verfahren - nur auf der Grundlage eines entsprechenden Revisionsvortrags (BGH, Urteil vom 6. März 1984 - 5 StR 997/83, StV 1984, 326; Beschluss vom 3. April 2003 - 4 StR 506/02; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 231 Rn. 25). Der Auffassung, es seien entgegen § 344 Abs. 2 StPO von Amts wegen auch Umstände zu berücksichtigen, zu denen die Rechtfertigungsschrift schweigt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 7. August 1984 - 3 Ss 242/84, StV 1985, 50), schließt sich der Senat nicht an.
Die vom Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2011 - nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist - nachgereichten Urkunden darf der Senat somit bei seiner Entscheidung nicht mehr berücksichtigen.
Offen bleiben kann danach, ob der genannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weiter zu folgen oder eine Bindung des Revisionsgerichts an rechtsfehlerfreie tatrichterliche Feststellungen zur Eigenmächtigkeit anzunehmen ist (hierzu LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 231 Rn. 44 mwN).
Becker Hubert Schäfer Mayer Menges

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 445/13
vom
13. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. März
2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 27. Juni 2013 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem anderen rechtskräftigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für deren Wiedererteilung von zwei Jahren festgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte eine Verletzung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO und macht mit der Sachrüge Rechtsfehler im Rahmen der Beweiswürdigung geltend. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, hat das Landgericht im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Am 24. November 2010 um 14:25 Uhr durchfuhr der Angeklagte mit seinem Pkw Marke Ford Mondeo die Straße in B. , um dort den Nebenkläger abzupassen und durch seine drei unbekannt gebliebenen Mitfahrer zusammenschlagen zu lassen. Als ihm der Nebenkläger auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig mit seinem Fahrrad entgegenkam, lenkte der Angeklagte seinen Pkw absichtlich auf den Gehweg und fuhr direkt auf ihn zu. Dabei war ihm bewusst, dass er den Nebenkläger konkret gefährdete. Mögliche Verletzungen , die durch ein Stürzen oder Anfahren des Nebenklägers entstehen konnten, nahm er billigend in Kauf. Tatsächlich touchierte der vordere Bereich seines Pkw das Vorderrad des Fahrrades des Nebenklägers, der neben einem geparkten Pkw der Marke Alfa Romeo zu Fall kam. Danach setzte der Angeklagte sein Fahrzeug ein kurzes Stück zurück. Der Nebenkläger, der den Angeklagten sofort erkannt hatte, rappelte sich auf und wollte mit seinem Fahrrad weiterfahren. In diesem Moment sprangen die drei Mitfahrer des Angeklagten – wievon vorneherein abgesprochen – aus dem Wagen. Einer von ihnen traktierte den Nebenkläger von hinten mit einem Baseballschläger oder einem ähnlichen Gegenstand. Anschließend traten und schlugen die drei Männer dem gemeinsamen Tatplan entsprechend auf den zu Boden gegangenen Nebenkläger ein, der sich erfolglos zu schützen versuchte. Schließlich zogen sie den Nebenkläger hoch, warfen ihn auf die Motorhaube des Alfa Romeo und schlugen weiter auf ihn ein. Dabei trafen mindestens zwei Schläge den linken Kotflügel des Fahrzeugs und verursachten tiefe Beulen. Als ein Nachbar, der auf das Geschehen aufmerksam geworden war, laut schrie, zogen sich die drei Männer in den in der Nähe haltenden Pkw des Angeklagten zurück, der nicht selbst ausgestiegen war. Sodann flohen alle vier gemeinsam vom Tatort.
4
Der Nebenkläger erlitt drei Kopfplatzwunden, eine Gesichtsprellung, eine Schürfwunde am linken Schienbein und eine Prellung am Übergang von Brust- und Lendenwirbel. Eine Kopfverletzung musste mit mehreren Stichen genäht werden. Das Vorderrad seines Fahrrades war eingeklemmt und ließ sich nicht mehr drehen. An dem geparkten Pkw Alfa Romeo entstand ein Schaden in Höhe von 2.500 Euro.
5
Das Landgericht hat das Anfahren des Nebenklägers als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB gewertet und den Qualifikationstatbestand des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1b StGB für erfüllt angesehen. Hinsichtlich der in der Misshandlung des Nebenklägers liegenden gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB) ist es von einem mittäterschaftlichen Handeln des Angeklagten und seiner drei Mitfahrer ausgegangen.

II.


6
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
7
1. Die Rüge, das Landgericht habe bei der auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützten Zurückweisung eines Beweisantrages auf Einvernahme der Zeugin B. gegen Verfahrensrecht verstoßen, ist jedenfalls unbegründet.
8
a) Nach dem Revisionsvorbringen stellte der Verteidiger des Angeklagten am 14. Verhandlungstag den Antrag, die in C. /Tschechien zu ladende Zeugin B. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass sich der Angeklagte am 24. November 2010 um 14.30 Uhr in C. befunden habe. Die Zeugin werde bestätigen, dass sich der Angeklagte am angegebenen Tag, also auch zum Tatzeitpunkt, bei ihr aufgehalten habe. Mit Beschluss vom selben Tag lehnte das Landgericht die beantragte Beweiserhebung gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO ab und führte zur Begründung aus, dass es aufgrund des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt sei, dass der Angeklagte am Tattag in B. vor Ort und an dem Geschehen beteiligt war. Im Anschluss daran stellte das Landgericht das bisherige Beweisergebnis dar und führte abschließend aus, dass nach einer Gesamtwürdigung dieser Beweismittel keine Veranlassung bestehe, die erst jetzt benannte Auslandszeugin zu laden und zu hören, da ihre Vernehmung keinen Einfluss auf die Überzeugungsbildung haben könne.
9
b) Diese Verfahrensweise hält rechtlicher Überprüfung stand.
10
aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteter Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 244 Abs. 2 StPO). Dabei ist das Gericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnissezu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags, als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116, 117; Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349, 350; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; weitere Nachweise bei Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 356). In dem hierfür erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) müssen die maßgeblichen Erwägungen so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller möglich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen und das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Antragsablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2010 – 1 StR 644/09, wistra 2010, 410, 411; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 63; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 359).
11
bb) Diesen Anforderungen wird der angegriffene Ablehnungsbeschluss gerecht.
12
(1) Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen; dies gilt insbesondere dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349, 351; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 357 mwN).
13
(2) Daran gemessen hat das Landgericht hier die Grenzen zulässiger antizipatorischer Beurteilung nicht überschritten.
14
Das Landgericht, das ersichtlich davon ausgegangen ist, dass die Zeugin B. die in ihr Wissen gestellte Beweisbehauptung bestätigen werde, hat in den Beschlussgründen die von ihm bisher erhobenen Beweise im Einzelnen dargestellt, deren Aussagekraft ausführlich erörtert und auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung verdeutlicht, warum seine Überzeugung von der Anwesenheit des Angeklagten am Tatort soweit gesichert ist, dass sie durch eine gegenteilige – auf einen Alibibeweis abzielende – Zeugenaussage nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt werden kann. Dabei hat es nicht nur auf die Aussage des Nebenklägers abgestellt, sondern weitere Indizien von Gewicht (aufgezeichnetes Gespräch des Angeklagten mit dem Zeugen S. , spontane Angaben des Nebenklägers gegenüber der Polizei am Tatort, Verwendung des Pkw des Angeklagten zur Tatbegehung) herangezogen. Die dazu angestellten Erwägungen sind tragfähig und nachvollziehbar. Zwingend brauchen sie nicht zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NStZ 2005, 701 Rn. 12).
15
Eine besondere Beweissituation, der durch die Anlegung eines strengeren Maßstabes an die Ablehnung des Beweisantrages Rechnung zu tragen gewesen wäre, lag nicht vor. Der den Angeklagten durch seine Angaben belastende Nebenkläger stand in der Hauptverhandlung für eine konfrontative Befragung (Art. 6 Abs. 3d MRK) zur Verfügung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 401/13, NStZ 2014, 51). Weder die verfahrensgegen- ständliche Tat noch die Beweisführung weisen einen die Verteidigung erschwerenden besonderen Auslandsbezug auf (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 3 StR 274/09, BGHSt 55, 11 Rn. 37). Schließlich ist auch nicht von einer typischen Aussage-gegen-Aussage-Konstellation auszugehen, bei der ein seine Schuld im Kern bestreitender Angeklagter allein durch die Aussage eines einzelnen Zeugen belastet wird und objektive Beweisumstände fehlen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. April 2003 – 3 StR 181/02, NStZ 2003, 498, 499; Beschluss vom 18. Juni 1997 – 2 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; Beschluss vom 22. April 1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1).
16
(3) Soweit das Landgericht in seinem Ablehnungsbeschluss berücksichtigt hat, dass der Beweisantrag zu einem späten Zeitpunkt („erst jetzt benannte Auslandszeugin“) gestellt worden ist, macht dies seine Entscheidung nicht rechtsfehlerhaft. Zwar hatte sich der Angeklagte – wie sich aus den auf die Sachrüge hin zu beachtenden Urteilsgründen ergibt – bis zur Antragstellung noch nicht zum Tatvorwurf geäußert, sodass aus dem Umstand, dass die dem Beweisbegehren zugrunde liegende Alibibehauptung nicht früher aufgestellt worden ist, keine Schlüsse zu seinem Nachteil gezogen werden durften (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2009 – 3 StR 80/09, NStZ 2009, 705; Beschluss vom 23. Oktober 2001 – 1 StR 415/01, NStZ 2002, 161, 162; Urteil vom 25. April 1989 – 1 StR 97/89, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 10; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 213; Rose, NStZ 2012, 18, 24), doch vermag der Senat auszuschließen, dass es sich bei dieser Erwägung um einen die Ablehnungsentscheidung tragenden Gedanken handelt.
17
(4) Da das Landgericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass eine Einvernahme der Zeugin für die Sachaufklärung nicht notwendig ist, war es – ent- gegen der Auffassung des Revisionsführers – nicht gehalten, eine Ladung der Zeugin zu versuchen oder Vernehmungsalternativen zu prüfen. Denn mit der Ablehnung nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO entfällt die Pflicht, sich um den Zeugen weiter zu bemühen. Der Tatrichter hat auch nicht mehr zu prüfen, ob eine Vernehmung im Wege der Rechtshilfe möglich ist. Es entfällt auch die Entscheidung , ob im Rahmen des erweiterten Erreichbarkeitsbegriffs (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 259 mwN) eine Vernehmung in der Hauptverhandlung durch eine Vernehmung im Ausland im Wege der Videokonferenz nach § 247a StPO ersetzt werden kann (BGH, Beschluss vom 5. September 2000 – 1 StR 325/00, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 9; Beschluss vom 21. August 2007 – 3 StR 238/07, NStZ 2009, 168, 169).
18
2. Soweit sich der Beschwerdeführer mit der ausgeführten Sachrüge gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet, vermag er keine Rechtsfehler aufzuzeigen.
19
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 33/12, Rn. 10, wistra 2013, 195, 196; Beschluss vom 23. August 2012 – 4 StR 305/12, NStZ-RR 2012, 383, 384; Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 mwN).
20
b) Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nichtzu beanstanden.
21
aa) Die Wertung, es spreche gegen eine Falschbelastungsabsicht auf Seiten des Nebenklägers, dass er dem Angeklagten keine eigene Beteiligung an den eigentlichen Verletzungshandlungen zugeschrieben habe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es entspricht gesichertem Erfahrungswissen, dass der Verzicht auf eine naheliegende Mehrbelastung ein Hinweis auf die Erlebnisbasis der Aussage sein kann (vgl. Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie , 2012, Rn. 725 mwN).
22
bb) Der von der Revision behauptete Zirkelschluss bei der Bewertung der Angaben des Nebenklägers zu dem von den Tätern benutzten Pkw liegt nicht vor. Das Landgericht hat der zutreffenden Beschreibung des Pkw des Angeklagten durch den Nebenkläger unmittelbar nach dem Vorfall eine besondere Bedeutung beigemessen, weil es sich dabei um eine „spontane Erstbekundung“ gehandelt habe und nicht zu erwarten sei, dass ein soeben überfallener und noch unter dem Eindruck der Ereignisse stehender Zeuge die Geistesgegenwart besitze, diese Gelegenheit dazu auszunutzen, einen langjährigen Widersacher seines Sohnes mit stimmigen Angaben zu Unrecht zu belasten. Das Landgericht hat damit nicht aus der Aussage selbst auf ihre Glaubhaftigkeit geschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2004 – 2 StR 441/04, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 32; Urteil vom 9. März 1993 – 1 StR 870/92 [insoweit in BGHSt 39, 159 nicht abgedruckt]), sondern die besonderen äußeren Umstände bei der Entstehung der Erstaussage als Anzeichen für deren Erlebnisbezug gewertet.
23
cc) Soweit die Revision die Erörterung von Widersprüchen vermisst, die sich aus den Angaben des Nebenklägers zur Fahrtrichtung in früheren Vernehmungen ergeben sollen und dazu auch auf eine Karte Bezug nimmt, ist ihr Vorbringen urteilsfremd und deshalb im Rahmen der Prüfung auf eine Sachrüge hin unbeachtlich. Im Übrigen erschöpfen sich die Einwände der Revision in dem unzulässigen Versuch, die Wertungen des Landgerichts durch eigene zu ersetzen.
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 275/10
vom
14. Dezember 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1
Nr. 1 AO aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben entfällt nicht deshalb
, weil den zuständigen Finanzbehörden alle für die Steuerfestsetzung bedeutsamen
Tatsachen bekannt waren und zudem sämtliche Beweismittel (§ 90
AO) bekannt und verfügbar waren.
BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 275/10 - Landgericht München
I
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 26. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte hat als im Einkauf tätiger Angestellter der Firma P. für diese Elektronikbauteile aus dem europäischen Ausland über eine Gruppe von Personen eingekauft , deren in Deutschland ansässige Firmen nur zum Zweck der Erlangung unberechtigter Vorsteuerabzüge zwischengeschaltet waren. In Kenntnis dieser Umstände und im Wissen, dass eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht bestand, gab der Angeklagte Eingangsrechnungen mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer an die Buchhaltung der Firma P. zum Zwecke der Verbuchung und Vornahme des Vorsteuerabzugs weiter. Für Rechnungen datierend zwischen 1. August 2003 und 30. September 2004 wurden so für die P. vierzehn falsche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, die erste davon ging am 16. Oktober 2003 beim zuständigen Finanzamt ein. Insgesamt wurde so Umsatzsteuer in Höhe von rund 5,18 Mio. Euro hinterzogen.
2
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in vierzehn Fällen zu vier Jahren und neun Monaten Ge- samtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
Der näheren Ausführung bedarf lediglich Folgendes:
4
I. Die Revision rügt eine Verletzung von § 244 Abs. 3 StPO wegen der Ablehnung des Beweisantrags Nr. 2 (nachfolgend 1.). Dies bleibt im Ergebnis erfolglos. Zwar zeigt die Revision insoweit Rechtsfehler auf (nachfolgend 2.), der Senat kann jedoch ausschließen, dass das Urteil hierauf beruht (nachfolgend 3.).
5
1. Folgendes liegt zugrunde:
6
a) Mit länger begründetem Beweisantrag vom 5. Januar 2010 macht die Verteidigung im Kern zweierlei geltend:
7
(1) Ein zunächst in anderer Sache in den Räumen der Firma P. ermittelnder Steuerfahnder aus München habe entgegen seiner Zeugenaussage vor der Strafkammer nicht erst im April 2005, sondern bereits am 19. September 2003 (also bevor die in Rede stehenden Vorsteueranmeldungen beim Finanzamt eingegangen waren) Kenntnis von „der steuerstrafrechtlichen Verdachtslage“ erlangt. Dies ergebe sich aus einem Vermerk über ein Telefonat dieses Steuerfahnders mit einem Steuerfahnder aus Hamburg, dessen Einvernahme nunmehr beantragt wird, sowie aus weiteren Schreiben und Vermerken, deren Verfasser ebenfalls als Zeugen gehört werden sollen. Es werde sich erweisen , dass die zuständigen Finanz- und Strafverfolgungsbehörden so frühzeitig Kenntnis „von dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt“ hatten, dass sie hätten verhindern können, dass größerer Schaden entsteht.
8
(2) Der Steuerfahnder aus München habe keine Maßnahmen ergriffen, Mitarbeiter der Firma P. zu informieren, sondern habe diese im Gegenteil, obgleich er ihnen gegenüber aufgetreten sei, „im guten Glauben … gelassen und darin bestärkt“. Hierzu solle eine Mitarbeiterin der Firma P. vernommen werden, die der Steuerfahnder trotz seines Wissens im Frühjahr 2004 um Auskunft „in Bezug auf die verfahrensgegenständlichen Sachverhalte“ gebeten habe, ohne den Hintergrund der Anfrage darzulegen.
9
b) Hinsichtlich der ersten Beweisbehauptung - Wissen des Steuerfahnders - lehnte die Strafkammer den Beweisantrag durch Beschluss vom 11. Januar 2010 mit der Begründung ab, die Kenntnis des Steuerfahnders - selbst wenn er nicht lediglich einen Anfangsverdacht gehabt hätte - sei für das Verfahren ohne Bedeutung. Der Fahnder hätte einWissen nicht offenbaren dürfen, um einen Ermittlungserfolg nicht zu gefährden. Es könne sein, dass Verfahrensverzögerungen entstanden seien, dies spiele aber für die Frage, ob eine betrügerische Umsatzsteuerkette vorliege und inwieweit der Angeklagte hierin involviert war, keine Rolle. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass sich der von der Verteidigung gezogene Schluss auf die behauptete Kenntnis des Steuerfahnders weder aus dem ein Telefonat dokumentierenden noch aus dem weiteren Vermerk nachvollziehen lasse, dieser vielmehr „abwegig“ sei.
10
Zu den weiteren Beweisbehauptungen - „Schweigen“ des Steuerfahnders - hörte die Strafkammer den zuvor bereits vernommenen Steuerfahnder aus München erneut und lehnte sodann den Beweisantrag durch Beschluss vom 26. Januar 2010 mit der Begründung ab, der Steuerfahnder sei „zu der Tatsachenbehauptung“ gehört worden, „so dass der Beweis erhoben“ sei. In den Gründen wird ausgeführt, der Beweisantrag sei insoweit schon „unzulässig, als er keine konkrete, auf die Tat- und Schuldfrage bezogene Beweisbehauptung“ enthalte.
11
2. Die Ablehnungsbeschlüsse sind nicht frei von Rechtsfehlern.
12
a) Der Ablehnungsbeschluss vom 11. Januar 2010 verletzt § 244 Abs. 3 StPO, weil er eine Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung nicht belegt.
13
Eine Beweisbehauptung ist nur dann bedeutungslos, wenn sie weder den Schuld- noch den Rechtsfolgenausspruch zu beeinflussen vermag. Das Gericht muss daher - will es eine Beweisbehauptung (in deren vollen Tragweite, vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 1982 - 1 StR 698/82, StV 1983, 90, 91) wegen Bedeutungslosigkeit ablehnen - beides in den Blick nehmen. Das Ergebnis dieser Prüfung ist im Ablehnungsbeschluss nachvollziehbar darzulegen, soweit es nicht für alle Beteiligten auf der Hand liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1999 - 1 StR 672/98, NStZ 2000, 46; BGH, Urteil vom 5. Januar 1982 - 5 StR 567/81, NStZ 1982, 170, 171; BGH, Beschluss vom 12. Juli 1979 - 3 StR 229/79).
14
(1) Es ist bereits nicht erkennbar, ob die angenommene Bedeutungslosigkeit auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruht. Entsprechende Darlegungen sind jedoch regelmäßig geboten (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2000 - 3 StR 410/99, NStZ 2000, 267, 268; BGH, Beschluss vom 12. August 1986 - 5 StR 204/86, StV 1987, 45 f.; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 43a).
15
(2) Die von der Strafkammer zur Begründung der Bedeutungslosigkeit weiter herangezogene Annahme, der benannte Steuerfahnder hätte sein Wissen nicht offenbaren dürfen, um einen Ermittlungserfolg (offenbar im Gesamt- komplex) nicht zu gefährden, vermag zu belegen, dass die abgeurteilte Tat nicht verhindert worden wäre. Welche Schlüsse die Strafkammer hieraus auf die Bedeutung der explizit unter Beweis gestellten Behauptung, die Tat hätte verhindert werden können, gezogen hat, legt sie nicht dar. Solcher Darlegungen hätte es hier aber - wie regelmäßig (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2007 - 3 StR 114/07, StraFo 2007, 331) - bedurft. Denn aus dem Umstand, dass eine Tat nicht verhindert worden wäre, drängt sich der Schluss, dass eine bestehende , aber nicht wahrgenommene Möglichkeit zur Tatverhinderung im konkreten Fall für den Schuld- oder den Strafausspruch bedeutungslos sein kann, nicht ohne weiteres auf.
16
Die weiteren Erwägungen der Kammer, etwaige Verfahrensverzögerungen seien für die Frage nach dem Vorliegen einer betrügerischen Umsatzsteuerkette oder der Beteiligung des Angeklagten hieran bedeutungslos, lassen die Frage nach der Bedeutung von Verzögerungen für den Strafausspruch unerörtert.
17
(3) Die Ausführungen der Strafkammer, es sei „abwegig“, aus dem das Stattfinden eines verfahrensbezogenen Telefonats dokumentierenden Vermerk auf einen bestimmten Gesprächsinhalt zu schließen, geben zur Frage der Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung keine Auskunft. Sie könnten überdies besorgen lassen, die Strafkammer habe die Beweisbehauptung in Zweifel gezogen. Bei der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ist jedoch die unter Beweis gestellte Tatsache so, als sei sie voll erwiesen, der Entscheidung zugrunde zu legen (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 212; BGH, Beschluss vom 6. März 2008 - 3 StR 9/08, StV 2008, 288). Die Ausführungen der Strafkammer geben dem Senat ferner Anlass zu der Anmerkung, dass einem Beweisantrag zwar abverlangt werden kann, dass darin ein verbindender Zusammenhang zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung dargelegt ist (vgl. Fischer in KK, StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 82 mwN), dies jedoch nicht die Darlegung erfordert, ein benannter Zeuge werde die Beweisbehauptung mit Sicherheit bekunden. Erforderlich - aber auch ausreichend - ist die Darlegung der Umstände, warum es dem Zeugen möglich sein kann, die Beweistatsache zu bekunden. Ist der Zeuge Teilnehmer eines Telefonats, dessen Verlauf, dessen Inhalt oder - wie hier - dessen Ergebnis unter Beweis gestellt werden soll, handelt es sich um einen unmittelbaren Zeugen, zu dem es regelmäßig nicht der Darlegung noch weiter ins Detail gehender Umstände bedarf, damit das Gericht den Antrag anhand der gesetzlichen Ablehnungsgründe sinnvoll prüfen kann (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 329 f.).
18
b) Soweit der Antrag die weiteren Beweisbehauptungen - betreffend das „Schweigen“ des Steuerfahnders - betrifft, lässt sich dem entgegen der Auffassung der Strafkammer im Beschluss vom 26. Januar 2010 eine hinreichend konkrete Beweisbehauptung entnehmen (1). Über diese wurde entgegen dem Ablehnungsbeschluss nicht Beweis erhoben (2).
19
(1) Soweit die Strafkammer im Beschluss vom 26. Januar 2010 ausführt, der Antrag sei „unzulässig“, will sie damit offenbar zum Ausdruck bringen, es handle sich um einen Beweisermittlungsantrag. Auch ein solcher wäre indes nicht schon im Ansatz unzulässig oder unstatthaft, sondern statt nach § 244 Abs. 3 bis Abs. 5 StPO nach Maßgabe des § 244 Abs. 2 StPO zu bescheiden (zu unzulässigen Beweisanträgen vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 198; Fischer in KK-StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 107 f.).
20
Zwar vermengt der Antrag hinsichtlich des behaupteten Tätig- oder Nichttätigwerdens des Steuerfahnders Beweisziel und Beweistatsachen, bei der gebotenen interessengerechten Auslegung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 39; Fischer in KK-StPO, 6. Aufl., § 244 Rn. 77 f.) lässt sich ihm aber die Behauptung entnehmen, der benannte Steuerfahnder habe bei einer zu vernehmenden Zeugin bereits im Frühjahr 2004 Unterlagen betreffend den nunmehr abgeurteilten Sachverhalt erbeten, und hierbei nicht über eine Verdachtslage gesprochen. Dies ist eine hinreichend konkrete Beweisbehauptung.
21
Fehlte es - wie die Strafkammer ausführt - an einer hinreichend konkreten Beweisbehauptung, könnte nicht - wie die Kammer im selben Beschluss ausführt - „zu der Tatsachenbehauptung … Beweis erhoben“ sein. Die Nennung verschiedener, sich widersprechender Ablehnungsgründe könnte je nach Lage des Falles sogar besorgen lassen, dass es der Tatrichter dem Revisionsgericht überlassen wollte, sich einen passenden Ablehnungsgrund „herauszusuchen“ (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51). Eine in dieser Weise widersprüchliche Begründung wird aber insbesondere der Informationsfunktion des Ablehnungsbeschlusses nicht gerecht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2009 - 1 StR 520/09, StV 2010, 287, 288).
22
(2) Der beantragte Beweis wurde nicht erhoben.
23
Die zum Verhalten des Steuerfahnders gegenüber Mitarbeitern der Firma P. benannte Zeugin wurde nicht vernommen. Die Strafkammer konnte den Beweis auch nicht dadurch erheben, dass sie an deren Stelle den bereits zuvor gehörten Steuerfahnder erneut befragt. Im Rahmen des Beweisantragsrechts ist es Sache des Antragstellers, nicht nur das Beweisthema, sondern auch das zu benutzende Beweismittel selbst zu bestimmen. Zwar kommt ein Austausch der Beweismittel ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das herangezogene Beweismittel zweifelsfrei gleichwertig ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 1982 - 2 StR 139/82, NJW 1983, 126, 127). An dieser Gleichwertigkeit fehlt es jedoch regelmäßig, wenn nur der Zeuge, dessen bisherige Aussage widerlegt werden soll, erneut vernommen wird, nicht aber die anderen zur Widerlegung benannten Zeugen. Dieser Mangel wäre im Ergebnis nur dann unschädlich , wenn der Zeuge seine bisherigen Aussagen im Sinne der Beweisbehauptung korrigiert und die Beweisbehauptung deshalb als erwiesen behandelt wird. Dass dies hier der Fall wäre, die Strafkammer also angenommen hat, der Steuerfahnder habe trotz seines Wissens geschwiegen, ist nicht ersichtlich.
24
3. Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht.
25
Das Landgericht durfte hier nämlich aus Rechtsgründen weder das behauptete „Wissen“ des ermittelnden Steuerfahnders, noch dessen „Schweigen“ für den Schuld- oder den Strafausspruch berücksichtigen. Es ist überdies auszuschließen , dass sich der Angeklagte bei rechtsfehlerfreier Ablehnung des Beweisantrags anders als geschehen gegen den Tatvorwurf hätte verteidigen können. Insofern wurde der Angeklagte durch die rechtsfehlerhafte Verbescheidung des Antrags nicht in seiner Prozessführung beeinträchtigt oder benachteiligt.
26
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der Tatbestand der Steuerhinterziehung in der hier einschlägigen Variante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen) keine gelungene Täuschung des zuständigen Finanzbeamten voraus. Dies folgt bereits aus dem vom Betrugstatbestand des § 263 StGB abweichenden Wortlaut des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Es genügt daher, dass die unrichtigen oder un- http://www.juris.de/jportal/portal/t/1c6v/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006130976BJNE046407301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 11 - vollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung oder das Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile ursächlich werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 2007 - 5 StR 127/07, NStZ 2007, 596, 597; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64; BGH, Urteil vom 19. Dezember 1990 - 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266, 285; so auch BFH, BStBl II 2006, 356, 357). Deshalb kommt es auch auf den Kenntnisstand der Finanzbehörden von der Unrichtigkeit der gemachten Angaben nicht an. Dementsprechend würde der hier unter Beweis gestellte Verdacht des Münchner Steuerfahnders die Erfüllung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung auch dann nicht ausschließen, wenn der Beweis gelungen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64).
27
Darüber hinaus greift § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO selbst dann ein, wenn der zuständige Veranlagungsbeamte von allen für die Veranlagung bedeutsamen Tatsachen Kenntnis hat und zudem sämtliche Beweismittel (§ 90 AO) bekannt und verfügbar sind (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64, wo die aufgezeigte Fragestellung nicht entscheidungserheblich war). Im Gegensatz zu § 370 Abs.1 Nr. 2 AO ist bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO - schon nach seinem Wortlaut - nicht auf eine Kenntnis oder Unkenntnis der Finanzbehörden abzustellen (so aber Schmitz/Wulf in MüKo-StGB, § 370 AO Rn. 241) oder das ungeschriebene Merkmal der "Unkenntnis" der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt in den Tatbestand hineinzulesen (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO Rn. 198 f.). Dies stünde im Widerspruch zu der Wertung des Gesetzgebers in den Regelbeispielen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 AO, die die Mitwirkung eines Amtsträgers unabhängig von dessen Zuständigkeit als besonders strafwürdig einstufen. Anders als in der Unterlassungsvariante setzt der Täter bei Begehung durch aktives Tun mit Abgabe der dann der Veranlagung zugrunde gelegten - aber unrichtigen - Erklärung eine Ursache, die im tatbestandsmäßigen Erfolg (i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO) stets wesentlich fortwirkt. Der Erfolg wäre auch bei Kenntnis der Finanzbehörden vom zutreffenden Besteuerungssachverhalt - anders als in der Unterlassungsvariante - weder ganz noch zum Teil ohne den vom Steuerpflichtigen in Gang gesetzten Geschehensablauf eingetreten. Insofern realisiert sich gerade auch in dem Machen der falschen Angaben (neben einem möglicherweise strafrechtlich relevanten Verhalten des die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen kennenden Veranlagungsbeamten) die durch § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO rechtlich missbilligte Gefahr einer Steuerverkürzung (so jetzt auch Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 42. Lfg. März 2010, § 370 Rn. 581 ff.).
28
Die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung kann auch nicht durch die mit dem Beweisantrag implizit aufgestellte Behauptung einer verzögerten Verfahrenseinleitung in Frage gestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 5 StR 191/04, wistra 2005, 148, 149).
29
b) Das Verhalten der Finanzbehörden konnte vorliegend auch keinen Einfluss auf den Strafausspruch haben.
30
Zwar kann ein Verhalten des Steuerfiskus (gleich einem Mitverschulden oder einer Mitverursachung des Verletzten) strafmildernd zu berücksichtigen sein. Es kann daher Fälle geben, in denen strafschärfend berücksichtigtes Verhalten eines Angeklagten (etwa Skrupellosigkeit, Raffinesse oder Hartnäckigkeit ) ins Verhältnis zum Verhalten der zum Schutze der staatlichen Vermögensinteressen berufenen Beamten zu setzen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 1983 - 1 StR 25/83, wistra 1983, 145). Dies gilt jedoch allenfalls dann, wenn das staatlichen Stellen vorwerfbare Verhalten unmittelbar auf das Handeln des Angeklagten Einfluss genommen hat (etwa weil er bislang nicht tatgeneigt war oder ihm wenigstens die Tat erleichtert wurde) und den staatlichen Entscheidungsträgern die Tatgenese vorgeworfen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - 3 StR 474/08, NStZ-RR 2009, 167). Derartiges hätte weder durch den in Rede stehenden Beweisantrag bewiesen werden können, noch ist es sonst vorgetragen oder ersichtlich.
31
Ein Anspruch eines Straftäters darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern, besteht nicht. Insbesondere folgt ein solcher Anspruch nicht aus dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Artikel 6 Abs. 1 EMRK (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 - 1 StR 506/02, NStZ-RR 2003, 172 f.; BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 1 StR 312/07, NStZ 2007, 635). Es wäre daher rechtsfehlerhaft gewesen, dies hier zugunsten des Angeklagten zu werten.
32
Das Landgericht hat nicht nur im Beschluss, mit dem der Beweisantrag abgelehnt wurde, sondern im hier maßgeblichen Urteil Verfahrensverzögerungen angesprochen und die bedeutsamen Daten des Verfahrens beginnend mit einer Selbstanzeige am 18. September 2003 genannt. Der Senat kann daher ausschließen, dass die Kammer dies bei der Strafzumessung nicht auch im Blick hatte. Dass darüber hinaus Besonderheiten des Einzelfalles eine Strafmilderung ermöglicht hätten, weil sie ein Einschreiten der Finanz- und Ermittlungsbehörden unabweisbar geboten oder dazu geführt hätten, dass deren Verhalten mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens unvereinbar gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 5 StR 191/04, wistra 2005, 148, 149), ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht ersichtlich.
33
II. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten einen Härteausgleich wegen einer einbeziehungsfähigen, aber bereits durch Be- zahlung vollstreckten Geldstrafe vorgenommen (UA S. 65). Eine ausgleichspflichtige Härte kann für den Angeklagten hier – anders als bei Vollstreckung einer Geldstrafe durch Ersatzfreiheitsstrafe – nicht entstehen (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 21 f. mwN). Durch den gleichwohl vorgenommenen Härteausgleich ist der Angeklagte indes nicht beschwert.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR2/14
vom
24. März 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2014 beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten U. , F. und M. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. April 2013, soweit es sie betrifft, gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten Mo. wird
a) das genannte Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung sowie Beteiligung an einer Schlägerei verurteilt ist, sowie im Strafausspruch,
b) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO auf Kosten der Staatskasse eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Diebstahls oder Hehlerei verurteilt ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten U. , F. , M. und Mo. , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten Mo. und die Revisionen der Angeklagten T. und A. werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
5. Auf die sofortigen Beschwerden der Angeklagten T. und A. werden die sie betreffenden Kostenentscheidungen des genannten Urteils aufgehoben. Es wird davon abgesehen , ihnen Kosten und gerichtliche Auslagen in beiden Rechtszügen aufzuerlegen. Sie haben jedoch insoweit die dem Nebenkläger S. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen, der Angeklagte A. außerdem die dem Nebenkläger Ta. entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten U. wegen Beihilfe zur schweren Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Beihilfe zur Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Angeklagten F. , M. undT. hat es wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei verurteilt. Gegen F. hat das Landgericht unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung eine Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verhängt; gegen M. hat es auf eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, gegen T. auf eine solche von einem Jahr und vier Monaten erkannt und deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten A. hat die Jugendkammer wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperver- letzung und Beteiligung an einer Schlägerei sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung sie ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt hat. Den Angeklagten Mo. hat das Landgericht wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei, wegen Körperverletzung sowie wegen Diebstahls oder Hehlerei zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt.
2
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten U. hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Revisionen der Angeklagten F. und M. führen entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts aufgrund zweier Verfahrensrügen zum Erfolg. Die Revision des Angeklagten Mo. erzielt in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts mit den gleichen Verfahrensrügen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Sie führt darüber hinaus zu einer Teileinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO und ist im Übrigen, ebenso wie die Revisionen der Angeklagten T. und A. , unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begaben sich die Angeklagten am 21. Februar 2011 zur Wohnung des Nebenklägers S. . F. , M. , T. , A. und Mo. wollten den Nebenkläger vor seinem Wohnhaus abpassen und angreifen. Hintergrund war ein Streit zwischen dem Nebenkläger und dem Angeklagten Mo. um einen Hundewelpen. U. begleitete die übrigen Angeklagten, „um aufzupassen, dass nichts Schlimmeres passiert“ (UA S. 32). Als der Nebenkläger eintraf, bildetenF. , M. und A. eine halbkreisförmige Reihe hinter dem Angeklagten Mo. , der sich mit einem sichtbar in der Hand gehaltenen Messer dem Nebenkläger zu- wandte. „Etwas abseits, in ca. zwei Schritten Entfernung, erkennbar getrennt von dieser Personengruppe“ (UA S. 33), stand der Angeklagte U. , der in die sich dann entwickelnde Auseinandersetzung nicht eingriff. Einer der Angeklagten , nämlich entweder F. , M. , T. oder A. , versetzte sodann dem Nebenkläger einen Schlag in das Gesicht. Anschließend schlugen und traten die Angeklagten – mit Ausnahme des Angeklagten U. – gemeinsam auf den Nebenkläger ein, wobei Mo. diesem im Verlauf der Auseinandersetzung zwei Messerstiche zufügte, durch die der Nebenkläger einen Durchstich des linken Oberarms – mit der Folge einer dauerhaften Gebrauchsunfähigkeit der linken Hand – und einen Einstich in den Rücken mit einer Durchtrennung der fünften Rippe, Verletzung der Lunge und Ausbildung einer Spannungsluft- und Blutluftbrust erlitt.
4
2. Zur Revision des Angeklagte U. :
5
a) Zu Recht beanstandet der Beschwerdeführer, dass er entgegen § 265 StPO nicht auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen Beihilfe an Stelle der angeklagten Mittäterschaft hingewiesen wurde. Der Senat muss nicht entscheiden , ob das Urteil auf diesem Verstoß beruht, denn die Revision führt mit der Sachrüge zur umfassenden Aufhebung des Urteils.
6
b) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte U. habe sich der Beihilfe zu der von den übrigen Angeklagten begangenen schweren Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und zur Beteiligung an einer Schlägerei schuldig gemacht, wird von den Feststellungen nicht getragen.
7
Das Landgericht hat eine strafbare Hilfeleistung des Angeklagten U. darin erblickt, dass er die übrigen Angeklagten durch seine Anwesenheit am Tatort in ihrem Tatentschluss bestärkt habe. Auch die Beihilfe in Form psychischer Unterstützung setzt indessen voraus, dass die Tatbegehung objektiv gefördert oder erleichtert wurde und dass dies dem Gehilfen bewusst war (BGH, Beschluss vom 30. April 2013 – 3 StR 85/13, NStZ-RR 2013, 249; Beschluss vom 17. März 1995 – 2 StR 84/95, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 14). Zum Beleg einer solchen sogenannten psychischen Beihilfe bedarf es genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion der Handlung sowie zu der entsprechenden Willensrichtung des Gehilfen (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 206/11, NStZ 2012, 316).
8
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zwar kann eine Förderung der Haupttat unter Umständen auch darin gesehen wer- den, dass der Hilfeleistende seine Anwesenheit am Tatort „einbringt“, um den Haupttäter in seinem Tatentschluss zu bestärken und ihm das Gefühl erhöhter Sicherheit zu geben (BGH, Beschluss vom 17. März 1995 – 2 StR 84/95, aaO). Die für eine solche Annahme erforderlichen Feststellungen lässt das Urteil jedoch vermissen. Ohne nähere Feststellungen zu zwischen U. und den übrigen Angeklagten getroffenen Absprachen ist schon nicht ersichtlich, inwiefern der Angeklagte U. die fünf übrigen, gegen ein nach ihrer Vorstellung auf sich allein gestelltes Opfer vorgehenden Angeklagten durch seine passive Anwesenheit – noch dazu in einigen Schritten Entfernung, von allen übrigen Akteuren erkennbar getrennt – in ihrem Tatentschluss bestärkt und ihnen ein Gefühl erhöhter Sicherheit gegeben haben soll. Gegen eine entsprechende Willensrichtung des Angeklagten U. spricht zudem entscheidend, dass dieser nach den ausdrücklichen Feststellungen des Landgerichts mitgekommen ist, um „aufzupassen, dass nichts Schlimmeres passiert“ (UA S. 32, 128). Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann dies nur so verstanden werden, dass er verhindern wollte, dass die übrigen Angeklagten bei ihrem Übergriff zu weit gingen. Einen Hinweis darauf, dass er zum Schutz der Angeklagten mitgegangen wäre, enthalten die Urteilsfeststellungen hingegen nicht. Auch bleibt offen, ob die übrigen Angeklagten sein Verhalten in dem zuletzt genannten Sinne gedeutet haben. Allein in dem Umstand, dass der Angeklagte U. dem Tun der anderen nicht entgegengetreten ist, kann kein die Tat fördernder Beitrag gesehen werden.
9
3. Zu den Revisionen der Angeklagten F. , M. und Mo. :
10
a) Die Angeklagten F. , M. und Mo. machen hinsichtlich des Vorfalls zum Nachteil des Nebenklägers S. vom 21. Februar 2011 in gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässiger Weise und zu Recht geltend, das Landgericht habe durch die Zurückweisung des auf die Vernehmung des Zeugen D. gerichteten Beweisantrags gegen § 245 Abs. 2 StPO und durch die Zurückweisung des auf die Vernehmung des Zeugen St. gerichteten Beweisantrags gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO verstoßen.
11
aa) Beweisantrag D.
12
(1) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
13
Die Verteidigerin des Angeklagten M. stellte einen Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen D. zum Beweis der Tatsache, dass das Einsatzfahrzeug , in dem sich der als Zeuge vernommene Polizeibeamte E. befand , mit dem Heck in Richtung Innenhof einer Toreinfahrt stand. Hierdurch sollte sich letztlich erweisen, dass die Aussage E. s, der angegeben hatte, den Beginn der auf der Straße stattfindenden Auseinandersetzung durch die Heckscheibe des Fahrzeugs beobachtet zu haben, nicht der Wahrheit entsprechen konnte. Die Verteidiger der Angeklagten F. und Mo. schlossen sich dem Antrag an. Diesen Beweisantrag wies das Landgericht wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zurück. Daraufhin ließ die Verteidigerin des Angeklagten Mo. dem Zeugen D. durch den Gerichtsvollzieher eine Ladung zum folgenden Hauptverhandlungstermin zustellen. In der Ladung formulierte sie unter anderem: „... in der Strafsache ... lade ich Sie hiermit in meiner Eigenschaft als Verteidigerin des Herrn M. als Zeugen ...“. Als Vorschuss für etwaige Entschädigungsansprüche des Zeu- gen hinterlegte die Verteidigerin 100 € bei der zuständigen Stelle. Aufgrund der Ladung erschien der Zeuge D. zum Hauptverhandlungstermin am 21. März 2013. Die Verteidigerin des Angeklagten M. stellte daraufhin erneut den Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen D. . Die Verteidiger der Angeklagten F. und Mo. schlossen sich an. Diesen Antrag wies die Jugendkammer mit Beschluss vom 21. März 2013 unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 14. März 2013 wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit zurück und führte aus, der Antrag sei „mangels ordnungsgemäßer Ladung durch den Angeklagten M. “ als Beweisantrag gemäß § 244 Abs. 3 StPO zu bescheiden. Der Zeuge D. wurde weder an diesem Verhandlungstag noch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung vernommen.
14
(2) Mit dieser Begründung durfte das Landgericht den Beweisantrag nicht zurückweisen. Bei dem Zeugen D. handelte es sich um einen vom Angeklagten vorgeladenen und erschienenen Zeugen im Sinne des § 245 Abs. 2 StPO. Dabei kommt es nicht darauf an, ob § 245 Abs. 2 StPO außer auf die dort genannten Fälle der Ladung durch den Angeklagten oder die Staatsanwaltschaft über den Wortlaut hinaus auch auf Ladungen sämtlicher anderer antragsberechtigter Verfahrensbeteiligter, wie etwa auch des Nebenklägers, Anwendung findet. Unabhängig davon folgt nämlich das Recht des Verteidigers zur Vorladung von Zeugen mit den sich daraus ergebenden Wirkungen des § 245 Abs. 2 StPO aus seiner grundsätzlich bestehenden Befugnis, die dem Angeklagten zustehenden prozessualen Rechte in seiner Eigenschaft als dessen Beistand aus eigenem Recht und in eigenem Namen wahrzunehmen (vgl. etwa Fischer in KK-StPO, 7. Aufl., Einleitung Rn. 244). Das Ladungsrecht gemäß § 220 Abs. 1 StPO, an das § 245 Abs. 2 StPO anknüpft, dient unmittelbar der Vorbereitung der Verteidigung des Angeklagten und zählt daher – anders als etwa der Verzicht auf die Ladungsfrist gemäß § 217 Abs. 3 StPO oder der Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen gemäß § 233 Abs. 1 StPO – nicht zu denjenigen Befugnissen des Angeklagten, die der Verteidiger nur kraft besonderer Vertretungsvollmacht für ihn ausüben kann.
15
Der Beweisantrag hätte mithin nur aus einem der in § 245 Abs. 2 Satz 3 StPO bezeichneten Gründe zurückgewiesen werden dürfen. Die Ablehnung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit, wie sie das Landgericht in dem in Bezug genommenen Beschluss vom 14. März 2013 vorgenommen hat, genügt diesen Anforderungen nicht. Mit Recht ist das Landgericht in diesem Beschluss selbst nicht vom Fehlen eines Zusammenhangs zwischen der Beweistatsache und dem Gegenstand der Urteilsfindung ausgegangen. Vielmehr hat es darauf abgehoben, die Beweistatsache lasse keine zwingenden, sondern nur mögliche Schlüsse zu, die das Gericht nicht ziehen wolle. Dies stellt indessen keinen zulässigen Ablehnungsgrund gemäß § 245 Abs. 2 StPO dar.
16
Auf dem Verfahrensfehler beruht die Verurteilung der Angeklagten F. , M. und Mo. wegen des Vorfalls vom 21. Februar 2011. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht aufgrund der Vernehmung des Zeugen D. die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen E. , auf die es seine Überzeugung vom für die rechtliche Bewertung bedeutsamen Beginn der Auseinandersetzung unter anderem gestützt hat, anders bewertet und damit zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre.
17
bb) Beweisantrag St.
18
(1) Folgendes liegt zugrunde:
19
Am 22. Februar 2013 stellte die Verteidigerin des AngeklagtenM. einen Beweisantrag auf Vernehmung des Polizeibeamten St. als Zeugen, dem sich unter anderem die Verteidiger der Angeklagten F. und Mo. anschlossen. In dem Beweisantrag hieß es unter anderem:
20
„Der Beamte wird die folgenden Tatsachen bekunden: Im Rahmen des Polizeieinsatzes J. straße am Spätnachmittag des 21. Februar 2011 konnte ich beobachten, wie ein mit einer roten Hose bekleideter Mann auf eine Personengruppe zulief und eine andere Person aus dieser Gruppe in das Gesicht schlug. Daraufhin entwickelte sich eine körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Mann mit roter Hose und mehreren anderen Personen. Die Auseinandersetzung wurde durch den Schlag, den der Mann in der roten Hose der anderen Person versetzte, ausgelöst.“
21
Diesen Beweisantrag wies das Landgericht mit Beschluss vom 28. Februar 2013 zurück. Zur Begründung führte es aus, bei dem Antrag handele es sich nicht um einen Beweisantrag im formellen Sinn, weil es an der notwendigen Konnexität zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung fehle. Es sei „unter Berücksichtigung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnah- me nicht ersichtlich, weshalb der Zeuge St. die unter Beweis gestellten Beobachtungen vom Tatgeschehen gemacht haben können soll.“ Dafür, dass der Zeuge sich bereits zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung derart in Tatortnähe befunden haben könnte, dass er die unter Beweis gestellten Beobachtungen hätte machen können, fehle es an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten. Zudem werde in dem Antrag keine Beweistatsache vorgetragen, sondern lediglich ein Beweisziel. Eine Wahrnehmung, die der Zeuge St. gemacht haben soll, werde in dem Antrag nicht mitgeteilt. Anlass, dem Antrag gemäß § 244 Abs. 2 StPO im Rahmen der Aufklärungspflicht nachzugehen, bestehe nicht.
22
Dementsprechend wurde der Zeuge St. nicht vernommen.
23
(2) Zu Unrecht hat das Landgericht dem Antrag auf Vernehmung des Zeugen St. die Qualität eines Beweisantrages im Sinne des § 244 Abs. 3 und 6 StPO abgesprochen.
24
(aa) Der Antrag enthält nach der rechtlich gebotenen, am Gesamtzusammenhang orientierten Auslegung eine hinreichend bestimmte Beweistatsache. Bewiesen werden sollte, dass – wie der benannte Zeuge beobachtet habe – die verfahrensgegenständliche Auseinandersetzung damit begann, dass ein mit einer roten Hose bekleideter Mann auf eine Personengruppe zulief und dann einer anderen Person aus dieser Gruppe in das Gesicht schlug. Hierbei handelte es sich nicht lediglich um das Beweisziel, sondern um eine konkrete Tatsache, aus der sodann – wie in der Antragsbegründung näher dargelegt – gegebenenfalls Schlussfolgerungen zu Gunsten der Angeklagten hätten gezogen werden können.
25
(bb) Dem Antrag mangelt es auch nicht an der erforderlichen Konnexität zwischen Beweisbehauptung und Beweismittel. Zwar kann einem Antrag auf Beweiserhebung die Eigenschaft eines formellen Beweisantrags im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO fehlen, wenn die Wahrnehmungssituation eines benannten Zeugen nicht konkret genug bezeichnet wird. Hierzu kann es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – je nach der bei Antragstellung vorgefundenen Beweislage – geboten sein, das die Wahrnehmungssituation betreffende bisherige Beweisergebnis in die Antragstellung einzubeziehen (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 – 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284). Erforderlich, aber auch ausreichend ist die Darlegung der Umstände, aus denen sich ergibt, warum es dem Zeugen möglich sein kann, die Beweistatsache zu bekunden (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 275/10, NJW 2011, 1299, 1300).
26
Auch unter Beachtung dieser Grundsätze ist jedoch die Wahrnehmungssituation des Zeugen St. in dem hier in Rede stehenden Beweisantrag hinreichend konkret beschrieben. Aus der Antragsbegründung geht eindeutig die Aussage hervor, dass der Zeuge St. die Wahrnehmung habe machen können, weil er in seiner Eigenschaft als Leiter einer Einheit von Zivilfahndern am Tatort gewesen sei. Der in der Antragsbegründung dargelegte Schluss, dass der Zeuge, der später in die Auseinandersetzung eingriff, schon deren Beginn beobachtet haben kann, ist nachvollziehbar und plausibel. Es ist nicht ersichtlich, dass das bisherige Beweisergebnis einer solchen Annahme in einer Weise entgegengestanden haben könnte, die eine nähere Auseinandersetzung mit den Wahrnehmungsmöglichkeiten des Zeugen zu Beginn der Auseinandersetzung erforderlich gemacht hätte. Auch aus den in der Begründung des Zurückweisungsbeschlusses erwähnten Aussagen der bis dahin vernommenen Polizeibeamten, die nicht berichtet hatten, St. während der Auseinandersetzung in Tatortnähe gesehen zu haben, geht nicht hervor, dass danach eine Anwesenheit des Zeugen St. in Sichtweite des Tatgeschehens auszuschließen oder nur von vornherein als unrealistisch einzustufen wäre. Der vorliegende Fall unterscheidet sich danach wesentlich von demjenigen, der dem Senatsurteil vom 10. Juni 2008 zugrunde lag. Anders als dort ging es in dem hier in Frage stehenden Beweisantrag um die Vernehmung eines – dem Antrag zufolge – unmittelbaren Tatzeugen, der – wie sich auch aus der Begründung des Zurückweisungsbeschlusses ergibt – im zeitlichen Zusammenhang mit dem Tatgeschehen am Tatort war und dessen Wahrnehmungsmöglichkeit – soweit ersichtlich – von keinem bisher vernommenen Zeugen ausgeschlossen worden war. Vor dem Hintergrund des Beweisergebnisses zum Zeitpunkt der Antragstellung waren somit die Umstände, aus denen sich die Wahrnehmungsmöglichkeit des Zeugen St. ergeben konnte, in der Antragsbegründung ausreichend dargelegt.
27
Auf der danach rechtsfehlerhaften Zurückweisung des Antrags gemäß § 244 Abs. 2 StPO beruht das Urteil, soweit es die Beteiligung der Angeklagten F. , M. und Mo. an dem Vorfall vom 21. Februar 2011 betrifft. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht im Falle der Vernehmung des Zeugen St. zu dem beantragten Beweisthema den Angaben des Zeugen S. zum Beginn der Auseinandersetzung nicht gefolgt wäre und deshalb insgesamt abweichende Feststellungen getroffen hätte.
28
b) Aufgrund beider Verfahrensrügen unterliegt das Urteil damit, soweit es die Angeklagten F. und M. betrifft, insgesamt der Aufhebung. Hinsichtlich des Angeklagten Mo. gilt dies lediglich für den Vorfall vom 21. Februar 2011. Bezüglich der Verurteilung aufgrund einer Wahlfeststellung (Diebstahl oder Hehlerei) hat der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Hinsichtlich der Verurtei- lung des Angeklagten Mo. wegen Körperverletzung hat die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
29
c) Das neue Tatgericht wird die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 10. Januar 2014 zur unzureichenden Prüfung eines Rücktritts des Angeklagten Mo. vom Versuch des Totschlags, denen der Senat folgt, zu beachten haben.
30
4. Die Revisionen der Angeklagten T. und A. sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Allerdings haben ihre Kostenbeschwerden aus Gründen der Billigkeit Erfolg (§ 74 JGG).
Basdorf Dölp König
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 644/09
vom
29. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Computerbetruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2010 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 18. August 2009 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2007 und der Abgabe inhaltlich unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis März 2008 verurteilt wurde;
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe, die für die Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2006 verhängt wurde;
c) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. Die weitergehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


I.

1
Der Angeklagte wurde wie folgt verurteilt:
2
1. Steuerhinterziehung in fünf Fällen.
3
Diese - ohne klar auf die einzelne Tat bezogene weitere Untergliederung insgesamt in Abschnitt B II der Urteilsgründe geschilderten - Taten hängen nach den Feststellungen der Strafkammer mit dem vom Angeklagten als Gewerbe betriebenen Verkauf von Multimedia- und Internetdienstleistungen zusammen. Er setzte in großem Stil über die Plattform ebay Speichermedien ab, die er von der Großhandelsfirma M. GmbH erworben hatte. Im Anschluss an die Auktionen kam er seinen umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen nicht nach. Verurteilt wurde er, weil er in den Jahren 2006 und 2007 keine Umsatzsteuerjahreserklärung und für die Monate Januar bis März 2008 jeweils falsche Umsatzsteuervoranmeldungen abgab. Die hierfür verhängten Strafen betrugen acht Monate (für 2006), ein Jahr und vier Monate (für 2007) und jeweils sechs Monate (für Januar bis März 2008).
4
2. Computerbetrug in 20 Fällen und versuchter Computerbetrug in 15 Fällen.
5
Insoweit hatte der Angeklagte im Zusammenhang mit der nicht ordnungsgemäßen Verwendung von „Labels“ in großem Umfang mit der wahrheitswidrigen Behauptung, von ihm aufgegebene Einschreibesendungen seien nicht zugestellt worden, von der Post Schadensersatzzahlungen erhalten oder zu erhalten versucht. Für diese Taten verhängte die Strafkammer vier Strafen von je einem Jahr und vier Monaten, 20 Strafen von je einem Jahr und zwei Monaten und elf Strafen von je einem Jahr.
6
Aus den genannten Einzelstrafen wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten gebildet. Außerdem wurden näher bezeichnete Gegenstände (Computer und Zubehör) als Tatmittel des Computerbetruges eingezogen.

II.

7
Die Revision des Angeklagten ist auf Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützt. Eine der Verfahrensrügen führt zur Aufhebung der Schuldsprüche wegen der unterbliebenen Umsatzsteuerjahreserklärung 2007 und der falschen Umsatzsteuervoranmeldungen in den ersten drei Monaten des Jahres 2008. Zugleich hat der Senat die Strafe wegen der unterbliebenen Umsatzsteuerjahreserklärung 2006 aufgehoben; außerdem war die Gesamtfreiheitsstrafe aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO). Die weitergehende Revision blieb erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
8
1. Der Verfahrensrüge, mit der die Revision Erfolg hat, liegt Folgendes zu Grunde:
9
Neben anderweitigen, im Einzelnen von der Strafkammer geschilderten Maßnahmen zur Verdeckung seiner geschäftlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit den Speichermedien ging der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer ab Herbst 2007 auch dazu über, die Bezugsquelle seiner Waren zu verschleiern. Er kaufte die Speichermedien bei der Großhandelsfirma nicht mehr unter seinem Namen ein, sondern unter dem Namen der Firma Il V. , K. (Litauen) mit deren Kundennummer, wobei er sich als der inländische Vertreter dieser Firma ausgab. Dadurch bezweckte der Angeklagte, die Artikel um 19 % billiger - weil umsatzsteuerbefreit - zu erhalten.
10
a) In diesem Zusammenhang stellte der Angeklagte unter Beifügung einer Reihe von im November 2007 und später im Detail ausgefüllter CMRFrachtbriefe den Antrag, „den Sachbearbeiter des Kreisfinanzamtes K. , zuständig für die Firma Il V. …. als Zeugen zu vernehmen.“ Er werde bekunden, dass die aus den Frachtbriefen ersichtlichen Waren von der genannten Firma ordnungsgemäß gemeldet und versteuert wurden. In der Begründung des Antrags ist ausgeführt, der Angeklagte habe die bei der Großhandelsfirma bestellten Waren lediglich als „Durchgangsposten“ angenommen und sodann einem Spediteur der litauischen Firma weitergegeben. Die Ware sei dann tatsächlich in Litauen eingeführt, angemeldet und versteuert worden. Eine Umsatzsteuerpflicht bestehe in Deutschland insoweit nicht.
11
Die Strafkammer hat den Antrag durch einen auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützten Beschluss zurückgewiesen.
12
b) Der Generalbundesanwalt hat geltend gemacht, auf die Einzelheiten der Begründung des Beschlusses der Strafkammer und des hiergegen gerichteten Vorbringens der Revision komme es nicht an. Es liege nämlich überhaupt kein Beweisantrag vor, da der genannte Zeuge nicht genügend individualisiert sei. Aus dem Kreis sämtlicher im fraglichen Zeitraum bei dem litauischen Finanzamt tätigen Sachbearbeiter müsse erst derjenige herausgefunden werden, der die behaupteten steuerlichen Vorgänge bearbeitet hat. Daher liege ein Beweisermittlungsantrag vor, über den nur nach Maßgabe der Aufklärungspflicht zu befinden sei. Diese sei, wie er näher darlegt, hier nicht verletzt.
13
c) Es trifft zu, dass die Zurückweisung eines Beweisermittlungsantrags nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Revision nur dann be- gründet, wenn dadurch die Aufklärungspflicht verletzt wurde. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn das Gericht den Antrag (zu Unrecht) für einen Beweisantrag hielt und ihn nach den hierfür geltenden Regeln beschieden hat (BGH StV 1996, 581; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 23 jew. m.w.N.). Hier hat jedoch die Strafkammer rechtsfehlerfrei den in Rede stehenden Antrag als Beweisantrag angesehen.
14
Grundsätzlich sind bei einem auf die Vernehmung eines Zeugen gerichteten Beweisantrag Name und (hier unproblematisch) Anschrift des Zeugen zu nennen. Dies ist aber nicht in jedem Fall zwingend erforderlich. Es genügt vielmehr , wenn die zu vernehmende Person derart individualisiert ist, dass eine Verwechslung mit anderen nicht in Betracht kommt. Die Nennung eines Namens ist in diesem Zusammenhang dann entbehrlich, wenn der Zeuge unter Berücksichtigung des Beweisthemas über seine Tätigkeit insbesondere in einer Behörde zu individualisieren ist (vgl. BGH VRS 25, 426, 427; BayObLG b. Rüth DAR 1980, 269; OLG Köln NStZ-RR 2007, 150; einschränkend BGHSt 40, 3, 7; vgl. auch Becker in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 244 Rdn. 105; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 244 Rdn. 21 jew. m.w.N.). Hier ist der Sachbearbeiter eines bestimmten Finanzamts für im Detail gekennzeichnete steuerrechtlich erhebliche Vorgänge im Geschäftsbetrieb einer bestimmten Firma als Zeuge benannt. Die Strafkammer hat durch die Behandlung dieses Antrags als Beweisantrag der Sache nach zum Ausdruck gebracht, den Anforderungen an die Kennzeichnung des Beweismittels in einem Beweisantrag sei hier Genüge getan. Dies ist jedenfalls vertretbar und daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.
15
d) Die Strafkammer hat die auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützte Ablehnung des Beweisantrags damit begründet, dass „die Vernehmung des Zeugen nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts nicht erforderlich erscheint.
Die Kammer unterstellt als wahr, dass ein Mitarbeiter des Finanzamtes K. die im Beweisantrag … genannten Angaben machen würde.“
16
Weitere Ausführungen enthält der Beschluss nicht. In den Urteilsgründen ist dann im Einzelnen dargelegt, warum die Strafkammer davon ausgeht, dass tatsächlich keine Lieferungen nach Litauen erfolgt sind.
17
2. Zu Recht rügt die Revision die Begründung des Beschlusses.
18
Über die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts hinaus ergibt der genannte Beschluss, dass die Strafkammer offenbar erwartet, dass der Zeuge die in sein Wissen gestellten Behauptungen zwar bestätigen werde, diese Angaben jedoch wahrheitswidrig seien. Eine solche Prognose hinsichtlich des Inhalts der zu erwartenden Aussage und dessen Bewertung als unwahr kann Grundlage der Ablehnung eines Beweisantrags gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO sein (vgl. BGHSt 40, 60, 62). Der hierfür erforderliche Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) muss jedoch die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem tatsächlichen Kern verdeutlichen. Die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrages ist nicht nur gegebenenfalls Grundlage einer revisionsrechtlichen Überprüfung der Ablehnung, sondern sie hat auch die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag sieht, damit er sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage einstellen kann, die durch die Antragsablehnung entstanden ist (BGHSt 40, 60, 63 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird der Beschluss der Strafkammer nicht gerecht , weil er nicht konkretisiert ist.
19
Allerdings ist in den Urteilsgründen näher dargelegt, warum nicht davon auszugehen ist, dass es die vom Angeklagten behaupteten Lieferungen nach Litauen gegeben hätte. Ohne dass dies hier im Detail nachzuzeichnen wäre, ergibt sich dies nach Auffassung der Strafkammer aus einer Gesamtschau von Versteigerungslisten, Kontoauszügen, Lieferadressen auf Rechnungen, fehlenden Hinweisen auf behördliche Bearbeitung auf den vorgelegten Frachtbriefen und näher ausgeführten steuerrechtlichen Überlegungen. Diese Ausführungen würden zwar für sich genommen rechtlicher Überprüfung standhalten. Der Aufgabe , dem Antragsteller zu ermöglichen, sein Prozessverhalten an die für die Ablehnung des Beweisantrags maßgeblichen Gründe anzupassen, werden jedoch solche Gründe nicht gerecht, von denen der Antragsteller erst durch das Urteil erfährt. Dementsprechend kann ein unzulänglich begründeter Beschluss zur Ablehnung eines Beweisantrags nicht anhand der Urteilsgründe ergänzt werden (st. Rspr.; vgl. zusammenfassend Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 244 Rdn. 42 m.w.N.). Anderes könnte im Ergebnis möglicherweise gelten, wenn den Urteilsgründen der Sache nach die Beweisbehauptungen zu Grunde gelegt wären. Hier ist die Strafkammer jedoch in den Urteilsgründen vom Gegenteil der Beweisbehauptungen ausgegangen. Sie hat lediglich - in dem Beschluss - als wahr unterstellt, dass der Zeuge die in sein Wissen gestellten Behauptungen (wahrheitswidrig) bestätigen werde.
20
3. Der nach alledem fehlerhaft beschiedene Beweisantrag bezog sich auf Lieferscheine aus den Jahren 2007 und 2008, kann also nur im Zusammenhang mit den Steuererklärungen für diese Zeit stehen. Dementsprechend waren die hierauf bezogenen Schuldsprüche (unterlassene Umsatzsteuerjahreserklärung 2007, falsche Umsatzsteuervoranmeldungen Januar, Februar und März 2008) aufzuheben. Wegen eines nahe liegenden inneren Zusammenhangs hat der Senat zugleich die für die unterbliebene Umsatzsteuerjahreserklärung 2006 verhängte Einzelstrafe aufgehoben. Zugleich muss über die Gesamtstrafe neu entschieden werden.

III.

21
Im Übrigen (Schuldspruch wegen der unterbliebenen Umsatzsteuerjahreserklärung 2006; Schuldsprüche und Einzelstrafen wegen Computerbetruges und versuchten Computerbetruges; Einziehungsentscheidung) ist die Revision unbegründet. Für sich genommen hat insoweit die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben, wie dies auch der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat. Darüber hinaus gibt es aber auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die wenigen in Rede stehenden Strafen wegen Umsatzsteuerhinterziehung auf die Höhe der zahlreichen Strafen wegen der anders gelagerten Taten wegen Computerbetruges und versuchten Computerbetruges ausgewirkt haben. Nack Wahl Hebenstreit Herr RiBGH Prof. Dr. Jäger befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Nack Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 445/13
vom
13. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. März
2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 27. Juni 2013 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem anderen rechtskräftigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für deren Wiedererteilung von zwei Jahren festgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte eine Verletzung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO und macht mit der Sachrüge Rechtsfehler im Rahmen der Beweiswürdigung geltend. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, hat das Landgericht im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Am 24. November 2010 um 14:25 Uhr durchfuhr der Angeklagte mit seinem Pkw Marke Ford Mondeo die Straße in B. , um dort den Nebenkläger abzupassen und durch seine drei unbekannt gebliebenen Mitfahrer zusammenschlagen zu lassen. Als ihm der Nebenkläger auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig mit seinem Fahrrad entgegenkam, lenkte der Angeklagte seinen Pkw absichtlich auf den Gehweg und fuhr direkt auf ihn zu. Dabei war ihm bewusst, dass er den Nebenkläger konkret gefährdete. Mögliche Verletzungen , die durch ein Stürzen oder Anfahren des Nebenklägers entstehen konnten, nahm er billigend in Kauf. Tatsächlich touchierte der vordere Bereich seines Pkw das Vorderrad des Fahrrades des Nebenklägers, der neben einem geparkten Pkw der Marke Alfa Romeo zu Fall kam. Danach setzte der Angeklagte sein Fahrzeug ein kurzes Stück zurück. Der Nebenkläger, der den Angeklagten sofort erkannt hatte, rappelte sich auf und wollte mit seinem Fahrrad weiterfahren. In diesem Moment sprangen die drei Mitfahrer des Angeklagten – wievon vorneherein abgesprochen – aus dem Wagen. Einer von ihnen traktierte den Nebenkläger von hinten mit einem Baseballschläger oder einem ähnlichen Gegenstand. Anschließend traten und schlugen die drei Männer dem gemeinsamen Tatplan entsprechend auf den zu Boden gegangenen Nebenkläger ein, der sich erfolglos zu schützen versuchte. Schließlich zogen sie den Nebenkläger hoch, warfen ihn auf die Motorhaube des Alfa Romeo und schlugen weiter auf ihn ein. Dabei trafen mindestens zwei Schläge den linken Kotflügel des Fahrzeugs und verursachten tiefe Beulen. Als ein Nachbar, der auf das Geschehen aufmerksam geworden war, laut schrie, zogen sich die drei Männer in den in der Nähe haltenden Pkw des Angeklagten zurück, der nicht selbst ausgestiegen war. Sodann flohen alle vier gemeinsam vom Tatort.
4
Der Nebenkläger erlitt drei Kopfplatzwunden, eine Gesichtsprellung, eine Schürfwunde am linken Schienbein und eine Prellung am Übergang von Brust- und Lendenwirbel. Eine Kopfverletzung musste mit mehreren Stichen genäht werden. Das Vorderrad seines Fahrrades war eingeklemmt und ließ sich nicht mehr drehen. An dem geparkten Pkw Alfa Romeo entstand ein Schaden in Höhe von 2.500 Euro.
5
Das Landgericht hat das Anfahren des Nebenklägers als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB gewertet und den Qualifikationstatbestand des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1b StGB für erfüllt angesehen. Hinsichtlich der in der Misshandlung des Nebenklägers liegenden gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB) ist es von einem mittäterschaftlichen Handeln des Angeklagten und seiner drei Mitfahrer ausgegangen.

II.


6
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
7
1. Die Rüge, das Landgericht habe bei der auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützten Zurückweisung eines Beweisantrages auf Einvernahme der Zeugin B. gegen Verfahrensrecht verstoßen, ist jedenfalls unbegründet.
8
a) Nach dem Revisionsvorbringen stellte der Verteidiger des Angeklagten am 14. Verhandlungstag den Antrag, die in C. /Tschechien zu ladende Zeugin B. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass sich der Angeklagte am 24. November 2010 um 14.30 Uhr in C. befunden habe. Die Zeugin werde bestätigen, dass sich der Angeklagte am angegebenen Tag, also auch zum Tatzeitpunkt, bei ihr aufgehalten habe. Mit Beschluss vom selben Tag lehnte das Landgericht die beantragte Beweiserhebung gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO ab und führte zur Begründung aus, dass es aufgrund des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt sei, dass der Angeklagte am Tattag in B. vor Ort und an dem Geschehen beteiligt war. Im Anschluss daran stellte das Landgericht das bisherige Beweisergebnis dar und führte abschließend aus, dass nach einer Gesamtwürdigung dieser Beweismittel keine Veranlassung bestehe, die erst jetzt benannte Auslandszeugin zu laden und zu hören, da ihre Vernehmung keinen Einfluss auf die Überzeugungsbildung haben könne.
9
b) Diese Verfahrensweise hält rechtlicher Überprüfung stand.
10
aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteter Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 244 Abs. 2 StPO). Dabei ist das Gericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnissezu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags, als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116, 117; Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349, 350; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; weitere Nachweise bei Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 356). In dem hierfür erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) müssen die maßgeblichen Erwägungen so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller möglich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen und das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Antragsablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2010 – 1 StR 644/09, wistra 2010, 410, 411; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 63; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 359).
11
bb) Diesen Anforderungen wird der angegriffene Ablehnungsbeschluss gerecht.
12
(1) Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen; dies gilt insbesondere dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349, 351; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 357 mwN).
13
(2) Daran gemessen hat das Landgericht hier die Grenzen zulässiger antizipatorischer Beurteilung nicht überschritten.
14
Das Landgericht, das ersichtlich davon ausgegangen ist, dass die Zeugin B. die in ihr Wissen gestellte Beweisbehauptung bestätigen werde, hat in den Beschlussgründen die von ihm bisher erhobenen Beweise im Einzelnen dargestellt, deren Aussagekraft ausführlich erörtert und auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung verdeutlicht, warum seine Überzeugung von der Anwesenheit des Angeklagten am Tatort soweit gesichert ist, dass sie durch eine gegenteilige – auf einen Alibibeweis abzielende – Zeugenaussage nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt werden kann. Dabei hat es nicht nur auf die Aussage des Nebenklägers abgestellt, sondern weitere Indizien von Gewicht (aufgezeichnetes Gespräch des Angeklagten mit dem Zeugen S. , spontane Angaben des Nebenklägers gegenüber der Polizei am Tatort, Verwendung des Pkw des Angeklagten zur Tatbegehung) herangezogen. Die dazu angestellten Erwägungen sind tragfähig und nachvollziehbar. Zwingend brauchen sie nicht zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NStZ 2005, 701 Rn. 12).
15
Eine besondere Beweissituation, der durch die Anlegung eines strengeren Maßstabes an die Ablehnung des Beweisantrages Rechnung zu tragen gewesen wäre, lag nicht vor. Der den Angeklagten durch seine Angaben belastende Nebenkläger stand in der Hauptverhandlung für eine konfrontative Befragung (Art. 6 Abs. 3d MRK) zur Verfügung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 401/13, NStZ 2014, 51). Weder die verfahrensgegen- ständliche Tat noch die Beweisführung weisen einen die Verteidigung erschwerenden besonderen Auslandsbezug auf (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 3 StR 274/09, BGHSt 55, 11 Rn. 37). Schließlich ist auch nicht von einer typischen Aussage-gegen-Aussage-Konstellation auszugehen, bei der ein seine Schuld im Kern bestreitender Angeklagter allein durch die Aussage eines einzelnen Zeugen belastet wird und objektive Beweisumstände fehlen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. April 2003 – 3 StR 181/02, NStZ 2003, 498, 499; Beschluss vom 18. Juni 1997 – 2 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; Beschluss vom 22. April 1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1).
16
(3) Soweit das Landgericht in seinem Ablehnungsbeschluss berücksichtigt hat, dass der Beweisantrag zu einem späten Zeitpunkt („erst jetzt benannte Auslandszeugin“) gestellt worden ist, macht dies seine Entscheidung nicht rechtsfehlerhaft. Zwar hatte sich der Angeklagte – wie sich aus den auf die Sachrüge hin zu beachtenden Urteilsgründen ergibt – bis zur Antragstellung noch nicht zum Tatvorwurf geäußert, sodass aus dem Umstand, dass die dem Beweisbegehren zugrunde liegende Alibibehauptung nicht früher aufgestellt worden ist, keine Schlüsse zu seinem Nachteil gezogen werden durften (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2009 – 3 StR 80/09, NStZ 2009, 705; Beschluss vom 23. Oktober 2001 – 1 StR 415/01, NStZ 2002, 161, 162; Urteil vom 25. April 1989 – 1 StR 97/89, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 10; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 213; Rose, NStZ 2012, 18, 24), doch vermag der Senat auszuschließen, dass es sich bei dieser Erwägung um einen die Ablehnungsentscheidung tragenden Gedanken handelt.
17
(4) Da das Landgericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass eine Einvernahme der Zeugin für die Sachaufklärung nicht notwendig ist, war es – ent- gegen der Auffassung des Revisionsführers – nicht gehalten, eine Ladung der Zeugin zu versuchen oder Vernehmungsalternativen zu prüfen. Denn mit der Ablehnung nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO entfällt die Pflicht, sich um den Zeugen weiter zu bemühen. Der Tatrichter hat auch nicht mehr zu prüfen, ob eine Vernehmung im Wege der Rechtshilfe möglich ist. Es entfällt auch die Entscheidung , ob im Rahmen des erweiterten Erreichbarkeitsbegriffs (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 259 mwN) eine Vernehmung in der Hauptverhandlung durch eine Vernehmung im Ausland im Wege der Videokonferenz nach § 247a StPO ersetzt werden kann (BGH, Beschluss vom 5. September 2000 – 1 StR 325/00, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 9; Beschluss vom 21. August 2007 – 3 StR 238/07, NStZ 2009, 168, 169).
18
2. Soweit sich der Beschwerdeführer mit der ausgeführten Sachrüge gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet, vermag er keine Rechtsfehler aufzuzeigen.
19
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 33/12, Rn. 10, wistra 2013, 195, 196; Beschluss vom 23. August 2012 – 4 StR 305/12, NStZ-RR 2012, 383, 384; Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 mwN).
20
b) Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nichtzu beanstanden.
21
aa) Die Wertung, es spreche gegen eine Falschbelastungsabsicht auf Seiten des Nebenklägers, dass er dem Angeklagten keine eigene Beteiligung an den eigentlichen Verletzungshandlungen zugeschrieben habe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es entspricht gesichertem Erfahrungswissen, dass der Verzicht auf eine naheliegende Mehrbelastung ein Hinweis auf die Erlebnisbasis der Aussage sein kann (vgl. Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie , 2012, Rn. 725 mwN).
22
bb) Der von der Revision behauptete Zirkelschluss bei der Bewertung der Angaben des Nebenklägers zu dem von den Tätern benutzten Pkw liegt nicht vor. Das Landgericht hat der zutreffenden Beschreibung des Pkw des Angeklagten durch den Nebenkläger unmittelbar nach dem Vorfall eine besondere Bedeutung beigemessen, weil es sich dabei um eine „spontane Erstbekundung“ gehandelt habe und nicht zu erwarten sei, dass ein soeben überfallener und noch unter dem Eindruck der Ereignisse stehender Zeuge die Geistesgegenwart besitze, diese Gelegenheit dazu auszunutzen, einen langjährigen Widersacher seines Sohnes mit stimmigen Angaben zu Unrecht zu belasten. Das Landgericht hat damit nicht aus der Aussage selbst auf ihre Glaubhaftigkeit geschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2004 – 2 StR 441/04, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 32; Urteil vom 9. März 1993 – 1 StR 870/92 [insoweit in BGHSt 39, 159 nicht abgedruckt]), sondern die besonderen äußeren Umstände bei der Entstehung der Erstaussage als Anzeichen für deren Erlebnisbezug gewertet.
23
cc) Soweit die Revision die Erörterung von Widersprüchen vermisst, die sich aus den Angaben des Nebenklägers zur Fahrtrichtung in früheren Vernehmungen ergeben sollen und dazu auch auf eine Karte Bezug nimmt, ist ihr Vorbringen urteilsfremd und deshalb im Rahmen der Prüfung auf eine Sachrüge hin unbeachtlich. Im Übrigen erschöpfen sich die Einwände der Revision in dem unzulässigen Versuch, die Wertungen des Landgerichts durch eigene zu ersetzen.
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält; eine solche Anordnung ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Die Aussage wird zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen. Sie soll aufgezeichnet werden, wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. § 58a Abs. 2 findet entsprechende Anwendung.

(2) Das Gericht kann anordnen, dass die Vernehmung eines Sachverständigen in der Weise erfolgt, dass dieser sich an einem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Sachverständige aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Dies gilt nicht in den Fällen des § 246a. Die Entscheidung nach Satz 1 ist unanfechtbar.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

5 StR 461/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Januar
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
Amtsrätin
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23. Dezember 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, bleibt ohne Erfolg.
2
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben. Der näheren Erörterung bedarf nur die Verfahrensrüge, dass es an einer ordnungsgemäßen Feststellung des Abschlusses des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO fehle und die Protokolle von überwachten Telefongesprächen , auf die das Landgericht seine Überzeugung von Art und Umfang der Tatbeteiligung des Angeklagten stützt, sowie zwei Gutachten über Menge und Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel in den Fällen 3 und 7 der Urteilsgründe somit nicht wirksam in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien (§ 261 StPO).
3
1. Der Verfahrensrüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4
Im Hauptverhandlungstermin vom 9. November 2011 ordnete die Vorsitzende der Strafkammer hinsichtlich zweier Gutachten über Menge und Wirkstoffgehalt sichergestellter Betäubungsmittel sowie mehrerer weiterer Urkunden das Selbstleseverfahren an. Ferner ordnete die Vorsitzende im Termin vom 16. November 2011 bezüglich einer Vielzahl von Wortprotokollen überwachter Telefongespräche ebenfalls das Selbstleseverfahren an. Der Verteidiger des Beschwerdeführers erhob hiergegen Widerspruch und beantragte die Entscheidung des Gerichts. Nachdem die Vorsitzende die Selbstleseanordnung im Termin vom 22. November 2011 um ein weiteres Telefonprotokoll ergänzt hatte, begründete der Verteidiger seinen Widerspruch im Termin vom 28. November 2011. Am selben Hauptverhandlungstag wurden die Selbstleseanordnungen nebst Ergänzungen durch Gerichtsbeschluss bestätigt. Im Fortsetzungstermin vom 7. Dezember 2011 wurde Folgendes protokolliert: „Es wurde festgestellt, dass die Schöffen und die Berufsrichter Kenntnis genommen haben von den jeweiligen Selbstleseanordnungen und die Verteidiger, Angeklagten und Vertreterin der Staatsanwaltschaft Gele- genheit zur Kenntnisnahme hatten.“ Weitere Feststellungen zur Kenntnis- nahme der in den Anordnungen bezeichneten Urkunden erfolgten ebenso wenig wie eine Verlesung der Urkunden. Deren Inhalt wurde lediglich hinsichtlich einiger Telefonate durch Abspielen und Übersetzung durch den Sprachsachverständigen, im Übrigen aber nicht auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt.
5
2. Eine Verletzung des § 261 StPO i.V.m. § 249 Abs. 2 Satz 1 und 3 StPO liegt nicht vor. Durch die protokollierte Feststellung der Vorsitzenden sind die von den Selbstleseanordnungen umfassten Urkunden wirksam zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. September 2010 – 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20, und vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren

6).


6
Allerdings ist ausweislich des Wortlauts des Hauptverhandlungsprotokolls lediglich hinsichtlich der Selbstleseanordnungen, nicht aber des Wortlauts der von diesen betroffenen Urkunden die Kenntnisnahme der Richter und die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die übrigen Verfahrensbeteiligten festgestellt worden. Eine von der Staatsanwaltschaft beantragte Protokollberichtigung ist nicht zustande gekommen, weil die Protokollführerin sich nicht an die Vorgänge in der Hauptverhandlung erinnern konnte. Damit bleibt hinsichtlich des Wortlauts der Feststellung der Vorsitzenden der Protokollinhalt für die revisionsgerichtliche Prüfung maßgeblich. Neben der – hier gescheiterten – ordnungsgemäßen Protokollberichtigung kommt eine freibeweisliche – und damit an geringere Anforderungen als in dem die Verfahrenswahrheit sichernden Protokollberichtigungsverfahren geknüpfte – Aufklärung des tatgerichtlichen Verfahrensablaufs nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2010 – 5 StR 169/09, BGHSt 55, 31, vom 22. Dezember 2010 – 2 StR 386/10, StV 2011, 267 mwN, und vom 30. September 2009 – 2 StR 280/09, StV 2010, 225). Ein Fall krasser Widersprüchlichkeit oder offenkundiger Fehler- oder Lückenhaftigkeit des Protokolls, der insoweit unter Umständen eine Ausnahme zuließe (vgl. BGH aaO), liegt schon deshalb nicht vor, weil die inhaltliche Fehlerhaftigkeit der protokollierten Äußerung nicht nur auf einen Protokollierungsfehler, sondern ebenso auf ein Formulierungsversehen der Vorsitzenden zurückzuführen sein kann. Im letzteren Fall würde das Protokoll indes die Vorgänge in der Hauptverhandlung zutreffend wiedergeben. Ein freibeweislicher Rückgriff auf die der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft beigefügten dienstlichen Erklärungen der Vorsitzenden und der Berichterstatterin scheidet in diesem Zusammenhang aus den vorgenannten Gründen aus.
7
Wenngleich somit davon auszugehen ist, dass die gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in das Protokoll aufgenommene Feststellung der Vorsitzenden ihrem Wortlaut nach nicht die Einhaltung der in § 249 Abs. 2 StPO geregelten Verfahrensweise wiedergibt, liegt dennoch im Ergebnis ein ordnungsgemäßer Abschluss des Selbstleseverfahrens vor. Als gerichtliche Prozesserklärung ist die protokollierte Feststellung der Vorsitzenden nach allgemeinen Regeln der Auslegung zugänglich, bei der es nicht allein auf den Wortlaut, sondern vor allem auf den erkennbar gemeinten Sinn ankommt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 6, und vom 14. September 2010 – 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20; Urteil vom 11. Oktober 2012 – 1 StR 213/10 Rn. 23 ff.; Pfeiffer/Hannich in KK, StPO, 6. Aufl., Einleitung Rn. 125, 128; Roxin /Schünemann, Strafverfahrensrecht, 27. Aufl., § 22 B II 1; vgl. ferner zur Auslegung des Protokollinhalts: Jahn, ZWH 2012, 386).
8
Danach war aber für alle Verfahrensbeteiligten klar ersichtlich, dass die Vorsitzende durch ihre in das Protokoll aufgenommene Erklärung die Kenntnisnahme der Berufsrichter und der Schöffen von den in den Selbstleseanordnungen bezeichneten Urkunden und die entsprechende Gelegenheit zur Kenntnisnahme der übrigen Verfahrensbeteiligten feststellen wollte. Dies folgt zum einen aus der prozessualen Sinnlosigkeit der Protokollierung einer Kenntnisnahme von Selbstleseanordnungen, die an früheren Hauptverhandlungstagen erfolgt und ihrerseits in das Protokoll aufgenommen worden waren, womit den diesbezüglichen gesetzlichen Anforderungen des § 249 Abs. 2 StPO Genüge getan ist und woraus sich im Übrigen bereits die Kenntnisnahme der Verfahrensbeteiligten von diesen Anordnungen ergibt. Zum anderen lässt der bisherige Verfahrensablauf – die Anordnung des Selbstleseverfahrens bezüglich zahlreicher Urkunden am 9. und 16. November 2011 mit Ergänzung am 22. November 2011 sowie die zeitgleiche Verteilung der diese Urkunden enthaltenden Ordner – erkennen, dass die Vorsitzende im Termin vom 7. Dezember 2011 beabsichtigte, die von den Selbstleseanordnungen erfassten Urkunden durch die Feststellung der Kenntnisnahme der Richter von den einzuführenden Urkunden bzw. der Gelegenheit zur Kenntnisnahme der übrigen Verfahrensbeteiligten zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen und somit das Selbstleseverfahren abzuschließen. Zudem liegt angesichts des Wortlauts der protokollierten Äußerung „dass die Schöffen und die Berufsrichter Kenntnis genommen haben von den jeweiligen Selbstleseanordnungen und die Verteidiger, Angeklagten und Ver- treterin der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Kenntnisnahme hatten“ ein Formulierungsversehen in Form einer Auslassung auf der Hand. Gemeint waren – für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich erkennbar – nicht die Selbstleseanordnungen, sondern die in den Selbstleseanordnungen bezeichneten Urkunden. Im Ergebnis fehlt es somit trotz des Formulierungsoder Protokollierungsversehens nicht an einer ordnungsgemäßen Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO.
Basdorf Raum Schneider Dölp Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 76/10
vom
20. Juli 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Zum Umfang der Beweiskraft des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3
BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10 - LG Wuppertal
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 20. Juli 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 5. November 2009 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten M. K. wegen Betruges in drei Fällen unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen ; den Angeklagten J. K. hat es wegen Betruges in vier Fällen und wegen versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichteten Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
2
Näherer Erörterung bedarf nur die von beiden Angeklagten erhobene Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe dem Urteil unter Verstoß gegen § 261 StPO Feststellungen zugrunde gelegt, die wegen fehlerhafter Durchführung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO nicht Gegenstand der Hauptverhandlung geworden seien. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde :
3
Im Verlauf der Hauptverhandlung hat der Strafkammervorsitzende bezüglich mehrerer Urkunden das Selbstleseverfahren angeordnet. Betreffend ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat er am darauf folgenden Hauptverhandlungstermin zu Protokoll die Feststellung getroffen, dass das Selbstleseverfahren beendet ist, die Mitglieder der Kammer "von dem Urteil" Kenntnis genommen haben und die übrigen Prozessbeteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Betreffend eine Reihe von Urkunden zu Geldbewegungen sowie zu Haftabwesenheitszeiten des Angeklagten M. K. hat der Vorsitzende zu Protokoll festgestellt, dass die Kammer "von den Urkunden", für die in der letzten Hauptverhandlung das Selbstleseverfahren angeordnet worden ist, Kenntnis genommen hat und die übrigen Prozessbeteiligten Gelegenheit hierzu hatten. Hinsichtlich mehrerer amtsgerichtlicher Urteile hat er zu Protokoll festgestellt, dass das Selbstleseverfahren beendet ist und die Kammer "von den Urteilen" Kenntnis genommen hat und die übrigen Prozessbeteiligten Gelegenheit hatten , hiervon Kenntnis zu nehmen.
4
Die Revision beanstandet, es sei nicht festgestellt worden, dass die Richter und Schöffen "vom Wortlaut" der Urkunden Kenntnis genommen hätten. Kenntnis von einer Urkunde sei mit der Kenntnis von deren Wortlaut nicht gleichzusetzen. Das Protokoll beweise, dass der Wortlaut von den Richtern nicht zur Kenntnis genommen worden sei.
5
Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Wortlaut des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Selbstleseverfahrens ohne Belang. Im Einzelnen:
6
Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO darf von der Verlesung einer Urkunde oder eines anderen Schriftstücks - neben anderen Voraussetzungen - dann abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde oder des Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Die "Feststellungen über die Kenntnisnahme" sind nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Durch einen entsprechenden Protokollvermerk kann indes nicht bewiesen (§ 274 Abs. 1 Satz 1 StPO) werden, dass die Richter und Schöffen tatsächlich von Wortlaut Kenntnis genommen haben. Dies folgt schon daraus , dass in der Sitzungsniederschrift nur solche Vorgänge beweiskräftig beurkundet werden können, die sich während der laufenden Hauptverhandlung im Sitzungssaal (oder ggf. einem auswärtigen Verhandlungsort) zugetragen haben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 273 Rn. 19), denn nur diese können der Vorsitzende und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle durch ihre Unterschrift unter das Protokoll (§ 271 Abs. 1 Satz 1 StPO) aus eigener Wahrnehmung bestätigen.
7
Das Selbstleseverfahren hat den Kern des Urkundenbeweises - die Kenntnisnahme vom Urkundeninhalt durch die Richter und Schöffen - aber gerade aus der Hauptverhandlung herausverlagert. Damit ist es dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle von vornherein nicht möglich zu bestätigen, dass die Richter und Schöffen tatsächlich vom Wortlaut eines Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Nichts anderes gilt aber auch für den Vorsitzenden. So ist schon gesetzlich nicht bestimmt, dass er bei der Kenntnisnahme durch die beisitzenden Richter und die Schöffen präsent ist; aber selbst wenn er - ausnahmsweise - anwesend sein sollte, unterliegt es nicht seiner Wahrnehmung, ob diese den Wortlaut tatsächlich vollständig zur Kenntnis genommen und mit der Aufmerksamkeit studiert haben, die erforderlich ist, damit sie ihrer Aufgabe der Urteilsfindung verantwortungsvoll gerecht werden können. Der Vorsitzende muss sich daher letztlich auf die Zusicherung der beisitzenden Richter und der Schöffen verlassen, dass sie das Schriftstück vollständig gelesen haben, und kann Entsprechendes nur für seine eigene Person aus eigenem Wissen verbindlich bestätigen.
8
Durch die Einführung des Selbstleseverfahrens hat der Gesetzgeber diese potentiellen Einbußen der Qualität des Urkundenbeweises in Kauf genommen. Dies ist von den Gerichten und den Verfahrensbeteiligten zu akzeptieren. Im Übrigen besteht aber auch bei dem Urkundenbeweis nach § 249 Abs. 1 StPO keine Gewähr dafür, dass die zur Urteilsfindung berufenen Gerichtspersonen der Verlesung - insbesondere bei der aufeinander folgenden Verlesung einer Vielzahl von Schriftstücken - immer mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgen.
9
Hieraus ergibt sich, dass durch den Protokollvermerk nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die tatsächliche Kenntnisnahme vom Wortlaut eines Schriftstücks durch die Richter und Schöffen im Wege des Selbstleseverfahrens nicht nachgewiesen werden kann. Er beweist daher nicht die ordnungsgemäße Durchführung dieses Verfahrens, sondern allein die Tatsache, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine entsprechende Feststellung getroffen hat (KKDiemer , 6. Aufl., § 249 Rn. 39). Aus seiner Formulierung kann daher kein - im Sinne des § 274 Abs. 1 Satz 1 StPO beweiskräftig belegter - Schluss auf die (nicht) ordnungsgemäße Durchführung des Selbstleseverfahrens gezogen werden.
10
Nach Auffassung des Senats kommt der Protokollierung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO vielmehr eine andere Funktion zu. Da der Urkundsbeweis beim Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wird, be- darf es der Kenntlichmachung und des Hinweises an die Verfahrensbeteiligten, dass der in dieser Sonderform gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann. Dies wird durch die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO beweiskräftig vollzogen. Fehlt der entsprechende Vermerk, so ist danach die Inbegriffsrüge nach § 261 StPO eröffnet. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Verwertung offenkundiger, insbes. gerichtskundiger , außerhalb der Hauptverhandlung gewonnener Tatsachen, die Inbegriff der Hauptverhandlung grundsätzlich nur werden, wenn sie durch entsprechenden Hinweis in diese eingeführt worden sind (Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 3 mwN; zur strittigen Frage der diesbezüglichen Protokollierungspflicht vgl. Meyer -Goßner, aaO, § 273 Rn. 7 mwN).
11
Durch die hier vom Vorsitzenden zu Protokoll erklärten Feststellungen, die im Übrigen ohnehin als Feststellung der Kenntnisnahme vom Wortlaut der Schriftstücke durch Richter und Schöffen auszulegen sein dürften (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03, bei Becker, NStZ-RR 2004, 225, 227 Nr. 9; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 5 StR 169/09, StV 2010, 226), sind die Schriftstücke in hinreichender Form zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht worden und damit verwertbar.
12
Keiner Entscheidung bedarf, wie wegen der fehlenden Beweiskraft des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO für seine inhaltliche Richtigkeit eine Rüge zu behandeln wäre, entgegen der protokollierten Feststellung hätten die Richter oder Schöffen tatsächlich gar nicht vom Wortlaut der fraglichen Schriftstücke Kenntnis genommen; denn eine solche Rüge ist hier nicht erhoben.
VRiBGH Becker ist wegen Urlaubs Pfister RiBGH von Lienen ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. an der Unterschriftsleistung gehindert. Pfister Pfister Hubert Schäfer

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 213/10
vom
11. Oktober 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
AEUV Art. 34, 36
1. Bei einem grenzüberschreitenden Verkauf liegt ein Verbreiten in Deutschland gemäß
§ 17 UrhG schon dann vor, wenn ein Händler, der seine Werbung auf in
Deutschland ansässige Kunden ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem
und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft, für sie zur Verfügung stellt oder dies
einem Dritten erlaubt und diese Kunden so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen
von Werken liefern zu lassen, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt
sind.
2. Der auf einer Auslegung der §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB im aufgezeigten Sinn
gestützten Strafbarkeit steht nicht die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit
entgegen.
3. Zum Verbotsirrtum.
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 1 StR 213/10 - LG München II
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich
geschützter Werke
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. Oktober 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin ,
Rechtsanwalt sowie
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 12. Oktober 2009 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in 485 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Es hat festgestellt, dass in Höhe von 59.363,16 € nicht auf Verfall erkannt werde, weil Ansprüche von Verletzten ent- gegenstehen.
2
Die Revision des Angeklagten, mit der er eine Verfahrensrüge erhebt und die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat keinen Erfolg.

A.

3
Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Angeklagte in Italien verkaufte Vervielfältigungsstücke von in Deutschland urheberrechtlich geschützten Einrichtungsgegenständen an deutsche Kunden mittels seiner Spedition ausgeliefert hat.

I.

4
1. Dazu hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
5
Die Firma D. mit Sitz in Bologna (nachfolgend D. ) bot in Deutschland ansässigen Kunden durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben und per deutschsprachiger Internet-Website Nachbauten von Einrichtungsgegenständen im sogenannten „Bauhausstil“ zum Kauf an, ohne über Lizenzen für deren Vertrieb in Deutsch- land zu verfügen. Es handelte sich - soweit verfahrensgegenständlich - um Nachbauten von: - Stühlen der Aluminium-Group, entworfen von Charles und Ray Eames, Lizenzinhaber Firma Vitra Collections AG, - der Wagenfeldleuchte, entworfen von Wilhelm Wagenfeld, Lizenzinhaber Firma Tecnolumen GmbH & Co. KG, - Sitzmöbeln, entworfen von Le Corbusier, Lizenzinhaber Firma Cassina SpA, - dem Beistelltisch "Adjustable Table" und der Leuchte "Tubelight", entworfen von Eileen Gray, Lizenzinhaber Firma Classicon GmbH, - Stahlrohr-Freischwingern (Stühle), entworfen von Mart Stam, Lizenzinhaber Firma Thonet GmbH.
6
Für diese Gegenstände bestand im relevanten Tatzeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 15. Januar 2008 in Italien jedenfalls kein durchsetzbarer urheberrechtlicher Schutz. In Deutschland waren sie hingegen als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt.
7
Der Angeklagte, ein deutscher Staatsangehöriger, war Geschäftsführer und Gesellschafter zu 90 % der Firma I. (nachfolgend I. genannt ), einer Spedition, die ebenfalls ihren Sitz in Bologna hatte. Er betrieb seine Geschäfte jedoch im Wesentlichen von seinem Wohnsitz in Deutschland aus.
8
Die Firma I. war seit mindestens April 1999 mit der Auslieferung der vorbenannten Nachbauten befasst. Der Vertrieb war zunächst in der Weise organisiert worden, dass die Möbel - ohne einzelnen Endabnehmern zugeordnet zu sein - in ein vom Angeklagten unterhaltenes Lager in Deutschland verbracht und sodann an die Kunden geliefert wurden. Das wegen dieses Sachverhalts vor dem Amtsgericht München geführte Strafverfahren gegen den Angeklagten wurde gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von insgesamt 120.000 € im Dezember 2006 endgültig eingestellt. Spätestens durch dieses Strafverfahren wussten sowohl der Angeklagte als auch der Geschäftsführer der Firma D. um den urheberrechtlichen Schutz der Vervielfältigungsstücke in Deutschland.
9
Der Verteidiger des Angeklagten in diesem Strafverfahren, Rechtsanwalt Sk. , teilte dem Angeklagten mit, dass nach seiner Auffassung die Einfuhr „EU-rechtlich auch möglich sein“ müsse. Hierzu müssten das Lager in Deutsch- land und die Kunden in der Auswahl der Spedition frei sein. Nachfragen des Angeklagten hierzu erfolgten nicht. Der Angeklagte wurde zudem von dem Geschäftsführer der Firma D. , La. und dem italienischen Rechtsanwalt dieser Firma dahingehend informiert, dass die Gefahr einer Strafverfolgung nicht mehr bestehe, wenn das Auslieferungslager nach Italien verlegt werde. La. berief sich dabei auch auf eine ihm erteilte Auskunft eines Frankfurter Rechtsanwalts. Des Weiteren trat der Angeklagte einmal in Kontakt mit Rechtsanwalt U. aus Frankfurt. Dieser teilte ihm mit, er sehe grundsätzlich kein Problem, müsse die Frage aber abklären. Ein weiterer Kontakt erfolgte nicht.
10
Während des Laufs des Strafverfahrens wurde die Durchführung der Auslieferung geändert und nunmehr für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum wie folgt durchgeführt: Die Firma D. unterhielt für ihr Warenangebot ein Auslieferungslager im italienischen Sterzing. Nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen waren die Kunden verpflichtet, die bestellte Ware selbst in Italien abzuholen oder abholen zu lassen. Die Bestellung der deutschen Kunden erfolgte per Fax, per E-Mail, über ein auf der Website abrufbares Bestellformular oder telefonisch bei einer deutschsprachigen Mitarbeiterin. In den verfahrensgegenständlichen Fällen wollten die Kunden die Ware weder selbst abholen noch eine Spedition benennen. Die Firma D. empfahl die Beauftragung der Firma I. und sandte dem Kunden ein Werbeschreiben der Firma I. zu, in dem diese den Transport von Italien nach Deutschland anbot. Die Kunden beauftragten die Firma I. mit dem Transport der von ihnen gekauften Ware. In Werbematerial der Firma D. war ausgeführt , der Kunde erwerbe die Möbel in Italien, zahle aber erst bei Übernahme der Ware. Die Rechnungen schickte die Firma D. direkt an die Kunden.
11
Im Auslieferungslager in Sterzing wurden die aus Deutschland bestellten Einrichtungsgegenstände in verpacktem Zustand bereitgehalten. Auf der Verpackung waren Name und Adresse des Bestellers oder zumindest die Auftragsnummer angegeben. Die Fahrer der Firma I. holten die den Kunden konkret zugeordneten Gegenstände in Sterzing ab, bezahlten den jeweiligen Kaufpreis an die Firma D. und zogen bei Ablieferung an den Besteller in Deutschland Kaufpreis und Frachtlohn vom Kunden ein. Wenn ein Kunde bei der Auslieferung der Einrichtungsgegenstände diese nicht bezahlte, wurde die Ware nicht herausgegeben, sondern mit einem entsprechenden Kommentar an die Firma D. zurückgesandt. Diese erstattete der Firma I. den zuvor entrichteten Kaufpreis im Wege der Verrechnung und bezahlte die Frachtkosten. Von den 2.399 Lieferungen im Tatzeitraum erfolgten 484 Lieferungen durch den Angeklagten selbst, die übrigen durch angestellte Fahrer. Für die Lieferungen ab dem 1. Januar 2007 erhielt die Firma I. Frachtlöhne in Höhe von mindestens 59.363,16 €.
12
2. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten auf §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB gestützt.
13
Die Firma D. , vertreten durch den Geschäftsführer La. , habe Vervielfältigungsstücke der Werke in Deutschland durch Inverkehrbringen verbreitet. Zum Verbreiten sei neben der bereits am Lager in Sterzing erfolgten Eigentumsübertragung ein Wechsel der Verfügungsgewalt vom Verkäufer auf den Käufer erforderlich. Die Firma D. habe - entgegen einem beabsichtigten Anschein - ihre Verfügungsgewalt bis zur Ablieferung an den Käufer gegen Kaufpreiszahlung trotz erfolgter Übereignung nicht aus der Hand gegeben. Sie sei daher erst in Deutschland mit Hilfe des Angeklagten auf den Kunden übergegangen. Der Angeklagte sei zwar davon ausgegangen, dass eine Strafverfolgung in Deutschland unter den praktizierten Lieferbedingungen entfalle. Dieser Verbotsirrtum sei jedoch vermeidbar gewesen, da er zu dem Geschäftsmodell keinen ausreichenden Rechtsrat eingeholt habe.
14
Der Strafbarkeit des Angeklagten stehe auch die Warenverkehrsfreiheit nicht entgegen, da die sich aus den nationalen Regelungen zum Urheberrecht ergebende Beschränkung derselben zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sei.

II.

15
Der Senat hat aufgrund Beschlusses vom 8. Dezember 2010 dem Gerichtshof der Europäischen Union (im folgenden EuGH) gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
16
Sind die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Strafvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten urheberrechtlich geschützter Werke entgegenstehen, wenn bei einem grenzüberschreitenden Verkauf eines in Deutschland urheberrechtlich geschützten Werkes kumulativ
17
- dieses Werk aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland verbracht und die tatsächliche Verfügungsgewalt an ihm in Deutschland übertragen wird,
18
- der Eigentumsübergang aber in dem anderen Mitgliedstaat erfolgt ist, in dem urheberrechtlicher Schutz des Werkes nicht bestand oder nicht durchsetzbar war?
19
Daraufhin hat der EuGH in seinem Urteil vom 21. Juni 2012 (Rechtssache C 5/11, EuZW 2012, 663) entschieden:
20
1. Ein Händler, der seine Werbung auf in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Mitglieder der Öffentlichkeit ausrichtet und ein spezifisches Lie- ferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Mitglieder der Öffentlichkeit so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützt sind, nimmt in dem Mitgliedstaat, in dem die Lieferung erfolgt, eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 derRichtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor.
21
2. Die Art. 34 AEUV und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verbieten, die Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke in Anwendung seiner nationalen Strafvorschriften strafrechtlich zu verfolgen, wenn Vervielfältigungsstücke solcher Werke in dem betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts an die Öffentlichkeit verbreitet werden, das speziell auf die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat ausgerichtet ist und von einem anderen Mitgliedstaat aus abgeschlossen wird, in dem ein urheberrechtlicher Schutz der Werke nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist.

B.

22
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

I.

23
Die Verfahrensrüge, § 261 StPO sei verletzt, weil das Landgericht den Inhalt der im Urteil als „verlesen“ wiedergegebenen Lieferlisten und-scheine (UA S. 11 bis 108) nicht in zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt habe, dringt - ungeachtet der Frage ihrer Zulässigkeit - in der Sache nicht durch.
24
1. Die Revision trägt vor, aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergebe sich, dass die besagten Lieferlisten und -scheine nicht im Wege eines ordnungsgemäß angeordneten Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden seien. Sie seien auch sonst nicht eingeführt worden.
25
2. Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 3. August 2009 enthält folgende Eintragung:
26
"Es wurde sodann in die Beweisaufnahme eingetreten. Die Verfahrensbeteiligten erhielten eine Liste mit aufgeführten Urkunden ausgehändigt, welche die Kammer gemäß § 249 II StPO in die Verhandlung einführen will. - Anlage II zum Protokoll - Der Verteidiger des Angeklagten Do. … widersprach, soweit die in seinem Antrag aufgeführten Unterlagen betreffe.“
27
In Anlage II zum Protokoll vom 3. August 2009 befindet sich ein Abdruck der "Urkundenliste gem. § 249 Abs. 2 StPO", die u.a. einen Beweismittelordner umfasst, der die Lieferlisten und -scheine beinhaltet, die laut Urteil in den Tabellen UA S. 11 bis 108 wiedergegeben sind.
28
Im Protokoll vom 22. September 2009 Seite 4 oben ist sodann ausgeführt : „Es wurde festgestellt, dass das Gericht einschließlich der Schöffen von dem Wortlaut der Urkunden gemäß übergebenen Listen Kenntnis genommen hat und die übrigen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit hatten hiervon Kenntnis zu nehmen."
29
3. Der Senat folgt schon nicht der Auffassung der Revision, das Selbstleseverfahren sei lediglich angekündigt, nicht aber angeordnet worden. Vielmehr ergibt die Beweiskraft des Protokolls, dass der Inhalt der Lieferlisten im Wege des Selbstleseverfahrens in zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.
30
Hier ist bei der - durch § 274 StPO nicht ausgeschlossenen, vielmehr bei zweifelhaftem Sinn des Protokolls gebotenen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 274 Rn. 5 mwN) - Auslegung maßgeblich auch das tatsächliche Vorgehen der Strafkammer zu berücksichtigen. Den Verfahrensbeteiligten wurde nämlich nicht nur mitgeteilt, die Strafkammer wolle Urkunden im Selbstleseverfahren einführen, sondern diese Urkunden wurden durch die aufgenommene „Urkun- denliste gem. § 249 Abs. 2 StPO" im Protokoll im Einzelnen bezeichnet. Zudem erhielten die Verfahrensbeteiligen zugleich einen Abdruck dieser Liste ausgehändigt. Danach kann in der protokollierten Mitteilung nicht mehr eine bloße Absichtserklärung gesehen werden; sie ist vielmehr als Anordnung des Selbstleseverfahrens durch das Gericht auszulegen, auch wenn das Wort Anordnung darin nicht vorkommt. Das Wort "will" deutet lediglich auf die übrigen zur Umsetzung erforderlichen Handlungsakte - wie Kenntnisnahme bzw. Gelegenheit zur Kenntnisnahme - hin. Dass die Verfahrensbeteiligten hierin auch eine eindeutige Anordnung gesehen haben, wird belegt durch den vom Instanzverteidiger daraufhin - neben einem bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhobenen Verwertungswiderspruch - eingelegten Widerspruch gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO. Tragfähige Anhaltspunkte, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Revision weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass der Widerruf des Verteidigers nicht beschieden worden ist. Daraus schließt der Senat jedoch nicht, dass die Strafkammer davon überzeugt gewesen wäre, dass die Voraussetzungen für ein Selbstleseverfahren nicht vorgelegen haben und auf der Grundlage dieser Überzeugung dann dennoch ein solches durchgeführt hat. Freilich ist die Bescheidung des Widerspruchs rechtsfehlerhaft unterbleiben. Die allein erhobene Rüge, ein Selbstleseverfahren sei durchgeführt worden, ohne dass es zuvor angeordnet worden sei, kann jedoch nicht in die wesensverschiedene Rüge umgedeutet werden, der gegen die Anordnung eines Selbstleseverfahrens vorgebrachte Widerspruch sei nicht verbeschieden worden (vgl. zur Bedeutung der Angriffsrichtung einer Verfahrensrüge BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161, 162; BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 573/09, NJW 2011, 1523, 1525).
31
Folgerichtig hat der Vorsitzende hinsichtlich der bezeichneten Urkundenliste die Feststellung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO getroffen. Hierdurch wird beweiskräftig der Hinweis an die Verfahrensbeteiligten belegt, dass insoweit der Urkundsbeweis im Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wurde und als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10, NJW 2010, 3382, 3383; BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20).
32
4. Im Übrigen wurden die für die Urteilsfindung relevanten Informationen aus den Lieferlisten und -scheinen auch auf andere Weise Gegenstand der Hauptverhandlung.
33
a) Denn der Angeklagte hat - was die Revision nicht mitteilt - ausweislich der Urteilsfeststellungen die Durchführung der Lieferungen entsprechend geschildert (UA S. 110, 126, 127). Zwar sind der Einführung von in Urkunden enthaltenen umfangreichen und detaillierten Informationen über eine Auskunftsperson Grenzen gesetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733; BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98, NJW 2006, 1529, 1531; BGH, Beschluss vom 5. April 2000 - 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427; BGH, Beschluss vom 13. April 1999 - 1 StR 107/99, NStZ 1999, 424). Angesichts von Besonderheiten der Fallgestaltung steht dies hier der Einführung der für die Urteilsfindung bedeutsamen Umstände der Lieferungen über die Einlassung des Angeklagten nicht entgegen. Hierfür war zum einen von Bedeutung, dass es sich um aus den Geschäftsunterlagen des Angeklagten ergebende Informationen handelte, die zudem schon Gegenstand der Anklageschrift waren. Deren Richtigkeit konnte der Angeklagte also bereits zuvor im Hinblick auf das Strafverfahren prüfen. Zum anderen waren unter Berücksichtigung dieser vorherigen Prüfungsmöglichkeit die für die Urteilsfindung belangvollen Informationen - vor allem Anzahl und Zeitraum der Transportfahrten sowie hierfür erhaltener Frachtlohn - sehr wohl einer zusammenfassenden Schilderung zugänglich.
34
Dies gilt entsprechend für die Einführung der relevanten Informationen durch die Angaben der Zeuginnen Sc. und H. , beide gemäß den Urteilsgründen Sachbearbeiterinnen des Zolls, die die Listen und -scheine vorab gesichtet und ausgewertet haben. So stellt die Strafkammer ausdrücklich fest, dass die Angaben zur Höhe des Frachtlohns auf den Angaben der Zeugin Sc. beruhen. Dass diese Informationen zu komplex sein sollten, um auch in einer nur 23 Minuten währenden Zeugeneinvernahme geklärt werden zu können, erschließt sich dem Senat nicht.
35
b) Soweit die Urteilsgründe daneben unter Verweis auf die Verlesung der Lieferlisten und -scheine eine Vielzahl der sich daraus ergebenden Details, wie z.B. die Namen der belieferten Kunden und der im Einzelnen gelieferten Einrichtungsgegenstände , enthalten, war dies für die Urteilsfindung ohne Belang und ersichtlich nur der Vollständigkeit und Genauigkeit wegen bei unstreitigem und unzweifelhaftem Sachverhalt aufgenommen worden. Insoweit wäre jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verstoß auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - 1 StR 342/08, wistra 2009, 359; BGH, Beschluss vom 22. September 2006 - 1 StR 298/06, NStZ 2007, 235, 236; vgl. schon zum Ausschluss eines Verfahrensverstoßes BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98, NJW 2006, 1529).

II.

36
Auch die sachlich-rechtliche Prüfung zum Schuld- und Strafausspruch hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
37
Zutreffend hat das Landgericht auf der Grundlage der ohne den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler getroffenen Feststellungen strafbare Taten nach § 106 Abs. 1, § 108a Abs. 1 UrhG bejaht, zu denen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat (nachfolgend 1.). Die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV stehen einer Strafbarkeit nicht entgegen (nachfolgend 2.). Der Angeklagte handelte auch schuldhaft. Denn jedenfalls ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Vermeidbarkeit eines - allerdings eher fernliegenden - Verbotsirrtums ausgegangen (nachfolgend 3.).
38
1. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte dabei geholfen, in Deutschland geschützte Werke der angewandten Kunst gewerbsmäßig im Schutzland zu verbreiten (zum Territorialitätsprinzip vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93 mwN; BGH, Urteil vom 16. Juni 1994 - I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 Rn. 17ff.; Dreier in Dreier/Schulze,UrhG, 3. Aufl. vor §§ 120 ff. Rn. 32).
39
a) Die genannten Einrichtungsgegenstände genießen in Deutschland als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlichen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 1961 - I ZR 127/59, GRUR 1961, 635 - Stahlrohrstuhl I; BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - I ZR 102/79, GRUR 1981, 820 - Stahlrohrstuhl II; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - I ZR 15/85, GRUR 1987, 903 - Le-Corbusier-Möbel; OLG Düsseldorf GRUR 1993, 903 - Bauhausleuchte). Bestand, Inhalt, Umfang und Inhaberschaft eines Schutzrechts richten sich nach dem Recht desjenigen Staates, für dessen Territorium es Wirkung entfalten soll, also nach dem Recht des Schutzlands (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93 mwN; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. vor §§ 120 ff. Rn. 28, 30 mwN; Katzenberger in Schricker/Loewenheim, UrhG, 4. Aufl., Vor §§ 120 ff. Rn. 129 ff.).
40
b) Die Vervielfältigungsstücke der geschützten Werke wurden ohne Einwilligung der Berechtigten von dem Verantwortlichen der Firma D. gemäß § 106 Abs. 1, § 108a Abs. 1 UrhG in Deutschland verbreitet.
41
aa) Zu Recht hat das Landgericht wegen der Urheberrechtsakzessorietät dieser Strafvorschriften den Verbreitungsbegriff des § 17 UrhG zugrunde gelegt (BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93; Hildebrandt in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. § 106 Rn. 17).
42
bb) § 17 Abs. 1 UrhG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (im Folgenden RL 2001/29/EG). Es besteht deshalb die Notwendigkeit der richtlinienkonformen Auslegung dieser Norm nationalen Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2009 - I ZR 247/03, NJW 2009, 2960; BGH, Urteil vom 15. Februar 2007 - I ZR 114/04, BGHZ 171, 151 Rn. 32 f. Wagenfeld-Leuchte; Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl., 3. Teil Rn. 99).
43
cc) Für die Auslegung des Verbreitungsbegriffs gemäß Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG wiederum - und nicht etwa zur Anwendung des Unionsrechts auf den konkreten Fall, was allein den nationalen Gerichten obliegt (vgl. dd) - war die Vorabentscheidung durch den EuGH bestimmend (zur Urteilswirkung Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, AEUV EUV, 5. Aufl., § 267 Rn. 37).
44
Der EuGH hat zur Begründung der oben unter A.II. wiedergegebenen Beantwortung der Vorlagefrage zu 1. ausgeführt, dass die RL 2001/29/EG dazu diene, den Verpflichtungen nachzukommen, die der Union nach dem WIPOUrheberrechtsvertrag (WCT; UNTS Bd. 2186, S. 121; ABl Nr. L 89 [2000], S. 6; BGBl 2003 II S. 754; vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2011 - 1 BvR 1916/09) obliegen und Bestimmungen des Unionsrechts nach Möglichkeit im Lichte des Völkerrechts auszulegen seien. Deswegen sei „Verbreitung durch Verkauf“ in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG im Einklang mit Art.6 Abs. 1 WCT auszulegen und gleichbedeutend mit der dort verwandten Formulierung „durch Verkauf … der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ (EuGH aaO Rn. 23 f. mwN).
45
Um einen wirksamen Schutz des Urheberrechts entsprechend der Intention der RL 2001/29/EG zu sichern, so der EuGH, müsse der darin verwandte Begriff der Verbreitung eine autonome Auslegung im Unionsrecht erfahren, die nicht von dem Recht abhängen könne, das auf die Geschäfte anwendbar sei, in deren Rahmen eine Verbreitung erfolge und über das die Parteien verfügen könnten (EuGH aaO Rn. 25). Zur weiteren Begründung insoweit verweist er auf die Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Sache, der weitergehend ausführt , dass es dem Urheber möglich sein müsse, die kommerzielle Nutzung seiner Werke von der Vervielfältigung über die Vertriebswege tatsächlich und wirksam zu kontrollieren (Nrn. 50 bis 53 der Schlussanträge, zur Vereinbarkeit mit Art. 8 Abs. 3 der Rom-II-Verordnung vgl. dort Nr. 51).
46
Dementsprechend hat der EuGH weiter ausgeführt, dass sich die Verbreitung an die Öffentlichkeit durch eine Reihe von Handlungen auszeichne, die zumindest vom Abschluss eines Kaufvertrags bis zu dessen Erfüllung durch die Lieferung an ein Mitglied der Öffentlichkeit reichten. Bei einem grenzüberschrei- tenden Verkauf könnten Handlungen, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ i.S.v. Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG führten, in mehreren Mitgliedstaaten stattfinden. Ein Händler sei daher für jede von ihm selbst oder für seine Rech- nung vorgenommene Handlung verantwortlich, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ in einem Mitgliedstaat führe, in demdie in Verkehr gebrachten Waren urheberrechtlich geschützt seien. Ihm könne ebenfalls jede derartige von einem Dritten vorgenommene Handlung zugerechnet werden, wenn der betreffende Händler speziell die Öffentlichkeit des Bestimmungsstaats ansprechen wollte und ihm das Verhalten dieses Dritten nicht unbekannt sein konnte (EuGH, aaO Rn. 26 f.).
47
dd) Entsprechend diesem Schutzniveau des Gemeinschaftsrechts legt der Senat den Begriff des Verbreitens gemäß § 17 UrhG so aus, dass bei ei- nem grenzüberschreitenden Verkauf ein Verbreiten in Deutschland gemäß § 17 UrhG schon dann vorliegt, wenn ein Händler, der seine Werbung auf in Deutschland ansässige Kunden ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft, für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Kunden so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt sind.
48
Danach ist weder ein Eigentumsübergang noch ein Wechsel der Verfügungsgewalt in Deutschland zwingend erforderlich. Bei Nutzung eines gezielten und eingespielten Vertriebsweges hierher ist beim grenzüberschreitenden Verkauf hinreichend, dass eine dem Händler zuzurechnende Vertriebshandlung in Deutschland stattfindet, um das Tatbestandsmerkmal des § 106 Abs. 1 UrhG zu erfüllen.
49
ee) In diesem Sinne sind die Einrichtungsgegenstände von der Firma D. , also dem Verantwortlichen La. in Deutschland verbreitet worden. Zwar war die Firma D. unmittelbar nur in Italien, mithin nicht im Schutzland tätig. Jedoch sind dieser Firma die in Deutschland erfolgten Lieferungen durch die Firma I. als ihre Vertriebshandlung zuzurechnen. Denn die Urteilsfeststellungen belegen eine gezielte Ausrichtung der Vertriebstätigkeit der Firma D. auf in Deutschland ansässige Kunden und spezifisch für diese geschaffene Liefer- und Zahlungsmodalitäten.
50
So wurden die von der Firma D. ohne Lizenz vertriebenen Vervielfältigungsstücke in Deutschland durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben, durch zu Werbezwecken versandte, deutschsprachige Kataloge sowie mittels einer auch deutschsprachigen Internetseite beworben und zum Kauf angeboten. Für die Abwicklung stand deutschsprachi- ges Personal zur Verfügung. Dies lässt den Schluss zu, dass die FirmaD. gezielt in Deutschland ansässige Kunden ansprechen und unter ihnen die Einrichtungsgegenstände verbreiten wollte. Zum anderen schuf sich die Firma D. für den Transport zu deutschen Kunden durch die seit Jahren bestehende , enge Zusammenarbeit mit der Spedition des Angeklagten einen eingespielten Vertriebsweg von Italien nach Deutschland.
51
Darüber hinaus hat das Landgericht zu Recht auf die spezifischen Zahlungsmodalitäten abgestellt, wie die Herausgabeverweigerung bei Nichtzahlung des Kunden, die Rücksendung der Ware an D. und die Erstattung von Kaufpreis und Frachtlohn an I. durch D. . Daraus durfte es folgern , die Firma D. mache im Zusammenwirken mit der Firma I. trotz der bereits erfolgten Übereignung die Übergabe der Ware von der Bezahlung des Kaufpreises durch den Kunden abhängig. Dass das Landgericht diese Feststellung zur Grundlage genommen hat, um zu belegen, dass die Ware die betriebliche Sphäre des Verkäufers erst mit Auslieferung an die in Deutschland ansässigen Kunden verließ, also erst dort der Kunde die Verfügungsgewalt erlangte , beruht auf der Anwendung eines seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegten engeren Verbreitungsbegriffs. Die Annahme dieser engeren Voraussetzungen durch das Landgericht - Zurechnung der Handlungen des Angeklagten zur betrieblichen Sphäre der Firma D. - belegt zwanglos auch die nach der Entscheidung des EuGH nur mehr erforderliche Verantwortlichkeit des Händlers für die ihm aufgrund eingespielter Vertriebswege bekannte Mitwirkung Dritter an deren Umsetzung.
52
c) Die Annahme, der Angeklagte, dem die gezielte Tätigkeit der Firma I. zur Verbreitung urheberrechtlich geschützter Waren in Deutschland ebenso bekannt war, wie seine bei der Verbreitung nicht nur untergeordnete Rolle, sei lediglich Teilnehmer und nicht sogar Mittäter, beschwert den Angeklagten nicht.
53
d) Auch die Annahme gewerbsmäßigen Handelns im Sinne des § 108a UrhG begegnet keinen Bedenken.
54
2. Der auf einer Auslegung der §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB im aufgezeigten Sinn gestützten Strafbarkeit steht nicht die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit entgegen.
55
Zwar kann jede Regelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, eine „Maßnahme gleicher Wirkung“ i.S.v. Art.34 AEUV darstellen und daher unzulässig sein (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - C 322/01, Deutscher Apothekerverband/DocMorris, GRUR 2004, 174 Rn. 66; EuGH, Urteil vom 11. Juli 1974 - C 8/74, Dassonville, NJW 1975, 515 Rn. 5). Solche Maßnahmen können indes aus Gründen des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, wozu im Kernbereich auch das Urheberrecht zählt (EuGH, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 12; EuGH, Urteil vom 22. Januar 1981 - Rs 55/80, MusikVertrieb Membran/GEMA, EuGHE 1981, 147, 162; Ulrich/Konrad in Dauses , Hdb. EU-WirtschaftsR C.III Rn. 8 mwN), gerechtfertigt sein, wenn sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen (Art. 36 AEUV ab 1. Dezember 2009, vormals Art. 30 EGV).
56
Beschränkungen, die auf dem Unterschied in den nationalen Regelungen über die Schutzfristen beruhen, sind gerechtfertigt, wenn diese untrennbar mit dem Bestehen der ausschließlichen Rechte verknüpft sind (vgl. etwa EuGH aaO, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 12). Das muss dann erst recht gelten, wenn an sich bestehende Schutzrechte nur unterschiedlich durchsetzbar sind, denn die Beschränkung, die für einen Händler aufgrund des strafrechtlich sanktionierten Verbreitungsverbots besteht, beruht in derartigen Fällen ebenfalls nicht auf einer Handlung oder auf der Zustimmung des Rechtsinhabers, sondern darauf , dass die Bedingungen des Schutzes der betreffenden Urheberrechte von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind, wie der EuGH in der Vorabentscheidung in dieser Sache klargestellt hat (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012, Rechtssache C 5/11, Rn. 34, EuZW 2012, 663).
57
Dies muss auch nicht zu einer unzulässigen, weil unverhältnismäßigen und künstlichen Abschottung der Märkte führen (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 7 f.). Denn von den Mitgliedstaaten kann zum Schutz des Urheberrechts auch eine Strafbarkeit als erforderlich angesehen werden; die sich daraus ergebende Beschränkung des freien Warenverkehrs ist gerechtfertigt und verfolgt einen legitimen Zweck, wenn sich der Beschuldigte absichtlich oder zumindest wissentlich an Handlungen beteiligt hat, die zur Verbreitung geschützter Werke an die Öffentlichkeit in einem Mitgliedstaat führen, in dem das Urheberrecht in vollem Umfang geschützt ist, und so das ausschließliche Recht des Inhabers dieses Rechts beeinträchtigen (EuGH aaO Rn. 36).
58
So verhält es sich im vorliegenden Fall. Das dem Urheberrechtsinhaber nach § 17 UrhG zustehende ausschließliche Verbreitungsrecht gilt unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse. Für die geschützten Werke bestand in Italien im Tatzeitraum entweder nur eine verkürzte Schutzfrist oder der an sich bestehende urheberrechtliche Schutz war nicht durchsetzbar. Zudem wurden die Vervielfältigungsstücke der geschützten Werke unter Beteiligung des Angeklagten im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts in Deutschland verbreitet, welches speziell auf Kunden in Deutschland ausgerichtet war (II. 1.) und von Italien aus abgeschlossen wurde. Die Beschränkung des italienischen Anbieters durch ein sanktioniertes Verbreitungsverbot in Deutschland beruht somit ausschließlich auf den unterschiedlichen Schutzvoraussetzungen des deutschen und des italienischen Urheberrechts und ist mithin gerechtfertigt.
59
3. Der Angeklagte handelte auch schuldhaft.
60
Das Landgericht hat sich von einem schuldhaften Handeln des Angeklagten überzeugt. Entgegen der fehlerhaften, den sich eindeutig ergebenden Sinn indes nicht in Frage stellenden Formulierung im Urteil handelte der Ange- klagte nicht „ohne Schuld“. Denn der angenommene Verbotsirrtum ist - wie das Landgericht insoweit zutreffend ausführt - jedenfalls vermeidbar gewesen (§ 17 Satz 2 StGB).
61
a) Zwar begegnet die Annahme eines Verbotsirrtums Bedenken, indes ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert.
62
Das Landgericht legt seiner Würdigung zugrunde, der Angeklagte sei davon ausgegangen, mit der Verlegung des Lagers nach Italien würde eine Strafbarkeit in Deutschland entfallen. Dies gründet es auf die unwiderlegte Einlassung , er sei in diese Richtung beraten worden.
63
Die bloße Berufung des Angeklagten auf einen Verbotsirrtum nötigt nicht dazu, einen solchen als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85; BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160).
64
Zu einer solchen Gesamtwürdigung aller für das Vorstellungsbild des Angeklagten relevanten Umstände hätte indes hier Anlass bestanden. Dass dies unterblieben ist, lässt besorgen, dass die Strafkammer bei der Frage, ob dem Angeklagten die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun, von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist.
65
Denn der Täter hat bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt. Es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 - 5 StR 514/09, NJW 2011, 1236, 1239 mwN). Für ein solches Vorstellungsbild sprechende Indizien lässt das Landgericht unerörtert.
66
So war dem Angeklagten aus dem ersten Strafverfahren bewusst, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte. Die ihm zuteil gewordene rechtliche Beratung erfolgte zu Geschäftsmodellen, die darauf ausgelegt waren, eine als möglich erkannte Strafbarkeit zu umgehen. Dies setzt aber eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243, 258; BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160). So lag es hier, denn der Angeklagte konnte sich für die lediglich erhoffte Annahme der Straflosigkeit auf keine höchstrichterlichen Entscheidungen stützen. Deswegen kommt auch dem Aspekt, dass der Begriff der Verbreitung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG durch den EuGH erst in diesem Verfahren eine weitere Auslegung erfahren hat, für die Irrtumsfrage keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
67
In diesem Zusammenhang hätte zudem nicht unbeachtet bleiben dürfen, dass die vom Angeklagten praktizierten Lieferbedingungen entgegen einem beabsichtigten Anschein darauf ausgerichtet waren, Einwirkungsmöglichkeiten der Firma D. bis zur Zahlung durch den Kunden aufrecht zu erhalten. Diese Verfahrensweise hätte Anlass sein müssen, zu prüfen, ob der Angeklagte nicht von einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Strafbarkeit des praktizierten Geschäftsmodells ausgegangen ist, weil anderenfalls kein Erfordernis für die festgestellte Verschleierung bestanden hätte.
68
Bei der gebotenen Gesamtwürdigung wäre das Landgericht überdies nicht gehindert gewesen, aus dem Umstand, dass der Angeklagte die Rechtsanwälte U. und D’. nicht von der Schweigepflicht entbunden hat, dem Angeklagten nachteilige Schlüsse zu ziehen. Zwar darf aus zulässigem Prozessverhalten grundsätzlich kein dem Angeklagten nachteiliger Schluss gezogen werden. Hat sich der Angeklagte aber - wie hier - nach Belehrung zum Tatgeschehen geäußert und ein Beweismittel für seine Unschuld benannt und sich damit in einer bestimmten Weise zum Hergang des Gesprächs mit dem Rechtsanwalt geäußert, sodann aber die Überprüfung dieser Darstellung verhindert , kann der Tatrichter hieraus Schlüsse auch zum Nachteil des Angeklagten ziehen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1965 - 4 StR 573/65, BGHSt 20, 298 mwN; vgl. Miebach NStZ 2000, 234, 239).
69
b) Jedenfalls ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Vermeidbarkeit eines solchen Irrtums ausgegangen.
70
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 1966 - KRB 2/65, BGHSt 21, 18, 20; BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13). Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 17 Rn. 78, 85). Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4; BGH, Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 264).
71
Auf der Grundlage dessen durfte das Landgericht die vom Angeklagten entfalteten Bemühungen zur Klärung der Rechtslage als nicht ausreichend werten.
72
Zum einen boten einige Auskunftspersonen nicht die Gewähr für eine verlässliche Auskunft. Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Auskunft des Geschäftsführers der Firma D. und deren Anwalt D‘. imInteresse der Firma D. erfolgte, was für den Angeklagten ohne weiteres erkennbar war. Abgesehen von einer ungewissen Sachkunde zu Fragen des deutschen Urheberrechts, hätte er daher berücksichtigen müssen, dass diese Auskunftspersonen möglicherweise voreingenommen waren und mit der Auskunft Eigeninteressen verfolgten, nämlich durch seine weitere Mitwirkung an dem Geschäftsmodell Einnahmen unter Verletzung der Urheberrechte in Deutschland zu erzielen.
73
Zum anderen waren die Auskünfte der anderen Rechtsanwälte für den Angeklagten, der aufgrund des ersten Strafverfahrens um das Risiko einer Strafbarkeit bei dem Handel von unlizensierten Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke nach Deutschland wusste, nicht hinreichend verlässlich.
74
Der Rat eines Rechtsanwalts ist nicht ohne weiteres bereits deshalb vertrauenswürdig , weil er von einer kraft ihrer Berufsstellung vertrauenswürdigen Person erteilt worden ist. Maßgebend ist vielmehr, ob der Rechtsrat - aus der Sicht des Anfragenden - nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgt und von der notwendigen Sachkenntnis getragen ist (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4). Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. § 17 Rn. 9 a). Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "Feigenblattfunktion" erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Vielmehr muss der Beratende eine vollständige Kenntnis von allen tatsächlich gegebenen, relevanten Umständen haben. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich , um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13 mwN).
75
Der Verweis des Geschäftsführers der Firma D. auf den Rechtsrat eines Frankfurter Rechtsanwalts bot keine Gewähr für eine derart verlässliche Auskunft. Schon ungeachtet der Einbindung La. s und dessen Eigeninteresse durfte der Angeklagte nicht auf diese ganz pauschale Auskunft vertrauen.
76
Auch der vom Angeklagten nur einmal kontaktierte RechtsanwaltU. konnte keine Auskunft aufgrund sorgfältiger Prüfung und Kenntnis aller Umstände erteilen. Denn er hatte den Angeklagten darauf hingewiesen, dass die Frage einer Urheberrechtsverletzung genauerer Abklärung bedürfe, welche aber nicht erfolgte. Zutreffend folgert das Landgericht hieraus, dass dies keine ausreichende Grundlage für einen unvermeidbaren Irrtum des Angeklagten bot.
77
Zudem hätte berücksichtigt werden dürfen, dass der Angeklagte sich einerseits darauf beruft, er habe auf den Rechtsrat Rechtsanwalts U. s und des auch von ihm bezahlten Rechtsanwalts der Firma D. vertraut, andererseits aber eine Überprüfung der Substanz dieser Auskünfte durch Nichtentpflichtung von der Schweigepflicht der Rechtsanwälte nicht ermöglicht hat (hierzu oben unter a.).
78
Mit nicht zu beanstandenden Erwägungen hat das Landgericht die Auskunft des Rechtsanwalt Sk. als nicht verlässlich gewertet, da diese weder „eindeutig“ oder „klar“, sondern lediglich eine allgemeine und ohne konkrete Prüfung und Kenntnis der Ausgestaltung des geänderten Geschäftsmodells geäußerte Rechtsauffassung gewesen sei. Dies wird von den Feststellungen getragen, denn Rechtsanwalt Sk. hat dem Angeklagten ungefragt lediglich seine - ohne Wissen um die genauen Umständen des praktizierten Geschäftsmodells ersichtlich wenig substantiierte - Auffassung bei Kenntnis um den kontroversen Meinungsstand bekundet. Eine solche Auskunft hat schon keinen hinreichend unrechtsverneinenden Inhalt. Auf diesem ihm günstigen Standpunkt durfte der Angeklagte nicht vorschnell vertrauen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 1985 - 3 StR 82/85) und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Denn es reicht nicht aus, wenn er aufgrund der Auskunft nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife nicht ein (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13 mwN). Nachfragen seitens des Angeklagten erfolgten aber nicht.
79
c) Soweit die Revision sich darauf beruft, dem Angeklagten hätte auch bei weitergehenden Bemühungen angesichts der erst in diesem Verfahren erfolgten Entscheidung des EuGH zur Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der RL 2001/29/EG kein der jetzigen Rechtslage entsprechender Hinweis erteilt werden können, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Angesichts des schon vor der Vorabentscheidung des EuGH bestehenden strafrechtlich abgesicherten Urheberrechtsschutzes war das vom Angeklagten praktizierte Geschäftsmodell mit dem Risiko der Strafbarkeit behaftet, wie die Entscheidung des Landgerichts in dieser Sache belegt (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des Senats in dieser Sache vom 8. Dezember 2010). Eine den dargestellten Anforderungen an Verlässlichkeit genügende, insbesondere auf der Grundlage einer dem Angeklagten obliegenden umfassenden Darstellung des Geschäftsmodells erfolgende Auskunft hätte auf dieses Risiko hingewiesen und spätestens hierdurch beim Angeklagten die Einsicht geweckt, es bestehe die Möglichkeit der Strafbarkeit. Ob das Verbreiten dabei entsprechend der Vorabentscheidung des EuGH weit ausgelegt oder - enger - an das hier gegebene Erfordernis des Übergangs der tatsächlichen Verfügungsgewalt geknüpft wird, ist für das Vorstellungsbild unerheblich.

III.

80
Die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat aus den Taten nach dem 1. Januar 2007 (vgl. zur Nichtanwendbarkeit des § 111i Abs. 2 StPO auf zuvor bereits beendete Taten gemäß § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB, BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 1 StR 535/08, NStZ-RR 2009, 56) den ihm vom Kunden ausbezahlten Frachtlohn erlangt; einer Verfallsanordnung stehen die den verletzten Lizenzinhabern aus den Taten erwachsenen Ansprüche (§ 97 UrhG, § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB) entgegen. Nack Wahl Graf Jäger Cirener
5 StR 461/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Januar
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
Amtsrätin
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23. Dezember 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, bleibt ohne Erfolg.
2
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben. Der näheren Erörterung bedarf nur die Verfahrensrüge, dass es an einer ordnungsgemäßen Feststellung des Abschlusses des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO fehle und die Protokolle von überwachten Telefongesprächen , auf die das Landgericht seine Überzeugung von Art und Umfang der Tatbeteiligung des Angeklagten stützt, sowie zwei Gutachten über Menge und Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel in den Fällen 3 und 7 der Urteilsgründe somit nicht wirksam in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien (§ 261 StPO).
3
1. Der Verfahrensrüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4
Im Hauptverhandlungstermin vom 9. November 2011 ordnete die Vorsitzende der Strafkammer hinsichtlich zweier Gutachten über Menge und Wirkstoffgehalt sichergestellter Betäubungsmittel sowie mehrerer weiterer Urkunden das Selbstleseverfahren an. Ferner ordnete die Vorsitzende im Termin vom 16. November 2011 bezüglich einer Vielzahl von Wortprotokollen überwachter Telefongespräche ebenfalls das Selbstleseverfahren an. Der Verteidiger des Beschwerdeführers erhob hiergegen Widerspruch und beantragte die Entscheidung des Gerichts. Nachdem die Vorsitzende die Selbstleseanordnung im Termin vom 22. November 2011 um ein weiteres Telefonprotokoll ergänzt hatte, begründete der Verteidiger seinen Widerspruch im Termin vom 28. November 2011. Am selben Hauptverhandlungstag wurden die Selbstleseanordnungen nebst Ergänzungen durch Gerichtsbeschluss bestätigt. Im Fortsetzungstermin vom 7. Dezember 2011 wurde Folgendes protokolliert: „Es wurde festgestellt, dass die Schöffen und die Berufsrichter Kenntnis genommen haben von den jeweiligen Selbstleseanordnungen und die Verteidiger, Angeklagten und Vertreterin der Staatsanwaltschaft Gele- genheit zur Kenntnisnahme hatten.“ Weitere Feststellungen zur Kenntnis- nahme der in den Anordnungen bezeichneten Urkunden erfolgten ebenso wenig wie eine Verlesung der Urkunden. Deren Inhalt wurde lediglich hinsichtlich einiger Telefonate durch Abspielen und Übersetzung durch den Sprachsachverständigen, im Übrigen aber nicht auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt.
5
2. Eine Verletzung des § 261 StPO i.V.m. § 249 Abs. 2 Satz 1 und 3 StPO liegt nicht vor. Durch die protokollierte Feststellung der Vorsitzenden sind die von den Selbstleseanordnungen umfassten Urkunden wirksam zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. September 2010 – 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20, und vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren

6).


6
Allerdings ist ausweislich des Wortlauts des Hauptverhandlungsprotokolls lediglich hinsichtlich der Selbstleseanordnungen, nicht aber des Wortlauts der von diesen betroffenen Urkunden die Kenntnisnahme der Richter und die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die übrigen Verfahrensbeteiligten festgestellt worden. Eine von der Staatsanwaltschaft beantragte Protokollberichtigung ist nicht zustande gekommen, weil die Protokollführerin sich nicht an die Vorgänge in der Hauptverhandlung erinnern konnte. Damit bleibt hinsichtlich des Wortlauts der Feststellung der Vorsitzenden der Protokollinhalt für die revisionsgerichtliche Prüfung maßgeblich. Neben der – hier gescheiterten – ordnungsgemäßen Protokollberichtigung kommt eine freibeweisliche – und damit an geringere Anforderungen als in dem die Verfahrenswahrheit sichernden Protokollberichtigungsverfahren geknüpfte – Aufklärung des tatgerichtlichen Verfahrensablaufs nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2010 – 5 StR 169/09, BGHSt 55, 31, vom 22. Dezember 2010 – 2 StR 386/10, StV 2011, 267 mwN, und vom 30. September 2009 – 2 StR 280/09, StV 2010, 225). Ein Fall krasser Widersprüchlichkeit oder offenkundiger Fehler- oder Lückenhaftigkeit des Protokolls, der insoweit unter Umständen eine Ausnahme zuließe (vgl. BGH aaO), liegt schon deshalb nicht vor, weil die inhaltliche Fehlerhaftigkeit der protokollierten Äußerung nicht nur auf einen Protokollierungsfehler, sondern ebenso auf ein Formulierungsversehen der Vorsitzenden zurückzuführen sein kann. Im letzteren Fall würde das Protokoll indes die Vorgänge in der Hauptverhandlung zutreffend wiedergeben. Ein freibeweislicher Rückgriff auf die der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft beigefügten dienstlichen Erklärungen der Vorsitzenden und der Berichterstatterin scheidet in diesem Zusammenhang aus den vorgenannten Gründen aus.
7
Wenngleich somit davon auszugehen ist, dass die gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in das Protokoll aufgenommene Feststellung der Vorsitzenden ihrem Wortlaut nach nicht die Einhaltung der in § 249 Abs. 2 StPO geregelten Verfahrensweise wiedergibt, liegt dennoch im Ergebnis ein ordnungsgemäßer Abschluss des Selbstleseverfahrens vor. Als gerichtliche Prozesserklärung ist die protokollierte Feststellung der Vorsitzenden nach allgemeinen Regeln der Auslegung zugänglich, bei der es nicht allein auf den Wortlaut, sondern vor allem auf den erkennbar gemeinten Sinn ankommt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 6, und vom 14. September 2010 – 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20; Urteil vom 11. Oktober 2012 – 1 StR 213/10 Rn. 23 ff.; Pfeiffer/Hannich in KK, StPO, 6. Aufl., Einleitung Rn. 125, 128; Roxin /Schünemann, Strafverfahrensrecht, 27. Aufl., § 22 B II 1; vgl. ferner zur Auslegung des Protokollinhalts: Jahn, ZWH 2012, 386).
8
Danach war aber für alle Verfahrensbeteiligten klar ersichtlich, dass die Vorsitzende durch ihre in das Protokoll aufgenommene Erklärung die Kenntnisnahme der Berufsrichter und der Schöffen von den in den Selbstleseanordnungen bezeichneten Urkunden und die entsprechende Gelegenheit zur Kenntnisnahme der übrigen Verfahrensbeteiligten feststellen wollte. Dies folgt zum einen aus der prozessualen Sinnlosigkeit der Protokollierung einer Kenntnisnahme von Selbstleseanordnungen, die an früheren Hauptverhandlungstagen erfolgt und ihrerseits in das Protokoll aufgenommen worden waren, womit den diesbezüglichen gesetzlichen Anforderungen des § 249 Abs. 2 StPO Genüge getan ist und woraus sich im Übrigen bereits die Kenntnisnahme der Verfahrensbeteiligten von diesen Anordnungen ergibt. Zum anderen lässt der bisherige Verfahrensablauf – die Anordnung des Selbstleseverfahrens bezüglich zahlreicher Urkunden am 9. und 16. November 2011 mit Ergänzung am 22. November 2011 sowie die zeitgleiche Verteilung der diese Urkunden enthaltenden Ordner – erkennen, dass die Vorsitzende im Termin vom 7. Dezember 2011 beabsichtigte, die von den Selbstleseanordnungen erfassten Urkunden durch die Feststellung der Kenntnisnahme der Richter von den einzuführenden Urkunden bzw. der Gelegenheit zur Kenntnisnahme der übrigen Verfahrensbeteiligten zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen und somit das Selbstleseverfahren abzuschließen. Zudem liegt angesichts des Wortlauts der protokollierten Äußerung „dass die Schöffen und die Berufsrichter Kenntnis genommen haben von den jeweiligen Selbstleseanordnungen und die Verteidiger, Angeklagten und Ver- treterin der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Kenntnisnahme hatten“ ein Formulierungsversehen in Form einer Auslassung auf der Hand. Gemeint waren – für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich erkennbar – nicht die Selbstleseanordnungen, sondern die in den Selbstleseanordnungen bezeichneten Urkunden. Im Ergebnis fehlt es somit trotz des Formulierungsoder Protokollierungsversehens nicht an einer ordnungsgemäßen Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO.
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(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 78/14
vom
17. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Bestimmens einer Person unter 18 Jahren, mit Betäubungsmitteln unerlaubt
Handel zu treiben u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Richterin am Landgericht bei der Verkündung
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 26. November 2013 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten des „Bestimmens einer Person unter 18 Jahren, mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben, in Tateinheit mit gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren, der gewerbsmäßigen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren in 14 Fällen, des vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer verbotenen Waffe und des vorsätzlichen Besitzes von Arzneimitteln in nicht geringer Menge zu Dopingzwecken im Sport“ schuldig gesprochen und ihn hierwegen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ferner hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 15.770 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet.

I.


2
Nach den Feststellungen veranlasste der Angeklagte Ende August 2011 den, wie er wusste, 16-jährigen P. , 20 Gramm Haschisch, 20 Gramm Marihuana, 20 Gramm Amphetamingemisch und 20 Ecstasy-Tabletten zu von ihm vorab festgelegten Verkaufspreisen gewinnbringend zu veräu- ßern. Nachdem P. dies gelungen war und er die ebenfalls vom Angeklagten festgelegten Einkaufspreise an diesen erstattet hatte, verkaufte P. anschließend bis Ende Februar 2012 (UA 8) in 14 weiteren Fällen sich sukzessive erhöhende Rauschgiftmengen gewinnbringend für den Angeklagten. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung am 7. Februar 2013 wurde der Angeklagte im Besitz eines silberfarbenen Schlagrings und 196 Tabletten, die insgesamt 691,88 mg des verschreibungspflichtigen anabolen Steroids Metandienon enthielten , angetroffen.

II.


3
Keine der Verfahrensrügen greift durch.
4
1. Vergeblich rügt der Beschwerdeführer, das Gericht habe seine Überzeugung entgegen § 261 StPO nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft.
5
a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
6
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die Verstöße gegen das Waffen- und das Arzneimittelgesetz eingeräumt, die ihm vorgeworfenen 15 Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz indes pauschal bestritten. Der Zeuge P. hat in der Hauptverhandlung „auf konkreten – wortwörtlichen – Vorhalt“ (UA 9) seiner Beschuldigtenvernehmungen vom 14. Mai und 25. Juni 2012 bestätigt, die Angaben gegenüber der Vernehmungsbeamtin jeweils so wie protokolliert gemacht zu haben. Im angefochtenen Urteil hat das Landgericht die polizeilichen Angaben, die in den Niederschriften insgesamt knapp 13 Seiten einnehmen, von den jeweiligen Belehrungen abgesehen, in wörtlicher Rede wiedergegeben. Diese Darstellung nimmt im Urteil – mit textlichen Überleitungen – annähernd neun Seiten ein. Der Beschwerdeführer trägt vor, die polizeilichen Niederschriften seien in der Hauptverhandlung nicht verlesen worden ; durch Vorhalt an den Zeugen P. hätten sie schon wegen ihres Umfangs nicht eingeführt werden können.
7
b) Die Rüge ist unzulässig, weil sie nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Form begründet worden ist.Diese Vorschrift verlangt eine so genaue Angabe der die Rüge begründenden Tatsachen , dass das Revisionsgericht auf ihrer Grundlage prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (BGH, Urteil vom 14. Oktober 1952 – 2 StR 306/52, BGHSt 3, 213, 214; Beschluss vom 8. November 2000 – 3 StR 282/00 mwN; KK-StPO/ Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 f.). Wird beanstandet, das Tatgericht habe den Inhalt in der Hauptverhandlung nicht verlesener Urkunden verwertet, so gehört zur ordnungsgemäßen Begründung der Verfahrensrüge nicht nur die Behauptung , dass die Urkunde nicht verlesen worden, sondern auch – verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, NJW 2005, 1999, 2001 f.) – die Darlegung, dass der Inhalt der Urkunde nicht in sonst zulässiger Weise eingeführt worden sei (BGH, Urteil vom 11. April 2001 – 3 StR 503/00, NJW 2001, 2558 f.; OLG Düsseldorf, StV 1995, 120; Gericke, aaO, § 344 Rn. 58; Sander inLöwe/ Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 185).
8
Daran fehlt es hier: Der Beschwerdeführer hat versäumt, das Urteil des Amtsgerichts Wittlich vom 6. November 2012 vorzutragen, mit dem der Zeuge P. wegen der nämlichen Betäubungsmitteldelikte verurteilt worden ist. Dieses Urteil wurde nicht nur dem Angeklagten vorgehalten (Teilprotokoll vom 21. November 2013, S. 5), sondern auch urkundenbeweislich verlesen (Teilprotokoll vom 26. November 2013, S. 2). Ohne Vorlage dieses Urteils kann der Senat nicht prüfen, ob die Angaben des Zeugen P. in den beiden polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen durch Verlesung im Strengbeweis eingeführt worden sind. Denn P. hat in der tatrichterlichen Hauptverhandlung bekundet, er habe vor dem Amtsgericht Wittlich den Sachverhalt dem Gericht gegenüber „sinngemäß“ so geschildert wie in den Vernehmungen vor der Poli- zei (UA 18). Der möglicherweise gesondert zu beurteilende Fall, dass das Tatgericht den Wortlaut der Urkunden verwertet hat, liegt hier ersichtlich nicht vor; das Landgericht hat lediglich den Inhalt der polizeilichen Vernehmungen P. s bei seiner Beweisführung herangezogen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. August 1987 – 5 StR 162/87, BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 5, und vom 5. April 2000 – 5 StR 226/99, BGHR StPO § 249 Abs. 1 Verlesung , unterbliebene 1 sowie zur Abgrenzung, wenn – anders als hier – eine bestätigende Erklärung der Auskunftsperson fehlt, BGH, Beschluss vom 13. April 1999 – 1 StR 107/99, StV 1999, 359 f.; Urteile vom 30. August 2000 – 2 StR 85/00, NStZ 2001, 161, und vom 6. September 2000 – 2 StR 190/00, NStZ-RR 2001, 18).
9
Die Revision unterlässt es außerdem, zum Ablauf der Einvernahme der Kriminalkommissarin F. , die P. vernommen hatte, näher vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 1995 – 3 StR 99/95, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Verwertungsverbot 4; Beschluss vom 23. Oktober 2012 – 1 StR 377/12). Denn es liegt nahe anzunehmen, dass Polizeibeamte, die sich erfahrungsgemäß im Wege der vorherigen Durchsicht ihrer Ermittlungsunterlagen auf ihre Vernehmung intensiv vorbereiten, sich an Einzelheiten erinnern können und ihnen die entscheidenden Passagen wörtlich präsent sind (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 – 2 StR 111/01, BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung

39).


10
Da die Rüge bereits unzulässig ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden , ob der Inhalt einer Vernehmungsniederschrift durch abschnittsweisen Vorhalt und die jeweilige Bestätigung des Zeugen ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt werden kann (vgl. auch zur Beruhensfrage BGH, Urteil vom 6. Juni 1957 – 4 StR 165/57; Beschluss vom 22. September 2006 – 1 StR 298/06, NStZ 2007, 235; OLG Düsseldorf StV 1995, 120, 121 mwN; Diemer in KK, 7. Aufl., § 249 Rn. 52).
11
2. Unzulässig ist ferner die Rüge, das Landgericht habe den Antrag, „Frau R. B. , W. und Herrn J. R. , Se. , Adressen zu erfragen über das AG Wittlich, …“ zu vernehmen, zu Unrecht wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Im Beweisantrag ist der Zeuge als Beweismittel grundsätzlich mit vollständigem Namen und genauer Anschrift zu benennen; nur wenn der Antragsteller dazu nicht in der Lage ist, genügt es, im Einzelnen den Weg zu beschreiben, auf dem dies zuverlässig ermittelt werden kann (BGH, Urteil vom 8. Dezember 1993 – 3 StR 446/93, BGHSt 40, 3, 7; Becker in LR-StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 105). Der Beschwerdeführer hat nicht vorgetragen, was ihn gehindert haben könnte, die vollständige Adresse der von ihm benannten Zeugen anzugeben (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 313/13).
12
Ferner zielt der Antrag darauf, der Zeuge P. habe in der gegen ihn geführten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Wittlich „lediglich die Taten der Anklageschrift (eingeräumt)“, ohne dass nachgefragt worden sei und ohne dass (er) dazu ausführlich Stellung genommen habe. Die Revision sieht hierin einen Widerspruch zu der Annahme des Landgerichts, der Zeuge habe in der gegen ihn gerichteten Gerichtsverhandlung den Sachverhalt sinngemäß so geschildert wie in seinen polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen. Um dies nachvollziehen zu können, hätte es der Vorlage der in dem Verfahren gegen den Zeugen erhobenen Anklage bedurft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen nämlich – verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Beschluss vom 10. März 2009 – 2 BvR 49/09) – die im Beweisantrag in Bezug genommenen Aktenbestandteile mit der Begründungsschrift vorgelegt oder jedenfalls inhaltlich vorgetragen werden (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2003 – 1 StR 182/03, StV 2004, 305, 306, und vom 25. November 2004 – 5 StR 401/04, NStZ-RR 2006, 33, 34 bei Sander; Beschlüsse vom 7. Januar 2008 – 5 StR 390/07, vom 25. Mai 2011 – 4 StR 87/11, und vom 12. März 2013 – 2 StR 34/13, NStZ-RR 2013, 222 [Ls.]; Becker in LR-StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 372; vgl. auch BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2323).
13
3. Als unzulässig erweist sich auch die Rüge, das Landgericht habe den Antrag, „StA S. , StA Magdeburg, zu hören zu der Behauptung, dass er die Aussage des Zeugen P. für so unglaubwürdig hielt, dass er keinerlei Anfangsverdacht in diesen Angaben sah, um ein Ermittlungsverfahren gegen Herrn A. einzuleiten (…)“, zu Unrecht wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Bei diesem Zitat handelt es sich um einen kurzen Auszug aus dem zwei Seiten umfassenden Beweisantrag; insbesondere lässt der Revisionsführer die von ihm im Beweisantrag bezeichnete Aussage P. s weg. Er trägt auch seine im Beweisantrag aufgestellte Schlussfolgerung nicht vor, als glaubhaft eingeschätzte Angaben P. s hätten Maßnahmen nach „§§ 100 ff. StPO“ gegen A. nach sich ziehen müssen, „um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, Strafvereitelung im Amt zu begehen“. Diese Auslassun- gen führen zur Unzulässigkeit der Rüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. BGH, Urteile vom 11. Juni 1986 – 3 StR 10/86, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO 1, vom 14. April 1999 – 3 StR 22/99, NJW 1999, 2683, 2684, und vom 30. April 1999 – 3 StR 215/98, NStZ 1999, 396, 399; Beschlüsse vom 9. Mai 2000 – 4 StR 115/00, NStZ-RR 2001, 6, 7 bei Miebach/Sander, vom 12. März 2013 – 2 StR 34/13, aaO, und vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 313/13; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 372).
14
Der Unzulässigkeit dieser von Rechtsanwalt Bo. erhobenen Verfahrensrüge steht nicht entgegen, dass Rechtsanwalt Fu. , der diese Rüge nicht erhoben hat, im Rahmen einer anderen Verfahrensrüge das gesamte Hauptverhandlungsprotokoll nebst Anlagen vorgelegt hat und sich in diesem Konvolut auch eine Ablichtung des Staatsanwalt S. betreffenden Beweisantrags findet (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 1986 – 4 StR 370/86, NStZ 1987, 221 bei Pfeiffer/Miebach; Beschlüsse vom 25. September 1986 – 4 StR 496/86, NStZ 1987, 36, und vom 14. April 2010 – 2 StR 42/10).
15
4. Jedenfalls unbegründet ist die Rüge, das Landgericht habe den Antrag auf Verlesung der die Observation des Angeklagten betreffenden Urkunden zu Unrecht wegen Bedeutungslosigkeit – ersichtlich: aus tatsächlichen Gründen – abgelehnt. Denn die Strafkammer hat im Urteil (UA 25) die unter Beweis gestellte Tatsache, „dass die Observationsmaßnahmen gem. obigem Beschluss ohne Erfolg waren“, als – durchdie Vernehmung des Observationsbeamten – erwiesen behandelt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1991 – 3 StR 115/91, NStZ 1991, 547, 548; Beschlüsse vom 7. Februar 2002 – 1 StR 222/01, NStZ 2003, 417 bei Becker, und vom 5. Dezember 2012 – 1 StR 531/12; Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 86; KK-Krehl, StPO, 7. Aufl., § 244 Rn. 234; Güntge in Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl., Rn. 1676 f.). Von weiteren Bedenken gegen die Zulässigkeit und Begründetheit der Rüge abgesehen bedarf es daher auch keiner Entscheidung, ob das Landgericht durch die Vernehmung des Observationsbeamten, zu der die Revision nichts vorträgt, die angebotenen Beweismittel (Urkunden) wirksam ausgetauscht hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rn. 47).
16
5. Schon unzulässig ist die Rüge, das Landgericht habe den Beweisantrag auf Vernehmung des Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts bei dem Amtsgericht Wittlich zu Unrecht wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Unter Beweis gestellt war, dass P. in der gegen ihn gerichteten Hauptverhand- lung „die ihm gem. Anklageschrift zur Last gelegten Taten zwar einräumte, ohne jedoch nähere Angaben, insbesondere Details zu dem Lieferanten seiner BtM zu machen“, ferner, dass der Verhandlung ein informelles Gespräch zwischen den Verfahrensbeteiligten vorausgegangen sei. Diesen Antrag hat das Landgericht wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt und zur Begründung u.a. ausgeführt: „Selbst wenn der damalige Angeklagte P. in der Hauptverhand- lung vor dem Amtsgericht Wittlich am 06.11.2012 den ihn betreffenden Anklagevorwurf pauschal bestätigt hätte, ohne ausführlich zu seinem Lieferanten Stellung zu nehmen, ist hieraus nicht notwendig der Schluss zu ziehen, dass die ausführlichen und detaillierten Angaben des damaligen Beschuldigten P. in Bezug auf den Angeklagten We. in seinen Beschuldigtenver- nehmungen vom 14.05.2012 und 25.06.2012 nicht der Wahrheit entsprechen.“
17
Der Rügevortrag genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer hat im Beweisantrag ausdrücklich auf die im damaligen Verfahren gegen P. erhobene Anklageschrift Bezug genommen. Wie unter Ziffer II.2 ausgeführt, ist die Vorlage der Anklageschrift hier schon wegen der – nach dem Inhalt der Beweisbehauptung – vorgenommenen Inbezugnahme der Aussage P. s auf die Anklageschrift unverzichtbar.
18
Es trifft auch nicht zu, dass die Strafkammer in ihrem Ablehnungsbeschluss die Beweiswürdigung in unzulässiger Weise vorweggenommen hätte (Revisionsbegründung von Rechtsanwalt Bo. S. 24). Der Tatrichter hat nach den – in der Revision nur auf Rechtsfehler nachprüfbaren – Grundsätzen der freien Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO zu beurteilen, ob der vom Antragsteller intendierte Schluss gerechtfertigt wäre. Hierzu hat er die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache so, als sei sie erwiesen, in das bisherige Beweisergebnis einzustellen und prognostisch zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung vom Beweiswert des anderen Beweismittels – evtl. in Anwendung des Zweifelssatzes – in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (vgl. Becker in LR-StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220 mwN). So ist die Strafkammer hier mit noch ausreichender Begründung rechtsfehlerfrei verfahren.
19
6. Auch die Rüge, das Landgericht habe die als wahr unterstellten Äußerungen P. s in einer früheren Beschuldigtenvernehmung vom 12. April 2012 zu Lasten des Angeklagten verwertet, greift nicht durch. Das Landgericht hat sich auf UA 21 mit den Darstellungen P. s zu seinen verschiedenen Schwarzfahrten auseinandergesetzt. Es hat aus der als wahr unterstellten Tatsache , P. habe eingeräumt, öfter bzw. „fast jedes Mal“ beim Schwarzfahren auf der Strecke von C. nach T. „erwischt“ worden zu sein, allerdings nicht den vom Angeklagten gewünschten Schluss auf fehlende Konstanz zur Angabe weiterer Schwarzfahrten in der späteren polizeilichen Vernehmung gezogen. Hierzu war es nicht gehalten. Das Gericht braucht aus einer als wahr unterstellten Indiztatsache nicht die Schlussfolgerungen zu ziehen, die der Antrag- steller gezogen wissen will (BGH, Urteile vom 6. August 1986 – 3 StR 234/86, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 1, und vom 7. Februar 2008 – 4 StR 502/07, Tz. 27, insoweit in NJW 2008, 1093 nicht abgedruckt).
20
7. Die beiden mit der Revision vorgetragenen Aufklärungsrügen (§ 244 Abs. 2 StPO) sind ebenfalls unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
21
a) Soweit die Revision die unterbliebene Vernehmung des Staatsanwalts S. als Zeugen beanstandet, unterlässt sie es, eine bestimmte Beweistatsache zu bezeichnen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 81 mwN). Eine solche ergibt sich auch nicht aus ihrem Vorbringen, die Strafkammer habe den „Beweis des Gegenteils, mithin der Tatsache, dass der Zeuge P. gerade keine glaubhaften Angaben machte, … nicht zugelassen“.
22
b) Nicht anders liegt es, soweit die Revision beanstandet, das Landgericht hätte die Mitglieder des Jugendschöffengerichts bei dem Amtsgericht Wittlich vernehmen müssen. Der Beschwerdeführer hätte sich insoweit nicht mit einer pauschalen negativen Bewertung des Aussageverhaltens P. s begnü- gen dürfen („keine Tatsachen für einen Tathergang“).

III.


23
Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hat keinen materiellen-rechtlichen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Soweit die Revision sich – mit zum Teil urteilsfremdem Vorbringen – gegen die Beweiswürdigung wendet, vermag sie keinen Rechtsfehler aufzuzeigen; die Beweiswürdigung ist insbesondere nicht widersprüchlich oder lückenhaft. Im Übrigen bedarf nur Folgendes der Erörterung:
24
Die Feststellungen tragen die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe P. im Fall II.2 der Urteilsgründe zu dessen Handeltreiben bestimmt. Der Umstand, dass P. die Möglichkeit, für den Angeklagten Drogen zu verkaufen , bereitwillig ergriff, steht dem nicht entgegen. Jedenfalls hatte sich die Tatbereitschaft P. s noch nicht auf ein bestimmtes Geschäft konkretisiert (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2000 – 4 StR 400/99, BGHSt 45, 373, 374 ff.; Beschlüsse vom 30. Januar 2001 – 4 StR 557/00, StV 2001, 406, und vom 23. Mai 2007 – 2 StR 569/06, NStZ 2008, 42 mwN).
25
Die Feststellungen zur Häufigkeit der weiteren Betäubungsmittelstraftaten tragen den Schluss der Strafkammer auf 14 Fälle des Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Deren konkurrenzrechtliche Bewertung durch die Strafkammer ist rechtsfehlerfrei.
26
Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das Landgericht ihn in den Fällen II.2 bis 5 (Taten 1 bis 15) nicht auch wegen (gewerbsmäßigen) Handeltreibens verurteilt hat (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 1997 – 4 StR 222/97, StV 1997, 636, 637; Beschluss vom 23. Mai 2007, aaO, S. 42 f.).
27
Die Anordnung des Wertersatzverfalls weist ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 1 4 0 / 1 4
vom
10. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 28. Oktober 2013 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln in dreizehn Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit einer Verfahrensrüge gegen den Teilfreispruch. Daneben beanstandet sie mit der Sachrüge die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts. Das vom Generalbundesanwalt bezüglich des Angriffs gegen den Teilfreispruch vertretene Rechtsmittel bleibt insgesamt ohne Erfolg.
2
Nach den Feststellungen kaufte der Angeklagte von Januar bis März 2013 bei dem früheren Mitangeklagten J. in insgesamt dreizehn Fällen zwischen zwei und fünfzehn Gramm Marihuana überwiegend zum Eigenkonsum.
3
Mit der Anklage war ihm darüber hinaus zur Last gelegt worden, dem J. zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Beihilfe geleistet zu haben, indem er diesem die von ihm selbst angemietete Wohnung im Hause F. straße in M. als Drogenbunker zur Verfügung gestellt habe. Von diesem Vorwurf hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen und zur Begründung ausgeführt, zu den in der genannten Wohnung sichergestellten Betäubungsmitteln und sonstigen Gegenständen hätten keine Feststellungen getroffen werden können. Insoweit bestehe ein Beweisverwertungsverbot , das auch die polizeilichen Einlassungen des Angeklagten und J. s umfasse.
4
I. Die Staatsanwaltschaft wendet sich gegen den freisprechenden Teil des Urteils mit der Beanstandung, das Landgericht habe mehrere Beweisanträge zu Unrecht zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 StPO). Die Rüge dringt nicht durch, denn sie ist nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
5
1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
6
Die Staatsanwaltschaft hat die Vernehmung mehrerer Polizeibeamter, welche die Wohnung des Angeklagten durchsucht und danach den Angeklagten sowie J. vernommen haben, und die Verlesung eines Wirkstoffgutachtens des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen zum Beweis dessen beantragt , was bei der Durchsuchung sichergestellt und in den anschließenden Vernehmungen angegeben wurde. Das Landgericht hat diese Anträge durch Beschluss mit der Begründung abgelehnt, die begehrte Beweiserhebung sei unzulässig (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO).
7
2. Die Beschwerdeführerin hat mit ihrer Revisionsbegründung lediglich die Beweisanträge und den diese zurückweisenden Beschluss des Landgerichts mitgeteilt. Dies genügt hier den sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen nicht.
8
a) Die Fehlerhaftigkeit des die Beweisanträge zurückweisenden Beschlusses ergibt sich nicht bereits allein aus dessen Begründung, so dass die Vorlage weiteren Verfahrensstoffes durch den Revisionsführer nicht bereits aus diesem Grunde entbehrlich ist.
9
aa) Das Landgericht hat ein Beweisverwertungsverbot angenommen und auf dieser Grundlage zutreffend die beantragte Beweiserhebung als unzulässig im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO bewertet (BGH, Urteil vom 29. April 2010 - 3 StR 63/10 juris Rn. 10).
10
bb) Der Umfang der Beschlussbegründung ist nicht zu beanstanden.
11
Die Begründung des Beschlusses, mit dem ein Beweisantrag zurückgewiesen wird, soll zum einen den Antragsteller davon unterrichten, wie das Gericht das Begehren beurteilt, damit er in der Lage ist, sich auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Antragsablehnung entstanden ist. Zum anderen soll dem Revisionsgericht die rechtliche Überprüfung der Ablehnung ermöglicht werden (st. Rspr.; vgl. etwa Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 41a mwN). Dies gilt auch im Rahmen des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO (aA möglicherweise noch Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 5. Aufl., S. 760, wonach ein "kurzer Hinweis" genüge; vgl. hierzu LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 201).
12
Dem wird der Beschluss des Landgerichts gerecht. Die Strafkammer hat ausgeführt, die Beweismittel beruhten auf dem Ergebnis der ohne die erforderliche richterliche Anordnung durchgeführten Wohnungsdurchsuchung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe kein Grund zu der Annahme bestanden , es liege Gefahr im Verzug vor. Aufgrund der willkürlichen, bewussten und groben Missachtung des Richtervorbehalts bestehe hinsichtlich der gewonnenen Beweismittel ein Verwertungsverbot. Dieses betreffe sowohl die bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel als auch die auf Vorhalt der Durchsuchungsergebnisse ohne "qualifizierte" Belehrung gegenüber den Vernehmungsbeamten gemachten Angaben. Damit war für die Verfahrensbeteiligten ausreichend erkennbar, aus welchen Gründen das Tatgericht die begehrte Beweiserhebung für unzulässig hielt. Sie konnten ihr weiteres Prozessverhalten darauf einstellen und insbesondere auch erwägen, weitere (Beweis-)Anträge zu den Umständen der Wohnungsdurchsuchung zu stellen. Zur angemessenen Wahrung ihrer Rechte war es insbesondere nicht erforderlich, dass das Landgericht die nach seiner Auffassung zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes führende Würdigung des Verfahrensstoffes im Einzelnen darlegte. Dies war auch nicht nötig, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen, denn das Revisionsgericht hat zu der Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, - anders als bei der revisionsrechtlichen Überprüfung der im Wege des Strengbeweises gewonnenen Umstände, auf deren Grundlage das Tatgericht über den Schuldspruch und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen zu entscheiden hat - nicht lediglich diese Würdigung auf Rechtsfehler zu überprüfen, sondern selbst im Wege des Freibeweises festzustellen, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1978 - 2 StR 334/77, NJW 1978, 1390; aA LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 32).
13
b) Gemäß den danach geltenden allgemeinen Grundsätzen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein an Hand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und - in der Regel durch wörtliche Zitate oder eingefügte Abschriften oder Ablichtungen - zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen. Rügt der Beschwerdeführer die rechtsfehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen, so muss er, sofern sich die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses nicht schon aus dessen Begründung ergibt, neben der Mitteilung von Antragswortlaut und Ablehnungsbegründung diejenigen weiteren Tatsachen darlegen, aus denen die Fehlerhaftigkeit des Ablehnungsbeschlusses folgt. Zum notwendigen vollständigen Rügevortrag kann es deshalb erforderlich sein, Einzelheiten des Verfahrensablaufs mitzuteilen (st. Rspr.; vgl. etwa LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 372 ff.; KK-Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 ff., jeweils m. zahlr. w. N.).
14
Diesen Vorgaben ist die Beschwerdeführerin mit der Vorlage allein der Beweisanträge und des diese zurückweisenden Gerichtsbeschlusses nicht nachgekommen. Dem Senat ist es nicht möglich, auf dieser Grundlage die erforderliche eigene umfassende Überprüfung des Verfahrens im Hinblick auf den behaupteten Rechtsfehler vorzunehmen. Dies beruht auf folgenden Erwägungen :
15
Der beanstandete Beschluss ist dann rechtsfehlerfrei, wenn die Ergebnisse der Wohnungsdurchsuchung sowie die Angaben des Angeklagten und des J. einem Beweisverwertungsverbot unterlagen. Deshalb ist zunächst zu beurteilen, ob die Beweisgewinnung rechtsfehlerhaft war. Dies erfordert hier die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Annahme von Gefahr im Verzug vorlagen mit der Folge, dass eine richterliche Anordnung der Ermittlungsmaßnahme entbehrlich war (§ 105 Abs. 1 StPO). Das setzt voraus, dass die richterliche Anordnung nicht eingeholt werden konnte, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wurde, etwa weil der Verlust der Beweismittel drohte (BGH, Beschluss vom 11. August 2005 - 5 StR 200/05, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 6; Beschluss vom 19. Januar 2010 - 3 StR 530/09, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Gefahr im Verzug 1). War die Beweisgewinnung rechtswidrig, ist sodann zu prüfen, ob hieraus im konkreten Fall ein Beweisverwertungsverbot folgt. Dies ist nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Bedeutsam ist dabei vor allem das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, NStZ 2011, 103, 104 Rn. 42 ff.; BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 87; Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 117/12, BGHSt 58, 84, 96; für den Fall einer rechtsfehlerhaften Durchsuchung vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 455/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4; Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 7; Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8). Schließlich ist gegebenenfalls zu entscheiden, wie weit das möglicherweise vorliegende Beweisverwertungsverbot reicht. Dafür könnte hier etwa von Bedeutung sein, ob die Durchsuchungsergebnisse dem Angeklagten und dem J. bei deren polizeilichen Vernehmung vorgehalten wordensind und dieser Vorhalt im Zusammenhang mit ihren Einlassungen steht, diese mithin von der rechtswidrigen Maßnahme unmittelbar beeinflusst worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. August 1987 - 4 StR 333/87, BGHSt 35, 32, 34). In diesem Fall würde der Annahme eines Verwertungsverbots bezüglich der polizeilichen Einlassung der Beschluss des Senats vom 16. Oktober 2007 (3 StR 413/07) nicht entgegen stehen; denn dieser betraf die Verwertbarkeit einer geständigen Einlassung, die der Angeklagte in der Hauptverhandlung abgegeben hatte und damit einen sich von der hiesigen Fallgestaltung wesentlich unterscheidenden Sachverhalt.
16
All diese Gesichtspunkte können vom Senat ohne Kenntnis des die durchgeführte Durchsuchung und die anschließenden Vernehmungen betreffenden Akteninhalts nicht bewertet werden. So ist etwa der Inhalt der anlässlich der Durchsuchung gefertigten polizeilichen Vermerke sowohl für die Annahme von Gefahr im Verzug als auch für die Beurteilung des Gewichts eines eventuellen Verfahrensverstoßes von wesentlicher Bedeutung.
17
c) Der Vortrag des maßgebenden Verfahrensstoffs durch die Revisionsführerin war auch nicht deshalb entbehrlich, weil sie auch die Sachrüge erhoben und das Landgericht im Rahmen seiner schriftlichen Urteilsgründe nähere Ausführungen zu dem nach seiner Ansicht bestehenden Beweisverwertungsverbot gemacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 - 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 204 f.; KK-Gericke, aaO, § 344 Rn. 39 mwN). Denn den vorliegenden Urteilsgründen können die maßgebenden Verfahrensvorgänge jedenfalls nicht mit der erforderlichen Klarheit entnommen werden. Das Landgericht hat lediglich die von ihm für wesentlich erachteten Beweisergebnisse dargestellt und in erster Linie unter deren Würdigung seine Auffassung begründet, es liege ein Beweisverwertungsverbot vor. Der Senat hat indes - wie dargelegt - als Revisionsgericht eine eigene freibeweisliche Würdigung vorzunehmen. Hierzu ist im vorliegenden Fall aus den dargelegten Gründen die Kenntnisnahme des maßgebenden Akteninhalts durch ihn selbst unerlässlich; diese kann nicht durch die Darstellung vom Landgericht ausgewählter Teile ersetzt werden. Auch der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift auf bestimmte, die Vernehmungen betreffende tatsächliche Umstände abgestellt, die dem Senat weder im Revisionsverfahren zur Kenntnis gebracht worden sind noch sich aus den schriftlichen Urteilsgründen ergeben (s. etwa Antragsschrift S. 8).
18
II. Bezüglich der Sachrüge, mit der die Revision die Strafzumessung angreift und dabei eine Verletzung des § 46 StGB geltend macht, ist das Rechtsmittel aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend ausgeführten Erwägungen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Becker Schäfer Mayer RiBGH Gericke befindet sich Spaniol im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 6 0 5 / 1 3
vom
12. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2014 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 14. Februar 2013 wird mit der Maßgabe verworfen , dass der Angeklagte wegen Beihilfe zu zwölf Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und zu zwölf Fällen der Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wird.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in jeweils zwölf Fällen – also wegen 24 rechtlich selbständiger Taten – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Seine Revision ist auf eine Reihe von Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützt. Sie bleibt im Kern erfolglos. Allerdings hat die Strafkammer zu Unrecht 24 rechtlich selbständige Handlungen angenommen. Der Senat ändert den Schuldspruch dahin ab, dass das ohne den Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler festgestellte Geschehen sich als nur eine Tat im Rechtssinne darstellt. Die aus den verhängten 24 Einzelstrafen gebildete Gesamtstrafe bleibt als Einzelstrafe bestehen.

I.

3
Folgendes ist festgestellt:
4
Die vier Mitangeklagten, über deren Revisionen der Senat gesondert befunden hat, erbrachten im Rahmen von Bauunternehmen, die sie gegründet hatten, gewerbliche Bauleistungen in Millionenhöhe. Zur Steigerung der „Wettbewerbsfähigkeit“ wurden für die – tatsächlichin bar ausgezahlten, unter dem Mindestlohn für das Baugewerbe liegenden – Löhne der Bauarbeiter nur in einem geringen Umfang öffentliche Abgaben bezahlt. Die Baufirmen sollten jedoch den Anschein legalen Verhaltens wahren. Da die erbrachten und in Rechnung gestellten Bauleistungen einerseits und die den zuständigen öffentlichen Stellen gemeldeten Lohnzahlungen andererseits nicht vereinbar gewesen wä- ren, wurden für die jeweiligen Einnahmen „Abdeckrechnungen“ beschafft, durch die der Eindruck erweckt wurde, die Einnahmen der Firmen seien mit Hilfe von – von ihnen vergüteten – Fremdleistungen erbracht worden. Den genannten Mitangeklagten war klar, dass die jeweiligen Firmen nach längstens anderthalb bis zwei Jahren ihrer Tätigkeit mit behördlichen Kontrollen rechnen mussten. Daher sollte die jeweilige Firma regelmäßig nur für etwa einen Zeitraum von einem halben Jahr bis anderthalb Jahre „aktiv“ am Markt bleiben und jedenfalls dann nicht mehr, wenn der Eindruck entstand, die Behörden könnten Verdacht geschöpft haben. Dann wurde eine neue Firma gegründet, die gegebenenfalls auch nicht abgeschlossene Aufträge zu Ende führte. Die Verantwortung für die genannten Firmen sollte verschleiert werden. Daher wurden Personen, die über falsche Pässe verfügten, dazu veranlasst, unter falschem Namen als Gesellschafter und Geschäftsführer aufzutreten. Dies war erforderlich bei Gründung der Gesellschaft, bei Eintragungen in öffentliche Register (z.B. Handelsregister, Gewerberegister, Handwerkerrolle) aber auch bei der Errichtung von Konten, bei denen die Banken die Identität des Berechtigten prüften oder dann, wenn Auftraggeber auf Kontakt mit dem jeweiligen Geschäftsführer bestanden oder dessen Ausweis verlangten, um sich eine Kopie hiervon zu ziehen.
5
Zu den Personen, die für die Mitangeklagten in diesem Sinne tätig wurden , zählt auch der Angeklagte. Er unterstützte sie in der dargelegten Weise durch vielfältige, teilweise näher beschriebene einzelne Handlungen, etwa im Zusammenhang mit der zeitnahen Abhebung von Eingängen für Bauleistungen von auf seinen Namen eingerichteten Konten, indem er im Rahmen der „Fa. R. Ltd.“ als „T. R. “ auftrat. Diese Firma erzielte in den Mona- ten November 2008 bis Oktober 2009 im Einzelnen festgestellte Umsätze, ohne dass sich die daraus ergebenden Lohnanteile ordnungsgemäß deklariert worden wären.
6
Demgemäß wurden die Haupttäter für jeden Monat wegen Hinterziehung von Lohnsteuer und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt. Der Angeklagte wurde dementsprechend wegen 24 Fällen der Beihilfe verurteilt.

II.


7
Keine der Verfahrensrügen greift durch.
8
1. Verfahrensrüge I
9
Das Vorbringen, das Gericht habe keine Feststellungen zur Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen und damit die gebotene Prüfung nach Prozess- hindernissen unterlassen, geht im Ansatz fehl. Die dem Senat von Amts wegen obliegende Prüfung hat keine Prozesshindernisse ergeben. Anhaltspunkte für ein möglicherweise gegenteiliges Ergebnis sind auch dem Revisionsvorbringen nicht zu entnehmen.
10
2. Verfahrensrüge II
11
a) Die Hauptverhandlung war am 31. Januar 2013 nach 59 Verhandlungstagen beendet. Ohne dass sie nochmals eröffnet worden wäre, wurde das Urteil am 14. Februar 2013 verkündet. Hierauf gestützt, macht die Revision zutreffend geltend, dass die Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO überschritten worden sei.
12
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es vielfach nicht auszuschließen, dass ein Urteil auf einem solchen Mangel beruht (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 30. Mai 2007 – 2 StR 22/07 mwN), maßgeblich sind aber – wiebei allen sog. relativen Revisionsgründen – unter Berücksichtigung von Sinn und Bedeutung der verletzten Bestimmung stets die Umstände des Einzelfalls. Die nur begrenzte zeitliche Frist zwischen dem Abschluss der Verhandlung und der Urteilsverkündung soll sicherstellen, „dass die Schlussvorträge und das letzte Wort bei der Beratung allen Richtern noch lebendig in Erinne- rung sind“ (BGH, aaO).Dementsprechend ist maßgeblich darauf abzustellen, ob über das Urteil innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO befunden wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2006 – 5 StR 349/06 mwN) oder nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2007 – 1 StR 58/07 und vom 30. November 2008 – 4 StR 452/06; Urteil vom 30. Mai 2007 – 2 StR 22/07). Ob dies der Fall war, kann allein anhand der schriftlichen Urteilsgründe regelmäßig nicht zuverlässig überprüft werden (BGH, Urteil vom 30. Mai 2007 – 2 StR 22/07).
13
Dementsprechend zieht der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang regelmäßig dienstliche Äußerungen bei (vgl. sämtliche genannte Entscheidungen ).
14
c) Hier hat der Vorsitzende folgende dienstliche Erklärung – an der zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht – abgegeben:
15
„Es war zunächst vorgesehen, das Urteil bereits am 31.01.2013 zu ver- künden. Hiervon wurde abgesehen, da Rechtsanwalt L. für diesen Fall die Stellung eines Befangenheitsantrags in Aussicht stellte. Rechtsanwalt L. erklärte, er halte es nicht für angezeigt – unmittelbar im Anschluss an die Schlussvorträge der Verteidigung und nach einer relativ kurzen Beratungszeit – das Urteil zu verkünden.
16
Daraufhin wurde von mir der 07.02.2013 als nächster Verhandlungstermin benannt.
17
Verschiedene Verteidiger erklärten, an diesem Tag verhindert zu sein. Allerdings vermag ich aus der Erinnerung nicht mehr mitzuteilen, welche Verteidiger dies waren.
18
Es wurde dann von Seiten der Verteidiger (möglicherweise die Herren Rechtsanwälte C. und D. ) vorgeschlagen, den 07.02.2013 als Verhandlungstag entfallen zu lassen und den 14.02.2013 als nächsten Verhandlungstag zu bestimmen.
19
Hierauf habe ich mich leider eingelassen und mir ist dann der Fehler unterlaufen am 14.02.2013 nicht nochmals in die Beweisaufnahme einzutreten.
20
Das am 14.02.2013 verkündete Urteil wurde nach dem Ende der Sitzung vom 31.01.2013 beraten. Im Rahmen dieser Beratung wurde der Umfang der Verurteilungen bzw. Freisprüche beraten. Des weiteren wurden die Strafen beraten. Insoweit wurde ein vorläufiges Ergebnis gefunden. Hierbei ist anzumerken , dass während der gesamten Hauptverhandlung immer wieder der Stand des Verfahrens sowie die möglichen Rechtsfolgen erörtert und beraten wurden. Dies war u.a. aufgrund der zahlreichen Beweisanträge erforderlich. Im Rahmen der Beratung am 31.01.2013 konnte immer wieder auf die bereits gefundenen Zwischenergebnisse Bezug genommen werden.
21
Die abschließende Beratung erfolgte dann am 14.02.2013 in der Zeit ab ca. 11.15 Uhr bis ca. 13.00 Uhr. Im Rahmen dieser Beratung wurden die zuvor gefundenen Ergebnisse nochmals evaluiert. Bereits der Umfang des Verfahrens sowie der Umfang der getroffenen Feststellungen zeigen, dass in dieser kurzen Zeit eine umfassende Beratung nicht stattgefunden haben kann.“
22
d) Dem entnimmt der Senat:
23
Auf der Grundlage zahlreicher vorangegangener Zwischenberatungen hat die Strafkammer das Urteil unmittelbar im Anschluss an die Hauptverhandlung noch am 31. Januar 2013 beraten und zu allen für ein Urteil maßgeblichen Gesichtspunkten („Umfang der Verurteilungen bzw. Freisprüche“; „die Strafen“) Ergebnisse gefunden. Der Umstand, dass unmittelbar vor der Urteilsverkün- dung die „zuvor gefundenen Ergebnisse nochmals evaluiert“ wurden, stellt nicht in Frage, dass hier die Entscheidung rechtzeitig und unter dem noch frischen Eindruck der soeben beendeten Hauptverhandlung getroffen wurde. Ist dies aber der Fall, so gefährdet allein die verspätete Verkündung des rechtzeitig beratenen Urteils den Bestand dieses Urteils nicht. Umstände des Einzelfalls, die eine andere Beurteilung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich.

24
3. Verfahrensrüge III
25
Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht die Frage, ob vorhandene Unterlagen als eine ausreichende Grundlage für die Einholung eines Sachverständigengutachtens geeignet sind, auch aufgrund eigener Sachkunde beantworten kann. Die Frage, ob aufgrund von Zahlen, die nur einen geringen Individualisierungsgrad aufweisen, beurteilt werden kann, ob diese von derselben Person geschrieben wurden, von der auch eine Unterschrift stammt, ist sehr einfach gelagert und von besonderen Umständen des Einzelfalles unabhängig. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Strafkammer diese Frage aufgrund eigener Sachkunde beurteilt hat, nachdem die Mitglieder der Strafkam- mer „in ihrer langjährigen beruflichen Tätigkeit bereits eine Vielzahl von graphologischen Gutachten eingeholt haben“.
26
4. Verfahrensrüge IV
27
Die Revision rügt die abgelehnte „Einholung eines graphologischen Sachverständigengutachtens“.
28
Dem liegt Folgendes zugrunde:
29
Ein Auftraggeber der Firma R. hatte ein Foto vorgelegt, auf dem vermerkt war, es sei der „GF“ (gemeint: Geschäftsführer) der Firma R. abgebildet, der an einem bestimmten Tag in den Räumlichkeiten des Auftraggebers gewesen sei.
30
Die Verteidigung hatte beantragt, ein Gutachten zu erheben, welches unter anderem beweisen solle, dass das Foto nicht in den Räumlichkeiten der Firma des Auftraggebers erstellt und nicht an dem angegebenen Tag gefertigt worden sei.
31
Die Strafkammer hat den Antrag unter anderem deshalb abgelehnt, weil ein Sachverständiger ohne weitere Unterlagen das exakte Datum der Herstellung des Fotos nicht feststellen könne. Die übrigen Themen des Beweisantrags könne es auch ohne sachverständigen Rat beurteilen.
32
Die Auffassung der Strafkammer, für das Gutachten fehlten hinsichtlich des Datums seiner Erstellung die erforderlichen Grundlagen, ist nicht zu beanstanden.
33
Die Auffassung der Revision, dies könne die Strafkammer ohne sachverständigen Rat nicht beurteilen, verdeutlicht keine Rechtsfehler. Insoweit gilt Vergleichbares wie hinsichtlich des graphologischen Gutachtens (s. unter II.3). Soweit die Revisionsbegründung darauf hinweist, der Sachverständige hätte anhand eines Abgleichs der Geschäftsräume einer Firma mit der Fotografie festgestellt, dass das Foto nicht in diesen Räumlichkeiten gefertigt worden ist, ist nicht ersichtlich, warum das Landgericht sich insoweit sachverständiger Hilfe hätte bedienen müssen. Darauf, dass das Revisionsvorbringen ergänzend auf eine Rüge „XY“ verweist, ohne dass anhand der Revisionsbegründung erkenn- bar ist, was damit gemeint sein könnte, kommt es daher nicht einmal mehr an.

34
5. Verfahrensrüge V
35
Die Revision wendet sich gegen die Zurückweisung eines Hilfsbeweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Zusammenhang mit den Pässen des Angeklagten. In den Urteilsgründen hat die Strafkammer diesen Antrag im Ergebnis auch wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen. Zugrunde liegt, dass die Strafkammer im Laufe der sich über etwa anderthalb Jahre hinziehenden Hauptverhandlung eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen gesetzt hatte. Dies ist grundsätzlich zulässig, auch kann gegebenenfalls ein Hilfsbeweisantrag in den Urteilsgründen wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen werden (vgl. grundlegend BGH, Beschluss vom 23. September 2008 – 1 StR 484/08). Ist in der genannten Fristsetzung dargelegt, dass bei Antragstellung nach Fristablauf der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert zu erklären hat, kann das Gericht dann, wenn dies unterblieben ist und auch sonst ein nachvollziehbarer Anlass für die verfristete Antragstellung nicht erkennbar ist (und die Aufklärungspflicht nicht zur Beweiserhebung drängt), grundsätzlich davon ausgehen, dass ein solcher Antrag allein zum Zwecke der Verfahrensverzögerung gestellt ist (BGH, aaO). Da die Strafkammer zur Annahme von Verschleppungsabsicht ausdrücklich auf die genannte Fristsetzung Bezug nimmt, und in einer solchen Entscheidung die Annahme von Verschleppungsabsicht bei Antragstellung nach Fristablauf in ihren Grundzügen darzulegen ist, wäre die genannte Entscheidung von der Revision mitzuteilen gewesen. Dies ist nicht geschehen. Gründe die dafür sprächen, dass den in Rede stehenden Anträgen im Blick auf die Aufklärungspflicht nachzugehen gewesen wäre, sind auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
36
6. Verfahrensrüge VI
37
Der Umfang einer Wahrunterstellung kann nicht über das hinausgehen, was äußerstenfalls anhand des Beweismittels festgestellt werden kann. Ist ein Konto auf einen bestimmten Namen eingerichtet, können die dieses Konto betreffenden Auszüge nur die Geldflüsse belegen, die über dieses Konto gelaufen sind. Die Wahrunterstellung, „dass von den Konten der Firma R. keine Geldüberweisungen auf Konten, die auf den Namen des Angeklagten A. lauten, getätigt wurden“, steht nicht im Widerspruch zu den Urteilsfeststellun- gen.
38
7. Verfahrensrüge VII
39
Gründe, wonach die Strafkammer sich - ausnahmsweise - zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen sachverständiger Hilfe hätte bedienen müssen, sind auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht zu erkennen.
40
8. Verfahrensrügen VIII und XIX
41
Eine weitere Rüge bezieht sich darauf, dass die Strafkammer nicht, wie von der Verteidigung im Rahmen eines Hilfsbeweisantrages beantragt, ein biometrisches Gutachten darüber eingeholt hat, dass der Angeklagte nicht mit der Person auf dem oben genannten Foto (Verfahrensrüge IV) identisch sei. Auch insoweit äußert sich die Revision nicht dazu, dass dieser Antrag auch wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen wurde. Es ist auch nicht erkennbar , warum die Strafkammer nicht in der Lage sein sollte, zu beurteilen, ob die auf einen von ihr als ergiebig bewerteten Foto abgebildete Person mit einer Person identisch ist, die sie über etwa 60 Verhandlungstage persönlich in der Hauptverhandlung gesehen hat. Der Umstand, dass, wie in einer weiteren Rüge (XIX) geltend gemacht wird, ein von der Strafkammer verlesenes Gutachten des Bundeskriminalamts zu dem Ergebnis kommt, die auf verschiedenen Fotos abgebildete Person, sei „wahrscheinlich“ der Angeklagte oder die festgestellten Ähnlichkeiten würden auf ihn hindeuten, stellt dies nicht in Frage.
42
9. Verfahrensrüge IX
43
Unter Bezugnahme auf den in den Urteilsgründen festgestellten Inhalt einer beim Angeklagten sichergestellten SIM-Karte wird gerügt, die Strafkammer hätte über diese SIM-Karte näheren Beweis erheben müssen, da „nach dem Bericht über die Datensicherung im Amt vom 8. Februar 2011 lediglich die Mobilfunknummer des B. [nicht aber, wie es in den Urteilsgründen heißt, auch von zwei hier mitabgeurteilten Tätern] gespeichert war“. Dies, so führt die Revision aus, ergebe sich aus einem beigefügten Bericht. Der beigefügte Bericht über die Auswertung einer SIM-Karte ergibt jedoch weder, dass es sich um eine SIM-Karte handelt, die am 6. Oktober 2010 sichergestellt wurde , noch ergibt sich aus ihm ein sonstiger Bezug zum Angeklagten A. . Auf dieser Grundlage kann der Senat, ohne dass es auf Weiteres ankäme, nicht erkennen, dass sich die nach Auffassung der Revision für erforderlich gehaltene weitere Beweiserhebung dem Landgericht hätte aufdrängen müssen.
44
10. Verfahrensrüge X
45
Der Zeuge G. hatte gegenüber dem Zollbeamten H. erklärt, er erkenne den Angeklagten auf Lichtbildern als denjenigen wieder, der unter dem Namen R. in seiner Anwesenheit einen Mietvertrag abgeschlossen hatte.
In der Hauptverhandlung hatte der Zeuge dies abgeschwächt, jedoch angegeben , dass der Angeklagte ihm bekannt vorkomme. Die Strafkammer hatte keinen Zweifel an der Richtigkeit des Inhalts der ursprünglichen Angaben des Zeugen G. gegenüber dem Zeugen H. . Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund sich der Strafkammer unter diesen Umständen die Annahme aufdrängen sollte, die bei Vertragsunterzeichnung ebenfalls anwesende Ehefrau des Zeugen G. werde nunmehr in Abweichung ihrer ursprünglichen Aussage gegenüber dem Zeugen H. erklären, dass es sich bei dem Angeklagten nicht um denjenigen handele, der unter dem Namen R. den Mietvertrag abgeschlossen habe. Darauf, dass das Vorbringen der Revision, die Zeugin werde die Aussage ihres Mannes bestätigen, dass es sich bei dem Angeklagten nicht um die unter dem Namen R. auftretende Person gehandelt habe, die Angaben des Zeugen G. unzutreffend wiedergibt, kommt es daher nicht mehr an.
46
11. Verfahrensrüge XI
47
Die Revision macht geltend, die Strafkammer hätte einen näher bezeichneten Bankangestellten zum Beweis der Tatsache vernehmen müssen, dass der Angeklagte nicht derjenige war, der unter dem Namen T. R. ein Konto eröffnete und später dort Barabhebungen vorgenommen hat. Dies, so die Revision, hätte sich aufgedrängt, weil nach dem Akteninhalt der Bankangestellte mit dem angeblichen R. in diesen Angelegenheiten persönlichen Kontakt gehabt habe. Die Revision verkennt, dass die Aufklärungspflicht nicht schon dann verletzt ist, wenn zusätzliche Beweiserhebungen möglich gewesen wären, sondern erst dann, wenn sich dem Gericht die Annahme aufdrängen muss, dass die zusätzlichen Beweiserhebungen das bisherige Beweisergebnis in Frage stellen könnten. Allein die ohne weitere Begrün- dung aufgestellte Behauptung, die Beweiserhebung hätte ein derartiges Ergebnis erbracht, kann den erforderlichen Vortrag dazu, warum sich die Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, nicht ersetzen.
48
12. Verfahrensrüge XII
49
Die Revision meint, Feststellungen der Strafkammer zum Inhalt einer zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Telefonüberwachung (der Angeklagte habe auf überwiegend serbokroatisch mit anderen Angeklagten telefoniert) könnten nicht zutreffen, dementsprechend könnten sie nicht auf dem Ergebnis der Hauptverhandlung beruhen. Über das Ergebnis eines Augenscheins - hierunter fällt auch das Abhören eines Tonbands (BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11 mwN) - hat jedoch allein der Tatrichter zu befinden. Es unterliegt auch bei entsprechender Verfahrensrüge nicht der Überprüfung durch das Revisionsgericht (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78).
50
13. Verfahrensrüge XIII
51
Die Rüge bezüglich der entgegen § 250 StPO erfolgten Verlesung einer Urkunde anstelle der Vernehmung ihres Verfassers – sie betrifft eine Feststellung zu den Taten, zu denen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat – versagt, weil dieselbe Feststellung auch auf Zeugenaussagen gestützt ist. Unter diesen Umständen hätte die Revision vortragen müssen, aus welchem Grund eine Vernehmung des von der Revision sowohl als Herr M. als auchHerr Ma. bezeichneten Zeugen die bisherigen Erkenntnisse in Frage gestellt hätte.

52
14. Verfahrensrüge XIV
53
Die Revision rügt, dass in der Hauptverhandlung aufgrund eines Beschlusses der Strafkammer Blatt 53 der Anklageschrift verlesen worden sei, wobei es sich um einen Teil des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen handelt. Zum prozessualen Hintergrund dieses Beschlusses äußert sich die Revision nicht, ebensowenig die (im Übrigen weitgehend sachgerechte) Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft. Die Revision macht geltend, wegen der Verlesung sei nicht auszuschließen, dass die Schöffen ihre Überzeugung nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft haben.
54
a) Die Möglichkeit eines Rechtsfehlers unter dem genannten Gesichtspunkt ist im Blick auf die Kenntnisnahme des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen durch die ehrenamtlichen Richter vor allem im Zusammenhang mit der Verlesung der Anklageschrift durch den Staatsanwalt erörtert worden (vgl. nur BGH, Urteil vom 2. Dezember 1986 – 1 StR 433/86; Kellnhofer in Radtke/Hohmann, StPO, § 243 Rn. 54). Ob die hierbei maßgeblichen Gesichtspunkte ohne Weiteres auf eine Fallgestaltung übertragbar sind, in der die Verlesung nicht im Zusammenhang mit der Verlesung der Anklageschrift durch den Staatsanwalt und damit noch vor der Beweisaufnahme, sondern – wie hier – als Teil der Beweisaufnahme erfolgt ist, versteht sich nicht von selbst. Die Gefahr einer subjektiven Vermischung von Beweisaufnahme mit sonstigem Verfahrensgeschehen bei den ehrenamtlichen Richtern besteht jedenfalls nicht, allenfalls die Gefahr einer unangemessenen Gewichtung eines Teils der Beweisaufnahme durch die ehrenamtlichen Richter.
55
b) Letztlich kann dies aber offen bleiben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden "durch ein einmaliges Verlesen ... auch Laienrichter regelmäßig nicht so stark beeindruckt, dass sie das wirkliche Ergebnis der Hauptverhandlung nicht mehr unbefangen in sich aufnehmen können" (BGH, Urteil vom 27. August 1968 - 1 StR 381/68; ebenso BGH, Urteil vom 2. Dezember 1986 – 1 StR 433/86). Dementsprechend ist maßgebend, ob sich das Verlesene nach Umfang, Inhalt und Aufbau ohne Weiteres durch bloßes Zuhören erfassen oder gar einprägen lässt; die Möglichkeit seiner überzeugungsbildenden Wirkung hängt auch von der Dauer der der Verlesung nachfolgenden Hauptverhandlung ab (BGH, aaO).
56
c) Der in Rede stehende Auszug aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen umfasst eine von insgesamt über 50 Seiten. Er verweist auf dort nicht mitgeteilte Aktenvermerke und Dokumente. Diese Verweisungen sind zwar inhaltlich sachgerecht, da das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen den Akteninhalt zusammenfasst, sie führen aber dazu, dass der in Rede stehende Auszug aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen für sich genommen nur schwer verständlich ist. Der Angeklagte ist in diesem Auszug nicht erwähnt, ebenso wenig die ihm zur Last gelegten Tatbeiträge. Nach der Verlesung fanden noch in einem Zeitraum von mehr als 15 Monaten über 50 Hauptverhandlungstage statt.
57
Ohne dass es auf Weiteres ankäme, ist die genannte überzeugungsbildende Wirkung der Verlesung hinsichtlich der Feststellungen, die der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegen, daher sicher auszuschließen.

58
15. Verfahrensrüge XV
59
Die Strafkammer hat einen Antrag auf Vernehmung von Arbeitnehmern der Firma R. dazu, ob der Angeklagte deren Geschäftsführer war, als Beweisermittlungsantrag bewertet. Diese Bewertung greift die Revision nicht an, sie meint aber, die Aufklärungspflicht hätte geboten, die Arbeitnehmer als Zeugen zu hören, da sie die auf das übrige Beweisergebnis gestützte Annahme , derjenige, der als R. aufgetreten sei, sei der Angeklagte gewesen, widerlegt hätten. Sie trägt jedoch nicht vor, warum sich der Strafkammer diese Annahme hätte aufdrängen müssen. Dies ist auch sonst nicht ersichtlich.
60
16. Verfahrensrüge XVI
61
Diese Ordnungsziffer ist in der Revisionsbegründung nicht enthalten.
62
17. Verfahrensrüge XVII
63
Das Vorbringen, aus einer Urkunde, wonach der Angeklagte in einem bestimmten Monat 108 Stunden gearbeitet habe, ergebe sich in Verbindung mit Überlegungen zu Routenplanern und mit weiteren Aussagen von Zeugen, dass der Angeklagte zu einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort im näheren Umkreis seines Aufenthaltsbereichs denknotwenig nicht gewesen sein könne, geht offenbar von der Auffassung aus, das Revisionsgericht nehme eine eigene Beweiswürdigung vor. Dies geht fehl, ohne dass dies näherer Erläuterung bedürfte.

64
18. Verfahrensrüge XVIII
65
Die Strafkammer führt im Rahmen der Beweiswürdigung aus, dass „Unternehmer , die sich … normtreu verhalten, nach Kenntnis der Mitglieder der Kammer eine Stundenvergütung zwischen € 30,- und € 50,-" berechnen. Die Revision macht geltend, es sei nicht ersichtlich, worauf diese Erkenntnisse beruhten , jedenfalls hätten sie eingeführt werden müssen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Es ist fraglich, ob es sich bei den Feststellungen zu typischem Verhalten normtreuer Unternehmer um mehr als den Beleg besonderer Sachkunde – zu einer typischerweise bei einer Wirtschaftsstrafkammer anfallenden Frage – handelt. Derartiges Spezialwissen oder seine Quellen brauchen in der Hauptverhandlung nicht erörtert zu werden. Wenn das Gericht sein Spezialwissen für seine Urteilsfindung nutzt, so handelt es sich dabei nicht um eine Beweiserhebung, zu der es die Verfahrensbeteiligten im Einzelnen anhören müsste (vgl. näher Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 69).
66
Selbst wenn man aber davon ausginge, dass die genannten Erkenntnisse ein in der Hauptverhandlung zu erörternder Erfahrungssatz wären (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. Februar 2012 – 1 StR 378/11 mwN), würde dies im Ergebnis den Bestand des Urteils nicht gefährden. Gegebenenfalls läge eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor. Bei der Überprüfung von dessen Folgen gelten nach Auffassung des Senats vergleichbare Grundsätze wie dann, wenn dem Urteil ohne vorangegangenen Hinweis ein rechtlicher Aspekt zugrunde gelegt ist, den der Angeklagte nicht erkennen konnte (Verstoß gegen § 265 StPO). Auch dann führt allein der Umstand, dass der Angeklagte keine Gelegenheit hatte, Anträge zu stellen oder Erklärungen abzugeben, nicht notwendig zur Aufhebung des Urteils. Dies ist vielmehr nur dann geboten, wenn für den Fall der Erteilung eines entsprechenden Hinweises ein Prozessverhalten des Angeklagten nicht auszuschließen ist, das den Bestand des Urteils hätte in Frage stellen können. Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor, wie der Generalbundesanwalt – im Ergebnis auch zu den ebenfalls auf den Schadensumfang bezogenen Ausführungen im Schriftsatz vom 10. Juli 2013 – im Einzelnen zutreffend dargelegt hat.

III.

67
Zur Sachrüge:
68
1. Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils führt zu einer Änderung des Schuldspruchs.
69
Die vom Angeklagten unterstützten Haupttäter wurden (bezogen auf die R. Ltd.) wegen jeweils zwölf Taten der Steuerhinterziehung und des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt, weil sie innerhalb des Jahres, in dem die R. Ltd. aktiv war, in jedem Monat ihre steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten verletzten. Die Unterstützungshandlungen des Angeklagten, insbesondere im Zusammenhang mit der Verschleierung der Verantwortlichkeit für die Gesellschaft, können nicht den auf den einzelnen Monat bezogenen Taten der Haupttäter zugeordnet werden. Auch bei den Geldabhebungen ist dies auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht klar möglich. Die fortlaufende Förderung der Taten stellt sich deshalb hier in einer Gesamtschau als nur eine – dauerhafte – Beihilfehandlung des Angeklagten zu den insgesamt 24 Haupttaten dar. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2006 – 1 StR 556/06); es ist ausgeschlossen, dass der Angeklagte, der jede Tatbeteiligung bestritten hat, sich im Falle eines Hinweises nach § 265 StPO erfolgversprechender als geschehen hätte verteidigen können.
70
2. Auch die vom Landgericht verhängte Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten (ausgehend von 18 Einzelfreiheitsstrafen zwischen neun Monaten und zwei Monaten Freiheitsstrafe und sechs Einzelgeldstrafen von je 20 Tagessätzen) kann als Einzelstrafe bestehen bleiben. Der Senat vermag auszuschließen, dass die Strafkammer bei Annahme nur einer Beihilfehandlung eine noch mildere Strafe verhängt hätte, zumal sie auch beim Angeklagten ausdrücklich bedacht hat, dass „es einen grundlegenden Tatentschluss gab, der dem gesamten Tatgeschehen vorgelagert war“. Denn die „Konkurrenzkorrektur“ bedeutet in aller Regel keine Verringerung des verwirklichten Tatun- rechts (vgl. BGH, aaO mwN).
71
Gründe, die hier eine andere Beurteilung veranlassten, oder sonstige Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Strafzumessung, ergeben sich weder aus dem Revisionsvorbringen, noch sind sie sonst ersichtlich. Ergänzend ist insoweit lediglich Folgendes zu bemerken:
72
Der Hinweis des Generalbundesanwalts auf die unterlassene Festsetzung der Tagessatzhöhe kann unter diesen Umständen ebenso auf sich beruhen wie die Ausführungen der Revision zu § 47 StGB.
73
Im Übrigen hat die Strafkammer die Dauer der Hauptverhandlung ausdrücklich zugunsten des Angeklagten strafmildernd berücksichtigt und dabei bedacht, dass er nur wegen eines geringen Teils der insgesamt zu verhandelnden Taten angeklagt war. Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen der Revision , das Gericht habe strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte „nur hinsichtlich der Taten betreffend die R. angeklagt war“, nicht nachzuvollziehen.
74
Auch das weitere Vorbringen der Revision deckt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf.
RiBGH Prof. Dr. Jäger ist urlaubsabwesend und daher an der Unterschrift gehindert. Wahl Rothfuß Wahl Radtke Mosbacher

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 234/13
vom
24. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juli 2013 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 31. Januar 2013 wird mit der Maßgabe verworfen, dass im Fall II. 1. der Urteilsgründe der Schuldspruch wegen tateinheitlichen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entfällt. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hinsichtlich eines Geldbetrages wurde erweiterter Verfall angeordnet.
2
Seine auf eine Verfahrensrüge und die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision führt zu einer Änderung des Schuldspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO), bleibt aber im Übrigen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Zur Verfahrensrüge:
4
Im Laufe der Hauptverhandlung kam es zu einer Verständigung (§ 257c StPO). Soweit die Revision geltend macht, dabei sei der Angeklagte "nicht in der nach § 257c Abs. 4 StPO gebotenen Weise belehrt worden", ist nicht erkennbar , was damit gemeint ist. § 257c Abs. 4 StPO begründet keine eigenständige Belehrungspflicht. Soweit die Revision geltend macht, darüber hinaus ("ebenfalls") sei auch die gemäß § 257c Abs. 5 StPO gebotene Belehrung (über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach § 257c Abs. 4 StPO) unterblieben, trifft ihr Vortrag zu.
5
Auch wenn häufig ein Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensfehler bei verfassungskonformer Gewichtung dieses Mangels nicht auszuschließen sein wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2883/10 u.a.), bleibt die Rüge hier erfolglos:
6
a) Nachdem der Angeklagte im Rahmen der zunächst angestrebten Verständigung eine Erklärung abgegeben hatte, wurde die Sitzung unterbrochen. Nach Wiedereintritt gab der Vorsitzende ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung folgendes bekannt:
7
"Der Vorsitzende gibt den rechtlichen Hinweis, dass die Kammer nicht von einem Geständnis gemäß der Verfahrensabsprache ausgeht und dass damit die Verfahrensabsprache gegenstandslos ist. Alle Beteiligten, insbesondere die ehrenamtlichen Richter, wurden darauf hingewiesen, dass die Einlassung des Angeklagten S. damit nicht als verwertbar anzusehen ist …".
8
Zu einer Verfahrensabsprache kam es im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr. Die Verteidigerin gab jedoch für den Angeklagten eine von diesem ausdrücklich gebilligte Sacheinlassung ab. Zuvor hatte der Vorsitzende ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung - nochmals - Folgendes erklärt :
9
"Der Vorsitzende gab erneut die qualifizierte Belehrung dahingehend ab, dass er den Angeklagten S. darauf hinwies, dass das, was er bis jetzt gesagt habe, nicht verwertet werden kann …".
10
b) Diese beiden Hinweise sind in der Revisionsbegründung, mit der die Revision im Ergebnis vorträgt, die im Urteil berücksichtigte (zweite) Erklärung des Angeklagten beruhe darauf, dass er vor deren Abgabe im Rahmen der dann gescheiterten Absprache nicht ordnungsgemäß belehrt worden sei, verschwiegen.
11
Damit ist die Revision ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, auch solche Umstände vorzutragen, die ihrem Vorbringen erkennbar zuwider laufen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 1994 - 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218, 240).
12
Selbst wenn man aber davon ausginge, dass sich unmittelbar im Anschluss an die Revisionsbegründung deshalb nochmals das gesamte Urteil und das gesamte Hauptverhandlungsprotokoll einschließlich aller Anlagen in der Akte befinden (SA Bd. 9 Bl. 3611-3715), würde dies nicht zur Annahme eines ordnungsgemäßen Revisionsvortrags führen, weil diese Unterlagen - dann jedenfalls ohne Hinweis in der Revisionsbegründung - der Revisionsbegründung unkommentiert beigefügt gewesen waren (vgl. zusammenfassend Kuckein in KK-StPO, 6. Aufl., § 344 Rn. 39 mwN).
13
c) Unabhängig davon ist aber auch ausgeschlossen, dass das Urteil darauf beruhen kann, dass die allein verwertete Angabe des Angeklagten, die er abgegeben hat, nachdem er mehrfach über die Unverwertbarkeit der früheren Aussage belehrt worden war, davon beeinflusst worden sein kann, dass er vor Abgabe der nicht verwerteten Aussage nicht ordnungsgemäß belehrt worden war.
14
2. Hinsichtlich der Änderung des Schuldspruchs verweist der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts. Ebenso nimmt der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug, soweit dieser darlegt, dass und warum ein Einfluss dieser Änderung auf den Strafausspruch ausgeschlossen ist.
15
Auch sonst sind den Angeklagten beschwerende Rechtsfehler nicht ersichtlich.
16
3. Der geringe Teilerfolg der Revision gibt zu einer Entscheidung gemäß § 473 Abs. 4 StPO keine Veranlassung. Wahl Graf Jäger Radtke Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 1 4 0 / 1 4
vom
10. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 28. Oktober 2013 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln in dreizehn Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit einer Verfahrensrüge gegen den Teilfreispruch. Daneben beanstandet sie mit der Sachrüge die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts. Das vom Generalbundesanwalt bezüglich des Angriffs gegen den Teilfreispruch vertretene Rechtsmittel bleibt insgesamt ohne Erfolg.
2
Nach den Feststellungen kaufte der Angeklagte von Januar bis März 2013 bei dem früheren Mitangeklagten J. in insgesamt dreizehn Fällen zwischen zwei und fünfzehn Gramm Marihuana überwiegend zum Eigenkonsum.
3
Mit der Anklage war ihm darüber hinaus zur Last gelegt worden, dem J. zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Beihilfe geleistet zu haben, indem er diesem die von ihm selbst angemietete Wohnung im Hause F. straße in M. als Drogenbunker zur Verfügung gestellt habe. Von diesem Vorwurf hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen und zur Begründung ausgeführt, zu den in der genannten Wohnung sichergestellten Betäubungsmitteln und sonstigen Gegenständen hätten keine Feststellungen getroffen werden können. Insoweit bestehe ein Beweisverwertungsverbot , das auch die polizeilichen Einlassungen des Angeklagten und J. s umfasse.
4
I. Die Staatsanwaltschaft wendet sich gegen den freisprechenden Teil des Urteils mit der Beanstandung, das Landgericht habe mehrere Beweisanträge zu Unrecht zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 StPO). Die Rüge dringt nicht durch, denn sie ist nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
5
1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
6
Die Staatsanwaltschaft hat die Vernehmung mehrerer Polizeibeamter, welche die Wohnung des Angeklagten durchsucht und danach den Angeklagten sowie J. vernommen haben, und die Verlesung eines Wirkstoffgutachtens des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen zum Beweis dessen beantragt , was bei der Durchsuchung sichergestellt und in den anschließenden Vernehmungen angegeben wurde. Das Landgericht hat diese Anträge durch Beschluss mit der Begründung abgelehnt, die begehrte Beweiserhebung sei unzulässig (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO).
7
2. Die Beschwerdeführerin hat mit ihrer Revisionsbegründung lediglich die Beweisanträge und den diese zurückweisenden Beschluss des Landgerichts mitgeteilt. Dies genügt hier den sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen nicht.
8
a) Die Fehlerhaftigkeit des die Beweisanträge zurückweisenden Beschlusses ergibt sich nicht bereits allein aus dessen Begründung, so dass die Vorlage weiteren Verfahrensstoffes durch den Revisionsführer nicht bereits aus diesem Grunde entbehrlich ist.
9
aa) Das Landgericht hat ein Beweisverwertungsverbot angenommen und auf dieser Grundlage zutreffend die beantragte Beweiserhebung als unzulässig im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO bewertet (BGH, Urteil vom 29. April 2010 - 3 StR 63/10 juris Rn. 10).
10
bb) Der Umfang der Beschlussbegründung ist nicht zu beanstanden.
11
Die Begründung des Beschlusses, mit dem ein Beweisantrag zurückgewiesen wird, soll zum einen den Antragsteller davon unterrichten, wie das Gericht das Begehren beurteilt, damit er in der Lage ist, sich auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Antragsablehnung entstanden ist. Zum anderen soll dem Revisionsgericht die rechtliche Überprüfung der Ablehnung ermöglicht werden (st. Rspr.; vgl. etwa Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 41a mwN). Dies gilt auch im Rahmen des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO (aA möglicherweise noch Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 5. Aufl., S. 760, wonach ein "kurzer Hinweis" genüge; vgl. hierzu LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 201).
12
Dem wird der Beschluss des Landgerichts gerecht. Die Strafkammer hat ausgeführt, die Beweismittel beruhten auf dem Ergebnis der ohne die erforderliche richterliche Anordnung durchgeführten Wohnungsdurchsuchung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe kein Grund zu der Annahme bestanden , es liege Gefahr im Verzug vor. Aufgrund der willkürlichen, bewussten und groben Missachtung des Richtervorbehalts bestehe hinsichtlich der gewonnenen Beweismittel ein Verwertungsverbot. Dieses betreffe sowohl die bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel als auch die auf Vorhalt der Durchsuchungsergebnisse ohne "qualifizierte" Belehrung gegenüber den Vernehmungsbeamten gemachten Angaben. Damit war für die Verfahrensbeteiligten ausreichend erkennbar, aus welchen Gründen das Tatgericht die begehrte Beweiserhebung für unzulässig hielt. Sie konnten ihr weiteres Prozessverhalten darauf einstellen und insbesondere auch erwägen, weitere (Beweis-)Anträge zu den Umständen der Wohnungsdurchsuchung zu stellen. Zur angemessenen Wahrung ihrer Rechte war es insbesondere nicht erforderlich, dass das Landgericht die nach seiner Auffassung zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes führende Würdigung des Verfahrensstoffes im Einzelnen darlegte. Dies war auch nicht nötig, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen, denn das Revisionsgericht hat zu der Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, - anders als bei der revisionsrechtlichen Überprüfung der im Wege des Strengbeweises gewonnenen Umstände, auf deren Grundlage das Tatgericht über den Schuldspruch und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen zu entscheiden hat - nicht lediglich diese Würdigung auf Rechtsfehler zu überprüfen, sondern selbst im Wege des Freibeweises festzustellen, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1978 - 2 StR 334/77, NJW 1978, 1390; aA LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 32).
13
b) Gemäß den danach geltenden allgemeinen Grundsätzen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein an Hand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und - in der Regel durch wörtliche Zitate oder eingefügte Abschriften oder Ablichtungen - zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen. Rügt der Beschwerdeführer die rechtsfehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen, so muss er, sofern sich die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses nicht schon aus dessen Begründung ergibt, neben der Mitteilung von Antragswortlaut und Ablehnungsbegründung diejenigen weiteren Tatsachen darlegen, aus denen die Fehlerhaftigkeit des Ablehnungsbeschlusses folgt. Zum notwendigen vollständigen Rügevortrag kann es deshalb erforderlich sein, Einzelheiten des Verfahrensablaufs mitzuteilen (st. Rspr.; vgl. etwa LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 372 ff.; KK-Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 ff., jeweils m. zahlr. w. N.).
14
Diesen Vorgaben ist die Beschwerdeführerin mit der Vorlage allein der Beweisanträge und des diese zurückweisenden Gerichtsbeschlusses nicht nachgekommen. Dem Senat ist es nicht möglich, auf dieser Grundlage die erforderliche eigene umfassende Überprüfung des Verfahrens im Hinblick auf den behaupteten Rechtsfehler vorzunehmen. Dies beruht auf folgenden Erwägungen :
15
Der beanstandete Beschluss ist dann rechtsfehlerfrei, wenn die Ergebnisse der Wohnungsdurchsuchung sowie die Angaben des Angeklagten und des J. einem Beweisverwertungsverbot unterlagen. Deshalb ist zunächst zu beurteilen, ob die Beweisgewinnung rechtsfehlerhaft war. Dies erfordert hier die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Annahme von Gefahr im Verzug vorlagen mit der Folge, dass eine richterliche Anordnung der Ermittlungsmaßnahme entbehrlich war (§ 105 Abs. 1 StPO). Das setzt voraus, dass die richterliche Anordnung nicht eingeholt werden konnte, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wurde, etwa weil der Verlust der Beweismittel drohte (BGH, Beschluss vom 11. August 2005 - 5 StR 200/05, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 6; Beschluss vom 19. Januar 2010 - 3 StR 530/09, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Gefahr im Verzug 1). War die Beweisgewinnung rechtswidrig, ist sodann zu prüfen, ob hieraus im konkreten Fall ein Beweisverwertungsverbot folgt. Dies ist nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Bedeutsam ist dabei vor allem das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, NStZ 2011, 103, 104 Rn. 42 ff.; BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 87; Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 117/12, BGHSt 58, 84, 96; für den Fall einer rechtsfehlerhaften Durchsuchung vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 455/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4; Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 7; Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8). Schließlich ist gegebenenfalls zu entscheiden, wie weit das möglicherweise vorliegende Beweisverwertungsverbot reicht. Dafür könnte hier etwa von Bedeutung sein, ob die Durchsuchungsergebnisse dem Angeklagten und dem J. bei deren polizeilichen Vernehmung vorgehalten wordensind und dieser Vorhalt im Zusammenhang mit ihren Einlassungen steht, diese mithin von der rechtswidrigen Maßnahme unmittelbar beeinflusst worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. August 1987 - 4 StR 333/87, BGHSt 35, 32, 34). In diesem Fall würde der Annahme eines Verwertungsverbots bezüglich der polizeilichen Einlassung der Beschluss des Senats vom 16. Oktober 2007 (3 StR 413/07) nicht entgegen stehen; denn dieser betraf die Verwertbarkeit einer geständigen Einlassung, die der Angeklagte in der Hauptverhandlung abgegeben hatte und damit einen sich von der hiesigen Fallgestaltung wesentlich unterscheidenden Sachverhalt.
16
All diese Gesichtspunkte können vom Senat ohne Kenntnis des die durchgeführte Durchsuchung und die anschließenden Vernehmungen betreffenden Akteninhalts nicht bewertet werden. So ist etwa der Inhalt der anlässlich der Durchsuchung gefertigten polizeilichen Vermerke sowohl für die Annahme von Gefahr im Verzug als auch für die Beurteilung des Gewichts eines eventuellen Verfahrensverstoßes von wesentlicher Bedeutung.
17
c) Der Vortrag des maßgebenden Verfahrensstoffs durch die Revisionsführerin war auch nicht deshalb entbehrlich, weil sie auch die Sachrüge erhoben und das Landgericht im Rahmen seiner schriftlichen Urteilsgründe nähere Ausführungen zu dem nach seiner Ansicht bestehenden Beweisverwertungsverbot gemacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 - 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 204 f.; KK-Gericke, aaO, § 344 Rn. 39 mwN). Denn den vorliegenden Urteilsgründen können die maßgebenden Verfahrensvorgänge jedenfalls nicht mit der erforderlichen Klarheit entnommen werden. Das Landgericht hat lediglich die von ihm für wesentlich erachteten Beweisergebnisse dargestellt und in erster Linie unter deren Würdigung seine Auffassung begründet, es liege ein Beweisverwertungsverbot vor. Der Senat hat indes - wie dargelegt - als Revisionsgericht eine eigene freibeweisliche Würdigung vorzunehmen. Hierzu ist im vorliegenden Fall aus den dargelegten Gründen die Kenntnisnahme des maßgebenden Akteninhalts durch ihn selbst unerlässlich; diese kann nicht durch die Darstellung vom Landgericht ausgewählter Teile ersetzt werden. Auch der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift auf bestimmte, die Vernehmungen betreffende tatsächliche Umstände abgestellt, die dem Senat weder im Revisionsverfahren zur Kenntnis gebracht worden sind noch sich aus den schriftlichen Urteilsgründen ergeben (s. etwa Antragsschrift S. 8).
18
II. Bezüglich der Sachrüge, mit der die Revision die Strafzumessung angreift und dabei eine Verletzung des § 46 StGB geltend macht, ist das Rechtsmittel aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend ausgeführten Erwägungen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Becker Schäfer Mayer RiBGH Gericke befindet sich Spaniol im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens

1.
einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, oder
2.
ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze.

(2) Ebenso wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr einem Angestellten oder Beauftragten eines Unternehmens

1.
einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen ihn oder einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, oder
2.
ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 532/12
vom
10. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Untreue
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
27. Juni 2013, in der Sitzung am 10. Juli 2013, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 27. Juni 2013 -
als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwältin und
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 27. Juni 2013 -
als Verteidiger des Angeklagten M. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 29. Februar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
Die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Untreue in drei Fällen jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf mehrere Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revisionen. Mit auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen beanstandet die Staatsanwaltschaft die unterbliebene tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in zwei Fällen.
2
Die Revisionen der Angeklagten führen auf eine Verfahrensrüge zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft bleiben ohne Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Die Angeklagten waren im Hochseeschleppergeschäft tätig und betrieben ab dem Jahr 2005 den Bau der drei Hochseeschlepper T. , J. und U. . Eigentümerinnen der Schlepper sollten sog. Einschiffsgesellschaften - jeweils in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG - werden, die als Publikumsgesellschaften konzipiert waren. In Umsetzung dieses Vorhabens erwarben die Angeklagten Vorratsgesellschaften, die aufgrund von Gesellschaftsverträgen vom 4. März 2005 in die T. GmbH & Co. KG sowie vom 26. September 2005 in die J. GmbH & Co. KG bzw. die U. GmbH & Co. KG umfirmiert wurden. Die Angeklagten waren Geschäftsführer und - neben anderen - Mitgesellschafter der am 10. März 2005 gegründeten, in allen drei Einschiffsgesellschaften als Komplementärin fungierenden AHT GmbH und zugleich als Kommanditisten an den Einschiffsgesellschaften beteiligt.
5
Bereits am 5. Januar 2005 - „noch im Gründungsstadium und vor Beitritt weiterer Gesellschafter“- hatte die „ T. GmbH & Co. KG in Gründung“- vertreten durch die H. GmbH, deren Geschäftsführer und alleinige Gesellschafter die Angeklagten waren - einen Vertrag über den Bau des Hochseeschleppers T. mit einem Konsortium bestehend aus der M. w. GmbH und der M. AG abgeschlossen. Am 10. August 2005 folgten die Vertragsabschlüsse der „ J. GmbH & Co. KG in Gründung“ bzw. der „ U. GmbH & Co. KG in Gründung“ mit dem Konsortium hinsichtlich der Schlepper J. und U. .
6
Den Vertragsabschlüssen waren Ende des Jahres 2004 Gespräche der Angeklagten mit dem früheren Mitangeklagten E. vorausgegangen, der bei der M. AG als Leiter der Abteilung „… “ für den Bau von Hochseeschleppern und Tankern zuständig war. Dabei waren die Angeklagten und E. übereingekommen, dass als Gegenleistung für die Erteilung der Bauaufträge an jeden der beiden Angeklagten 750.000 € je Schiff fließen sollten. E. sollte 500.000 € je Schiff für die organisatorische Umsetzung der Vereinbarung erhalten. Mittels dieser Vereinbarung gelang es E. , die Aufträge über den Bau der Schlepper für das Konsortium zu sichern und potentielle Konkurrenten für die Herstellung der Schiffe auszustechen.
7
Um der Vereinbarung einen unverfänglichen Anstrich zu geben, schlossen die Angeklagten mit dem Konsortium M. w. GmbH / M. AG mehrere „Memoranda of Understanding“, die auf Seiten des Konsortiums von E. unterzeichnet wurden, obwohl er nicht über eine Einzelvertretungsbefugnis für das Konsortium verfügte. Inhalt der „Memoranda of Under- standing“ war zum einen die Verpflichtung desKonsortiums zur Zahlung von 750.000 € je Schiff - deklariert als „owner’s discount“ - an jeden der beiden An- geklagten. Zum anderen sollte die M. w. GmbH nach Abschluss ei- nes „finder’s fee agreement“ 500.000 €je Schiff an ein zwischengeschaltetes Unternehmen zahlen, das den Betrag nach Abzug einer Provision in Höhe von 25.000 € an E. weiterleiten sollte.
8
In Umsetzung der Vereinbarung wurden in die internen Kostenkalkulationen des Konsortiums für die Herstellung der Schlepper Leerpositionen aufgenommen bzw. reale Positionen gezielt zu hoch angesetzt und so der Betrag von 2 Mio. € je Schiff, der an die Angeklagten und E. fließen sollte, auf den von den Einschiffsgesellschaften zu zahlenden Werklohn aufgeschlagen.
9
Bei Errichtung der Gesellschaftsverträge der Einschiffsgesellschaften am 4. März 2005 bzw. 26. September 2005 ließen sich die Angeklagten die zuvor abgeschlossenen Schiffsbauverträge von den (übrigen) Gesellschaftern der jeweiligen Kommanditgesellschaft genehmigen, ohne diesen gegenüber die mit E. getroffene Schmiergeldabrede offengelegt zu haben.
10
Kurz vor Fertigstellung der Schlepper T. im April 2007 sowie J. im Oktober 2007 und U. im April 2008 wurden die vereinbarten Beträge von den Angeklagten bzw. für E. gegenüber der M. w. GmbH in Rechnung gestellt und von dieser auch beglichen.
11
Weder durch die Angeklagten noch durch E. waren Leistungen an die Einschiffsgesellschaften oder an das Konsortium erbracht worden, die diese Zahlungen rechtfertigten. Die Angeklagten verwendeten die ihnen zugeflossenen Beträge zur Leistung ihrer Kommanditeinlagen in die Einschiffsgesellschaften.
12
Der gesamte Werklohn einschließlich des darin enthaltenen Schmiergeldanteils von 2 Mio. € pro Schiff wurde nach Übergabe der Schlepper im Auftrag der Angeklagten von der jeweiligen Einschiffsgesellschaft an die M. AG zur Auszahlung gebracht.
13
Im Zeitpunkt der Fertigstellung der Schlepper und Zahlung des Werklohns hielten die Angeklagten sowie die von ihnen als Geschäftsführer der Komplementär-GmbHvertretene T. H. GmbH & Co. KG insgesamt 65 % der Kommanditanteile der jeweiligen Einschiffsgesellschaft , die verbleibenden 35 % der Anteile hielten angeworbene Kommanditisten. Die Komplementärin der Einschiffsgesellschaften, die AHT GmbH, deren Geschäftsführer und - neben anderen - Mitgesellschafter die Angeklagten waren, war weder am Vermögen noch am Gewinn und Verlust der Einschiffsgesellschaft beteiligt, für die Kommanditisten war eine Gewinn - und Verlustbeteiligung im Verhältnis ihrer Einlage vereinbart.
14
2. Das Landgericht hat das Geschehen als Untreue in drei Fällen gewertet (Fall 3.2.2. T. , Fall 3.2.3. J. , Fall 3.2.4. U. ). Den Vermögensnachteil i.S.v. § 266 StGB hat es darin gesehen, dass die drei Einschiffsgesellschaften auf Veranlassung der Angeklagten den Werklohn für die Schlepper T. , J. und U. jeweils in voller Höhe an das Konsortium auszahlten, obwohl die zugrunde liegenden Verträge im Hinblick auf die Schmiergeldabrede in einem Umfang von 2 Mio. € sittenwidrig i.S.v. § 138 BGB und damit teilnichtig gewesen seien. Einen Vermögensnachteil hat das Landgericht nur angenommen, soweit die Kommanditanteile der angeworbenen Kommanditisten betroffen waren, und hat diesen unter Zugrundelegung der festgestellten Beteiligungsquote von 35 % auf 700.000 € je Schiff beziffert.
15
3. Eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 StGB hat das Landgericht mit der Begründung verneint, die Angeklagten seien zu keinem Zeitpunkt Angestellte oder Beauftragte der jeweiligen Einschiffsgesellschaften oder deren Komplementär-GmbH gewesen und damit als Betriebsinhaber keine tauglichen Täter.

II.

16
Die Revisionen der Angeklagten haben bereits mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
17
Die Angeklagten beanstanden zu Recht, das Landgericht habe in seine Beweiswürdigung eine nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführte Urkunde einbezogen und damit seine Überzeugung von der Schuld der Angeklagten unter Verstoß gegen § 261 StPO nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft.
18
1. Das Landgericht stützt seine Überzeugung von dem „Schmiergeldcha- rakter“ der Zahlungenan die Angeklagten, denen keine von den Angeklagten erbrachten vergütungsfähigen Leistungen zugrunde lagen, auch auf den mit dem Finanzamt H. im Zusammenhang mit einem Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft geführten Schriftverkehr, der jedoch nur teilweise ordnungsgemäß zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurde.
19
Zwar wurde ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls in der Sitzung vom 17. Januar 2012 das Antragsschreiben der Wirtschaftsprüfungs- u. Steuerberatungsgesellschaft vom 1. Dezember 2005 verlesen (Blatt 1848 der Sachakten). Darin wurde dem Finanzamt H. als Grundlage seiner Entscheidung über die Erteilung der verbindlichen Auskunft u.a. mitgeteilt, dass die Konzeption und die Bauaufsicht des bestellten Schiffs Teil der Bereederungstätigkeit seien, zu der sich die T. H. GmbH & Co. KG vertraglich gegenüber der Einschiffsgesellschaft verpflichtet habe, und dass diese Tätigkeit nach dem Willen der Beteiligten einen Wert von 500.000 € darstelle. Darüber hinaus werde durch die Werft an die Angeklagten als Gesellschafter jeweils ein Betrag von 500.000 € als Provision bezahlt (UA S. 50). In die Beweiswürdigung hat das Landgericht unter auszugsweiser Wiedergabe im Wortlaut und unter Bezugnahme auf die konkrete Aktenfundstelle jedoch auch das Antwortschreiben des Finanzamts H. vom 6. Dezember 2005 einbezogen. Darin unterscheide das Finanzamt entsprechend den Darstellungen im Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft zwischen den Themenkomplexen Vergütung für Bauaufsicht und Konzeption an den Vertragsreeder einerseits sowie Provisionszahlungen an die Angeklagten andererseits, für die nach dem Wortlaut des Antwortschreibens „eine Leistung seitens dieser Beteiligten (d.h. der Angeklagten) an die Werft nicht vorliege“ (UA S. 51).
20
2. In der Einbeziehung der Urkunde in die Beweiswürdigung liegt ein Verstoß gegen § 261 StPO, wonach die Überzeugungsbildung des Tatgerichts aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen ist.
21
a) Eine förmliche Verlesung des Antwortschreibens des Finanzamts H. vom 6. Dezember 2005 gemäß § 249 Abs. 1 StPO erfolgte nicht, wie insoweit durch das Schweigen des Hauptverhandlungsprotokolls belegt wird (vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2000 - 2 StR 190/00, NStZ-RR 2001, 18 f. mwN). Ein Verstoß gegen § 261 StPO wäre ungeachtet dessen aber nur dann bewiesen, wenn auszuschließen wäre, dass der Inhalt des Schriftstücks in anderer zulässiger Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurde (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 - 2 StR 111/01). Von einem Ausschluss einer anderweitigen Einführung des herangezogenen Beweismittels ist vorliegend auszugehen.
22
b) Die Angeklagten haben mit ihren Revisionen vorgetragen, der Inhalt der Urkunde sei auch nicht in sonstiger prozessordnungsgemäßer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1990 - 3 StR 314/89, BGHR StPO § 344 Abs. 2 S. 2 Urkunden 1; BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2005 - 2 BvR 656/99 u.a., NJW 2005, 1999, 2001 f. mwN), und haben sich dabei mit allen naheliegenden Möglichkeiten der Einführung, insbesondere dem Vorhalt an die beiden als Zeugen gehörten Steuerberater, die das Antragsschreiben an das Finanzamt verfasst hatten, auseinandergesetzt.
23
Diesen Vortrag der Angeklagten sieht der Senat als erwiesen an. Die Staatsanwaltschaft ist dem Revisionsvorbringen in ihrer Gegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) nicht entgegengetreten, sondern hat den Revisionsvortrag hinsichtlich des Verfahrensablaufs ausdrücklich als richtig und vollständig bezeichnet. Auch das Tatgericht hat sich zu keiner dienstlichen Erklärung über einen anderen als den mit den Revisionen vorgetragenen Verfahrensablauf veranlasst gesehen. Für den Senat besteht angesichts dieser Umstände keine Veranlassung, die Richtigkeit des Revisionsvorbringens in tatsächlicher Hinsicht durch ihm an sich mögliche freibeweisliche Ermittlungen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 1998 - 1 StR 67/98, NStZ-RR 1999, 47; Urteil vom 13. Dezember 1967 - 2 StR 544/67, BGHSt 22, 26, 28; BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2005 - 2 BvR 656/99 u.a., NJW 2005, 1999, 2003) zu überprüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. August 2006 - 1 StR 293/06, NJW 2006, 3362, und vom 22. November 2001 - 1 StR 471/01, NStZ 2002, 275, 276).
24
3. Ein Beruhen des Urteils auf dieser Verletzung des § 261 StPO lässt sich nicht ausschließen. Die Angeklagten haben sich dahingehend eingelassen, die an sie geflossenen Beträge seien als Vergütung für die von ihnen übernommene Bauaufsicht sowie für Leistungen im Bereich von Konzeption und Design der Schlepper gezahlt worden. Das Landgericht hat diese Einlassung aufgrund einer Gesamtwürdigung für widerlegt erachtet und die geflossenen Beträge als Schmiergeldzahlungen angesehen. Dabei hat es als gewichtiges Indiz im Rahmen der Beweiswürdigung gewertet, dass nach der Beurteilung des Finanzamts H. anlässlich der Erteilung einer verbindlichen Auskunft in dem fraglichen Schreiben den Zahlungen an die Angeklagten keine Leistungen zugrunde lagen.
25
4. Dieser Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts. Eines Eingehens auf die weiteren erhobenen Rügen bedarf es daher nicht.

III.

26
Die vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Fälle 3.2.3. (J. ) und 3.2.4. (U. ) der Urteilsgründe beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft , mit denen die unterbliebene tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 Abs. 1 StGB beanstandet wird, bleiben ohne Erfolg.
27
Obwohl sich die Feststellungen des Tatgerichts zu den gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen bei Abschluss der Werkverträge hinsichtlich der Schlepper J. und U. am 10. August 2005 aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegten Gründen als in Teilen widersprüchlich erweisen, hat das Landgericht dennoch im Ergebnis zu Recht eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 Abs. 1 StGB verneint. Denn ungeachtet des sich auf die Bezeichnung der Komplementär-GmbH der in die Vorgänge eingebundenen Kommanditgesellschaften beziehenden Widerspruchs liegen die Voraussetzungen des § 299 Abs. 1 StGB auf der Grundlage der ansonsten umfassenden Feststellungen für die beiden Angeklagten nicht vor.
28
Zwar enthalten die Feststellungen Anhaltspunkte dafür, dass zu verschiedenen Zeitpunkten innerhalb des durch die verfahrensgegenständlichen Taten (§ 264 StPO) erfassten Sachverhalts ein Fordern, Sich-versprechenLassen oder Annehmen eines Vorteils und damit Verhaltensweisen seitens der Angeklagten vorlagen, die an sich als tatbestandsmäßiges Verhalten gemäß § 299 Abs. 1 StGB in Betracht kommen. Auch ist das Konsortium aus M. w. GmbH und M. AG gegenüber anderen Wettbewerbern bei der Vergabe der Aufträge für den Bau der Hochseeschlepper bevorzugt worden. Eine Strafbarkeit der Angeklagten scheidet jedoch aufgrund folgender Erwägungen aus:
29
1. Als die Angeklagten Ende des Jahres 2004 mit dem früheren Mitangeklagten E. die Vereinbarung über die Zahlung von 750.000 € je Schiff als Gegenleistung für die Auftragsvergabe an das Konsortium trafen und damit Vorteile forderten bzw. sich versprechen ließen, waren diese (noch) keine tauglichen Täter i.S.d. § 299 Abs. 1 StGB.
30
Der Tatbestand beschränkt den Täterkreis ausdrücklich auf Angestellte und Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes, so dass die Vorteilsannahme des Betriebsinhabers hinsichtlich seines eigenen Betriebes vom Tatbestand nicht erfasst wird (vgl. BGH, GrS, Beschluss vom 29. März 2012 - GSSt 2/11, BGHSt 57, 202, 211 mwN). Da der Tatbestand bereits mit dem Fordern, Sichversprechen -Lassen oder Annehmen des Vorteils vollendet ist (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 299 Rn. 21), muss die Stellung als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes und damit als tauglicher Täter des Sonderdelikts § 299 Abs. 1 StGB im Zeitpunkt der Tathandlung vorliegen.
31
Daran fehlt es hier. Als die Angeklagten Ende des Jahres 2004von E. als Gegenleistung für die später geplante Auftragsvergabe an das Konsortium einen Vorteil forderten bzw. sich von ihm versprechen ließen und damit mit diesem der Sache nach eine Unrechtsvereinbarung (dazu Rogall in SK-StGB, 8. Aufl. [Stand: März 2012], § 299 Rn. 56) schlossen, waren sie (noch) keine Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebs. Weder die später durch Umfirmierung aus den Vorratsgesellschaften hervorgegangenen Einschiffsgesellschaften noch die später als Komplementär-GmbH fungierende AHT GmbH existierten zu diesem Zeitpunkt. Die Angeklagten waren vielmehr als gemeinsam handelnde Alleingesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Betriebsinhaber (vgl. Fischer, aaO, § 299 Rn. 8a; Dannecker in NK-StGB, 4. Aufl., § 299 Rn. 27; Heine in Schönke /Schröder, StGB, 28. Aufl., § 299 Rn. 7) anzusehen.
32
Werden an sich unter die Tathandlungen des Forderns bzw. Sichversprechen -Lassens fassbare Verhaltensweisen vor der Begründung der erforderlichen Tätereigenschaft vorgenommen, handelt es sich nicht um straftatbestandsmäßiges Verhalten (vgl. Fischer, aaO, § 331 Rn. 24b zu der entsprechenden Konstellation bei § 331 StGB).
33
2. Auch unter dem Gesichtspunkt der zeitlich der Unrechtsvereinbarung und der Bevorzugung des Konsortiums durch Auftragsvergabe an dieses nachfolgenden Annahme eines Vorteils durch die Vereinnahmung der 750.000 € im Oktober 2007 für den Schlepper J. bzw. im April 2008 für den Schlepper U. ergibt sich keine Strafbarkeit der Angeklagten aus § 299 Abs. 1 StGB.
34
a) Zwar waren die Angeklagten entgegen der Auffassung des Landgerichts zum Zeitpunkt der Annahme des Vorteils als Geschäftsführer der Komplementärin AHT GmbH, an der neben den Angeklagten noch weitere Gesellschafter beteiligt waren, taugliche Täter des § 299 Abs. 1 StGB (vgl. Corsten, Einwilligung in die Untreue sowie in die Bestechlichkeit und Bestechung, 2011, S. 330 f.; anders für Fälle des geschäftsführenden Alleingesellschafters der Komplementär-GmbH Fischer, aaO, § 299 Rn. 8a; Heine in Schönke/Schröder, aaO, § 299 Rn. 7; Dannecker in NK-StGB, aaO, § 299 Rn. 21; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl., § 299 Rn. 10; Bürger wistra 2003, 130, 132).
35
b) § 299 Abs. 1 StGB setzt jedoch grundsätzlich eine Unrechtsvereinbarung dergestalt voraus, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine künftige unlautere Bevorzugung angenommen wird (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2010 - 2 StR 200/10, wistra 2010, 447). Daran fehlt es hier. Die Unrechtsvereinbarung mit E. schlossen die Angeklagten bereits Ende des Jahres 2004 (oben II.1.). Die Auftragsvergabe an das Konsortium schloss sich im Jahr 2005 an. Die von den Angeklagten im Oktober 2007 bzw. im April 2008 vereinnahmten Zahlungen stellen sich angesichts dieser zeitlichen Abläufe ausschließlich als Belohnung für in der Vergangenheit gewährte Bevorzugungen dar.
36
c) Die Annahme eines Vorteils für derartige in der Vergangenheit liegende Bevorzugungen wird nur dann ausnahmsweise von § 299 Abs. 1 StGB erfasst , wenn diese Bevorzugungen bereits Gegenstand einer Unrechtsvereinbarung waren (Fischer, aaO, § 299 Rn. 13; Rogall, aaO, § 299 Rn. 61; Momsen in Beck-OK/StGB, § 299 Rn. 13; Bannenberg, in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Aufl., 10. Kap. Rn. 100; zu den konkurrenzrechtlichen Verhältnissen vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2010 - 2 StR 200/10, wistra 2010, 447, 449; Urteil vom 13. Oktober 1994 - 1 StR 641/93, wistra 1995, 61). Dieser Ausnahmefall verlangt aber, dass die vorangegangene Unrechtsvereinbarung ihrerseits tatbestandsmäßig i.S.v. § 299 Abs. 1 StGB gewesen ist. Dementsprechend muss derjenige, der den Vorteil als Gegenleis- tung für die erfolgte Bevorzugung angenommen hat, bereits zum Zeitpunkt der früheren Unrechtsvereinbarung tauglicher Täter einer Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 1 StGB) sein. Die Unrechtsvereinbarung drückt das im Gesetz angelegte Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der durch den Vorteilsnehmer zu gewährenden Bevorzugung und dem vom Vorteilsgeber zuzuwendenden Vorteil aus. Angesichts der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Beschränkung des Kreises gemäß § 299 Abs. 1 StGB tauglicher Täter auf Angestellte und Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes kann auf das Vorliegen der Tätereigenschaft bereits im Zeitpunkt der Unrechtsvereinbarung grundsätzlich nicht verzichtet werden.
37
An der Tätereigenschaft der Angeklagten im Zeitpunkt der mit E. bereits Ende des Jahres 2004 getroffenen Abrede fehlte es jedoch.

IV.

38
Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
39
Soweit der neue Tatrichter wiederum zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den Zahlungen an die Angeklagten um Schmiergeldzahlungen handelte , denen keine vergütungsfähigen Leistungen der Angeklagten zugrunde lagen und dass dementsprechend der von den Einschiffsgesellschaften zu zahlende Werklohn zur Verschleierung dieser Schmiergeldzahlungen sowie der Zahlungen an E. überhöht angesetzt wurde, gibt der Senat bezüglich des Tatbestandsmerkmals des Vermögensnachteils gemäß § 266 StGB Folgendes zu bedenken:
40
1. In Fällen, in denen die Schmiergeldzahlungen zugunsten der Geschäftsführer durch Erhöhung der Zahlungsverpflichtungen auf die vertretene Gesellschaft verlagert werden, liegt ein strafrechtlich relevanter Vermögens- nachteil i.S.v. § 266 StGB regelmäßig bereits darin, dass der geleisteten Zahlung in Höhe des auf den Preis aufgeschlagenen Betrages, der lediglich der Finanzierung des Schmiergeldes dient, keine Gegenleistung gegenübersteht (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, BGHSt 50, 299, 314 mwN; Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 332 f. mwN). Sollte der neue Tatrichter zu der Einordnung der an die Angeklagten und den früheren Mitangeklagten E. geflossenen Zahlungen als Schmiergelder gelangen, würde nach dem vorstehend Ausgeführten die Vermögensminderung in Gestalt der Begleichung der Werklohnforderungen in ihrer jeweiligen Gesamthöhe seitens der Einschiffsgesellschaften nicht in vollem Umfang durch die Erlangung von Eigentum und Besitz an den Hochseeschleppern wirtschaftlich ausgeglichen.
41
Angesichts dessen käme es auf die zivilrechtliche Teilnichtigkeit der Verträge über die Herstellung der Hochseeschlepper, auf die das erste Tatgericht den Vermögensnachteil unter dem Aspekt des (teilweisen) Ausbleibens der Befreiung der Einschiffsgesellschaften von einer Verbindlichkeit gestützt hat, nicht an. Eine auf Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) gestützte Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit kann zwar eintreten, wenn ein aufgrund einer Schmiergeldabrede zustande gekommener Vertrag gerade wegen dieser Abrede zu einer für den Geschäftsherrn nachteiligen Vertragsgestaltung geführt hat (BGH, Urteil vom 6. Mai 1999 - VII ZR 132/07, BGHZ 141, 357, 361 mwN). Selbst wenn aber von zivilrechtlich wirksamen Verträgen auszugehen wäre, käme ein Vermögensnachteil aus dem im vorstehenden Absatz genannten Grund in Betracht.
42
2. a) Allerdings kann im Rahmen von § 266 StGB eine Schädigung des Vermögens einer Kommanditgesellschaft nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich zu einem straftatbestandsmäßigen Vermögensnachteil führen, als sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter „be- rührt“ (vgl. zuletzt BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 2012 - 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38 f. mwN, und vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733; siehe auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 266 Rn. 113; Schünemann in LKStGB , 12. Aufl., § 266 Rn. 262 f. jeweils mwN). Diese in der Strafrechtswissenschaft gelegentlich kritisierte (etwa Soyka, Untreue zum Nachteil von Personengesellschaften , 2008, S. 96 ff.; Grunst BB 2001, 1537, 1538; siehe auch Brand, Untreue und Bankrott in der KG und GmbH & Co. KG, 2010, S. 213 f., 331 f.) Rechtsprechung steht vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rechtsform von Personenhandelsgesellschaften wie der Kommanditgesellschaft einerseits sowie Kapitalgesellschaften als juristische Personen andererseits. Zwar ist die Kommanditgesellschaft eine rechtsfähige Personengesellschaft i.S.v. § 14 Abs. 2 BGB (siehe nur K. Schmidt, in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl., Band 2, § 105 Rn. 7; Oetker in Oetker, HGB, 3. Aufl., § 161 Rn. 3; siehe auch BGH, Urteil vom 29. Januar 2001 - II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 347), die gemäß § 124 Abs. 1 i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen kann. Die Rechtsfähigkeit der Kommanditgesellschaft in dem vorgenannten Sinne und die damit einhergehende zivilprozessuale Parteifähigkeit (§ 50 ZPO; siehe auch BGH, aaO, S. 348 ff.) bringen eine Rechtsstellung mit sich, die der Selbstständigkeit einer juristischen Person in weitem Umfang entsprechen mag (Koller in Koller/Roth/Morck, HGB, 7. Aufl., § 124 Rn. 1).
43
Dessen ungeachtet ist die Kommanditgesellschaft - anders als die Kapitalgesellschaften - aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerade keine juristische Person (BGH, aaO, S. 347; siehe auch BGH, Urteil vom 24. Januar 1990 - IV ZR 270/88, BGHZ 110, 127, 128; zustimmend etwa Oetker , aaO, § 161 Rn. 3 mwN; insoweit ebenso Brand, aaO, S. 137 f.; aA etwa Raiser AcP 199 [1999], S. 104 ff.; zum Ganzen auch K. Schmidt, Festschrift Beuthien, 2009, S. 211 ff., 223 f.). An diesen Unterschied knüpft die von den Strafsenaten vorgenommene Auslegung des Vermögensnachteils im Sinne von § 266 StGB bei vermögenschädigendem Verhalten zu Lasten von Kommanditgesellschaften an, wonach auch auf die Auswirkungen des tatbestandsmäßigen Verhaltens auf die Vermögen der Gesellschafter abzustellen ist.
44
b) Dem Letztgenannten entsprechend kommt einem Einverständnis der jeweiligen Gesellschafter mit der Beeinträchtigung des Vermögens Bedeutung für das Vorliegen eines Vermögensnachteils und dessen Höhe zu (BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 2012 - 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38, 39 mwN; und vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733, 3735). Der bisherige Tatrichter hat daher, soweit die Gesellschaftsanteile der Angeklagten und der von den Angeklagten als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH vertretenen T. & H. GmbH & Co. KG betroffen sind, zutreffend wegen deren Einverständnis die Annahme eines Vermögensnachteils insoweit ausgeschlossen (BGH, jeweils aaO).
45
c) Bei den verbleibenden Kommanditisten der jeweiligen Einschiffsgesellschaften können dagegen Vermögensnachteile i.S.v. § 266 StGB eingetreten sein. Diese haben sich mit der Zahlung von Schmiergeldern an die Angeklagten und den früheren Mitangeklagten E. nicht einverstanden erklärt.
46
aa) Angesichts der Anknüpfung des Vermögensnachteils an das Vermögen der das vermögensschädigende Verhalten nicht konsentierenden Gesellschafter kann bei der Bemessung der den Schuldumfang bestimmenden Höhe des Vermögensnachteils grundsätzlich auf deren Gesellschafteranteile im Verhältnis zur Gesamteinlage abgestellt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 2012 - 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38, 39, und vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733, 3735; im rechtlichen Ausgangspunkt ebenso BGH, Urteil vom 17. März 1987 - 5 StR 272/86, wistra 1987, 216; Seier in Achenbach/Ransiek, HWSt, 3. Aufl., 5. Teil, 2. Kap., Rn. 351; ausführlicher Soyka, aaO, S. 64 f.). Maßgeblich für die Bestimmung des Vorliegens eines Vermögensnachteils - hier bezogen auf die Vermögen der Kommanditisten abgesehen von den Angeklagten selbst sowie von der T. H. GmbH & Co. KG - ist ein auf den Zeitpunkt der vermögensschädigenden Handlung des Täters bezogener Vermögensvergleich (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2012 - 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38, 39 Rn. 15; siehe auch BVerfGE 126, 170, 213 mwN). Spätere Entwicklungen, wie etwa Schadensvertiefung oder Schadensausgleich, berühren den tatbestandlichen Schaden nicht (BGH, aaO, mwN).
47
bb) Die strafrechtlich auf den Zeitpunkt der vermögensschädigenden Handlung i.S.v. § 266 StGB zu beziehende Beurteilung der Herbeiführung eines Vermögensnachteils und dessen Höhe kann, was den relevanten Zeitpunkt betrifft , nicht durch handelsrechtliche Regelungen über die Gewinn- und Verlustverteilung innerhalb einer Kommanditgesellschaft (§§ 167 ff. HGB) überlagert werden. Zukünftige Entwicklungen des betroffenen Vermögens im Hinblick auf den Wert der Geschäftsanteile von Gesellschaftern können strafrechtlich lediglich insoweit von Bedeutung sein, als deren Berücksichtigung mit den dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG unterworfenen straftatbestandsmäßigen Anforderungen des Vermögensnachteils gemäß § 266 StGBzulässig ist (zur Bedeutung von Art. 103 Abs. 2 GG dafür BVerfGE 126, 170, 213 ff.). Von Verfassungs wegen sind die Strafgerichte bei der Auslegung des Merkmals des Vermögensnachteils gemäß § 266 Abs. 1 StGB gehalten, den von ihnen angenommenen Nachteil der Höhe nach zu beziffern und diesen in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise im Urteil darzulegen (BVerfGE 126, 170, 211 und 216).
48
cc) Nach diesen Grundsätzen war es in dem angefochtenen Urteil nicht zu beanstanden, dass der Tatrichter den bei den geschädigten Kommanditisten eingetretenen Vermögensnachteil - ausgehend von einem Schmiergeldanteil an dem gezahlten Werklohn in Höhe von 2 Mio. € je Hochseeschlepper - anhand der Höhe der Einlage der Kommanditisten (§ 167 Abs. 2, § 169 Abs. 1 HGB; zur Terminologie K. Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl., Band 3 §§ 171, 172 Rn. 5) in Relation zur Gesamteinlage aller Gesellschafter bestimmt hat. Eine solche Bestimmung der Höhe des Vermögensnachteils bei Schädigungen zu Lasten von Gesellschaftern einer Kommanditgesellschaft ist auch bislang bereits in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs akzeptiert worden (BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 2012 - 1 StR 586/11, NStZ 2013, 38, 40 Rn. 20, und vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733,3735; siehe auch Soyka, aaO, S. 64 f.). Sie ermöglicht eine Bezifferung des in den Gesellschaftervermögen eingetretenen Nachteils und trägt auch den handelsrechtlichen Regelungen über die Gewinn- und Verlustverteilung bei der Kommanditgesellschaft ausreichend Rechnung.
49
(1) Der Bemessung des in den Vermögen der einzelnen Gesellschafter eintretenden Nachteils liegt die Erwägung einer anteiligen Verteilung der in der Höhe feststehenden Schmälerung des Gesellschaftsvermögens - hier in Gestalt der (verborgenen) Schmiergeldzahlungen - auf die Anteilseigner zugrunde. Dies entspricht der grundsätzlich gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung des Vermögensnachteils gemäß § 266 StGB (vgl. BVerfGE 126, 170, 206). Bei einer (angenommenen) Inhaberschaft des Gesellschaftsvermögens durch die Kommanditgesellschaft selbst bestünde kein Zweifel, dass aus deren Vermögen geleistete Schmiergeldzahlungen in voller Höhe zu einem entsprechenden Nachteil führen. Denn in Höhe des Schmiergeldes ist dem Gesellschaftsvermögen keine wertentsprechende Gegenleistung zugeflossen. Lediglich ein wirk- sames Einverständnis der vermögensdispositionsbefugten Gesellschafter könnte einen solchen Nachteil (bzw. die ihn verursachende Pflichtwidrigkeit der Schädigungshandlung) ausschließen.
50
(2) Der wirtschaftlich nicht ausgeglichene Abfluss von Vermögensbestandteilen aus der Kommanditgesellschaft wirkt sich auf die Vermögen der Kommanditisten aus. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Der Umfang der Beteiligung des Gesellschafters richtet sich bei den Personenhandelsgesellschaften OHG und Kommanditgesellschaft grundsätzlich an der Höhe der Einlage und damit über den Vermögensanteil, der den Anteil des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen meint (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 47 III.1.a S. 1381, § 53 III 5.a S. 1544 f.), aus. Die Gewinn- und Verlustverteilung unter den Gesellschaftern bestimmt sich bei der Kommanditgesellschaft nach den §§ 167 ff. HGB i.V.m. § 120 HGB. Grundlage der Gewinn- und Verlustverteilung ist der sog. Kapitalanteil (vgl. § 167 Abs. 2 HGB), bei dem es sich um eine Rechnungsziffer handelt, die den Wert der jeweiligen wirtschaftlichen Beteiligung des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen zum Ausdruck bringt (Priester in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl., Band 2, § 120 Rn. 84 mwN). Vorbehaltlich der konkreten gesellschaftsvertraglichen Ausgestaltung bestimmt sich der Ausgangswert dieses Kapitalanteils anhand des Wertes der eingebrachten Einlage (vgl. Priester, aaO, § 120 Rn. 94). Der rechnerische Wert der wirtschaftlichen Beteiligung des Gesellschafters wird durch den Wert des Gesellschaftsvermögens beeinflusst. Gewinne der Gesellschaft werden nach der gesetzlichen Regelung bis zu der von § 167 Abs. 2 HGB bestimmten Höhe seinem Kapitalanteil zugeschrieben. An den Kapitalanteil des Kommanditisten sind regelmäßig seine prozentuale Beteiligung am Gewinn, sein Gewinnbezugsrecht und sein Stimmrecht geknüpft (vgl. Grunewald, in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl., Band 3, § 167 Rn. 19 i.V.m. Rn. 14; siehe auch Soyka, aaO, S. 84 f.). Die den Kapitalanteil eines Kommanditisten betreffenden Buchungen werden auf einem Kapitalkonto geführt (Grunewald, aaO). Weist dieses Kapitalkonto zu dem für die Bestimmung des Vermögensnachteils maßgeblichen Zeitpunkt einen positiven Stand auf, sind die Gesellschaftervermögen der Kommanditisten unmittelbar wirtschaftlich nachteilig betroffen, weil die daran geknüpften vermögensrechtlich relevanten Rechte entweder verringert oder - bei Verkürzung des ohne die schädigende Handlung eintretenden Gewinns - nicht erhöht werden (Soyka, aaO, S. 85).
51
Die Bezifferung des auf die betroffenen Kommanditisten entfallenden Vermögensnachteils kann daher - wie durch das bisherige Tatgericht erfolgt - anhand der Höhe der jeweiligen Einlage erfolgen. Wie ausgeführt bestimmen diese die Beteiligung der Gesellschafter u.a. am Gewinn der Kommanditgesellschaft.
52
(3) Der neue Tatrichter wird daher bei der Bestimmung der Höhe der eingetretenen Vermögensnachteile bei den Kommanditisten zu prüfen haben, ob deren Kapitalkonten im Zeitpunkt der schädigenden Handlung einen positiven Stand aufwiesen. Wahl Graf Jäger Cirener Radtke

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens

1.
einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, oder
2.
ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze.

(2) Ebenso wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr einem Angestellten oder Beauftragten eines Unternehmens

1.
einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen ihn oder einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, oder
2.
ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 50/06
vom
9. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 8.
August 2006 in der Sitzung am 9. August 2006, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
1. Rechtsanwalt
2. Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 8. August 2006 -,
3. Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 13. Mai 2005 werden verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entstandenen Kosten und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen Untreue in Tateinheit mit Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision an. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

A.

2
Gegenstand des Verfahrens sind Zahlungen des Baukonzerns A. an den Angeklagten W. und den Mitangeklagten D. - der keine Revision eingelegt hat - im Zusammenhang mit dem Bau des Stadions "Allianz-Arena" in München. Das Landgericht hat zum Ausschreibungsverfahren und zu den Zahlungen des A. Konzerns an die Mitangeklagten folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Die Vereine FC Bayern München und TSV München von 1860 strebten den Bau eines fußballgerechten Stadions in München an, mit dem auch eine Bewerbung der Stadt München als Austragungsort für Spiele der Fußballweltmeisterschaft 2006 unterstützt werden sollte. Am 19. Juli 2001 wurde die europäische Ausschreibung des Bauprojekts im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens bekannt gegeben. Dabei wurden Planung und Bau gemeinsam ausgeschrieben. Zusammen mit Vertretern der Vereine wurde ein Lenkungsausschuss gebildet, der sich mit organisatorischen Fragen befasste. Diesem gehörte auch der Angeklagte an. Aus einer Vielzahl von Angeboten wählten die Vereine acht Bietergemeinschaften aus und gaben diese am 30. August 2001 bekannt. Ein aus mehreren Personen gebildetes Obergutachtergremium - bestehend aus Vertretern planender Berufe, aus der Politik und dem Fußball - sollte auf Basis der eingereichten und für den weiteren Wettbewerb ausgewählten Beiträge eine Empfehlung abgeben. Diesem Obergutachtergremium gehörte der Angeklagte ebenfalls an. Die abschließende Vergabeentscheidung behielten sich die beiden Fußballvereine vor. Nach einer Zusammenkunft am 29./30. November 2001 empfahl das Obergutachtergremium den Vereinen, das Verhandlungsverfahren nur noch mit zwei Bietern fortzusetzen. Die verbliebenen Bieter waren die Bietergemeinschaft A. Deutschland GmbH/ Architekturbüro H. sowie die Firma B. GmbH/ Architekturbüro G. , M. und P. (nachfolgend: B. ).
4
Am 12. Dezember 2001 gründeten die Vereine als Bauherren die Allianz Arena München Stadion GmbH (nachfolgend: Stadion GmbH). Die Stadion GmbH trat als Bauherrin des neuen Fußballstadions auf. Gesellschafter wurden je zur Hälfte die Kapitalgesellschaften der beiden Fußballvereine. Der Angeklagte war gleichrangig neben dem Zeugen Prof. S. vom 12. Dezember 2001 bis März 2004 Geschäftsführer der Stadion GmbH und damit umfassend verantwortlich für deren Vermögens- und Geschäftsinteressen. Darüber hinaus war der Angeklagte vom 28. Dezember 2001 bis März 2004 Geschäftsführer der TSV München 1860 Geschäftsführungs GmbH, d.h. der Komplementärin der vereinseigenen KG aA, welche ihrerseits Mitgesellschafterin der Stadion GmbH war. Für beide Funktionen erhielt er jeweils eine Vergütung von jährlich 200.000 € netto.
5
Am 31. Januar 2002 gaben die beiden verbliebenen Bieter A. Deutschland GmbH sowie B. ihre Letztangebote ab. Auf deren Grundlage sollte endgültig über den Zuschlag entschieden werden. Am 8. Februar 2002 entschieden die Kapitalgesellschaften der Vereine, den Auftrag an die A. Deutschland GmbH zu vergeben. Vorausgegangen war ein dahingehendes Votum des Obergutachtergremiums, welches einstimmig ausfiel. Der Vertrag zwischen der Stadion GmbH und der A. Deutschland GmbH zum Bau eines Stadions wurde am 25. Februar 2002 geschlossen. Die Auftragssumme betrug einschließlich optionaler Gewerke insgesamt 285.917.206,69 €.
6
Dem Zuschlag an die A. Deutschland GmbH ging Folgendes voraus:
7
2. Der Angeklagte war neben seinen Tätigkeiten für den TSV 1860 München und für die Gremien im Zusammenhang mit dem Neubau der Allianz Arena auch - gemeinsam mit seinem Vater K. W. - geschäftsführender Gesellschafter der "W. Hi. Immobilien GmbH" (nachfolgend: WHI). Geschäftsgegenstand der WHI, die ihren Sitz in Dresden hat und ein Büro in München unterhält, war u. a. der Handel mit Immobilien sowie die Verwaltung und Errichtung von Immobilien. Die Geschäfte in München betreute der Vater des Angeklagten, während dieser sich um das Dresdener Geschäft zu kümmern hatte.
8
Der Mitangeklagte war Inhaber der Firma "D. Immobilien-Consulting" mit Sitz in München und war Inhaber einer Maklerlizenz. Gegenüber der A. Deutschland GmbH, deren Geschäftsführer der anderweitig verfolgte Al. junior (nachfolgend: Al. jun.) war, hatte der Mitangeklagte erhebliche Schulden. Ab 1994 hatte er in Dresden auch geschäftlichen Kontakt mit der WHI und dem Angeklagten, mit dem er seit langem befreundet war. Gegenüber der WHI hatte D. rund 400.000 € Schulden.
9
3. Auf Betreiben des Mitangeklagten fand am 6. Juli 2001 in den Münchener Geschäftsräumen der WHI ein Gespräch der beiden Angeklagten mit Al. jun. statt. Dabei wurde auch über das Stadionprojekt gesprochen. Der Angeklagte riet, die A. Deutschland GmbH solle sich gemeinsam mit dem Architektenbüro H. bewerben. Al. junior kündigte an, den Tipp seinem Vater, dem in Salzburg residierenden Konzernchef Al. - O. (nachfolgend: Al. sen.) weiterzugeben. Der Angeklagte glaubte zu diesem Zeitpunkt noch, dass der Mitangeklagte für Auftragsnachweise eine Maklerprovision von der A. Deutschland GmbH beanspruchen konnte, die zwischen ihnen beiden intern geteilt werden sollte. Aus dem Anteil des Mitangeklagten sollten die Schulden bei der WHI bezahlt werden.
10
Am 26. Juli 2001 übersandte der Mitangeklagte per Fax den veröffentlichten Mitteilungstext über das Verhandlungsverfahren bezüglich des Stadionneubaus an Al. jun.. Dieses Fax wurde in der Folgezeit der A. Deutschland GmbH zugeleitet, die sich an dem Ausschreibungsverfahren beteiligte.
11
4. Die Bemühungen des Mitangeklagten, für den Hinweis auf das Ausschreibungsverfahren eine Provisionszahlung zu erlangen, schlugen jedoch fehl.
12
Am 27. November 2001 traf sich der Mitangeklagte mit einem Angestellten der A. Deutschland GmbH mit dem Ziel, diesen zur Unterschrift unter eine von dem Mitangeklagten vorbereitete schriftliche Provisionsvereinbarung zu bewegen. Den Text hatte er dem Angeklagten gezeigt und mit diesem die verlangte Vergütung von 1,5 % der Auftragssumme abgestimmt. Der Angestellte der A. Deutschland GmbH machte jedoch eine wohlwollende Behandlung des "Provisionsthemas" vom Verrat von Insiderinformationen abhängig. In einem weiteren Treffen am 19. Dezember 2001 zeigte sich der Konzernchef Al. sen. dem von dem Mitangeklagten erhobenen Provisionsanspruch ablehnend gegenüber. Er erklärte, der Kostenrahmen sei zu eng, als dass er eine Maklerpro-vision - noch dazu in Höhe der verlangten 1,5 % der Auftragssumme - zusagen könne; allenfalls erscheine ihm eine Vergütung von 0,75 % denkbar, die er aber auch nur bezahlen könne, wenn in der Kalkulation dafür Raum durch Einsparungen geschaffen werde. Die dazu nötigen Informationen solle der Mitangeklagte über den Angeklagten beschaffen. Außerdem suche er - Al. sen. - bezüglich der Vergabe und für die Bauphase einen "Ansprechpartner". Dem Mitangeklagten wurde klar, dass Al. sen. nicht bereit war, ihm den Hinweis zu honorieren, welcher die Bewerbung der A. Deutschland GmbH um den Stadionauftrag ausgelöst hatte. Eine Zahlung seitens A. sollte vielmehr als Gegenleistung dafür erfolgen, dass der Angeklagte Auskünfte über geheime Daten aus dem Vergabeverfahren erteilte, die der A. Deutschland GmbH Einsparpotentiale aufzeigen würden. Gegenleistung für die Zahlung sollte auch die Vermittlung einer gewogenen Kontaktperson sein, welche eine Vergabe des Auftrags an die A. Deutschland GmbH erleichtern sollte.
13
5. Im Rahmen des Bietergesprächs vom 8. Januar 2002 präsentierten die beiden Bieter vor Vertretern der Bauherrenseite (u. a. dem Angeklagten) ihre Projekte. Die Präsentation der Bietergemeinschaft A. Deutschland GmbH misslang dabei völlig, da nach Auffassung aller Beteiligten erhebliche Defizite fortbestanden, die seit dem letzten Bietergespräch hätten abgearbeitet werden sollen. In mehreren gemeinsamen Treffen mit Vertretern des A. Konzerns im Hotel "Kempinski" am Flughafen München zwischen dem 9. und dem 15. Januar 2002 erkannte der Angeklagte, dass Al. sen. zwar auf den Bewerbungstipp immer noch nichts bezahlen würde, den Auftrag für die Konzerntochter A. Deutschland GmbH aber unbedingt anstrebte. Dabei zeigte sich dieser bereit, erhebliche Summen aufzuwenden, wenn sich der Angeklagte für eine Vergabe an die A. Deutschland GmbH einsetzen und als Ansprechpartner für die Bauphase zur Verfügung stehen würde. In einem weiteren Gespräch im Hotel "Bayerischer Hof" in München am 17. Januar 2002 fragte Al. sen. den Angeklagten, wie viel Geld der Mitangeklagte der WHI schulde. Der Angeklagte, der wusste, dass die Schulden sich auf rund 800.000 DM beliefen , antwortete wahrheitswidrig, sie betrügen 5,5 Millionen DM. Al. sen. sicherte die Zahlung von 5,5 Millionen DM für den Fall des Zuschlags mündlich zu, weil er den Angeklagten zunächst als Fürsprecher bei der Vergabe, später auch als gewogenen Ansprechpartner in der Bauphase, namentlich bezüglich weiterer Nachtragsaufträge brauchte. Darüber hinaus erwartete er, dass der Angeklagte die Konzerntochter weiter mit Informationen über das Angebot des Mietbieters versorgen würde. Beiden Angeklagten war klar, dass dies die Gegenleistung für die in Aussicht gestellte Zahlung war, diese also ein Schmiergeld darstellte; sie bezeichneten sie gleichwohl als "Provision".
14
6. Nachdem die A. Deutschland GmbH am 8. Februar 2002 den Zuschlag erhalten hatte, kam es zu einer Reihe von Treffen zwischen dem Mitangeklagten und Vertretern des A. Konzerns sowie einem Beauftragten der WHI. Es wurde vereinbart, die Gelder in drei Tranchen aufgrund von Scheinrechnungen und lediglich pro forma geschlossener Vereinbarungen zu zahlen. Der Angeklagte wollte mit Zahlungen im Zusammenhang mit dem Bauauftrag für das Stadion nicht in Verbindung gebracht werden.
15
Der A. Konzern zahlte in der Folge aufgrund der Schmiergeldvereinbarungen an den Mitangeklagten insgesamt 2.812.094,82 € (entsprechend 5.499.979,41 DM), was ungefähr 1 % der Auftragssumme für den Stadionbau ausmachte. Dieser leitete hiervon insgesamt 2.587.779,50 € an den Angeklagten weiter.

B.

16
Die Revision des Angeklagten
17
I. Die Verfahrensrügen sind unbegründet. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, an dem Urteil habe in der Person der VRinLG Dr. Kn. eine Richterin mitgewirkt, nachdem sie wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden sei (Verstoß gegen § 24 Abs. 2 in Verbindung mit § 338 Nr. 3 StPO).
18
Dem Ablehnungsgesuch liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
19
1. Zu Prozessbeginn am 30. November 2004 erschien in der Münchener Abendzeitung (nachfolgend: AZ) auf Seite eins ein Artikel mit einer auf die Vorsitzende gemünzten Schlagzeile: "Heute Münchens größter Schmiergeldprozess: W. zittert vor Frau Gnadenlos", Unterzeile: "Richterin Kn. verknackte schon Boris Be. ."
20
Aufgrund von Leserbeschwerden richtete der Chefredakteur der AZ am 1. Dezember 2004 ein Schreiben an die Vorsitzende, in dem er bedauerte, dass mit der Schlagzeile "eine Assoziation zu dem damaligen Hamburger Richter Sch. , dem sog. Richter Gnadenlos hergestellt" worden sei. Dies sei nicht die Absicht der AZ gewesen: "er bedauere dies und entschuldige sich dafür".
21
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2004 wandte sich die Präsidentin des Landgerichts München I an den Chefredakteur der AZ und schrieb u.a.: Schon allein durch den Bezug zu dem ehemaligen Hamburger Richter Sch. (jedenfalls nach dessen Bild in der Öffentlichkeit) stelle die Schlagzeile im Artikel vom 30. November 2004 eine ehrverletzende Äußerung dar. Der Vergleich sei "nicht nachvollziehbar" und könne so nicht stehen bleiben: "Frau Kn. ist als besonders integre Richterpersönlichkeit anerkannt, in ihrer Verhandlungsführung ist sie höflich und fair. Sie berücksichtigt dabei auch immer die menschlichen Aspekte. Ich gehe davon aus, dass die Abendzeitung in ihrer weiteren Berichterstattung über den W. -Prozess von ihrer anfänglichen Entgleisung deutlich abrückt."
22
Die Präsidentin des Landgerichts brachte dieses Schreiben der Vorsitzenden und der Staatsanwaltschaft München I zur Kenntnis. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2004 wandte sich der Chefredakteur der AZ an die Präsidentin des Landgerichts: "Niemals war es die Absicht der Abendzeitung, Frau Dr. Kn. mit Herrn Sch. zu vergleichen. Wenn dieser Eindruck entstanden ist, bedauern wir das. Ich habe dies auch bereits Frau Dr. Kn. versichert." Die Präsidentin des Landgerichts brachte auch dieses Schreiben der Vorsitzenden am 10. Dezember 2004 zur Kenntnis.
23
2. Die Vorsitzende hatte sich ihrerseits schon am 6. Dezember 2004 direkt an die Chefredaktion der AZ gewandt und mit Bezug auf das Entschuldigungsschreiben vom 1. Dezember 2004 eine öffentliche Entschuldigung verlangt : "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich trotz Ihrer Entschuldigung den Vorfall so nicht auf sich beruhen lassen kann. Der Grund ist nicht etwa, dass ich mich selbst so wichtig nehme, sondern dass ich auch heute noch - fast eine Woche nach Ihrer ehrverletzenden Schlagzeile - ständig damit konfrontiert werde und keine Lust habe, diese Beleidigungen fortdauern zu lassen. … Abgesehen von dem sich aufdrängenden Vergleich mit Herrn Sch. , der für sich bereits eine Beleidigung darstellt, habe ich mir in meiner fünfzehnjährigen Zugehörigkeit zur Münchner Strafjustiz bei Staatsanwaltschaft und besonders bei Verteidigern den Ruf erworben , eben gerade nicht gnadenlos zu sein. Ein gnadenloser Richter stellt darüber hinaus eine Fehlbesetzung dar, wodurch Sie mit Ihrer Schlagzeile außer meiner Person auch meine Behörde beleidigen. Diesen guten Ruf haben Sie einer Schlagzeile willen angegriffen, ob ruiniert, wird sich zeigen. Es kann daher nicht angehen, dass Sie mich öffentlich beleidigen und diskriminieren, um sich dann "im stillen Kämmerlein" zu entschuldigen. … Suchen Sie daher nach einem anderen Weg, um Ihr Unrecht wieder gutzumachen; dieses lapidare Schreiben jedenfalls kann dies nicht erreichen."
24
3. Die Hauptverhandlung wurde an vier weiteren Verhandlungstagen fortgesetzt. Am Morgen des fünften Verhandlungstages, dem 21. Dezember 2004, erschien folgender Artikel in der AZ, der im Zentrum der Verfahrensrüge steht: "Gesteht W. alles?" Unterzeile: "Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess abkürzen." "München. "Als Richter hat man gegenüber einem Angeklagten auch eine Fürsorgepflicht“ erklärt Kn. , die Vorsitzende der 4. Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München I, ihren persönlichen Verhandlungsstil. Vor der TopJuristin wird am heutigen Dienstag wieder W. jun. wegen der Stadion -Schmiergelder auf der Anklagebank Platz nehmen. Dessen Anwalt Dr. Ga. hatte am vergangenen Verhandlungstag eine herbe Niederlage einstecken müssen. Ga. wollte, dass gegen die Vertreter der Baufirma A. nicht in einem späteren Prozess allein verhandelt wird, sondern dass sich die mutmaßlichen Bestecher zusammen mit W. rechtfertigen müssen. Eine solche Aussetzung hätte den Prozess aber auf unbestimmte Zeit verzögert, was wiederum die U-Haft für W. jun. verlängert hätte. "Wollen Sie das wirklich?“ fragte Richterin Kn. den Angeklagten. Und als W. kleinlaut “Nein, eigentlich nicht, aber … “ sagte, war das juristische Waterloo für Ga. perfekt. Boris Be. war da klüger. Als der einstige Tennisstar wegen Steuerhinterziehung vor Kn. stand, akzeptierte er ohne wenn und aber seine Bewährungsstrafe. Auch hier hatte die Strafkammer, die aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besteht, ein Urteil gefällt, das in Justizkreisen als angemessen und fair bewertet wurde.
Lehrgeld mussten dagegen T. und F. Ha. bezahlen. Als die Kammer die einstigen Börsenstars "wegen vorsätzlich falscher Darstellung der Vermögensverhältnisse der Firma EM-TV“ zu 240 Tagessätzen verurteilte, gingen die Ha. -Brüder in Revision und kassierten prompt vor dem Bundesgerichtshof die nächste Schlappe. ... Der Münchner Anwalt [Dr. Bo. ] hat die Erfahrung gemacht, dass durch den menschlichen Umgang der Richter mit den Angeklagten viele Verfahren sogar deutlich schneller abgeschlossen werden konnten. Bo. : "Viele Angeklagte fassen geradezu zu der Vorsitzenden Kn. regelrecht Vertrauen, erkennen ihre faire Verhandlungsführung. Häufig erleichtert dies Geständnisse der Angeklagten oder gar den Verzicht auf eine teuere Revision beim Bundesgerichtshof , die keiner Seite nützt.“ Gut möglich also, dass W. jun. heute oder an einem der anderen Verhandlungstage seine Verteidigungsstrategie ändert und alles gesteht. Vorteil für ihn: In der Regel fällt nach einem Geständnis das Urteil um bis zu einem Drittel niedriger aus.“
25
Nach der Sitzung am 21. Dezember 2004 sprach die Vorsitzende den Artikel gegenüber dem Verteidiger Prof. Dr. Bu. an und schlug vor, ein von ihr zuvor angebotenes Rechtsgespräch in nicht öffentlicher Sitzung stattfinden zu lassen, um der Presse "keine weitere Munition" zu geben.
26
4. Am 22. Dezember 2004 erhielt die Verteidigung einen Hinweis, dass die Vorsitzende am Entstehen des Artikels vom 21. Dezember 2004 beteiligt gewesen sei. Um genauere Informationen hierüber zu erhalten, bat die Verteidigung des Angeklagten die Vorsitzende in einem Schreiben vom 23. Dezember 2004 um eine unverzügliche Stellungnahme: "Sehr geehrte Frau Vorsitzende, die Unterzeichner bedauern, Sie mit dem im Betreff genannten Artikel (Anlage) befassen zu müssen. Uns ist gestern - nach Ende der Hauptverhandlung - mitgeteilt worden, dass der nämliche Artikel vom Rechtsanwalt der Abendzeitung, Herrn Dr. Bo. , mit Ihnen besprochen worden sein soll. Rechtsanwalt Bo. soll mit Ihnen wegen einer Beschwerde der Landgerichtspräsidentin über die Berichterstattung der Abendzeitung zu Ihrer Person im Zusammenhang mit dem W. -Prozess geredet und mit Ihnen einen neuen "günstigeren“ Artikel abgesprochen haben. Darüber hinaus soll Ihnen der Inhalt zumindest in Teilen vor Veröffentlichung bekannt geworden sein. Sie wissen, dass die Verteidiger einem derart konkreten Hinweis nachgehen müssen und bitten Sie daher um eine kurzfristige Stellungnahme.“
27
Die Vorsitzende antwortete mit einem Schreiben vom selben Tag u.a.: "Der Artikel in der Abendzeitung ist mir am Dienstagvormittag von einem Kollegen auf den Schreibtisch gelegt worden, und er hat mich alles andere als begeistert, da er mich sehr unter Druck gesetzt hat. … Es ist richtig, dass Herr Rechtsanwalt Bo. mit einem Entwurf eines Artikels bei mir war, allerdings hat dieser Artikel mit dem, was später von der Redaktion daraus gemacht wurde, nicht mehr so sehr viel gemeinsam. Vor allem war in dem mir vorab überlassenen Artikel nicht die Rede von einem Geständnis des Herrn W. , noch von meiner geschickten Verhandlungsführung oder sonstigem, es war vielmehr das Thema, ob ich in meinen Entscheidungen gnadenlos, streng oder milde bin."
28
Die Verteidigung ersuchte die Vorsitzende in einem zweiten Schreiben, ebenfalls noch vom 23. Dezember 2004, um genauere Auskunft über den Inhalt des Gesprächs mit dem Anwalt der AZ, Rechtsanwalt Dr. Bo. : "Ihr Schreiben vom 23. Dezember 2004 hat uns hinsichtlich der Genese Ihrer Mitwirkung an dem in Rede stehenden Artikel der Abendzeitung – „Gesteht W. alles? Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess abkürzen“ - verunsichert, da wir nun von Ihnen bestätigt erhalten, dass der Entwurf für diesen Zeitungsartikel abgestimmt wurde. Sie teilen uns mit, dass der auf der Basis dieses Entwurfs und ihres Gesprächs mit Rechtsanwalt Dr. Bo. von der Abendzeitung veröffentlichte Artikel „nicht mehr so sehr viel gemeinsam“ mit dem Ihnen vorgelegten Text habe und beziehen sich auf Passagen des Artikels vom 21. Dezember 2004, der die Empfehlung an den Angeklagten enthält, ein „Geständnis“ abzulegen. Wir bitten um Auskunft, ob diese Empfehlung - oder sonstige Sachverhalte unseres Prozesses - Gegenstand Ihres Gespräches mit dem Beauftragten der Abendzeitung war. Ihrem Schreiben können wir allerdings nicht entnehmen, ob die in dem AZ-Artikel wiedergegebenen Wertungen des Verteidigungsverhaltens sowie einer - sinnentstellt zitierten - Äußerung des Herrn W. zum Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bereits in dem mit Ihnen abgestimmten Entwurf enthalten war. Wir müssen Sie deshalb ersuchen, den von Ihnen von Rechtsanwalt Dr. Bo. zur Abstimmung vorgelegten Entwurf (sowie eventuelle, bei ihrem Gespräch vereinbarte Korrekturen) zu den Gerichtsakten und der Verteidigung zur Einsicht zu geben , damit feststellbar ist, welche Passagen und Formulierungen mit Ihnen tatsächlich abgestimmt sind bzw. waren. Ebenso bitten wir Sie, mit den in Ihrem Schreiben an uns vom 23. Dezember 2004 angesprochenen schriftlichen Mitteilungen zu verfahren, welche die Frau Landgerichtspräsidentin und Sie selbst an die Abendzeitung gerichtet haben. Diese Mitteilungen beinhalten eine gerichtspräsidiale und richterliche Kritik an der Berichterstattung des Blattes zum Auftakt des W. -Prozesses und betreffen somit das Verfahren 4 KLs … .
Der Vollständigkeit halber fügen wir zu Ihren weiteren Hinweisen in Ihrem Schreiben vom 23. Dezember 2004 noch an, dass Sie „am Dienstag nach der Sitzung mit Herrn Prof. Bu. “ zwar den in Rede stehenden AZ-Artikel in allgemeinen Formulierungen angesprochen, mit keinem Wort aber erwähnt haben, dass ein Entwurf zu diesem Artikel von der Abendzeitung mit Ihnen vorbesprochen war. Die Verteidigung wurde über diese Vorgeschichte ohne jede Kenntnis gehalten. Ebenso wurden wir erst durch Ihr Schreiben vom 23. Dezember 2004 unterrichtet, warum Sie - entgegen Ihrem Angebot an uns - das Rechtsgespräch am 22. Dezember 2004 in öffentlicher Sitzung haben stattfinden lassen. Die Verteidigung bittet, ihr die erbetenen Unterlagen bzw. eventuelle Rückäußerungen rechtzeitig vor der Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 11. Januar 2005, zur Verfügung zu stellen."
29
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2004 antwortete die Vorsitzende: "Es trifft nicht zu, dass der von ihnen angesprochene Artikel in der Abendzeitung mit mir abgestimmt oder in sonstiger Weise mit mir abgesprochen war. Richtig ist, dass ich einen Tag vor Erscheinen des Artikels einen Entwurf hiervon zur Kenntnis erhielt. … Herr Rechtsanwalt Dr. Bo. war am Tag vor dem Erscheinen des schließlich veröffentlichten Artikels einige Minuten bei mir im Büro. Unmittelbar vorher hatte er mir per Fax den neuen Artikel im Entwurf übermittelt. Dazu bemerkte er, dass die Redaktion halt alles geändert hatte. … Soweit die Abendzeitung in dem Artikel und im - schließlich auch realisierten - Titelvorschlag ein mögliches umfassendes Geständnis Ihres Mandanten ansprach, überraschte mich dies ebenso wie Sie. Herr Rechtsanwalt Dr. Bo. erklärte mir dazu sinngemäß, das beruhe auf der Entschließung, die die Redaktion aufgrund des bisher beobachteten Prozessverlaufs gefasst habe. … Selbstverständlich befindet sich der gesamte Vorgang bei den Akten.“
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Die Verteidigung nahm am 30. Dezember 2004 Einsicht in die Verfahrensakten. Hieraus wurde ersichtlich, dass der gesamte mit Schreiben vom 3. Dezember 2004 eingeleitete Vorgang am 27. Dezember 2004 zu den Akten genommen worden war.
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5. Am 4. Januar 2005 reichte der Angeklagte ein Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende ein. Darin brachte er unter anderem vor:
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a) Die abgelehnte Vorsitzende habe die Verfolgung eigener Ansprüche mit dem von ihr dienstlich betreuten und als Vorsitzende Richterin auch noch geleite- ten Strafverfahren gegen den Angeklagten verbunden. Sie habe dabei ihrer Anspruchsgegnerin - der AZ - gesetzlich nicht vorgesehene Wege der Informationssammlung eröffnet. Sie habe an einem veröffentlichten Presseartikel mitgewirkt , der den Angeklagten in sinnentstellender Weise zitiere und die Entscheidung über einen noch nicht verbeschiedenen hilfsweise gestellten Aussetzungsantrag vorwegnehme. Die abgelehnte Vorsitzende habe entgegen ihrer Fürsorgepflicht weder den Angeklagten noch die Verteidigung vor dem Erscheinen dieses Artikels informiert, obwohl die Veröffentlichung den Angeklagten in seinen Rechten verletze. Sie habe den Vorgang vor den Prozessbeteiligten verborgen und dadurch das faire Verfahren verletzt, indem sie diesen nicht rechtzeitig zur Akte gegeben habe; darüber hinaus habe sie die Verteidigung mit irreführenden Angaben bedient. Die abgelehnte Vorsitzende habe schließlich den anwaltlichen Vertreter ihrer Anspruchsgegnerin vom Inhalt des von ihr beabsichtigten Rechtsgesprächs informiert. Um Ihrer geschickten Prozessstrategie, die den Prozess verkürzen sollte, Nachdruck zu verleihen, habe sie dem Angeklagten eine höhere Strafe für den Fall angedroht, dass der Prozess länger dauere und er nicht freigesprochen werde.
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b) Der Angeklagte führte weiter aus, im Auftrag der AZ habe Rechtsanwalt Dr. Bo. die Vorsitzende am 17. Dezember 2004 in ihrem Dienstzimmer aufgesucht und ihr einen ersten Entwurf eines "Wiedergutmachungsartikels" vorgelegt: "Die Vorsitzende der (XXX?) 4. Wirtschaftsstrafkammer beim Landgericht München I, Kn. , ist eine erfahrene Juristin, bei der schon Boris Be. (Steuern) und auch die Ha. -Brüder (EM-TV) „Kunden“ gewesen seien. Boris hatte ihr Urteil sofort akzeptiert. Die Ha. -Brüder wollten es nicht glauben. Der Bundesgerichtshof hat sie jetzt eines besseren belehrt und das Urteil der Strafkammer und die Fairness des Verfahrens bestätigt. … Daneben zeichnet sich die Vorsitzende dadurch aus, dass sie den Angeklagten als Menschen nie aus den Augen verliert. So durften sich die Eheleute W. in Sitzungspausen - natürlich unter polizeilicher Aufsicht - miteinander unterhalten oder gar umarmen. Dem Vater W. erlaubte sie, seinen Sohn in Ruhe zu besuchen , ohne dass dies die Medien erfuhren. Solche Zugeständnisse sind keine Selbstverständlichkeiten in Prozessen, in denen Angeklagte in Untersuchungshaft sitzen. Ihre Art der Prozessleitung führt nicht selten dazu, dass die Angeklagten zur Vorsitzenden regelrecht Vertrauen fassen, weil sie die besonders faire Verhandlungsführung erkennen. Häufig erleichtert dies Geständnisse der Angeklagten oder gar den Verzicht auf teure Revisionen beim Bundesgerichtshof. Gerade für die Kombination aus Fachkompetenz und Menschlichkeit ist die Vorsitzende in Justizkreisen und Anwaltschaft bekannt. Ihre Prozessführung und Urteile haben Frau Kn. den Ruf einer hervorragenden Spitzenjuristin eingebracht. Herr W. darf bei ihr mit Fug und Recht Gerechtigkeit mit menschlichem Augenmaß erwarten."
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Die Vorsitzende habe den Entwurf des Artikels handschriftlich kommentiert : "Bitte irgendwo erwähnen, dass sich AZ entschuldigt hat".
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Am 20. Dezember 2004 habe Rechtsanwalt Dr. Bo. der Vorsitzenden per Telefax einen zweiten Entwurf mit dem handschriftlichen Vermerk übersandt : „Die AZ musste den Text aus redaktionellen Gründen - Aktualität - ändern" , "Sind Sie mit diesem Text auch einverstanden?"
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In diesem zweiten Entwurf, der dem am 21. Dezember 2004 erschienenen Artikel sehr nahe komme, habe die Vorsitzende dem Text über die "kleinlaute" Antwort des Angeklagten auf ihre Frage "Wollen Sie das wirklich?" den Kommentar "So nicht richtig" angefügt. Den Absatz im Entwurf: "Gerne bedienen die Betroffenen dann nach einem strengen Urteilsspruch das Klischee der "Frau Gnadenlos", um eine Niederlage zu erklären" habe die Vorsitzende ebenso durchgestrichen wie den Vorschlag für die dann doch erschienene Überschrift: "Gesteht W. alles? Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess abkürzen."
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6. Am 5. Januar 2005 gab die Vorsitzende zu dem Ablehnungsgesuch folgende dienstliche Stellungnahme ab. Darin heißt es u.a.: "Der Vorwurf, dass ich an dem genannten Artikel mitgewirkt hätte, liegt aus meiner Sicht neben der Sache. Ich habe mich um die Wahrung meiner Rechte gekümmert , um zu vermeiden, dass ich nochmals beleidigt werde. Wie man das als "Mitwirkung“ meinerseits (oder auch "Abstimmung" mit mir) bezeichnen oder den Standpunkt vertreten kann, ich hätte redaktionell mitgearbeitet, ist mir unerklärlich. Nebenbei habe ich Herrn Dr. Bo. , wie Ihnen bekannt ist, auf das fehlerhafte Zitat aufmerksam gemacht. Wie die Redaktion diesen Hinweis umsetzt, war deren Sache. Genauso wenig habe ich mich in die Entscheidung der Redaktion darüber eingemischt, wie die Abendzeitung den bisherigen Verfahrensverlauf beurteilt und welche Spekulationen sie über den weiteren Verfahrensgang anstellen will und welche Worte sie dabei im Einzelnen wählt. Für die Berichterstattung der Abendzeitung , die wegen des Artikels auf mich zukam und nicht umgekehrt, trage ich keine Verantwortung. … Ebenso wenig habe ich eine Verpflichtung übernommen, den Angeklagten oder seine Verteidiger über beabsichtigte Abendzeitungsartikel vorab zu informieren. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass der Angeklagte sich mit der Abendzeitung selbst auseinandersetzen muss, wenn er sich durch deren Berichterstattung in seinen Rechten verletzt fühlt. … Dass ich die Abendzeitung vom Inhalt des beabsichtigten Rechtsgesprächs vorab informiert hätte, trifft nicht zu. Insbesondere habe ich Herrn Rechtsanwalt Dr. Bo. gegenüber mit keinem Wort erwähnt, dass, wann und wie beabsichtigt sei, mit den Prozessbeteiligten in ein Rechtsgespräch einzutreten. Dass ein solches sich anbieten könnte, hatten wir bereits am vierten Sitzungstag öffentlich erörtert. Wenn meine Äußerungen im Gespräch vom 22. Dezember 2004 als Drohung bezeichnet werden, so liegt das aus meiner Sicht neben der Sache. Ich habe nicht mit einer "höheren Strafe gedroht", sondern versucht, insbesondere dem nicht gerichtserfahrenen Angeklagten W. die Vorzüge eines Geständnisses darzulegen , sofern es etwas zu gestehen gebe. Über ein konkret denkbares Strafmaß wurde nicht gesprochen." In einem weiteren Schreiben vom 5. Januar 2005 an die Verteidiger teilte die Vorsitzende u.a. mit: "Das erste Gespräch mit Herrn Dr. Bo. habe ich alleine geführt. Beim zweiten Gespräch war der Kollege We. mit anwesend, weil er zufällig gleichzeitig zu mir ins Zimmer kam. Gemeinsam mit mir hat der Kollege We. Herrn Dr. Bo. den zutreffenden Wortlaut der Erklärung Ihres Mandanten zur Aussetzungsfrage aus dem Gedächtnis zu vermitteln versucht. … Ob und wie bisher der Richter oder die Richterin eingebunden war, welche/-r die Aufgaben eines Pressereferenten des Landgerichts München I wahrnimmt, ist mir nicht bekannt. Mir ist auch nicht bekannt, dass beim Landgericht München I für Strafsachen überhaupt ein Richter/eine Richterin Pressereferent(in) ist."
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7. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2005 erstreckte der Angeklagte sein Befangenheitsgesuch auf Ausführungen der abgelehnten Vorsitzenden aus der dienstlichen Stellungnahme. Sie habe erneut unwahre Behauptungen aufge- stellt und erklärt, dass sie sich nach wie vor nicht dem Gebot der Fürsorge für den Angeklagten verpflichtet fühle, wenn gegenüber diesem unsachliche Angriffe durch die Presse erfolgten und sie vor Erscheinen dieser Artikel eine Einflussmöglichkeit gehabt habe. Schließlich habe sie in Zweifel gezogen, ob der Vorgang um die Berichterstattung der AZ überhaupt in die Akten gehört habe.
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8. Die Strafkammer des Landgerichts München I forderte am 10. Januar 2005 telefonisch eine Stellungnahme von Rechtsanwalt Dr. Bo. zu dem Befangenheitsgesuch gegen die Vorsitzende an, die per Fax am selben Tag beim Landgericht einging.
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Darin legte Rechtsanwalt Dr. Bo. dar, dass er nach Erscheinen des Artikels vom 30. November 2004 mit der Überschrift „W. zittert vor Frau Gnadenlos“ vom Chefredakteur der AZ gebeten worden sei, einen tagesaktuellen Wiedergutmachungsartikel zu entwerfen. Da zu diesem Zeitpunkt gerade die Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Zurückweisung der Revisionen der Ha. -Brüder gegen ein Urteil der 4. Strafkammer veröffentlicht worden sei, habe er über die Vorteile eines Geständnisses berichten wollen; diese Grundidee habe allein aus seiner Feder gestammt und sei weder von der Redaktion noch von Frau Kn. in irgendeiner Form angeregt worden. Mit diesem Textentwurf sei er dann am 17. Dezember 2004 zu Frau Kn. gefahren , um ihr den Entwurf zu zeigen. "Wir diskutierten inhaltlich lediglich, dass ein besonderer Absatz in den Textentwurf eingefügt werden sollte, der noch einmal ausdrücklich auf die ursprüngliche Berichterstattung der Abendzeitung mit dem Begriff "Frau Gnadenlos" eingehen sollte. Am darauf folgenden Montag erhielt ich dann von der Redaktion der Abendzeitung einen ganz erheblich geänderten Artikelentwurf, in dem sich zwar einige Passagen meines Ursprungsartikels befanden, der aber sehr viel stärker auf das aktuelle Verfahren gegen Herrn W. junior Bezug nahm und insbesondere Spekulationen über ein mögliches Geständnis von Herrn W. enthielt. In diesem Entwurf der Redaktion war erstmals diese Passage enthalten, dass Herr W.
selbst seine Verteidigungsstrategie ändern und alles gestehen könnte. Diesen Entwurf überarbeitete ich im direkten Kontakt mit der AZ-Redaktion ohne Information oder Beteiligung von Frau Kn. . Mit dieser überarbeiteten Version, die gleichzeitig einen Überschriftenvorschlag formuliert hatte: "Gesteht W. alles ?“ mit der Unterzeile "Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess abkürzen“, begab ich mich dann erneut zu Frau Kn. . Dort teilte mir Frau Kn. mit, dass Herr W. auf die Frage, ob er die Konsequenz einer Verfahrensaussetzung wirklich wolle, nicht mit einem „Nein,“ sondern mit einer differenzierten Antwort reagiert hatte. Dies notierte ich mir handschriftlich mit: "Eigentlich nicht … andererseits“. ... Außerdem bat sie schlussendlich darum, den auf ihren Wunsch eingefügten Absatz mit dem Begriff "Frau Gnadenlos" nun doch ganz wegzulassen, weil sie nach meiner Einschätzung nun eine Wiederholung dieses Begriffes doch nicht mehr für ihr Anliegen förderlich hielt. Auch dies habe ich schriftlich notiert. ... Die Streichungen im Zusammenhang mit meiner Person erfolgten erst nach diesem Gespräch ohne Veranlassung oder Information von Frau Kn. . ... Frau Kn. teilte mir in den Besprechungen keine Interna des Verfahrens W. mit und kommentierte die Entwürfe auch nicht in den Teilen, die nicht verändert wurden. Sie äußerte sich auch nicht zur geplanten und später gedruckten Überschrift. Ein oder zweimal sagte sie sinngemäß, dass sie nicht in den redaktionellen Text der AZ eingreifen wolle und dies die Redaktion auch sicherlich nicht zulasse. Ich persönlich hatte den Eindruck, dass es Frau Kn. nur darum gegangen war, dass der negative und nach ihrer Ansicht unberechtigte Eindruck einer "gnadenlosen" Person in der Zeitung korrigiert wurde. Der Textaufhänger "W. prozess" wurde von ihr als redaktionelle Notwendigkeit akzeptiert, spielte aber nach meiner Einschätzung für ihr eigenes Anliegen überhaupt keine Rolle.“
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9. Die Strafkammer berücksichtigte das Schreiben von Rechtsanwalt Dr. Bo. in ihrer Entscheidung nicht mehr, brachte es aber der Verteidigung am 12. Januar 2005 zur Kenntnis. Mit Beschluss vom 11. Januar 2005 wies die Strafkammer den Befangenheitsantrag vom 4. Januar 2005 zurück. Soweit der Antrag nicht bereits unzulässig sei, wurde er als unbegründet zurückgewiesen, da die vorgebrachten Gründe bei verständiger Würdigung nicht geeignet seien, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).
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10. Am 11. Januar 2005 erschien in der AZ folgende Stellungnahme: "Am 30. November 2004 erschien die Abendzeitung mit der Schlagzeile "Heute Münchens größter Schmiergeldprozess: W. zittert vor Frau Gnadenlos.“ Leider konnte durch diese Schlagzeile der Eindruck entstehen, die Prozessführung der Vorsitzenden Richterin Kn. ähnle dem bundesweit als Rechtspopulisten bekannten "Richter Gnadenlos" Sch. . Diese Assoziation war von der Redaktion nicht beabsichtigt. Die Abendzeitung hat sich deshalb bei Frau Kn. entschuldigt. Um diese Entschuldigung auch öffentlich deutlich zu machen, verfasste der Anwalt der Abendzeitung, Dr. Bo. , Mitte Dezember einen eigenen Artikel über Frau Kn. . Die Redaktion der Abendzeitung lehnte aber aus journalistischen Gründen ab, diesen Text zu drucken. Stattdessen wurde von der Redaktion im Vorfeld des Verhandlungstages vom 21. Dezember ein neuer Artikel über den Fall W. verfasst – und zwar ohne jedes Zutun von Frau Kn. und nach allgemein-journalistischen Maßstäben. In diesem Artikel kommt auch Dr. Bo. als Zeitzeuge zu Wort, der die Prozessführung von Frau Kn. seit Jahren kennt. Aus diesem Grund wurde dieser Text mit Herrn Dr. Bo. besprochen. Und mit ein paar unwesentlichen Änderungen in der Ausgabe vom 21. Dezember 2004 veröffentlicht. Die Redaktion“.
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II. Die Revision hat zur Begründung ihrer Verfahrensbeschwerde ausgeführt , die Strafkammer habe das Gesuch zu Unrecht zurückgewiesen. Die Vorsitzende habe über die niveaulose Schlagzeile "W. zittert vor Frau Gnadenlos" zu Recht empört gewesen sein können. Nicht diese Empörung führe zur Besorgnis ihrer Befangenheit, sondern die Besorgnis der Befangenheit werde begründet mit der unglücklichen Reaktion der Vorsitzenden auf den empörenden Artikel und vollends durch ihr nachträgliches Vertuschungsbemühen.
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1. Es erscheine ausgeschlossen, dass ein Richter, der darauf hingewirkt habe, dass seine richterliche Tätigkeit in einer Rechtssache in der Presse in einer bestimmten Weise beschrieben werde, in dieser Sache weiter als Richter tätig sein könne. Die Vorsitzende habe selbst dazu beigetragen und daran mitgewirkt , dass die AZ gewissermaßen als Ausgleich und Wiedergutmachung für die Charakterisierung "Richterin Gnadenlos" ihre richterliche Tätigkeit "in ganz ungewöhnlicher Weise rühmend hervorgehoben" habe. Die Vorsitzende dürfe sich um ihrer Unabhängigkeit willen mit einer solchen überhöhenden Darstellung nicht einverstanden erklären, erst recht nicht dadurch, dass sie den ent- sprechenden Presseartikel im Vorhinein "redigiere" und "absegne". Nachdem ihr der von Rechtsanwalt Dr. Bo. verfasste "Wiedergutmachungsartikel" zur Billigung vorgelegen habe, sei die Vorsitzende unbedingt gehalten gewesen, sich gegen "das barocke Übermaß des Lobpreises" zu verwahren. Ein Richter, der aktiv dazu beitrage, dass er in dieser Weise in einem laufenden Verfahren als praktisch das Verfahren "allein entscheidender richterlicher Übermensch" öffentlich charakterisiert werde, sei in seiner Entscheidung nicht mehr frei.
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2. Aber selbst wenn man der Vorsitzenden zugestehen wollte, dass sie sich in ihrer Empörung auch persönlich an die AZ wenden durfte, so habe dies unter allen Umständen außerhalb des Strafverfahrens gegen den Angeklagten geschehen müssen. Dies habe die Vorsitzende auch ersichtlich bald erkannt und deshalb versucht, ihre Bemühungen um Wiedergutmachung zu vertuschen. Diese Vertuschungs- und Verdrängungsbemühungen hätten zu den unwahren Äußerungen vom 23. Dezember 2004 geführt, in denen eine Kenntnis vom Entwurf des schließlich erschienenen Artikels in Abrede gestellt worden sei, und vom 29. Dezember 2004 zur gerade eben hergestellten Aktenvollständigkeit. Gerade der letzte Punkt sei bezeichnend. Die Äußerung vom 29. Dezember 2004 "selbstverständlich befindet sich der gesamte Vorgang bei den Akten" sei nicht mehr vertretbar. Sie suggeriere, dass dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit "selbstverständlich" Rechnung getragen werde. In Wahrheit sei das Gegenteil der Fall, wenn die mit dem 1. Dezember 2004 beginnenden Vorgänge geschlossen erst nach dem 27. Dezember 2004 auf die Nachfrage der Verteidigung vom 23. Dezember 2004 zu den Akten gelangt seien. Unwahrheiten und Vertuschungen eines Richters im Umgang mit Verfahrensbeteiligten führten unweigerlich zur begründeten Besorgnis der Befangenheit.
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III. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO liegt nicht vor. Das Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005 wurde nicht mit Unrecht verworfen.
Dies hat die nach Beschwerdegrundsätzen durchgeführte Prüfung des Senats ergeben.
47
1. Die Prüfung nach Beschwerdegrundsätzen bedeutet, dass der Senat den Sachverhalt im Wege des Freibeweises selbst feststellt. Der der Vorsitzenden zum Vorwurf gemachte Sachverhalt muss bewiesen sein. Der Senat ist dabei auch nicht an die Begründung der Strafkammer gebunden.
48
2. Der Senat hält den Sachverhalt für bewiesen, den der Rechtsanwalt der AZ Dr. Bo. in seinem Schreiben vom 10. Januar 2005 dargestellt und wie ihn die Redaktion der AZ in ihrer Stellungnahme vom 11. Januar 2005 öffentlich gemacht hat. Er beurteilt das Verhalten der Vorsitzenden deshalb nicht nach dem davon abweichenden Sachverhalt, den die Revision ihrer Bewertung zugrunde legt; diese geht auf die beiden Stellungnahmen nicht hinreichend ein.
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3. Für die rechtliche Bewertung des danach erwiesenen Sachverhalts gilt zunächst:
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a) Für die Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob die Bemühungen der Vorsitzenden nach öffentlicher und nachhaltiger Wiedergutmachung hier angemessen waren (vgl. Ziffer III. 2.1 der Richtlinien für die Zusammenarbeit der bayerischen Justiz mit der Presse vom 26. Oktober 1978 (BayJMBl. 1978 S.188)). Insoweit hätte sie zu bedenken gehabt, dass die Vorgänge während einer laufenden Hauptverhandlung erfolgten und daher den ungestörten Ablauf des Verfahrens gefährden konnten (vgl. zur Ermahnung von Schöffen durch den Vorsitzenden zur Verhinderung von Befangenheitsanträgen durch Äußerungen gegenüber der Presse BGH, Beschl. vom 18. Oktober 2005 - 1 StR 114/05). Ob auch - wie von der Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung behauptet wurde - die Grenzen dienstlicher Pflichten überschritten wurden, muss der Senat ebenfalls nicht entscheiden.
51
Denn allein der Umgang eines erkennenden Richters mit der Presse begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit, selbst dann nicht, wenn das Verhalten des Richters persönlich motiviert oder sogar unüberlegt war.
52
b) Maßstab für die Besorgnis der Befangenheit ist vielmehr, ob er den Eindruck erweckt, er habe sich in der Schuld- und Straffrage bereits festgelegt (vgl. BGH wistra 2002, 267, 268). Dies ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten aus zu beurteilen. Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Zunächst berechtigt erscheinendes Misstrauen ist nach umfassender Information über den zugrunde liegenden Vorgang möglicherweise gegenstandslos (vgl. BGHSt 4, 264, 269 f.; BGH wistra 2002, 267; NStZ-RR 2004, 208 jeweils m.w.N.).
53
4. Die nach diesen Maßstäben vorgenommene Prüfung des Sachverhalts durch den Senat ergibt, dass weder der Inhalt und die Umstände des Zustandekommens des AZ-Artikels vom 21. Dezember 2004 noch die Kommunikation der Vorsitzenden mit der AZ und der Verteidigung einem verständigen Angeklagten Anlass geben konnten, an der Unvoreingenommenheit der Richterin zu zweifeln.
54
a) Schon der Inhalt des Artikels vom 21. Dezember 2004 gab dem Angeklagten keinen Grund, an der Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden zu zweifeln. Der Artikel enthält journalistische Beschreibungen und Wertungen der Person der Vorsitzenden. Die Redaktion der AZ berichtet - anders als in ihrem Artikel vom 30. November 2004 mit dem Titel "W. zittert vor Frau Gnadenlos" - nunmehr über den "menschlichen Umgang" der Vorsitzenden in der bisherigen Hauptverhandlung. Sie sei "für ihre manchmal strengen Urteile bekannt , aber sie verliere dabei nie den Menschen aus dem Auge". Der Artikel enthält keinerlei Hinweise darauf, dass der Angeklagte befürchten musste, im weiteren Verlauf seines Prozesses von der Richterin nicht fair behandelt zu werden. Die Revision behauptet auch nicht, dass die Vorsitzende in ihrer Verhandlungsführung oder einer Äußerung gegenüber dem Angeklagten Anlass für eine Ablehnung wegen Befangenheit gegeben hätte. Soweit der Artikel die Strategie beim Antrag auf Aussetzung des Verfahrens als "juristisches Waterloo des Verteidigers" kommentiert - die Äußerung des Angeklagten in der Hauptverhandlung über die Folgen einer längeren Untersuchungshaft belegen, dass er mit einem solchen Antrag nicht einverstanden war - und die AZ spekuliert, dass der Angeklagte „seine Verteidigungsstrategie ändert und alles gesteht", sind dies ebenfalls erkennbar journalistische Wertungen aufgrund eigener Beobachtungen des Prozesses. Sie gehen weder auf Äußerungen der Vorsitzenden in der Hauptverhandlung zurück noch beruft sich die Redaktion auf Gespräche mit der Vorsitzenden außerhalb der Hauptverhandlung.
55
Dies belegen - neben den Schreiben der Vo rsitzenden an die Verteidiger und der dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden - das Schreiben von Rechtsanwalt Dr. Bo. vom 10. Januar 2005 sowie die Stellungnahme der Redaktion der AZ am 11. Januar 2005, in der öffentlich gemacht wurde, Dr. Bo. habe Mitte Dezember 2004 einen eigenen Artikel über Frau Kn. verfasst. Die Redaktion habe es aber aus "journalistischen Gründen" abgelehnt , diesen Text zu drucken. Die Redaktion habe im Vorfeld des Verhandlungstages vom 21. Dezember 2004 einen neuen Artikel zum Fall W. verfasst - "und zwar ohne jedes Zutun von Frau Kn. und nach allgemeinjournalistischen Maßstäben".
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b) Der Senat sieht aber auch nach genauer Analyse aller einzelnen Umstände , unter denen die Vorsitzende durch die Redaktion der AZ in die Entstehung des Artikels einbezogen wurde, keinen Grund, weshalb bei einem verständigen Angeklagten Misstrauen gegen die Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden entstehen sollte.
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aa) Der Senat kann schon entgegen dem Vorbringen der Revision nicht feststellen, dass die Vorsitzende auf eine Berichterstattung "hingewirkt" hat, die "ihre richterliche Tätigkeit in ganz ungewöhnlicher Weise rühmend hervorhob". Zwar verfolgte die Vorsitzende mit dem Schreiben vom 6. Dezember 2004 das Ziel einer angemessenen und öffentlichen Wiedergutmachung weiter. Entgegen dem Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005 stellte sie in ihrem Schreiben aber weder einen Strafantrag wegen Beleidigung noch machte sie Schadensersatzansprüche oder formale presserechtliche Ansprüche gegen die AZ geltend. Die Idee eines "Wiedergutmachungsartikels" beruhte nach dem Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Bo. vom 10. Januar 2005 - unabhängig vom Schreiben der Vorsitzenden vom 6. Dezember 2004 - auf Bemühungen der Chefredaktion der AZ, nachdem es auf die Schlagzeile "Frau Gnadenlos" Reaktionen aus der Leserschaft gegeben hatte. Nach dem ersten Entschuldigungsschreiben vom 1. Dezember 2004 - das für die Vorsitzende nicht ausreichend war - beauftragte der Chefredakteur der AZ Rechtsanwalt Dr. Bo. persönlich, einen Artikel über die Vorsitzende zu veröffentlichen, "der ihre bekannte menschliche Art der Prozessführung deutlich betonen sollte". Den ersten Textentwurf erstellte Herr Dr. Bo. ohne jede Beteiligung der Vorsitzenden. Er be-stätigte auch, dass in dem ersten Entwurf für einen vom ihm konzipierten Wiedergutmachungsartikel auf Anregung der Vorsitzenden eine Passage aufgenommen werden sollte, in der "noch einmal ausdrücklich klargestellt wurde, dass der Begriff "Frau Gnadenlos" nicht gerechtfertigt gewesen war".
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Der von Dr. Bo. dargestellte Ablauf hat dem Senat die Gewissheit verschafft , dass ein "Hinwirken" oder ein qualitativer Einfluss auf die Gestaltung des ersten Entwurfes vom 17. Dezember 2004, den die Revision als "Redigieren" oder "Absegnen" ansieht, gerade nicht vorlag. Soweit sich aus dem Schreiben von Dr. Bo. eine Kommunikation mit der Vorsitzenden über den ersten Entwurf ergibt, stand diese nicht in einem von ihr hergestellten Bezug zu ihrer richterlichen Tätigkeit im laufenden W. -Verfahren.
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bb) Die Vorsitzende hat aber auch nicht auf den zweiten Entwurf vom 20. Dezember 2004 "hingewirkt". Dr. Bo. hat überzeugend dargelegt, dass der von ihm persönlich verfasste erste Entwurf vom 17. Dezember 2004 aus "Aktualitätsgründen" von der Redaktion der AZ ganz erheblich verändert worden sei. Der Artikel der AZ vom 11. Januar 2005 belegt dies. Die Redaktion hatte es "aus journalistischen Gründen" abgelehnt, den "Wiedergutmachungsartikel" in der Fassung des ersten Entwurfs vom 17. Dezember 2004 als öffentliche Entschuldigung zu drucken. Dies lässt allein den Schluss auf Veränderungen im Meinungsbildungsprozess innerhalb der Redaktion der AZ zu. Jedenfalls überarbeitete Dr. Bo. den Entwurf in Kontakt mit der Redaktion und ohne Information oder Beteiligung der Vorsitzenden. Er betonte ausdrücklich, dass die "Grundidee - Vorteile eines Geständnisses - allein aus seiner Feder stammte". Der zweite Entwurf erhielt damit eine andere Zielrichtung und stellte den laufenden W. -Prozess und die Ereignisse des letzten Hauptverhandlungstages in den Mittelpunkt, ohne dass die Vorsitzende darauf Einfluss hatte.
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Dr. Bo. übersandte den zweiten Entwurf per Fax mit der Frage, ob sie "auch mit diesem Entwurf" einverstanden sei und suchte die Vorsitzende wiederum in ihrem Dienstzimmer auf, um ihr Einverständnis mit den von der Redaktion bewirkten Änderungen zu erlangen. Bei dem kurzen Gespräch war diesmal auch ein Beisitzer der Strafkammer anwesend. Beide wandten gegen- über dem Entwurf - und zwar um den Angeklagten vor einer objektiv unrichtigen , für ihn nachteiligen Darstellung zu bewahren - ein, dieser habe auf die von der Vorsitzenden in der Hauptverhandlung gestellte Frage nach den Konsequenzen einer Aussetzung des Verfahrens nicht nur mit einem schlichten "Nein" geantwortet, sondern habe eine differenziertere Antwort gegeben. Im Übrigen wünschte die Vorsitzende nur die Streichung des Absatzes mit dem Begriff "Frau Gnadenlos", damit dieser nicht noch einmal in einem Artikel - selbst in dem Sinn einer Entschuldigung - erschien. Schließlich stellte Dr. Bo. klar, dass sich die Vorsitzende zu den gegenüber dem später erschienenen Artikel nicht veränderten Teilen des Entwurfs weder äußerte noch diese kommentierte, weil sie nicht in den redaktionellen Text der AZ eingreifen wollte und der - offensichtlich von ihm geteilten - Meinung war, dass dies die Redaktion auch sicherlich nicht zulasse.
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cc) Die Revision trägt zusätzlich vor, eine Befangenheit der Vorsitzenden ergebe sich auch daraus, dass sie sich "um ihrer Unabhängigkeit willen" nicht mit einer überhöhenden Darstellung ihrer Person als Richterin habe "einverstanden erklären" dürfen; auch habe sie sich nicht "gegen das barocke Übermaß des Lobpreises" "verwahrt". Dieses Vorbringen lässt nicht auf die Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden schließen. Soweit die Revision damit meint, die Vorsitzende sei aufgrund der Kontakte zur AZ verpflichtet gewesen, gegen den Artikel vom 21. Dezember 2004 aktiv vorzugehen, ist ihr Vorbringen widersprüchlich , denn damit verlangt sie ein Verhalten, das sie der Vorsitzenden zuvor noch zum Vorwurf gemacht hat.
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dd) Darüber hinaus führt die Revision an, die Vorsitzende habe entgegen ihrer Fürsorgepflicht weder den Angeklagten noch seine Verteidiger vor dem Erscheinen des Artikels vom 21. Dezember 2004 informiert, obwohl die Veröffentlichung den Angeklagten in seinen Rechten verletzt habe.
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Der Senat vermag einen Rechtsgrund für eine solche Verpflichtung der Vorsitzenden nicht zu erkennen. Der Senat hat erwogen, ob die Bemühungen um einen Wiedergutmachungsartikel und der Kontakt zu Rechtsanwalt Dr. Bo. der Vorsitzenden gegenüber dem Angeklagten aufgrund der Vorgeschichte eine solche Verpflichtung auferlegen konnten. Eine derartige Pflicht traf die Vorsitzende nicht, auch nicht aufgrund des Grundsatzes des fairen Verfahrens.
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Allerdings gebietet die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dem Angeklagten Zugang zu dem verfahrensbezogenen Tatsachen- und Beweismaterial zu ermöglichen, das die Strafverfolgungsorgane im Rahmen der gegen ihn gerichteten Ermittlungen gesammelt haben, damit er zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen kann (BVerfGE 63, 45, 61 m.w.Nachw.). Dazu gehören auch die Ergebnisse von Ermittlungen , die das Gericht während der Hauptverhandlung ohne Wissen des Angeklagten und der Verteidigung veranlasst und die dann zu den Akten gelangen (BGHSt 36, 305, 308 ff.).
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Ein damit vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor. Rechtsanwalt Dr. Bo. hat ausdrücklich hervorgehoben, dass die Vorsitzende in den beiden Gesprächen keine Interna des laufenden Verfahrens preisgegeben hat. Damit enthielten die beiden Entwürfe für den Artikel vom 21. Dezember 2004 keine von der Vorsitzenden offenbarten verfahrensbezogenen Tatsachen (mit Ausnahme der oben genannten Richtigstellung zugunsten des Angeklagten), noch hatte der Inhalt des Artikels Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses.
66
ee) Nach allem steht für den Senat fest, dass die Vorsitzende mit ihren Kontakten zur AZ allein das Ziel der öffentlichen Wiedergutmachung verfolgt hat. Einen darüber hinaus gehenden Einfluss auf die Entwürfe für den Artikel vom 21. Dezember 2004 hat er nicht festgestellt.
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b) Der Senat geht auch nicht davon aus, dass die Vorsitzende Teile der Vorgänge um die Entstehung des Artikels vom 21. Dezember 2004 gegenüber den Verteidigern "vertuscht" hat.
68
aa) Die Revision meint unter Bezugnahme auf das Urteil des 5. Strafsenats vom 30. September 1992 - 5 StR 169/92-, wistra 1993, 19, 20 f., unabhängig von dem "Hinwirken" auf den Artikel in der AZ liege eine Befangenheit auch deshalb vor, weil der Angeklagte eine dienstliche Äußerung eines Richters "nicht nur für unklar, sondern auch für objektiv falsch halten" konnte.
69
Dem Schreiben der Vorsitzenden vom 23. Dezember 2004 an die Verteidiger "Es ist richtig, dass Herr Rechtsanwalt Bo. mit einem Entwurf eines Artikels bei mir war, allerdings hat dieser Artikel mit dem, was später von der Redaktion daraus gemacht wurde, nicht mehr sehr viel gemeinsam. Vor allem war in dem von mir vorab überlassenen Artikel nicht die Rede von einem Geständnis des Herrn

W.

, noch von meiner geschickten Verhandlungsführung oder sonstigem, es war vielmehr das Thema, ob ich in meinen Entscheidungen gnadenlos, streng oder milde bin“ entnimmt die Revision, die Vorsitzende habe in ihrer Antwort an die Verteidiger bewusst nur den ersten Entwurf vom 17. Dezember 2004 angesprochen, in der Absicht, das zweite Gespräch mit Dr. Bo. über den zweiten Entwurf für den Artikel vom 21. Dezember 2004 zu verschweigen. Da ihr schon am 23. Dezember 2004 alle Einzelheiten bekannt gewesen se ien, sie aber erst in dem Schreiben vom 29. Dezember 2004 den gesamten Sachverhalt offenbart und sich darüber hinaus nicht entschuldigt habe, habe die Vorsitzende "vertuschen" wollen.
70
Diese Auslegung des Schriftwechsels durch die Revision steht unter der Prämisse, die Vorsitzende habe die Absicht gehabt, ihre Beteiligung an dem Artikel in der Form des "Hinwirkens", "Redigierens" oder "Absegnens" zu ver- heimlichen. Die Revision unterstellt, die Vorsitzende sei nach ihrem Schreiben vom 23. Dezember 2004 aufgrund des zweiten Schreibens der Verteidiger vom 23. Dezember 2004, mit dem diese weitere Einzelheiten erfragten und Akteneinsicht bis zum 11. Januar 2005 beantragten, unter einen "Druck" geraten und "gezwungen" gewesen, im Schreiben vom 29. Dezember 2004 das zweite Treffen mit Dr. Bo. und den zweiten Entwurf für den Artikel zu offenbaren.
71
Dieser Bewertung des Sachverhalts folgt der Senat nicht (siehe oben unter III. 4. b)):
72
Das zweite Schreiben der Verteidiger vom 23. Dezember 2004 enthält über den Wortlaut ihres ersten Schreibens vom selben Tag, ihnen "sei mitgeteilt worden", der Artikel sei mit der Vorsitzenden besprochen worden, und über den Antrag auf Akteneinsicht bis zum 11. Januar 2005 hinaus keine konkreteren Hinweise oder Vorhalte, aufgrund derer sich die Vorsitzende "entdeckt" fühlen musste, bisher "Verschwiegenes" zu offenbaren. Der Wortlaut des zweiten Schreibens der Verteidiger musste bei der Vorsitzenden auch nicht den Eindruck erwecken, sie hätten sie nochmals angeschrieben, weil sie über weitergehende Detailinformationen zur Entstehung des Artikels vom 21. Dezember 2004 verfügten.
73
Auch unabhängig vom Inhalt der beiden Schreiben der Verteidiger gab es keinen Grund für die Unterstellung der Revision, die Vorsitzende habe sich insoweit unter Druck gesetzt fühlen müssen. Die Vorsitzende machte in dem Schriftwechsel konsequent ihre Haltung deutlich, sie habe nur eine Wiedergutmachung gegenüber der AZ verlangt und habe mit dem Artikel vom 21. Dezember 2004 nichts zu tun. So berichtete sie in ihrem ersten Schreiben vom 23. Dezember 2004, dass Rechtsanwalt Dr. Bo. wegen eines "Wiedergutmachungsartikels" bei ihr gewesen sei. Sie machte ebenso in diesem Schreiben deutlich, dass sie die weitere Entwicklung dieses Artikels, so wie er - "wohl um einer Schlagzeile willen" - am 21. Dezember 2004 erschienen sei, nicht zu verantworten habe.
74
Auch ihr Schreiben vom 29. Dezember 2004 leitete die Vorsitzende mit den Feststellungen ein: "Es trifft nicht zu, dass der von Ihnen angesprochene Artikel in der Abendzeitung mit mir abgestimmt oder in sonstiger Weise mit mir abgesprochen war." "Richtig ist, dass ich einen Tag vor Erscheinen des Artikels einen Entwurf hiervon zur Kenntnis erhielt." Aus ihrer Sicht begründete das "zur Kenntnis erhalten" entgegen der Unterstellung der Revision keinen "Druck" oder "Zwang", in dem Schreiben eine "aktive Beteiligung" an dem Artikel zu offenbaren.
75
Diese Sichtweise bestätigt die Vorsitzende in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 5. Januar 2005 zum Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005. Zum Antrag auf Akteneinsicht hat sie nachvollziehbar dargelegt, sie habe erst aufgrund des zweiten Schreibens der Verteidigung vom 23. Dezember 2004 erkennen können, dass die Verteidigung sich für den Vorgang interessiert habe. Sie habe Verständnis dafür, dass ihr erstes - unter Zeitdruck zustande gekommenes - Antwortschreiben aus Sicht der Verteidigung Fragen offen gelassen habe. Darum habe sie im Schreiben vom 29. Dezember 2004 zu einer chronologischen Darstellung der Einzelheiten gegriffen.
76
Gegen eine Vertuschungsabsicht spricht schließlich, dass die Vorsitzende die beantragte Akteneinsicht - die bis zum nächsten Verhandlungstag am 11. Januar 2005 erfolgen sollte - bereits am 30. Dezember 2004 gewährte und der Verteidigung sämtliche Vorgänge zur Nachprüfung zur Verfügung stellte.
77
Selbst wenn man das Schreiben der Vorsitzenden vom 23. Dezember 2004 als unvollständig ansieht, hat sie mit ihrem Schreiben vom 29. Dezember 2004 - ohne dem von der Revision behaupteten erhöhten Druck ausgesetzt gewesen zu sein - von sich aus der Verteidigung alle ihr bekannten Einzelheiten über das Zustandekommen des am 21. Dezember 2004 tatsächlich erschienenen Artikels mitgeteilt. Dies widerlegt den von der Revision erhobenen Vorwurf der Vertuschung.
78
bb) Schließlich ist die Erklärung in dem Schreiben an die Verteidiger vom 29. Dezember 2004 "Selbstverständlich befindet sich der gesamte Vorgang bei den Akten" kein Beleg für weitere "Unwahrheiten und Vertuschungen eines Richters im Umgang mit Verfahrensbeteiligten".
79
Die Vorsitzende hat in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 5. Januar 2005 dargelegt, sie habe es als zweifelhaft angesehen, ob die Vorgänge über die Entstehung des Artikels vom 21. Dezember 2004 überhaupt in die Strafakten gehörten und was aus Sicht der Verteidigung "rechtzeitig" sei. Unbeschadet der Frage, ob die Vorgänge Bestandteile der Strafakten sind, erscheint es dem Senat nachvollziehbar, dass die Vorsitzende vor der - ohnehin erst - am 23. Dezember 2004 beantragten Akteneinsicht dem Vorgang zunächst keine derartige Bedeutung zugemessen hat, zumal sie auch dargelegt hat, sie sei am letzten Tag vor der Weihnachtspause mit der Haftbeschwerde des Angeklagten beschäftigt gewesen. Jedenfalls konnte sich die Verteidigung bei der Akteneinsicht vom 30. Dezember 2004 ein vollständiges Bild über die Entwürfe für den AZ-Artikel vom 21. Dezember 2004 verschaffen. Dass die Vorsitzende jeweils von sich aus die Vorgänge um den Artikel nicht schnellstens zu den Akten gebracht hat, begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.
80
Soweit der Angeklagte die Vorsitzende deshalb nicht für innerlich unabhängig hält, weil sie in Vertuschungsabsicht habe "suggerieren" wollen, sie habe dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit seit Erscheinen des ersten Artikels vom 30. November 2004 unverzüglich Rechnung getragen, erweist sich dieses Vorbringen als reine Spekulation über innere Vorstellungen.
81
IV. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
82
1. Die Strafkammer hat den Angeklagten zu Recht wegen Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB verurteilt. Er hatte als Mitgeschäftsführer der Stadion GmbH eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht. Zu seinem Aufgaben- und Pflichtenkreis gehörte es, im Vergabeverfahren darauf hinzuwirken, dass der Stadionneubau allen qualitativen Anforderungen entsprach und dass dabei ein möglichst günstiger Preis erzielt wurde. Wenn er in Erfüllung der Vereinbarung mit dem A. Konzern in der Person von Al. sen. Informationen über Einsparpotenziale bei seinem Wettbewerber herausgab, trug der Angeklagte dazu bei, dass bei der Vergabe dennoch der höhere Preis akzeptiert wurde, damit aus den bei der A. Deutschland GmbH erzielten Einsparungen das Schmiergeld an den Mitangeklagten gezahlt werden konnte. Insoweit hat der Angeklagte treuwidrig gehandelt, weil die erzielbaren Minderkosten nicht der Stadion GmbH zugute kamen, die nach dem Zuschlag den höheren Werklohn zu zahlen hatte (BGHSt 47, 295, 298 f.). Dadurch hat er die Stadion GmbH geschädigt.
83
2. Das Landgericht hat aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung den Angeklagten auch der in Tateinheit mit der Untreue begangenen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 1 StGB) für schuldig befunden. Entgegen dem Vorbringen der Revision hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass es bis zum Zuschlag am 8. Februar 2002 einen echten Wettbewerb gab. Als Geschäftsführer der Stadion GmbH war der Angeklagte im Januar 2002 deren Beauftragter. Beauftragter ist, wer befugtermaßen für den Geschäftsbetrieb tätig werden kann, ohne Angestellter zu sein. Bei seinen Ab- sprachen bezüglich einer Vergabe des Auftrags an die A. Deutschland GmbH betätigte sich der Angeklagte im geschäftlichen Verkehr. Es ging auch um gewerbliche Leistungen. Der von ihm erstrebte Vorteil bestand darin, dass der A. Konzern, geführt von Al. sen. in Salzburg, über den Mitangeklagten seiner Firma WHI rund 2,59 Millionen € zahlte. Die Zuwendung ließ sich der Angeklagte im Januar 2002 versprechen und nahm sie an in einem Zeitraum, in welchem er Geschäftsführer der Stadion GmbH und der Komplementärin der KG aA war. Auf diese Zuwendung des A. Konzerns hatte weder er selbst einen Anspruch noch seine Firmengruppe WHI.
84
Der Vorteil war auch Bestandteil einer Unrechtsvereinbarung. Der Betrag wurde – auch das hat das Landgericht überzeugend und rechtsfehlerfrei festgestellt - nicht auf eine Provisionsforderung des Mitangeklagten bezahlt, sondern als Schmiergeld. Er wurde gewährt aufgrund der konkludent gezeigten Bereitschaft des Angeklagten, sich für eine Vergabe an die A. Deutschland GmbH einzusetzen und für Nachtragsaufträge und -forderungen ein gewogener Ansprechpartner zu sein sowie auch weiterhin geheime Informationen über das Angebot des Mitbieters zu liefern. Durch all dies sollte die A. Deutschland GmbH nach der Vorstellung von Al. senior, die der Angeklagte erkannte, im Vergabeverfahren bevorzugt werden. Bevorzugung bedeutet dabei die sachfremde Entscheidung zwischen zumindest zwei Bewerbern, setzt also Wettbewerb und Benachteiligung eines Konkurrenten voraus. Hierbei genügt es, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen Handlungen nach der Vorstellung des Täters geeignet sind, seine eigene Bevorzugung oder die eines Dritten im Wettbewerb zu veranlassen (BGHSt 49, 214, 228; BGH NJW 2003, 2996, 2997; BGHSt 10, 358, 367 zu § 12 UWG aF). Zur Erfüllung des Tatbestandes braucht die vereinbarte Bevorzugung tatsächlich nicht eingetreten zu sein. Es muss auch keine objektive Schädigung eines Mitbewerbers eingetreten sein. Schutzgut des § 299 StGB ist die strafwürdige Störung des Wettbewerbs sowie die abstrakte Gefahr sachwidriger Entscheidungen (Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 299 Rdn. 2).
85
Die Bevorzugung war hier unlauter, weil sich der Angeklagte am 17. Januar 2002 bereit zeigte, geheime Informationen über das Angebot des Mitbieters zu beschaffen. Er lieferte diese auch am 28. Januar 2002, indem er Al. sen. über Einsparpotenziale beim Mitbieter B. aufklärte. Er handelte dabei in der Absicht, über Al. sen. die A. Deutschland GmbH ebenfalls zu Einsparungen zu veranlassen, aus denen das Schmiergeld gezahlt werden sollte. Mithin handelte es sich um einen geradezu klassischen Fall der Bestechung im geschäftlichen Verkehr durch eine Schmiergeldzahlung.
86
Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass das Landgericht eine Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in einem besonders schweren Fall angenommen hat. Die Vereinbarung mit Al. sen. bezog sich auf einen Vorteil großen Ausmaßes im Sinne von § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB (vgl. BGHSt 48, 360).

C.

87
Die Revision der Staatsanwaltschaft
88
Es kann hier offen bleiben, ob das Landgericht rechtsfehlerhaft keinen besonders schweren Fall der Untreue nach § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 StGB angenommen hat und deshalb bei der Strafzumessung von einem zu niedrigen Strafrahmen ausgegangen ist.
89
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob hier das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB des Vermögensverlustes großen Ausmaßes vorgelegen hat (vgl. dazu BGHSt 48, 354) oder ob im Hinblick auf die außerordentliche Höhe des Schadens und die Verschleierung der Zahlungsvorgänge mittels Scheinrechnungen ein besonders schwerer Fall im Sinne eines unbenannten Regelbeispiels vorgelegen hat.
90
Die gegen den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten erscheint nämlich angemessen. Das Landgericht ist im Kern von dem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen, indem es die Strafe dem oberen Bereich des Strafrahmens aus § 300 StGB entnommen hat. Auch im Übrigen kann der Senat die Angemessenheit der Strafe selbst beurteilen, weil alle für die Strafzumessung erforderlichen Tatsachen vom Landgericht mitgeteilt worden sind und es keiner weiteren Feststellungen bedarf. Nack Wahl Boetticher Hebenstreit Elf

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens

1.
einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, oder
2.
ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze.

(2) Ebenso wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr einem Angestellten oder Beauftragten eines Unternehmens

1.
einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen ihn oder einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, oder
2.
ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung: ja
1. Zur Beendigung der Bestechung durch Versprechen
eines Vorteils.
2. Zur Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch objektiv
neutrale Handlung.
BGH, Urteil vom 18. Juni 2003 - 5 StR 489/02
LG Bochum -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 18. Juni 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
18. Juni 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K ,
Rechtsanwalt Dr. S
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 15. Mai 2002 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Untreue in zwei Fällen und Beihilfe zur Steuerhinterziehung in fünf Fällen verurteilt worden ist,
b) im gesamten Strafausspruch.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im übrigen – wegen Untreue in zwei Fällen, Angestelltenbestechung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit Verfahrens- und Sachrügen, ferner macht er Verfahrenshindernisse geltend.
Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Um- fang Erfolg. Im übrigen ist es unbegründet.

I.


Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war Gesellschafter der A W P GmbH und Co. KG (A-GmbH & Co. KG) und der G B GmbH (G-GmbH). In beiden Unternehmen veranlaßte er den Abfluß von Geldern (insgesamt mehr als 5,5 Mio. DM) durch Bezahlung von Scheinrechnungen der Firma I . Das dann durch Bezahlung eigener fingierter Gegenrechnungen gewonnene Schwarzgeld setzte er für Schmiergeldzahlungen an die gesondert abgeurteilten früheren Mitangeklagten Prof. Dr. M und H ein. Diese sorgten als Verantwortliche bei der DB I , einem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, dafür, daß mit Firmen des Angeklagten für diesen äußerst lukrative Verträge, u.a. über große Neubauprojekte der Deutschen Bahn, abgeschlossen wurden. Nachdem er in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten geraten war, sagte der Angeklagte den beiden Bestochenen die Übertragung seines 50 %igen Geschäftsanteils an einem Verwaltungsgebäude in Sydney/Australien zu; zu einer tatsächlichen Eigentumsübertragung an M und H kam es wegen Besonderheiten des australischen Grundstücksrechts nicht mehr. Darüber hinaus gab der Angeklagte M und H einen „Tip“, wo und wie sie die erhaltenen Gelder in der Schweiz anlegen konnten.

II.


Die Verurteilung des Angeklagten wegen Angestelltenbestechung (Bestechung im geschäftlichen Verkehr) nach § 299 Abs. 2 Var. 2, § 300 StGB – die allein im Hinblick auf das Versprechen, einen Gebäudean-
teil an M und H zu übertragen, erfolgt ist – hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

a) Hinsichtlich dieser Verurteilung liegt eine wirksame Anklage vor, insbesondere ist die ausgeurteilte Begehungsform des „Versprechens eines Vorteils“ von Anklage und Eröffnungsbeschluß umfaßt.
Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO „die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt“. In diesem Sinne umfaßt die Tat nicht nur das einzelne in der Anklage und im Eröffnungsbeschluß erwähnte Tun des Angeklagten, sondern den ganzen, nach der Auffassung des Lebens eine Einheit bildenden geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Den Rahmen der Untersuchung bildet zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt. Dazu kommt aber auch das gesamte Verhalten des Angeklagten , soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet, auch wenn diese Umstände in der Anklageschrift nicht ausdrücklich erwähnt sind (vgl. BGHSt 13, 320, 321; 23, 141, 145 f.; 32, 215, 216; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 36 m. w. N.). Insoweit darf auch auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes zurückgegriffen werden (vgl. BGHSt 46, 130, 134; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 12 – jew. m. w. N.; BGH NStZ 2001, 656, 657).
Danach zieht die Revision zu Unrecht die Identität zwischen dem der Anklage und dem der Verurteilung zugrundeliegenden Sachverhalt in Zweifel. Dem Gewähren eines Vorteils geht in aller Regel, wie auch hier, ein entsprechendes Versprechen voraus, welches im Fall der Erfüllung von der
spezielleren Begehungsform des Gewährens verdrängt wird. Das Versprechen des Angeklagten, einen Geschäftsanteil an einem Verwaltungsgebäude in Sydney/Australien an M und H zu übertragen, ging dabei auf die sich erheblich verschlechternde Liquiditätslage des Angeklagten zurück. Allein wegen Besonderheiten des australischen Grundstücksrechts kam es letztlich nicht zum Vollzug der Übertragung, was offenbar bei Anklageerhebung noch nicht sicher bekannt war. Seine Übertragungsbemühungen stoppte der Angeklagte erst nach seiner Verhaftung am 22. März 2000. Die zeitliche Differenz, bezogen auf das erste Versprechen, zwischen Anklage und tatgerichtlichen Feststellungen stellt angesichts des dargelegten Zusammenhangs zwischen Versprechen und – hier noch nicht zur Verwirklichung gelangter – Gewährung die Tatidentität im Sinne von § 264 StPO ebensowenig in Frage, wie der Umstand, daß der Vorgang in der Anklage als Gewähren eines Vorteils im Sinne des § 299 Abs. 2 StGB gewertet wurde.

b) Die Bestechung im geschäftlichen Verkehr ist nicht verjährt.
Nach § 78a Satz 1 StGB beginnt die Verjährung, sobald die Tat beendet ist. Die Beendigung der Tat tritt erst in dem Zeitpunkt ein, in dem das Tatunrecht seinen tatsächlichen Abschluß findet. Die Verjährung kann danach erst einsetzen, wenn der Täter sein rechtsverneinendes Tun insgesamt abgeschlossen hat. Vorher besteht kein Anlaß, durch den Beginn der Verjährungsfrist einen Verfolgungsverzicht in Aussicht zu stellen (vgl. BGHSt 43, 1, 7; Jähnke in LK 11. Aufl. § 78a Rdn. 3 m. w. N.).
In den Bestechungsfällen, in denen zwar ein Vorteil versprochen oder gefordert wird, es aber nicht zum Gewähren des Vorteils kommt, ist die Tat somit beendet, wenn die Forderung oder das Versprechen sich endgültig als „fehlgeschlagen“ erwiesen haben und der Täter mit einer Erfüllung nicht mehr rechnet (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 331 Rdn. 30 – zu den Amtsbestechungsdelikten). Bis zu diesem Zeitpunkt entfaltet das Verspre-
chen für den Empfänger seine motivierende Kraft, sich entsprechend der Unrechtsvereinbarung zu verhalten.
Zwar konnte das Landgericht nicht ausschließen, daß das erste Versprechen des Angeklagten, einen Anteil an dem Geschäftsgebäude in Sydney zu übertragen, bereits Anfang 1997 und somit vor Inkrafttreten des durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997 (BGBl I 2038) eingeführten § 299 StGB erfolgte (UA S. 27). Nach den Feststellungen der Strafkammer rückte der Angeklagte jedoch erst mit seiner Verhaftung am 22. März 2000 von seinem Versprechen ab und beendete entsprechende Übertragungsbemühungen (UA S. 19, 27). Danach ist hinsichtlich des Vorwurfs der Angestelltenbestechung keine Verjährung eingetreten, da das Tatunrecht erst zu diesem Zeitpunkt seinen Abschluß gefunden hat.
Die Entscheidung des 1. Strafsenats vom 29. Januar 1997 – 1 StR 64/97 (NJW 1998, 2373) steht dem schon deswegen nicht entgegen, weil anders als im hier vorliegenden Fall dort nicht aufgeklärt werden konnte, aus welchen Gründen die versprochene Zahlung an den bestochenen städtischen Angestellten unterblieb.

c) Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr nach § 299 StGB werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, die Strafverfolgungsbehörde hält wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten (§ 301 StGB). Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses kann auch noch im Revisionsverfahren nachgeholt werden (BGHSt 6, 282, 285; vgl. auch BGHSt 46, 310, 315 ff.). Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 21. Januar 2003 ausdrücklich das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung gemäß § 301 StGB bejaht.
2. Die auf den Schuldspruch wegen Angestelltenbestechung bezogenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.

a) Soweit die Revision mit der Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) die unterbliebene Vernehmung der früheren Mitangeklagten Prof. Dr. M und H zur Frage des Wertes des Grundstückanteils in Sydney beanstandet, genügt diese Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Es hätte zusätzlich mitgeteilt werden müssen, ob und in welcher Rolle die Auskunftspersonen bereits vernommen worden sind und welche Angaben dabei gemacht wurden (vgl. BGH NStZ 1999, 45 m. w. N.).

b) Ohne Erfolg rügt die Revision, der Angeklagte sei nicht darauf hingewiesen worden (§ 265 StPO), daß auch eine Verurteilung wegen Versprechens eines Vorteils im Sinne von § 299 Abs. 2 Var. 2 StGB und nicht – wie angeklagt – wegen Gewährens eines solchen Vorteils in Betracht kommt.
Es ist schon zweifelhaft, ob die beiden Tatbestandsvarianten des Versprechens und des Gewährens im Sinne des § 299 Abs. 2 StGB ihrem Wesen nach andersartige Begehungsformen desselben Strafgesetzes sind, mit der Folge, daß das Gericht verpflichtet war, einen förmlichen Hinweis gemäß § 265 StPO zu erteilen (vgl. Engelhardt in KK 4. Aufl. § 265 Rdn. 9). Denn dem Gewähren eines Vorteils wird in aller Regel ein entsprechendes Versprechen – möglicherweise unmittelbar, möglicherweise länger zurückliegend – vorausgehen.
Jedenfalls beruht das Urteil nicht auf dem fehlenden Hinweis. Die Rüge der Verletzung von § 265 StPO kann keinen Erfolg haben, wenn sich mit Sicherheit ausschließen läßt, daß sich der Angeklagte bei einem rechtzeitig gegebenen Hinweis anders und erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können (vgl. dazu Engelhardt aaO Rdn. 33).
So liegt es hier. Zwar geht die Staatsanwaltschaft im Anklagesatz betreffend den Angeklagten E davon aus, daß der Vorteil gewährt wurde. Bereits im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wurde jedoch klargestellt, daß nicht sicher war, ob die Übertragung tatsächlich vollzogen war. Der An-
geklagte bestätigte in Kenntnis dieser Umstände in seiner Einlassung, die er in der Hauptverhandlung vom 6. Mai 2002 dem Gericht schriftlich übergab, zu dem betreffenden Tatkomplex gleichwohl, er habe M und H den Gesellschaftsanteil an dem Gebäude übertragen wollen, da er selbst nicht mehr über genügend liquide Mittel verfügt habe, um deren Geldforderungen zu erfüllen; zu einer Übertragung sei es dann aber nicht mehr gekommen.
3. Der Schuldspruch wegen Angestelltenbestechung hält sachlichrechtlicher Prüfung stand.

a) Eine Verurteilung wegen § 299 Abs. 2 StGB erfordert die Feststellung des Anbietens, Versprechens oder Gewährens eines Vorteils im Rahmen einer Unrechtsvereinbarung, deren Gegenstand und Ziel die zukünftige unlautere Bevorzugung eines anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen ist. Bevorzugung bedeutet dabei die sachfremde Entscheidung zwischen zumindest zwei Bewerbern, setzt also Wettbewerb und Benachteiligung eines Konkurrenten voraus. Dabei kommt es entscheidend nicht auf den Zeitpunkt der Tathandlung, sondern den zukünftigen Zeitpunkt des Bezuges von Waren oder gewerblichen Leistungen an (vgl. Tiedemann in LK 11. Aufl. § 299 Rdn. 28 ff.). Hierbei genügt es, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen Handlungen nach der Vorstellung des Täters geeignet sind, seine eigene Bevorzugung oder die eines Dritten im Wettbewerb zu veranlassen. Dabei bedarf es nicht der Vorstellung eines bestimmten verletzten Mitbewerbers (vgl. BGHSt 10, 358, 367 f. zu § 12 UWG a. F.). Unter dem vom Täter gewährten Vorteil ist jede Leistung zu verstehen, auf die der Empfänger keinen Rechtsanspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert (BGH wistra 2001, 260, 261 m. w. N.).

b) Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lassen sich die erforderlichen Feststellungen noch entnehmen. Danach wendete der Ange-
klagte den früheren Mitangeklagten Prof. Dr. M und H einen Anteil an seinem Gewinn zu, den er mit den Aufträgen der DB I erzielte, insgesamt ca. fünf Millionen DM (ausgeurteilt ist insoweit allerdings nur das Versprechen der Übertragung des Grundstücksanteils). Aufgrund dessen beeinflußten M und H die Auftragsvergabe der DB I zugunsten des Angeklagten. Damit wurde ganz offensichtlich von vornherein jeglicher Wettbewerb bei den Vergabeentscheidungen für die einzelnen an den Angeklagten vergebenen Bauprojekte der Deutschen Bahn unterbunden. Dies war dem Angeklagten auch bewußt und in seinem Sinne, da er wegen seiner angespannten finanziellen Lage auf die (verbleibenden) Gewinne aus diesen Aufträgen angewiesen war und deshalb auf das entsprechende Ansinnen des früheren Mitangeklagten Prof. Dr. M einging.

III.


Hinsichtlich der Verurteilungen des Angeklagten wegen Untreue in zwei Fällen und Beihilfe zur Steuerhinterziehung hat die Revision mit der Sachrüge Erfolg. Auf die insoweit erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
1. a) Die Strafkammer hat hinsichtlich des Untreuevorwurfes im Zusammenhang mit der G-GmbH im einzelnen noch folgende Feststellungen getroffen (Fall C II der Urteilsgründe): Der Angeklagte war mit einem Anteil von 95 % Gesellschafter der G-GmbH. Die anderen 5 % der Anteile gehörtem seinem Sohn Dr. Er , der dem Angeklagten mit notarieller Urkunde vom 28. Mai 1998 eine umfassende Generalvollmacht erteilt hatte. Der gesondert abgeurteilte frühere Mitangeklagte R berechnete auf Veranlassung des Angeklagten der G-GmbH durch seine Firma I mit Scheinrechnung vom 8. Juni 1998 für angebliche, tatsächlich jedoch nicht in diesem Umfang erbrachte Maklertätigkeiten 3.480.000,00 DM. Die Rechnung wurde am 20. Juni 1998 bezahlt. Am 25. Juni 1998 stellte der Angeklagte persönlich eine Gegenrechnung in Höhe von 3.248.000,00 DM an die
Fa. I , die am 26. Juni 1998 bezahlt wurde. Die Differenz zwischen beiden Rechnungen beruhte auf tatsächlich erbrachten Maklertätigkeiten des R . Durch diese – dem Mitgesellschafter nicht bekannten – Manipulationen wurden Gelder freigesetzt, die der Angeklagte als Schmiergelder für M und H einsetzte.
Das Landgericht wertet dieses Vorgehen als Untreue gemäß § 266 StGB, da das Handeln des Angeklagten nicht durch die erteilte Generalvollmacht seines Sohnes abgedeckt gewesen sei; diese decke nur ein den Pflichten eines ordentlichen Geschäftsführers entsprechendes Handeln und könne nicht dahingehend ausgelegt werden, daß pauschal (bereits im Vorfeld ) strafrechtlichem Verhalten des Geschäftsführers zugestimmt werde. Dem Sohn des Angeklagten sei daraus – entsprechend seinem 5 %igen Gesellschaftsanteil – ein Schaden in Höhe von 150.000,00 DM entstanden.

b) Diese Beurteilung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat keine zureichenden Feststellungen getroffen, die seine rechtliche Bewertung tragen.
aa) Der Untreuetatbestand bezweckt den Schutz des Vermögens, das der Pflichtige zu betreuen hat. Dieser verletzt dementsprechend seine Pflicht nicht, wenn sein Vorgehen im Einverständnis des Vermögensinhabers erfolgt. Handelt es sich um das Vermögen einer GmbH, fehlt es infolgedessen grundsätzlich an der Pflichtwidrigkeit des Handelns, wenn sich die Gesellschafter mit dem Vorgehen des Pflichtigen einverstanden erklärt haben (vgl. BGH NJW 2000, 154, 155).
Im Hinblick auf die eigene Rechtspersönlichkeit der GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG) ist anerkannt, daß eine Strafbarkeit wegen Untreue aber dann in Betracht kommt, wenn die Zustimmung der Gesellschafter zu einem Rechtsgeschäft der GmbH gegenüber treuwidrig und somit wirkungslos ist. Diese Voraussetzung hat der Bundesgerichtshof zunächst bejaht, wenn die
Zustimmung dazu führt, das Stammkapital der GmbH zu beeinträchtigen (BGHSt 9, 203, 216). Dem hat er den Fall gleichgestellt, daß die Zustimmung gegen die Grundsätze eines ordentlichen Kaufmanns verstößt (BGHSt 34, 379, 386 ff.). Da jedoch die Gesellschafter nach der gesetzlichen Konzeption grundsätzlich frei sind, über das Gesellschaftsvermögen zu verfügen, hat der Bundesgerichtshof den erweiterten Anwendungsbereich unwirksamer Zustimmungen wieder auf Handlungen des Pflichtigen beschränkt, welche die wirtschaftliche Existenz der GmbH gefährden (BGHSt 35, 333, 336 f.; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 23). Der 3. Strafsenat hat dies schließlich – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des für Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs – dahingehend präzisiert, daß die Gesellschafter über das Gesellschaftsvermögen nicht verfügen dürfen , wenn dadurch eine konkrete Existenzgefährdung für die Gesellschaft entsteht, was jedenfalls bei einem Angriff auf das durch § 30 GmbHG geschützte Stammkapital der Fall ist (BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 37; s. insgesamt BGH NJW 2000, 154, 155 = BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 45 m. w. N.; vgl. auch Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG 4. Aufl. Vor §§ 82 – 85 Rdn. 16, 17).
bb) Bei Anwendung dieses Maßstabes läßt sich die Annahme einer Untreue nicht auf die Urteilsfeststellungen stützen. Feststellungen, daß durch den Entzug der als Schmiergelder benötigten Gelder eine konkrete Existenzgefährdung für die G-GmbH eingetreten ist, etwa indem das Stammkapital angegriffen wurde, hat das Landgericht nicht getroffen. Diese Feststellungen waren auch nicht entbehrlich, da die Annahme des Landgerichts, die durch den Sohn erteilte Generalvollmacht sei hier nicht wirksam, auf einer nicht tragfähigen Erwägung beruht. Eine generelle Einschränkung der Generalvollmacht dahin, daß sie nur im Einklang mit den Grundsätzen eines ordentlichen Kaufmanns zu gebrauchen sein solle oder jedenfalls nicht für ein irgendwie geartetes strafbares Verhalten genutzt werden dürfte, ist weder belegt noch ersichtlich.
2. Im Zusammenhang mit den Untreuevorwürfen betreffend Vermögensverschiebungen in der A-GmbH & Co. KG entnimmt der Senat dem Urteil im einzelnen noch folgende Feststellungen (Fall C I der Urteilsgründe):
Der Angeklagte war zu 50 % Mitgesellschafter der A-GmbH & Co. KG. Weitere Gesellschafterin war eine Firma Ko , über deren gesellschaftsrechtliche Verhältnisse lediglich mitgeteilt wird, daß sie „über die Ra AG in der Schweiz der Firma Ho gehörte“. Der Angeklagte war in der A-GmbH & Co. KG für den Bau und die Vermarktung zuständig. Sein Mitgeschäftsführer Ma betreute den kaufmännischen Betrieb. Ma war nach den Feststellungen von der Firma Ho eingesetzt worden.
Der Angeklagte veranlaßte, daß der frühere Mitangeklagte R unter der Firma I zwei Scheinrechnungen vom 6. Januar 1997 in Höhe von 569.250,00 DM und 1.749.626,10 DM für angebliche Maklertätigkeiten an die A-GmbH & Co. KG schrieb. Da sich der Mitgeschäftsführer Ma zunächst weigerte, diese Rechnungen zu bezahlen, wandte sich der Angeklagte an den Vorstandsvorsitzenden der Ra AG, Ka , und erklärte diesem, daß die Rechnungen bezahlt werden müßten, da R behilflich gewesen sei. Über die wahren Hintergründe klärte er (der Angeklagte) Ka nicht auf. Dieser wies den Mitgeschäftsführer Ma daraufhin an, die Rechnungen zu bezahlen, was dieser auch tat. Die Beträge forderte der Angeklagte mit Gegenrechnungen vom 27. Februar 1997 und 3. Juli 1997 über 2.031.376,10 DM und über 287.500,00 DM für angebliche Beratungsleistungen von R zurück. Die Rechnungen wurden bezahlt und das Geld ebenfalls als Schmiergeld verwendet. Das Landgericht wertet diesen Sachverhalt als Untreue zum Nachteil der Ho AG, welcher aufgrund ihrer 50 %igen Beteiligung ein Schaden in Höhe von 1.159.483,00 DM entstanden sei. Diese Feststellungen vermögen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue nicht zu tragen.

a) Untreue gegenüber der GmbH & Co. KG kommt nicht in Betracht (vgl. BGH NJW 1992, 250, 251 m. w. N.). Bei einer Kommanditgesellschaft kann die Schädigung des Gesamthandsvermögens jedoch dann zu einem im Rahmen des § 266 StGB bedeutsamen Vermögensnachteil führen, wenn und soweit sie zugleich das Vermögen der einzelnen Gesellschafter berührt (BGHSt 34, 221, 222 f.; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 25; BGHZ 100, 190, 192 f.; vgl. Schaal aaO Rdn. 24 ff.). Auch hier schließt ein wirksames Einverständnis aller Gesellschafter die Annahme von Untreue aus (vgl. BGHR aaO). Handelt es sich bei einem der Gesellschafter um eine GmbH (bei einer GmbH & Co. KG regelmäßig der Komplementär), beurteilt sich die Wirksamkeit von deren Einwilligung nach den oben unter III. 1. b) aa) genannten Grundsätzen.

b) Vorliegend kommt somit zunächst die Firma Ko als Mitgesellschafterin der A-GmbH & Co. KG als Geschädigte einer Untreuehandlung in Betracht. Jedoch könnte in der Rechnungsbegleichung durch den Mitgeschäftsführer Ma aufgrund der entsprechenden Anweisung des Vorstandsvorsitzenden Ka ein den Untreuetatbestand ausschließendes Einverständnis in das Handeln des Angeklagten liegen. Erkennbar geht das Landgericht allerdings davon aus, daß diese Zustimmung unwirksam war, da der Angeklagte Ka über die wahren Hintergründe nicht aufgeklärt hatte. Zu Recht rügt die Revision, daß dem Urteil nicht zu entnehmen ist, woraus das Landgericht seine diesbezügliche Überzeugung schöpft. Der Vorstandsvorsitzende Ka ist zu dieser Frage erkennbar nicht vernommen worden. Somit ist es nicht möglich zu überprüfen, ob die Strafkammer rechtsfehlerfrei davon ausgegangen ist, daß kein tatbestandsauschließendes Einverständnis vorlag, da der Angeklagte Ka nicht vollständig über die Hintergründe der Rechnungen aufgeklärt und das Einverständnis somit erschlichen hatte.

c) Für den Fall, daß der Angeklagte auch Geschäftsführer der Komplementär -GmbH war – was das Urteil nicht ausdrücklich mitteilt – und somit
dieser gegenüber eine besondere Vermögensbetreuungspflicht hatte, kommt auch eine Untreue zum Nachteil dieser GmbH in Betracht. Wenn zudem die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse in dieser GmbH, die das Landgericht aber ebenfalls nicht mitteilt, gleich denen der KG waren (50 % der Angeklagte und 50 % die Fa. Ko ), käme es insoweit wieder auf die Wirksamkeit des Einverständnisses der Verantwortlichen der Fa. Ko in das Handeln des Angeklagten an, welches jedoch aus den oben angeführten Gründen nicht überprüft werden kann.
Das Landgericht, das insgesamt von einer fehlenden Einwilligung der Mitgesellschafterin ausgeht, hat die für eine Verurteilung wegen Untreue im übrigen notwendigen Feststellungen nicht getroffen, ob durch die Zahlungen eine Existenzgefährdung für die GmbH, insbesondere eine Gefährdung des Stammkapitals, eingetreten war. Insoweit wäre u.a. von Bedeutung, ob die GmbH am Vermögen der A-GmbH & Co. KG beteiligt war oder ob sich durch die Manipulation das Haftungsrisiko erhöht hatte (vgl. BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 45).
3. Zum Vorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung hat das Landgericht die Feststellung getroffen, der Angeklagte habe aus Angst, die früheren Mitangeklagten M und H könnten mit den erheblichen Schmiergeldsummen einen auffallend aufwendigen Lebensstil führen, diesen schon bei der Übergabe des ersten Betrages einen „Tip“ gegeben, wie und wo sie diese Gelder in der Schweiz anlegen könnten. Dabei sei ihm bewußt gewesen , daß Schmiergeldzahlungen schon allein aufgrund ihrer strafrechtlichen Herkunft nicht geeignet seien, in Einkommensteuererklärungen Eingang zu finden, und er habe billigend in Kauf genommen, daß die Gelder, sobald sie in der Schweiz wären, dem deutschen Fiskus entzogen sein würden.
Die Feststellungen des Landgerichts reichen als Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung nicht aus.

a) Beihilfe ist die dem Täter vorsätzlich geleistete Hilfe zur Begehung einer rechtswidrigen Tat. Als Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist dabei grundsätzlich jede Handlung anzusehen, welche die Herbeiführung des Taterfolgs des Haupttäters objektiv fördert, ohne daß sie für den Erfolg selbst ursächlich sein muß (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 46, 107, 109 m. w. N.). Die Hilfeleistung muß auch nicht zur Ausführung der Tat selbst geleistet werden, es genügt schon die Unterstützung bei einer vorbereitenden Handlung (BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 22 m. w. N.). Das kann grundsätzlich auch durch äußerlich neutrale Handlungen geschehen (BGH, Urt. vom 23. Januar 1985 – 3 StR 515/84). Es ist jedoch anerkannt, daß nicht jede Handlung, die sich im Ergebnis objektiv tatfördernd auswirkt, als (strafbare) Beihilfe gewertet werden kann. Vielmehr bedarf es insbesondere in Fällen, die sog. „neutrale" Handlungen betreffen, einer bewertenden Betrachtung im Einzelfall (BGHR aaO).
aa) Der Bundesgerichtshof hat in den vergleichbaren Fällen berufstypischer neutraler Handlungen folgende Grundsätze aufgestellt: Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag in jedem Fall als strafbare Beihilfehandlung zu werten. Denn unter diesen Voraussetzungen verliert sein Tun stets den „Alltagscharakter"; es ist als „Solidarisierung" mit dem Täter zu deuten. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, daß sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen , es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, daß er sich mit seiner Hilfeleistung „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ ließ (BGHSt 46, 107, 112; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20).
bb) In den Fällen, in denen nicht eine „berufstypische“, sondern vielmehr eine neutrale Alltagshandlung ohne berufstypischen Bezug vorliegt,
bedarf die Beurteilung, ob eine strafbare Beihilfe vorliegt, einer besonders eingehenden Prüfung. Die entwickelten Grundsätze zu den berufstypischen neutralen Handlungen sind jedoch auch hier grundsätzlich anwendbar.
Gibt z. B. jemand einem Schwarzgeldempfänger, den er zuvor selbst bestochen hat, konkrete Hinweise, an welche Personen oder Institutionen sich dieser zwecks Geldtransfer und -anlage in der Schweiz wenden kann oder bietet er gar an, den entsprechenden Kontakt herzustellen, dann liegt es nahe, daß er sich „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ läßt. In diesem Fall verliert die an sich neutrale Handlung des Hinweisgebers ihren Alltagscharakter und das Handeln ist als Beihilfe i. S. d. § 27 StGB zu werten.
cc) Indes ist vorliegend die Feststellung der Strafkammer, der Angeklagte habe den Vorteilsempfängern einen „Tip“ gegeben, „wie und wo sie diese Gelder in der Schweiz anlegen konnten“, zu ungenau; sie trägt daher eine Verurteilung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung nicht. Bei derart allgemein gehaltenen Feststellungen, welche Aussagen der Angeklagte hier gemacht und welche Auswirkungen der „Tip“ auf das Verhalten der Bestochenen gehabt haben soll, ist eine revisionsrechtliche Prüfung, ob tatsächlich eine Beihilfehandlung i. S. d. § 27 StGB und eine Erleichterung oder Förderung der Haupttat vorliegt, nicht möglich. Es fehlt insbesondere an hinreichend deutlichen, durch eine tragfähige Beweiswürdigung belegten Feststellungen , daß Prof. Dr. M und H tatsächlich zumindest auch aufgrund dieses „Tips“ die Gelder in der Schweiz anlegten, um diese dem deutschen Fiskus gegenüber nicht zu offenbaren, und unter Ausnutzung dieses Umstandes unrichtige Einkommensteuererklärungen abgaben.

b) Sollte sich das Verhalten des Angeklagten so weit konkretisieren lassen, daß die Annahme einer Beihilfe zur Steuerhinterziehung von M und H in Betracht kommt, hat er durch seine Angaben bei der Be-
schuldigtenvernehmung durch die Staatsanwaltschaft – entgegen der Auffassung der Revision – keine Straffreiheit nach § 371 AO erlangt.
Eine wirksame Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO setzt voraus, daß dem Finanzamt durch die Angaben ermöglicht wird, auf ihrer Grundlage ohne langwierige größere Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären und die Steuer richtig zu errechnen (vgl. BGHSt 3, 373, 376; HansOLG Hamburg, wistra 1986, 116).
Die Selbstanzeigemöglichkeit besteht auch für den Gehilfen einer Steuerhinterziehung. Offenlassen kann der Senat, inwieweit dieser im Hinblick auf etwaige faktische Gegebenheiten verpflichtet ist, Besteuerungsgrundlagen offenzulegen. Denn jedenfalls muß der Gehilfe seinen eigenen Tatbeitrag offenlegen (Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 5. Aufl. § 371 Rdn. 63; Kohlmann, Steuerstrafrecht 30. Lfg. November 2002 § 371 AO Rdn. 65; Rüping in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO 175. Lfg. Dezember 2002 § 371 Rdn. 90). Daran fehlt es hier. Der Angeklagte hat in seiner Beschuldigtenvernehmung bei der Staatsanwaltschaft nicht offenbart, daß er die anderweitig Verfolgten M und H beim Geldtransfer in die Schweiz zumindest durch nützliche Informationen („Tips“) unterstützt hat.
Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil der „Tip“ gegeben wurde, noch bevor die Haupttat in das strafbare Versuchsstadium getreten war (vgl. auch BGH wistra 1993, 19, 21 m. w. N.).
Nicht zu entscheiden braucht der Senat daher die Frage, ob eine wirksame Selbstanzeige gegenüber der Staatsanwaltschaft abgegeben werden kann, die nach § 116 AO verpflichtet ist, ihre Erkenntnisse, die den Verdacht einer Steuerstraftat begründen, an die Finanzbehörden weiterzuleiten.

c) Rechtsfehlerhaft ist darüber hinaus die Annahme der Strafkammer, daß sich der Angeklagte durch den – einen – „Tip“, der sich jedoch in mehreren Steuererklärungen der früheren Mitangeklagten M und H ausgewirkt hat, der Beihilfe in fünf Fällen schuldig gemacht hat. Die Frage, ob das Verhalten eines Tatbeteiligten eine Einheit oder Mehrheit von Handlungen bildet, richtet sich nicht nach der Haupttat, sondern nach dem Tatbeitrag , den der Beteiligte geleistet hat. Beziehen sich mehrere Hilfeleistungen auf eine Tat, liegt nur eine Beihilfe vor. Fördert der Gehilfe durch eine Handlung mehrere Haupttaten eines oder mehrerer Haupttäter, liegt ebenfalls nur eine einheitliche Beihilfe vor (BGH NJW 2000, 1732, 1735 m. w. N.).

IV.


Der Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen C I, II und IV führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Der Senat hebt auch die Einzelstrafe im Fall C III (Bestechung im geschäftlichen Verkehr) auf, um dem neuen Tatrichter zu ermöglichen, die Strafen insgesamt neu festzusetzen.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Der neue Tatrichter wird im Hinblick auf die bisherige Einlassung des Angeklagten zur Untreue den Vorsatz einer Nachteilszufügung unter Berücksichtigung der insoweit strengen Anforderungen genau zu prüfen haben (vgl. BGH wistra 2000, 60, 61).
Im Hinblick auf den langen Zeitraum zwischen Tatbegehung (1997 – 1998) und Aburteilung der Taten wird auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschl. vom 5. Februar 2003 – 2 BvR 327/02) und gegebenenfalls entsprechend den hierzu entwickelten Grundsätzen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sein (vgl. BVerfG NStZ 1997, 591).
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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 99/07
vom
21. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vorteilsgewährung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Juni 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14. Dezember 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der Vorteilsgewährung in 147 Fällen freigesprochen. Mit ihrer Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
3
a) Der Angeklagte war als Diplom-Ingenieur jahrelang in der saarländischen Straßenbauverwaltung auf dem Gebiet des Brückenbaus und der Brückenunterhaltung tätig. Nach seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst im Jahre 1992 gründete er mit anderen die W. - - GmbH (W. -GmbH), der in der Folgezeit vom saarländischen Landesamt für Straßenwesen eine Vielzahl von Aufträgen im Bereich der Brückensanierung erteilt wurde. Die W. -GmbH erstellte für das Landesamt Ausschreibungsunterlagen zum Zwecke der Auftragsvergabe nach der VOB und übernahm die Überwachung der Baumaßnahmen. Ferner entwickelte die GmbH Software für die Prüfung von Brücken und die Erstellung von Ausschreibungen und übernahm die Pflege dieser Programme bei den Anwendern.
4
b) Der Zeuge Wo. war stellvertretender Leiter der Abteilung "Zentrale Dienste/Datenverarbeitung" des saarländischen Landesamtes für Straßenwesen. Der Zeuge war insbesondere für die EDV-Ausstattung des Landesamtes zuständig. Im Tatzeitraum oblag ihm ferner die Prüfung von Stundenabrechnungen der W. -GmbH für die Pflege der Bauwerksdatenbank "SIBSaarland" , die im Bereich der Straßenbauverwaltung eingesetzt wurde. Im Jahre 1992 bot der Angeklagte dem Zeugen Wo. die Mitarbeit bei der Entwicklung des Ausschreibungsprogrammes "W. -Astra" an. Dieser programmierte ab 1993 für die W. -GmbH die wesentlichen Komponenten des Ausschreibungsprogramms , danach wesentliche Teile der Bauwerksdatenbank "SIBSaarland". Eine Nebentätigkeitserlaubnis beantragte er nicht, weil er im Hinblick auf die engen Geschäftsverbindungen zwischen der W. -GmbH und dem saarländischen Landesamt für Straßenwesen von der Versagung einer solchen Genehmigung ausging. Der Zeuge Wo. erhielt für seine Tätigkeit für die W. - GmbH seit dem Februar 1993 monatliche Zahlungen, die bei der GmbH unter den Namen der Ehefrau des Angeklagten, seines Schwiegervaters und der Ehefrau des Zeugen Wo. verbucht wurden. Dieser erhielt in dem von der Anklage erfassten Zeitraum in den Monaten September bis Dezember 1997 jeweils 1.830 DM, im Jahre 1998 monatlich je 1.860 DM (mit Ausnahme von Oktober 1998: 1.240 DM) sowie in den Monaten Januar bis März 1999 jeweils 1.890 DM. Von April 1999 bis November 2001 bezog der Zeuge Wo. von der W. -GmbH monatliche Zahlungen in Höhe von jeweils 630 DM. Weil sich die Abrechnung in der bisherigen Form nicht mehr als durchführbar erwies, über- ließ der Angeklagte dem Zeugen Wo. in der Zeit vom 30. Juni 1999 bis zum 22. Juni 2002 einen von der W. -GmbH geleasten Mercedes Benz 220 CDI unentgeltlich zur privaten Nutzung, um den Zeugen weiterhin "adäquat" entlohnen zu können.
5
Der Angeklagte und der Zeuge Wo. erstatteten gemäß § 371 AO Selbstanzeige und zahlten die hinterzogenen Steuern nach. Der Zeuge Wo. wurde im Februar 2005 durch Strafbefehl wegen Vorteilsannahme in drei Fällen - rechtskräftig - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
6
c) Der Zeuge H. war seit dem Jahre 1992 als Nachfolger des Angeklagten Leiter des Sachgebiets Brückenprüfung in der Abteilung IV des Landesamtes für Straßenwesen. Er war als Brückenprüfingenieur damit betraut, Brücken und andere Verkehrsbauwerke auf ihre Verkehrssicherheit zu kontrollieren. Ferner oblag ihm die Prüfung der Abrechnungen der W. -GmbH für die Pflege der SIB-Datenbank. In seiner Freizeit prüfte der Zeuge H. für die W. - GmbH in erheblichem Umfang Brücken, die in die straßenrechtliche Zuständigkeit verschiedener Kommunen fielen, von denen die GmbH mit der Durchführung dieser Prüfungen beauftragt worden war. Außerdem erstellte er für die W. -GmbH Verschlüsselungskombinationen für das Bauwerksprogramm "SIBBauwerke". Eine Nebentätigkeitserlaubnis hatte er nicht beantragt, weil er davon ausging, eine solche nicht erhalten zu können. Seine Vergütung wurde über ein im Jahre 1993 zu diesem Zwecke begründetes Scheinarbeitsverhältnis der W. -GmbH mit der Ehefrau des Zeugen monatlich abgerechnet. In dem von der Anklage erfassten Zeitraum von September 1997 bis Mai 2002 erhielt der Zeuge H. mit Ausnahme des Monats Dezember 2001 monatlich zunächst 500 DM und zuletzt 635,65 DM. Auf Veranlassung des Angeklagten erhielt er ferner im Februar 2003 eine Zahlung in Höhe von 17.230,56 Euro zum Ausgleich der nach einer entsprechenden Selbstanzeige gemäß § 371 AO nachzuentrichtenden Steuern.
7
Der Zeuge H. wurde durch Urteil der Strafkammer vom 1. Oktober 2004, dem eine Verständigung zu Grunde lag, wegen der Annahme der vorgenannten Zuwendungen der Vorteilsannahme in 57 Fällen schuldig gesprochen und wegen dieser Taten sowie wegen Bestechlichkeit in zehn besonders schweren Fällen und wegen Betruges - rechtskräftig - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
8
2. Das Landgericht hat die Freisprüche maßgeblich auf den mangelnden Nachweis gestützt, dass die Verträge, die zu den Zahlungen an die Zeugen Wo. und H. führten, (auch) wegen deren Amtsträgerstellung geschlossen worden seien:
9
Der Angeklagte habe sich dahin eingelassen, die Zuwendungen an die Zeugen Wo. und H. seien ausschließlich als Entgelt für deren Arbeitsleistung erfolgt und nicht etwa zur "Klimapflege". Zu der Beschäftigung der Zeugen habe es keine personellen Alternativen gegeben. Sie sich gewogen zu machen, habe keinen Sinn gemacht, weil beide "keinerlei halbwegs relevanten Entscheidungsbefugnisse" im Saarländischen Landesamt für Straßenwesen innegehabt hätten. Diese Einlassung sei dem Angeklagten insbesondere deshalb nicht zu widerlegen, weil sie im Einklang mit den "nicht von vornherein“ unglaubhaften Bekundungen der Zeugen Wo. und H. stünden, sie hätten zu keinem Zeitpunkt im Sinne des Angeklagten in Entscheidungsprozesse im Saarländischen Landesamt für Straßenwesen eingegriffen und hätten Abrechnungen der Mitarbeiter der W. -GmbH nach bestem Wissen und Gewissen kontrolliert.

II.

10
Die Freisprüche haben keinen Bestand.
11
1. Auch soweit die vom Angeklagten veranlassten Zuwendungen der W. -GmbH an die Zeugen H. und Wo. eine angemessene Vergütung der von den Zeugen im Rahmen der von ihnen übernommenen Nebentätigkeiten erbrachten Leistungen darstellen, liegt ein Vorteil im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB vor. Darunter ist jede Leistung zu verstehen, auf die der Amtsträger keinen Rechtsanspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert (st. Rspr., vgl. BGHSt 31, 264, 279; BGH NJW 2003, 763, 764). Ein solcher Vorteil kann bereits im Abschluss eines Vertrages liegen, auf den der Amtsträger keinen Rechtsanspruch hat (vgl. BGHSt 31, 264, 279 f.; BGH wistra 2003, 303, 304; MünchKomm StGB-Korte § 331 Rdn. 72 ff.). So liegt es hier, denn die Zeugen H. und Wo. hatten keinen Rechtsanspruch darauf, dass ihnen von der W. -GmbH durch die Übertragung von Nebentätigkeiten die Möglichkeit eröffnet wurde, durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft Einkünfte zu erzielen.
12
2. Das Landgericht hat bei der Prüfung, ob den Zeugen H. und Wo. diese Vorteile, wie gemäß § 333 Abs. 1 StGB erforderlich, "für die Dienstausübung" gewährt worden sind, die von den Zeugen ausgeführten Nebentätigkeiten zutreffend als Privathandlungen (vgl. dazu MünchKomm StGBKorte § 331 Rdn. 87, 89 m.N.) angesehen. Nebentätigkeiten sind auch dann keine Dienstausübung, sondern Privathandlungen, wenn der Amtsträger bei seiner Nebentätigkeit dienstlich erworbene Kenntnisse nutzt oder einsetzt (vgl. BGHSt 11, 125, 128; BGHSt 18, 263, 267; BGH wistra 2001, 388, 389). Sie sind Dienstausübung nur, soweit der Amtsträger bei der Ausführung der Nebentätigkeit - jedenfalls auch - im Rahmen seiner dienstlichen Obliegenheiten für den Vorteilsgeber tätig werden soll (vgl. BGHSt 31, 264, 280 f. zu § 331 StGB a.F.). Das ist nach den Feststellungen nicht der Fall, jedoch für die Tatbestandserfüllung auch nicht erforderlich.
13
Für die Frage, ob den entgeltlichen Nebentätigkeiten eine Unrechtsvereinbarung im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB zugrunde lag, kommt es vielmehr entscheidend darauf an, ob der Angeklagte den in der Übertragung entgeltlicher Nebentätigkeiten liegenden Vorteil mit der Dienstausübung der Zeugen H. und Wo. im Rahmen ihrer jeweiligen dienstlichen Tätigkeiten für das Landesamt für Straßenwesen im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses verknüpfen wollte. Dies setzt nach der Neufassung von § 331 Abs. 1 und § 333 Abs. 1 StGB durch das am 20. August 1997 in Kraft getretene Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997 (BGBl I S. 2038) nicht mehr voraus, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine bestimmte oder zumindest bestimmbare Diensthandlung des Amtsträgers gedacht ist. Ein Vorteil wird "für die Dienstausübung" vielmehr schon dann gewährt, wenn er von Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer allgemein im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses mit der Dienstausübung des Amtsträgers verknüpft wird (BGHSt 49, 275, 281; BGH NStZ 2005, 334). Mit dieser Erweiterung von § 331 Abs. 1 und § 333 Abs. 1 StGB sollten die Schwierigkeiten überwunden werden, die sich bei der Anwendung dieser Vorschriften daraus ergaben, dass vielfach die Bestimmung des Vorteils für eine bestimmbare Diensthandlung nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar war. Um dem Hervorrufen eines bösen Anscheins möglicher "Käuflichkeit" eines Amtsträgers zu begegnen (vgl. BGH NStZ 2005, 334; BGHR StGB § 331 Anwendungsbereich 2), sollte ferner die Strafbarkeit wegen Vorteilsannahme bzw. Vorteilsgewährung auf die von den Vorschriften in der bisherigen Fassung nicht erfassten Fälle (vgl. BGH NJW 2003, 763, 765 m.N., insoweit in BGHSt 48, 44 nicht abgedruckt) erstreckt werden, in denen durch die Vorteile nur das generelle Wohlwollen des Amtsträgers erkauft bzw. "allgemeine Klimapflege" betrieben wird (vgl. BGHSt 49, 275, 281).
14
Ausgehend von diesen Grundsätzen lässt allerdings, insoweit ist der Ausgangspunkt des Landgerichts zutreffend, nicht schon allein die private entgeltliche Nebentätigkeit eines Amtsträgers den Schluss auf eine Unrechtsvereinbarung im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB zu. Maßgeblich ist vielmehr, welcher Art die Beziehungen des Vorteilsgebers zu der Dienststelle des Amtsträgers sind und ob die Interessen des Vorteilsgebers sich dem Aufgabenbereich des Amtsträgers zuordnen lassen (vgl. BGHSt 39, 45, 47 m.N.). Demgemäß kann das Vorliegen einer Unrechtsvereinbarung nur für solche privaten entgeltlichen Nebentätigkeiten ohne Weiteres verneint werden, die für einen Auftraggeber ausgeübt werden, mit dem der Amtsträger solche dienstlichen Berührungspunkte nicht hat und auch nicht haben kann (vgl. MünchKomm StGBKorte § 331 Rdn. 106). Unter diesen Umständen ist eine private Nebentätigkeit regelmäßig nicht geeignet, den bösen Anschein möglicher "Käuflichkeit" des Amtsträgers zu erwecken.
15
Anders verhält es sich jedoch, wenn - wie hier - zwischen Vorteilsgeber und Amtsträger dienstliche Berührungspunkte bestehen, die es nahe legen können, dass der mit der Ausübung einer entgeltlichen Nebentätigkeit verbundene Vorteil von Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer - jedenfalls auch – allgemein im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses mit der Dienstausübung des Amtsträgers verknüpft wird. In solchen Fällen bedarf es deshalb besonders sorgfältiger Prüfung, ob die Erteilung eines Auftrags für eine entgeltliche Nebentätigkeit ausschließlich wegen der besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten des Amtsträgers erfolgt oder ob sie auch erfolgt, um seine Dienstausübung zu beeinflussen (vgl. MünchKomm StGB-Korte aaO).
16
3. Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes Unrechtsvereinbarungen im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB verneint hat, nicht gerecht.
17
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet schon deshalb durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Urteilsausführungen besorgen lassen, dass das Landgericht, obwohl es an anderer Stelle auf die Gesetzesänderung hingewiesen hat, bei der Beurteilung der Umstände, aus denen auf eine Unrechtsvereinbarung geschlossen werden kann, von einem an der früheren Rechtslage orientierten zu engen Verständnis des Tatbestandsmerkmals "für die Dienstausübung" ausgegangen ist.
18
Das Landgericht hat die Verneinung einer Unrechtsvereinbarung maßgeblich darauf gestützt, dass nicht erwiesen sei, dass die Zeugen H. und Wo. ihre Rechnungsprüfungskompetenzen "im Sinne" der W. -GmbH ausgeübt hätten (UA 8, 10, 13) und dass sich auch sonst keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass die Zeugen sich "tatsächlich nennenswert" für die W. -GmbH eingesetzt hätten. Zwar ist die Vornahme einer Diensthandlung im Sinne des Vorteilsgebers ein gewichtiges Indiz für eine Unrechtsvereinbarung im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB oder - bei pflichtwidrigem Handeln - der Bestechung (§ 334 Abs. 1 StGB). Ist die Vornahme einer solchen Diensthandlung nicht nachzuweisen, kann daraus aber nicht ohne Weiteres der Umkehrschluss gezogen werden; denn eine Unrechtsvereinbarung im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB liegt schon dann vor, wenn der Vorteil allgemein im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses mit der Dienstausübung des Amtsträgers verknüpft wird (BGHSt 49, 275, 281; BGH NStZ 2005, 334).
19
Auch der Erwägung, gegen eine Unrechtsvereinbarung spreche, dass die Zeugen H. und Wo. im Rahmen ihrer jeweiligen dienstlichen Tätigkeitsbereiche aus der Sicht des Angeklagten "keinerlei halbwegs relevanten Entscheidungsbefugnisse" hatten (UA 10), liegt ein zu enges Verständnis des Tatbestandsmerkmals „Dienstausübung“ zu Grunde. Zur Dienstausübung im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB gehören nicht nur Handlungen eines Amtsträgers mit unmittelbarer Außenwirkung, sondern auch lediglich vorbereitende und unterstützende dienstliche Tätigkeiten, wie etwa die Beratung anderer Amtsträger und Vorschläge zur Vergabe von Aufträgen (vgl. MünchKomm StGB-Korte § 331 Rdn. 85 m.N.).
20
b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts aber auch deshalb, weil es sich rechtsfehlerhaft darauf beschränkt hat, einzelne Indizien, die dafür sprechen können, dass die entgeltlichen Nebentätigkeiten den Zeugen H. und Wo. vom Angeklagten zumindest auch deshalb übertragen wurden, um deren Wohlwollen bei der Dienstausübung zu erkaufen, gesondert zu erörtern und lediglich darzulegen, warum sie jeweils für sich genommen "nicht ohne Weiteres" bzw. "nicht zwingend" für eine Unrechtsvereinbarung sprechen. Das Landgericht hätte sich vielmehr damit auseinandersetzen müssen, ob die hier vorliegenden zahlreichen Indizien jedenfalls in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung hätten begründen können (vgl. BGH wistra 2004, 432 f.). Erst bei einer solchen abschließenden Gesamtwürdigung kann gegebenenfalls der Zweifelsgrundsatz zum Tragen kommen (vgl. BGH NStZ 2006, 650, 651 m.w.N.).
21
c) Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern können die Freisprüche auch beruhen. Es liegt zumindest nicht fern, dass eine Gesamtschau aller Indizien die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung begründet hätte, dass der An- geklagte sich mit der Gewährung der Vorteile - zumindest auch - das Wohlwollen der Zeugen H. und Wo. bei der Dienstausübung erkaufen wollte. Dafür sprechen insbesondere folgende Umstände:
22
aa) Aus den bereits seit 1993 bestehenden "engen Geschäftsverbindungen" zwischen der W. -GmbH und dem Landesamt für Straßenwesen ergab sich eine Vielzahl dienstlicher Berührungspunkte zwischen dem Angeklagten und den Zeugen H. und Wo. nicht nur, soweit deren Rechnungsprüfungskompetenz betroffen war, sondern in dem gesamten Aufgabenbereich der Zeugen. Aufgrund dieser dienstlichen Berührungspunkte und der von den Zeugen bereits seit 1993 für die W. -GmbH ausgeübten entgeltlichen Nebentätigkeiten bestand ein besonders enges sachliches Näheverhältnis zwischen dem Angeklagten und den Zeugen. Je enger das Näheverhältnis zwischen Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer ist, desto mehr drängt sich aber die Annahme einer Verknüpfung der gewährten Vorteile mit einer vom Vorteilsgeber erwünschten "Klimapflege" auf.
23
bb) Dem Straftatbestand der Vorteilsgewährung ist ein gewisses Maß an Heimlichkeit und Verdeckung der Vorteilsvereinbarung und des Vorteils gegenüber der Anstellungskörperschaft eigen (vgl. BGHSt 48, 44, 51; BGH wistra 2003, 303, 305; MünchKomm StGB-Korte § 331 Rdn. 106). Ein gewichtiges - wenn auch nicht allein maßgebliches - Indiz, das auf eine Unrechtsvereinbarung schließen lässt, ist deshalb die Verschleierung der Nebentätigkeit der Zeugen H. und Wo. durch die Abrechnung über Scheinarbeitsverhältnisse, vor allem aber durch die Nichteinholung einer Nebentätigkeitsgenehmigung.
24
Die beamtenrechtlichen Vorschriften über die Genehmigungspflicht von Nebentätigkeiten, die für Angestellte im öffentlichen Dienst sinngemäß Anwendung finden (§ 11 BAT), sollen es dem Dienstherrn nicht nur ermöglichen, durch Versagung einer Genehmigung eine übermäßige, der Erledigung der Dienstgeschäfte abträgliche Beanspruchung des Amtsträgers zu verhindern (vgl. § 42 Abs. 1 Nr. 1 BRRG; § 79 Abs. 2 Nr. 1 Saarländisches Beamtengesetz - SBG). Sie sollen vielmehr auch verhindern, dass durch die Übernahme der Nebentätigkeit die Integrität des Amtsträgers in Frage gestellt wird. Deshalb ist eine Nebentätigkeitsgenehmigung unter anderem dann zu versagen, wenn die Nebentätigkeit geeignet ist, die Unparteilichkeit oder Unbefangenheit des Beamten zu beeinflussen oder wenn sie dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung abträglich sein kann (§ 42 Abs. 2 Nr. 4, 6 BRRG; § 79 Abs. 2 Nr. 4, 6 SBG). Nach den Feststellungen haben die Zeugen H. und Wo. nicht allein wegen der beabsichtigten Steuerhinterziehung von der Beantragung abgesehen. Vielmehr ging der Zeuge Wo. davon aus, dass ihm eine solche Genehmigung wegen der engen Geschäftsbeziehungen zwischen der W. -GmbH und dem Landesamt für Straßenwesen nicht erteilt worden wäre. Dass sich auch der Angeklagte dessen bewusst war, liegt schon im Hinblick auf seine frühere langjährige Tätigkeit in der Saarländischen Straßenbauverwaltung auf der Hand.

III.

25
Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass dann, wenn die Gewährung von Vorteilen in der Zeit von September 1997 bis April 1998 als rechtlich selbständige Taten aufzufassen sein sollten (zur Beurteilung der Konkurrenzen vgl. BGHSt 47, 22, 30; BGH wistra 2004, 29 m.w.N.), die Frage der Verjährung zu prüfen sein wird. Die Verjährung dürfte erstmals durch die Anordnung der Beschuldigtenvernehmung vom 28. April 2003 (Bl. 675 d.A.) unterbrochen worden sein, weil sich die Durchsuchungsbeschlüsse vom 6. Juni 2001 (Bl. 130 d.A.) und vom 28. Januar 2003 (Bl. 662 d.A.) nicht auf den Angeklagten bezogen (vgl. BGH StV 1995, 585).
Tepperwien Maatz Kuckein Athing Ernemann

(1) Wer einem Amtsträger, einem Europäischen Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr für die Dienstausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer einem Richter, Mitglied eines Gerichts der Europäischen Union oder Schiedsrichter einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, daß er eine richterliche Handlung vorgenommen hat oder künftig vornehme, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Die Tat ist nicht nach Absatz 1 strafbar, wenn die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse entweder die Annahme des Vorteils durch den Empfänger vorher genehmigt hat oder sie auf unverzügliche Anzeige des Empfängers genehmigt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 99/07
vom
21. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vorteilsgewährung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Juni 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14. Dezember 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der Vorteilsgewährung in 147 Fällen freigesprochen. Mit ihrer Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
3
a) Der Angeklagte war als Diplom-Ingenieur jahrelang in der saarländischen Straßenbauverwaltung auf dem Gebiet des Brückenbaus und der Brückenunterhaltung tätig. Nach seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst im Jahre 1992 gründete er mit anderen die W. - - GmbH (W. -GmbH), der in der Folgezeit vom saarländischen Landesamt für Straßenwesen eine Vielzahl von Aufträgen im Bereich der Brückensanierung erteilt wurde. Die W. -GmbH erstellte für das Landesamt Ausschreibungsunterlagen zum Zwecke der Auftragsvergabe nach der VOB und übernahm die Überwachung der Baumaßnahmen. Ferner entwickelte die GmbH Software für die Prüfung von Brücken und die Erstellung von Ausschreibungen und übernahm die Pflege dieser Programme bei den Anwendern.
4
b) Der Zeuge Wo. war stellvertretender Leiter der Abteilung "Zentrale Dienste/Datenverarbeitung" des saarländischen Landesamtes für Straßenwesen. Der Zeuge war insbesondere für die EDV-Ausstattung des Landesamtes zuständig. Im Tatzeitraum oblag ihm ferner die Prüfung von Stundenabrechnungen der W. -GmbH für die Pflege der Bauwerksdatenbank "SIBSaarland" , die im Bereich der Straßenbauverwaltung eingesetzt wurde. Im Jahre 1992 bot der Angeklagte dem Zeugen Wo. die Mitarbeit bei der Entwicklung des Ausschreibungsprogrammes "W. -Astra" an. Dieser programmierte ab 1993 für die W. -GmbH die wesentlichen Komponenten des Ausschreibungsprogramms , danach wesentliche Teile der Bauwerksdatenbank "SIBSaarland". Eine Nebentätigkeitserlaubnis beantragte er nicht, weil er im Hinblick auf die engen Geschäftsverbindungen zwischen der W. -GmbH und dem saarländischen Landesamt für Straßenwesen von der Versagung einer solchen Genehmigung ausging. Der Zeuge Wo. erhielt für seine Tätigkeit für die W. - GmbH seit dem Februar 1993 monatliche Zahlungen, die bei der GmbH unter den Namen der Ehefrau des Angeklagten, seines Schwiegervaters und der Ehefrau des Zeugen Wo. verbucht wurden. Dieser erhielt in dem von der Anklage erfassten Zeitraum in den Monaten September bis Dezember 1997 jeweils 1.830 DM, im Jahre 1998 monatlich je 1.860 DM (mit Ausnahme von Oktober 1998: 1.240 DM) sowie in den Monaten Januar bis März 1999 jeweils 1.890 DM. Von April 1999 bis November 2001 bezog der Zeuge Wo. von der W. -GmbH monatliche Zahlungen in Höhe von jeweils 630 DM. Weil sich die Abrechnung in der bisherigen Form nicht mehr als durchführbar erwies, über- ließ der Angeklagte dem Zeugen Wo. in der Zeit vom 30. Juni 1999 bis zum 22. Juni 2002 einen von der W. -GmbH geleasten Mercedes Benz 220 CDI unentgeltlich zur privaten Nutzung, um den Zeugen weiterhin "adäquat" entlohnen zu können.
5
Der Angeklagte und der Zeuge Wo. erstatteten gemäß § 371 AO Selbstanzeige und zahlten die hinterzogenen Steuern nach. Der Zeuge Wo. wurde im Februar 2005 durch Strafbefehl wegen Vorteilsannahme in drei Fällen - rechtskräftig - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
6
c) Der Zeuge H. war seit dem Jahre 1992 als Nachfolger des Angeklagten Leiter des Sachgebiets Brückenprüfung in der Abteilung IV des Landesamtes für Straßenwesen. Er war als Brückenprüfingenieur damit betraut, Brücken und andere Verkehrsbauwerke auf ihre Verkehrssicherheit zu kontrollieren. Ferner oblag ihm die Prüfung der Abrechnungen der W. -GmbH für die Pflege der SIB-Datenbank. In seiner Freizeit prüfte der Zeuge H. für die W. - GmbH in erheblichem Umfang Brücken, die in die straßenrechtliche Zuständigkeit verschiedener Kommunen fielen, von denen die GmbH mit der Durchführung dieser Prüfungen beauftragt worden war. Außerdem erstellte er für die W. -GmbH Verschlüsselungskombinationen für das Bauwerksprogramm "SIBBauwerke". Eine Nebentätigkeitserlaubnis hatte er nicht beantragt, weil er davon ausging, eine solche nicht erhalten zu können. Seine Vergütung wurde über ein im Jahre 1993 zu diesem Zwecke begründetes Scheinarbeitsverhältnis der W. -GmbH mit der Ehefrau des Zeugen monatlich abgerechnet. In dem von der Anklage erfassten Zeitraum von September 1997 bis Mai 2002 erhielt der Zeuge H. mit Ausnahme des Monats Dezember 2001 monatlich zunächst 500 DM und zuletzt 635,65 DM. Auf Veranlassung des Angeklagten erhielt er ferner im Februar 2003 eine Zahlung in Höhe von 17.230,56 Euro zum Ausgleich der nach einer entsprechenden Selbstanzeige gemäß § 371 AO nachzuentrichtenden Steuern.
7
Der Zeuge H. wurde durch Urteil der Strafkammer vom 1. Oktober 2004, dem eine Verständigung zu Grunde lag, wegen der Annahme der vorgenannten Zuwendungen der Vorteilsannahme in 57 Fällen schuldig gesprochen und wegen dieser Taten sowie wegen Bestechlichkeit in zehn besonders schweren Fällen und wegen Betruges - rechtskräftig - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
8
2. Das Landgericht hat die Freisprüche maßgeblich auf den mangelnden Nachweis gestützt, dass die Verträge, die zu den Zahlungen an die Zeugen Wo. und H. führten, (auch) wegen deren Amtsträgerstellung geschlossen worden seien:
9
Der Angeklagte habe sich dahin eingelassen, die Zuwendungen an die Zeugen Wo. und H. seien ausschließlich als Entgelt für deren Arbeitsleistung erfolgt und nicht etwa zur "Klimapflege". Zu der Beschäftigung der Zeugen habe es keine personellen Alternativen gegeben. Sie sich gewogen zu machen, habe keinen Sinn gemacht, weil beide "keinerlei halbwegs relevanten Entscheidungsbefugnisse" im Saarländischen Landesamt für Straßenwesen innegehabt hätten. Diese Einlassung sei dem Angeklagten insbesondere deshalb nicht zu widerlegen, weil sie im Einklang mit den "nicht von vornherein“ unglaubhaften Bekundungen der Zeugen Wo. und H. stünden, sie hätten zu keinem Zeitpunkt im Sinne des Angeklagten in Entscheidungsprozesse im Saarländischen Landesamt für Straßenwesen eingegriffen und hätten Abrechnungen der Mitarbeiter der W. -GmbH nach bestem Wissen und Gewissen kontrolliert.

II.

10
Die Freisprüche haben keinen Bestand.
11
1. Auch soweit die vom Angeklagten veranlassten Zuwendungen der W. -GmbH an die Zeugen H. und Wo. eine angemessene Vergütung der von den Zeugen im Rahmen der von ihnen übernommenen Nebentätigkeiten erbrachten Leistungen darstellen, liegt ein Vorteil im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB vor. Darunter ist jede Leistung zu verstehen, auf die der Amtsträger keinen Rechtsanspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert (st. Rspr., vgl. BGHSt 31, 264, 279; BGH NJW 2003, 763, 764). Ein solcher Vorteil kann bereits im Abschluss eines Vertrages liegen, auf den der Amtsträger keinen Rechtsanspruch hat (vgl. BGHSt 31, 264, 279 f.; BGH wistra 2003, 303, 304; MünchKomm StGB-Korte § 331 Rdn. 72 ff.). So liegt es hier, denn die Zeugen H. und Wo. hatten keinen Rechtsanspruch darauf, dass ihnen von der W. -GmbH durch die Übertragung von Nebentätigkeiten die Möglichkeit eröffnet wurde, durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft Einkünfte zu erzielen.
12
2. Das Landgericht hat bei der Prüfung, ob den Zeugen H. und Wo. diese Vorteile, wie gemäß § 333 Abs. 1 StGB erforderlich, "für die Dienstausübung" gewährt worden sind, die von den Zeugen ausgeführten Nebentätigkeiten zutreffend als Privathandlungen (vgl. dazu MünchKomm StGBKorte § 331 Rdn. 87, 89 m.N.) angesehen. Nebentätigkeiten sind auch dann keine Dienstausübung, sondern Privathandlungen, wenn der Amtsträger bei seiner Nebentätigkeit dienstlich erworbene Kenntnisse nutzt oder einsetzt (vgl. BGHSt 11, 125, 128; BGHSt 18, 263, 267; BGH wistra 2001, 388, 389). Sie sind Dienstausübung nur, soweit der Amtsträger bei der Ausführung der Nebentätigkeit - jedenfalls auch - im Rahmen seiner dienstlichen Obliegenheiten für den Vorteilsgeber tätig werden soll (vgl. BGHSt 31, 264, 280 f. zu § 331 StGB a.F.). Das ist nach den Feststellungen nicht der Fall, jedoch für die Tatbestandserfüllung auch nicht erforderlich.
13
Für die Frage, ob den entgeltlichen Nebentätigkeiten eine Unrechtsvereinbarung im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB zugrunde lag, kommt es vielmehr entscheidend darauf an, ob der Angeklagte den in der Übertragung entgeltlicher Nebentätigkeiten liegenden Vorteil mit der Dienstausübung der Zeugen H. und Wo. im Rahmen ihrer jeweiligen dienstlichen Tätigkeiten für das Landesamt für Straßenwesen im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses verknüpfen wollte. Dies setzt nach der Neufassung von § 331 Abs. 1 und § 333 Abs. 1 StGB durch das am 20. August 1997 in Kraft getretene Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997 (BGBl I S. 2038) nicht mehr voraus, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine bestimmte oder zumindest bestimmbare Diensthandlung des Amtsträgers gedacht ist. Ein Vorteil wird "für die Dienstausübung" vielmehr schon dann gewährt, wenn er von Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer allgemein im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses mit der Dienstausübung des Amtsträgers verknüpft wird (BGHSt 49, 275, 281; BGH NStZ 2005, 334). Mit dieser Erweiterung von § 331 Abs. 1 und § 333 Abs. 1 StGB sollten die Schwierigkeiten überwunden werden, die sich bei der Anwendung dieser Vorschriften daraus ergaben, dass vielfach die Bestimmung des Vorteils für eine bestimmbare Diensthandlung nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar war. Um dem Hervorrufen eines bösen Anscheins möglicher "Käuflichkeit" eines Amtsträgers zu begegnen (vgl. BGH NStZ 2005, 334; BGHR StGB § 331 Anwendungsbereich 2), sollte ferner die Strafbarkeit wegen Vorteilsannahme bzw. Vorteilsgewährung auf die von den Vorschriften in der bisherigen Fassung nicht erfassten Fälle (vgl. BGH NJW 2003, 763, 765 m.N., insoweit in BGHSt 48, 44 nicht abgedruckt) erstreckt werden, in denen durch die Vorteile nur das generelle Wohlwollen des Amtsträgers erkauft bzw. "allgemeine Klimapflege" betrieben wird (vgl. BGHSt 49, 275, 281).
14
Ausgehend von diesen Grundsätzen lässt allerdings, insoweit ist der Ausgangspunkt des Landgerichts zutreffend, nicht schon allein die private entgeltliche Nebentätigkeit eines Amtsträgers den Schluss auf eine Unrechtsvereinbarung im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB zu. Maßgeblich ist vielmehr, welcher Art die Beziehungen des Vorteilsgebers zu der Dienststelle des Amtsträgers sind und ob die Interessen des Vorteilsgebers sich dem Aufgabenbereich des Amtsträgers zuordnen lassen (vgl. BGHSt 39, 45, 47 m.N.). Demgemäß kann das Vorliegen einer Unrechtsvereinbarung nur für solche privaten entgeltlichen Nebentätigkeiten ohne Weiteres verneint werden, die für einen Auftraggeber ausgeübt werden, mit dem der Amtsträger solche dienstlichen Berührungspunkte nicht hat und auch nicht haben kann (vgl. MünchKomm StGBKorte § 331 Rdn. 106). Unter diesen Umständen ist eine private Nebentätigkeit regelmäßig nicht geeignet, den bösen Anschein möglicher "Käuflichkeit" des Amtsträgers zu erwecken.
15
Anders verhält es sich jedoch, wenn - wie hier - zwischen Vorteilsgeber und Amtsträger dienstliche Berührungspunkte bestehen, die es nahe legen können, dass der mit der Ausübung einer entgeltlichen Nebentätigkeit verbundene Vorteil von Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer - jedenfalls auch – allgemein im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses mit der Dienstausübung des Amtsträgers verknüpft wird. In solchen Fällen bedarf es deshalb besonders sorgfältiger Prüfung, ob die Erteilung eines Auftrags für eine entgeltliche Nebentätigkeit ausschließlich wegen der besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten des Amtsträgers erfolgt oder ob sie auch erfolgt, um seine Dienstausübung zu beeinflussen (vgl. MünchKomm StGB-Korte aaO).
16
3. Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes Unrechtsvereinbarungen im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB verneint hat, nicht gerecht.
17
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet schon deshalb durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Urteilsausführungen besorgen lassen, dass das Landgericht, obwohl es an anderer Stelle auf die Gesetzesänderung hingewiesen hat, bei der Beurteilung der Umstände, aus denen auf eine Unrechtsvereinbarung geschlossen werden kann, von einem an der früheren Rechtslage orientierten zu engen Verständnis des Tatbestandsmerkmals "für die Dienstausübung" ausgegangen ist.
18
Das Landgericht hat die Verneinung einer Unrechtsvereinbarung maßgeblich darauf gestützt, dass nicht erwiesen sei, dass die Zeugen H. und Wo. ihre Rechnungsprüfungskompetenzen "im Sinne" der W. -GmbH ausgeübt hätten (UA 8, 10, 13) und dass sich auch sonst keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass die Zeugen sich "tatsächlich nennenswert" für die W. -GmbH eingesetzt hätten. Zwar ist die Vornahme einer Diensthandlung im Sinne des Vorteilsgebers ein gewichtiges Indiz für eine Unrechtsvereinbarung im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB oder - bei pflichtwidrigem Handeln - der Bestechung (§ 334 Abs. 1 StGB). Ist die Vornahme einer solchen Diensthandlung nicht nachzuweisen, kann daraus aber nicht ohne Weiteres der Umkehrschluss gezogen werden; denn eine Unrechtsvereinbarung im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB liegt schon dann vor, wenn der Vorteil allgemein im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses mit der Dienstausübung des Amtsträgers verknüpft wird (BGHSt 49, 275, 281; BGH NStZ 2005, 334).
19
Auch der Erwägung, gegen eine Unrechtsvereinbarung spreche, dass die Zeugen H. und Wo. im Rahmen ihrer jeweiligen dienstlichen Tätigkeitsbereiche aus der Sicht des Angeklagten "keinerlei halbwegs relevanten Entscheidungsbefugnisse" hatten (UA 10), liegt ein zu enges Verständnis des Tatbestandsmerkmals „Dienstausübung“ zu Grunde. Zur Dienstausübung im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB gehören nicht nur Handlungen eines Amtsträgers mit unmittelbarer Außenwirkung, sondern auch lediglich vorbereitende und unterstützende dienstliche Tätigkeiten, wie etwa die Beratung anderer Amtsträger und Vorschläge zur Vergabe von Aufträgen (vgl. MünchKomm StGB-Korte § 331 Rdn. 85 m.N.).
20
b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts aber auch deshalb, weil es sich rechtsfehlerhaft darauf beschränkt hat, einzelne Indizien, die dafür sprechen können, dass die entgeltlichen Nebentätigkeiten den Zeugen H. und Wo. vom Angeklagten zumindest auch deshalb übertragen wurden, um deren Wohlwollen bei der Dienstausübung zu erkaufen, gesondert zu erörtern und lediglich darzulegen, warum sie jeweils für sich genommen "nicht ohne Weiteres" bzw. "nicht zwingend" für eine Unrechtsvereinbarung sprechen. Das Landgericht hätte sich vielmehr damit auseinandersetzen müssen, ob die hier vorliegenden zahlreichen Indizien jedenfalls in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung hätten begründen können (vgl. BGH wistra 2004, 432 f.). Erst bei einer solchen abschließenden Gesamtwürdigung kann gegebenenfalls der Zweifelsgrundsatz zum Tragen kommen (vgl. BGH NStZ 2006, 650, 651 m.w.N.).
21
c) Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern können die Freisprüche auch beruhen. Es liegt zumindest nicht fern, dass eine Gesamtschau aller Indizien die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung begründet hätte, dass der An- geklagte sich mit der Gewährung der Vorteile - zumindest auch - das Wohlwollen der Zeugen H. und Wo. bei der Dienstausübung erkaufen wollte. Dafür sprechen insbesondere folgende Umstände:
22
aa) Aus den bereits seit 1993 bestehenden "engen Geschäftsverbindungen" zwischen der W. -GmbH und dem Landesamt für Straßenwesen ergab sich eine Vielzahl dienstlicher Berührungspunkte zwischen dem Angeklagten und den Zeugen H. und Wo. nicht nur, soweit deren Rechnungsprüfungskompetenz betroffen war, sondern in dem gesamten Aufgabenbereich der Zeugen. Aufgrund dieser dienstlichen Berührungspunkte und der von den Zeugen bereits seit 1993 für die W. -GmbH ausgeübten entgeltlichen Nebentätigkeiten bestand ein besonders enges sachliches Näheverhältnis zwischen dem Angeklagten und den Zeugen. Je enger das Näheverhältnis zwischen Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer ist, desto mehr drängt sich aber die Annahme einer Verknüpfung der gewährten Vorteile mit einer vom Vorteilsgeber erwünschten "Klimapflege" auf.
23
bb) Dem Straftatbestand der Vorteilsgewährung ist ein gewisses Maß an Heimlichkeit und Verdeckung der Vorteilsvereinbarung und des Vorteils gegenüber der Anstellungskörperschaft eigen (vgl. BGHSt 48, 44, 51; BGH wistra 2003, 303, 305; MünchKomm StGB-Korte § 331 Rdn. 106). Ein gewichtiges - wenn auch nicht allein maßgebliches - Indiz, das auf eine Unrechtsvereinbarung schließen lässt, ist deshalb die Verschleierung der Nebentätigkeit der Zeugen H. und Wo. durch die Abrechnung über Scheinarbeitsverhältnisse, vor allem aber durch die Nichteinholung einer Nebentätigkeitsgenehmigung.
24
Die beamtenrechtlichen Vorschriften über die Genehmigungspflicht von Nebentätigkeiten, die für Angestellte im öffentlichen Dienst sinngemäß Anwendung finden (§ 11 BAT), sollen es dem Dienstherrn nicht nur ermöglichen, durch Versagung einer Genehmigung eine übermäßige, der Erledigung der Dienstgeschäfte abträgliche Beanspruchung des Amtsträgers zu verhindern (vgl. § 42 Abs. 1 Nr. 1 BRRG; § 79 Abs. 2 Nr. 1 Saarländisches Beamtengesetz - SBG). Sie sollen vielmehr auch verhindern, dass durch die Übernahme der Nebentätigkeit die Integrität des Amtsträgers in Frage gestellt wird. Deshalb ist eine Nebentätigkeitsgenehmigung unter anderem dann zu versagen, wenn die Nebentätigkeit geeignet ist, die Unparteilichkeit oder Unbefangenheit des Beamten zu beeinflussen oder wenn sie dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung abträglich sein kann (§ 42 Abs. 2 Nr. 4, 6 BRRG; § 79 Abs. 2 Nr. 4, 6 SBG). Nach den Feststellungen haben die Zeugen H. und Wo. nicht allein wegen der beabsichtigten Steuerhinterziehung von der Beantragung abgesehen. Vielmehr ging der Zeuge Wo. davon aus, dass ihm eine solche Genehmigung wegen der engen Geschäftsbeziehungen zwischen der W. -GmbH und dem Landesamt für Straßenwesen nicht erteilt worden wäre. Dass sich auch der Angeklagte dessen bewusst war, liegt schon im Hinblick auf seine frühere langjährige Tätigkeit in der Saarländischen Straßenbauverwaltung auf der Hand.

III.

25
Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass dann, wenn die Gewährung von Vorteilen in der Zeit von September 1997 bis April 1998 als rechtlich selbständige Taten aufzufassen sein sollten (zur Beurteilung der Konkurrenzen vgl. BGHSt 47, 22, 30; BGH wistra 2004, 29 m.w.N.), die Frage der Verjährung zu prüfen sein wird. Die Verjährung dürfte erstmals durch die Anordnung der Beschuldigtenvernehmung vom 28. April 2003 (Bl. 675 d.A.) unterbrochen worden sein, weil sich die Durchsuchungsbeschlüsse vom 6. Juni 2001 (Bl. 130 d.A.) und vom 28. Januar 2003 (Bl. 662 d.A.) nicht auf den Angeklagten bezogen (vgl. BGH StV 1995, 585).
Tepperwien Maatz Kuckein Athing Ernemann

(1) Wer einem Amtsträger, einem Europäischen Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr für die Dienstausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer einem Richter, Mitglied eines Gerichts der Europäischen Union oder Schiedsrichter einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, daß er eine richterliche Handlung vorgenommen hat oder künftig vornehme, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Die Tat ist nicht nach Absatz 1 strafbar, wenn die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse entweder die Annahme des Vorteils durch den Empfänger vorher genehmigt hat oder sie auf unverzügliche Anzeige des Empfängers genehmigt.

In besonders schweren Fällen wird eine Tat nach den §§ 299, 299a und 299b mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
die Tat sich auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht oder
2.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(1) In besonders schweren Fällen wird

1.
eine Tat nach
a)
§ 332 Abs. 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Abs. 3, und
b)
§ 334 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, jeweils auch in Verbindung mit Abs. 3,
mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren und
2.
eine Tat nach § 332 Abs. 2, auch in Verbindung mit Abs. 3, mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren
bestraft.

(2) Ein besonders schwerer Fall im Sinne des Absatzes 1 liegt in der Regel vor, wenn

1.
die Tat sich auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht,
2.
der Täter fortgesetzt Vorteile annimmt, die er als Gegenleistung dafür gefordert hat, daß er eine Diensthandlung künftig vornehme, oder
3.
der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen,
3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt,
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder
5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.

(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.

(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(7) (weggefallen)

(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrug oder Urkundenfälschung verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,
3.
durch eine große Zahl von unechten oder verfälschten Urkunden die Sicherheit des Rechtsverkehrs erheblich gefährdet oder
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht.

(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer die Urkundenfälschung als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
einer für die Bewilligung einer Subvention zuständigen Behörde oder einer anderen in das Subventionsverfahren eingeschalteten Stelle oder Person (Subventionsgeber) über subventionserhebliche Tatsachen für sich oder einen anderen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, die für ihn oder den anderen vorteilhaft sind,
2.
einen Gegenstand oder eine Geldleistung, deren Verwendung durch Rechtsvorschriften oder durch den Subventionsgeber im Hinblick auf eine Subvention beschränkt ist, entgegen der Verwendungsbeschränkung verwendet,
3.
den Subventionsgeber entgegen den Rechtsvorschriften über die Subventionsvergabe über subventionserhebliche Tatsachen in Unkenntnis läßt oder
4.
in einem Subventionsverfahren eine durch unrichtige oder unvollständige Angaben erlangte Bescheinigung über eine Subventionsberechtigung oder über subventionserhebliche Tatsachen gebraucht.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz oder unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege für sich oder einen anderen eine nicht gerechtfertigte Subvention großen Ausmaßes erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung mißbraucht.

(3) § 263 Abs. 5 gilt entsprechend.

(4) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 2 ist der Versuch strafbar.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 3 leichtfertig handelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(6) Nach den Absätzen 1 und 5 wird nicht bestraft, wer freiwillig verhindert, daß auf Grund der Tat die Subvention gewährt wird. Wird die Subvention ohne Zutun des Täters nicht gewährt, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Gewähren der Subvention zu verhindern.

(7) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer Straftat nach den Absätzen 1 bis 3 kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2). Gegenstände, auf die sich die Tat bezieht, können eingezogen werden; § 74a ist anzuwenden.

(8) Subvention im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
eine Leistung aus öffentlichen Mitteln nach Bundes- oder Landesrecht an Betriebe oder Unternehmen, die wenigstens zum Teil
a)
ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt wird und
b)
der Förderung der Wirtschaft dienen soll;
2.
eine Leistung aus öffentlichen Mitteln nach dem Recht der Europäischen Union, die wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt wird.
Betrieb oder Unternehmen im Sinne des Satzes 1 Nr. 1 ist auch das öffentliche Unternehmen.

(9) Subventionserheblich im Sinne des Absatzes 1 sind Tatsachen,

1.
die durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes von dem Subventionsgeber als subventionserheblich bezeichnet sind oder
2.
von denen die Bewilligung, Gewährung, Rückforderung, Weitergewährung oder das Belassen einer Subvention oder eines Subventionsvorteils gesetzlich oder nach dem Subventionsvertrag abhängig ist.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 416/08
vom
2. Dezember 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
1. Die Berechnung der nach § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge
richtet sich in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse nach § 14 Abs. 2
Satz 2 SGB IV.
2. Zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung.
BGH, Urt. vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Dezember
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. April 2008 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt schuldig ist. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 48 Fällen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 43 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Die Revision des Beschwerdeführers , mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt lediglich zur Berichtigung eines offensichtlichen Schreibversehens in der Urteilsformel. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte als Einzelfirma ein Trockenbau-Unternehmen, das für verschiedene Auftraggeber als Subunternehmer tätig war. Aufgrund der Preisvorgaben der Auftraggeber war dem Angeklagten in den Jahren 2001 bis 2005 ein „auskömmliches Wirtschaften“ nur dadurch möglich, dass er den wesentlichen Teil seiner Arbeitnehmer „schwarz“ beschäftigte, ohne die Arbeitsverhältnisse den zuständigen Stellen zu melden und ohne für diese Personen Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Darüber hinaus erklärte er die Umsatzerlöse, die er aufgrund der Tätigkeit der nicht gemeldeten Arbeitnehmer erzielte, in den für die betreffenden Zeiträume abzugebenden Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen nicht. Er wollte hierdurch die Abführung von Umsatzsteuern auf die unter Einsatz der illegal beschäftigten Arbeitnehmer erbrachten Leistungen vermeiden. Um andererseits den Auftraggebern zu ermöglichen, die an ihn als Subunternehmer geleisteten Zahlungen ertragsteuerlich als Betriebsausgaben ansetzen und umsatzsteuerlich einen Vorsteuerabzug geltend machen zu können , unterstützte der Angeklagte die Auftraggeber bei der Beschaffung sog. Abdeckrechnungen. Bei diesen Rechnungen handel te es sich um Scheinrechnungen mit gesondertem Vorsteuerausweis, mit denen unter dem Namen von Firmen, die tatsächlich nicht tätig geworden waren, Leistungen abgerechnet wurden. Die Abdeckrechnungen für die L. AG erstellte der Angeklagte selbst. Sowohl dem Angeklagten als auch seinen Auftraggebern war bewusst, dass die vorgeblichen Aussteller der Rechnungen die darin ausgewiesenen Umsatzsteuern weder anmelden noch an die Finanzbehörden abführen würden.
3
Insgesamt verkürzte der Angeklagte durch diese Vorgehensweise in den Jahren 2001 bis 2005 Umsatzsteuern in Höhe von mehr als 373.000 Euro sowie Lohnsteuer von 354.000 Euro und enthielt er den Einzugsstellen Gesamt- sozialversicherungsbeiträge in Höhe von mehr als 947.000 Euro vor, davon Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung in Höhe von über 473.000 Euro. Zudem ermöglichte er durch das Ausstellen von Scheinrechnungen den Verantwortlichen der L. AG, in den Jahren 2001 bis 2004 in Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen ungerechtfertigt Vorsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 220.000 Euro geltend zu machen.

II.

4
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch. Die Urteilsformel ist lediglich dahin zu berichtigen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen nur in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) schuldig ist. Bei der Nennung von 43 Taten des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in der Urteilsformel handelt es sich um ein offensichtliches Verkündungsversehen ; dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Urteilsgründen, die lediglich 33 Einzeltaten aufführen und diesen jeweils bestimmte Einzelstrafen zuordnen. Die Berichtigung kann der Senat selbst vornehmen (vgl. BGH NStZ 2000, 386; Kuckein in KK, 6. Aufl., § 354 Rdn. 20 m.w.N.).

III.

5
Die Strafzumessung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt enthält keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler. Auch der Schuldumfang - die Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge - ist zutreffend bestimmt.
6
1. Da die Strafkammer in den Urteilsgründen die Zahl der Einzeltaten zutreffend bestimmt hat, wirkt sich die Schuldspruchberichtigung auf den Strafausspruch nicht aus.
7
2. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht bei den einzelnen Taten jeweils auch den zutreffenden Schuldumfang zugrunde gelegt. Dies gilt auch, soweit es in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe den Angeklagten wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) verurteilt hat. Das Landgericht hat hierbei die Höhe der den Einzugsstellen vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge unter Heranziehung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bestimmt, indem es die an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer gezahlten Löhne als Nettoarbeitsentgelt gewertet hat.
8
a) Die Schätzung der an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer tatsächlich ausgezahlten Lohnsummen ist rechtlich nicht zu beanstanden. Da der Angeklagte über die Beschäftigung der bei den Einzugsstellen nicht angemeldeten Arbeitnehmer keine Aufzeichnungen führte, durfte das Landgericht die Höhe der an diese Personen gezahlten Löhne auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse schätzen (vgl. BGHSt 38, 186, 193; BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 5; BGH wistra 2007, 220 f.). Dies waren hier insbesondere die vom Landgericht festgestellten Umsätze des Angeklagten mit den Auftraggebern , der Umstand, dass die Auftraggeber das erforderliche Material zur Verfügung stellten, und die Tatsache, dass es sich bei den vorgenommenen Arbeiten fast ausschließlich um Lohnarbeiten handelte (UA S. 19, 37). Angesichts dieser Erkenntnisse und des Umstandes, dass nach den Feststellungen des Landgerichts auch in anderen - mit den verfahrensgegenständlichen vergleichbaren - Fällen bei Arbeiten im Rahmen von Trockenbaumaßnahmen 60 Pro-zent der Rechnungssummen als Löhne ausgezahlt wurden, ist die Schätzung der ausgezahlten Lohnsummen auf 60 Prozent des Nettoumsatzes des Angeklagten mit seinen Auftraggebern aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. auch BGH wistra 1983, 107, 108; OLG Düsseldorf wistra 1988, 123, 124).
9
b) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe, d.h. für die Beitragsmonate ab August 2002, die so ermittelten Lohnzahlungen nicht als Bruttolohn, sondern - wie sich aus den mitgeteilten Beträgen ergibt - als Nettoarbeitsentgelt gewertet und ausgehend hiervon anhand der jeweils gültigen Beitragssätze die der Einzugsstelle vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet hat. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich auch für das Strafrecht aus der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, die zum 1. August 2002 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2002, 2787 ff.).
10
aa) Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002 (BGBl. I 2787 ff.) dem Umstand Rechnung getragen, dass bei illegaler Beschäftigung Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Er hat daher bestimmt, dass in solchen Fällen für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen den Beteiligten die Zahlung eines Nettoarbeitsentgelts als vereinbart gilt, weil dem Arbeitnehmer auch wirtschaftlich ein Nettoarbeitsentgelt zufließt (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Neben der Beseitigung von Beweisschwierigkeiten zum Inhalt von Lohnvereinbarungen bei illegaler Beschäftigung (BTDrucks. aaO ) war die Verhinderung von Wettbewerbsvorteilen, die sich die Beteiligten von illegalen Beschäftigungsverhältnissen verschaffen, ein wesentliches Anliegen des Gesetzgebers bei der Schaffung des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit (BTDrucks. 14/8221 S. 11, 16).
11
bb) Bei der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV handelt es sich um die Fiktion einer Nettolohnabrede für illegale Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Diese Fiktion greift unabhängig vom tatsächlichen Inhalt der Lohnvereinbarung ein. Das Arbeitsentgelt der Beschäftigten besteht daher in solchen Fällen aus dem als Nettolohn zu behandelnden Barlohn, der um die darauf entfallenden Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung zu erhöhen, d.h. zu einem Bruttolohn „hochzurechnen“ ist (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Denn Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge ist stets das Bruttoarbeitsentgelt (vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 162 Nr. 1 SGB VI; § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 342 SGB III; § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; BSGE 64, 110, 111 f.). Illegale Beschäftigung im Sinne der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV liegt nicht nur bei verbotenen Beschäftigungsverhältnissen (§ 134 BGB) vor, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber pflichtwidrig die für die Arbeitsverhältnisse vorgeschriebenen Meldungen nicht erstattet oder Beiträge für die versicherten Arbeitnehmer nicht zahlt. Der Gesetzgeber verwendet den Begriff der illegalen Beschäftigung als „Sammelbegriff für eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch“ (BTDrucks. 14/8221, S. 11).
12
cc) Mit Einführung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV wurde die bis dahin geltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts , nach der bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit Schwarzlohnabreden der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge eine Bruttolohnvereinbarung zu Grunde zu legen ist (vgl. BGHSt 38, 285; BGH wistra 1993, 148 f.; BSGE 64, 110 ff.), für den Bereich des Sozialversicherungsrechts durch einen "Federstrich des Gesetzgebers" obsolet (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.). Überzeugende Gründe, die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Strafrecht nicht anzuwenden und für die Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Sinne des § 266a StGB weiterhin an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, bestehen angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht.
13
(1) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts (vgl. BGH und BSG aaO) bezeichnet als maßgeblichen gegen die Annahme einer Nettolohnvereinbarung bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen sprechenden Gesichtspunkt, dass die Abrede eines Schwarzlohns gerade beinhalte, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden sollen. Die wesentliche Rechtsfolge einer Nettolohnvereinbarung - die Befreiung des Arbeitnehmers von seiner Lohnsteuerpflicht und seiner Beitragslast zu Lasten des Arbeitgebers - werde daher von den Parteien des illegalen Beschäftigungsverhältnisses nicht angestrebt (BGH wistra 1993, 148 m.w.N.; BSGE 64, 110, 114 f., 116); vielmehr wolle in solchen Fällen gerade auch der Arbeitgeber im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abführen. Eine derartige Vereinbarung führt zwar zur Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede, nicht aber zu der des gesamten Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BAGE 105, 187, 191 ff.). Die sich wegen der Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede stellende und „früher streitige Frage, ob bei derartigen Zahlungen unter der Hand von Brutto- oder Nettolöhnen auszugehen ist“ (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), hat der Gesetzgeber nun mit der in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV normierten Fiktion einer Nettolohnvereinbarung eindeutig und abschließend geklärt (BTDrucks. aaO).
14
(2) Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge. Vorenthalten im Sinne von § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge. Denn der Straftatbestand des § 266a StGB ist sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (BGHSt 47, 318 f.; 51, 125, 128 m.w.N.; 52, 67, 70). Der Umfang der abzuführenden Beiträge bestimmt sich daher, wie die Abführungspflicht selbst, nach materiellem Sozialversicherungsrecht. Ein entgegenstehender Wille der Vertragsparteien des Beschäftigungsverhältnisses ist im Strafrecht ebenso unbeachtlich wie im Sozialversicherungsrecht. Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich. Liegt danach ein Arbeitsverhältnis vor, können die Vertragsparteien die sich hieraus ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (vgl. BGH NStZ 2001, 599, 600). Nach den tatsächlichen Verhältnissen bemessen sich auch die Sozialversicherungsbeiträge. Dabei entspricht die Lohnzahlung aufgrund einer Schwarzlohnabrede nach der Wertung des Gesetzgebers bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Nettoarbeitsentgelt eines legalen Beschäftigungsverhältnisses (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, kann nicht getroffen werden.

15
(3) Der Umstand, dass der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, mit der dem Phänomen der illegalen Beschäftigung entgegengewirkt werden soll (vgl. BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), im Ergebnis Sanktionscharakter zukommt (vgl. Klattenhoff in Hauck/Noftz SGB, 38. Lfg. 2003, § 14 SGB IV Rdn. 43 Fußnote 194), steht der Anwendung dieser Norm bei der Bestimmung des Umfangs der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge nicht entgegen. Zwar bezweckt diese Vorschrift auch, den Arbeitgeber von einer Schwarzlohnabrede abzuhalten (vgl. BAGE 105, 187, 194). Jedoch ist dies nicht alleiniger Zweck der Vorschrift. Vielmehr soll § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Beweisschwierigkeiten beseitigen und der wirtschaftlichen Situation bei einer Schwarzlohnabrede Rechnung tragen (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Damit hat die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV einen materiellen Regelungsgehalt und nicht den Charakter eines Säumnis- oder Verspätungszuschlages oder eines Zwangsgelds (vgl. dazu BGHSt 43, 381, 400 ff.).
16
(4) Der Senat verkennt nicht, dass die Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen der Strafnorm des § 266a StGB zur Folge hat, dass insoweit ein anderes Bruttoentgelt zugrunde zu legen ist als bei der Bestimmung des Verkürzungsumfangs der bei Schwarzlohnabreden zumeist ebenfalls verwirklichten Hinterziehung von Lohnsteuer (vgl. Heitmann in MüllerGugenberger /Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2006, § 36 Rdn. 26; Boxleitner in Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 2007, Kap. 17 Rdn. 59 Fn. 89). Von der Schaffung einer der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV entsprechenden Norm im Steuerrecht hat der Gesetzgeber aber wegen des dort geltenden Zuflussprinzips bewusst abgesehen (BTDrucks. 15/2948 S. 7, 20). Demgegenüber gilt im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich das Entstehungsprinzip (§ 22 Abs. 1 SGB IV, BGHSt 47, 318, 319; vgl. auch BSGE 41, 6, 11; 54, 136 ff.; 59, 183, 189; 75, 61, 65), das auch bei der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Anwendung findet (einschränkend Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 57. Ergän-zungslieferung 2008 SGB IV § 14 Rdn. 139; vgl. aber BAGE 105, 187, 191 ff.). Diese Unterschiede zwischen Lohnsteuer und Sozialabgaben rechtfertigen auch für das Strafrecht eine unterschiedliche Bemessungsgrundlage für die Hinterziehung von Lohnsteuer einerseits und das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen andererseits (vgl. BGHSt 47, 318, 319 zu § 266a StGB: „unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird“).
17
(5) Der Umstand, dass die Fiktion einer Nettolohnvereinbarung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV zu einem Bruttoarbeitsentgelt führen kann, das den Wert der Arbeitsleistung übersteigt (vgl. BSGE 64, 110, 117; Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59), steht der Anwendung der Vorschrift § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei der Bemessung der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ebenfalls nicht entgegen. Auch insoweit ist zu berücksichtigen , dass eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, nicht getroffen werden kann (vgl. oben [2]). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird in diesem Zusammenhang lediglich durch die dem Straftatbestand des § 266a StGB als echtem Unterlassungsdelikt immanente Tatbestandsvoraussetzung beschränkt, dass dem Arbeitgeber die Erfüllung der Handlungspflicht möglich und zumutbar sein muss (BGHSt 47, 318, 320). An der Zumutbarkeit der Zahlung der gegenüber der legalen Beschäftigung erhöhten Sozialversicherungsbeiträge bestehen hier keine Zweifel, denn der Angeklagte verschaffte sich durch die Schwarzlohnabrede wirtschaftliche Vorteile im Wettbewerb gegenüber legal tätigen Arbeitgebern.

18
(6) Auch gegen die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse VI bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken (vgl. Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59 und SG Dortmund, Urt. vom 8. September 2008 - S 25 R 129/06 - BeckRS 2008 57420). Nach § 39c EStG ist diese Steuerklasse zu Grunde zu legen, wenn bei einem Arbeitsverhältnis die Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber nicht vorgelegt wird. Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen besteht regelmäßig kein Grund zu der Annahme, dass die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ihre Lohnsteuerkarte vorgelegt haben. Mangels erkennbarer Anhaltspunkte für eine andere Handhabung ergibt sich hier auch aus dem Zweifelsgrundsatz nichts anderes (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).

IV.

19
Auch die tatrichterliche Strafhöhenbemessung wegen Steuerhinterziehung ist rechtsfehlerfrei. Die dem angefochtenen Urteil insoweit zugrunde liegenden Strafzumessungserwägungen tragen den nachfolgend dargelegten Kriterien Rechnung, die bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung Anwendung finden müssen:
20
1. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist bei einer Steuerhinterziehung - wie bei jeder anderen Straftat auch - die persönliche Schuld des Täters. Dabei sind auch die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 StGB). § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB bestimmt, dass bei der Zumessung der Strafe die Umstände gegeneinander abzuwägen sind, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände in Betracht.

21
2. Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens (vgl. BGHSt 36, 100, 102; 40, 109, 111; 41, 1, 5; 46, 107, 120). Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. auch BGH wistra 1998, 269, 270).
22
Das gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die konkrete Strafzumessung in dem - wie hier vom Landgericht - zugrunde gelegten Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Dass der Hinterziehungsbetrag nicht nur ein bestimmender Strafzumessungsfaktor, sondern darüber hinaus, dann wenn er hoch ist, ein auch für die konkrete Strafzumessung gewichtiger Strafschärfungsgrund ist, zeigt insbesondere die gesetzgeberische Wertung in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
23
Schon die bis Ende des Jahres 2007 - und damit noch zur Tatzeit geltende - Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hob die Höhe des Hinterziehungsbetrags als einen Umstand heraus, der zur Verschärfung des Strafrahmens führen konnte. Danach war in der Regel ein nur mit Freiheitsstrafe (von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) bedrohter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gegeben, wenn der Täter „aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“. Zwar musste nach der früheren Fassung für die Erfüllung des Regelbeispiels zu dem objektiven Merkmal „in großem Ausmaß“ noch das subjektive Merkmal „aus grobem Eigennutz“ hinzukommen, gleichwohl hatte der Gesetzgeber schon damals zum Ausdruck gebracht, dass die Strafhöhenbemessung maßgeblich auch von der Höhe des Hinterziehungsbetrags bestimmt wird.
24
3. Auch wenn der Hinterziehungsbetrag ein bestimmender Strafzumessungsgrund für die Steuerhinterziehung ist, kann allein dessen Ausmaß für die Strafhöhenbemessung nicht in dem Sinne ausschlaggebend sein, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird. Jeder Einzelfall ist vielmehr nach den von § 46 StGB vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen.
25
Das schließt indes nicht aus, die Strafhöhe an den vom Gesetzgeber auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO vorgegebenen Wertungen auszurichten. Das gilt auch für die konkrete Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens , und zwar auch beim Normalstrafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Gerade auch bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe kommt dem Merkmal „großes Ausmaß“ Bedeutung zu, weil es aufzeigt, wann der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe (mit erhöhtem Mindestmaß) für angebracht hält. Dazu bedarf das Merkmal einer näheren Konturierung.
26
Der Senat ist der Ansicht, dass insoweit vergleichbare Kriterien wie für das wortgleiche Merkmal in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (auf das auch § 263a Abs. 2, § 266 Abs. 2 StGB verweisen) zur Anwendung kommen müssen.
27
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 48, 360; BGH wistra 2004, 262, 263; StV 2007, 132) erfüllt ein Vermögensverlust von mehr als 50.000 € beim Regelbeispiel des besonders schweren Falles des Betrugs (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) das Merkmal „in großem Ausmaß“. Dazu hatte der Senat in BGHSt 48, 360 ausgeführt: „Der Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen … Die Abgrenzung, die sich für § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB wertmäßig an einem Vermögensverlust in Höhe von 50.000 € ausrichtet, schafft für die Praxis Rechtssicherheit. Im Einzelfall bleibt genügend Spielraum für eine gerechte Straffindung. Der Tatrichter hat ohnehin im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des Regelbeispiels zu bewerten, ob tat- oder täterbezogene Umstände vorliegen, die die Indizwirkung des Regelbeispiels aufheben und trotz seiner Verwirklichung zur Verneinung eines besonders schweren Falles führen können, oder ob auch ohne dass dieses Regelbeispiel erfüllt ist besondere Umstände einen unbenannten besonders schweren Fall zu begründen vermögen oder etwa ein anderes benanntes Regelbeispiel anzunehmen ist.“
28
b) Das vergleichbare Merkmal des „großen Ausmaßes“ im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hat der Bundesgerichtshof bislang nicht - wie beim Betrug - betragsmäßig bestimmt. Das lag in erster Linie daran, dass bei der früheren Gesetzesfassung - zu der die Entscheidungen ergangen sind - die objektive Komponente („großes Ausmaß“) mit der subjektiven Komponente („aus grobem Eigennutz“) verknüpft war, so dass eine eigenständige Auslegung nur des Merkmals „großes Ausmaß“ nicht veranlasst war.
29
Wegen der Verknüpfung von objektivem und subjektivem Merkmal hatte der Bundesgerichtshof eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände gefordert (vgl. BGH wistra 1993, 109,110). Von Bedeutung war dabei insbesondere, ob sich das Ausmaß aus dem noch durchschnittlich vorkommen- den Verkürzungsumfang heraushebt und ob ein „Täuschungsgebäude großen Ausmaßes“ vorliegt (vgl. BGH wistra 1987, 71, 72).
30
Auch in der Kommentarliteratur finden sich bisher sehr unterschiedliche und daher keine hinreichend klaren Maßstäbe für eine Grenzziehung. Während überwiegend - indes unter Geltung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO aF - für die Annahme des „großen Ausmaßes“ eine Hinterziehung in Millionenhöhe für erforderlich erachtet wurde (Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 270; Klein/Gast-de Haan, AO 9. Aufl. § 370 Rdn. 68; Scheurmann -Kettner in Koch/Scholz, AO 5. Aufl. § 370 Rdn. 59), finden sich in der neueren Literatur Stimmen, die eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ bereits ab einem Mindestbetrag von 50.000 € für möglich erachten (Kohlmann, Steuerstrafrecht 38. Lfg. August 2008 § 370 AO Rdn. 1099.7; Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1022). Demgegenüber nehmen andere Autoren auch für die neue Fassung des Merkmals ein „großes Ausmaß“ erst bei einem Betrag von 500.000 € (Blesinger in Kühn/v. Wedelstädt, AO und FGO, 19. Aufl. § 370 AO Rdn. 114) oder einer Hinterziehung in Millionenhöhe an (Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen , 87. Ergänzungslieferung § 370 AO Rdn. 169) und halten teilweise auch weiterhin auch für die Bejahung des Merkmals eine Gesamtschau aller Umstände für erforderlich (Rolletschke in Stbg 2008, 49 und in Rolletschke/ Kemper aaO).
31
c) Das Merkmal „in großem Ausmaß“ im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bedarf nach Ansicht des Senats - in gleicher Weise wie beim Betrug - der Interpretation durch die Gerichte. Nur dann erhält das Merkmal seine den Anforderungen der Rechtssicherheit gerecht werdenden Konturen. Für eine Vergleichbarkeit mit dem Betrug spricht auch, dass der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in BGHSt 50, 299, 309 zu Recht ausgeführt hat, es sei geboten, „dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschaftskriminalität gerecht zu werden.“
32
Dass der Gesetzgeber nicht selbst bestimmt hat, wann bei der Prüfung des Regelbeispiels von einem großen Ausmaß auszugehen ist, steht einer verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Anders mag das etwa bei der Verwendung des Begriffs des großen Ausmaßes als Tatbestandsmerkmal eines Verbrechenstatbestandes sein (vgl. zu dem inzwischen aufgehobenen § 370a AO: BGH wistra 2004, 393 ff.; 2005, 30 ff.). Wie beim Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Betruges in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB ist der Begriff des großen Ausmaßes auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in erster Linie nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Zwar ist anerkannt, dass die Auslegung tatbestandsspezifisch zu erfolgen hat; gleichwohl ist bei von der Begehungsweise und vom Unwertgehalt ähnlichen Delikten wie dem Betrug und der Steuerhinterziehung eine einheitliche Grenzziehung in Betracht zu ziehen (vgl. BGHSt 48, 360, 364).
33
Dem steht nicht entgegen, dass sich, anders als bei der Einführung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 43), in den Materialien zur Gesetzesentstehung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nF keine Anhaltspunkte dafür finden, ab welchem Grenzwert der Gesetzgeber eine Steuerhinterziehung von „großem Ausmaß“ als gegeben erachtet. Begründet wird lediglich die Streichung des einschränkenden subjektiven Merkmals des „groben Eigennutzes“ (BTDrucks. 16/5846 S. 75). Dass der Gesetzgeber hierbei an die Rechtsprechung anknüpfen wollte, die den Begriff des „großen Ausmaßes“ in den § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB konkretisierte, kann daher nicht ohne weiteres angenommen werden. Allerdings wollte der Gesetzgeber bereits mit der Einführung des § 370 Abs. 3 AO zum Ausdruck bringen, dass die Steuerhinterziehung „hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit und ihrer Strafwürdigkeit nicht geringer zu bewerten ist als der Betrug“ (BGHSt 32, 95, 99 mit Hinweis auf BRDrucks. 23/71 S. 194).
34
d) Der Senat ist daher der Ansicht, dass das Merkmal „in großem Ausmaß“ des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO wie beim Betrug nach objektiven Maßstäben zu bestimmen ist. Das Merkmal „in großem Ausmaß“ liegt danach nur dann vor, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 € übersteigt.
35
aa) Der Senat hat dabei auch bedacht, dass bei großen Geschäftsvolumina Steuerschäden in dieser Größenordnung schneller erreicht werden als bei wirtschaftlicher Betätigung im kleineren Umfang, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung regelmäßig bereits bei Gefährdung des Steueraufkommens verwirklicht wird (vgl. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO), dass die Tatbestandsmäßigkeit weder direkten Vorsatz noch Bereicherungsabsicht voraussetzt und dass regelmäßig auch die bloße Untätigkeit den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, weil die Abgabe von Steuererklärungen gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).
36
Gleichwohl lassen derartige „qualitative“ Besonderheiten des Einzelfalls die Erfüllung des Ausmaßes der Steuerverkürzung unberührt, da solche Umstände die Auswirkungen der Tat auf das Steueraufkommen nicht verändern. Schutzgut des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung ist - wie oben ausge- führt - das öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen jeder einzelnen Steuerart. Im Übrigen schafft eine Abgrenzung, die sich an einer eindeutigen Betragsgrenze ausrichtet, größere Rechtssicherheit für die Praxis. Eine solche Relation von Geschäftsvolumen und Steuerschaden kann allerdings das Gewicht des Hinterziehungsbetrags bei der Strafzumessung vermindern.
37
bb) Der Umstand, dass sich die Betragsgrenze von 50.000 € an derjenigen des Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB orientiert, bedeutet zugleich, dass - ähnlich wie beim Betrug - zwischen schon eingetretenem Vermögensverlust und einem Gefährdungsschaden zu differenzieren ist:
38
(1) Die Betragsgrenze von 50.000 € kommt namentlich dann zur Anwendung , wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Ist hier - der „Steuerbetrug“ hat zu einem „Vermögensverlust“ geführt - diese Wertgrenze überschritten, dann ist das Merkmal erfüllt.
39
(2) Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann kann das „große Ausmaß“ höher angesetzt werden. Der Senat hält hierbei eine Wertgrenze von 100.000 € für angemessen.
40
cc) Ob die Schwelle des „großen Ausmaßes“ überschritten ist, ist für jede einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu bestimmen. Dabei genügt derjenige Erfolg, der für die Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht (vgl. Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 268). Der Senat ist der Ansicht, dass bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung das „Ausmaß“ des jeweiligen Taterfolges zu addieren ist, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung im Sinne des § 52 StGB vorliegt, die für die Strafzumessung einer einheitlichen Bewertung bedarf.
41
e) Liegt nach diesen Maßstäben eine Hinterziehung von „großem Ausmaß“ vor, so hat dies - unabhängig von der Frage, ob die Regelwirkung einer besonders schweren Steuerhinterziehung im konkreten Fall zur Anwendung kommt - „Indizwirkung“, freilich auch nicht mehr, für die zu findende Strafhöhe. Das bedeutet:
42
Jedenfalls bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
43
Schon deswegen wird bei der letztgenannten Fallgestaltung (Millionenbetrag ) ein Strafbefehlsverfahren regelmäßig nicht geeignet erscheinen (vgl. § 400 AO i.V.m. § 407 StPO). Hinzu kommt, dass bei Steuerverkürzungen in dieser Größenordnung in der Regel auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Wahrung der Gleichbehandlung vor Gericht - das eine öffentliche Haupt- verhandlung am besten gewährleistet - nicht gering zu achten ist (vgl. § 407 Abs. 1 Satz 2 StPO).
44
f) Die „Indizwirkung“ des „großen Ausmaßes“ kann einerseits durch sonstige Milderungsgründe beseitigt, andererseits aber auch durch Strafschärfungsgründe verstärkt werden.
45
aa) Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der Täter im Tatzeitraum im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam ist daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern. Hat sich der Täter vor der Tat über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, ist auch dies in den Blick zu nehmen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat einzubeziehen , etwa ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu. Der „Schadenswiedergutmachung“ durch Nachzahlung verkürzter Steuern kommt schon im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige (§ 371 AO) besondere strafmildernde Bedeutung zu.
46
bb) Gegen eine Geldstrafe oder - bei entsprechend hohem Hinterziehungsbetrag - eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe spricht es insbesondere, wenn der Täter Aktivitäten entfaltet hat, die von vornherein auf die Schädigung des Steueraufkommens in großem Umfang ausgelegt waren, etwa weil der Täter unter Vorspiegelung erfundener Sachverhalte das „Finanzamt als Bank“ betrachtete und in erheblichem Umfang ungerechtfertigte Vorsteuererstattungen erlangt hat oder weil der Täter die Steuerhinterziehung in sonstiger Weise ge- werbsmäßig oder gar „als Gewerbe“ betrieb. Gleiches gilt auch für den Aufbau eines aufwändigen Täuschungssystems, die systematische Verschleierung von Sachverhalten und die Erstellung oder Verwendung unrichtiger oder verfälschter Belege zu Täuschungszwecken.
47
Strafschärfende Bedeutung hat es zudem, wenn der Täter besondere Unternehmensstrukturen aufgebaut hat, die auch der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollten, wenn der Täter das Ziel verfolgt hat, das Steueraufkommen durch wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu schädigen, wenn er andere Personen verstrickt hat, wenn er systematisch Scheingeschäfte getätigt oder Scheinhandlungen vorgenommen hat (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 1 AO) oder wenn er in größerem Umfang buchtechnische Manipulationen vorgenommen oder gezielt durch Einschaltung von Domizilfirmen im Ausland oder Gewinnverlagerungen ins Ausland schwer aufklärbare Sachverhalte geschaffen hat (vgl. auch die Beispiele bei Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1018 m.w.N.). Solche Umstände sind bei anpassungsfähigen Hinterziehungssystemen, wie etwa den sog. Umsatzsteuerkarussellgeschäften, bei Kettengeschäften unter Einschaltung sog. „Serviceunternehmen“ und im Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassungen regelmäßig gegeben (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
48
4. Für Steuerhinterziehungen, die seit dem 1. Januar 2008 - dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO durch das Gesetz zur Änderung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmethoden sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v. 21. Dezember 2007 (BGBl. I 3198) - begangen wurden, kommt der Streichung des subjektiven Merkmals „aus grobem Eigennutz“ aus dem Regelbeispiel zusätzliches Gewicht zu. Hier erfüllt schon das objektive Merkmal „großes Aus- maß“ - wie es oben vom Senat bestimmt wurde - das Regelbeispiel des besonders schweren Falles des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
49
Die Bejahung bzw. Verneinung des Regelbeispiels in einem ersten Prüfungsschritt bei der Strafrahmenwahl bedeutet freilich, dass - wie bei sonstigen Regelbeispielen - in einem zweiten Schritt zu prüfen ist, ob die Besonderheiten des Einzelfalls die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften, bzw. ob - umgekehrt - ein unbenannter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vorliegt , obwohl der Hinterziehungsbetrag unter 50.000 € liegt.
50
Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze für die Strafrahmenwahl bei Regelbeispielen. Danach entfällt die Regelwirkung, wenn diese Faktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften. Es müssen in dem Tun oder in der Person des Täters Umstände vorliegen, die das Unrecht seiner Tat oder seiner Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint (ständige Rspr.; vgl. BGHSt 20, 121, 125). Für die hierbei vorzunehmende Gesamtabwägung haben namentlich die oben genannten Milderungs- und Schärfungsgründe Gewicht.
51
5. Gemessen daran sind die dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO entnommenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat zu Recht den hohen Steuerschäden das ihnen zukommende Gewicht beigemessen. Namentlich die beiden Einsatzstrafen von jeweils einem Jahr und drei Monaten für die Umsatzsteuerhinterziehungen 2002 und 2003 mit hinterzogenen Steuern in Höhe von jeweils über 150.000 € werden den oben genannten Strafzumessungskriterien gerecht.

V.

52
Die Revision bemängelt, das Landgericht habe sowohl bei der Beitragsals auch bei der Steuerhinterziehung einerseits die Höhe der durch die Taten verursachten Schäden zu Lasten des Angeklagten gewertet, andererseits aber strafmildernd berücksichtigt, dass die Schäden ausgeglichen worden seien. Hiergegen ist jedoch nichts zu erinnern. Diese Strafzumessungserwägungen erweisen sich nicht als widersprüchlich. Gemäß § 46 Abs. 2 StGB sind sowohl die verschuldeten Folgen der Tat als auch die Schadenswiedergutmachung strafzumessungsrelevante Faktoren. Bei einer nachträglichen Schadenswiedergutmachung ist das Landgericht nicht gehalten, den Umfang der zunächst hinterzogenen Steuern und den Umfang der den Einzugsstellen zunächst vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Strafzumessung unberücksichtigt zu lassen.

VI.

53
Die Versagung der Strafaussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten zur Bewährung hält rechtlicher Nachprüfung noch stand.
54
Allerdings weist die Revision mit Recht darauf hin, dass auch bei der gemäß § 56 Abs. 2 StGB vom Tatgericht vorzunehmenden Prüfung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die ein Jahr übersteigt, zur Bewährung ausgesetzt werden kann, der Kriminalprognose des Täters Bedeutung zukommt. Denn die Prüfung, ob besondere Umstände von Gewicht im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, erfordert eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten. Zu den dabei zu berücksichtigenden Umständen gehört auch eine günstige Kriminalprognose (vgl. BGH StV 2003, 670; BGH NStZ 1997, 434; jeweils m.w.N.). Es wäre daher rechtsfehlerhaft, die Frage der Kriminalprognose als von vornherein für die Gesamtwürdigung bedeutungslos dahinstehen zu lassen (vgl. BGH, Beschl. vom 11. Dezember 2002 - 1 StR 454/02). Anders verhält es sich aber dann, wenn das Tatgericht die Gesamtwürdigung auch auf der Basis einer günstigen Kriminalprognose durchführt und dabei zum Ergebnis gelangt, dass selbst unter dieser Prämisse besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB nicht vorliegen. Bei einem solchen Vorgehen wird die Kriminalprognose des Täters nicht als bedeutungslos angesehen ; sie hat aber im konkreten Fall auf das Ergebnis der Gesamtwürdigung keine für den Verurteilten günstigen Auswirkungen.
55
So liegt der Fall hier. Die Strafkammer hatte zwar im Hinblick auf die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten und seinen Bewährungsbruch erhebliche Zweifel daran, dass sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (UA S. 43). Aus dem Gesamtzusammenhang der vom Landgericht insoweit angestellten Erwägungen ergibt sich aber, dass es im Rahmen der durchgeführten Gesamtwürdigung auch unter Berücksichtigung einer günstigen Kriminalprognose zum Fehlen besonderer Umstände gelangt ist. Der Senat entnimmt der missverständlichen Formulierung in den Urteilsgründen , die Frage der Kriminalprognose könne „letztlich“ offen bleiben, nicht, die Strafkammer habe diese Frage für die nach § 56 Abs. 2 StGB als von vornherein unbeachtlich gehalten.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

In besonders schweren Fällen wird eine Tat nach den §§ 299, 299a und 299b mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
die Tat sich auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht oder
2.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 416/08
vom
2. Dezember 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
1. Die Berechnung der nach § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge
richtet sich in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse nach § 14 Abs. 2
Satz 2 SGB IV.
2. Zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung.
BGH, Urt. vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Dezember
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. April 2008 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt schuldig ist. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 48 Fällen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 43 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Die Revision des Beschwerdeführers , mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt lediglich zur Berichtigung eines offensichtlichen Schreibversehens in der Urteilsformel. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte als Einzelfirma ein Trockenbau-Unternehmen, das für verschiedene Auftraggeber als Subunternehmer tätig war. Aufgrund der Preisvorgaben der Auftraggeber war dem Angeklagten in den Jahren 2001 bis 2005 ein „auskömmliches Wirtschaften“ nur dadurch möglich, dass er den wesentlichen Teil seiner Arbeitnehmer „schwarz“ beschäftigte, ohne die Arbeitsverhältnisse den zuständigen Stellen zu melden und ohne für diese Personen Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Darüber hinaus erklärte er die Umsatzerlöse, die er aufgrund der Tätigkeit der nicht gemeldeten Arbeitnehmer erzielte, in den für die betreffenden Zeiträume abzugebenden Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen nicht. Er wollte hierdurch die Abführung von Umsatzsteuern auf die unter Einsatz der illegal beschäftigten Arbeitnehmer erbrachten Leistungen vermeiden. Um andererseits den Auftraggebern zu ermöglichen, die an ihn als Subunternehmer geleisteten Zahlungen ertragsteuerlich als Betriebsausgaben ansetzen und umsatzsteuerlich einen Vorsteuerabzug geltend machen zu können , unterstützte der Angeklagte die Auftraggeber bei der Beschaffung sog. Abdeckrechnungen. Bei diesen Rechnungen handel te es sich um Scheinrechnungen mit gesondertem Vorsteuerausweis, mit denen unter dem Namen von Firmen, die tatsächlich nicht tätig geworden waren, Leistungen abgerechnet wurden. Die Abdeckrechnungen für die L. AG erstellte der Angeklagte selbst. Sowohl dem Angeklagten als auch seinen Auftraggebern war bewusst, dass die vorgeblichen Aussteller der Rechnungen die darin ausgewiesenen Umsatzsteuern weder anmelden noch an die Finanzbehörden abführen würden.
3
Insgesamt verkürzte der Angeklagte durch diese Vorgehensweise in den Jahren 2001 bis 2005 Umsatzsteuern in Höhe von mehr als 373.000 Euro sowie Lohnsteuer von 354.000 Euro und enthielt er den Einzugsstellen Gesamt- sozialversicherungsbeiträge in Höhe von mehr als 947.000 Euro vor, davon Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung in Höhe von über 473.000 Euro. Zudem ermöglichte er durch das Ausstellen von Scheinrechnungen den Verantwortlichen der L. AG, in den Jahren 2001 bis 2004 in Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen ungerechtfertigt Vorsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 220.000 Euro geltend zu machen.

II.

4
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch. Die Urteilsformel ist lediglich dahin zu berichtigen, dass der Angeklagte statt in 43 Fällen nur in 33 Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) schuldig ist. Bei der Nennung von 43 Taten des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in der Urteilsformel handelt es sich um ein offensichtliches Verkündungsversehen ; dies ergibt sich zweifelsfrei aus den Urteilsgründen, die lediglich 33 Einzeltaten aufführen und diesen jeweils bestimmte Einzelstrafen zuordnen. Die Berichtigung kann der Senat selbst vornehmen (vgl. BGH NStZ 2000, 386; Kuckein in KK, 6. Aufl., § 354 Rdn. 20 m.w.N.).

III.

5
Die Strafzumessung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt enthält keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler. Auch der Schuldumfang - die Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge - ist zutreffend bestimmt.
6
1. Da die Strafkammer in den Urteilsgründen die Zahl der Einzeltaten zutreffend bestimmt hat, wirkt sich die Schuldspruchberichtigung auf den Strafausspruch nicht aus.
7
2. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht bei den einzelnen Taten jeweils auch den zutreffenden Schuldumfang zugrunde gelegt. Dies gilt auch, soweit es in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe den Angeklagten wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) verurteilt hat. Das Landgericht hat hierbei die Höhe der den Einzugsstellen vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge unter Heranziehung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bestimmt, indem es die an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer gezahlten Löhne als Nettoarbeitsentgelt gewertet hat.
8
a) Die Schätzung der an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer tatsächlich ausgezahlten Lohnsummen ist rechtlich nicht zu beanstanden. Da der Angeklagte über die Beschäftigung der bei den Einzugsstellen nicht angemeldeten Arbeitnehmer keine Aufzeichnungen führte, durfte das Landgericht die Höhe der an diese Personen gezahlten Löhne auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse schätzen (vgl. BGHSt 38, 186, 193; BGHR StGB § 266a Sozialabgaben 5; BGH wistra 2007, 220 f.). Dies waren hier insbesondere die vom Landgericht festgestellten Umsätze des Angeklagten mit den Auftraggebern , der Umstand, dass die Auftraggeber das erforderliche Material zur Verfügung stellten, und die Tatsache, dass es sich bei den vorgenommenen Arbeiten fast ausschließlich um Lohnarbeiten handelte (UA S. 19, 37). Angesichts dieser Erkenntnisse und des Umstandes, dass nach den Feststellungen des Landgerichts auch in anderen - mit den verfahrensgegenständlichen vergleichbaren - Fällen bei Arbeiten im Rahmen von Trockenbaumaßnahmen 60 Pro-zent der Rechnungssummen als Löhne ausgezahlt wurden, ist die Schätzung der ausgezahlten Lohnsummen auf 60 Prozent des Nettoumsatzes des Angeklagten mit seinen Auftraggebern aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. auch BGH wistra 1983, 107, 108; OLG Düsseldorf wistra 1988, 123, 124).
9
b) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht in den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe, d.h. für die Beitragsmonate ab August 2002, die so ermittelten Lohnzahlungen nicht als Bruttolohn, sondern - wie sich aus den mitgeteilten Beträgen ergibt - als Nettoarbeitsentgelt gewertet und ausgehend hiervon anhand der jeweils gültigen Beitragssätze die der Einzugsstelle vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge errechnet hat. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich auch für das Strafrecht aus der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, die zum 1. August 2002 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2002, 2787 ff.).
10
aa) Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002 (BGBl. I 2787 ff.) dem Umstand Rechnung getragen, dass bei illegaler Beschäftigung Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Er hat daher bestimmt, dass in solchen Fällen für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen den Beteiligten die Zahlung eines Nettoarbeitsentgelts als vereinbart gilt, weil dem Arbeitnehmer auch wirtschaftlich ein Nettoarbeitsentgelt zufließt (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Neben der Beseitigung von Beweisschwierigkeiten zum Inhalt von Lohnvereinbarungen bei illegaler Beschäftigung (BTDrucks. aaO ) war die Verhinderung von Wettbewerbsvorteilen, die sich die Beteiligten von illegalen Beschäftigungsverhältnissen verschaffen, ein wesentliches Anliegen des Gesetzgebers bei der Schaffung des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit (BTDrucks. 14/8221 S. 11, 16).
11
bb) Bei der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV handelt es sich um die Fiktion einer Nettolohnabrede für illegale Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Diese Fiktion greift unabhängig vom tatsächlichen Inhalt der Lohnvereinbarung ein. Das Arbeitsentgelt der Beschäftigten besteht daher in solchen Fällen aus dem als Nettolohn zu behandelnden Barlohn, der um die darauf entfallenden Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung zu erhöhen, d.h. zu einem Bruttolohn „hochzurechnen“ ist (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Denn Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge ist stets das Bruttoarbeitsentgelt (vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 162 Nr. 1 SGB VI; § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 342 SGB III; § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; BSGE 64, 110, 111 f.). Illegale Beschäftigung im Sinne der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV liegt nicht nur bei verbotenen Beschäftigungsverhältnissen (§ 134 BGB) vor, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber pflichtwidrig die für die Arbeitsverhältnisse vorgeschriebenen Meldungen nicht erstattet oder Beiträge für die versicherten Arbeitnehmer nicht zahlt. Der Gesetzgeber verwendet den Begriff der illegalen Beschäftigung als „Sammelbegriff für eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch“ (BTDrucks. 14/8221, S. 11).
12
cc) Mit Einführung der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV wurde die bis dahin geltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts , nach der bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit Schwarzlohnabreden der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge eine Bruttolohnvereinbarung zu Grunde zu legen ist (vgl. BGHSt 38, 285; BGH wistra 1993, 148 f.; BSGE 64, 110 ff.), für den Bereich des Sozialversicherungsrechts durch einen "Federstrich des Gesetzgebers" obsolet (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.). Überzeugende Gründe, die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Strafrecht nicht anzuwenden und für die Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Sinne des § 266a StGB weiterhin an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, bestehen angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht.
13
(1) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts (vgl. BGH und BSG aaO) bezeichnet als maßgeblichen gegen die Annahme einer Nettolohnvereinbarung bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen sprechenden Gesichtspunkt, dass die Abrede eines Schwarzlohns gerade beinhalte, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden sollen. Die wesentliche Rechtsfolge einer Nettolohnvereinbarung - die Befreiung des Arbeitnehmers von seiner Lohnsteuerpflicht und seiner Beitragslast zu Lasten des Arbeitgebers - werde daher von den Parteien des illegalen Beschäftigungsverhältnisses nicht angestrebt (BGH wistra 1993, 148 m.w.N.; BSGE 64, 110, 114 f., 116); vielmehr wolle in solchen Fällen gerade auch der Arbeitgeber im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abführen. Eine derartige Vereinbarung führt zwar zur Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede, nicht aber zu der des gesamten Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BAGE 105, 187, 191 ff.). Die sich wegen der Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede stellende und „früher streitige Frage, ob bei derartigen Zahlungen unter der Hand von Brutto- oder Nettolöhnen auszugehen ist“ (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), hat der Gesetzgeber nun mit der in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV normierten Fiktion einer Nettolohnvereinbarung eindeutig und abschließend geklärt (BTDrucks. aaO).
14
(2) Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge. Vorenthalten im Sinne von § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge. Denn der Straftatbestand des § 266a StGB ist sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (BGHSt 47, 318 f.; 51, 125, 128 m.w.N.; 52, 67, 70). Der Umfang der abzuführenden Beiträge bestimmt sich daher, wie die Abführungspflicht selbst, nach materiellem Sozialversicherungsrecht. Ein entgegenstehender Wille der Vertragsparteien des Beschäftigungsverhältnisses ist im Strafrecht ebenso unbeachtlich wie im Sozialversicherungsrecht. Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich. Liegt danach ein Arbeitsverhältnis vor, können die Vertragsparteien die sich hieraus ergebenden Beitragspflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (vgl. BGH NStZ 2001, 599, 600). Nach den tatsächlichen Verhältnissen bemessen sich auch die Sozialversicherungsbeiträge. Dabei entspricht die Lohnzahlung aufgrund einer Schwarzlohnabrede nach der Wertung des Gesetzgebers bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Nettoarbeitsentgelt eines legalen Beschäftigungsverhältnisses (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, kann nicht getroffen werden.

15
(3) Der Umstand, dass der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, mit der dem Phänomen der illegalen Beschäftigung entgegengewirkt werden soll (vgl. BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), im Ergebnis Sanktionscharakter zukommt (vgl. Klattenhoff in Hauck/Noftz SGB, 38. Lfg. 2003, § 14 SGB IV Rdn. 43 Fußnote 194), steht der Anwendung dieser Norm bei der Bestimmung des Umfangs der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge nicht entgegen. Zwar bezweckt diese Vorschrift auch, den Arbeitgeber von einer Schwarzlohnabrede abzuhalten (vgl. BAGE 105, 187, 194). Jedoch ist dies nicht alleiniger Zweck der Vorschrift. Vielmehr soll § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Beweisschwierigkeiten beseitigen und der wirtschaftlichen Situation bei einer Schwarzlohnabrede Rechnung tragen (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Damit hat die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV einen materiellen Regelungsgehalt und nicht den Charakter eines Säumnis- oder Verspätungszuschlages oder eines Zwangsgelds (vgl. dazu BGHSt 43, 381, 400 ff.).
16
(4) Der Senat verkennt nicht, dass die Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen der Strafnorm des § 266a StGB zur Folge hat, dass insoweit ein anderes Bruttoentgelt zugrunde zu legen ist als bei der Bestimmung des Verkürzungsumfangs der bei Schwarzlohnabreden zumeist ebenfalls verwirklichten Hinterziehung von Lohnsteuer (vgl. Heitmann in MüllerGugenberger /Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2006, § 36 Rdn. 26; Boxleitner in Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 2007, Kap. 17 Rdn. 59 Fn. 89). Von der Schaffung einer der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV entsprechenden Norm im Steuerrecht hat der Gesetzgeber aber wegen des dort geltenden Zuflussprinzips bewusst abgesehen (BTDrucks. 15/2948 S. 7, 20). Demgegenüber gilt im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich das Entstehungsprinzip (§ 22 Abs. 1 SGB IV, BGHSt 47, 318, 319; vgl. auch BSGE 41, 6, 11; 54, 136 ff.; 59, 183, 189; 75, 61, 65), das auch bei der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV Anwendung findet (einschränkend Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 57. Ergän-zungslieferung 2008 SGB IV § 14 Rdn. 139; vgl. aber BAGE 105, 187, 191 ff.). Diese Unterschiede zwischen Lohnsteuer und Sozialabgaben rechtfertigen auch für das Strafrecht eine unterschiedliche Bemessungsgrundlage für die Hinterziehung von Lohnsteuer einerseits und das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen andererseits (vgl. BGHSt 47, 318, 319 zu § 266a StGB: „unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird“).
17
(5) Der Umstand, dass die Fiktion einer Nettolohnvereinbarung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV zu einem Bruttoarbeitsentgelt führen kann, das den Wert der Arbeitsleistung übersteigt (vgl. BSGE 64, 110, 117; Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59), steht der Anwendung der Vorschrift § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei der Bemessung der im Sinne von § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ebenfalls nicht entgegen. Auch insoweit ist zu berücksichtigen , dass eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt, ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, nicht getroffen werden kann (vgl. oben [2]). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird in diesem Zusammenhang lediglich durch die dem Straftatbestand des § 266a StGB als echtem Unterlassungsdelikt immanente Tatbestandsvoraussetzung beschränkt, dass dem Arbeitgeber die Erfüllung der Handlungspflicht möglich und zumutbar sein muss (BGHSt 47, 318, 320). An der Zumutbarkeit der Zahlung der gegenüber der legalen Beschäftigung erhöhten Sozialversicherungsbeiträge bestehen hier keine Zweifel, denn der Angeklagte verschaffte sich durch die Schwarzlohnabrede wirtschaftliche Vorteile im Wettbewerb gegenüber legal tätigen Arbeitgebern.

18
(6) Auch gegen die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse VI bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken (vgl. Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59 und SG Dortmund, Urt. vom 8. September 2008 - S 25 R 129/06 - BeckRS 2008 57420). Nach § 39c EStG ist diese Steuerklasse zu Grunde zu legen, wenn bei einem Arbeitsverhältnis die Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber nicht vorgelegt wird. Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen besteht regelmäßig kein Grund zu der Annahme, dass die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ihre Lohnsteuerkarte vorgelegt haben. Mangels erkennbarer Anhaltspunkte für eine andere Handhabung ergibt sich hier auch aus dem Zweifelsgrundsatz nichts anderes (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).

IV.

19
Auch die tatrichterliche Strafhöhenbemessung wegen Steuerhinterziehung ist rechtsfehlerfrei. Die dem angefochtenen Urteil insoweit zugrunde liegenden Strafzumessungserwägungen tragen den nachfolgend dargelegten Kriterien Rechnung, die bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung Anwendung finden müssen:
20
1. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist bei einer Steuerhinterziehung - wie bei jeder anderen Straftat auch - die persönliche Schuld des Täters. Dabei sind auch die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 StGB). § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB bestimmt, dass bei der Zumessung der Strafe die Umstände gegeneinander abzuwägen sind, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände in Betracht.

21
2. Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens (vgl. BGHSt 36, 100, 102; 40, 109, 111; 41, 1, 5; 46, 107, 120). Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. auch BGH wistra 1998, 269, 270).
22
Das gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die konkrete Strafzumessung in dem - wie hier vom Landgericht - zugrunde gelegten Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Dass der Hinterziehungsbetrag nicht nur ein bestimmender Strafzumessungsfaktor, sondern darüber hinaus, dann wenn er hoch ist, ein auch für die konkrete Strafzumessung gewichtiger Strafschärfungsgrund ist, zeigt insbesondere die gesetzgeberische Wertung in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
23
Schon die bis Ende des Jahres 2007 - und damit noch zur Tatzeit geltende - Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hob die Höhe des Hinterziehungsbetrags als einen Umstand heraus, der zur Verschärfung des Strafrahmens führen konnte. Danach war in der Regel ein nur mit Freiheitsstrafe (von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) bedrohter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gegeben, wenn der Täter „aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“. Zwar musste nach der früheren Fassung für die Erfüllung des Regelbeispiels zu dem objektiven Merkmal „in großem Ausmaß“ noch das subjektive Merkmal „aus grobem Eigennutz“ hinzukommen, gleichwohl hatte der Gesetzgeber schon damals zum Ausdruck gebracht, dass die Strafhöhenbemessung maßgeblich auch von der Höhe des Hinterziehungsbetrags bestimmt wird.
24
3. Auch wenn der Hinterziehungsbetrag ein bestimmender Strafzumessungsgrund für die Steuerhinterziehung ist, kann allein dessen Ausmaß für die Strafhöhenbemessung nicht in dem Sinne ausschlaggebend sein, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird. Jeder Einzelfall ist vielmehr nach den von § 46 StGB vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen.
25
Das schließt indes nicht aus, die Strafhöhe an den vom Gesetzgeber auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO vorgegebenen Wertungen auszurichten. Das gilt auch für die konkrete Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens , und zwar auch beim Normalstrafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Gerade auch bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe kommt dem Merkmal „großes Ausmaß“ Bedeutung zu, weil es aufzeigt, wann der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe (mit erhöhtem Mindestmaß) für angebracht hält. Dazu bedarf das Merkmal einer näheren Konturierung.
26
Der Senat ist der Ansicht, dass insoweit vergleichbare Kriterien wie für das wortgleiche Merkmal in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (auf das auch § 263a Abs. 2, § 266 Abs. 2 StGB verweisen) zur Anwendung kommen müssen.
27
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 48, 360; BGH wistra 2004, 262, 263; StV 2007, 132) erfüllt ein Vermögensverlust von mehr als 50.000 € beim Regelbeispiel des besonders schweren Falles des Betrugs (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) das Merkmal „in großem Ausmaß“. Dazu hatte der Senat in BGHSt 48, 360 ausgeführt: „Der Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen … Die Abgrenzung, die sich für § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB wertmäßig an einem Vermögensverlust in Höhe von 50.000 € ausrichtet, schafft für die Praxis Rechtssicherheit. Im Einzelfall bleibt genügend Spielraum für eine gerechte Straffindung. Der Tatrichter hat ohnehin im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des Regelbeispiels zu bewerten, ob tat- oder täterbezogene Umstände vorliegen, die die Indizwirkung des Regelbeispiels aufheben und trotz seiner Verwirklichung zur Verneinung eines besonders schweren Falles führen können, oder ob auch ohne dass dieses Regelbeispiel erfüllt ist besondere Umstände einen unbenannten besonders schweren Fall zu begründen vermögen oder etwa ein anderes benanntes Regelbeispiel anzunehmen ist.“
28
b) Das vergleichbare Merkmal des „großen Ausmaßes“ im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hat der Bundesgerichtshof bislang nicht - wie beim Betrug - betragsmäßig bestimmt. Das lag in erster Linie daran, dass bei der früheren Gesetzesfassung - zu der die Entscheidungen ergangen sind - die objektive Komponente („großes Ausmaß“) mit der subjektiven Komponente („aus grobem Eigennutz“) verknüpft war, so dass eine eigenständige Auslegung nur des Merkmals „großes Ausmaß“ nicht veranlasst war.
29
Wegen der Verknüpfung von objektivem und subjektivem Merkmal hatte der Bundesgerichtshof eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände gefordert (vgl. BGH wistra 1993, 109,110). Von Bedeutung war dabei insbesondere, ob sich das Ausmaß aus dem noch durchschnittlich vorkommen- den Verkürzungsumfang heraushebt und ob ein „Täuschungsgebäude großen Ausmaßes“ vorliegt (vgl. BGH wistra 1987, 71, 72).
30
Auch in der Kommentarliteratur finden sich bisher sehr unterschiedliche und daher keine hinreichend klaren Maßstäbe für eine Grenzziehung. Während überwiegend - indes unter Geltung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO aF - für die Annahme des „großen Ausmaßes“ eine Hinterziehung in Millionenhöhe für erforderlich erachtet wurde (Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 270; Klein/Gast-de Haan, AO 9. Aufl. § 370 Rdn. 68; Scheurmann -Kettner in Koch/Scholz, AO 5. Aufl. § 370 Rdn. 59), finden sich in der neueren Literatur Stimmen, die eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ bereits ab einem Mindestbetrag von 50.000 € für möglich erachten (Kohlmann, Steuerstrafrecht 38. Lfg. August 2008 § 370 AO Rdn. 1099.7; Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1022). Demgegenüber nehmen andere Autoren auch für die neue Fassung des Merkmals ein „großes Ausmaß“ erst bei einem Betrag von 500.000 € (Blesinger in Kühn/v. Wedelstädt, AO und FGO, 19. Aufl. § 370 AO Rdn. 114) oder einer Hinterziehung in Millionenhöhe an (Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen , 87. Ergänzungslieferung § 370 AO Rdn. 169) und halten teilweise auch weiterhin auch für die Bejahung des Merkmals eine Gesamtschau aller Umstände für erforderlich (Rolletschke in Stbg 2008, 49 und in Rolletschke/ Kemper aaO).
31
c) Das Merkmal „in großem Ausmaß“ im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bedarf nach Ansicht des Senats - in gleicher Weise wie beim Betrug - der Interpretation durch die Gerichte. Nur dann erhält das Merkmal seine den Anforderungen der Rechtssicherheit gerecht werdenden Konturen. Für eine Vergleichbarkeit mit dem Betrug spricht auch, dass der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in BGHSt 50, 299, 309 zu Recht ausgeführt hat, es sei geboten, „dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschaftskriminalität gerecht zu werden.“
32
Dass der Gesetzgeber nicht selbst bestimmt hat, wann bei der Prüfung des Regelbeispiels von einem großen Ausmaß auszugehen ist, steht einer verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Anders mag das etwa bei der Verwendung des Begriffs des großen Ausmaßes als Tatbestandsmerkmal eines Verbrechenstatbestandes sein (vgl. zu dem inzwischen aufgehobenen § 370a AO: BGH wistra 2004, 393 ff.; 2005, 30 ff.). Wie beim Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Betruges in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB ist der Begriff des großen Ausmaßes auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in erster Linie nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Zwar ist anerkannt, dass die Auslegung tatbestandsspezifisch zu erfolgen hat; gleichwohl ist bei von der Begehungsweise und vom Unwertgehalt ähnlichen Delikten wie dem Betrug und der Steuerhinterziehung eine einheitliche Grenzziehung in Betracht zu ziehen (vgl. BGHSt 48, 360, 364).
33
Dem steht nicht entgegen, dass sich, anders als bei der Einführung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 43), in den Materialien zur Gesetzesentstehung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nF keine Anhaltspunkte dafür finden, ab welchem Grenzwert der Gesetzgeber eine Steuerhinterziehung von „großem Ausmaß“ als gegeben erachtet. Begründet wird lediglich die Streichung des einschränkenden subjektiven Merkmals des „groben Eigennutzes“ (BTDrucks. 16/5846 S. 75). Dass der Gesetzgeber hierbei an die Rechtsprechung anknüpfen wollte, die den Begriff des „großen Ausmaßes“ in den § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB konkretisierte, kann daher nicht ohne weiteres angenommen werden. Allerdings wollte der Gesetzgeber bereits mit der Einführung des § 370 Abs. 3 AO zum Ausdruck bringen, dass die Steuerhinterziehung „hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit und ihrer Strafwürdigkeit nicht geringer zu bewerten ist als der Betrug“ (BGHSt 32, 95, 99 mit Hinweis auf BRDrucks. 23/71 S. 194).
34
d) Der Senat ist daher der Ansicht, dass das Merkmal „in großem Ausmaß“ des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO wie beim Betrug nach objektiven Maßstäben zu bestimmen ist. Das Merkmal „in großem Ausmaß“ liegt danach nur dann vor, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 € übersteigt.
35
aa) Der Senat hat dabei auch bedacht, dass bei großen Geschäftsvolumina Steuerschäden in dieser Größenordnung schneller erreicht werden als bei wirtschaftlicher Betätigung im kleineren Umfang, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung regelmäßig bereits bei Gefährdung des Steueraufkommens verwirklicht wird (vgl. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO), dass die Tatbestandsmäßigkeit weder direkten Vorsatz noch Bereicherungsabsicht voraussetzt und dass regelmäßig auch die bloße Untätigkeit den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, weil die Abgabe von Steuererklärungen gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).
36
Gleichwohl lassen derartige „qualitative“ Besonderheiten des Einzelfalls die Erfüllung des Ausmaßes der Steuerverkürzung unberührt, da solche Umstände die Auswirkungen der Tat auf das Steueraufkommen nicht verändern. Schutzgut des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung ist - wie oben ausge- führt - das öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen jeder einzelnen Steuerart. Im Übrigen schafft eine Abgrenzung, die sich an einer eindeutigen Betragsgrenze ausrichtet, größere Rechtssicherheit für die Praxis. Eine solche Relation von Geschäftsvolumen und Steuerschaden kann allerdings das Gewicht des Hinterziehungsbetrags bei der Strafzumessung vermindern.
37
bb) Der Umstand, dass sich die Betragsgrenze von 50.000 € an derjenigen des Vermögensverlustes großen Ausmaßes im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB orientiert, bedeutet zugleich, dass - ähnlich wie beim Betrug - zwischen schon eingetretenem Vermögensverlust und einem Gefährdungsschaden zu differenzieren ist:
38
(1) Die Betragsgrenze von 50.000 € kommt namentlich dann zur Anwendung , wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Ist hier - der „Steuerbetrug“ hat zu einem „Vermögensverlust“ geführt - diese Wertgrenze überschritten, dann ist das Merkmal erfüllt.
39
(2) Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann kann das „große Ausmaß“ höher angesetzt werden. Der Senat hält hierbei eine Wertgrenze von 100.000 € für angemessen.
40
cc) Ob die Schwelle des „großen Ausmaßes“ überschritten ist, ist für jede einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu bestimmen. Dabei genügt derjenige Erfolg, der für die Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht (vgl. Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 268). Der Senat ist der Ansicht, dass bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung das „Ausmaß“ des jeweiligen Taterfolges zu addieren ist, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung im Sinne des § 52 StGB vorliegt, die für die Strafzumessung einer einheitlichen Bewertung bedarf.
41
e) Liegt nach diesen Maßstäben eine Hinterziehung von „großem Ausmaß“ vor, so hat dies - unabhängig von der Frage, ob die Regelwirkung einer besonders schweren Steuerhinterziehung im konkreten Fall zur Anwendung kommt - „Indizwirkung“, freilich auch nicht mehr, für die zu findende Strafhöhe. Das bedeutet:
42
Jedenfalls bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein. Bei Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
43
Schon deswegen wird bei der letztgenannten Fallgestaltung (Millionenbetrag ) ein Strafbefehlsverfahren regelmäßig nicht geeignet erscheinen (vgl. § 400 AO i.V.m. § 407 StPO). Hinzu kommt, dass bei Steuerverkürzungen in dieser Größenordnung in der Regel auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Wahrung der Gleichbehandlung vor Gericht - das eine öffentliche Haupt- verhandlung am besten gewährleistet - nicht gering zu achten ist (vgl. § 407 Abs. 1 Satz 2 StPO).
44
f) Die „Indizwirkung“ des „großen Ausmaßes“ kann einerseits durch sonstige Milderungsgründe beseitigt, andererseits aber auch durch Strafschärfungsgründe verstärkt werden.
45
aa) Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der Täter im Tatzeitraum im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam ist daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern. Hat sich der Täter vor der Tat über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, ist auch dies in den Blick zu nehmen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat einzubeziehen , etwa ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu. Der „Schadenswiedergutmachung“ durch Nachzahlung verkürzter Steuern kommt schon im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige (§ 371 AO) besondere strafmildernde Bedeutung zu.
46
bb) Gegen eine Geldstrafe oder - bei entsprechend hohem Hinterziehungsbetrag - eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe spricht es insbesondere, wenn der Täter Aktivitäten entfaltet hat, die von vornherein auf die Schädigung des Steueraufkommens in großem Umfang ausgelegt waren, etwa weil der Täter unter Vorspiegelung erfundener Sachverhalte das „Finanzamt als Bank“ betrachtete und in erheblichem Umfang ungerechtfertigte Vorsteuererstattungen erlangt hat oder weil der Täter die Steuerhinterziehung in sonstiger Weise ge- werbsmäßig oder gar „als Gewerbe“ betrieb. Gleiches gilt auch für den Aufbau eines aufwändigen Täuschungssystems, die systematische Verschleierung von Sachverhalten und die Erstellung oder Verwendung unrichtiger oder verfälschter Belege zu Täuschungszwecken.
47
Strafschärfende Bedeutung hat es zudem, wenn der Täter besondere Unternehmensstrukturen aufgebaut hat, die auch der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollten, wenn der Täter das Ziel verfolgt hat, das Steueraufkommen durch wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu schädigen, wenn er andere Personen verstrickt hat, wenn er systematisch Scheingeschäfte getätigt oder Scheinhandlungen vorgenommen hat (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 1 AO) oder wenn er in größerem Umfang buchtechnische Manipulationen vorgenommen oder gezielt durch Einschaltung von Domizilfirmen im Ausland oder Gewinnverlagerungen ins Ausland schwer aufklärbare Sachverhalte geschaffen hat (vgl. auch die Beispiele bei Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1018 m.w.N.). Solche Umstände sind bei anpassungsfähigen Hinterziehungssystemen, wie etwa den sog. Umsatzsteuerkarussellgeschäften, bei Kettengeschäften unter Einschaltung sog. „Serviceunternehmen“ und im Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassungen regelmäßig gegeben (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
48
4. Für Steuerhinterziehungen, die seit dem 1. Januar 2008 - dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO durch das Gesetz zur Änderung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmethoden sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v. 21. Dezember 2007 (BGBl. I 3198) - begangen wurden, kommt der Streichung des subjektiven Merkmals „aus grobem Eigennutz“ aus dem Regelbeispiel zusätzliches Gewicht zu. Hier erfüllt schon das objektive Merkmal „großes Aus- maß“ - wie es oben vom Senat bestimmt wurde - das Regelbeispiel des besonders schweren Falles des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
49
Die Bejahung bzw. Verneinung des Regelbeispiels in einem ersten Prüfungsschritt bei der Strafrahmenwahl bedeutet freilich, dass - wie bei sonstigen Regelbeispielen - in einem zweiten Schritt zu prüfen ist, ob die Besonderheiten des Einzelfalls die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften, bzw. ob - umgekehrt - ein unbenannter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vorliegt , obwohl der Hinterziehungsbetrag unter 50.000 € liegt.
50
Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze für die Strafrahmenwahl bei Regelbeispielen. Danach entfällt die Regelwirkung, wenn diese Faktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften. Es müssen in dem Tun oder in der Person des Täters Umstände vorliegen, die das Unrecht seiner Tat oder seiner Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint (ständige Rspr.; vgl. BGHSt 20, 121, 125). Für die hierbei vorzunehmende Gesamtabwägung haben namentlich die oben genannten Milderungs- und Schärfungsgründe Gewicht.
51
5. Gemessen daran sind die dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO entnommenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat zu Recht den hohen Steuerschäden das ihnen zukommende Gewicht beigemessen. Namentlich die beiden Einsatzstrafen von jeweils einem Jahr und drei Monaten für die Umsatzsteuerhinterziehungen 2002 und 2003 mit hinterzogenen Steuern in Höhe von jeweils über 150.000 € werden den oben genannten Strafzumessungskriterien gerecht.

V.

52
Die Revision bemängelt, das Landgericht habe sowohl bei der Beitragsals auch bei der Steuerhinterziehung einerseits die Höhe der durch die Taten verursachten Schäden zu Lasten des Angeklagten gewertet, andererseits aber strafmildernd berücksichtigt, dass die Schäden ausgeglichen worden seien. Hiergegen ist jedoch nichts zu erinnern. Diese Strafzumessungserwägungen erweisen sich nicht als widersprüchlich. Gemäß § 46 Abs. 2 StGB sind sowohl die verschuldeten Folgen der Tat als auch die Schadenswiedergutmachung strafzumessungsrelevante Faktoren. Bei einer nachträglichen Schadenswiedergutmachung ist das Landgericht nicht gehalten, den Umfang der zunächst hinterzogenen Steuern und den Umfang der den Einzugsstellen zunächst vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Strafzumessung unberücksichtigt zu lassen.

VI.

53
Die Versagung der Strafaussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten zur Bewährung hält rechtlicher Nachprüfung noch stand.
54
Allerdings weist die Revision mit Recht darauf hin, dass auch bei der gemäß § 56 Abs. 2 StGB vom Tatgericht vorzunehmenden Prüfung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die ein Jahr übersteigt, zur Bewährung ausgesetzt werden kann, der Kriminalprognose des Täters Bedeutung zukommt. Denn die Prüfung, ob besondere Umstände von Gewicht im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, erfordert eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten. Zu den dabei zu berücksichtigenden Umständen gehört auch eine günstige Kriminalprognose (vgl. BGH StV 2003, 670; BGH NStZ 1997, 434; jeweils m.w.N.). Es wäre daher rechtsfehlerhaft, die Frage der Kriminalprognose als von vornherein für die Gesamtwürdigung bedeutungslos dahinstehen zu lassen (vgl. BGH, Beschl. vom 11. Dezember 2002 - 1 StR 454/02). Anders verhält es sich aber dann, wenn das Tatgericht die Gesamtwürdigung auch auf der Basis einer günstigen Kriminalprognose durchführt und dabei zum Ergebnis gelangt, dass selbst unter dieser Prämisse besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB nicht vorliegen. Bei einem solchen Vorgehen wird die Kriminalprognose des Täters nicht als bedeutungslos angesehen ; sie hat aber im konkreten Fall auf das Ergebnis der Gesamtwürdigung keine für den Verurteilten günstigen Auswirkungen.
55
So liegt der Fall hier. Die Strafkammer hatte zwar im Hinblick auf die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten und seinen Bewährungsbruch erhebliche Zweifel daran, dass sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (UA S. 43). Aus dem Gesamtzusammenhang der vom Landgericht insoweit angestellten Erwägungen ergibt sich aber, dass es im Rahmen der durchgeführten Gesamtwürdigung auch unter Berücksichtigung einer günstigen Kriminalprognose zum Fehlen besonderer Umstände gelangt ist. Der Senat entnimmt der missverständlichen Formulierung in den Urteilsgründen , die Frage der Kriminalprognose könne „letztlich“ offen bleiben, nicht, die Strafkammer habe diese Frage für die nach § 56 Abs. 2 StGB als von vornherein unbeachtlich gehalten.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
einer für die Bewilligung einer Subvention zuständigen Behörde oder einer anderen in das Subventionsverfahren eingeschalteten Stelle oder Person (Subventionsgeber) über subventionserhebliche Tatsachen für sich oder einen anderen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, die für ihn oder den anderen vorteilhaft sind,
2.
einen Gegenstand oder eine Geldleistung, deren Verwendung durch Rechtsvorschriften oder durch den Subventionsgeber im Hinblick auf eine Subvention beschränkt ist, entgegen der Verwendungsbeschränkung verwendet,
3.
den Subventionsgeber entgegen den Rechtsvorschriften über die Subventionsvergabe über subventionserhebliche Tatsachen in Unkenntnis läßt oder
4.
in einem Subventionsverfahren eine durch unrichtige oder unvollständige Angaben erlangte Bescheinigung über eine Subventionsberechtigung oder über subventionserhebliche Tatsachen gebraucht.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz oder unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege für sich oder einen anderen eine nicht gerechtfertigte Subvention großen Ausmaßes erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung mißbraucht.

(3) § 263 Abs. 5 gilt entsprechend.

(4) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 2 ist der Versuch strafbar.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 3 leichtfertig handelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(6) Nach den Absätzen 1 und 5 wird nicht bestraft, wer freiwillig verhindert, daß auf Grund der Tat die Subvention gewährt wird. Wird die Subvention ohne Zutun des Täters nicht gewährt, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Gewähren der Subvention zu verhindern.

(7) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer Straftat nach den Absätzen 1 bis 3 kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2). Gegenstände, auf die sich die Tat bezieht, können eingezogen werden; § 74a ist anzuwenden.

(8) Subvention im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
eine Leistung aus öffentlichen Mitteln nach Bundes- oder Landesrecht an Betriebe oder Unternehmen, die wenigstens zum Teil
a)
ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt wird und
b)
der Förderung der Wirtschaft dienen soll;
2.
eine Leistung aus öffentlichen Mitteln nach dem Recht der Europäischen Union, die wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt wird.
Betrieb oder Unternehmen im Sinne des Satzes 1 Nr. 1 ist auch das öffentliche Unternehmen.

(9) Subventionserheblich im Sinne des Absatzes 1 sind Tatsachen,

1.
die durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes von dem Subventionsgeber als subventionserheblich bezeichnet sind oder
2.
von denen die Bewilligung, Gewährung, Rückforderung, Weitergewährung oder das Belassen einer Subvention oder eines Subventionsvorteils gesetzlich oder nach dem Subventionsvertrag abhängig ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 50/06
vom
9. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 8.
August 2006 in der Sitzung am 9. August 2006, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
1. Rechtsanwalt
2. Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 8. August 2006 -,
3. Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 13. Mai 2005 werden verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entstandenen Kosten und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen Untreue in Tateinheit mit Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision an. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

A.

2
Gegenstand des Verfahrens sind Zahlungen des Baukonzerns A. an den Angeklagten W. und den Mitangeklagten D. - der keine Revision eingelegt hat - im Zusammenhang mit dem Bau des Stadions "Allianz-Arena" in München. Das Landgericht hat zum Ausschreibungsverfahren und zu den Zahlungen des A. Konzerns an die Mitangeklagten folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Die Vereine FC Bayern München und TSV München von 1860 strebten den Bau eines fußballgerechten Stadions in München an, mit dem auch eine Bewerbung der Stadt München als Austragungsort für Spiele der Fußballweltmeisterschaft 2006 unterstützt werden sollte. Am 19. Juli 2001 wurde die europäische Ausschreibung des Bauprojekts im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens bekannt gegeben. Dabei wurden Planung und Bau gemeinsam ausgeschrieben. Zusammen mit Vertretern der Vereine wurde ein Lenkungsausschuss gebildet, der sich mit organisatorischen Fragen befasste. Diesem gehörte auch der Angeklagte an. Aus einer Vielzahl von Angeboten wählten die Vereine acht Bietergemeinschaften aus und gaben diese am 30. August 2001 bekannt. Ein aus mehreren Personen gebildetes Obergutachtergremium - bestehend aus Vertretern planender Berufe, aus der Politik und dem Fußball - sollte auf Basis der eingereichten und für den weiteren Wettbewerb ausgewählten Beiträge eine Empfehlung abgeben. Diesem Obergutachtergremium gehörte der Angeklagte ebenfalls an. Die abschließende Vergabeentscheidung behielten sich die beiden Fußballvereine vor. Nach einer Zusammenkunft am 29./30. November 2001 empfahl das Obergutachtergremium den Vereinen, das Verhandlungsverfahren nur noch mit zwei Bietern fortzusetzen. Die verbliebenen Bieter waren die Bietergemeinschaft A. Deutschland GmbH/ Architekturbüro H. sowie die Firma B. GmbH/ Architekturbüro G. , M. und P. (nachfolgend: B. ).
4
Am 12. Dezember 2001 gründeten die Vereine als Bauherren die Allianz Arena München Stadion GmbH (nachfolgend: Stadion GmbH). Die Stadion GmbH trat als Bauherrin des neuen Fußballstadions auf. Gesellschafter wurden je zur Hälfte die Kapitalgesellschaften der beiden Fußballvereine. Der Angeklagte war gleichrangig neben dem Zeugen Prof. S. vom 12. Dezember 2001 bis März 2004 Geschäftsführer der Stadion GmbH und damit umfassend verantwortlich für deren Vermögens- und Geschäftsinteressen. Darüber hinaus war der Angeklagte vom 28. Dezember 2001 bis März 2004 Geschäftsführer der TSV München 1860 Geschäftsführungs GmbH, d.h. der Komplementärin der vereinseigenen KG aA, welche ihrerseits Mitgesellschafterin der Stadion GmbH war. Für beide Funktionen erhielt er jeweils eine Vergütung von jährlich 200.000 € netto.
5
Am 31. Januar 2002 gaben die beiden verbliebenen Bieter A. Deutschland GmbH sowie B. ihre Letztangebote ab. Auf deren Grundlage sollte endgültig über den Zuschlag entschieden werden. Am 8. Februar 2002 entschieden die Kapitalgesellschaften der Vereine, den Auftrag an die A. Deutschland GmbH zu vergeben. Vorausgegangen war ein dahingehendes Votum des Obergutachtergremiums, welches einstimmig ausfiel. Der Vertrag zwischen der Stadion GmbH und der A. Deutschland GmbH zum Bau eines Stadions wurde am 25. Februar 2002 geschlossen. Die Auftragssumme betrug einschließlich optionaler Gewerke insgesamt 285.917.206,69 €.
6
Dem Zuschlag an die A. Deutschland GmbH ging Folgendes voraus:
7
2. Der Angeklagte war neben seinen Tätigkeiten für den TSV 1860 München und für die Gremien im Zusammenhang mit dem Neubau der Allianz Arena auch - gemeinsam mit seinem Vater K. W. - geschäftsführender Gesellschafter der "W. Hi. Immobilien GmbH" (nachfolgend: WHI). Geschäftsgegenstand der WHI, die ihren Sitz in Dresden hat und ein Büro in München unterhält, war u. a. der Handel mit Immobilien sowie die Verwaltung und Errichtung von Immobilien. Die Geschäfte in München betreute der Vater des Angeklagten, während dieser sich um das Dresdener Geschäft zu kümmern hatte.
8
Der Mitangeklagte war Inhaber der Firma "D. Immobilien-Consulting" mit Sitz in München und war Inhaber einer Maklerlizenz. Gegenüber der A. Deutschland GmbH, deren Geschäftsführer der anderweitig verfolgte Al. junior (nachfolgend: Al. jun.) war, hatte der Mitangeklagte erhebliche Schulden. Ab 1994 hatte er in Dresden auch geschäftlichen Kontakt mit der WHI und dem Angeklagten, mit dem er seit langem befreundet war. Gegenüber der WHI hatte D. rund 400.000 € Schulden.
9
3. Auf Betreiben des Mitangeklagten fand am 6. Juli 2001 in den Münchener Geschäftsräumen der WHI ein Gespräch der beiden Angeklagten mit Al. jun. statt. Dabei wurde auch über das Stadionprojekt gesprochen. Der Angeklagte riet, die A. Deutschland GmbH solle sich gemeinsam mit dem Architektenbüro H. bewerben. Al. junior kündigte an, den Tipp seinem Vater, dem in Salzburg residierenden Konzernchef Al. - O. (nachfolgend: Al. sen.) weiterzugeben. Der Angeklagte glaubte zu diesem Zeitpunkt noch, dass der Mitangeklagte für Auftragsnachweise eine Maklerprovision von der A. Deutschland GmbH beanspruchen konnte, die zwischen ihnen beiden intern geteilt werden sollte. Aus dem Anteil des Mitangeklagten sollten die Schulden bei der WHI bezahlt werden.
10
Am 26. Juli 2001 übersandte der Mitangeklagte per Fax den veröffentlichten Mitteilungstext über das Verhandlungsverfahren bezüglich des Stadionneubaus an Al. jun.. Dieses Fax wurde in der Folgezeit der A. Deutschland GmbH zugeleitet, die sich an dem Ausschreibungsverfahren beteiligte.
11
4. Die Bemühungen des Mitangeklagten, für den Hinweis auf das Ausschreibungsverfahren eine Provisionszahlung zu erlangen, schlugen jedoch fehl.
12
Am 27. November 2001 traf sich der Mitangeklagte mit einem Angestellten der A. Deutschland GmbH mit dem Ziel, diesen zur Unterschrift unter eine von dem Mitangeklagten vorbereitete schriftliche Provisionsvereinbarung zu bewegen. Den Text hatte er dem Angeklagten gezeigt und mit diesem die verlangte Vergütung von 1,5 % der Auftragssumme abgestimmt. Der Angestellte der A. Deutschland GmbH machte jedoch eine wohlwollende Behandlung des "Provisionsthemas" vom Verrat von Insiderinformationen abhängig. In einem weiteren Treffen am 19. Dezember 2001 zeigte sich der Konzernchef Al. sen. dem von dem Mitangeklagten erhobenen Provisionsanspruch ablehnend gegenüber. Er erklärte, der Kostenrahmen sei zu eng, als dass er eine Maklerpro-vision - noch dazu in Höhe der verlangten 1,5 % der Auftragssumme - zusagen könne; allenfalls erscheine ihm eine Vergütung von 0,75 % denkbar, die er aber auch nur bezahlen könne, wenn in der Kalkulation dafür Raum durch Einsparungen geschaffen werde. Die dazu nötigen Informationen solle der Mitangeklagte über den Angeklagten beschaffen. Außerdem suche er - Al. sen. - bezüglich der Vergabe und für die Bauphase einen "Ansprechpartner". Dem Mitangeklagten wurde klar, dass Al. sen. nicht bereit war, ihm den Hinweis zu honorieren, welcher die Bewerbung der A. Deutschland GmbH um den Stadionauftrag ausgelöst hatte. Eine Zahlung seitens A. sollte vielmehr als Gegenleistung dafür erfolgen, dass der Angeklagte Auskünfte über geheime Daten aus dem Vergabeverfahren erteilte, die der A. Deutschland GmbH Einsparpotentiale aufzeigen würden. Gegenleistung für die Zahlung sollte auch die Vermittlung einer gewogenen Kontaktperson sein, welche eine Vergabe des Auftrags an die A. Deutschland GmbH erleichtern sollte.
13
5. Im Rahmen des Bietergesprächs vom 8. Januar 2002 präsentierten die beiden Bieter vor Vertretern der Bauherrenseite (u. a. dem Angeklagten) ihre Projekte. Die Präsentation der Bietergemeinschaft A. Deutschland GmbH misslang dabei völlig, da nach Auffassung aller Beteiligten erhebliche Defizite fortbestanden, die seit dem letzten Bietergespräch hätten abgearbeitet werden sollen. In mehreren gemeinsamen Treffen mit Vertretern des A. Konzerns im Hotel "Kempinski" am Flughafen München zwischen dem 9. und dem 15. Januar 2002 erkannte der Angeklagte, dass Al. sen. zwar auf den Bewerbungstipp immer noch nichts bezahlen würde, den Auftrag für die Konzerntochter A. Deutschland GmbH aber unbedingt anstrebte. Dabei zeigte sich dieser bereit, erhebliche Summen aufzuwenden, wenn sich der Angeklagte für eine Vergabe an die A. Deutschland GmbH einsetzen und als Ansprechpartner für die Bauphase zur Verfügung stehen würde. In einem weiteren Gespräch im Hotel "Bayerischer Hof" in München am 17. Januar 2002 fragte Al. sen. den Angeklagten, wie viel Geld der Mitangeklagte der WHI schulde. Der Angeklagte, der wusste, dass die Schulden sich auf rund 800.000 DM beliefen , antwortete wahrheitswidrig, sie betrügen 5,5 Millionen DM. Al. sen. sicherte die Zahlung von 5,5 Millionen DM für den Fall des Zuschlags mündlich zu, weil er den Angeklagten zunächst als Fürsprecher bei der Vergabe, später auch als gewogenen Ansprechpartner in der Bauphase, namentlich bezüglich weiterer Nachtragsaufträge brauchte. Darüber hinaus erwartete er, dass der Angeklagte die Konzerntochter weiter mit Informationen über das Angebot des Mietbieters versorgen würde. Beiden Angeklagten war klar, dass dies die Gegenleistung für die in Aussicht gestellte Zahlung war, diese also ein Schmiergeld darstellte; sie bezeichneten sie gleichwohl als "Provision".
14
6. Nachdem die A. Deutschland GmbH am 8. Februar 2002 den Zuschlag erhalten hatte, kam es zu einer Reihe von Treffen zwischen dem Mitangeklagten und Vertretern des A. Konzerns sowie einem Beauftragten der WHI. Es wurde vereinbart, die Gelder in drei Tranchen aufgrund von Scheinrechnungen und lediglich pro forma geschlossener Vereinbarungen zu zahlen. Der Angeklagte wollte mit Zahlungen im Zusammenhang mit dem Bauauftrag für das Stadion nicht in Verbindung gebracht werden.
15
Der A. Konzern zahlte in der Folge aufgrund der Schmiergeldvereinbarungen an den Mitangeklagten insgesamt 2.812.094,82 € (entsprechend 5.499.979,41 DM), was ungefähr 1 % der Auftragssumme für den Stadionbau ausmachte. Dieser leitete hiervon insgesamt 2.587.779,50 € an den Angeklagten weiter.

B.

16
Die Revision des Angeklagten
17
I. Die Verfahrensrügen sind unbegründet. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, an dem Urteil habe in der Person der VRinLG Dr. Kn. eine Richterin mitgewirkt, nachdem sie wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden sei (Verstoß gegen § 24 Abs. 2 in Verbindung mit § 338 Nr. 3 StPO).
18
Dem Ablehnungsgesuch liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
19
1. Zu Prozessbeginn am 30. November 2004 erschien in der Münchener Abendzeitung (nachfolgend: AZ) auf Seite eins ein Artikel mit einer auf die Vorsitzende gemünzten Schlagzeile: "Heute Münchens größter Schmiergeldprozess: W. zittert vor Frau Gnadenlos", Unterzeile: "Richterin Kn. verknackte schon Boris Be. ."
20
Aufgrund von Leserbeschwerden richtete der Chefredakteur der AZ am 1. Dezember 2004 ein Schreiben an die Vorsitzende, in dem er bedauerte, dass mit der Schlagzeile "eine Assoziation zu dem damaligen Hamburger Richter Sch. , dem sog. Richter Gnadenlos hergestellt" worden sei. Dies sei nicht die Absicht der AZ gewesen: "er bedauere dies und entschuldige sich dafür".
21
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2004 wandte sich die Präsidentin des Landgerichts München I an den Chefredakteur der AZ und schrieb u.a.: Schon allein durch den Bezug zu dem ehemaligen Hamburger Richter Sch. (jedenfalls nach dessen Bild in der Öffentlichkeit) stelle die Schlagzeile im Artikel vom 30. November 2004 eine ehrverletzende Äußerung dar. Der Vergleich sei "nicht nachvollziehbar" und könne so nicht stehen bleiben: "Frau Kn. ist als besonders integre Richterpersönlichkeit anerkannt, in ihrer Verhandlungsführung ist sie höflich und fair. Sie berücksichtigt dabei auch immer die menschlichen Aspekte. Ich gehe davon aus, dass die Abendzeitung in ihrer weiteren Berichterstattung über den W. -Prozess von ihrer anfänglichen Entgleisung deutlich abrückt."
22
Die Präsidentin des Landgerichts brachte dieses Schreiben der Vorsitzenden und der Staatsanwaltschaft München I zur Kenntnis. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2004 wandte sich der Chefredakteur der AZ an die Präsidentin des Landgerichts: "Niemals war es die Absicht der Abendzeitung, Frau Dr. Kn. mit Herrn Sch. zu vergleichen. Wenn dieser Eindruck entstanden ist, bedauern wir das. Ich habe dies auch bereits Frau Dr. Kn. versichert." Die Präsidentin des Landgerichts brachte auch dieses Schreiben der Vorsitzenden am 10. Dezember 2004 zur Kenntnis.
23
2. Die Vorsitzende hatte sich ihrerseits schon am 6. Dezember 2004 direkt an die Chefredaktion der AZ gewandt und mit Bezug auf das Entschuldigungsschreiben vom 1. Dezember 2004 eine öffentliche Entschuldigung verlangt : "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich trotz Ihrer Entschuldigung den Vorfall so nicht auf sich beruhen lassen kann. Der Grund ist nicht etwa, dass ich mich selbst so wichtig nehme, sondern dass ich auch heute noch - fast eine Woche nach Ihrer ehrverletzenden Schlagzeile - ständig damit konfrontiert werde und keine Lust habe, diese Beleidigungen fortdauern zu lassen. … Abgesehen von dem sich aufdrängenden Vergleich mit Herrn Sch. , der für sich bereits eine Beleidigung darstellt, habe ich mir in meiner fünfzehnjährigen Zugehörigkeit zur Münchner Strafjustiz bei Staatsanwaltschaft und besonders bei Verteidigern den Ruf erworben , eben gerade nicht gnadenlos zu sein. Ein gnadenloser Richter stellt darüber hinaus eine Fehlbesetzung dar, wodurch Sie mit Ihrer Schlagzeile außer meiner Person auch meine Behörde beleidigen. Diesen guten Ruf haben Sie einer Schlagzeile willen angegriffen, ob ruiniert, wird sich zeigen. Es kann daher nicht angehen, dass Sie mich öffentlich beleidigen und diskriminieren, um sich dann "im stillen Kämmerlein" zu entschuldigen. … Suchen Sie daher nach einem anderen Weg, um Ihr Unrecht wieder gutzumachen; dieses lapidare Schreiben jedenfalls kann dies nicht erreichen."
24
3. Die Hauptverhandlung wurde an vier weiteren Verhandlungstagen fortgesetzt. Am Morgen des fünften Verhandlungstages, dem 21. Dezember 2004, erschien folgender Artikel in der AZ, der im Zentrum der Verfahrensrüge steht: "Gesteht W. alles?" Unterzeile: "Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess abkürzen." "München. "Als Richter hat man gegenüber einem Angeklagten auch eine Fürsorgepflicht“ erklärt Kn. , die Vorsitzende der 4. Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München I, ihren persönlichen Verhandlungsstil. Vor der TopJuristin wird am heutigen Dienstag wieder W. jun. wegen der Stadion -Schmiergelder auf der Anklagebank Platz nehmen. Dessen Anwalt Dr. Ga. hatte am vergangenen Verhandlungstag eine herbe Niederlage einstecken müssen. Ga. wollte, dass gegen die Vertreter der Baufirma A. nicht in einem späteren Prozess allein verhandelt wird, sondern dass sich die mutmaßlichen Bestecher zusammen mit W. rechtfertigen müssen. Eine solche Aussetzung hätte den Prozess aber auf unbestimmte Zeit verzögert, was wiederum die U-Haft für W. jun. verlängert hätte. "Wollen Sie das wirklich?“ fragte Richterin Kn. den Angeklagten. Und als W. kleinlaut “Nein, eigentlich nicht, aber … “ sagte, war das juristische Waterloo für Ga. perfekt. Boris Be. war da klüger. Als der einstige Tennisstar wegen Steuerhinterziehung vor Kn. stand, akzeptierte er ohne wenn und aber seine Bewährungsstrafe. Auch hier hatte die Strafkammer, die aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besteht, ein Urteil gefällt, das in Justizkreisen als angemessen und fair bewertet wurde.
Lehrgeld mussten dagegen T. und F. Ha. bezahlen. Als die Kammer die einstigen Börsenstars "wegen vorsätzlich falscher Darstellung der Vermögensverhältnisse der Firma EM-TV“ zu 240 Tagessätzen verurteilte, gingen die Ha. -Brüder in Revision und kassierten prompt vor dem Bundesgerichtshof die nächste Schlappe. ... Der Münchner Anwalt [Dr. Bo. ] hat die Erfahrung gemacht, dass durch den menschlichen Umgang der Richter mit den Angeklagten viele Verfahren sogar deutlich schneller abgeschlossen werden konnten. Bo. : "Viele Angeklagte fassen geradezu zu der Vorsitzenden Kn. regelrecht Vertrauen, erkennen ihre faire Verhandlungsführung. Häufig erleichtert dies Geständnisse der Angeklagten oder gar den Verzicht auf eine teuere Revision beim Bundesgerichtshof , die keiner Seite nützt.“ Gut möglich also, dass W. jun. heute oder an einem der anderen Verhandlungstage seine Verteidigungsstrategie ändert und alles gesteht. Vorteil für ihn: In der Regel fällt nach einem Geständnis das Urteil um bis zu einem Drittel niedriger aus.“
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Nach der Sitzung am 21. Dezember 2004 sprach die Vorsitzende den Artikel gegenüber dem Verteidiger Prof. Dr. Bu. an und schlug vor, ein von ihr zuvor angebotenes Rechtsgespräch in nicht öffentlicher Sitzung stattfinden zu lassen, um der Presse "keine weitere Munition" zu geben.
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4. Am 22. Dezember 2004 erhielt die Verteidigung einen Hinweis, dass die Vorsitzende am Entstehen des Artikels vom 21. Dezember 2004 beteiligt gewesen sei. Um genauere Informationen hierüber zu erhalten, bat die Verteidigung des Angeklagten die Vorsitzende in einem Schreiben vom 23. Dezember 2004 um eine unverzügliche Stellungnahme: "Sehr geehrte Frau Vorsitzende, die Unterzeichner bedauern, Sie mit dem im Betreff genannten Artikel (Anlage) befassen zu müssen. Uns ist gestern - nach Ende der Hauptverhandlung - mitgeteilt worden, dass der nämliche Artikel vom Rechtsanwalt der Abendzeitung, Herrn Dr. Bo. , mit Ihnen besprochen worden sein soll. Rechtsanwalt Bo. soll mit Ihnen wegen einer Beschwerde der Landgerichtspräsidentin über die Berichterstattung der Abendzeitung zu Ihrer Person im Zusammenhang mit dem W. -Prozess geredet und mit Ihnen einen neuen "günstigeren“ Artikel abgesprochen haben. Darüber hinaus soll Ihnen der Inhalt zumindest in Teilen vor Veröffentlichung bekannt geworden sein. Sie wissen, dass die Verteidiger einem derart konkreten Hinweis nachgehen müssen und bitten Sie daher um eine kurzfristige Stellungnahme.“
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Die Vorsitzende antwortete mit einem Schreiben vom selben Tag u.a.: "Der Artikel in der Abendzeitung ist mir am Dienstagvormittag von einem Kollegen auf den Schreibtisch gelegt worden, und er hat mich alles andere als begeistert, da er mich sehr unter Druck gesetzt hat. … Es ist richtig, dass Herr Rechtsanwalt Bo. mit einem Entwurf eines Artikels bei mir war, allerdings hat dieser Artikel mit dem, was später von der Redaktion daraus gemacht wurde, nicht mehr so sehr viel gemeinsam. Vor allem war in dem mir vorab überlassenen Artikel nicht die Rede von einem Geständnis des Herrn W. , noch von meiner geschickten Verhandlungsführung oder sonstigem, es war vielmehr das Thema, ob ich in meinen Entscheidungen gnadenlos, streng oder milde bin."
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Die Verteidigung ersuchte die Vorsitzende in einem zweiten Schreiben, ebenfalls noch vom 23. Dezember 2004, um genauere Auskunft über den Inhalt des Gesprächs mit dem Anwalt der AZ, Rechtsanwalt Dr. Bo. : "Ihr Schreiben vom 23. Dezember 2004 hat uns hinsichtlich der Genese Ihrer Mitwirkung an dem in Rede stehenden Artikel der Abendzeitung – „Gesteht W. alles? Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess abkürzen“ - verunsichert, da wir nun von Ihnen bestätigt erhalten, dass der Entwurf für diesen Zeitungsartikel abgestimmt wurde. Sie teilen uns mit, dass der auf der Basis dieses Entwurfs und ihres Gesprächs mit Rechtsanwalt Dr. Bo. von der Abendzeitung veröffentlichte Artikel „nicht mehr so sehr viel gemeinsam“ mit dem Ihnen vorgelegten Text habe und beziehen sich auf Passagen des Artikels vom 21. Dezember 2004, der die Empfehlung an den Angeklagten enthält, ein „Geständnis“ abzulegen. Wir bitten um Auskunft, ob diese Empfehlung - oder sonstige Sachverhalte unseres Prozesses - Gegenstand Ihres Gespräches mit dem Beauftragten der Abendzeitung war. Ihrem Schreiben können wir allerdings nicht entnehmen, ob die in dem AZ-Artikel wiedergegebenen Wertungen des Verteidigungsverhaltens sowie einer - sinnentstellt zitierten - Äußerung des Herrn W. zum Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bereits in dem mit Ihnen abgestimmten Entwurf enthalten war. Wir müssen Sie deshalb ersuchen, den von Ihnen von Rechtsanwalt Dr. Bo. zur Abstimmung vorgelegten Entwurf (sowie eventuelle, bei ihrem Gespräch vereinbarte Korrekturen) zu den Gerichtsakten und der Verteidigung zur Einsicht zu geben , damit feststellbar ist, welche Passagen und Formulierungen mit Ihnen tatsächlich abgestimmt sind bzw. waren. Ebenso bitten wir Sie, mit den in Ihrem Schreiben an uns vom 23. Dezember 2004 angesprochenen schriftlichen Mitteilungen zu verfahren, welche die Frau Landgerichtspräsidentin und Sie selbst an die Abendzeitung gerichtet haben. Diese Mitteilungen beinhalten eine gerichtspräsidiale und richterliche Kritik an der Berichterstattung des Blattes zum Auftakt des W. -Prozesses und betreffen somit das Verfahren 4 KLs … .
Der Vollständigkeit halber fügen wir zu Ihren weiteren Hinweisen in Ihrem Schreiben vom 23. Dezember 2004 noch an, dass Sie „am Dienstag nach der Sitzung mit Herrn Prof. Bu. “ zwar den in Rede stehenden AZ-Artikel in allgemeinen Formulierungen angesprochen, mit keinem Wort aber erwähnt haben, dass ein Entwurf zu diesem Artikel von der Abendzeitung mit Ihnen vorbesprochen war. Die Verteidigung wurde über diese Vorgeschichte ohne jede Kenntnis gehalten. Ebenso wurden wir erst durch Ihr Schreiben vom 23. Dezember 2004 unterrichtet, warum Sie - entgegen Ihrem Angebot an uns - das Rechtsgespräch am 22. Dezember 2004 in öffentlicher Sitzung haben stattfinden lassen. Die Verteidigung bittet, ihr die erbetenen Unterlagen bzw. eventuelle Rückäußerungen rechtzeitig vor der Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 11. Januar 2005, zur Verfügung zu stellen."
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Mit Schreiben vom 29. Dezember 2004 antwortete die Vorsitzende: "Es trifft nicht zu, dass der von ihnen angesprochene Artikel in der Abendzeitung mit mir abgestimmt oder in sonstiger Weise mit mir abgesprochen war. Richtig ist, dass ich einen Tag vor Erscheinen des Artikels einen Entwurf hiervon zur Kenntnis erhielt. … Herr Rechtsanwalt Dr. Bo. war am Tag vor dem Erscheinen des schließlich veröffentlichten Artikels einige Minuten bei mir im Büro. Unmittelbar vorher hatte er mir per Fax den neuen Artikel im Entwurf übermittelt. Dazu bemerkte er, dass die Redaktion halt alles geändert hatte. … Soweit die Abendzeitung in dem Artikel und im - schließlich auch realisierten - Titelvorschlag ein mögliches umfassendes Geständnis Ihres Mandanten ansprach, überraschte mich dies ebenso wie Sie. Herr Rechtsanwalt Dr. Bo. erklärte mir dazu sinngemäß, das beruhe auf der Entschließung, die die Redaktion aufgrund des bisher beobachteten Prozessverlaufs gefasst habe. … Selbstverständlich befindet sich der gesamte Vorgang bei den Akten.“
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Die Verteidigung nahm am 30. Dezember 2004 Einsicht in die Verfahrensakten. Hieraus wurde ersichtlich, dass der gesamte mit Schreiben vom 3. Dezember 2004 eingeleitete Vorgang am 27. Dezember 2004 zu den Akten genommen worden war.
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5. Am 4. Januar 2005 reichte der Angeklagte ein Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende ein. Darin brachte er unter anderem vor:
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a) Die abgelehnte Vorsitzende habe die Verfolgung eigener Ansprüche mit dem von ihr dienstlich betreuten und als Vorsitzende Richterin auch noch geleite- ten Strafverfahren gegen den Angeklagten verbunden. Sie habe dabei ihrer Anspruchsgegnerin - der AZ - gesetzlich nicht vorgesehene Wege der Informationssammlung eröffnet. Sie habe an einem veröffentlichten Presseartikel mitgewirkt , der den Angeklagten in sinnentstellender Weise zitiere und die Entscheidung über einen noch nicht verbeschiedenen hilfsweise gestellten Aussetzungsantrag vorwegnehme. Die abgelehnte Vorsitzende habe entgegen ihrer Fürsorgepflicht weder den Angeklagten noch die Verteidigung vor dem Erscheinen dieses Artikels informiert, obwohl die Veröffentlichung den Angeklagten in seinen Rechten verletze. Sie habe den Vorgang vor den Prozessbeteiligten verborgen und dadurch das faire Verfahren verletzt, indem sie diesen nicht rechtzeitig zur Akte gegeben habe; darüber hinaus habe sie die Verteidigung mit irreführenden Angaben bedient. Die abgelehnte Vorsitzende habe schließlich den anwaltlichen Vertreter ihrer Anspruchsgegnerin vom Inhalt des von ihr beabsichtigten Rechtsgesprächs informiert. Um Ihrer geschickten Prozessstrategie, die den Prozess verkürzen sollte, Nachdruck zu verleihen, habe sie dem Angeklagten eine höhere Strafe für den Fall angedroht, dass der Prozess länger dauere und er nicht freigesprochen werde.
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b) Der Angeklagte führte weiter aus, im Auftrag der AZ habe Rechtsanwalt Dr. Bo. die Vorsitzende am 17. Dezember 2004 in ihrem Dienstzimmer aufgesucht und ihr einen ersten Entwurf eines "Wiedergutmachungsartikels" vorgelegt: "Die Vorsitzende der (XXX?) 4. Wirtschaftsstrafkammer beim Landgericht München I, Kn. , ist eine erfahrene Juristin, bei der schon Boris Be. (Steuern) und auch die Ha. -Brüder (EM-TV) „Kunden“ gewesen seien. Boris hatte ihr Urteil sofort akzeptiert. Die Ha. -Brüder wollten es nicht glauben. Der Bundesgerichtshof hat sie jetzt eines besseren belehrt und das Urteil der Strafkammer und die Fairness des Verfahrens bestätigt. … Daneben zeichnet sich die Vorsitzende dadurch aus, dass sie den Angeklagten als Menschen nie aus den Augen verliert. So durften sich die Eheleute W. in Sitzungspausen - natürlich unter polizeilicher Aufsicht - miteinander unterhalten oder gar umarmen. Dem Vater W. erlaubte sie, seinen Sohn in Ruhe zu besuchen , ohne dass dies die Medien erfuhren. Solche Zugeständnisse sind keine Selbstverständlichkeiten in Prozessen, in denen Angeklagte in Untersuchungshaft sitzen. Ihre Art der Prozessleitung führt nicht selten dazu, dass die Angeklagten zur Vorsitzenden regelrecht Vertrauen fassen, weil sie die besonders faire Verhandlungsführung erkennen. Häufig erleichtert dies Geständnisse der Angeklagten oder gar den Verzicht auf teure Revisionen beim Bundesgerichtshof. Gerade für die Kombination aus Fachkompetenz und Menschlichkeit ist die Vorsitzende in Justizkreisen und Anwaltschaft bekannt. Ihre Prozessführung und Urteile haben Frau Kn. den Ruf einer hervorragenden Spitzenjuristin eingebracht. Herr W. darf bei ihr mit Fug und Recht Gerechtigkeit mit menschlichem Augenmaß erwarten."
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Die Vorsitzende habe den Entwurf des Artikels handschriftlich kommentiert : "Bitte irgendwo erwähnen, dass sich AZ entschuldigt hat".
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Am 20. Dezember 2004 habe Rechtsanwalt Dr. Bo. der Vorsitzenden per Telefax einen zweiten Entwurf mit dem handschriftlichen Vermerk übersandt : „Die AZ musste den Text aus redaktionellen Gründen - Aktualität - ändern" , "Sind Sie mit diesem Text auch einverstanden?"
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In diesem zweiten Entwurf, der dem am 21. Dezember 2004 erschienenen Artikel sehr nahe komme, habe die Vorsitzende dem Text über die "kleinlaute" Antwort des Angeklagten auf ihre Frage "Wollen Sie das wirklich?" den Kommentar "So nicht richtig" angefügt. Den Absatz im Entwurf: "Gerne bedienen die Betroffenen dann nach einem strengen Urteilsspruch das Klischee der "Frau Gnadenlos", um eine Niederlage zu erklären" habe die Vorsitzende ebenso durchgestrichen wie den Vorschlag für die dann doch erschienene Überschrift: "Gesteht W. alles? Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess abkürzen."
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6. Am 5. Januar 2005 gab die Vorsitzende zu dem Ablehnungsgesuch folgende dienstliche Stellungnahme ab. Darin heißt es u.a.: "Der Vorwurf, dass ich an dem genannten Artikel mitgewirkt hätte, liegt aus meiner Sicht neben der Sache. Ich habe mich um die Wahrung meiner Rechte gekümmert , um zu vermeiden, dass ich nochmals beleidigt werde. Wie man das als "Mitwirkung“ meinerseits (oder auch "Abstimmung" mit mir) bezeichnen oder den Standpunkt vertreten kann, ich hätte redaktionell mitgearbeitet, ist mir unerklärlich. Nebenbei habe ich Herrn Dr. Bo. , wie Ihnen bekannt ist, auf das fehlerhafte Zitat aufmerksam gemacht. Wie die Redaktion diesen Hinweis umsetzt, war deren Sache. Genauso wenig habe ich mich in die Entscheidung der Redaktion darüber eingemischt, wie die Abendzeitung den bisherigen Verfahrensverlauf beurteilt und welche Spekulationen sie über den weiteren Verfahrensgang anstellen will und welche Worte sie dabei im Einzelnen wählt. Für die Berichterstattung der Abendzeitung , die wegen des Artikels auf mich zukam und nicht umgekehrt, trage ich keine Verantwortung. … Ebenso wenig habe ich eine Verpflichtung übernommen, den Angeklagten oder seine Verteidiger über beabsichtigte Abendzeitungsartikel vorab zu informieren. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass der Angeklagte sich mit der Abendzeitung selbst auseinandersetzen muss, wenn er sich durch deren Berichterstattung in seinen Rechten verletzt fühlt. … Dass ich die Abendzeitung vom Inhalt des beabsichtigten Rechtsgesprächs vorab informiert hätte, trifft nicht zu. Insbesondere habe ich Herrn Rechtsanwalt Dr. Bo. gegenüber mit keinem Wort erwähnt, dass, wann und wie beabsichtigt sei, mit den Prozessbeteiligten in ein Rechtsgespräch einzutreten. Dass ein solches sich anbieten könnte, hatten wir bereits am vierten Sitzungstag öffentlich erörtert. Wenn meine Äußerungen im Gespräch vom 22. Dezember 2004 als Drohung bezeichnet werden, so liegt das aus meiner Sicht neben der Sache. Ich habe nicht mit einer "höheren Strafe gedroht", sondern versucht, insbesondere dem nicht gerichtserfahrenen Angeklagten W. die Vorzüge eines Geständnisses darzulegen , sofern es etwas zu gestehen gebe. Über ein konkret denkbares Strafmaß wurde nicht gesprochen." In einem weiteren Schreiben vom 5. Januar 2005 an die Verteidiger teilte die Vorsitzende u.a. mit: "Das erste Gespräch mit Herrn Dr. Bo. habe ich alleine geführt. Beim zweiten Gespräch war der Kollege We. mit anwesend, weil er zufällig gleichzeitig zu mir ins Zimmer kam. Gemeinsam mit mir hat der Kollege We. Herrn Dr. Bo. den zutreffenden Wortlaut der Erklärung Ihres Mandanten zur Aussetzungsfrage aus dem Gedächtnis zu vermitteln versucht. … Ob und wie bisher der Richter oder die Richterin eingebunden war, welche/-r die Aufgaben eines Pressereferenten des Landgerichts München I wahrnimmt, ist mir nicht bekannt. Mir ist auch nicht bekannt, dass beim Landgericht München I für Strafsachen überhaupt ein Richter/eine Richterin Pressereferent(in) ist."
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7. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2005 erstreckte der Angeklagte sein Befangenheitsgesuch auf Ausführungen der abgelehnten Vorsitzenden aus der dienstlichen Stellungnahme. Sie habe erneut unwahre Behauptungen aufge- stellt und erklärt, dass sie sich nach wie vor nicht dem Gebot der Fürsorge für den Angeklagten verpflichtet fühle, wenn gegenüber diesem unsachliche Angriffe durch die Presse erfolgten und sie vor Erscheinen dieser Artikel eine Einflussmöglichkeit gehabt habe. Schließlich habe sie in Zweifel gezogen, ob der Vorgang um die Berichterstattung der AZ überhaupt in die Akten gehört habe.
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8. Die Strafkammer des Landgerichts München I forderte am 10. Januar 2005 telefonisch eine Stellungnahme von Rechtsanwalt Dr. Bo. zu dem Befangenheitsgesuch gegen die Vorsitzende an, die per Fax am selben Tag beim Landgericht einging.
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Darin legte Rechtsanwalt Dr. Bo. dar, dass er nach Erscheinen des Artikels vom 30. November 2004 mit der Überschrift „W. zittert vor Frau Gnadenlos“ vom Chefredakteur der AZ gebeten worden sei, einen tagesaktuellen Wiedergutmachungsartikel zu entwerfen. Da zu diesem Zeitpunkt gerade die Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Zurückweisung der Revisionen der Ha. -Brüder gegen ein Urteil der 4. Strafkammer veröffentlicht worden sei, habe er über die Vorteile eines Geständnisses berichten wollen; diese Grundidee habe allein aus seiner Feder gestammt und sei weder von der Redaktion noch von Frau Kn. in irgendeiner Form angeregt worden. Mit diesem Textentwurf sei er dann am 17. Dezember 2004 zu Frau Kn. gefahren , um ihr den Entwurf zu zeigen. "Wir diskutierten inhaltlich lediglich, dass ein besonderer Absatz in den Textentwurf eingefügt werden sollte, der noch einmal ausdrücklich auf die ursprüngliche Berichterstattung der Abendzeitung mit dem Begriff "Frau Gnadenlos" eingehen sollte. Am darauf folgenden Montag erhielt ich dann von der Redaktion der Abendzeitung einen ganz erheblich geänderten Artikelentwurf, in dem sich zwar einige Passagen meines Ursprungsartikels befanden, der aber sehr viel stärker auf das aktuelle Verfahren gegen Herrn W. junior Bezug nahm und insbesondere Spekulationen über ein mögliches Geständnis von Herrn W. enthielt. In diesem Entwurf der Redaktion war erstmals diese Passage enthalten, dass Herr W.
selbst seine Verteidigungsstrategie ändern und alles gestehen könnte. Diesen Entwurf überarbeitete ich im direkten Kontakt mit der AZ-Redaktion ohne Information oder Beteiligung von Frau Kn. . Mit dieser überarbeiteten Version, die gleichzeitig einen Überschriftenvorschlag formuliert hatte: "Gesteht W. alles ?“ mit der Unterzeile "Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess abkürzen“, begab ich mich dann erneut zu Frau Kn. . Dort teilte mir Frau Kn. mit, dass Herr W. auf die Frage, ob er die Konsequenz einer Verfahrensaussetzung wirklich wolle, nicht mit einem „Nein,“ sondern mit einer differenzierten Antwort reagiert hatte. Dies notierte ich mir handschriftlich mit: "Eigentlich nicht … andererseits“. ... Außerdem bat sie schlussendlich darum, den auf ihren Wunsch eingefügten Absatz mit dem Begriff "Frau Gnadenlos" nun doch ganz wegzulassen, weil sie nach meiner Einschätzung nun eine Wiederholung dieses Begriffes doch nicht mehr für ihr Anliegen förderlich hielt. Auch dies habe ich schriftlich notiert. ... Die Streichungen im Zusammenhang mit meiner Person erfolgten erst nach diesem Gespräch ohne Veranlassung oder Information von Frau Kn. . ... Frau Kn. teilte mir in den Besprechungen keine Interna des Verfahrens W. mit und kommentierte die Entwürfe auch nicht in den Teilen, die nicht verändert wurden. Sie äußerte sich auch nicht zur geplanten und später gedruckten Überschrift. Ein oder zweimal sagte sie sinngemäß, dass sie nicht in den redaktionellen Text der AZ eingreifen wolle und dies die Redaktion auch sicherlich nicht zulasse. Ich persönlich hatte den Eindruck, dass es Frau Kn. nur darum gegangen war, dass der negative und nach ihrer Ansicht unberechtigte Eindruck einer "gnadenlosen" Person in der Zeitung korrigiert wurde. Der Textaufhänger "W. prozess" wurde von ihr als redaktionelle Notwendigkeit akzeptiert, spielte aber nach meiner Einschätzung für ihr eigenes Anliegen überhaupt keine Rolle.“
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9. Die Strafkammer berücksichtigte das Schreiben von Rechtsanwalt Dr. Bo. in ihrer Entscheidung nicht mehr, brachte es aber der Verteidigung am 12. Januar 2005 zur Kenntnis. Mit Beschluss vom 11. Januar 2005 wies die Strafkammer den Befangenheitsantrag vom 4. Januar 2005 zurück. Soweit der Antrag nicht bereits unzulässig sei, wurde er als unbegründet zurückgewiesen, da die vorgebrachten Gründe bei verständiger Würdigung nicht geeignet seien, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).
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10. Am 11. Januar 2005 erschien in der AZ folgende Stellungnahme: "Am 30. November 2004 erschien die Abendzeitung mit der Schlagzeile "Heute Münchens größter Schmiergeldprozess: W. zittert vor Frau Gnadenlos.“ Leider konnte durch diese Schlagzeile der Eindruck entstehen, die Prozessführung der Vorsitzenden Richterin Kn. ähnle dem bundesweit als Rechtspopulisten bekannten "Richter Gnadenlos" Sch. . Diese Assoziation war von der Redaktion nicht beabsichtigt. Die Abendzeitung hat sich deshalb bei Frau Kn. entschuldigt. Um diese Entschuldigung auch öffentlich deutlich zu machen, verfasste der Anwalt der Abendzeitung, Dr. Bo. , Mitte Dezember einen eigenen Artikel über Frau Kn. . Die Redaktion der Abendzeitung lehnte aber aus journalistischen Gründen ab, diesen Text zu drucken. Stattdessen wurde von der Redaktion im Vorfeld des Verhandlungstages vom 21. Dezember ein neuer Artikel über den Fall W. verfasst – und zwar ohne jedes Zutun von Frau Kn. und nach allgemein-journalistischen Maßstäben. In diesem Artikel kommt auch Dr. Bo. als Zeitzeuge zu Wort, der die Prozessführung von Frau Kn. seit Jahren kennt. Aus diesem Grund wurde dieser Text mit Herrn Dr. Bo. besprochen. Und mit ein paar unwesentlichen Änderungen in der Ausgabe vom 21. Dezember 2004 veröffentlicht. Die Redaktion“.
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II. Die Revision hat zur Begründung ihrer Verfahrensbeschwerde ausgeführt , die Strafkammer habe das Gesuch zu Unrecht zurückgewiesen. Die Vorsitzende habe über die niveaulose Schlagzeile "W. zittert vor Frau Gnadenlos" zu Recht empört gewesen sein können. Nicht diese Empörung führe zur Besorgnis ihrer Befangenheit, sondern die Besorgnis der Befangenheit werde begründet mit der unglücklichen Reaktion der Vorsitzenden auf den empörenden Artikel und vollends durch ihr nachträgliches Vertuschungsbemühen.
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1. Es erscheine ausgeschlossen, dass ein Richter, der darauf hingewirkt habe, dass seine richterliche Tätigkeit in einer Rechtssache in der Presse in einer bestimmten Weise beschrieben werde, in dieser Sache weiter als Richter tätig sein könne. Die Vorsitzende habe selbst dazu beigetragen und daran mitgewirkt , dass die AZ gewissermaßen als Ausgleich und Wiedergutmachung für die Charakterisierung "Richterin Gnadenlos" ihre richterliche Tätigkeit "in ganz ungewöhnlicher Weise rühmend hervorgehoben" habe. Die Vorsitzende dürfe sich um ihrer Unabhängigkeit willen mit einer solchen überhöhenden Darstellung nicht einverstanden erklären, erst recht nicht dadurch, dass sie den ent- sprechenden Presseartikel im Vorhinein "redigiere" und "absegne". Nachdem ihr der von Rechtsanwalt Dr. Bo. verfasste "Wiedergutmachungsartikel" zur Billigung vorgelegen habe, sei die Vorsitzende unbedingt gehalten gewesen, sich gegen "das barocke Übermaß des Lobpreises" zu verwahren. Ein Richter, der aktiv dazu beitrage, dass er in dieser Weise in einem laufenden Verfahren als praktisch das Verfahren "allein entscheidender richterlicher Übermensch" öffentlich charakterisiert werde, sei in seiner Entscheidung nicht mehr frei.
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2. Aber selbst wenn man der Vorsitzenden zugestehen wollte, dass sie sich in ihrer Empörung auch persönlich an die AZ wenden durfte, so habe dies unter allen Umständen außerhalb des Strafverfahrens gegen den Angeklagten geschehen müssen. Dies habe die Vorsitzende auch ersichtlich bald erkannt und deshalb versucht, ihre Bemühungen um Wiedergutmachung zu vertuschen. Diese Vertuschungs- und Verdrängungsbemühungen hätten zu den unwahren Äußerungen vom 23. Dezember 2004 geführt, in denen eine Kenntnis vom Entwurf des schließlich erschienenen Artikels in Abrede gestellt worden sei, und vom 29. Dezember 2004 zur gerade eben hergestellten Aktenvollständigkeit. Gerade der letzte Punkt sei bezeichnend. Die Äußerung vom 29. Dezember 2004 "selbstverständlich befindet sich der gesamte Vorgang bei den Akten" sei nicht mehr vertretbar. Sie suggeriere, dass dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit "selbstverständlich" Rechnung getragen werde. In Wahrheit sei das Gegenteil der Fall, wenn die mit dem 1. Dezember 2004 beginnenden Vorgänge geschlossen erst nach dem 27. Dezember 2004 auf die Nachfrage der Verteidigung vom 23. Dezember 2004 zu den Akten gelangt seien. Unwahrheiten und Vertuschungen eines Richters im Umgang mit Verfahrensbeteiligten führten unweigerlich zur begründeten Besorgnis der Befangenheit.
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III. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO liegt nicht vor. Das Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005 wurde nicht mit Unrecht verworfen.
Dies hat die nach Beschwerdegrundsätzen durchgeführte Prüfung des Senats ergeben.
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1. Die Prüfung nach Beschwerdegrundsätzen bedeutet, dass der Senat den Sachverhalt im Wege des Freibeweises selbst feststellt. Der der Vorsitzenden zum Vorwurf gemachte Sachverhalt muss bewiesen sein. Der Senat ist dabei auch nicht an die Begründung der Strafkammer gebunden.
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2. Der Senat hält den Sachverhalt für bewiesen, den der Rechtsanwalt der AZ Dr. Bo. in seinem Schreiben vom 10. Januar 2005 dargestellt und wie ihn die Redaktion der AZ in ihrer Stellungnahme vom 11. Januar 2005 öffentlich gemacht hat. Er beurteilt das Verhalten der Vorsitzenden deshalb nicht nach dem davon abweichenden Sachverhalt, den die Revision ihrer Bewertung zugrunde legt; diese geht auf die beiden Stellungnahmen nicht hinreichend ein.
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3. Für die rechtliche Bewertung des danach erwiesenen Sachverhalts gilt zunächst:
50
a) Für die Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob die Bemühungen der Vorsitzenden nach öffentlicher und nachhaltiger Wiedergutmachung hier angemessen waren (vgl. Ziffer III. 2.1 der Richtlinien für die Zusammenarbeit der bayerischen Justiz mit der Presse vom 26. Oktober 1978 (BayJMBl. 1978 S.188)). Insoweit hätte sie zu bedenken gehabt, dass die Vorgänge während einer laufenden Hauptverhandlung erfolgten und daher den ungestörten Ablauf des Verfahrens gefährden konnten (vgl. zur Ermahnung von Schöffen durch den Vorsitzenden zur Verhinderung von Befangenheitsanträgen durch Äußerungen gegenüber der Presse BGH, Beschl. vom 18. Oktober 2005 - 1 StR 114/05). Ob auch - wie von der Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung behauptet wurde - die Grenzen dienstlicher Pflichten überschritten wurden, muss der Senat ebenfalls nicht entscheiden.
51
Denn allein der Umgang eines erkennenden Richters mit der Presse begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit, selbst dann nicht, wenn das Verhalten des Richters persönlich motiviert oder sogar unüberlegt war.
52
b) Maßstab für die Besorgnis der Befangenheit ist vielmehr, ob er den Eindruck erweckt, er habe sich in der Schuld- und Straffrage bereits festgelegt (vgl. BGH wistra 2002, 267, 268). Dies ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten aus zu beurteilen. Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Zunächst berechtigt erscheinendes Misstrauen ist nach umfassender Information über den zugrunde liegenden Vorgang möglicherweise gegenstandslos (vgl. BGHSt 4, 264, 269 f.; BGH wistra 2002, 267; NStZ-RR 2004, 208 jeweils m.w.N.).
53
4. Die nach diesen Maßstäben vorgenommene Prüfung des Sachverhalts durch den Senat ergibt, dass weder der Inhalt und die Umstände des Zustandekommens des AZ-Artikels vom 21. Dezember 2004 noch die Kommunikation der Vorsitzenden mit der AZ und der Verteidigung einem verständigen Angeklagten Anlass geben konnten, an der Unvoreingenommenheit der Richterin zu zweifeln.
54
a) Schon der Inhalt des Artikels vom 21. Dezember 2004 gab dem Angeklagten keinen Grund, an der Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden zu zweifeln. Der Artikel enthält journalistische Beschreibungen und Wertungen der Person der Vorsitzenden. Die Redaktion der AZ berichtet - anders als in ihrem Artikel vom 30. November 2004 mit dem Titel "W. zittert vor Frau Gnadenlos" - nunmehr über den "menschlichen Umgang" der Vorsitzenden in der bisherigen Hauptverhandlung. Sie sei "für ihre manchmal strengen Urteile bekannt , aber sie verliere dabei nie den Menschen aus dem Auge". Der Artikel enthält keinerlei Hinweise darauf, dass der Angeklagte befürchten musste, im weiteren Verlauf seines Prozesses von der Richterin nicht fair behandelt zu werden. Die Revision behauptet auch nicht, dass die Vorsitzende in ihrer Verhandlungsführung oder einer Äußerung gegenüber dem Angeklagten Anlass für eine Ablehnung wegen Befangenheit gegeben hätte. Soweit der Artikel die Strategie beim Antrag auf Aussetzung des Verfahrens als "juristisches Waterloo des Verteidigers" kommentiert - die Äußerung des Angeklagten in der Hauptverhandlung über die Folgen einer längeren Untersuchungshaft belegen, dass er mit einem solchen Antrag nicht einverstanden war - und die AZ spekuliert, dass der Angeklagte „seine Verteidigungsstrategie ändert und alles gesteht", sind dies ebenfalls erkennbar journalistische Wertungen aufgrund eigener Beobachtungen des Prozesses. Sie gehen weder auf Äußerungen der Vorsitzenden in der Hauptverhandlung zurück noch beruft sich die Redaktion auf Gespräche mit der Vorsitzenden außerhalb der Hauptverhandlung.
55
Dies belegen - neben den Schreiben der Vo rsitzenden an die Verteidiger und der dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden - das Schreiben von Rechtsanwalt Dr. Bo. vom 10. Januar 2005 sowie die Stellungnahme der Redaktion der AZ am 11. Januar 2005, in der öffentlich gemacht wurde, Dr. Bo. habe Mitte Dezember 2004 einen eigenen Artikel über Frau Kn. verfasst. Die Redaktion habe es aber aus "journalistischen Gründen" abgelehnt , diesen Text zu drucken. Die Redaktion habe im Vorfeld des Verhandlungstages vom 21. Dezember 2004 einen neuen Artikel zum Fall W. verfasst - "und zwar ohne jedes Zutun von Frau Kn. und nach allgemeinjournalistischen Maßstäben".
56
b) Der Senat sieht aber auch nach genauer Analyse aller einzelnen Umstände , unter denen die Vorsitzende durch die Redaktion der AZ in die Entstehung des Artikels einbezogen wurde, keinen Grund, weshalb bei einem verständigen Angeklagten Misstrauen gegen die Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden entstehen sollte.
57
aa) Der Senat kann schon entgegen dem Vorbringen der Revision nicht feststellen, dass die Vorsitzende auf eine Berichterstattung "hingewirkt" hat, die "ihre richterliche Tätigkeit in ganz ungewöhnlicher Weise rühmend hervorhob". Zwar verfolgte die Vorsitzende mit dem Schreiben vom 6. Dezember 2004 das Ziel einer angemessenen und öffentlichen Wiedergutmachung weiter. Entgegen dem Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005 stellte sie in ihrem Schreiben aber weder einen Strafantrag wegen Beleidigung noch machte sie Schadensersatzansprüche oder formale presserechtliche Ansprüche gegen die AZ geltend. Die Idee eines "Wiedergutmachungsartikels" beruhte nach dem Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Bo. vom 10. Januar 2005 - unabhängig vom Schreiben der Vorsitzenden vom 6. Dezember 2004 - auf Bemühungen der Chefredaktion der AZ, nachdem es auf die Schlagzeile "Frau Gnadenlos" Reaktionen aus der Leserschaft gegeben hatte. Nach dem ersten Entschuldigungsschreiben vom 1. Dezember 2004 - das für die Vorsitzende nicht ausreichend war - beauftragte der Chefredakteur der AZ Rechtsanwalt Dr. Bo. persönlich, einen Artikel über die Vorsitzende zu veröffentlichen, "der ihre bekannte menschliche Art der Prozessführung deutlich betonen sollte". Den ersten Textentwurf erstellte Herr Dr. Bo. ohne jede Beteiligung der Vorsitzenden. Er be-stätigte auch, dass in dem ersten Entwurf für einen vom ihm konzipierten Wiedergutmachungsartikel auf Anregung der Vorsitzenden eine Passage aufgenommen werden sollte, in der "noch einmal ausdrücklich klargestellt wurde, dass der Begriff "Frau Gnadenlos" nicht gerechtfertigt gewesen war".
58
Der von Dr. Bo. dargestellte Ablauf hat dem Senat die Gewissheit verschafft , dass ein "Hinwirken" oder ein qualitativer Einfluss auf die Gestaltung des ersten Entwurfes vom 17. Dezember 2004, den die Revision als "Redigieren" oder "Absegnen" ansieht, gerade nicht vorlag. Soweit sich aus dem Schreiben von Dr. Bo. eine Kommunikation mit der Vorsitzenden über den ersten Entwurf ergibt, stand diese nicht in einem von ihr hergestellten Bezug zu ihrer richterlichen Tätigkeit im laufenden W. -Verfahren.
59
bb) Die Vorsitzende hat aber auch nicht auf den zweiten Entwurf vom 20. Dezember 2004 "hingewirkt". Dr. Bo. hat überzeugend dargelegt, dass der von ihm persönlich verfasste erste Entwurf vom 17. Dezember 2004 aus "Aktualitätsgründen" von der Redaktion der AZ ganz erheblich verändert worden sei. Der Artikel der AZ vom 11. Januar 2005 belegt dies. Die Redaktion hatte es "aus journalistischen Gründen" abgelehnt, den "Wiedergutmachungsartikel" in der Fassung des ersten Entwurfs vom 17. Dezember 2004 als öffentliche Entschuldigung zu drucken. Dies lässt allein den Schluss auf Veränderungen im Meinungsbildungsprozess innerhalb der Redaktion der AZ zu. Jedenfalls überarbeitete Dr. Bo. den Entwurf in Kontakt mit der Redaktion und ohne Information oder Beteiligung der Vorsitzenden. Er betonte ausdrücklich, dass die "Grundidee - Vorteile eines Geständnisses - allein aus seiner Feder stammte". Der zweite Entwurf erhielt damit eine andere Zielrichtung und stellte den laufenden W. -Prozess und die Ereignisse des letzten Hauptverhandlungstages in den Mittelpunkt, ohne dass die Vorsitzende darauf Einfluss hatte.
60
Dr. Bo. übersandte den zweiten Entwurf per Fax mit der Frage, ob sie "auch mit diesem Entwurf" einverstanden sei und suchte die Vorsitzende wiederum in ihrem Dienstzimmer auf, um ihr Einverständnis mit den von der Redaktion bewirkten Änderungen zu erlangen. Bei dem kurzen Gespräch war diesmal auch ein Beisitzer der Strafkammer anwesend. Beide wandten gegen- über dem Entwurf - und zwar um den Angeklagten vor einer objektiv unrichtigen , für ihn nachteiligen Darstellung zu bewahren - ein, dieser habe auf die von der Vorsitzenden in der Hauptverhandlung gestellte Frage nach den Konsequenzen einer Aussetzung des Verfahrens nicht nur mit einem schlichten "Nein" geantwortet, sondern habe eine differenziertere Antwort gegeben. Im Übrigen wünschte die Vorsitzende nur die Streichung des Absatzes mit dem Begriff "Frau Gnadenlos", damit dieser nicht noch einmal in einem Artikel - selbst in dem Sinn einer Entschuldigung - erschien. Schließlich stellte Dr. Bo. klar, dass sich die Vorsitzende zu den gegenüber dem später erschienenen Artikel nicht veränderten Teilen des Entwurfs weder äußerte noch diese kommentierte, weil sie nicht in den redaktionellen Text der AZ eingreifen wollte und der - offensichtlich von ihm geteilten - Meinung war, dass dies die Redaktion auch sicherlich nicht zulasse.
61
cc) Die Revision trägt zusätzlich vor, eine Befangenheit der Vorsitzenden ergebe sich auch daraus, dass sie sich "um ihrer Unabhängigkeit willen" nicht mit einer überhöhenden Darstellung ihrer Person als Richterin habe "einverstanden erklären" dürfen; auch habe sie sich nicht "gegen das barocke Übermaß des Lobpreises" "verwahrt". Dieses Vorbringen lässt nicht auf die Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden schließen. Soweit die Revision damit meint, die Vorsitzende sei aufgrund der Kontakte zur AZ verpflichtet gewesen, gegen den Artikel vom 21. Dezember 2004 aktiv vorzugehen, ist ihr Vorbringen widersprüchlich , denn damit verlangt sie ein Verhalten, das sie der Vorsitzenden zuvor noch zum Vorwurf gemacht hat.
62
dd) Darüber hinaus führt die Revision an, die Vorsitzende habe entgegen ihrer Fürsorgepflicht weder den Angeklagten noch seine Verteidiger vor dem Erscheinen des Artikels vom 21. Dezember 2004 informiert, obwohl die Veröffentlichung den Angeklagten in seinen Rechten verletzt habe.
63
Der Senat vermag einen Rechtsgrund für eine solche Verpflichtung der Vorsitzenden nicht zu erkennen. Der Senat hat erwogen, ob die Bemühungen um einen Wiedergutmachungsartikel und der Kontakt zu Rechtsanwalt Dr. Bo. der Vorsitzenden gegenüber dem Angeklagten aufgrund der Vorgeschichte eine solche Verpflichtung auferlegen konnten. Eine derartige Pflicht traf die Vorsitzende nicht, auch nicht aufgrund des Grundsatzes des fairen Verfahrens.
64
Allerdings gebietet die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dem Angeklagten Zugang zu dem verfahrensbezogenen Tatsachen- und Beweismaterial zu ermöglichen, das die Strafverfolgungsorgane im Rahmen der gegen ihn gerichteten Ermittlungen gesammelt haben, damit er zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen kann (BVerfGE 63, 45, 61 m.w.Nachw.). Dazu gehören auch die Ergebnisse von Ermittlungen , die das Gericht während der Hauptverhandlung ohne Wissen des Angeklagten und der Verteidigung veranlasst und die dann zu den Akten gelangen (BGHSt 36, 305, 308 ff.).
65
Ein damit vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor. Rechtsanwalt Dr. Bo. hat ausdrücklich hervorgehoben, dass die Vorsitzende in den beiden Gesprächen keine Interna des laufenden Verfahrens preisgegeben hat. Damit enthielten die beiden Entwürfe für den Artikel vom 21. Dezember 2004 keine von der Vorsitzenden offenbarten verfahrensbezogenen Tatsachen (mit Ausnahme der oben genannten Richtigstellung zugunsten des Angeklagten), noch hatte der Inhalt des Artikels Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses.
66
ee) Nach allem steht für den Senat fest, dass die Vorsitzende mit ihren Kontakten zur AZ allein das Ziel der öffentlichen Wiedergutmachung verfolgt hat. Einen darüber hinaus gehenden Einfluss auf die Entwürfe für den Artikel vom 21. Dezember 2004 hat er nicht festgestellt.
67
b) Der Senat geht auch nicht davon aus, dass die Vorsitzende Teile der Vorgänge um die Entstehung des Artikels vom 21. Dezember 2004 gegenüber den Verteidigern "vertuscht" hat.
68
aa) Die Revision meint unter Bezugnahme auf das Urteil des 5. Strafsenats vom 30. September 1992 - 5 StR 169/92-, wistra 1993, 19, 20 f., unabhängig von dem "Hinwirken" auf den Artikel in der AZ liege eine Befangenheit auch deshalb vor, weil der Angeklagte eine dienstliche Äußerung eines Richters "nicht nur für unklar, sondern auch für objektiv falsch halten" konnte.
69
Dem Schreiben der Vorsitzenden vom 23. Dezember 2004 an die Verteidiger "Es ist richtig, dass Herr Rechtsanwalt Bo. mit einem Entwurf eines Artikels bei mir war, allerdings hat dieser Artikel mit dem, was später von der Redaktion daraus gemacht wurde, nicht mehr sehr viel gemeinsam. Vor allem war in dem von mir vorab überlassenen Artikel nicht die Rede von einem Geständnis des Herrn

W.

, noch von meiner geschickten Verhandlungsführung oder sonstigem, es war vielmehr das Thema, ob ich in meinen Entscheidungen gnadenlos, streng oder milde bin“ entnimmt die Revision, die Vorsitzende habe in ihrer Antwort an die Verteidiger bewusst nur den ersten Entwurf vom 17. Dezember 2004 angesprochen, in der Absicht, das zweite Gespräch mit Dr. Bo. über den zweiten Entwurf für den Artikel vom 21. Dezember 2004 zu verschweigen. Da ihr schon am 23. Dezember 2004 alle Einzelheiten bekannt gewesen se ien, sie aber erst in dem Schreiben vom 29. Dezember 2004 den gesamten Sachverhalt offenbart und sich darüber hinaus nicht entschuldigt habe, habe die Vorsitzende "vertuschen" wollen.
70
Diese Auslegung des Schriftwechsels durch die Revision steht unter der Prämisse, die Vorsitzende habe die Absicht gehabt, ihre Beteiligung an dem Artikel in der Form des "Hinwirkens", "Redigierens" oder "Absegnens" zu ver- heimlichen. Die Revision unterstellt, die Vorsitzende sei nach ihrem Schreiben vom 23. Dezember 2004 aufgrund des zweiten Schreibens der Verteidiger vom 23. Dezember 2004, mit dem diese weitere Einzelheiten erfragten und Akteneinsicht bis zum 11. Januar 2005 beantragten, unter einen "Druck" geraten und "gezwungen" gewesen, im Schreiben vom 29. Dezember 2004 das zweite Treffen mit Dr. Bo. und den zweiten Entwurf für den Artikel zu offenbaren.
71
Dieser Bewertung des Sachverhalts folgt der Senat nicht (siehe oben unter III. 4. b)):
72
Das zweite Schreiben der Verteidiger vom 23. Dezember 2004 enthält über den Wortlaut ihres ersten Schreibens vom selben Tag, ihnen "sei mitgeteilt worden", der Artikel sei mit der Vorsitzenden besprochen worden, und über den Antrag auf Akteneinsicht bis zum 11. Januar 2005 hinaus keine konkreteren Hinweise oder Vorhalte, aufgrund derer sich die Vorsitzende "entdeckt" fühlen musste, bisher "Verschwiegenes" zu offenbaren. Der Wortlaut des zweiten Schreibens der Verteidiger musste bei der Vorsitzenden auch nicht den Eindruck erwecken, sie hätten sie nochmals angeschrieben, weil sie über weitergehende Detailinformationen zur Entstehung des Artikels vom 21. Dezember 2004 verfügten.
73
Auch unabhängig vom Inhalt der beiden Schreiben der Verteidiger gab es keinen Grund für die Unterstellung der Revision, die Vorsitzende habe sich insoweit unter Druck gesetzt fühlen müssen. Die Vorsitzende machte in dem Schriftwechsel konsequent ihre Haltung deutlich, sie habe nur eine Wiedergutmachung gegenüber der AZ verlangt und habe mit dem Artikel vom 21. Dezember 2004 nichts zu tun. So berichtete sie in ihrem ersten Schreiben vom 23. Dezember 2004, dass Rechtsanwalt Dr. Bo. wegen eines "Wiedergutmachungsartikels" bei ihr gewesen sei. Sie machte ebenso in diesem Schreiben deutlich, dass sie die weitere Entwicklung dieses Artikels, so wie er - "wohl um einer Schlagzeile willen" - am 21. Dezember 2004 erschienen sei, nicht zu verantworten habe.
74
Auch ihr Schreiben vom 29. Dezember 2004 leitete die Vorsitzende mit den Feststellungen ein: "Es trifft nicht zu, dass der von Ihnen angesprochene Artikel in der Abendzeitung mit mir abgestimmt oder in sonstiger Weise mit mir abgesprochen war." "Richtig ist, dass ich einen Tag vor Erscheinen des Artikels einen Entwurf hiervon zur Kenntnis erhielt." Aus ihrer Sicht begründete das "zur Kenntnis erhalten" entgegen der Unterstellung der Revision keinen "Druck" oder "Zwang", in dem Schreiben eine "aktive Beteiligung" an dem Artikel zu offenbaren.
75
Diese Sichtweise bestätigt die Vorsitzende in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 5. Januar 2005 zum Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005. Zum Antrag auf Akteneinsicht hat sie nachvollziehbar dargelegt, sie habe erst aufgrund des zweiten Schreibens der Verteidigung vom 23. Dezember 2004 erkennen können, dass die Verteidigung sich für den Vorgang interessiert habe. Sie habe Verständnis dafür, dass ihr erstes - unter Zeitdruck zustande gekommenes - Antwortschreiben aus Sicht der Verteidigung Fragen offen gelassen habe. Darum habe sie im Schreiben vom 29. Dezember 2004 zu einer chronologischen Darstellung der Einzelheiten gegriffen.
76
Gegen eine Vertuschungsabsicht spricht schließlich, dass die Vorsitzende die beantragte Akteneinsicht - die bis zum nächsten Verhandlungstag am 11. Januar 2005 erfolgen sollte - bereits am 30. Dezember 2004 gewährte und der Verteidigung sämtliche Vorgänge zur Nachprüfung zur Verfügung stellte.
77
Selbst wenn man das Schreiben der Vorsitzenden vom 23. Dezember 2004 als unvollständig ansieht, hat sie mit ihrem Schreiben vom 29. Dezember 2004 - ohne dem von der Revision behaupteten erhöhten Druck ausgesetzt gewesen zu sein - von sich aus der Verteidigung alle ihr bekannten Einzelheiten über das Zustandekommen des am 21. Dezember 2004 tatsächlich erschienenen Artikels mitgeteilt. Dies widerlegt den von der Revision erhobenen Vorwurf der Vertuschung.
78
bb) Schließlich ist die Erklärung in dem Schreiben an die Verteidiger vom 29. Dezember 2004 "Selbstverständlich befindet sich der gesamte Vorgang bei den Akten" kein Beleg für weitere "Unwahrheiten und Vertuschungen eines Richters im Umgang mit Verfahrensbeteiligten".
79
Die Vorsitzende hat in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 5. Januar 2005 dargelegt, sie habe es als zweifelhaft angesehen, ob die Vorgänge über die Entstehung des Artikels vom 21. Dezember 2004 überhaupt in die Strafakten gehörten und was aus Sicht der Verteidigung "rechtzeitig" sei. Unbeschadet der Frage, ob die Vorgänge Bestandteile der Strafakten sind, erscheint es dem Senat nachvollziehbar, dass die Vorsitzende vor der - ohnehin erst - am 23. Dezember 2004 beantragten Akteneinsicht dem Vorgang zunächst keine derartige Bedeutung zugemessen hat, zumal sie auch dargelegt hat, sie sei am letzten Tag vor der Weihnachtspause mit der Haftbeschwerde des Angeklagten beschäftigt gewesen. Jedenfalls konnte sich die Verteidigung bei der Akteneinsicht vom 30. Dezember 2004 ein vollständiges Bild über die Entwürfe für den AZ-Artikel vom 21. Dezember 2004 verschaffen. Dass die Vorsitzende jeweils von sich aus die Vorgänge um den Artikel nicht schnellstens zu den Akten gebracht hat, begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.
80
Soweit der Angeklagte die Vorsitzende deshalb nicht für innerlich unabhängig hält, weil sie in Vertuschungsabsicht habe "suggerieren" wollen, sie habe dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit seit Erscheinen des ersten Artikels vom 30. November 2004 unverzüglich Rechnung getragen, erweist sich dieses Vorbringen als reine Spekulation über innere Vorstellungen.
81
IV. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
82
1. Die Strafkammer hat den Angeklagten zu Recht wegen Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB verurteilt. Er hatte als Mitgeschäftsführer der Stadion GmbH eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht. Zu seinem Aufgaben- und Pflichtenkreis gehörte es, im Vergabeverfahren darauf hinzuwirken, dass der Stadionneubau allen qualitativen Anforderungen entsprach und dass dabei ein möglichst günstiger Preis erzielt wurde. Wenn er in Erfüllung der Vereinbarung mit dem A. Konzern in der Person von Al. sen. Informationen über Einsparpotenziale bei seinem Wettbewerber herausgab, trug der Angeklagte dazu bei, dass bei der Vergabe dennoch der höhere Preis akzeptiert wurde, damit aus den bei der A. Deutschland GmbH erzielten Einsparungen das Schmiergeld an den Mitangeklagten gezahlt werden konnte. Insoweit hat der Angeklagte treuwidrig gehandelt, weil die erzielbaren Minderkosten nicht der Stadion GmbH zugute kamen, die nach dem Zuschlag den höheren Werklohn zu zahlen hatte (BGHSt 47, 295, 298 f.). Dadurch hat er die Stadion GmbH geschädigt.
83
2. Das Landgericht hat aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung den Angeklagten auch der in Tateinheit mit der Untreue begangenen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 1 StGB) für schuldig befunden. Entgegen dem Vorbringen der Revision hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass es bis zum Zuschlag am 8. Februar 2002 einen echten Wettbewerb gab. Als Geschäftsführer der Stadion GmbH war der Angeklagte im Januar 2002 deren Beauftragter. Beauftragter ist, wer befugtermaßen für den Geschäftsbetrieb tätig werden kann, ohne Angestellter zu sein. Bei seinen Ab- sprachen bezüglich einer Vergabe des Auftrags an die A. Deutschland GmbH betätigte sich der Angeklagte im geschäftlichen Verkehr. Es ging auch um gewerbliche Leistungen. Der von ihm erstrebte Vorteil bestand darin, dass der A. Konzern, geführt von Al. sen. in Salzburg, über den Mitangeklagten seiner Firma WHI rund 2,59 Millionen € zahlte. Die Zuwendung ließ sich der Angeklagte im Januar 2002 versprechen und nahm sie an in einem Zeitraum, in welchem er Geschäftsführer der Stadion GmbH und der Komplementärin der KG aA war. Auf diese Zuwendung des A. Konzerns hatte weder er selbst einen Anspruch noch seine Firmengruppe WHI.
84
Der Vorteil war auch Bestandteil einer Unrechtsvereinbarung. Der Betrag wurde – auch das hat das Landgericht überzeugend und rechtsfehlerfrei festgestellt - nicht auf eine Provisionsforderung des Mitangeklagten bezahlt, sondern als Schmiergeld. Er wurde gewährt aufgrund der konkludent gezeigten Bereitschaft des Angeklagten, sich für eine Vergabe an die A. Deutschland GmbH einzusetzen und für Nachtragsaufträge und -forderungen ein gewogener Ansprechpartner zu sein sowie auch weiterhin geheime Informationen über das Angebot des Mitbieters zu liefern. Durch all dies sollte die A. Deutschland GmbH nach der Vorstellung von Al. senior, die der Angeklagte erkannte, im Vergabeverfahren bevorzugt werden. Bevorzugung bedeutet dabei die sachfremde Entscheidung zwischen zumindest zwei Bewerbern, setzt also Wettbewerb und Benachteiligung eines Konkurrenten voraus. Hierbei genügt es, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen Handlungen nach der Vorstellung des Täters geeignet sind, seine eigene Bevorzugung oder die eines Dritten im Wettbewerb zu veranlassen (BGHSt 49, 214, 228; BGH NJW 2003, 2996, 2997; BGHSt 10, 358, 367 zu § 12 UWG aF). Zur Erfüllung des Tatbestandes braucht die vereinbarte Bevorzugung tatsächlich nicht eingetreten zu sein. Es muss auch keine objektive Schädigung eines Mitbewerbers eingetreten sein. Schutzgut des § 299 StGB ist die strafwürdige Störung des Wettbewerbs sowie die abstrakte Gefahr sachwidriger Entscheidungen (Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 299 Rdn. 2).
85
Die Bevorzugung war hier unlauter, weil sich der Angeklagte am 17. Januar 2002 bereit zeigte, geheime Informationen über das Angebot des Mitbieters zu beschaffen. Er lieferte diese auch am 28. Januar 2002, indem er Al. sen. über Einsparpotenziale beim Mitbieter B. aufklärte. Er handelte dabei in der Absicht, über Al. sen. die A. Deutschland GmbH ebenfalls zu Einsparungen zu veranlassen, aus denen das Schmiergeld gezahlt werden sollte. Mithin handelte es sich um einen geradezu klassischen Fall der Bestechung im geschäftlichen Verkehr durch eine Schmiergeldzahlung.
86
Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass das Landgericht eine Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in einem besonders schweren Fall angenommen hat. Die Vereinbarung mit Al. sen. bezog sich auf einen Vorteil großen Ausmaßes im Sinne von § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB (vgl. BGHSt 48, 360).

C.

87
Die Revision der Staatsanwaltschaft
88
Es kann hier offen bleiben, ob das Landgericht rechtsfehlerhaft keinen besonders schweren Fall der Untreue nach § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 StGB angenommen hat und deshalb bei der Strafzumessung von einem zu niedrigen Strafrahmen ausgegangen ist.
89
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob hier das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB des Vermögensverlustes großen Ausmaßes vorgelegen hat (vgl. dazu BGHSt 48, 354) oder ob im Hinblick auf die außerordentliche Höhe des Schadens und die Verschleierung der Zahlungsvorgänge mittels Scheinrechnungen ein besonders schwerer Fall im Sinne eines unbenannten Regelbeispiels vorgelegen hat.
90
Die gegen den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten erscheint nämlich angemessen. Das Landgericht ist im Kern von dem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen, indem es die Strafe dem oberen Bereich des Strafrahmens aus § 300 StGB entnommen hat. Auch im Übrigen kann der Senat die Angemessenheit der Strafe selbst beurteilen, weil alle für die Strafzumessung erforderlichen Tatsachen vom Landgericht mitgeteilt worden sind und es keiner weiteren Feststellungen bedarf. Nack Wahl Boetticher Hebenstreit Elf

In besonders schweren Fällen wird eine Tat nach den §§ 299, 299a und 299b mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
die Tat sich auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht oder
2.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(1) Wer bei einer Ausschreibung über Waren oder Dienstleistungen ein Angebot abgibt, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, die darauf abzielt, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Ausschreibung im Sinne des Absatzes 1 steht die freihändige Vergabe eines Auftrages nach vorausgegangenem Teilnahmewettbewerb gleich.

(3) Nach Absatz 1, auch in Verbindung mit Absatz 2, wird nicht bestraft, wer freiwillig verhindert, daß der Veranstalter das Angebot annimmt oder dieser seine Leistung erbringt. Wird ohne Zutun des Täters das Angebot nicht angenommen oder die Leistung des Veranstalters nicht erbracht, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Annahme des Angebots oder das Erbringen der Leistung zu verhindern.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 1 6 7 / 1 3
vom
17. Oktober 2013
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja [nur zu B. I. 1., 2. a) und d)]
Veröffentlichung: ja
1. Der Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfasst beschränkte Ausschreibungen
öffentlicher Auftraggeber gemäß § 3 Nr. 3 VOB/A (2006) (heute § 3 Abs.
3 und 4 VOB/A) auch dann, wenn diesen kein öffentlicher Teilnahmewettbewerb
vorausgegangen ist.
2. Auch ein Angebot, das an so schwerwiegenden vergaberechtlichen Mängeln
leidet, dass es zwingend vom Ausschreibungsverfahren ausgeschlossen
werden müsste, kann den Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfüllen.
BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13 - LG Stade
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
Nebenbeteiligte

a) K. GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer

b) N. GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer
wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer
und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag - am
17. Oktober 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 und 1a StPO einstimmig

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 6. Dezember 2012, soweit es ihn betrifft , dahin geändert, dass dieser Angeklagte wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 90 Ta- gessätzen zu je 50 € verurteilt wird.
2. Auf die Revision der Nebenbeteiligten K. GmbH wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es sie betrifft, dahin geändert , dass gegen diese Nebenbeteiligte im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe eine Geldbuße von 2.000 € festgesetzt wird.
3. Die weitergehenden Revisionen des Angeklagten D. und der Nebenbeteiligten K. GmbH, die Revisionen der Angeklagten K. und H. sowie die Revision der Nebenbeteiligten N. GmbH gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
4. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten - den Angeklagten H. unter Freispruch im Übrigen - jeweils wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen in zwei Fällen zu Gesamtgeldstrafen verurteilt und gegen die Nebenbeteiligten in drei Fällen (Fälle II. 2. a), b) und e) der Urteilsgründe ) Geldbußen verhängt. Hiergegen richten sich die Revisionen aller Angeklagten und der Nebenbeteiligten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügen. Darüber hinaus beanstanden der Angeklagte K. und die K. GmbH mit gleichlautenden Rügen das Verfahren. Die Rechtsmittel des Angeklagten D. und der K. GmbH haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie - ebenso wie die Revisionen der Angeklagten K. und H. sowie der N. GmbH - unbegründet.

A. Verfahrensvoraussetzungen
2
Ein Verfahrenshindernis besteht bezüglich der Angeklagten H. und D. sowie der N. GmbH nicht. Das Landgericht ist durch den Verbindungsbeschluss vom 11. Juli 2012 (§ 4 StPO) auch zur Durchführung des insoweit nach entsprechender Anklageerhebung zunächst beim Amtsgericht Langen eröffneten Hauptverfahrens zuständig geworden. Dem steht nicht entgegen, dass der schriftliche Beschluss nur von zwei Richtern unterzeichnet worden ist; denn er war dennoch wirksam.
3
Welche Folge dem Fehlen einer richterlichen Unterschrift unter einem Eröffnungsbeschluss zukommt - für den Verbindungsbeschluss gemäß § 4 StPO kann nichts anderes gelten -, wird unterschiedlich beurteilt. Nach einer Ansicht ist in der Unterzeichnung durch sämtliche Richter eine wesentliche Förmlichkeit zu sehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Mai 1991 - 1 Ss 43/91, NJW 1991, 2849, 2850; SK-StPO/Paeffgen, 4. Aufl., § 203 Rn. 8; wohl auch HK-StPO-Julius, 5. Aufl.,§ 207 Rn. 18), nach anderer Auffassung soll es - unabhängig von der Unterschriftsleistung - entscheidend darauf ankommen, ob der Beschluss von allen zur Entscheidung berufenen Richtern gefasst wurde (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 207 Rn. 11; KK-Schneider, StPO, 7. Aufl., § 207 Rn. 29; Radtke/Hohmann/Reinhart, StPO, § 207 Rn. 14; KMR-Seidl, StPO, § 207 Rn. 6 [Stand: Mai 2012]).
4
Der Senat, der die Frage zuletzt offengelassen hat (BGH, Beschluss vom 29. September 2011 - 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225), folgt der letztgenannten Ansicht. Insoweit gilt Folgendes:
5
Beschlüsse außerhalb der Hauptverhandlung sind durch Zustellung oder formlose Übersendung bekannt zu machen und deshalb schriftlich zu fassen (vgl. § 35 Abs. 2 StPO). Die Strafprozessordnung kennt indes keine Definition der Schriftform. Die in § 126 Abs. 1 BGB enthaltene Begriffsbestimmung ist wegen der Eigenständigkeit des Prozessrechts auf Prozesshandlungen nicht übertragbar (GmSOGB, Beschluss vom 30. April 1979 - GmS-OGB 1/78, BGHZ 75, 340, 348). Das allgemeine Sprachverständnis setzt für Schriftlichkeit eine Unterschriftsleistung durch den Urheber des Dokuments nicht voraus (ebenso BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 1963 - 1 BvR 610/62, BVerfGE 15, 288, 291 f. zu § 23 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; GmSOGB, aaO). Dass eine solche nach dem Willen des Gesetzgebers nicht notwendiger Bestandteil des Schriftformerfordernisses ist, wird bereits daraus ersichtlich, dass die Strafprozessordnung teilweise über die bloße Schriftform (vgl. § 314 Abs. 1, § 341 Abs. 1 StPO) hin- aus die Unterzeichnung des Schriftstücks verlangt (vgl. § 172 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1, § 345 Abs. 2, § 366 Abs. 2, § 390 Abs. 2 StPO). Dies gilt vorliegend umso mehr, als mit Blick auf gerichtliche Entscheidungen nur für Urteile eine entsprechende Regelung besteht, § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Unterzeichnung eines Beschlusses durch den oder die erlassenden Richter keine Wirksamkeitsvoraussetzung ist (RG, Urteil vom 3. Februar 1910 - III 1038/09, RGSt 43, 217, 218; BayObLG, Beschluss vom 27. Juni 1989 - RReg 4 St 34/89, StV 1990, 395 ff.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 7. November 1997 - 1 Ss 220/97, NStZ-RR 1998, 75, 76; ebenso Stuckenberg, StV 2013, 133, 135; Meyer-Goßner aaO, vor § 33 Rn. 6; KK-Maul, StPO, aaO, § 33 Rn. 4).
6
Dieser Auffassung steht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen. Soweit sich in mehreren Entscheidungen die Formulierung findet , dass schriftliche Abfassung und Unterzeichnung wesentliche Förmlichkeiten darstellten (BGH, Urteil vom 1. März 1977 - 1 StR 771/76; Beschluss vom 9. Juni 1981 - 4 StR 263/81, NStZ 1981, 448; Beschluss vom 3. April 2012 - 2 StR 46/12), war den zugrundeliegenden Fällen gemeinsam, dass es bereits an der - nach allgemeiner Meinung erforderlichen (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 3 StR 484/10, NStZ-RR 2011, 150) - schriftlichen Abfassung des Beschlusses fehlte. Vorliegende Konstellation ist demnach noch nicht tragend entschieden worden. Darüber hinaus haben der 1. und 4. Strafsenat in späteren Entscheidungen klargestellt, dass es auch für sie nicht auf die Zahl der Unterschriften, sondern darauf ankomme, dass der Beschluss von allen zur Entscheidung berufenen Richtern gemeinsam getroffen wurde (BGH, Urteil vom 8. Juni 1999 - 1 StR 87/99, NStZ-RR 2000, 34; Beschluss vom 21. Dezember 2011 - 4 StR 553/11, NStZ-RR 2012, 117; so schon RG aaO; BGH, Urteil vom 14. Mai 1957 - 5 StR 145/57, BGHSt 10, 278, 279).
7
Dass letzteres der Fall war, haben die vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der drei an dem Beschluss vom 11. Juli 2012 beteiligten Richter ergeben. Diese haben mitgeteilt, dass die Entscheidung zur Verbindung Ergebnis einer mündlichen Beratung gewesen und lediglich die Unterzeichnung der schriftlich niedergelegten Gründe durch einen der Richter versehentlich unterblieben sei. Der Beschluss ist demnach nicht im sogenannten Umlaufverfahren getroffen worden, bei dem es sich bis zur Unterzeichnung durch alle Richter lediglich um einen Entwurf handelt (BGH, Beschluss vom 15. Januar 1954 - 5 StR 703/53, NJW 1954, 360, 361).

B. Revisionen der Angeklagten
8
I. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen - mit Ausnahme der konkurrenzrechtlichen Beurteilung der Taten des Angeklagten D. - den jeweiligen Schuldspruch.
9
1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen stimmten sich die Angeklagten - der Angeklagte K. als (damaliger) Geschäftsführer der K. GmbH, die Angeklagten H. und D. als Geschäftsführer der N. GmbH - jeder für sich zwischen Ende Juli und November 2008 mit gesondert verurteilten Mitarbeitern anderer Bauunternehmen jeweils in zwei Fällen telefonisch über die Höhe der Gebote ab, bevor sie diese auf - überwiegend beschränkte - Ausschreibungen der öffentlichen Hand abgaben, der Angeklagte D. durch seinen insoweit gutgläubigen Kollegen H. . Diese bilateralen Vereinbarungen zielten jeweils darauf ab, einem der beiden Unternehmen eine günstigere Position im Bietergefüge zu verschaffen, um so die Chancen für einen Zuschlag zu erhöhen.
10
2. Dadurch erfüllten die Angeklagten jeweils den Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB. Hierzu gilt:
11
a) Der Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfasst - unabhängig von der Frage eines vorausgegangenen öffentlichen Teilnahmewettbewerbs - beschränkte Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber gemäß § 3 Nr. 3 VOB/A (2006) (heute § 3 Abs. 3 und 4 VOB/A).
12
Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen richtet sich - je nachdem, ob der Schwellenwert gemäß § 2 Vergabeverordnung über- oder unterschritten ist - nach den Regelungen des vierten Teils des GWB100 Abs. 1 GWB) oder § 3 VOB/A bzw. VOL/A. Im letzteren Fall werden die Aufträge nach öffentlicher oder beschränkter Ausschreibung bzw. nach freihändigem Verfahren vergeben. Dabei wird hinsichtlich der beschränkten Ausschreibung, bei der nur eine ausgewählte Anzahl von Unternehmern zur Einreichung von Angeboten aufgefordert wird, weiter zwischen der ohne (§ 3 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A (2006)) und der nach öffentlichem Teilnahmewettbewerb (§ 3 Nr. 3 Abs. 2 VOB/A (2006)) unterschieden.
13
Mit Blick auf diese Regelungen ist umstritten, ob § 298 Abs. 1 StGB auch beschränkte Ausschreibungen ohne vorangegangenen öffentlichen Teilnahmewettbewerb im Sinne der VOB/A erfasst. Während nach einer Auffassung ein solcher zu verlangen ist (MüKoStGB/Hohmann, 2. Aufl., § 298 Rn. 35; SSW-StGB/Bosch, § 298 Rn. 3; SK-StGB/Rogall, Stand: März 2012, § 298 Rn. 10; S/S-Heine, StGB, 28. Aufl., § 298 Rn. 4), subsumiert eine andere Ansicht beide Formen der beschränkten Ausschreibung unter den Tatbestand (NK-StGB-Dannecker, 4. Aufl., § 298 Rn. 36; Matt/Renzikowski/Schröder/ Bergmann, StGB, § 298 Rn. 9; G/J/W/Böse, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 298 StGB Rn. 8; Bender, Sonderstraftatbestände gegen Submissionsabspra- chen, 2005, S. 64 f.). Bei dem Streit geht es letztlich um die Frage, ob unter Ausschreibung bereits ein Verfahren verstanden werden kann, das von Beginn an darauf beschränkt ist, Angebote von einer begrenzten Mehrzahl von Unternehmern einzuholen, oder ob zu verlangen ist, dass es sich jedenfalls derart an einen unbestimmten Adressatenkreis richtet, dass diesem die Möglichkeit eingeräumt wird, einen Antrag auf Teilnahme an der Ausschreibung zu stellen (vgl. Wiesmann, Die Strafbarkeit gemäß § 298 StGB bei der Vergabe von Bauleistungen und die Implementierung eines Straftatbestands verbotener Submissionsabsprachen in ein Strafgesetz der Europäischen Union, 2006, S. 86; G/J/W/Böse aaO).
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Der Senat entscheidet die Frage dahin, dass auch beschränkte Ausschreibungen ohne vorangegangenen öffentlichen Teilnahmewettbewerb dem Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB unterfallen (ebenso OLG Celle, Beschluss vom 29. März 2012 - 2 Ws 81/12, wistra 2012, 318, 321). Dafür spricht bereits der Wortlaut des § 298 Abs. 1 StGB, der eine Einschränkung auf bestimmte Formen der Ausschreibung nicht erkennen lässt. Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff der Ausschreibung im Sinne des § 298 Abs. 1 StGB einschränkender zu verstehen wäre als in § 3 VOB/A definiert. Der Wille des Gesetzgebers zielte ausdrücklich auf eine Einbeziehung der beschränkten Ausschreibung in den Tatbestand (BT-Drucks. 13/5584, S. 14). Da die Möglichkeit einer solchen mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb erst 2000, mithin nach Inkrafttreten des § 298 StGB in die VOB/A eingeführt wurde (hierzu Bender aaO), ist offensichtlich, dass er dabei lediglich beschränkte Ausschreibungen ohne Vorverfahren im Blick haben konnte.
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Für dieses Ergebnis streiten auch Systematik und Telos der Norm, denn in § 298 Abs. 2 StGB wird sogar die freihändige Vergabe den Ausschreibungen gleichgestellt, wenn ihr ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb vorausging. Daraus wird deutlich, dass Verstöße im Vergabeverfahren nur, aber auch stets dann erfasst werden sollen, wenn das Verfahren eine bestimmte Wettbewerbsintensität erzielt (Wiesmann aaO, S. 95 f., zum Schutzzweck der Norm BT-Drucks. aaO, S. 13). Diese ist aber in allen Fällen der beschränkten Ausschreibung wegen der eng umgrenzten Anzahl an Teilnehmern erreicht. Gerade dieser Umstand lässt diese Form der Ausschreibung für Absprachen besonders anfällig und dementsprechend besonders schutzbedürftig erscheinen, steigt doch die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs einer Absprache, je weniger mitbietende Konkurrenten insgesamt am Wettbewerb beteiligt sind, die an der Absprache nicht mitgewirkt haben.
16
b) Soweit die Revision des Angeklagten K. rügt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer beschränkten Ausschreibung (§ 3 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A (2006)) nicht vorgelegen hätten, kommt es darauf nicht an. Denn Fehler anlässlich eines Ausschreibungsverfahrens finden - wenn überhaupt (für generelle Unbeachtlichkeit MüKoStGB/Hohmann aaO, Rn. 46; LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., § 298 Rn. 19; G/J/W/Böse aaO, Rn. 11) - allenfalls dann Berücksichtigung, wenn sie so schwerwiegend sind, dass von einer Ausschreibung insgesamt nicht mehr gesprochen werden kann (NK-StGBDannecker aaO, Rn. 44; Wiesmann aaO, S. 114 f.). Ein etwaiger Fehler bei der Auswahl eines grundsätzlich von § 298 StGB erfassten Vergabeverfahrens lässt demnach die Strafbarkeit unberührt.
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c) Die Angeklagten trafen nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen auch jeweils mit ihren Gesprächspartnern kartellrechtswidrige (BGH, Beschluss vom 25. Juli 2012 - 2 StR 154/12, NJW 2012, 3318) Absprachen, die darauf abzielten, den jeweiligen Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen. Dabei dienten die Gespräche nicht nur der gegenseitigen Kenntnisnahme der Angebote des anderen, stellten mithin nicht nur einen vom Tatbestand nicht erfassten Informationsaustausch dar (vgl. G/J/W/Böse aaO, Rn. 22). Die für die Absprache maßgebliche, von Koordinationserwartung (so Wiesmann aaO, S. 126) bzw. einem faktischen Bindungswillen der Angeklagten (so SK-StGB/Rogall aaO, Rn. 22; LK/Tiedemann aaO, Rn. 32; NKStGB -Dannecker aaO, Rn. 56 ff; MüKoStGB/Hohmann aaO, Rn. 66 ff.; Otto, wistra 1999, 41) getragene Verständigung über das Verhalten im Ausschreibungsverfahren kommt vielmehr darin zum Ausdruck, dass in den Telefonaten zunächst eine Gebotsreihenfolge festgelegt und sodann - im selben oder in einem weiteren Gespräch - die Auftragssumme dem jeweils anderen mitgeteilt wurde, damit diese gegebenenfalls der abgesprochenen Reihenfolge entsprechend angepasst werden konnte. Weder der Umstand, dass - mit Ausnahme eines Falles - die abgesprochene Reihenfolge von vornherein den Vorstellungen beider Absprachepartner entsprach, noch die Tatsache, dass dementsprechend die kalkulierten Angebote bereits mit dieser Gebotsreihenfolge in Einklang stehende Auftragssummen auswiesen, lassen die entsprechende Zielrichtung der Gespräche entfallen. Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen ein Verzicht des an dem Auftrag nicht interessierten Absprachepartners auf die Teilnahme an den beschränkten Ausschreibungen nicht in Betracht kam, weil nur durch die Angebotsabgabe sichergestellt werden konnte, dass der gewollt unterlegene Bieter auch bei der nächsten beschränkten Vergabe wieder Berücksichtigung fand.
18
d) Entgegen der Ansicht der Revision des Angeklagten K. steht dem Schuldspruch auch nicht der Umstand entgegen, dass einem seiner Angebote Unterlagen gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 1 Buchst. c bis e VOB/A (2006) nicht beigefügt waren, was - so die Revision - dazu hätte führen müssen, dass das Ange- bot nicht hätte berücksichtigt werden dürfen. Der Senat muss nicht entscheiden , ob dieser Mangel überhaupt einen zwingenden Ausschluss des Angebots gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. b VOB/A (2006) hätte nach sich ziehen müssen (dagegen: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Oktober 2005 - VII-Verg 40/05, NZBau 2006, 525, 526; dafür: BGH, Urteil vom 3. April 2012 - X ZR 130/10, NZBau 2012, 513). Denn die Strafbarkeit nach § 298 StGB besteht grundsätzlich unabhängig von der Frage, ob das Angebot zu Recht Berücksichtigung fand.
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Dies hat der Bundesgerichtshof bereits in einem Fall entschieden, in dem das Angebot des Bieters verspätet im Sinne des § 22 Nr. 2 VOB/A aF bei dem Veranstalter eingegangen war und deshalb der zwingenden Ausschließung nach § 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. a VOB/A aF unterlag (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 366/02, NStZ 2003, 548). Das Bundesverfassungsgericht hat die dieser Rechtsprechung zugrunde liegende Auslegung für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet (BVerfG, Beschluss vom 2. April 2009 - 2 BvR 1468/08, wistra 2009, 269 f.).
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In der Literatur wird dem allerdings entgegengehalten, ein Angebot, das an so schwerwiegenden vergaberechtlichen Mängeln leide, dass es zwingend vom Ausschreibungsverfahren ausgeschlossen werden müsste, könne den Tatbestand des § 298 StGB nicht erfüllen (MüKoStGB/Hohmann aaO, Rn. 58; NK-StGB-Dannecker aaO, Rn. 51, 53). Das Schutzgut der Vorschrift, das Vertrauen des Einzelnen in den freien und fairen Wettbewerb, werde durch solche Angebote nicht berührt (MüKoStGB/Hohmann aaO, Rn. 58, 62), weil sie sich auf die Vergabeentscheidung von vornherein nicht auswirken und deshalb eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung nicht entfalten könnten (NK-StGBDannecker aaO). Andere Autoren stellen darauf ab, dass es sich bei § 298 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handele: Könne eine Gefährdung des Schutzgutes - dies sei bei vergaberechtlich auszuschließenden Angeboten der Fall - im Einzelfall nicht eintreten, sei eine Bestrafung verfassungsrechtlich nicht mehr legitim (Wiesmann aaO, S. 52, 68 ff. mwN); insoweit wird zudem vertreten, ein wesentliches Element der Strafwürdigkeit wettbewerbsbeschränkender Absprachen liege in der möglichen Schädigung oder Gefährdung des Vermögens der Ausschreibenden; könne dessen Gefährdung ausgeschlossen werden, müsse die Strafbarkeit entfallen (Otto, wistra 1999, 41, 42 f., 46).
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Zu einer solchen - methodisch im Wege einer teleologischen Reduktion zu erreichenden (Wiesmann aaO, S. 68 ff.) - Auslegung besteht indes kein Anlass. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei § 298 StGB - mit Blick auf die Beeinträchtigung des Ausschreibungswettbewerbs - überhaupt um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt (aA LK-Tiedemann aaO, Rn. 9; MüKoStGB/Hohmann aaO, Rn. 6 f.; NK-StGB-Dannecker aaO, Rn. 17: Verletzungsdelikt ) und ob gegebenenfalls eine tatbestandliche Reduktion zulässig wäre (vgl. LK-Tiedemann aaO, Rn. 11 f.). Denn es trifft schon nicht zu, dass durch die Abgabe eines zwingend auszuschließenden Angebots das Rechtsgut des § 298 StGB nicht verletzt und nicht einmal gefährdet wird:
22
Die Vorschrift des § 298 StGB schützt zuvorderst den freien Wettbewerb; die Vermögensinteressen des Veranstalters (und gegebenenfalls der Mitbewerber) werden lediglich mittelbar in den Schutzbereich einbezogen. Insoweit hat sich der Gesetzgeber von vorangegangenen Reformvorschlägen, die einen Straftatbestand des Ausschreibungsbetrugs als abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betruges vorgesehen und den Schutz des Vermögens des Veranstalters in den Vordergrund gerückt hatten, bewusst gelöst (BT-Drucks. 13/5584, S. 13). Der Zweck von Ausschreibungen besteht darin, dem Veran- stalter durch Heranziehung von auf selbständiger und verantwortlicher Rechnung beruhenden Angeboten einen verlässlichen Überblick über die tatsächlich erforderlichen Aufwendungen und die Güte der dafür zu erwartenden Leistungen zu ermöglichen (BT-Drucks. aaO, S. 12 f.). Daraus ergibt sich, dass bei einer Ausschreibung das nur vom freien Wettbewerb geprägte Verfahren die Grundlage des konkreten Preisbildungsprozesses darstellt. Dieser Prozess als realer Vorgang ist Angriffsobjekt der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen (LK/Tiedemann aaO, Rn. 9) und wird von ihnen auch betroffen, wenn ein darauf beruhendes Angebot wegen vergaberechtlicher Mängel nicht hätte berücksichtigt werden dürfen. Dies zeigt sich hier schon daran, dass das Angebot tatsächlich berücksichtigt wurde und sogar den Zuschlag erhielt. Darüber hinaus gilt Folgendes: Eine wettbewerbsbeschränkende, den Preisbildungsprozess betreffende Wirkung liegt bereits in der für Submissionsabsprachen typischen Wiederholung und allmählichen Steigerung der Angebotspreise in zukünftigen Vergabeverfahren (LK/Tiedemann aaO, Rn. 12; G/J/W/Böse aaO, Rn. 31; NKStGB -Dannecker aaO, Rn. 18). Diese entsteht durch die Abgabe der abgesprochenen Angebote unabhängig davon, ob sie hätten ausgeschlossen werden müssen. Erst recht wird der Eintritt dieser Wirkung nicht dadurch gehindert, dass im konkreten Fall keine Vermögensschädigung eines Einzelnen eintritt (LK/Tiedemann aaO, Rn. 12; NK-StGB-Dannecker aaO, Rn. 18; Kuhlen in Festschrift für Lampe, 2003, 743, 751).
23
Da es demnach auf das Fehlen der Unterlagen nicht ankommt, greifen die auf deren (teilweise unterlassene) Würdigung durch die Strafkammer bezogenen Verfahrensbeanstandungen des Angeklagten K. schon deshalb nicht durch.
24
e) Soweit die mit der Absprache des Angeklagten D. belasteten Angebote seitens des insoweit gutgläubigen Angeklagten H. abgegeben wurden, ist das Landgericht zu Recht von mittelbarer Täterschaft ausgegangen. Entgegen der Ansicht der Kammer lag die strafbarkeitsbegründende Handlung des Angeklagten D. jedoch nicht in einem Unterlassen, sondern einem aktiven Tun. Denn der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt bei ihm nicht darin, dass er das Angebot abgeben ließ, sondern in seiner eigenen Beteiligung an der Absprache. Dass diese selbst nicht die tatbestandsmäßige Handlung darstellt , ist für die Beurteilung der Handlung des mittelbaren Täters irrelevant.
25
Da die Absprache unter Beteiligung des Angeklagten D. jedoch in beiden ihm zur Last gelegten Fällen anlässlich desselben Telefonats vorgenommen wurde, bedurfte die konkurrenzrechtliche Beurteilung, die sich nach dem Tatbeitrag des mittelbaren Täters und nicht nach dem des Tatmittlers beurteilt (vgl. BGH, Beschluss vom 1. September 1998 - 1 StR 410/98, wistra 1999, 23), der Korrektur. Es lag natürliche Handlungseinheit vor. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend abgeändert. § 265 StPO stand dem nicht entgegen , da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
26
II. 1. Die Änderung des Schuldspruches gegen den AngeklagtenD. führt zum Wegfall der vom Landgericht ausgesprochenen Gesamtstrafe sowie der zugrunde liegenden Einzelstrafen. Gleichwohl bedurfte es vorliegend keiner Zurückverweisung an den Tatrichter zur neuerlichen Strafbemessung. Da durch die Schuldspruchänderung der Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat hier unverändert geblieben ist und die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler erkennen lassen, kann der Senat ausschließen, dass ein neuer Tatrichter bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangen würde. Er setzt deshalb die vom Landgericht verhängte Gesamtgeldstrafe als (Einzel )Geldstrafe fest.
27
2. Bezüglich der Angeklagten K. und H. weist die Strafzumessung keinen Rechtsfehler auf.

C. Revisionen der Nebenbeteiligten
28
I. Das Landgericht war für die Entscheidung, gegen die Nebenbeteiligten Geldbußen gemäß § 30 OWiG festzusetzen, zuständig. Die gemäß § 82 Satz 1 GWB grundsätzlich ausschließlich zuständige Kartellbehörde hat vorliegend von der in § 82 Satz 2 GWB vorgesehenen Möglichkeit der Abgabe an die Staatsanwaltschaft Gebrauch gemacht (Band III, AS 68 f. aus 770 Js 29530/12 sowie Band III, AS 37 f. aus 170 Js 16930/09).
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II. Die Voraussetzungen für die Verhängung von Geldbußen waren gegeben. Die Angeklagten K. (Fälle II. 2 a) und b) der Urteilsgründe) und D. (Fall II. 2. e) der Urteilsgründe) begingen - wie oben unter B. ausgeführt - als jeweils vertretungsberechtigtes Organ Straftaten und verletzten dadurch Pflichten aus § 1 GWB, die die Gesellschaften trafen, § 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG.
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Da die auf die Sachrügen der Angeklagten gebotene umfassende Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu deren Nachteil ergeben hat, können die Angriffe der Nebenbeteiligten gegen den Schuldspruch ebenfalls nicht durchgreifen. Es bedarf daher keiner abschließenden Klärung, ob der herrschenden Lehre (vgl. LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 444 Rn. 33; Meyer-Goßner aaO, § 444 Rn. 18; KK-Schmidt, StPO, aaO, § 444 Rn. 12) darin gefolgt werden kann, dass gemäß § 444 Abs. 2 Satz 2, § 437 Abs. 1 Satz 1 StPO auf das (alleinige) Rechtsmittel eines Nebenbeteiligten der Schuldspruch gegen das Organ nur dann zu überprüfen sei, wenn dieser in der vorangegangenen Instanz hierzu nicht gehört wurde (zu beachtlichen Bedenken, insbesondere mit Blick auf die fehlende Vergleichbarkeit zum Einziehungsbeteiligten und auf die - nicht einleuchtend - abweichende Regelung für das selbständige Verfahren nach § 444 Abs. 3 Satz 1, § 441 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StPO vgl. Müller, Die Stellung der juristischen Person im Ordnungswidrigkeitenrecht, 1985, 109 f.; ebenso für den Fall einer Ordnungswidrigkeit als Anknüpfungstat KKOWiG /Rogall, 3. Aufl., § 30 Rn. 222; Göhler/Gürtler, OWiG, 16. Aufl., § 88 Rn. 13). Entsprechendes gilt bezüglich der durch die K. GmbH erhobenen , den Schuldspruch berührenden Verfahrensbeanstandungen, die sich mit denen des Angeklagten K. decken.
31
III. Die Überprüfung der Rechtsfolgenaussprüche führt lediglich zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringfügigen Verringerung der gegen die K. GmbH im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe verhängten Geldbuße; im Übrigen bleiben die Rechtsmittel der Nebenbeteiligten erfolglos.
32
1. Das Landgericht ist von einem Bußgeldrahmen von 5 bis 1 Million € zuzüglich 10 % des Umsatzes des vorausgegangenen Geschäftsjahres ausgegangen. Die konkreten Geldbußen hat es derart festgesetzt, dass es einen Ahndungs- und einen Abschöpfungsanteil bestimmt hat. Bei Bezifferung des Ahndungsanteils hat es sich an den Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamts vom 15. September 2006 orientiert und im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe einen Grundbetrag von 5 %, in den beiden anderen Fällen einen Grundbetrag von 10 % des tatbezogenen Umsatzes veranschlagt. Zu den insoweit maßgeblichen Umsätzen hat es festgestellt, dass die K. GmbH im Fall II. 2. a) der Urteilsgründe den Zuschlag auf ihr Angebot zu brutto 95.871,90 € und im Fall II. 2. e) der Urteilsgründe die N. GmbH den Zuschlag auf ihr Angebot zu brutto 930.818,03 € erhielt; im Fall II. 2. b) derUrteilsgründe kam es hingegen zu keiner Annahme durch den Ausschreibenden, da sämtliche eingereichten Angebote die Kostenschätzung von 40.000 € übertrafen.
33
Unter Abwägung der Einzelfallumstände hat die Strafkammer im Fall II. 2. e) der Urteilsgründe hinsichtlich des Ahndungsanteils einen Abschlag auf "gut 5 %" vorgenommen, im Übrigen es bei den Grundbeträgen belassen. Den wirtschaftlichen Vorteil hat es in den Fällen II. 2. a) und e) der Urteilsgründe jeweils mit 10 % bemessen, im letzteren Fall diesen Wert jedoch als bereits abgeschöpft erachtet, da die N. GmbH wegen des diesbezüglichen Wettbewerbsverstoßes an den Auftraggeber Schadensersatz in Höhe von rund 113.000 € geleistet hatte. Dementsprechend hat die Kammer gegen die K. GmbH zwei (§ 20 OWiG) Geldbußen in Höhe von 19.000 € (Fall II. 2. a) der Urteilsgründe) und 2.200 € (Fall II. 2. b) der Urteilsgründe) und gegen die N. GmbH eine solche in Höhe von 50.000 € (Fall II. 2. e) der Urteilsgründe) festgesetzt.
34
2. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung im Wesentlichen stand; soweit nicht im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe die Herabsetzung der Geldbuße veranlasst war, enthalten sie jedenfalls keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Nebenbeteiligten. Im Einzelnen:
35
a) Nicht gänzlich rechtsbedenkenfrei ist allerdings die Bestimmung der Obergrenze des Bußgeldrahmens. Diese lag, da es sich bei den von den Angeklagten begangenen Straftaten nach § 298 Abs. 1 StGB zugleich um Ordnungswidrigkeiten gemäß § 81 Abs. 2 Nr. 1, § 1 GWB handelte, nicht bei 1 Mil- lion € zuzüglich 10 % des vorjährigen Geschäftsumsatzes, sondern bei 10 % des vorjährigen Geschäftsumsatzes, mindestens jedoch 1 Million €, § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 OWiG in der Fassung vom 22. August 2002, § 4 Abs. 3 OWiG, § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar2013 - KRB 20/12, NJW 2013, 1972, 1973 ff.). Hierauf beruht das Urteil jedoch ersichtlich nicht. Angesichts der moderaten, fernab der Obergrenze des § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 OWiG aF festgesetzten Geldbußen kann der Senat ausschließen , dass diese durch den Fehler beeinflusst wurden.
36
b) Die Festsetzung des Ahndungsanteils erweist sich im Ausgangspunkt als rechtsfehlerfrei. Sie bedarf lediglich in Fall II. 2. b) der Urteilsgründe einer (rechnerischen) Korrektur.
37
Zu Recht hat das Landgericht insoweit auf § 17 Abs. 3 OWiG abgestellt, wobei dieser wegen der Eigenart des § 30 OWiG dahingehend zu verstehen ist, dass die Bedeutung der Straftat des § 298 Abs. 1 StGB und der Vorwurf, der das handelnde Organ trifft, zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 1991 - KRB 5/90, wistra 1991, 268, 269).
38
Soweit sich die Kammer in dem Bemühen, die insbesondere angesichts des weiten Bußgeldrahmens für sich betrachtet wenig aussagekräftige Regelung des § 17 Abs. 3 OWiG handhabbar zu machen, an der Systematik der aufgrund § 81 Abs. 7 GWB erlassenen Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamts vom 15. September 2006 orientiert hat, ist dies nicht zu beanstanden.
39
Da es sich, wie das Landgericht erkannt hat, bei den Leitlinien um allgemeine Verwaltungsgrundsätze handelt, die eine Bindung der Gerichte nicht bewirken können, ist nicht von Bedeutung, dass das Bundeskartellamt mit Wirkung vom 25. Juni 2013 zwischenzeitlich neue Leitlinien erlassen hat, die eine Reaktion auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26. Februar 2013 (KRB 20/12, aaO) darstellen, mit der dem Verständnis des § 81 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 GWB durch das Bundeskartellamt als Kappungsgrenze des ansonsten nach oben offenen Bußgeldrahmens die Grundlage entzogen wurde. Es kommt vielmehr allein darauf an, ob die Anwendung der den Leitlinien aus dem Jahr 2006 zugrundeliegenden Grundsätze im konkreten Fall mit der gesetzlichen Bestimmung des § 17 Abs. 3 OWiG in Einklang steht. Dies ist der Fall. Die vorrangige Orientierung am tatbezogenen Umsatz lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen, sie wird vielmehr der Maßgeblichkeit des Unrechtsgehalts der Bezugstat für die Bestimmung des Ahndungsanteils ausdrücklich gerecht (vgl. BGH aaO). Der Einwand der Revision, es bestünde keine zwingende Korrelation zwischen Umsatzhöhe und dem entstandenen Schaden bzw. Gewinn, geht insofern fehl, als § 298 StGB als Bezugsnorm den Eintritt eines Schadens oder die Realisierung eines Gewinns gerade nicht verlangt. Entscheidend ist vielmehr das dementsprechende Potential der Tathandlung. Dass dieses in allen Fällen konkret dadurch abgeschwächt war, dass die Absprachen lediglich bilateral getroffen wurden, hat die Kammer im Rahmen der die Angeklagten betreffenden Strafzumessung ausdrücklich berücksichtigt. Dass das Landgericht diesen Gesichtspunkt im Rahmen der Geldbußenbemessung aus den Augen verloren haben könnte, schließt der Senat aus.
40
Soweit das Landgericht sich in diesem Zusammenhang mit der Frage der wirtschaftlichen Verhältnisse der Nebenbeteiligten nicht ausdrücklich befasst hat, begegnet dies angesichts der innerhalb des eröffneten Rahmens sehr moderaten Geldbußen ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Denn die Kammer hat festgestellt, dass zum Zeitpunkt des Urteils bei der K. GmbH noch 15, bei der N. GmbH noch 60 Mitarbeiter beschäftigt waren. Daraus lässt sich jedenfalls schließen, dass beide Unterneh- men einen Umsatz erwirtschaften, der die Leistungsfähigkeit bezüglich der verhängten Ahndungsanteile nicht in Frage stellt.
41
Allerdings ist dem Landgericht im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe bei Bestimmung des tatbezogenen Umsatzes insofern ein Fehler unterlaufen, als es auf den Angebotspreis des günstigsten Bieters abgestellt hat. Dies wäre nur zutreffend, wenn diesem der Zuschlag erteilt worden wäre. Da es hierzu nicht kam, hätte das Landgericht von seinem zutreffenden Ausgangspunkt aus, dass es auf den von einem Dritten erlangten Bruttowert ankomme, die Höchstgrenze der Kostenschätzung als den Betrag heranziehen müssen, zu dem der Zu- schlag erteilt worden wäre, mithin 40.000 €. Der Senat kann den sich daraus zu errechnenden Ahndungsanteil von 2.000 € (5 %) in entsprechender Anwen- dung des § 354 Abs. 1 StPO selbst festsetzen (vgl. zur Korrektur der Tagessatzhöhe durch das Revisionsgericht BayObLG, Beschluss vom 12. Januar 1988 - RReg 2 St 468/87, StV 1988, 389).
42
c) Bei der Bestimmung des Abschöpfungsanteils gemäß § 30 Abs. 3, § 17 Abs. 4 OWiG ist es zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sogenannte Deckungskosten (Fixkosten in Form von Abschreibungen auf Anlagevermögen , Miet- und Zinskosten) bei Bestimmung des wirtschaftlichen Vorteils nicht als Abzugsposten berücksichtigt hat. Zwar gilt insoweit - anders als bezüglich des erlangten Etwas beim Verfall gemäß § 73 Abs. 1 StGB bzw. § 29a Abs. 1 OWiG - nach herrschender Ansicht das Nettoprinzip (OLG Hamburg , Beschluss vom 3. März 1971 - 2 Ss 90/70 OWi, NJW 1971, 1000, 1003; KK-OWiG/Rogall aaO, § 30 Rn. 122; hiergegen mit beachtlichen Argumenten Göhler/Gürtler aaO, § 17 Rn. 38 f.). Einen wirtschaftlichen Vorteil stellt es aber auch dar, wenn Gemeinkosten, die selbst ohne Ausführung des infolge des abgesprochenen Angebots bemakelten Auftrags angefallen wären, mit den Er- lösen aus diesem bezahlt werden können. Dies führt dazu, dass solche Kosten als Abzugsposten unberücksichtigt bleiben müssen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. September 1973 - 3 Ss 331/73, VRS 46, 144, 146; FKKartellrecht /Achenbach, Stand: Oktober 2006, § 81 GWB Rn. 301; Tiedemann in HwWiStR, Gewinnabschöpfung, S. 1; aA KK-OWiG/Rogall aaO, Rn. 124 mwN). Aus den Ausführungen des Landgerichts zu den Deckungskosten ergibt sich im Übrigen zugleich, dass es - entgegen der Ansicht der Revision der N. GmbH - bei der Bestimmung des abzuschöpfenden wirtschaftlichen Vorteils nicht ausschließlich auf die Richtsatzsammlung der Bundesfinanzverwaltung abgestellt hat, sondern neben dieser auch die seitens der Angeklagten vorgelegte Übersicht zur Umsatzrentabilität sowie das Erfordernis der Berücksichtigung der Fixkosten in die Abwägung einbezogen hat.
43
Rechtlich bedenklich ist es allerdings, dass das Landgericht die mit der Abschöpfung verbundenen steuerrechtlichen Auswirkungen nicht erörtert hat. Denn es wäre mit dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar , wenn für eine Abschöpfungsmaßnahme der Bruttobetrag des erlangten Gewinns zugrunde gelegt wird und zugleich der gesamte Bruttobetrag besteuert würde (BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1990 - 1 BvL 4/87, BVerfGE 81, 228, 241 f.; zu § 73 StGB: BGH, Urteil vom 21. März 2002 - 5 StR 138/01, NJW 2002, 2257, 2259). Dem hat der Gesetzgeber insoweit Rechnung getragen, als § 4 Abs. 5 Nr. 8 Satz 4 EStG bestimmt, dass das grundsätzliche steuerrechtliche Abzugsverbot für Geldbußen nicht gilt, soweit mit diesen der wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft wurde. Daraus folgt für den Tatrichter, dass er bei der Bußgeldbemessung zu überprüfen hat, ob für den Veranlagungszeitraum, in dem die abzuschöpfenden Erlöse erzielt wurden, das Besteuerungsverfahren bereits durch einen bestandskräftigen Bescheid beendet wurde. Ist dies nicht der Fall, so bleibt die Steuerlast unberücksichtigt. Der Betroffene kann vielmehr den ihm auferlegten Bruttoabschöpfungsanteil bei den Finanzbehörden gewinnmindernd geltend machen. Hierzu ist es jedoch erforderlich, dass sich aus den Gründen der Entscheidung ergibt, in welcher Höhe die Geldbuße ahndender und in welcher Höhe abschöpfender Natur ist. Ist dagegen das Besteuerungsverfahren endgültig abgeschlossen, so ist der auf § 17 Abs. 4 OWiG entfallende Geldbußenanteil um die Steuerlast zu mindern (vgl. zu alledem BGH, Beschluss vom 25. April 2005 - KRB 22/04, NStZ 2006, 231, 232; KK-OWiG/Rogall aaO, Rn. 124; Göhler/Gürtler aaO, Rn. 43).
44
Da sich das Urteil zum Stand des Besteuerungsverfahrens nicht verhält, vermag der Senat nicht zu beurteilen, ob die unterbliebene Berücksichtigung der Steuerlast zu beanstanden ist. Dieser Darstellungsmangel nötigt jedoch nicht zur Aufhebung des Urteils. Denn während in Fall II. 2. e) der Urteilsgründe das Urteil auf diesem Rechtsfehler nicht beruht, erweist sich die in Fall II. 2. a) der Urteilsgründe verhängte Rechtsfolge als angemessen, § 354 Abs. 1a StPO.
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aa) Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht in Fall II. 2. e) der Urteilsgründe eine niedrigere Geldbuße festgesetzt hätte, wenn es die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Frage der Steuerlast erkannt hätte. Dies ergibt sich bereits daraus, dass in diesem Fall auf einen Abschöpfungsanteil nicht erkannt wurde.
46
bb) Dagegen lässt sich in Fall II. 2. a) der Urteilsgründe, in dem das Landgericht einen isolierten Abschöpfungsanteil ausgewiesen hat, nicht ausschließen , dass die Höhe der verhängten Geldbuße auf dem Rechtsfehler beruht. Diese erweist sich jedoch als angemessen, § 354 Abs. 1a StPO. Dessen Anwendbarkeit über § 444 Abs. 2 Satz 2, § 433 Abs. 1 Satz 1 StPO auf Nebenbeteiligte stehen schon deshalb keine Bedenken entgegen, da bei der - wegen der Regelung des § 82 Satz 1 GWB - originär vorgesehenen getrennten Verfahrensführung über § 79 Abs. 6 OWiG dem Rechtsbeschwerdegericht sogar die Möglichkeit eingeräumt wäre, die Geldbuße selbst festzusetzen (vgl. Göhler/Seitz aaO, § 79 Rn. 45a, 47). Dabei genügt es, die Geldbuße insgesamt auf ihre Angemessenheit hin zu beurteilen. Einer ausdrücklichen wertmäßigen Differenzierung zwischen Abschöpfungs- und Ahndungsanteil durch den Senat zur Ermöglichung einer späteren gewinnmindernden Geltendmachung des ersteren durch die Nebenbeteiligte gegenüber dem Finanzamt bedarf es dagegen nicht, da der aufgezeigte Rechtsfehler überhaupt nur durchgreift, wenn das Besteuerungsverfahren bestandskräftig abgeschlossen ist. § 17 Abs. 4 OWiG verlangt lediglich, dass die Geldbuße den aus der Tat gezogenen wirtschaftlichen Vorteil überschreitet; dies ist vorliegend der Fall.
47
Mit dem Urteil liegt ein rechtsfehlerfrei ermittelter und vollständiger Sachverhalt vor, der die Aufrechterhaltung der Geldbuße gestattet. In Anbetracht der Dauer des Verfahrens, des Ausmaßes der medialen Begleitung, der Doppelbelastung des Angeklagten K. als Angeklagter und Gesellschafter der Nebenbeteiligten, der Eintragung der Bußgeldentscheidung in das Gewerbezentralregister gemäß § 149 Abs. 2 Nr. 3a GewO sowie des Umstandes, dass es sich lediglich um eine bilaterale Absprache handelte, auf der einen Seite , des Auftragsvolumens sowie der Umstände, dass es wiederholt zu Wettbewerbsverletzungen kam und im konkreten Fall die Initiative vom Angeklagten K. ausging, andererseits, erweist sich der ohnehin moderate Betrag von 19.000 € als angemessen.
Becker Pfister Schäfer Gericke Spaniol

Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.

(1) Wer bei einer Ausschreibung über Waren oder Dienstleistungen ein Angebot abgibt, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, die darauf abzielt, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Ausschreibung im Sinne des Absatzes 1 steht die freihändige Vergabe eines Auftrages nach vorausgegangenem Teilnahmewettbewerb gleich.

(3) Nach Absatz 1, auch in Verbindung mit Absatz 2, wird nicht bestraft, wer freiwillig verhindert, daß der Veranstalter das Angebot annimmt oder dieser seine Leistung erbringt. Wird ohne Zutun des Täters das Angebot nicht angenommen oder die Leistung des Veranstalters nicht erbracht, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Annahme des Angebots oder das Erbringen der Leistung zu verhindern.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 154/12
vom
25. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. Juli 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 3. November 2011 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen in 14 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 270 Tagessätzen zu je 80,- € verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit 1990 Geschäftsführer der heutigen kommunalen Wohnungsgesellschaft O. mbH ("K. ") in H. , die die Vermietung und Verwaltung von Immobilien zum Gegenstand hatte. Die Ehefrau des Angeklagten und der Zeuge G. waren ab 1994 Gesellschafter und Geschäftsführer der R.
GmbH, die den An-/Verkauf und die Montage von Bauelementen sowie Baureparaturen durchführte. Die K. arbeitete von Beginn an eng mit der R. GmbH zusammen; bei Fenster- und Trockenbauarbeiten erhielt diese fast ausnahmslos die von der K. zu vergebenden Aufträge. Als sich die Auftragslage für die R. GmbH im Jahr 2005 verschlechterte, entschlossen sich die Ehefrau des Angeklagten und der Zeuge G. unter Beteiligung des Angeklagten, bei Ausschreibungen der K. den Wettbewerb dadurch zu unterlaufen , dass neben einem Angebot der R. GmbH nur fingierte Angebote abgegeben werden sollten. In Umsetzung dieses Plans sorgte der Angeklagte in der Zeit von Februar 2006 bis März 2008 bei vierzehn beschränkten Aus- schreibungen mit einem Auftragswert zwischen ca. 7.000 € und 200.000 € da- für, dass neben der R. GmbH nur die Handwerker L. und Go. in den Bieterkreis aufgenommen wurden. Zu Recht ging er dabei davon aus, dass beide kein eigenes Interesse an einem Auftrag der K. hatten. Der Zeuge G. ließ die von der Ehefrau des Angeklagten für die beiden Scheinbieter ausgepreisten Leistungsverzeichnisse von L. und Go. unterschreiben und abstempeln. Das von der R. GmbH abgegebene Angebot lag jeweils unter dem der beiden vermeintlichen Mitbieter, weshalb die R. GmbH in neun der vierzehn verfahrensgegenständlichen Fällen den Zuschlag erhielt (Fälle II. 1-9), während es in fünf Fällen (Fälle II. 10-15) nicht mehr zu einer Auftragserteilung kam.

II.


3
Die Verurteilung wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen in 14 Fällen hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
4
1. Insbesondere hat das Landgericht die zwischen dem Angeklagten, seiner Ehefrau und dem Zeugen G. getroffenen Absprachen zutreffend als vom Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfasst angesehen. Dieser setzt bei einer Ausschreibung über Waren oder gewerbliche Leistungen die Abgabe eines Angebots voraus, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, die darauf abzielt, den Veranstalter zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen. Rechtswidrig ist eine Absprache, wenn sie gegen das GWB verstößt (BGHSt 49, 201, 205). Gemäß § 1 GWB in der seit dem 1. Juli 2005 geltenden Fassung (BGBl I 1954 und 2114) sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken, verboten. Nach § 1 GWB in der bis zum 30. Juni 2005 geltenden Fassung galt dies nur, soweit die Unternehmen miteinander im Wettbewerb standen. Erfasst waren demnach nur horizontale Absprachen zwischen Unternehmern, nicht aber vertikale Absprachen zwischen einem Anbieter und dem Veranstalter (BGHSt 49, 201, 204 ff.; bestätigend Senat NStZ 2006, 687). Durch die Novellierung sind nunmehr neben horizontalen auch vertikale Absprachen erfasst (BT-Drs. 15/3640 S. 44). Zutreffend nimmt daher inzwischen die ganz herrschende Lehre an, dass dem Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB aufgrund der kartellrechtsakzessorischen Ausgestaltung jetzt auch vertikale Absprachen unterfallen (Fischer StGB 59. Aufl. § 298 Rn. 9; Tiedemann in LK StGB 12. Aufl. § 298 Rn. 13; Hohmann in MünchKomm-StGB § 298 Rn. 84; Bosch in SSW § 298 Rn. 18; Heine in Schönke/Schröder StGB § 298 Rn. 11; Wiesmann, Die Strafbarkeit gemäß § 298 StGB S. 132; Wunderlich , Die Akzessorietät des § 298 StGB zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) S. 227; a.A. Dannecker in NK StGB 3. Aufl. § 298 Rn. 21). Ungeachtet der hier ebenfalls bestehenden horizontalen Absprachen zwischen den Bieterfirmen R. , L. und Go. hat das Landgericht danach zu Recht angenommen, dass die zwischen dem auf Seiten der K. stehenden Angeklagten und der R. GmbH vorgenommenen vertikalen Absprachen den Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfüllen.
5
2. Zutreffend hat das Landgericht ferner das Handeln des Angeklagten als täterschaftliche Begehung des § 298 Abs. 1 StGB gewertet. Ob nur Kartellmitglieder Täter des § 298 StGB sein können, hat der Bundesgerichtshof bisher offen gelassen (BGHSt 49, 201, 208). In der Literatur wird diese Frage im Ausgangspunkt kontrovers diskutiert. Die herrschende Lehre nimmt an, dass NichtKartellmitglieder , insbesondere Personen auf Seiten des Veranstalters, als Täter des § 298 StGB in Betracht kommen (Fischer aaO Rn. 17b; Grützner, Die Sanktionierung von Submissionsabsprachen S. 534 f.; Joecks Studienkommentar StGB 9. Aufl. § 298 Rn. 5; König JR 1997, 397, 402; Kosche, Strafrechtliche Bekämpfung wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen - § 298 StGB S. 160; Maurach/Schröder/Maiwald Strafrecht BT Teilband 2 9. Aufl. § 68 Rn. 6; Mitsch Strafrecht BT II Teilband 2 § 3 Rn. 207; Otto Strafrecht BT 61/148; Bosch aaO Rn. 18; Heine aaO Rn. 17; Rudolphi in SK-StGB 6. Aufl. (50. Lfg. April 2000) § 298 Rn. 10). Die Gegenansicht geht im Grundsatz zwar nur von der Möglichkeit einer Teilnahmestrafbarkeit von NichtKartellmitgliedern aus (Böse in Graf/Jäger/Wittig Wirtschafts- und Steuerstrafrecht § 298 Rn. 24; Greeve Korruptionsdelikte in der Praxis Rn. 387; ders. in Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts § 10 Rn. 100; Momsen in Heintschel -Heinegg StGB § 298 Rn. 17; Lackner/Kühl StGB 27. Aufl. § 298 Rn. 6; Tiedemann aaO § 298 Rn. 47; Hohmann aaO Rn. 105 f.; Dannecker aaO Rn. 63; ders. JZ 2005, 49, 52), hält teilweise jedoch auch deren Täterschaft für möglich (Dannecker aaO Rn. 64a; Hohmann aaO 107; so wohl auch Tiedemann aaO Rn. 47).

6
Der Senat vertritt jedenfalls für die vorliegende Fallkonstellation der Beteiligung eines Veranstalters an einer auf einer Absprache beruhenden Angebotsabgabe die Auffassung, dass zumindest seit der Neuregelung von § 1 GWB auch dieser den Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB täterschaftlich verwirklichen kann. Dessen Wortlaut steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Es handelt sich nicht um ein Sonderdelikt (Dannecker aaO Rn. 18; Fischer aaO Rn. 17; Heine aaO Rn. 17; Hohmann aaO Rn. 99; Lackner/Kühl aaO Rn. 6; Tiedemann aaO Rn. 13; aA Böse aaO Rn. 4); Täter kann daher nicht nur derjenige sein, der selbst ein Angebot abgibt. Da seit der Neufassung des § 1 GWB auch vertikale Absprachen den Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfüllen, müssen sich vielmehr auch Veranstalter als Täter strafbar machen können, sofern ihnen nach den allgemeinen Regeln der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme die Abgabe des Submissionsangebots im Sinne des § 25 StGB zurechenbar ist; ansonsten würde der mit der kartellrechtskonformen Ausgestaltung von § 298 StGB verfolgte Zweck - Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen Kartellrecht und Strafrecht - unterlaufen. Auch teleologische Überlegungen sprechen für eine Täterstellung des auf Veranstalterseite Handelnden. Rechtsgut der Straftaten gegen den Wettbewerb sind zunächst der freie Wettbewerb (Fischer aaO vor § 298 Rn. 6; Lackner/Kühl aaO Rn. 1; Tiedemann aaO Rn. 6), daneben nach herrschender Meinung aber auch Vermögensinteressen des Veranstalters (Bannenberg in Dölling/Duttge/Rössner StGB 2. Aufl. § 298 Rn. 4; Fischer aaO § 298 Rn. 2; Heine aaO Vorbem. §§ 298 ff. Rn. 3; Kindhäuser LPK-StGB 4. Aufl. § 298 Rn. 1; Mitsch § 3 Rn. 196). Beide Rechtsgüter sind hier betroffen, da die Beteiligung einer Person auf Seiten des Veranstalters an den Absprachen mit den Bieterunternehmen den Wettbewerb durch gezielte Einflussnahme zugunsten eines Bieters einseitig verzerrt und zudem das Vermögen des Veranstalters gefährdet.

7
3. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.
Becker Fischer Schmitt Berger Eschelbach

Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.