Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 14. Juli 2014 - 9 S 897/14

bei uns veröffentlicht am14.07.2014

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 4. April 2014 - 4 K 632/14 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässige (§§ 146, 147 VwGO) Beschwerde ist nicht begründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gebieten es nicht, den angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Gründe hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe, mit dem sie unter Androhung eines Zwangsgelds dazu aufgefordert wurde, für die Erfüllung der Schulpflicht ihrer Tochter Sorge zu tragen, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen beziehungsweise anzuordnen, sowie hilfsweise, den Eintritt der aufschiebenden Wirkung festzustellen.
1. Die Antragstellerin macht geltend, der Tatbestand, den das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, sei in Teilen falsch beziehungsweise unvollständig. Darum verletze der angefochtene Beschluss ihren grundrechtsgleichen Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
Die Antragstellerin führt in diesem Zusammenhang etwa auf, im Gegensatz zu der verwaltungsgerichtlichen Annahme habe sie im Anschluss an ihre vierjährige Grundschulzeit nicht vier Jahre die Hauptschule besucht, sondern zwei Jahre die Orientierungsstufe und sodann zwei Jahre den Gymnasialzweig der Internationalen Gesamtschule. Es ist jedoch weder dargelegt noch sonst ersichtlich, inwieweit dies entscheidungserheblich sein beziehungsweise eine Änderung des angegriffenen Beschlusses gebieten sollte. Gleiches gilt für die von der Antragstellerin weiter aufgeführten Umstände (S. 4-8 der Beschwerdebegründungsschrift vom 12.05.2014), die das Verwaltungsgericht falsch oder unvollständig erfasst haben soll.
Soweit es bei dem angeblich übergangenen Vortrag um inhaltliche Fragen wie die Vereinbarkeit von § 85 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg (SchG) mit der Verfassung, das Verhältnis des staatlichen Erziehungsauftrags zur elterlichen Sorge, die Bedeutung der §§ 1626 ff. BGB, die Angemessenheit der Sofortvollzugsanordnung oder die Frage geht, ob für die Erziehung und Unterrichtung der Tochter der Antragstellerin „in anderer Weise ausreichend gesorgt“ ist (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SchG), ist davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht diese Argumente - wenngleich es ihnen im Ergebnis nicht gefolgt ist - zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Die fehlende Bescheidung von Vorbringen in den Entscheidungsgründen lässt nur dann auf dessen Nichtberücksichtigung schließen, wenn es den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage von zentraler Bedeutung für das Verfahren betrifft und nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert ist (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 18.10.2006 - 9 B 6.06 -, NVwZ 2007, 216, 218 m.w.N., und vom 13.02.2012 - 9 B 77.11 -, NJW 2012, 1672, 1673). Gemessen daran sind die Voraussetzungen für einen Gehörsverstoß hier nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat sich sowohl einfach- als auch verfassungsrechtlich mit den zentralen Fragen der Schulpflicht und der hier zu deren Durchsetzung verfügten Anordnung auseinandergesetzt. Zudem werden die von der Antragstellerin als übergangen gerügten Gesichtspunkte aufgrund entsprechender Rügen im Rahmen der Beschwerdebegründung (S. 9 ff. der Beschwerdebegründungsschrift vom 12.05.2014) im Folgenden (2.-4.) in der Sache behandelt.
2. Die Antragstellerin rügt weiter, die Sofortvollzugsanordnung sei aus mehreren Gründen formell rechtswidrig.
a) Es fehle bereits an einem wirksamen Verwaltungsakt, der Voraussetzung für eine Sofortvollzugsanordnung sei. Die Unwirksamkeit des Verwaltungsakts liege darin begründet, dass den Befehl, „dafür Sorge zu tragen, dass (...) M. C. unverzüglich ihre Schulpflicht an (…) erfüllt“, aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen könne (§ 44 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG). Beim Erfüllen der Schulpflicht handele es sich nicht um ein Verhalten im Tatsächlichen, für das jemand sorgen könne, sondern um eine normative Zurechnung. Die Aufforderung in dem Schreiben vom 06.02.2014 sei auch zu unbestimmt (§ 37 Abs. 1 LVwVfG). Der Verwaltungsakt schweige sich über das „Wie“ der Umsetzung aus. Für den Adressaten sei somit nicht erkennbar, wie er den Befehl ausführen solle. Der Verwaltungsakt sei ferner deshalb nichtig, weil damit eine Verwaltungsbehörde in den „Aufgabenkernbereich“ der ordentlichen Rechtsprechung, namentlich des Familiengerichts, „eingebrochen“ sei. Das Eingreifen des Staates in das gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte elterliche Erziehungsrecht sei abschließend in den §§ 1666-1667, 1673-1678 und 1696 BGB geregelt. Zu Eingriffen in die elterliche Sorge ermächtigt sei nach § 1666 Abs. 3 Nr. 2 BGB allein das Familiengericht. Der Verwaltungsakt verletze das in Art. 20 Abs. 2 GG verankerte Prinzip der Gewaltenteilung und missachte das Rechtsprechungsmonopol, denn die rechtsprechende Gewalt sei nach Art. 92 GG nicht der öffentlichen Verwaltung, sondern den Richtern anvertraut. Es gebe keine Rechtsgrundlage für Eingriffe der öffentlichen Verwaltung in die elterliche Sorge. Zudem sei der Verwaltungsakt auch deshalb nichtig, weil § 85 Abs. 1 Satz 1 SchG formell verfassungswidrig sei. Die Vorschrift gestalte die elterliche Sorge aus und treffe damit eine Regelung, die materiell zum Gegenstand des Bürgerlichen Rechts gehöre. Dieses sei gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Der Bund habe von seiner Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht, besonders mit den §§ 1626 ff. BGB. Dies bewirke eine Sperrwirkung für die Landesgesetzgebung. Es werde angeregt, gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Mit diesem Vorbringen wird das Vorliegen eines wirksamen Verwaltungsakts als Voraussetzung für den Erlass der Sofortvollzugsanordnung nicht überzeugend in Frage gestellt. Die Antragstellerin geht in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass dem Schreiben des Regierungspräsidiums vom 06.02.2014 Verwaltungsaktscharakter beizumessen ist (vgl. zum Maßstab etwa BVerwG, Urteil vom 17.08.1995 - 1 C 15.94 -, BVerwGE 99, 101; siehe auch Senatsbeschluss vom 10.07.2014 - 9 S 1074/12 -). Es fehlt auch nicht an dessen Wirksamkeit. Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird (§ 43 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG). Die Wirksamkeitsvoraussetzung der Bekanntgabe (vgl. § 41 LVwVfG) wird von der Antragstellerin nicht bezweifelt. Ein ordnungsgemäß bekanntgegebener Verwaltungsakt ist auch dann wirksam, wenn er rechtswidrig und damit gegebenenfalls aufhebbar ist (vgl. etwa Baumeister, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. Aufl. 2014, § 43 Rn. 21). Lediglich ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam (§ 43 Abs. 3 LVwVfG). Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 44 Abs. 1 LVwVfG). Diese Voraussetzungen sind für die hier zu beurteilende Anordnung nicht gegeben. Sie enthält die Aufforderung an die Antragstellerin, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Tochter unverzüglich ihre Schulpflicht an der Internationalen Gesamtschule H. erfüllt oder dass diese an einer anderen öffentlichen Schule oder privaten Ersatzschule angemeldet wird, um dort ihre Schulpflicht erfüllen zu können.
Mit diesem Inhalt handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann (§ 44 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG). Soweit die Antragstellerin darauf abhebt, bei dem „Erfüllen der Schulpflicht“ (eines Anderen) handele es sich nicht um ein tatsächliches Verhalten, verkennt sie, dass es nach der verfügten Aufforderung in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 85 Abs. 1 Satz 1 SchG nicht um dieses „Erfüllen“ selbst, sondern darum geht, dafür „Sorge zu tragen“, dass die Tochter der Antragstellerin ihre Schulpflicht erfüllt. Bei diesem „Sorgetragen“ handelt es sich nicht um etwas objektiv Unmögliches. Die Verantwortung der Erziehungsberechtigten bezieht sich in diesem Zusammenhang neben der Anmeldung des Kindes an einer Schule darauf, den regelmäßigen Besuch der verpflichtenden schulischen Veranstaltungen durchzusetzen und dementsprechend erzieherisch auf das Kind einzuwirken (vgl. Wörz/von Alberti/Falckenbach, SchG, Kommentar, Stand November 2013, § 85 Anm. 1; näher Andrä, in: Ebert, Schulrecht Baden-Württemberg, 2013, § 85 SchG Rn. 2). Es versteht sich von selbst, dass dies gewaltfrei zu geschehen hat, und es unterliegt auch keinen Zweifeln, dass das „Sorgetragen“ ohne körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen oder entwürdigende Maßnahmen anderer Art möglich ist. Der Hinweis der Antragstellerin auf § 1631 Abs. 2 BGB führt deshalb nicht weiter.
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Die von der Antragstellerin beanstandete Aufforderung ist auch hinreichend bestimmt. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes gebietet zum einen, dass dessen Adressat in der Lage sein muss zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und zwar in dem Sinne, dass der behördliche Wille unzweideutig erkennbar und keiner unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist. Ferner muss der Verwaltungsakt Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.10.2010 - 7 B 50.10, Juris Rn. 8 m.w.N.). In beiderlei Hinsicht ist die angegriffene Anordnung keinen durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. Wie oben ausgeführt, ist der Begriff des „Sorgetragens“ im Rahmen des § 85 SchG hinreichend verständlich. Damit ist auch klar, inwieweit Maßnahmen zur zwangsweisen Durchsetzung drohen. Die Tatsache, dass die Verfügung der Antragstellerin keine bestimmten Mittel zur Konkretisierung des „Sorgetragens“ vorschreibt, entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da gerade auf diese Weise ein übermäßiger Eingriff in das Erziehungsrecht der Antragstellerin vermieden wird. Unabhängig davon zöge eine mangelnde Bestimmtheit auch gar nicht ohne Weiteres die von der Antragstellerin bezeichnete Folge der Unwirksamkeit des Verwaltungsakts nach sich (vgl. wiederum § 43 Abs. 3, § 44 Abs. 1 LVwVfG).
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Mit der hier in Rede stehenden Verfügung gehen keine unzulässigen Übergriffe in fremde Kompetenzen einher. Ebenso wenig teilt der Senat die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 85 SchG (vgl. zum Folgenden bereits Senatsbeschluss vom 10.07.2014 - 9 S 1074/12 -). Es kommt daher weder eine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses noch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht in Betracht (vgl. zum Verhältnis dieser beiden Möglichkeiten zueinander: BVerfG, Beschluss vom 24.06.1992 - 1 BvR 1028/91 -, BVerfGE 86, 382; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14.08.2013 - 2 BvR 1601/13 -, Juris, und der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 04.03.2014 - 2 BvL 2/13 -, NVwZ-RR 2014, 369).
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Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 SchG haben die Erziehungsberechtigten die Anmeldung zur Schule vorzunehmen und dafür Sorge zu tragen, dass der Schüler am Unterricht und an den übrigen verbindlichen Veranstaltungen der Schule regelmäßig teilnimmt und sich der Schulordnung fügt. Diese Norm erwächst aus der der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes (vgl. Art. 70 Abs. 1 GG) entsprechenden Kulturhoheit der Länder (vgl. dazu Art. 26 Abs. 6 Satz 1 GG). Als eine die allgemeine Schulpflicht des Art. 14 Abs. 1 LV in Verbindung mit § 72 Abs. 1 Satz 1, § 76 Abs. 1 Satz 1 SchG näher ausgestaltende Bestimmung wirkt sie im öffentlichen Interesse auf das elterliche Erziehungsrecht ein, soweit es um den Schulbesuch geht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21.07.2009 - 1 BvR 1358/09 -, NJW 2009, 3151 ff., Juris Rn. 14).
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Der Landesgesetzgeber war nicht aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Bürgerliche Recht (Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) gehindert, diese Norm zu erlassen. § 85 SchG ist keine Norm des Bürgerlichen Rechts. Zum Bürgerlichen Recht gehört das Familienrecht der §§ 1297-1921 BGB einschließlich der Regelungen zum Personensorgerecht in §§ 1626 bis 1633 BGB (vgl. zum Begriff des „bürgerlichen Rechts“ Kunig, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012 Art. 74 Rn. 8 und BVerfG, Beschluss vom 10.03.1976 - 1 BvR 355/67 -, BVerfGE 42, 20, 31: „Bürgerliches Recht wurde wesentlich als die Ordnung der Individualrechtsverhältnisse verstanden. Die Beziehungen des einzelnen zu den öffentlichen Einrichtungen bewegten sich prinzipiell außerhalb des bürgerlichen Rechts.“ - „Das bürgerliche Recht ist in seinen Wirkungen auf den Mitbürger ausgerichtet.“; vgl. zum Schulwesen BVerfG, Urteil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 -, BVerfGE 108, 282, 302: Das Grundgesetz lässt den Ländern im Schulwesen umfassende Gestaltungsfreiheit; ebenso hinsichtlich der grundsätzlich freien Ausgestaltung der Pflichtschule BVerfG, Beschluss vom 17.12.1975 - 1 BvR 63/68 -, BVerfGE 41, 29, 43-45, und Beschluss vom 16.10.1979 - 1 BvR 447/70 und 7/74 -, BVerfGE 52, 223, 242 f.).
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Entsprechend betreffen die familienrechtlichen Regelungen allein das Eltern-Kind-Verhältnis (vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Stand: Dezember 2013/Oktober 1984, Art. 74 Rn. 53 und 61), während das Schulgesetz des Landes im Rahmen des grundgesetzlich garantierten staatlichen Erziehungsauftrags (vgl. Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) in § 85 Abs. 1 SchG Pflichten im Hinblick darauf formuliert, wie die Eltern ihre Erziehungsrechte wahrzunehmen haben, und der staatlichen Schulaufsicht auch Möglichkeiten der (auch zwangsweisen, vgl. § 86 SchG) Durchsetzung dieser Pflichten einräumt (vgl. zum staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag BVerwG, Urteil vom 11.09.2013 - 6 C 25.12 -, NVwZ 2014, 81 mit Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 -, a.a.O., 297, und Senatsurteil vom 23.01.2013 - 9 S 2180/12 -, VBlBW 2013, 214, 215).
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b) Die Antragstellerin hält die Sofortvollzugsanordnung auch deshalb für rechtswidrig, weil sie vor deren Erlass nicht angehört worden sei. Die Sofortvollzugsanordnung sei selbst ein Verwaltungsakt, weshalb es ein gesetzliches Anhörungsgebot gebe.
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Dieses Vorbringen überzeugt nicht. Bei der Sofortvollzugsanordnung im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO handelt es sich gerade nicht um einen Verwaltungsakt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.05.1966 - II C 197.62 -, BVerwGE 24, 92, 94; ferner Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 5. Aufl. 2011, § 80 Rn. 43; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 80 Rn. 78; jeweils m.w.N.). Die Sofortvollzugsanordnung setzt gerade einen Verwaltungsakt voraus und regelt nur die Vollziehung dieses Verwaltungsaktes (BVerwG, a.a.O.). Somit folgt aus § 28 LVwVfG, der nur für Verwaltungsakte gilt, kein Anhörungsgebot. Auch kann § 28 LVwVfG weder analog auf eine Sofortvollzugsanordnung angewandt werden noch ist sonst ersichtlich, woraus sich eine Pflicht zur Anhörung ergeben sollte (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 11.06.1990 - 10 S 797/90 - VBlBW 1991, 140, und vom 09.08.1994 -10 S 1767/94 - VBlBW 1995, 92; siehe ferner zu dieser Frage und auch zu der Gegenansicht Funke-Kaiser, a.a.O., § 80 Rn. 53; Kopp/Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 82; jeweils m.w.N.), zumal die Antragstellerin hierzu auch nichts weiter darlegt. Im Übrigen setzt sich die Beschwerde nicht substantiiert damit auseinander, inwieweit ein etwaiger Anhörungsmangel jedenfalls wegen einer Heilung gemäß § 45 LVwVfG (analog) unbeachtlich wäre, obwohl bereits das Verwaltungsgericht auf § 45 LVwVfG Bezug genommen hat.
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c) Schließlich hält die Antragstellerin der Sofortvollzugsanordnung in formeller Hinsicht entgegen, sie entspreche nicht den Begründungserfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. In der schriftlichen Begründung fehle ein Bezug zu dem konkreten Einzelfall. Die Begründung sei bloß formelhaft.
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Dem kann nicht gefolgt werden. Zutreffend ist, dass § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO die Behörde verpflichtet, mit einer auf den konkreten Fall abgestellten und nicht lediglich „formelhaften“ schriftlichen Begründung das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung darzulegen. Es handelt sich dabei um eine formell-rechtliche Anforderung, weshalb es auf die inhaltliche Richtigkeit der gegebenen Begründung nicht ankommt (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.08.1994 - 10 S 1767/94 - a.a.O., m.w.N.; zum rein formalen Charakter auch Beschluss vom 25.09.2012 - 10 S 731/12 -, DVBl. 2012, 1506; zu den Funktionen des Begründungszwangs Beschluss vom 27.09.2011 - 1 S 2554/11 -, VBlBW 2012, 151). Mit dem so verstandenen formellen Begründungserfordernis steht die Anordnung der sofortigen Vollziehung hier indes in Einklang, da die Gründe in nachvollziehbarer Weise die konkreten Erwägungen erkennen lassen, die das Regierungspräsidium dazu veranlasst haben, von der Anordnungsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Das Regierungspräsidium hat in der Sofortvollzugsanordnung vom 06.02.2014 im Einzelnen ausgeführt, dass das öffentliche Interesse an der Erfüllung der nach Art. 14 Abs. 1 LV in Verbindung mit § 72 SchG bestehenden Schulpflicht das private Interesse der Antragstellerin überwiege, ihre Tochter durch den „Besuch“ der Fernschule I. unterrichten zu lassen. Das öffentliche Interesse an einer angemessenen Förderung ihrer Tochter an einer öffentlichen Schule oder einer privaten Ersatzschule durch hierzu ausgebildete Lehrkräfte in einer Klassengemeinschaft unter rechtmäßigen Verhältnissen gehe dem Interesse der Antragstellerin vor, ihre Tochter privat zu unterrichten. Mit diesen Ausführungen hat das Regierungspräsidium eine Würdigung des Einzelfalls vorgenommen und auch sonst dem Begründungszwang des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO Genüge getan.
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3. Die Beschwerde wird sodann darauf gestützt, die Sofortvollzugsanordnung sei aus materiellen Gründen rechtswidrig, weil es kein besonderes Vollzugsinteresse gebe, das über das (mögliche) Interesse am Erlass des zu vollziehenden Verwaltungsakts hinausgehe. Ihre Tochter sei nicht zum Besuch einer Schule im herkömmlichen Sinne verpflichtet. Sie sei bei einem Institut für den Fernkurs Abitur angemeldet. Durch dessen Belegung sei die Schulpflicht gemäß § 76 Abs. 1 SchG erfüllbar. Der herkömmliche Schulbegriff werde den Zielen des Art. 7 Abs. 1 GG nicht gerecht. Vielmehr komme es auf einen funktionalen Schulbegriff an. Auch habe das Familiengericht festgestellt, dass das Kindeswohl ihrer Tochter nicht gefährdet sei. Die Sofortvollzugsanordnung sei auch nicht erforderlich und nicht angemessen, zumal es mit dem Schulzwang gemäß § 86 Abs. 2 SchG ein anderes Mittel zur Durchsetzung der Schulpflicht gebe. Es werde gegen ihr Grundrecht der elterlichen Sorge gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen. Daneben seien das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ihrer Tochter zu beachten.
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Auch dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Ein besonderes, über das allgemeine Erlassinteresse hinausgehendes Vollzugsinteresse besteht, wobei einerseits das Regierungspräsidium zu Recht auf das öffentliche Interesse an einer angemessenen Förderung der Tochter der Antragstellerin an einer öffentlichen oder privaten Schule durch hierzu ausgebildete Lehrkräfte in einer Klassengemeinschaft unter rechtmäßigen Verhältnissen hingewiesen hat, andererseits auch die Dringlichkeit angesichts des fortschreitenden Schuljahres / Lernstoffes in den Blick zu nehmen ist.
21 
Soweit es um die Verhältnismäßigkeit der für sofort vollziehbar erklärten Anordnung geht, hat der Senat keine Bedenken (vgl. zum Folgenden bereits Senatsbeschluss vom 10.07.2014 - 9 S 1074/12 -).
22 
In Umsetzung der bereits durch die Landesverfassung vorgegebenen allgemeinen Schulpflicht (Art. 14 Abs. 1 LV) begründen § 72 und § 76 Abs. 1 SchG eine grundsätzliche regelmäßige Schulbesuchspflicht (vgl. Senatsbeschluss vom 17.01.2012 - 9 S 2763/11 - unter Hinweis auf Senatsurteil vom 18.06.2002 - 9 S 2441/01 -, NVwZ-RR 2003, 561). Dabei ist ein organisatorisch-formaler Schulbegriff zugrunde zu legen. Schule im Sinne des Schulrechts ist eine organisierte, auf Dauer angelegte Einrichtung, in der eine im Laufe der Zeit wechselnde Mehrzahl von Schülern zur Erreichung allgemein festgelegter Erziehungsziele und Bildungsziele planmäßig durch hierzu ausgebildete Lehrkräfte gemeinsam unterrichtet wird (Senatsurteil vom 18.06.2002 - 9 S 2441/01 -, a.a.O.). Hieran ist entgegen vereinzelten Literaturstimmen, die einen „funktionalen“ Schulbegriff bevorzugen (vgl. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, Band I, 3. Aufl. 2013, Art. 7 Rn. 34 m.w.N.), festzuhalten.
23 
Eine aus weltanschaulichen, religiösen oder auch pädagogischen Gründen angestrebte Erteilung von Unterricht in anderer Form als der des allgemeinen und regelmäßigen Besuchs schulischen Unterrichts in der Gemeinschaft mit anderen Schülerinnen beziehungsweise Schülern kann in der Regel - und auch im vorliegenden Fall - nicht dazu führen, dass im Sinne von § 76 Abs. 1 Satz 1 SchG für die Erziehung und Unterrichtung der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen in anderer Weise ausreichend gesorgt wäre. Diese Schulbesuchspflicht ist regelhafter Ausdruck des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrages. Ausnahmen hiervon sind - auch mit Blick auf die landesverfassungsrechtliche Vorgabe - nur sehr eingeschränkt zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2009, a.a.O., Rn. 14, st.Rspr.; ebenso BVerwG, Urteile vom 11.09.2013 - 6 C 25.12 -, a.a.O., und - 6 C 12.12 -, NVwZ 2014, 237, jeweils m.w.N.). Von besonders gravierenden Beeinträchtigungen - etwa religiöser Belange - abgesehen folgt die allgemeine Schulpflicht einer starren, gleichwohl aber verfassungsrechtlich tragfähigen Modellvorstellung, wonach der einzelne Schüler an sämtlichen schulischen Veranstaltungen teilnehmen muss, weil nur die permanente, obligatorische Teilhabe am Schulunterricht unter Hintanstellung aller entgegenstehenden individuellen Präferenzen gleich welcher Art jenen gemeinschaftsstiftenden Effekt zu erzeugen vermag, der mit der Schule bezweckt wird und der die Einführung der staatlichen Schulpflicht zu wesentlichen Anteilen legitimiert (BVerwG, Urteil vom 11.09.2013 - 6 C 25.12 -, a.a.O.; vgl. hierzu bereits Senatsbeschluss vom 18.11.2013 - 9 S 1489/13 -).
24 
Eine Verletzung grundgesetzlich geschützter Grundrechte liegt nicht vor, weder in Bezug auf Art. 6 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Art. 6 Abs. 3 noch hinsichtlich Art. 4 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 oder gar Art. 1 Abs. 1 GG. Es entspricht einhelliger ständiger Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichts (zuletzt Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21.07.2009 - 1 BvR 1358/09 -, a.a.O., und der 2. Kammer des Ersten Senats vom 29.04.2003 - 1 BvR 436/03 -, NVwZ 2003, 1113) als auch des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 11.09.2013 - 6 C 12.12 - und - 6 C 25.12 -, beide a.a.O., vgl. auch bes. Beschluss vom 15.10.2009 - 6 B 27.09 -, NVwZ 2010, 525 f.) wie auch des Senats (Beschluss vom 17.01.2012 - 9 S 2763/11 -, Urteil vom 18.06.2002 - 9 S 2441/01 -, a.a.O), dass grundgesetzlich geschützte Eltern- und Familienrechte (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG) sowie die religiöse beziehungsweise weltanschauliche Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) nicht absolut gelten, sondern dem staatlichen Erziehungsauftrag des Art. 7 Abs. 1 GG - lediglich - gleichgeordnet sind mit der Folge, dass Konflikte zwischen diesen Rechten und der staatlichen Grundentscheidung zur wünschenswerten Erziehung von Kindern und Jugendlichen im Wege des gegenseitigen Ausgleichs - der „praktischen Konkordanz“ - zu lösen sind. Nur in extremen Ausnahmefällen kann die gebotene Abwägung gegenläufiger Interessen dazu führen, dass die Schulpflicht in anderer Weise als durch den regelmäßigen Besuch einer staatlichen oder staatlich genehmigten privaten Schule erfüllt werden kann.
25 
Für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls reicht der Vortrag der Antragstellerin nicht aus. Insbesondere genügt es mit Blick auf die die Schulpflicht rechtfertigenden Gründe nicht, wenn Lernerfolg und Sozialisierung von Schulpflichtigen auch in anderer Form erreichbar sein mögen, um eine Ausnahme von der staatlich vorgesehenen Regelbeschulung in Anspruch nehmen zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2013 - 6 C 25.12 - , a.a.O.). Eine Trennung von Kindern und Eltern beziehungsweise Familie im Sinne von Art. 6 Abs. 3 GG ist mit dem regelmäßigen Schulbesuch schon tatbestandlich nicht verbunden, da es an der Dauerhaftigkeit räumlichen Getrenntseins, die in der Regel mit einem Verlust des Umgangs- bzw. Personensorgerechts verbunden ist, fehlt (vgl. Badura, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Stand: Mai 2013, Art. 6 Rn. 140 f.; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 07.04.2014 - 1 BvR 3121/13 -, FamRZ 2014, 907-910, und vom 29.11.2012 - 1 BvR 335/12 -, NJW 2013, 1867). Wie ausgeführt, ergeben sich aus § 85 und § 86 des Schulgesetzes die Erwartungen, die die durch den staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag legitimierte staatliche Schulaufsicht an die Ausübung des elterlichen Erziehungsrechts im Bereich des Schulwesens knüpft. Ebenfalls nicht ersichtlich ist eine Herabwürdigung der Antragstellerin zu einem bloßen Objekt staatlichen Handelns und damit eine mögliche Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. dazu Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Stand: Mai 2009, Art. 1 Abs. 1, Rn. 36 ff.). Die Rechtsordnung verletzt die Subjektstellung des Menschen nicht dadurch, dass der Mensch sich ihren ihn als pflichtiges Rechtssubjekt ansprechenden Ge- und Verboten fügen muss (vgl. Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, 2. Aufl. 2010, Art. 1 Rn. 13).
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Der Hinweis der Antragstellerin, mit dem Schulzwang gemäß § 86 Abs. 2 SchG gebe es ein anderes Mittel, weshalb es an der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Sofortvollzugsanordnung fehle, überzeugt nicht. Es liegt auf der Hand, dass es ein schonenderes und ein zumutbares Mittel ist, die Antragstellerin als Erziehungsberechtigte nach § 85 SchG in die Pflicht zu nehmen, bevor unter Umständen eine Maßnahme nach § 86 Abs. 2 SchG ergriffen wird.
27 
Ferner kommt es auch nicht darauf an, dass familiengerichtlich eine Gefährdung des Kindeswohls der Tochter der Antragstellerin verneint wurde und die Tochter mittlerweile bereits 16 Jahre alt ist. Die schulrechtliche Beurteilung folgt einem anderen Maßstab als die bürgerlich-rechtliche (vgl. zu letzterer etwa BGH, Beschluss vom 17.10.2007 - XII ZB 42/07 -, FamRZ 2008, 45; OLG Hamm, Beschluss vom 12.06.2013 - 8 UF 75/12 u.a. - NJW-RR 2014, 6; OLG Köln, Beschluss vom 30.11.2012 - 4 UF 177/12 u.a. -, ZKJ 2013, 175). Mangels Volljährigkeit der Tochter (vgl. § 2 BGB) erfüllt die Antragstellerin zudem weiterhin das Merkmal der „Erziehungsberechtigten“. Schließlich hat die Antragstellerin auch nicht erfolgreich dargelegt, dass die Dauer der Schulpflicht ihrer Tochter gemäß § 75 Abs. 2, § 73 Abs. 2 SchG bereits abgelaufen ist, denn hierfür müsste diese eine auf der Grundschule aufbauende Schule tatsächlich fünf Jahre besucht haben.
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4. Soweit die Antragstellerin meint, die Androhung des Zwangsgeldes sei unrechtmäßig, kann sie auch damit nicht durchdringen. Sie begründet ihre Auffassung allein mit den unter 1. bis 3. abgehandelten Argumenten, die indes nach dem oben Gesagten nicht überzeugen.
29 
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 3, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Nr. 38.3 sowie Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 1.7.2 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (VBlBW Sonderbeilage Januar 2014, vgl. auch Senatsbeschluss vom 10.07.2014 - 9 S 1074/12 -).
30 
Der Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 14. Juli 2014 - 9 S 897/14

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 14. Juli 2014 - 9 S 897/14 zitiert 31 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 53 Einstweiliger Rechtsschutz und Verfahren nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes


(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung: 1. über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlas

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 146


(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltun

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 66 Erinnerung gegen den Kostenansatz, Beschwerde


(1) Über Erinnerungen des Kostenschuldners und der Staatskasse gegen den Kostenansatz entscheidet das Gericht, bei dem die Kosten angesetzt sind. Sind die Kosten bei der Staatsanwaltschaft angesetzt, ist das Gericht des ersten Rechtszugs zuständig. W

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 100


(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassu

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 68


(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn 1. der Verwaltungsakt von einer ob

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 74


(1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete: 1. das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs), die Rechtsanwaltschaft, das Notariat

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 147


(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 72


(1) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. (2) Auf den Gebieten des Artikels 74 Abs. 1

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 7


(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates. (2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. (3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausn

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls


(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 70


(1) Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. (2) Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern bemißt sich nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes über d

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1626 Elterliche Sorge, Grundsätze


(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge). (2) Bei der Pf

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1696 Abänderung gerichtlicher Entscheidungen und gerichtlich gebilligter Vergleiche


(1) Eine Entscheidung zum Sorge- oder Umgangsrecht oder ein gerichtlich gebilligter Vergleich ist zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Entscheidungen nach § 1626a Absatz 2 können gemäß

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 2 Eintritt der Volljährigkeit


Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1631 Inhalt und Grenzen der Personensorge


(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. (2) Das Kind hat ein Recht auf Pflege und Erziehung unter Ausschluss von Gewalt, körperl

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 92


Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 26


(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. (2) Z

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 14. Juli 2014 - 9 S 897/14 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 23. Jan. 2013 - 9 S 2180/12

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Tenor Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 21. September 2011 - 2 K 638/10 - wird zurückgewiesen.Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand  1 Die

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Tenor Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt. Die Verfassungsb

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Tenor 1. Dem Antragsteller wird für das vorläufige Rechtsschutzverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und S. E1. . W1. , F1.---wege , beigeordnet, soweit sich sein Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 2

Referenzen

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt.

(2) Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Beschwerdegericht eingeht.

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Eine Entscheidung zum Sorge- oder Umgangsrecht oder ein gerichtlich gebilligter Vergleich ist zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Entscheidungen nach § 1626a Absatz 2 können gemäß § 1671 Absatz 1 geändert werden; § 1671 Absatz 4 gilt entsprechend. § 1678 Absatz 2, § 1680 Absatz 2 sowie § 1681 Absatz 1 und 2 bleiben unberührt.

(2) Eine Maßnahme nach den §§ 1666 bis 1667 oder einer anderen Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die nur ergriffen werden darf, wenn dies zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung oder zum Wohl des Kindes erforderlich ist (kindesschutzrechtliche Maßnahme), ist aufzuheben, wenn eine Gefahr für das Wohl des Kindes nicht mehr besteht oder die Erforderlichkeit der Maßnahme entfallen ist.

(3) Eine Anordnung nach § 1632 Absatz 4 ist auf Antrag der Eltern aufzuheben, wenn die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson das Kindeswohl nicht gefährdet.

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.

(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere

1.
Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2.
Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4.
Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5.
die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6.
die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.

(1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete:

1.
das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs), die Rechtsanwaltschaft, das Notariat und die Rechtsberatung;
2.
das Personenstandswesen;
3.
das Vereinsrecht;
4.
das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer;
5.
(weggefallen)
6.
die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen;
7.
die öffentliche Fürsorge (ohne das Heimrecht);
8.
(weggefallen)
9.
die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung;
10.
die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft;
11.
das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte;
12.
das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung;
13.
die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung;
14.
das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Artikel 73 und 74 in Betracht kommt;
15.
die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft;
16.
die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung;
17.
die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung), die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz;
18.
den städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht;
19.
Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte;
19a.
die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze;
20.
das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz;
21.
die Hochsee- und Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschiffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen;
22.
den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen;
23.
die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, mit Ausnahme der Bergbahnen;
24.
die Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm);
25.
die Staatshaftung;
26.
die medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen, Geweben und Zellen;
27.
die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung;
28.
das Jagdwesen;
29.
den Naturschutz und die Landschaftspflege;
30.
die Bodenverteilung;
31.
die Raumordnung;
32.
den Wasserhaushalt;
33.
die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 25 und 27 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

(2) Das Kind hat ein Recht auf Pflege und Erziehung unter Ausschluss von Gewalt, körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und anderen entwürdigenden Maßnahmen.

(3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.

(1) Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.

(2) Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern bemißt sich nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes über die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung.

(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

(2) Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat.

(2) Auf den Gebieten des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25 und 26 hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.

(3) Hat der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen treffen über:

1.
das Jagdwesen (ohne das Recht der Jagdscheine);
2.
den Naturschutz und die Landschaftspflege (ohne die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes);
3.
die Bodenverteilung;
4.
die Raumordnung;
5.
den Wasserhaushalt (ohne stoff- oder anlagenbezogene Regelungen);
6.
die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse;
7.
die Grundsteuer.
Bundesgesetze auf diesen Gebieten treten frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist. Auf den Gebieten des Satzes 1 geht im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vor.

(4) Durch Bundesgesetz kann bestimmt werden, daß eine bundesgesetzliche Regelung, für die eine Erforderlichkeit im Sinne des Absatzes 2 nicht mehr besteht, durch Landesrecht ersetzt werden kann.

(1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete:

1.
das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs), die Rechtsanwaltschaft, das Notariat und die Rechtsberatung;
2.
das Personenstandswesen;
3.
das Vereinsrecht;
4.
das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer;
5.
(weggefallen)
6.
die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen;
7.
die öffentliche Fürsorge (ohne das Heimrecht);
8.
(weggefallen)
9.
die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung;
10.
die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft;
11.
das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte;
12.
das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung;
13.
die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung;
14.
das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Artikel 73 und 74 in Betracht kommt;
15.
die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft;
16.
die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung;
17.
die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung), die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz;
18.
den städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht;
19.
Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte;
19a.
die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze;
20.
das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz;
21.
die Hochsee- und Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschiffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen;
22.
den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen;
23.
die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, mit Ausnahme der Bergbahnen;
24.
die Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm);
25.
die Staatshaftung;
26.
die medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen, Geweben und Zellen;
27.
die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung;
28.
das Jagdwesen;
29.
den Naturschutz und die Landschaftspflege;
30.
die Bodenverteilung;
31.
die Raumordnung;
32.
den Wasserhaushalt;
33.
die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 25 und 27 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 21. September 2011 - 2 K 638/10 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Beklagte zur Einführung des Schulfachs Ethik an der Grundschule verpflichtet war.
Die Klägerin ist die alleinsorgeberechtigte Mutter von drei Jungen, nämlich von B..., geboren am 20.06.1999, E..., geboren am 21.04.2001, und N..., geboren am 13.06.2007. Im Februar 2010 befand sich E... in der zweiten Klasse und B... in der vierten Klasse der K...-...-Grundschule in ... Der Sohn N... soll im Sommer 2013 eingeschult werden. Derzeit befindet sich kein Sohn der Klägerin in der Grundschule.
Mit Schreiben vom 01.02.2010 wandte sich die Klägerin an das Kultusministerium des Beklagten und beantragte die sofortige Einrichtung eines Ethikunterrichts für ihre Kinder an der genannten Grundschule. Ihre Kinder gehörten keiner Konfession an. An der Schule gebe es jedoch kein adäquates Ersatzfach für Religion. Sie habe das Recht auf ethisch-moralische Bildung ihrer Kinder. Die Benachteiligung ihrer Söhne aufgrund ihrer weltanschaulichen Gesinnung sei nicht verfassungsgemäß. Der Ethikunterricht solle gleichberechtigt und parallel zum Religionsunterricht eingeführt werden.
Mit Schreiben vom 22.02.2010 teilte das Kultusministerium mit, der Religionsunterricht sei gemäß Art. 7 Abs. 3 GG, Art. 18 LV und § 96 Abs. 1 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg (SchG) an allen öffentlichen Schulen des Landes ordentliches Lehrfach. Damit sei grundsätzlich jede Schülerin und jeder Schüler zur Teilnahme am Unterricht seines Bekenntnisses verpflichtet. Schülerinnen und Schüler, die aus Glaubens- und Gewissensgründen nicht am Religionsunterricht teilnähmen, müssten an Schulen, an denen das Fach Ethik eingeführt sei, den Unterricht in diesem Fach besuchen. Das Fach Ethik sei bislang eingeführt in den Klassen 8 bis 10 der Haupt- und Realschulen, in den Klassen 8 bis 11 und den Jahrgangsstufen im neunjährigen Bildungsgang Gymnasium, an den Sonderschulen mit entsprechendem Bildungsgang und an den beruflichen Gymnasien sowie in den Klassen 7 bis 10 und den Jahrgangsstufen im achtjährigen Bildungsgang Gymnasium. Damit sei Sorge getragen, dass auch die den Religionsunterricht nicht besuchenden Schülerinnen und Schüler beginnend in der für sie bisweilen schwierigen Pubertät ein Fach hätten, in dem sie über die Grundfragen des menschlichen Lebens nachdenken und sprechen könnten. Wenn in den unteren Klassen Ethik kein Schulfach sei, so heiße dies nicht, dass diesem Fach entsprechende Inhalte nicht Teil des Unterrichts seien. Die moralisch-ethische Bildung und Erziehung gehöre zum pädagogischen Kernauftrag der Schulen, auch der Grundschulen, der fächerübergreifend auszugestalten sei.
Am 19.04.2010 hat die Klägerin Klage erhoben und die Einführung von Ethikunterricht für ihre Söhne B... und E... verlangt, sowie hilfsweise die Verpflichtung des Beklagten, diesen Söhnen die Teilnahme an der an der Grundschule angebotenen Philosophie-AG kostenfrei zu gewähren. Die Philosophie-AG war von der Schule auf Betreiben der Klägerin und weiterer Eltern eingeführt worden, wobei die betreffenden Eltern einen Beitrag von 120,-- EUR im Jahr an die die AG leitende Lehrerin überweisen mussten. Nachdem der ältere Sohn im Laufe des erstinstanzlichen Klageverfahrens die Grundschule verlassen hatte und auch die Philosophie-AG an der Schule nicht mehr angeboten wurde, haben die Beteiligten die Hauptsache insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Klägerin hat zuletzt beantragt, den Beklagten zu verurteilen, für ihr Kind E... an der Grundschule einen Ethikunterricht einzuführen, hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, eine neue Rechtsverordnung nach § 100a Abs. 3 SchG zu erlassen, nach welcher Ethikunterricht ab der ersten Klasse zu erteilen ist.
Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren mit Urteil vom 21.09.2011 eingestellt, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Für den mit dem Hauptantrag geltend gemachten Anspruch auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule des Sohnes der Klägerin fehle es an einer rechtlichen Grundlage. Zwar werde nach § 100a Abs. 1 SchG das Fach Ethik für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, als ordentliches Unterrichtsfach eingerichtet. Jedoch setze dies nach § 100a Abs. 3 SchG voraus, dass das Kultusministerium bei Vorliegen der personellen und sächlichen Voraussetzungen durch Rechtsverordnung festgestellt habe, ab welchem Zeitpunkt der Unterricht im Fach Ethik in den einzelnen Schularten und Klassen zu besuchen sei. In der Verordnung des Kultusministeriums über die Stundentafel der Grundschule vom 31.07.2001 (GBl. S. 501), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 05.02.2004 (GBl. S. 82), sei das Fach Ethik in der Grundschule nicht vorgesehen. Ein entsprechender Anspruch lasse sich auch nicht bei Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben im Wege der Auslegung herleiten. Das hilfsweise Normergänzungsbegehren sei als Feststellungsklage zulässig. Die Klägerin habe jedoch weder aus dem Grundgesetz noch aus der Landesverfassung, der EMRK oder ihrem Zusatzprotokoll (ZP) vom 20.03.1952 (BGBl. 1956 II S. 1879, 1880) einen Anspruch gegen den Beklagten auf Ergänzung der Stundentafel in ihrem Sinne.
Gegen das am 19.10.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.11.2011 die Zulassung der Berufung beantragt. Nachdem die Klägerin auf Nachfrage des Senats am 05.10.2012 mitgeteilt hat, dass sich derzeit keiner ihrer Söhne in der Grundschule befinde, jedoch wegen des am 13.06.2007 geborenen Sohnes N... Wiederholungsgefahr und damit ein Feststellungsinteresse bestehe, hat der Senat mit Beschluss vom 05.11.2012 (9 S 3051/11) die Berufung zugelassen.
Auf diesen am 12.11.2012 zugestellten Beschluss hat die Klägerin die Berufung fristgerecht begründet und Anträge gestellt. Sie meint, das Urteil sei fehlerhaft. Der Anspruch auf Durchführung eines Ethikunterrichts ergebe sich aus Art. 7 GG in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Schule und damit auch die Grundschule habe einen umfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrag, der nach Art. 11 LV und § 1 SchG ausdrücklich auch die moralisch-ethische Bildung der Schüler einbeziehe. Hierfür notwendig sei ein sozialer Werte- und Normenunterricht, wie er in Gestalt des Religionsunterrichts für konfessionell gebundene Schüler als ordentliches Schulfach angeboten werde. Die Leitgedanken für evangelische oder katholische Religionslehre in der Grundschule und die vorgegebenen Bildungsziele vermittelten Kompetenzen, die auch für die ethisch-moralische Bildung aller Schüler von größter Bedeutung seien und in keinem anderen Schulfach explizit zum Thema gemacht würden. Dieser Unterricht sei kein Privileg der Kirchen. Vielmehr sei den Kirchen mit der Beibehaltung des Religionsunterrichts als ordentliches Schulfach die Pflicht übertragen worden, die ethisch-moralische Bildung der Kinder in der Schule für den Staat zu leisten. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte des Religionsunterrichts an der Schule. Im christlichen Europa sei die Schulausbildung traditionell von den Kirchen geleistet worden. Erst mit dem Kulturkampf sei die geistliche Schulaufsicht abgeschafft worden. In der Weimarer Verfassung sei die Trennung von Staat und Kirche weiter ausgebaut worden. Allerdings sei auch hier der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach geblieben und die ethisch-moralische Bildung für den Staat weiter von den Kirchen geleistet worden. Diese Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes sei im Grundgesetz beibehalten worden.
Die Verfassung von Baden-Württemberg habe in Art. 12 Abs. 1 als Erziehungsziel die Ehrfurcht vor Gott und die christliche Nächstenliebe verankert. In Art. 12 Abs. 2 LV seien die Religionsgemeinschaften ausdrücklich als Träger der Erziehung benannt. Damit habe der Staat seinen Erziehungsauftrag insoweit an die Kirchen delegiert. Einer solchen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn der Religionsunterricht eine rein innerkirchliche Angelegenheit wäre. Vielmehr habe das Land - wie in Art. 12 LV artikuliert - ein staatliches Interesse an der religiösen Bildung der Heranwachsenden. Dieses könne in einem säkularen Staat unabhängig von der jeweiligen Konfession nur auf das Allgemeine der religiösen Bildung gerichtet sein, welches in der Vermittlung eines sozialen Werte- und Normensystems bestehe. In einer Gesellschaft, in der die konfessionellen Bindungen immer weiter abnähmen, könne der Staat diesen Bildungsauftrag nicht allein den Kirchen überlassen. Dies mache die fast flächendeckende Einführung des Ethikunterrichts parallel oder ergänzend zum Religionsunterricht deutlich. Eine Privilegierung konfessioneller Kinder in der Grundschule sei daher nicht vom Grundgesetz gedeckt. Sie, die entgegen der tendenziösen und aus der Luft gegriffenen Behauptung des Verwaltungsgerichts keine „antireligiöse“, sondern eine „a-religiöse“ Weltanschauung besitze, habe daher das gleiche Recht, für ihre Kinder ethisch-moralischen Unterricht zu erhalten, wie konfessionell gebundene Eltern.
10 
Ohne Zweifel knüpfe die Ungleichbehandlung an das Merkmal des Glaubens bzw. der Weltanschauung an. Die nebenbei in anderen Fächern vermittelte ethisch-moralische Bildung habe nicht die erforderliche Qualität. Fragen, mit denen Kinder schon im Grundschulalter konfrontiert würden, könnten nicht im allgemeinen Unterricht angemessen besprochen werden, wie: „Was ist gerecht, was ist Sterbehilfe, was ist der Tod, wie sind aktuelle Ereignisse wie Fukushima oder ein Amoklauf einzuordnen?“ Es treffe nicht zu, dass konfessionslose Eltern freiwillig ihre Kinder auch in den Religionsunterricht schicken könnten. Hierauf gebe es keinen Anspruch. Abgesehen davon lehne sie den zwingend konfessionsgebundenen Religionsunterricht ab. Aus dem Umstand, dass der Staat mit den Kirchen kooperiere, ergebe sich nicht die Befugnis, nicht religiös gebundene Menschen zu diskriminieren. Die Verordnung des Kultusministeriums über die Stundentafel der Grundschule verstoße daher gegen Art. 7 GG in Verbindung mit dem Gleichheitssatz. Ausnahmsweise könne ein Gericht dies auch durch Ausdehnung der Begünstigung korrigieren. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei eine Änderung nur so rechtlich zulässig. Denn eine Abschaffung des gesamten Ethikunterrichts komme nach § 100a Abs. 1 SchG nicht in Betracht.
11 
Die Klägerin beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 21.09.2011 - 2 K 638/10 - zu ändern und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet war, eine neue Rechtsverordnung nach § 100a Abs. 3 SchG zu erlassen, nach welcher Ethikunterricht an der Grundschule ab der ersten Klasse zu erteilen ist.
13 
Der Beklagte beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Zur Begründung nimmt er Bezug auf das erstinstanzliche Urteil. Ergänzend weist er darauf hin, dass der Staat die religiöse Bildung nicht an die Kirchen delegiert habe. Die in Art. 12 Abs. 2 LV genannten Einrichtungen seien in ihren Bereichen eigenverantwortliche Träger der Erziehung. Auch die Eltern seien dort genannt, denen der Staat gewiss keinen Erziehungsauftrag erteilt habe. Vielmehr stehe er den in Art. 12 Abs. 2 LV genannten Trägern originär zu. Art. 12 Abs. 2 LV lege eine Trennung von staatlichen und kirchlichen Aufgabenbereichen fest und lasse den dort genannten verantwortlichen Trägern der Erziehung einen angemessenen Freiraum. Daraus resultiere der Anspruch der Kirchen auf konfessionellen Unterricht. Darüber hinaus sei zu beachten, dass sich Art. 12 Abs. 1 LV zur christlich orientierten Grundwertung bekenne. Daher habe der Staat ein spezifisches Interesse an der Vermittlung christlicher Werte und nicht eines wie auch immer gestalteten sozialen Werte- und Normensystems. Die Klägerin gehe fehl, wenn sie meine, das Verwaltungsgericht habe versucht, sie quasi „durch die Hintertür“ verpflichten zu wollen, ihre Kinder in einen konfessionell gebundenen Unterricht zu schicken. Dadurch, dass der Staat Menschen mit einer bestimmten Konfession einen Rahmen zur Verfügung stelle, um diese Konfession aktiv zu leben, diskriminiere er nicht diejenigen, die sich nicht entsprechend betätigten. Dies sei in der Rechtsprechung zum Schulgebet klar gestellt. Diejenigen, die sich nicht religiös betätigen wollten, hätten im Rahmen ihrer negativen Religionsfreiheit die Möglichkeit, hiervon Abstand zu nehmen. Jedenfalls sei eine Normergänzung im Sinne der Klägerin nicht möglich.
16 
Dem Senat liegen die einschlägige Akte des Beklagten (1 Heft) sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Freiburg (2 K 638/10) vor. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf diese Akten sowie die im vorliegenden Verfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
I.
18 
Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsklage mit dem Ziel der Ergänzung der Verordnung des Kultusministeriums über die Stundentafel der Grundschule durch den Beklagten zu Recht abgewiesen.
19 
1. Allerdings ist die Änderung des Antrags von der Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses zur Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses nach Eintritt der Erledigung des Rechtsverhältnisses durch das Verlassen der Grundschule durch ihren Sohn E... auch in der Berufungsinstanz zulässig (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO und §§ 125 und 91 VwGO).
20 
2. Auch darüber hinaus ist die Klage zulässig.
21 
Der Verwaltungsrechtsweg für die Feststellungsklage, die auf den Erlass einer Rechtsverordnung abzielt, ist nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass es sich bei einer Klage auf Erlass einer Rechtsverordnung um eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.11.1988 - 7 C 115/86 -, BVerwGE 80, 355).
22 
Die Feststellungsklage ist statthaft (§ 43 Abs. 1 VwGO). Die Klage zielt auf die Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses, nämlich auf die sich aus verschiedenen Grundrechtsbestimmungen während der Dauer des Aufenthalts des Sohnes der Klägerin an der Grundschule ergebende Verpflichtung des Beklagten, aufgrund von § 100a Abs. 3 SchG eine Rechtsverordnung zu erlassen, wonach Ethikunterricht an der Grundschule bereits ab der ersten Klasse erteilt wird. Damit begehrt die Klägerin die Ergänzung der Verordnung des Kultusministeriums über die Stundentafel der Grundschule durch eine Änderungsverordnung. Hierfür ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart (vgl. BVerwG, Urteile vom 03.11.1988, a.a.O., vom 04.07.2002 - 2 C 13/01 -, NVwZ 2002, 1505 f., und vom 30.09.2009 - 8 CN 1/08 -, Juris Rn. 18).
23 
Die Möglichkeit einer Normenkontrolle zum Verwaltungsgerichtshof nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 4 AGVwGO im Falle, dass eine untergesetzliche Landesnorm für rechtswidrig gehalten wird, steht einer solchen Feststellungsklage nicht entgegen. Denn sie zielt nicht auf die Pflicht zur Ergänzung einer Norm, sondern auf die Feststellung von deren Ungültigkeit. Darüber hinaus will § 47 VwGO den Schutz der subjektiv-öffentlichen Rechte des Bürgers nicht einschränken, sondern verbessern (vgl. BVerwG, Urteile vom 03.11.1988, a.a.O., und vom 04.07.2002, a.a.O.; Sodan, in: ders./Ziekow , VwGO, 3. Aufl. 2010, § 42 Rn. 46 ff.; Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer , Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2013, § 43 VwGO, Rn. 14 ff.; Happ, in: Eyermann , VwGO, 13. Aufl. 2010, § 43 Rn. 9c).
24 
Eine Leistungsklage auf Normerlass kommt hier nicht in Betracht. Sie ist daher nicht als vorrangig anzusehen (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Denn eine Feststellungsklage entspricht besser dem im Gewaltenteilungsgrundsatz begründeten Gedanken, dass auf die Entscheidungsfreiheit der rechtsetzenden Organe gerichtlich nur in dem für den Rechtsschutz des Bürgers unumgänglichen Umfang einzuwirken ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1989 - 7 C 4/89 -, NVwZ 1990, 162, 163; Sodan, in: ders./Ziekow , VwGO, 3. Aufl. 2010, § 42 Rn. 49).
25 
Die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog (zu diesem Erfordernis bei der Feststellungsklage vgl. nur v. Albedyll, in: Bader u.a. , VwGO, 5. Aufl. 2011, § 43 Rn. 28 m.w.N.) ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3, Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 2 und 3 GG, Art. 12 Abs. 2, 15 Abs. 3 und Art. 18 Satz 3 LV sowie aus Art. 2 Satz 2 ZP in Verbindung mit Art. 14 EMRK.
26 
Die Klägerin verfügt schließlich über ein Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO), auch wenn es sich um ein vergangenes Rechtsverhältnis handelt. Denn es besteht wegen ihres dritten Sohnes, der im nächsten Schuljahr in die Grundschule kommen soll, Wiederholungsgefahr.
27 
3. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das geltend gemachte Rechtsverhältnis bestand nicht. Die Klägerin konnte vom Beklagten die Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule nicht verlangen.
28 
a) Aus § 100a SchG ergibt sich kein Anspruch auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule.
29 
§ 100a Abs. 1 SchG bestimmt, dass für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, das Fach Ethik als ordentliches Unterrichtsfach eingerichtet wird. Nach § 100a Abs. 2 SchG dient Ethikunterricht der Erziehung der Schüler zu verantwortungsbewusstem und wertbewusstem Verhalten. Sein Inhalt orientiert sich an den Wertvorstellungen und den allgemeinen ethischen Grundsätzen, wie sie in Verfassung und im Erziehungs- und Bildungsauftrag des § 1 SchG niedergelegt sind. Der Unterricht soll diese Vorstellungen und Grundsätze vermitteln sowie Zugang zu philosophischen und religionskundlichen Fragestellungen eröffnen. Nach § 100a Abs. 3 SchG stellt das Kultusministerium bei Vorliegen der personellen und sächlichen Voraussetzungen durch Rechtsverordnung fest, ab welchem Zeitpunkt der Unterricht im Fach Ethik in den einzelnen Schularten und Klassen zu besuchen ist.
30 
Diese Vorschriften gewähren - jedenfalls für sich genommen - den Eltern von Schülern kein subjektives Recht. Vielmehr findet sich dort nur der gesetzgeberische Auftrag an das Kultusministerium, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen den Beginn der Pflicht, das Schulfach Ethik zu besuchen, festzustellen. Die Regelungen des § 100a SchG dienen damit zunächst nur dem objektiven öffentlichen Interesse an der Einführung von Ethikunterricht. Zudem lassen sie dem Kultusministerium hinsichtlich der Einführung der Unterrichtspflicht einen gewissen Spielraum, den dieses mit der Verordnung über die Stundentafel der Grundschule genutzt hat.
31 
b) Auch bei Berücksichtigung der im Grundgesetz, der Landesverfassung oder der EMRK verankerten Grundrechte ergibt sich kein Anspruch der Klägerin auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule.
32 
aa) Dies gilt zunächst mit Blick auf den staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG.
33 
Art. 7 Abs. 1 GG unterstellt das gesamte Schulwesen der Aufsicht des Staates. Damit statuiert er auch die Befugnis zur Planung und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Zu diesem staatlichen Gestaltungsbereich gehört nicht nur die organisatorische Gliederung der Schule, sondern auch die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge und der Unterrichtsziele. Dieser Erziehungsauftrag des Staates, den Art. 7 Abs. 1 GG voraussetzt, hat auch zum Inhalt, das einzelne Kind zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranzubilden (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 06.12.1972 - 1 BvR 230/70 und 95/71 -, BVerfGE 34, 165, 182; Beschluss des Ersten Senats vom 21.12.1977 - 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 -, BVerfGE 47, 46, 71 f.). Zuständig zur näheren Ausgestaltung des Erziehungsauftrags sind die Länder (vgl. Art. 30 und 70 ff. GG).
34 
Art. 12 LV und § 1 Abs. 2 und 4 SchG konkretisieren diesen Bildungsauftrag. Nach Art. 12 Abs. 1 LV ist die Jugend in der Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen. Art. 12 Abs. 2 LV enthält eine Verfassungsgarantie, indem er bestimmt, dass verantwortliche Träger der Erziehung in ihren Bereichen die Eltern, der Staat, die Religionsgemeinschaften, die Gemeinden und die in ihren Bünden gegliederte Jugend sind. Diese Garantie enthält eine Absage an ein staatliches Erziehungsmonopol (vgl. Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1984, Art. 12 Rn. 22) und verstärkt zum Teil bereits anderweitig grundrechtlich abgesicherte Positionen.
35 
Der genannte staatliche Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG sowie aus Art. 12 LV und § 1 SchG ist jedoch objektiv-rechtlich zu verstehen. Eine subjektive Rechtsposition gegenüber dem Staat auf Wahrnehmung dieses Auftrags lässt sich allein aus Art. 7 Abs. 1 GG nicht herleiten. Art. 7 Abs. 1 GG ist kein Grundrecht, sondern eine organisationsrechtliche Norm (vgl. Schmitt-Kammler/Thiel, in: Sachs , GG, 6. Aufl. 2011, Art. 7 Rn. 16). Hinzukommen müsste eine subjektiv-rechtliche Grundrechtsposition der Klägerin.
36 
bb) Der Beklagte ist gegenüber der Klägerin zur Einführung des Schulfachs Ethik auch nicht durch Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG oder Art. 18 Satz 1 und 2 LV verpflichtet.
37 
(1) Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG und entsprechend Art. 18 Satz 1 und 2 LV ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Der Religionsunterricht wird unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft erteilt. Die Religionsgemeinschaften haben unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe der Regelungen in den genannten Bestimmungen gegen den Staat einen Anspruch auf Einrichtung eines ihren Glaubensinhalten entsprechenden Religionsunterrichts. Er ist ein Mittel zur Entfaltung positiver Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Dass daneben auch ein öffentliches Interesse daran besteht, im Religionsunterricht Wissen zu vermitteln und die Schüler zu verantwortungs- und wertbewusstem Handeln anzuleiten, ist für die Herleitung des Anspruchs der Religionsgemeinschaften auf Einrichtung von Religionsunterricht unschädlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.02.2005 - 6 C 2/04 -, BVerwGE 123, 49).
38 
Entgegen der Meinung der Klägerin hat der Staat den Religionsgemeinschaften nicht die Aufgabe übertragen, für ihn für eine ethisch-moralische Bildung zu sorgen. Vielmehr hat Art. 7 Abs. 3 GG den Religionsgemeinschaften einen „staatlichen Raum“ für die eigene Grundrechtsausübung geöffnet. Das Grundgesetz traut den Religionsgemeinschaften zu, Religion als ordentliches Lehrfach in Erfüllung eines legitimen Erziehungs- und Bildungsauftrags zu unterrichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1998 - 6 C 11/97 -, BVerwGE 107, 75, 92). Daher überträgt auch Art. 12 Abs. 2 LV die Aufgabe der Erziehung nicht vom Staat auf die Religionsgemeinschaften und andere Träger der Erziehung. Wie bereits ausgeführt, besitzt der freiheitliche Staat nicht das Monopol zur Erziehung von Kindern (vgl. Braun, in: Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1984, Art. 12 Rn. 24). Vielmehr steht diese Aufgabe in ihren Bereichen auch den Eltern oder Religionsgemeinschaften grundrechtlich abgesichert zu. Der Staat ist - unbeschadet seines Aufsichtsrechts - nur einer von mehreren Trägern der Erziehung (vgl. auch BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 06.12.1972, a.a.O., 183).
39 
Der Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG ist gleichbedeutend mit demjenigen der Religionsgesellschaft in den Bestimmungen der Art. 136 ff. WRV, die gemäß Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes sind. Unter Religionsgemeinschaft ist ein Verband zu verstehen, der die Angehörigen ein- und desselben Glaubensbekenntnisses oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.02.2005, a.a.O., 54). Eine Religionsgemeinschaft scheidet als Partnerin eines vom Staat veranstalteten Religionsunterrichts aus, wenn sie nicht die Gewähr dafür bietet, dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet (vgl. Urteil vom 23.02.2005, a.a.O., 73).
40 
Seine Sonderstellung gegenüber anderen Fächern gewinnt der Religionsunterricht aus dem Übereinstimmungsgebot des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG. Dieses ist so zu verstehen, dass er in „konfessioneller Positivität und Gebundenheit“ zu erteilen ist. Er ist keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25.02.1987 - 1 BvR 47/84 -, BVerfGE 74, 244, 252 f.). Als ein solches Fach ist der Religionsunterricht nach den §§ 96 ff. SchG im Land Baden-Württemberg eingeführt.
41 
Ausgehend von Art. 137 Abs. 7 WRV, der nach Art. 140 GG weiterhin Geltung hat, sowie dem sich aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 LV ergebenden Prinzip der religiösen und weltanschaulichen Neutralität staatlichen Handelns (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -, BVerfGE 93, 1, 16 f.; Urteil des Ersten Senats vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 -, BVerfGE 108, 282, 300; Hollerbach, in: Feuchte , Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1987, Art. 4 Rn. 24) ist im Grundsatz auch Weltanschauungsgemeinschaften unter den für Religionsgemeinschaften geltenden Voraussetzungen ungeachtet des zu eng formulierten Wortlauts von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG sowie von Art. 18 Satz 1 und 2 LV die Möglichkeit zu geben, bekenntnisgebundenen Weltanschauungsunterricht an den staatlichen Schulen zu erteilen (vgl. für Brandenburg: VerfG Bbg., Urteil vom 15.12.2005 - 287/03 -, NVwZ 2006, 1052; Uhle, in: Epping/Hillgruber , BeckOK GG, Art. 7 Abs. 3 Rn. 56.4; Korioth, in: Maunz/Dürig , GG, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV, Rn. 103 ), zumal die Abgrenzung zwischen Religion und Weltanschauung im Einzelfall schwierig sein kann (vgl. nur Kokott, in: Sachs , GG, 6. Aufl. 2011, Art. 4 Rn. 22). Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten und darf sich nicht mit einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft identifizieren (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 24.09.2003, a.a.O., 299 f.). Allerdings muss eine Weltanschauungsgemeinschaft, die bekenntnisgebundenen Unterricht erteilen will, vergleichbare Voraussetzungen aufweisen wie Religionsgemeinschaften (vgl. Heckel, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, Band II, 2001, 379, 396 mit Fußnote 64; Boysen, in: v. Münch/Kunig , GG, 6. Aufl. 2012, Bd. 1, Art. 7 Rn. 83), insbesondere muss ebenfalls ein Zusammenschluss vorliegen, für den ein umfassender inhaltlicher Grundkonsens oder ein Bekenntnis wesentlich ist (vgl. Korioth, a.a.O., m.w.N.).
42 
(2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe kann die Klägerin aufgrund von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG sowie Art. 18 Satz 1 und 2 LV die Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule nicht verlangen.
43 
Denn beim Ethikunterricht handelt es sich nicht um einen bekenntnisgebundenen Religions- oder Weltanschauungsunterricht, sondern um einen bekenntnisneutralen, inhaltlich vom Staat und nicht einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft verantworteten Unterricht (vgl. § 100a Abs. 2 SchG; Senatsurteil vom 02.07.1997 - 9 S 1126/95 -, VBlBW 1998, 15; BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15.03.2007 - 1 BvR 2780/06 -, NVwZ 2008, 72). Damit ist vorliegend auch irrelevant, ob die Klägerin einer Weltanschauungsgemeinschaft angehört und ob sie als Mitglied einer solchen - neben der Gemeinschaft - nach Art. 7 Abs. 3 GG und Art. 18 LV die Einführung von Weltanschauungsunterricht für ihr Kind verlangen könnte (vgl. Uhle, a.a.O., Rn. 69 ff.).
44 
cc) Die Klägerin kann sich zur Begründung des Anspruchs auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule auch nicht auf ein Grundrecht auf Bildung berufen.
45 
(1) Ob aus Art. 2 Abs. 1 GG ein solches Grundrecht auf Bildung hergeleitet werden kann, ist umstritten. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies bereits im Grundsatz bejaht. Es entnimmt dem Recht auf ungehinderte Entfaltung der Persönlichkeit und damit der eigenen Anlagen und Befähigungen aus Art. 2 Abs. 1 GG auch Elemente eines Rechts auf Bildung (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.1974 - VII C 12/74 -, BVerwGE 47, 201, 206, und vom 14.07.1978 - 7 C 11/76 -, BVerwGE 56, 155, 158). Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit der Ableitung eines solchen Rechts aus dem Grundgesetz bislang offen gelassen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22.06.1977 - 1 BvR 799/76 -, BVerfGE 45, 400, 417, und Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 06.08.1996 - 1 BvR 1609/96 -, Juris Rn. 10 ff., 13; für ein solches Recht: Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck , GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 7 Rn 31; verneinend: Murswiek, in: Sachs , GG, 6. Aufl. 2011, Art. 2 Rn. 111). Jedenfalls stünde dem Gesetzgeber wegen des staatlichen Bestimmungsrechts nach Art. 7 Abs. 1 GG ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22.06.1977, a.a.O., 415 bis 417; Robbers, a.a.O., Rn. 32).
46 
Nach Art. 11 Abs. 1 LV hat jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nicht um einen bloßen Programmsatz, sondern um ein klares Verfassungsgebot in erster Linie für die Legislative, aber auch für die Exekutive, wie sich aus Abs. 2, wonach das öffentliche Schulwesen nach diesem Grundsatz zu gestalten ist, und aus Abs. 4 ergibt, wonach das Nähere ein Gesetz regelt (vgl. Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg, Urteil vom 02.08.1969 - Gesch. Reg. Nr. 3/1969 -, ESVGH 20, 1, 3). Darüber hinaus kann aus Art. 11 Abs. 1 LV ein subjektives Teilhaberecht auf Bildung abgeleitet werden, das jedoch im Einzelnen der staatlichen Ausgestaltung bedarf (vgl. Senatsbeschluss vom 10.06.1991 - 9 S 2111/90 -, Juris Rn. 43; Feuchte, in: ders. , Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1987, Art. 11 Rn. 4, 10; Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1984, Art. 11 Rn. 7).
47 
Auch in Art. 2 Satz 1 ZP ist ein Recht auf Bildung garantiert. Es sichert ein Recht auf Zugang zu bestehenden Bildungseinrichtungen und darauf, aus der erhaltenen Ausbildung Nutzen zu ziehen, insbesondere durch amtliche Anerkennung der abgeschlossenen Studien, gibt aber kein Recht darauf, dass bestimmte Schulen geschaffen werden. Die Festlegung und Gestaltung des Lehrprogramms ist grundsätzlich Sache der Vertragsstaaten. Das von Art. 2 Satz 2 ZP garantierte Recht verlangt schon seiner Natur nach eine Regelung durch den Staat. Diesem steht dabei ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (vgl. EGMR, Urteile der Großen Kammer vom 10.11.2005 - Nr. 44774/98 „Leyla Sahin ./. Türkei“ -, NVwZ 2006, 1389, Rn. 152, vom 29.06.2007 - Nr. 15472/02 „Folgerø u.a. ./. Norwegen“, NVwZ 2008, 1217, 1218, und vom 18.03.2011 - Nr. 30814/06 „Lautsi ./. Italien“ -, NVwZ 2011, 737, Rn. 69; Urteil vom 06.10.2009 - Nr. 45216/07 „Appel-Irrgang ./. Deutschland“ -, NVwZ 2010, 1353 f.; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 2 ZP Rn. 6). Ob und in welchem Umfang ein Vertragsstaat Religions- oder Ethikunterricht einführt, fällt nach Art. 2 Satz 1 ZP in seinen Gestaltungsspielraum. Der Staat darf insoweit nur nicht indoktrinieren (vgl. EGMR, Urteil vom 15.06.2010 - Nr. 7710/02 „Grzelak ./. Polen“ -, Rn. 104).
48 
(2) Auf das durch diese Garantien gesicherte Recht auf Bildung kann sich die Klägerin zur Begründung ihres hier geltend gemachten Anspruchs nicht stützen. Denn das Recht auf Bildung steht der betroffenen Person, insbesondere dem jeweiligen Schüler bzw. Studenten, und nicht dessen Eltern zu. Darüber hinaus hat der Beklagte den ihm nach diesen Garantien sowie dem Erziehungs- und Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG zustehenden Gestaltungsspielraum nicht verletzt.
49 
(a) Dem Staat steht nach Art. 7 Abs. 1 GG und Art. 11 LV die Befugnis zur Schaffung von Unterrichtsfächern und Bildungsinhalten und damit auch die Befugnis zur Einführung eines Fachs Ethik zu. Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend gewährleistet und sich damit selber zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt. Die Überlieferung der insoweit maßgeblichen Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster kann dem Staat nicht gleichgültig sein. Das gilt in besonderem Maß für die Schule, in der die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft vornehmlich tradiert und erneuert werden (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16.05.1995, a.a.O., 22; BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O., 79).
50 
(b) Damit ist allerdings nicht gesagt, dass die Ziele eines Ethikunterrichts nur in einem gesondert dafür eingerichteten Unterrichtsfach erreicht werden könnten. Auch vor Einrichtung eines derartigen Faches wurden im Schulunterricht ethische Fragen behandelt, jedoch nur als Teil und im Zusammenhang mit anderen Schulfächern. In Betracht hierfür kamen schon immer die Schulfächer Deutsch, Geschichte, Gemeinschaftskunde und Biologie, aber auch andere. Verfassungsrechtlich ist ein besonderes Fach Ethik gleichwohl nicht zu beanstanden und hält sich im Rahmen der durch Art. 7 Abs. 1 GG begründeten Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O., 79 f.). Das Fach Ethik darf auch ausschließlich für die nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler eingerichtet werden. Geschieht dies, muss das Fach Ethik als ein dem ordentlichen Lehrfach gleichwertiges Fach ausgestaltet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O.).
51 
(c) Die derzeit geltenden Regelungen zur Unterrichtung des Fachs Ethik, die der Beklagte durch seine nach § 100a Abs. 3 SchG erlassenen Rechtsverordnungen getroffen hat, stellen - wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat - ein schlüssiges und umfassendes Konzept dar und gewährleisten im Rahmen des staatlichen Erziehungsauftrags die ethisch-moralische Bildung sowohl der konfessionsgebundenen als auch der konfessionslosen Kinder.
52 
Nach den derzeit geltenden Stundentafel-Verordnungen des Beklagten wird Ethik an Haupt- und Werkrealschulen ab der Klassenstufe 8 (vgl. die Anlage zu § 2 der Werkrealschulverordnung vom 11.04.2012 ), an der Realschule ab Klasse 8 (vgl. die Anlage zu § 1 Abs. 1 der Verordnung des Kultusministeriums über die Stundentafel der Realschule vom 28.04.1994 , zuletzt geändert durch Verordnung vom 08.10.2006, ) sowie am Gymnasium der Normalform ab Klasse 7 und am Gymnasium der Aufbauform ab Klasse 8 unterrichtet (vgl. Anlage 1 und 2 zu § 1 der Stundentafelverordnung Gymnasium vom 23.06.1999 , zuletzt geändert durch Verordnung vom 15.06.2012 ). Daraus wird deutlich, dass der Beklagte den Unterricht in einem gesonderten Fach Ethik erst ab einem Alter von etwa 13 bzw. 14 Jahren für erforderlich hält. Er begründet dies damit, dass jedenfalls ab der „bisweilen schwierigen Zeit der Pubertät“ ein Fach zur Verfügung stehen solle, in dem die Schülerinnen und Schüler über die Grundfragen des menschlichen Lebens nachdenken und sprechen könnten.
53 
Die Sachgemäßheit dieses Zeitpunkts der Einführung des Fachs Ethik wird durch die gesetzgeberische Wertung von § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15.07.1921 (RGBl. S. 939), zuletzt geändert durch Art. 63 des Gesetzes vom 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586), bestätigt. Danach steht dem Kind nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahres die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will. Hat ein Kind das zwölfte Lebensjahr vollendet, so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. Das Fach Ethik wird nach dem derzeitigen Konzept des Verordnungsgebers mithin ab einem Zeitpunkt erteilt, zu dem der junge Mensch in der Lage ist oder beginnt, verstärkt selbstständig über religiöse und weltanschauliche Fragen nachzudenken, und „religionsmündig“ wird (vgl. Germann, in: Epping/Hillgruber , BeckOK GG, Art. 4 Rn. 27; BVerwG, Urteil vom 02.09.1983 - 7 C 169/81 -, BVerwGE 68, 16, 18 f.).
54 
Wenn der Beklagte in den Schuljahren davor die ethisch-moralische Erziehung der Schülerinnen und Schüler entsprechend dem Erziehungsziel von Art. 12 Abs. 1 LV und § 1 Abs. 2 SchG als durch den Unterricht in den übrigen Fächern mitverwirklicht ansieht, kann diese Einschätzung gerichtlich nicht beanstandet werden. So können soziale Regeln durch das Leben und Arbeiten im Klassenverband sowie in den von allen zu besuchenden Fächern, etwa auch im Fach „Bewegung, Spiel und Sport“, erlernt und eingeübt werden und existentielle Lebensfragen auf kindgerechtem Niveau - etwa im Fächerverbund „Mensch, Natur und Kultur“ oder im Fach Deutsch - angesprochen und behandelt werden. Beispielsweise finden sich nach Auskunft des Vertreters des Kultusministeriums in der mündlichen Verhandlung in Lesebüchern im Fach Deutsch Geschichten zum Thema „Tod“ oder „Geburt eines Geschwisterkindes“.
55 
Die Einbeziehung ethisch-moralischer Fragen in den allgemeinen Unterricht der Grundschule entspricht auch dem Bildungsplan 2004 Grundschule. Danach sind im Fach „Mensch, Natur und Kultur“ beispielsweise für die Klasse 2 „Gespräche und Darstellungen zu Sinnfragen“ sowie das „Nachdenken über Freundschaft und Liebe, Glück und Gerechtigkeit“ als Inhalte vorgesehen. Als zu erlernende Kompetenz ist beispielsweise das Erkennen und Respektieren der Rechte anderer genannt (vgl. S. 100 des Bildungsplans). Im Rahmen der Leitgedanken zum Kompetenzerwerb im Fach „Mensch, Natur und Kultur“ wird als zentrale Aufgabe dieses Fächerverbunds im Bildungsplan Folgendes genannt: „Das Philosophieren mit Schülerinnen und Schülern ist Bestandteil des Fächerverbunds und fördert das gegenseitige Zuhören sowie die Dialog- und Urteilsfähigkeit. Es setzt an bei den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler zu staunen und zu fragen und ermöglicht ihnen, Sinnfragen zu stellen und miteinander nach Antworten zu suchen.“ (vgl. S. 97 des Bildungsplans).
56 
Die Ausbildung der Lehrkräfte für die Grundschule berücksichtigt diese Erziehungsaufgabe der Lehrer. Wegen des an den Grundschulen vorherrschenden Klassenlehrerprinzips ist die Ausbildung der Lehrkräfte breit anzulegen (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 3 der Grundschullehramtsprüfungsordnung I - GPO I - vom 20.05.2011 ). Das Studium umfasst nach § 5 Abs. 2 Satz 1 GPO I auch Bildungswissenschaften nach § 7 GPO I. Nach der Anlage zur GPO I müssen die Absolventinnen und Absolventen im Bereich Bildungswissenschaften als Querschnittskompetenz unter anderem Theorien zur Entstehung und Veränderung von Einstellungen kennen und wissen, unter welchen Bedingungen Einstellungen zu Verhalten führen, zum Beispiel im Bereich der Demokratieerziehung, Gewaltprävention und Gesundheitserziehung auch unter Berücksichtigung von Genderaspekten. Im Rahmen der Bildungswissenschaften gehört zum Kompetenzbereich „Erziehen“, dass die Absolventinnen und Absolventen Werte, Normen und institutionelle Bedingungen der demokratischen Gesellschaft kennen und reflektieren und dass sie für menschenrechtliche und demokratische Werte und Normen eintreten. Außerdem müssen sie wissen, wie entsprechende Haltungen und Urteile sowie soziale Kompetenzen und politische Handlungsfähigkeiten von Schülerinnen und Schülern gefördert werden. Zum Bereich Bildungswissenschaften gehört weiter, dass die Absolventinnen und Absolventen die christlichen Grundlagen der europäischen Kultur und des europäischen Bildungsverständnisses kennen und sich damit auseinander setzen. Sie sollen fähig sein zu einer biographisch reflektierten religiösen und weltanschaulichen Positionierung und zu dialogischer Offenheit angesichts religiöser und weltanschaulicher Pluralität und damit verbundener Lebensformen im christlich-religiösen Kontext.
57 
(d) Auch aus dem Umstand, dass staatlicher Religionsunterricht bereits ab der ersten Klasse angeboten wird, folgt nicht, dass das Konzept des Beklagten hinsichtlich des Ethikunterrichts mit Blick auf das Recht auf Bildung bzw. den staatlichen Erziehungsauftrags als unzureichend und fehlerhaft einzuschätzen wäre. Denn dieser bekenntnisgebundene Unterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erteilt, woraus sich die Möglichkeit ergibt, dass diese selbst über Ziel und Inhalt des Unterrichts und damit auch über dessen Beginn bestimmen (vgl. zum Selbstbestimmungsrecht: BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25.02.1987, a.a.O., 254).
58 
dd) Aus dem grundrechtlich geschützten elterlichen Erziehungsrecht kann die Klägerin ebenfalls keinen Anspruch auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule ableiten.
59 
Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet den Eltern das natürliche Recht zur Erziehung ihrer Kinder in jeder Hinsicht, also auch in weltanschaulich-religiöser (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.12.1975 - 1 BvR 63/68 -, BVerfGE 41, 29, 44). Dieses Recht wird durch die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierte Religionsfreiheit gestärkt, die ebenfalls das Recht beinhaltet, den eigenen Kindern die für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu vermitteln (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.12.1975, a.a.O., 47 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15.03.2007, a.a.O., 72 f.). Eine Konsequenz des elterlichen Erziehungsrechts gemäß Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist das Recht der Erziehungsberechtigten, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen (Art. 7 Abs. 2 GG, vgl. Badura, in: Maunz/Dürig , GG, Art. 6 Abs. 2 und 3, Rn. 118 ).
60 
(1) In dieses Recht auf Erziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht wird durch das Fehlen von Ethikunterricht an der Grundschule nicht eingegriffen. Vielmehr ist die Klägerin frei, ihre Kinder nach ihren Wünschen weltanschaulich ohne Einmischung durch den Staat zu erziehen.
61 
Auch wird sie nicht mittelbar unter Verletzung von Art. 7 Abs. 2 GG gezwungen, ihre Kinder in den Religionsunterricht zu schicken. Unzulässig nach Art. 7 Abs. 2 GG ist es, wenn der Staat positiv oder negativ Einfluss auf die Wahl von Religionsunterricht nimmt. Zwar darf er die zusätzliche zeitliche Belastung, die in der Teilnahme am Religionsunterricht liegt, vermindern oder beseitigen, in dem er Schülerinnen und Schüler, die an ihm teilnehmen, vom Ethikunterricht befreit. Allerdings darf der Nicht-Besuch von Religionsunterricht nicht zu curricularen Nachteilen führen (in diesem Sinne: BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O., 88). Grundsätzlich stehen Art. 7 Abs. 2 und 3 GG jedoch der Zulässigkeit der versetzungserheblichen Benotung des Religionsunterrichts nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.07.1973 - VII C 36/71 -, BVerwGE 42, 346).
62 
Aus den in Baden-Württemberg für die Grundschule maßgeblichen Regelungen ergibt sich nicht, dass der Besuch von Religionsunterricht für die betreffenden Schüler zu einem Vorteil bzw. für die diesen Unterricht nicht besuchenden Schüler zu einem Nachteil führt. Der Religionsunterricht ist nach § 1 Abs. 2 der Grundschulversetzungsordnung vom 30.01.1984 (GBl. S. 145), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 08.12.2011 (GBl. S. 562), nicht versetzungserheblich. Auch im Rahmen der Grundschulempfehlung, die für die weiterführende Schulart beratende Bedeutung hat, aber nach § 5 Abs. 2 SchG mittlerweile nicht mehr verbindlich ist, kann durch den Besuch von Religionsunterricht kein Vorteil erlangt werden. Die Note im Fach Religion wird nicht herangezogen, um aufgrund der schulischen Leistungen nach § 1 Abs. 3 Satz 3 der Aufnahmeverordnung vom 08.12.2011 (GBl. S. 562) eine Orientierungshilfe für die empfohlene weiterführende Schulart zu ermitteln. Grundlage ist hier der Notenschnitt in den Fächern Deutsch und Mathematik.
63 
Ob darüber hinaus gehend im Besuch von Religions- oder Weltanschauungsunterricht aufgrund der zeitlichen Belastung oder seiner Inhalte ein Vor- oder ein Nachteil liegt, überlässt das Grundgesetz der freien Entscheidung der Eltern. Jedenfalls kann in dem bloßen Angebot von bekenntnisgebundenem Unterricht durch Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften als solchem keine unzulässige Einflussnahme des Staates hinsichtlich der Teilnahme an einem solchen Unterricht gesehen werden. Dies ergibt sich schon aus den in Art. 7 Abs. 2 und 3 GG enthaltenen Wertungen.
64 
(2) Über diese abwehrrechtliche Funktion hinaus ergibt sich aus dem auch religiöse und weltanschauliche Fragen umfassenden Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG kein Anspruch auf Einführung eines bestimmten Unterrichtsfaches (vgl. Robbers, a.a.O., Art. 6 Rn. 227; Badura, a.a.O., Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 117 art. 7 abs. 1 gg zur bildung und erziehung der kinder ist dem elternrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. weder dem elternrecht noch dem erziehungsauftrag des staates kommt ein absoluter vorrang zu. daher kann der staat grundsätzlich unabhängig von den eltern eigene erziehungsziele verfolgen, ausbildungsgänge festlegen und den unterrichtsstoff bestimmen. den eltern steht dann ein wahlrecht zwischen den vom staat zur verfügung gestellten bildungsformen zu. zudem muss der staat die verantwortung der eltern für den gesamtplan der erziehung ihrer kinder achten (vgl. bverfg, urteil des ersten senats vom 06.12.1972, a.a.o., 183; beschluss des ersten senats vom 21.12.1977, a.a.o., 71 f.; bverwg, urteil vom 13.01.1982 - 7 c 95/80 -, bverwge 64, 308, 313).
65 
Ausgehend hiervon hat die Klägerin auch aus ihrem elterlichen Erziehungsrecht keinen Anspruch auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule. Wie oben bereits ausgeführt, hat der Beklagte seinen sich aus Art. 7 Abs. 1 GG ergebenden Spielraum nicht verletzt.
66 
(3) Aus dem von Art. 12 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 3 LV garantierten Erziehungsrecht ergibt sich ebenfalls kein Anspruch der Klägerin auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule. Das Recht der Klägerin, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mitzubestimmen, wurde bei der Gestaltung des Erziehungs- und Schulwesens durch den Beklagten mit Blick auf den Ethikunterricht hinreichend berücksichtigt. Ein Anspruch auf Einführung eines bestimmten Faches ergibt sich auch aus Art. 15 Abs. 3 LV nicht (vgl. zu Art. 15 Abs. 3 LV: Feuchte, in: ders., a.a.O., Art. 15 Rn. 36; Senatsbeschluss vom 01.07.2008 - 9 S 593/08 -, VBlBW 2009, 22). Das von Art. 18 Satz 3 LV geschützte Recht der Erziehungsberechtigten, über die Teilnahme am Religionsunterricht und an religiösen Feiern zu bestimmen, wird ebenfalls nicht verletzt.
67 
(4) Auch bei Berücksichtigung des von Art. 2 Satz 2 ZP garantierten Elternrechts ergibt sich nichts anderes. Der Staat kann unter Beachtung dieser Garantie zwar einen Ethikunterricht allgemein vorschreiben. Ein Anspruch auf einen solchen Unterricht besteht aber auch nach Art. 2 Satz 2 ZP nicht. Eltern können auch nach dieser Bestimmung vom Staat keine bestimmte Unterrichtsform verlangen (vgl. EGMR, Urteile vom 15.06.2010, a.a.O., Rn. 104 ff., und der Großen Kammer vom 18.03.2011, a.a.O., Rn. 61 f.; Meyer-Ladewig, EMRK, 3 Aufl. 2011, Art. 2 ZP Rn. 9, 11).
68 
ee) Schließlich verletzt der Umstand, dass an der Grundschule noch kein Ethikunterricht erteilt wird, die Klägerin auch nicht in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.
69 
(1) Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verbietet es, jemanden wegen seines Glaubens oder seiner religiösen oder politischen Anschauungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Diese Verfassungsnorm verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie der dem Gesetzgeber darin eingeräumten Gestaltungsfreiheit engere Grenzen zieht. Danach dürfen der Glaube oder religiöse Anschauungen grundsätzlich nicht Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung sein. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt (vgl. zum Merkmal „Geschlecht“: BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25.10.2005 - 2 BvR 524/01 -, BVerfGE 114, 357, 364). Auch wenn Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG die areligiöse Weltanschauung nicht ausdrücklich erwähnt, ist sie von dem besonderen Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG mitumfasst (vgl. Osterloh, in: Sachs , GG, 6. Aufl. 2011, Art. 3 Rn. 302). Dies ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 5 und Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG.
70 
Im Wege der Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht kann eine an diese Merkmale anknüpfende Ungleichbehandlung jedoch gerechtfertigt sein (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25.10.2005, a.a.O.; Beschluss des Ersten Senats vom 24.01.1995 - 1 BvL 18/93 und 5, 6, 7/94, 1 BvR 403 und 569/94 -, BVerfGE 92, 91, 109).
71 
(2) Ausgehend von diesen Maßstäben wird Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht verletzt.
72 
Allerdings liegt in dem Umstand, dass staatlicher Ethikunterricht erst ab Klasse 7 bzw. 8 angeboten wird und die Klägerin bis dahin in erheblichem Umfang selbst für eine „ethisch-moralische“ Erziehung ihrer Kinder sorgen muss, im Vergleich zur Situation von Eltern konfessionsgebundener Kinder, für die derzeit wohl in aller Regel ab der ersten Klasse Religionsunterricht durchgeführt wird, eine Benachteiligung der Klägerin. Dabei wird nicht verkannt, dass die Einführung von Ethikunterricht als ordentliches Lehrfach nicht nur - wie die Klägerin meint - als Vorteil angesehen wird, sondern insoweit eine Schulpflicht auslöst (vgl. § 72 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 100a Abs. 1 SchG) und - wie sich in der Vergangenheit an entsprechenden Einwänden zeigte - von manchen auch als Nachteil empfunden werden kann (vgl. nur die Argumentation des Klägers im Verfahren BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O.). Gleichwohl kommt es hier zunächst auf das Verständnis der Klägerin an, zumal die fehlende Möglichkeit, staatlichen Unterricht zu besuchen, zu Recht generell ein Nachteil im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG sein kann.
73 
Die von der Klägerin beklagte, die elterliche Erziehungsaufgabe berührende Differenzierung wird wohl auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich Ethikunterricht und Religions- bzw. Weltanschauungsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG insofern unterscheiden, als jener bekenntnisneutral durchgeführt wird und inhaltlich vom Staat verantwortet wird, wohingegen Religions- bzw. Weltanschauungsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG bekenntnisgebunden ist und von der jeweiligen Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft verantwortet wird. Denn beide verfolgen schwerpunktmäßig thematisch vergleichbare Erziehungs- und Bildungsziele und sind damit inhaltlich als gleichwertig anzusehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O., 87 f. u. 91).
74 
Die Benachteiligung knüpft entgegen gewisser Zweifel des Verwaltungsgerichts auch an die konkrete Weltanschauung der Klägerin an. Sie hängt nicht allein an der formalen Entscheidung der Klägerin, ihre Kinder nicht zum Religionsunterricht angemeldet zu haben. Auch wenn es vorkommen mag, dass Eltern trotz Konfessionszugehörigkeit ihre Kinder vom Religionsunterricht abmelden sowie nicht-konfessionsgebundene Eltern ihre Kinder zum Religionsunterricht anmelden, wird diese Entscheidung maßgeblich durch eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Haltung geprägt. Darüber hinaus hängt die Teilnahmemöglichkeit am bekenntnisgebundenen Unterricht nicht allein von der Wahl der nicht-konfessionsgebundenen Eltern ab. Es ist verfassungsrechtlich geklärt, dass die Entscheidung über die Teilnahme von Schülern eines anderen Bekenntnisses oder ohne Bekenntnis der jeweils für den Unterricht verantwortlichen Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft obliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.02.1987, a.a.O.).
75 
Allerdings ist in Art. 7 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 7 WRV eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung zu erkennen. Art. 7 Abs. 3 GG geht insofern Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vor, als er bereits eine verfassungsunmittelbare Differenzierung enthält, die an einen bekenntnisgebundenen Tatbestand anknüpft (so mit Blick auf die Befreiung vom Ethikunterricht für bekenntnisgebundene Schüler: BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O., 91 f.). Denn in Art. 7 Abs. 3 GG hat sich der Verfassungsgeber bewusst dafür entschieden, dass bekenntnisgebundener Religions- oder Weltanschauungsunterricht ein ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ist. Wie bereits oben näher ausgeführt, wird dieser Unterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft durchgeführt, die auch über den Beginn des Unterrichts bestimmen können. Würde die Klägerin einer Weltanschauungsgemeinschaft angehören, die vergleichbare Voraussetzungen erfüllt wie Religionsgemeinschaften und in der Lage wäre, den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen entsprechend bekenntnisgebundenen Weltanschauungsunterricht zu erteilen, könnte sie jedenfalls nach der Verfassungslage ihre Kinder an diesem Unterricht teilnehmen lassen (vgl. zu einem Beispiel für wohl weltanschaulichen Unterricht auf der Grundlage von § 96 ff. SchG: Corlazzoli, Religionsunterricht von kleineren Religionsgemeinschaften an öffentlichen Schulen in Deutschland, 2009, 96 ff.).
76 
Art. 7 Abs. 3 GG enthält eine Privilegierung derjenigen Eltern, deren religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen in eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft eingebunden sind, die in der Lage und willens ist, zur Verwirklichung ihrer Religions- und Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und des sich daraus ergebenden Erziehungs- und Bildungsauftrags bekenntnisgebundenen Unterricht als ordentliches Lehrfach anzubieten. Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist nämlich nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet in positivem Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 24.09.2003, a.a.O. 300). Auch aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 ff. WRV ergibt sich, dass das Grundgesetz mit Blick auf die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften von einer „wohlwollenden oder koordinativen Trennung“ vom Staat ausgeht (vgl. Ehlers, in: Sachs , GG, 6. Aufl. 2011, Art. 140 Rn. 9; Korioth, a.a.O., Art. 140 GG, Rn. 31).
77 
Inwieweit es der Staat dagegen in Verwirklichung seines begrenzten Erziehungsauftrags aus Art. 7 Abs. 1 GG für erforderlich hält, hierzu ergänzend allgemeinen oder nur ersatzweisen, für religiös oder weltanschaulich nicht in eine solche Gemeinschaft eingebundene Schüler, Ethikunterricht anzubieten, fällt in seinen Gestaltungsspielraum.
78 
Entgegen der Meinung der Klägerin war dem Verfassungsgeber diese den elterlichen Erziehungsauftrag betreffende Differenzierung und Privilegierung der Betätigung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nach Art. 7 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 7 WRV auch von Anfang an bewusst. Dies ergibt sich aus Art. 7 Abs. 2 GG. Denn die Möglichkeit der Erziehungsberechtigten, ihre Kinder von einem bekenntnisgebundenen Religions- oder Weltanschauungsunterricht abzumelden mit der Folge, in größerem Umfang selbst für die ethisch-moralische Bildung der eigenen Kinder sorgen zu müssen, war bereits bei Schaffung des Grundgesetzes gegeben. Art. 7 Abs. 3 GG rechtfertigt daher weiterhin die Differenzierung, auch wenn seit Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 die Bindung an die großen Religionsgemeinschaften abgenommen hat.
79 
ff) Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG hinsichtlich der Verwirklichung des staatlichen Erziehungsauftrags aus Art. 7 Abs. 1 GG ist damit ebenfalls ausgeschlossen.
80 
gg) Berücksichtigt man das sich aus Art. 9 EMRK und Art. 2 ZP jeweils in Verbindung mit Art. 14 EMRK ergebende Diskriminierungsverbot hinsichtlich der Religion oder Weltanschauung und des elterlichen Erziehungsrechts ergibt sich nichts anderes.
81 
(1) Durch den Umstand, dass der hier betroffene Sohn der Klägerin im Fach Religion keine Schulnote erhält, wird zwar ersichtlich, dass dieser keiner Religionsgemeinschaft angehört, wodurch dessen von Art. 9 EMRK geschützte Religionsfreiheit berührt ist (vgl. EGMR, Urteile vom 15.06.2010, a.a.O., Rn. 88, und vom 17.02.2011 - Nr. 12884/03 „Wasmuth ./. Deutschland“ -, NVwZ 2011, 1503 Rn. 51). Die Klägerin ist jedoch als Mutter hiervon nicht selbst betroffen (vgl. EGMR, Urteil vom 15.06.2010, a.a.O., Rn. 52). Zudem wäre diese Differenzierung nach Art. 14 EMRK gerechtfertigt, weil es sich um eine bloße Information handelt, die keine schulischen Nachteile für den Schüler nach sich zieht (anders im Fall: EGMR, Urteil vom 15.06.2010, a.a.O., Rn. 92-101).
82 
(2) Soweit die Klägerin hinsichtlich ihres elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 2 Satz 2 ZP anders als konfessionsgebundene Eltern behandelt wird und die ethisch-moralische Erziehung ihrer Kinder zunächst in großem Umfang selbst leisten muss, ist dies nach Art. 14 EMRK gerechtfertigt. Nach dieser Konventionsbestimmung ist eine unterschiedliche Behandlung von Personen in vergleichbarer oder rechtserheblich ähnlicher Lage nur diskriminierend, wenn ihr eine sachliche und vernünftige Rechtfertigung fehlt, das heißt wenn sie kein berechtigtes Ziel verfolgt oder wenn kein angemessenes Verhältnis zwischen den angewendeten Mitteln und dem verfolgten Ziel besteht. Die Staaten haben außerdem bei der Beurteilung, ob und in welchem Umfang Unterschiede bei im Übrigen gleichen Sachverhalten eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, einen Beurteilungsspielraum (vgl. EGMR, Urteil vom 29.04.2002 - Nr. 2346/02 „Pretty ./. Vereinigtes Königreich“ -, NJW 2002, 2851, Rn. 88).
83 
Dieser Spielraum ist hier nicht überschritten. Die Vertragsstaaten können - wie bereits oben ausgeführt - im Rahmen von Art. 2 ZP bestimmen, ob und wie sie Religionsunterricht einführen, sofern dieser nicht indoktrinierend wirkt (vgl. EGMR, Urteil vom 15.06.2010, a.a.O., Rn. 104). Dementsprechend gestattet Art. 7 Abs. 3 GG Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf freiwilliger Basis (vgl. Art. 7 Abs. 2 GG) die Durchführung von bekenntnisgebundenem Unterricht. Die Klägerin erleidet dadurch keinen unangemessen Nachteil. Denn immerhin wird ab dem Alter, in dem eine ethisch-moralische Bildung besonders wichtig wird, staatlicher Ethikunterricht erteilt. Auch davor muss sie die ethisch-moralische Erziehung ihrer Kinder nicht völlig allein bewältigen. Denn in nicht unerheblichem Umfang wird dies in den übrigen Unterrichtsfächern grundsätzlich mitgeleistet. Zudem haben die Kinder von der Nichtteilnahme am bekenntnisgebundenen Unterricht keine curricularen Nachteile.
II.
84 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
85 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des §132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
86 
Beschluss vom 23. Januar 2013
87 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 GKG).

Gründe

 
17 
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
I.
18 
Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsklage mit dem Ziel der Ergänzung der Verordnung des Kultusministeriums über die Stundentafel der Grundschule durch den Beklagten zu Recht abgewiesen.
19 
1. Allerdings ist die Änderung des Antrags von der Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses zur Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses nach Eintritt der Erledigung des Rechtsverhältnisses durch das Verlassen der Grundschule durch ihren Sohn E... auch in der Berufungsinstanz zulässig (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO und §§ 125 und 91 VwGO).
20 
2. Auch darüber hinaus ist die Klage zulässig.
21 
Der Verwaltungsrechtsweg für die Feststellungsklage, die auf den Erlass einer Rechtsverordnung abzielt, ist nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass es sich bei einer Klage auf Erlass einer Rechtsverordnung um eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.11.1988 - 7 C 115/86 -, BVerwGE 80, 355).
22 
Die Feststellungsklage ist statthaft (§ 43 Abs. 1 VwGO). Die Klage zielt auf die Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses, nämlich auf die sich aus verschiedenen Grundrechtsbestimmungen während der Dauer des Aufenthalts des Sohnes der Klägerin an der Grundschule ergebende Verpflichtung des Beklagten, aufgrund von § 100a Abs. 3 SchG eine Rechtsverordnung zu erlassen, wonach Ethikunterricht an der Grundschule bereits ab der ersten Klasse erteilt wird. Damit begehrt die Klägerin die Ergänzung der Verordnung des Kultusministeriums über die Stundentafel der Grundschule durch eine Änderungsverordnung. Hierfür ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart (vgl. BVerwG, Urteile vom 03.11.1988, a.a.O., vom 04.07.2002 - 2 C 13/01 -, NVwZ 2002, 1505 f., und vom 30.09.2009 - 8 CN 1/08 -, Juris Rn. 18).
23 
Die Möglichkeit einer Normenkontrolle zum Verwaltungsgerichtshof nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 4 AGVwGO im Falle, dass eine untergesetzliche Landesnorm für rechtswidrig gehalten wird, steht einer solchen Feststellungsklage nicht entgegen. Denn sie zielt nicht auf die Pflicht zur Ergänzung einer Norm, sondern auf die Feststellung von deren Ungültigkeit. Darüber hinaus will § 47 VwGO den Schutz der subjektiv-öffentlichen Rechte des Bürgers nicht einschränken, sondern verbessern (vgl. BVerwG, Urteile vom 03.11.1988, a.a.O., und vom 04.07.2002, a.a.O.; Sodan, in: ders./Ziekow , VwGO, 3. Aufl. 2010, § 42 Rn. 46 ff.; Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer , Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2013, § 43 VwGO, Rn. 14 ff.; Happ, in: Eyermann , VwGO, 13. Aufl. 2010, § 43 Rn. 9c).
24 
Eine Leistungsklage auf Normerlass kommt hier nicht in Betracht. Sie ist daher nicht als vorrangig anzusehen (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Denn eine Feststellungsklage entspricht besser dem im Gewaltenteilungsgrundsatz begründeten Gedanken, dass auf die Entscheidungsfreiheit der rechtsetzenden Organe gerichtlich nur in dem für den Rechtsschutz des Bürgers unumgänglichen Umfang einzuwirken ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1989 - 7 C 4/89 -, NVwZ 1990, 162, 163; Sodan, in: ders./Ziekow , VwGO, 3. Aufl. 2010, § 42 Rn. 49).
25 
Die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog (zu diesem Erfordernis bei der Feststellungsklage vgl. nur v. Albedyll, in: Bader u.a. , VwGO, 5. Aufl. 2011, § 43 Rn. 28 m.w.N.) ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3, Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 2 und 3 GG, Art. 12 Abs. 2, 15 Abs. 3 und Art. 18 Satz 3 LV sowie aus Art. 2 Satz 2 ZP in Verbindung mit Art. 14 EMRK.
26 
Die Klägerin verfügt schließlich über ein Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO), auch wenn es sich um ein vergangenes Rechtsverhältnis handelt. Denn es besteht wegen ihres dritten Sohnes, der im nächsten Schuljahr in die Grundschule kommen soll, Wiederholungsgefahr.
27 
3. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das geltend gemachte Rechtsverhältnis bestand nicht. Die Klägerin konnte vom Beklagten die Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule nicht verlangen.
28 
a) Aus § 100a SchG ergibt sich kein Anspruch auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule.
29 
§ 100a Abs. 1 SchG bestimmt, dass für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, das Fach Ethik als ordentliches Unterrichtsfach eingerichtet wird. Nach § 100a Abs. 2 SchG dient Ethikunterricht der Erziehung der Schüler zu verantwortungsbewusstem und wertbewusstem Verhalten. Sein Inhalt orientiert sich an den Wertvorstellungen und den allgemeinen ethischen Grundsätzen, wie sie in Verfassung und im Erziehungs- und Bildungsauftrag des § 1 SchG niedergelegt sind. Der Unterricht soll diese Vorstellungen und Grundsätze vermitteln sowie Zugang zu philosophischen und religionskundlichen Fragestellungen eröffnen. Nach § 100a Abs. 3 SchG stellt das Kultusministerium bei Vorliegen der personellen und sächlichen Voraussetzungen durch Rechtsverordnung fest, ab welchem Zeitpunkt der Unterricht im Fach Ethik in den einzelnen Schularten und Klassen zu besuchen ist.
30 
Diese Vorschriften gewähren - jedenfalls für sich genommen - den Eltern von Schülern kein subjektives Recht. Vielmehr findet sich dort nur der gesetzgeberische Auftrag an das Kultusministerium, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen den Beginn der Pflicht, das Schulfach Ethik zu besuchen, festzustellen. Die Regelungen des § 100a SchG dienen damit zunächst nur dem objektiven öffentlichen Interesse an der Einführung von Ethikunterricht. Zudem lassen sie dem Kultusministerium hinsichtlich der Einführung der Unterrichtspflicht einen gewissen Spielraum, den dieses mit der Verordnung über die Stundentafel der Grundschule genutzt hat.
31 
b) Auch bei Berücksichtigung der im Grundgesetz, der Landesverfassung oder der EMRK verankerten Grundrechte ergibt sich kein Anspruch der Klägerin auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule.
32 
aa) Dies gilt zunächst mit Blick auf den staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG.
33 
Art. 7 Abs. 1 GG unterstellt das gesamte Schulwesen der Aufsicht des Staates. Damit statuiert er auch die Befugnis zur Planung und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Zu diesem staatlichen Gestaltungsbereich gehört nicht nur die organisatorische Gliederung der Schule, sondern auch die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge und der Unterrichtsziele. Dieser Erziehungsauftrag des Staates, den Art. 7 Abs. 1 GG voraussetzt, hat auch zum Inhalt, das einzelne Kind zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranzubilden (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 06.12.1972 - 1 BvR 230/70 und 95/71 -, BVerfGE 34, 165, 182; Beschluss des Ersten Senats vom 21.12.1977 - 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 -, BVerfGE 47, 46, 71 f.). Zuständig zur näheren Ausgestaltung des Erziehungsauftrags sind die Länder (vgl. Art. 30 und 70 ff. GG).
34 
Art. 12 LV und § 1 Abs. 2 und 4 SchG konkretisieren diesen Bildungsauftrag. Nach Art. 12 Abs. 1 LV ist die Jugend in der Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen. Art. 12 Abs. 2 LV enthält eine Verfassungsgarantie, indem er bestimmt, dass verantwortliche Träger der Erziehung in ihren Bereichen die Eltern, der Staat, die Religionsgemeinschaften, die Gemeinden und die in ihren Bünden gegliederte Jugend sind. Diese Garantie enthält eine Absage an ein staatliches Erziehungsmonopol (vgl. Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1984, Art. 12 Rn. 22) und verstärkt zum Teil bereits anderweitig grundrechtlich abgesicherte Positionen.
35 
Der genannte staatliche Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG sowie aus Art. 12 LV und § 1 SchG ist jedoch objektiv-rechtlich zu verstehen. Eine subjektive Rechtsposition gegenüber dem Staat auf Wahrnehmung dieses Auftrags lässt sich allein aus Art. 7 Abs. 1 GG nicht herleiten. Art. 7 Abs. 1 GG ist kein Grundrecht, sondern eine organisationsrechtliche Norm (vgl. Schmitt-Kammler/Thiel, in: Sachs , GG, 6. Aufl. 2011, Art. 7 Rn. 16). Hinzukommen müsste eine subjektiv-rechtliche Grundrechtsposition der Klägerin.
36 
bb) Der Beklagte ist gegenüber der Klägerin zur Einführung des Schulfachs Ethik auch nicht durch Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG oder Art. 18 Satz 1 und 2 LV verpflichtet.
37 
(1) Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG und entsprechend Art. 18 Satz 1 und 2 LV ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Der Religionsunterricht wird unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft erteilt. Die Religionsgemeinschaften haben unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe der Regelungen in den genannten Bestimmungen gegen den Staat einen Anspruch auf Einrichtung eines ihren Glaubensinhalten entsprechenden Religionsunterrichts. Er ist ein Mittel zur Entfaltung positiver Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Dass daneben auch ein öffentliches Interesse daran besteht, im Religionsunterricht Wissen zu vermitteln und die Schüler zu verantwortungs- und wertbewusstem Handeln anzuleiten, ist für die Herleitung des Anspruchs der Religionsgemeinschaften auf Einrichtung von Religionsunterricht unschädlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.02.2005 - 6 C 2/04 -, BVerwGE 123, 49).
38 
Entgegen der Meinung der Klägerin hat der Staat den Religionsgemeinschaften nicht die Aufgabe übertragen, für ihn für eine ethisch-moralische Bildung zu sorgen. Vielmehr hat Art. 7 Abs. 3 GG den Religionsgemeinschaften einen „staatlichen Raum“ für die eigene Grundrechtsausübung geöffnet. Das Grundgesetz traut den Religionsgemeinschaften zu, Religion als ordentliches Lehrfach in Erfüllung eines legitimen Erziehungs- und Bildungsauftrags zu unterrichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1998 - 6 C 11/97 -, BVerwGE 107, 75, 92). Daher überträgt auch Art. 12 Abs. 2 LV die Aufgabe der Erziehung nicht vom Staat auf die Religionsgemeinschaften und andere Träger der Erziehung. Wie bereits ausgeführt, besitzt der freiheitliche Staat nicht das Monopol zur Erziehung von Kindern (vgl. Braun, in: Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1984, Art. 12 Rn. 24). Vielmehr steht diese Aufgabe in ihren Bereichen auch den Eltern oder Religionsgemeinschaften grundrechtlich abgesichert zu. Der Staat ist - unbeschadet seines Aufsichtsrechts - nur einer von mehreren Trägern der Erziehung (vgl. auch BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 06.12.1972, a.a.O., 183).
39 
Der Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG ist gleichbedeutend mit demjenigen der Religionsgesellschaft in den Bestimmungen der Art. 136 ff. WRV, die gemäß Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes sind. Unter Religionsgemeinschaft ist ein Verband zu verstehen, der die Angehörigen ein- und desselben Glaubensbekenntnisses oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.02.2005, a.a.O., 54). Eine Religionsgemeinschaft scheidet als Partnerin eines vom Staat veranstalteten Religionsunterrichts aus, wenn sie nicht die Gewähr dafür bietet, dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet (vgl. Urteil vom 23.02.2005, a.a.O., 73).
40 
Seine Sonderstellung gegenüber anderen Fächern gewinnt der Religionsunterricht aus dem Übereinstimmungsgebot des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG. Dieses ist so zu verstehen, dass er in „konfessioneller Positivität und Gebundenheit“ zu erteilen ist. Er ist keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25.02.1987 - 1 BvR 47/84 -, BVerfGE 74, 244, 252 f.). Als ein solches Fach ist der Religionsunterricht nach den §§ 96 ff. SchG im Land Baden-Württemberg eingeführt.
41 
Ausgehend von Art. 137 Abs. 7 WRV, der nach Art. 140 GG weiterhin Geltung hat, sowie dem sich aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 LV ergebenden Prinzip der religiösen und weltanschaulichen Neutralität staatlichen Handelns (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -, BVerfGE 93, 1, 16 f.; Urteil des Ersten Senats vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 -, BVerfGE 108, 282, 300; Hollerbach, in: Feuchte , Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1987, Art. 4 Rn. 24) ist im Grundsatz auch Weltanschauungsgemeinschaften unter den für Religionsgemeinschaften geltenden Voraussetzungen ungeachtet des zu eng formulierten Wortlauts von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG sowie von Art. 18 Satz 1 und 2 LV die Möglichkeit zu geben, bekenntnisgebundenen Weltanschauungsunterricht an den staatlichen Schulen zu erteilen (vgl. für Brandenburg: VerfG Bbg., Urteil vom 15.12.2005 - 287/03 -, NVwZ 2006, 1052; Uhle, in: Epping/Hillgruber , BeckOK GG, Art. 7 Abs. 3 Rn. 56.4; Korioth, in: Maunz/Dürig , GG, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV, Rn. 103 ), zumal die Abgrenzung zwischen Religion und Weltanschauung im Einzelfall schwierig sein kann (vgl. nur Kokott, in: Sachs , GG, 6. Aufl. 2011, Art. 4 Rn. 22). Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten und darf sich nicht mit einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft identifizieren (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 24.09.2003, a.a.O., 299 f.). Allerdings muss eine Weltanschauungsgemeinschaft, die bekenntnisgebundenen Unterricht erteilen will, vergleichbare Voraussetzungen aufweisen wie Religionsgemeinschaften (vgl. Heckel, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, Band II, 2001, 379, 396 mit Fußnote 64; Boysen, in: v. Münch/Kunig , GG, 6. Aufl. 2012, Bd. 1, Art. 7 Rn. 83), insbesondere muss ebenfalls ein Zusammenschluss vorliegen, für den ein umfassender inhaltlicher Grundkonsens oder ein Bekenntnis wesentlich ist (vgl. Korioth, a.a.O., m.w.N.).
42 
(2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe kann die Klägerin aufgrund von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG sowie Art. 18 Satz 1 und 2 LV die Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule nicht verlangen.
43 
Denn beim Ethikunterricht handelt es sich nicht um einen bekenntnisgebundenen Religions- oder Weltanschauungsunterricht, sondern um einen bekenntnisneutralen, inhaltlich vom Staat und nicht einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft verantworteten Unterricht (vgl. § 100a Abs. 2 SchG; Senatsurteil vom 02.07.1997 - 9 S 1126/95 -, VBlBW 1998, 15; BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15.03.2007 - 1 BvR 2780/06 -, NVwZ 2008, 72). Damit ist vorliegend auch irrelevant, ob die Klägerin einer Weltanschauungsgemeinschaft angehört und ob sie als Mitglied einer solchen - neben der Gemeinschaft - nach Art. 7 Abs. 3 GG und Art. 18 LV die Einführung von Weltanschauungsunterricht für ihr Kind verlangen könnte (vgl. Uhle, a.a.O., Rn. 69 ff.).
44 
cc) Die Klägerin kann sich zur Begründung des Anspruchs auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule auch nicht auf ein Grundrecht auf Bildung berufen.
45 
(1) Ob aus Art. 2 Abs. 1 GG ein solches Grundrecht auf Bildung hergeleitet werden kann, ist umstritten. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies bereits im Grundsatz bejaht. Es entnimmt dem Recht auf ungehinderte Entfaltung der Persönlichkeit und damit der eigenen Anlagen und Befähigungen aus Art. 2 Abs. 1 GG auch Elemente eines Rechts auf Bildung (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.11.1974 - VII C 12/74 -, BVerwGE 47, 201, 206, und vom 14.07.1978 - 7 C 11/76 -, BVerwGE 56, 155, 158). Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit der Ableitung eines solchen Rechts aus dem Grundgesetz bislang offen gelassen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22.06.1977 - 1 BvR 799/76 -, BVerfGE 45, 400, 417, und Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 06.08.1996 - 1 BvR 1609/96 -, Juris Rn. 10 ff., 13; für ein solches Recht: Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck , GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 7 Rn 31; verneinend: Murswiek, in: Sachs , GG, 6. Aufl. 2011, Art. 2 Rn. 111). Jedenfalls stünde dem Gesetzgeber wegen des staatlichen Bestimmungsrechts nach Art. 7 Abs. 1 GG ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22.06.1977, a.a.O., 415 bis 417; Robbers, a.a.O., Rn. 32).
46 
Nach Art. 11 Abs. 1 LV hat jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nicht um einen bloßen Programmsatz, sondern um ein klares Verfassungsgebot in erster Linie für die Legislative, aber auch für die Exekutive, wie sich aus Abs. 2, wonach das öffentliche Schulwesen nach diesem Grundsatz zu gestalten ist, und aus Abs. 4 ergibt, wonach das Nähere ein Gesetz regelt (vgl. Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg, Urteil vom 02.08.1969 - Gesch. Reg. Nr. 3/1969 -, ESVGH 20, 1, 3). Darüber hinaus kann aus Art. 11 Abs. 1 LV ein subjektives Teilhaberecht auf Bildung abgeleitet werden, das jedoch im Einzelnen der staatlichen Ausgestaltung bedarf (vgl. Senatsbeschluss vom 10.06.1991 - 9 S 2111/90 -, Juris Rn. 43; Feuchte, in: ders. , Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1987, Art. 11 Rn. 4, 10; Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1984, Art. 11 Rn. 7).
47 
Auch in Art. 2 Satz 1 ZP ist ein Recht auf Bildung garantiert. Es sichert ein Recht auf Zugang zu bestehenden Bildungseinrichtungen und darauf, aus der erhaltenen Ausbildung Nutzen zu ziehen, insbesondere durch amtliche Anerkennung der abgeschlossenen Studien, gibt aber kein Recht darauf, dass bestimmte Schulen geschaffen werden. Die Festlegung und Gestaltung des Lehrprogramms ist grundsätzlich Sache der Vertragsstaaten. Das von Art. 2 Satz 2 ZP garantierte Recht verlangt schon seiner Natur nach eine Regelung durch den Staat. Diesem steht dabei ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (vgl. EGMR, Urteile der Großen Kammer vom 10.11.2005 - Nr. 44774/98 „Leyla Sahin ./. Türkei“ -, NVwZ 2006, 1389, Rn. 152, vom 29.06.2007 - Nr. 15472/02 „Folgerø u.a. ./. Norwegen“, NVwZ 2008, 1217, 1218, und vom 18.03.2011 - Nr. 30814/06 „Lautsi ./. Italien“ -, NVwZ 2011, 737, Rn. 69; Urteil vom 06.10.2009 - Nr. 45216/07 „Appel-Irrgang ./. Deutschland“ -, NVwZ 2010, 1353 f.; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 2 ZP Rn. 6). Ob und in welchem Umfang ein Vertragsstaat Religions- oder Ethikunterricht einführt, fällt nach Art. 2 Satz 1 ZP in seinen Gestaltungsspielraum. Der Staat darf insoweit nur nicht indoktrinieren (vgl. EGMR, Urteil vom 15.06.2010 - Nr. 7710/02 „Grzelak ./. Polen“ -, Rn. 104).
48 
(2) Auf das durch diese Garantien gesicherte Recht auf Bildung kann sich die Klägerin zur Begründung ihres hier geltend gemachten Anspruchs nicht stützen. Denn das Recht auf Bildung steht der betroffenen Person, insbesondere dem jeweiligen Schüler bzw. Studenten, und nicht dessen Eltern zu. Darüber hinaus hat der Beklagte den ihm nach diesen Garantien sowie dem Erziehungs- und Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG zustehenden Gestaltungsspielraum nicht verletzt.
49 
(a) Dem Staat steht nach Art. 7 Abs. 1 GG und Art. 11 LV die Befugnis zur Schaffung von Unterrichtsfächern und Bildungsinhalten und damit auch die Befugnis zur Einführung eines Fachs Ethik zu. Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend gewährleistet und sich damit selber zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt. Die Überlieferung der insoweit maßgeblichen Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster kann dem Staat nicht gleichgültig sein. Das gilt in besonderem Maß für die Schule, in der die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft vornehmlich tradiert und erneuert werden (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16.05.1995, a.a.O., 22; BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O., 79).
50 
(b) Damit ist allerdings nicht gesagt, dass die Ziele eines Ethikunterrichts nur in einem gesondert dafür eingerichteten Unterrichtsfach erreicht werden könnten. Auch vor Einrichtung eines derartigen Faches wurden im Schulunterricht ethische Fragen behandelt, jedoch nur als Teil und im Zusammenhang mit anderen Schulfächern. In Betracht hierfür kamen schon immer die Schulfächer Deutsch, Geschichte, Gemeinschaftskunde und Biologie, aber auch andere. Verfassungsrechtlich ist ein besonderes Fach Ethik gleichwohl nicht zu beanstanden und hält sich im Rahmen der durch Art. 7 Abs. 1 GG begründeten Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O., 79 f.). Das Fach Ethik darf auch ausschließlich für die nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler eingerichtet werden. Geschieht dies, muss das Fach Ethik als ein dem ordentlichen Lehrfach gleichwertiges Fach ausgestaltet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O.).
51 
(c) Die derzeit geltenden Regelungen zur Unterrichtung des Fachs Ethik, die der Beklagte durch seine nach § 100a Abs. 3 SchG erlassenen Rechtsverordnungen getroffen hat, stellen - wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat - ein schlüssiges und umfassendes Konzept dar und gewährleisten im Rahmen des staatlichen Erziehungsauftrags die ethisch-moralische Bildung sowohl der konfessionsgebundenen als auch der konfessionslosen Kinder.
52 
Nach den derzeit geltenden Stundentafel-Verordnungen des Beklagten wird Ethik an Haupt- und Werkrealschulen ab der Klassenstufe 8 (vgl. die Anlage zu § 2 der Werkrealschulverordnung vom 11.04.2012 ), an der Realschule ab Klasse 8 (vgl. die Anlage zu § 1 Abs. 1 der Verordnung des Kultusministeriums über die Stundentafel der Realschule vom 28.04.1994 , zuletzt geändert durch Verordnung vom 08.10.2006, ) sowie am Gymnasium der Normalform ab Klasse 7 und am Gymnasium der Aufbauform ab Klasse 8 unterrichtet (vgl. Anlage 1 und 2 zu § 1 der Stundentafelverordnung Gymnasium vom 23.06.1999 , zuletzt geändert durch Verordnung vom 15.06.2012 ). Daraus wird deutlich, dass der Beklagte den Unterricht in einem gesonderten Fach Ethik erst ab einem Alter von etwa 13 bzw. 14 Jahren für erforderlich hält. Er begründet dies damit, dass jedenfalls ab der „bisweilen schwierigen Zeit der Pubertät“ ein Fach zur Verfügung stehen solle, in dem die Schülerinnen und Schüler über die Grundfragen des menschlichen Lebens nachdenken und sprechen könnten.
53 
Die Sachgemäßheit dieses Zeitpunkts der Einführung des Fachs Ethik wird durch die gesetzgeberische Wertung von § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15.07.1921 (RGBl. S. 939), zuletzt geändert durch Art. 63 des Gesetzes vom 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586), bestätigt. Danach steht dem Kind nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahres die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will. Hat ein Kind das zwölfte Lebensjahr vollendet, so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. Das Fach Ethik wird nach dem derzeitigen Konzept des Verordnungsgebers mithin ab einem Zeitpunkt erteilt, zu dem der junge Mensch in der Lage ist oder beginnt, verstärkt selbstständig über religiöse und weltanschauliche Fragen nachzudenken, und „religionsmündig“ wird (vgl. Germann, in: Epping/Hillgruber , BeckOK GG, Art. 4 Rn. 27; BVerwG, Urteil vom 02.09.1983 - 7 C 169/81 -, BVerwGE 68, 16, 18 f.).
54 
Wenn der Beklagte in den Schuljahren davor die ethisch-moralische Erziehung der Schülerinnen und Schüler entsprechend dem Erziehungsziel von Art. 12 Abs. 1 LV und § 1 Abs. 2 SchG als durch den Unterricht in den übrigen Fächern mitverwirklicht ansieht, kann diese Einschätzung gerichtlich nicht beanstandet werden. So können soziale Regeln durch das Leben und Arbeiten im Klassenverband sowie in den von allen zu besuchenden Fächern, etwa auch im Fach „Bewegung, Spiel und Sport“, erlernt und eingeübt werden und existentielle Lebensfragen auf kindgerechtem Niveau - etwa im Fächerverbund „Mensch, Natur und Kultur“ oder im Fach Deutsch - angesprochen und behandelt werden. Beispielsweise finden sich nach Auskunft des Vertreters des Kultusministeriums in der mündlichen Verhandlung in Lesebüchern im Fach Deutsch Geschichten zum Thema „Tod“ oder „Geburt eines Geschwisterkindes“.
55 
Die Einbeziehung ethisch-moralischer Fragen in den allgemeinen Unterricht der Grundschule entspricht auch dem Bildungsplan 2004 Grundschule. Danach sind im Fach „Mensch, Natur und Kultur“ beispielsweise für die Klasse 2 „Gespräche und Darstellungen zu Sinnfragen“ sowie das „Nachdenken über Freundschaft und Liebe, Glück und Gerechtigkeit“ als Inhalte vorgesehen. Als zu erlernende Kompetenz ist beispielsweise das Erkennen und Respektieren der Rechte anderer genannt (vgl. S. 100 des Bildungsplans). Im Rahmen der Leitgedanken zum Kompetenzerwerb im Fach „Mensch, Natur und Kultur“ wird als zentrale Aufgabe dieses Fächerverbunds im Bildungsplan Folgendes genannt: „Das Philosophieren mit Schülerinnen und Schülern ist Bestandteil des Fächerverbunds und fördert das gegenseitige Zuhören sowie die Dialog- und Urteilsfähigkeit. Es setzt an bei den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler zu staunen und zu fragen und ermöglicht ihnen, Sinnfragen zu stellen und miteinander nach Antworten zu suchen.“ (vgl. S. 97 des Bildungsplans).
56 
Die Ausbildung der Lehrkräfte für die Grundschule berücksichtigt diese Erziehungsaufgabe der Lehrer. Wegen des an den Grundschulen vorherrschenden Klassenlehrerprinzips ist die Ausbildung der Lehrkräfte breit anzulegen (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 3 der Grundschullehramtsprüfungsordnung I - GPO I - vom 20.05.2011 ). Das Studium umfasst nach § 5 Abs. 2 Satz 1 GPO I auch Bildungswissenschaften nach § 7 GPO I. Nach der Anlage zur GPO I müssen die Absolventinnen und Absolventen im Bereich Bildungswissenschaften als Querschnittskompetenz unter anderem Theorien zur Entstehung und Veränderung von Einstellungen kennen und wissen, unter welchen Bedingungen Einstellungen zu Verhalten führen, zum Beispiel im Bereich der Demokratieerziehung, Gewaltprävention und Gesundheitserziehung auch unter Berücksichtigung von Genderaspekten. Im Rahmen der Bildungswissenschaften gehört zum Kompetenzbereich „Erziehen“, dass die Absolventinnen und Absolventen Werte, Normen und institutionelle Bedingungen der demokratischen Gesellschaft kennen und reflektieren und dass sie für menschenrechtliche und demokratische Werte und Normen eintreten. Außerdem müssen sie wissen, wie entsprechende Haltungen und Urteile sowie soziale Kompetenzen und politische Handlungsfähigkeiten von Schülerinnen und Schülern gefördert werden. Zum Bereich Bildungswissenschaften gehört weiter, dass die Absolventinnen und Absolventen die christlichen Grundlagen der europäischen Kultur und des europäischen Bildungsverständnisses kennen und sich damit auseinander setzen. Sie sollen fähig sein zu einer biographisch reflektierten religiösen und weltanschaulichen Positionierung und zu dialogischer Offenheit angesichts religiöser und weltanschaulicher Pluralität und damit verbundener Lebensformen im christlich-religiösen Kontext.
57 
(d) Auch aus dem Umstand, dass staatlicher Religionsunterricht bereits ab der ersten Klasse angeboten wird, folgt nicht, dass das Konzept des Beklagten hinsichtlich des Ethikunterrichts mit Blick auf das Recht auf Bildung bzw. den staatlichen Erziehungsauftrags als unzureichend und fehlerhaft einzuschätzen wäre. Denn dieser bekenntnisgebundene Unterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erteilt, woraus sich die Möglichkeit ergibt, dass diese selbst über Ziel und Inhalt des Unterrichts und damit auch über dessen Beginn bestimmen (vgl. zum Selbstbestimmungsrecht: BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25.02.1987, a.a.O., 254).
58 
dd) Aus dem grundrechtlich geschützten elterlichen Erziehungsrecht kann die Klägerin ebenfalls keinen Anspruch auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule ableiten.
59 
Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet den Eltern das natürliche Recht zur Erziehung ihrer Kinder in jeder Hinsicht, also auch in weltanschaulich-religiöser (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.12.1975 - 1 BvR 63/68 -, BVerfGE 41, 29, 44). Dieses Recht wird durch die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierte Religionsfreiheit gestärkt, die ebenfalls das Recht beinhaltet, den eigenen Kindern die für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu vermitteln (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 17.12.1975, a.a.O., 47 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15.03.2007, a.a.O., 72 f.). Eine Konsequenz des elterlichen Erziehungsrechts gemäß Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist das Recht der Erziehungsberechtigten, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen (Art. 7 Abs. 2 GG, vgl. Badura, in: Maunz/Dürig , GG, Art. 6 Abs. 2 und 3, Rn. 118 ).
60 
(1) In dieses Recht auf Erziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht wird durch das Fehlen von Ethikunterricht an der Grundschule nicht eingegriffen. Vielmehr ist die Klägerin frei, ihre Kinder nach ihren Wünschen weltanschaulich ohne Einmischung durch den Staat zu erziehen.
61 
Auch wird sie nicht mittelbar unter Verletzung von Art. 7 Abs. 2 GG gezwungen, ihre Kinder in den Religionsunterricht zu schicken. Unzulässig nach Art. 7 Abs. 2 GG ist es, wenn der Staat positiv oder negativ Einfluss auf die Wahl von Religionsunterricht nimmt. Zwar darf er die zusätzliche zeitliche Belastung, die in der Teilnahme am Religionsunterricht liegt, vermindern oder beseitigen, in dem er Schülerinnen und Schüler, die an ihm teilnehmen, vom Ethikunterricht befreit. Allerdings darf der Nicht-Besuch von Religionsunterricht nicht zu curricularen Nachteilen führen (in diesem Sinne: BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O., 88). Grundsätzlich stehen Art. 7 Abs. 2 und 3 GG jedoch der Zulässigkeit der versetzungserheblichen Benotung des Religionsunterrichts nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.07.1973 - VII C 36/71 -, BVerwGE 42, 346).
62 
Aus den in Baden-Württemberg für die Grundschule maßgeblichen Regelungen ergibt sich nicht, dass der Besuch von Religionsunterricht für die betreffenden Schüler zu einem Vorteil bzw. für die diesen Unterricht nicht besuchenden Schüler zu einem Nachteil führt. Der Religionsunterricht ist nach § 1 Abs. 2 der Grundschulversetzungsordnung vom 30.01.1984 (GBl. S. 145), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 08.12.2011 (GBl. S. 562), nicht versetzungserheblich. Auch im Rahmen der Grundschulempfehlung, die für die weiterführende Schulart beratende Bedeutung hat, aber nach § 5 Abs. 2 SchG mittlerweile nicht mehr verbindlich ist, kann durch den Besuch von Religionsunterricht kein Vorteil erlangt werden. Die Note im Fach Religion wird nicht herangezogen, um aufgrund der schulischen Leistungen nach § 1 Abs. 3 Satz 3 der Aufnahmeverordnung vom 08.12.2011 (GBl. S. 562) eine Orientierungshilfe für die empfohlene weiterführende Schulart zu ermitteln. Grundlage ist hier der Notenschnitt in den Fächern Deutsch und Mathematik.
63 
Ob darüber hinaus gehend im Besuch von Religions- oder Weltanschauungsunterricht aufgrund der zeitlichen Belastung oder seiner Inhalte ein Vor- oder ein Nachteil liegt, überlässt das Grundgesetz der freien Entscheidung der Eltern. Jedenfalls kann in dem bloßen Angebot von bekenntnisgebundenem Unterricht durch Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften als solchem keine unzulässige Einflussnahme des Staates hinsichtlich der Teilnahme an einem solchen Unterricht gesehen werden. Dies ergibt sich schon aus den in Art. 7 Abs. 2 und 3 GG enthaltenen Wertungen.
64 
(2) Über diese abwehrrechtliche Funktion hinaus ergibt sich aus dem auch religiöse und weltanschauliche Fragen umfassenden Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG kein Anspruch auf Einführung eines bestimmten Unterrichtsfaches (vgl. Robbers, a.a.O., Art. 6 Rn. 227; Badura, a.a.O., Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 117 art. 7 abs. 1 gg zur bildung und erziehung der kinder ist dem elternrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. weder dem elternrecht noch dem erziehungsauftrag des staates kommt ein absoluter vorrang zu. daher kann der staat grundsätzlich unabhängig von den eltern eigene erziehungsziele verfolgen, ausbildungsgänge festlegen und den unterrichtsstoff bestimmen. den eltern steht dann ein wahlrecht zwischen den vom staat zur verfügung gestellten bildungsformen zu. zudem muss der staat die verantwortung der eltern für den gesamtplan der erziehung ihrer kinder achten (vgl. bverfg, urteil des ersten senats vom 06.12.1972, a.a.o., 183; beschluss des ersten senats vom 21.12.1977, a.a.o., 71 f.; bverwg, urteil vom 13.01.1982 - 7 c 95/80 -, bverwge 64, 308, 313).
65 
Ausgehend hiervon hat die Klägerin auch aus ihrem elterlichen Erziehungsrecht keinen Anspruch auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule. Wie oben bereits ausgeführt, hat der Beklagte seinen sich aus Art. 7 Abs. 1 GG ergebenden Spielraum nicht verletzt.
66 
(3) Aus dem von Art. 12 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 3 LV garantierten Erziehungsrecht ergibt sich ebenfalls kein Anspruch der Klägerin auf Einführung von Ethikunterricht an der Grundschule. Das Recht der Klägerin, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mitzubestimmen, wurde bei der Gestaltung des Erziehungs- und Schulwesens durch den Beklagten mit Blick auf den Ethikunterricht hinreichend berücksichtigt. Ein Anspruch auf Einführung eines bestimmten Faches ergibt sich auch aus Art. 15 Abs. 3 LV nicht (vgl. zu Art. 15 Abs. 3 LV: Feuchte, in: ders., a.a.O., Art. 15 Rn. 36; Senatsbeschluss vom 01.07.2008 - 9 S 593/08 -, VBlBW 2009, 22). Das von Art. 18 Satz 3 LV geschützte Recht der Erziehungsberechtigten, über die Teilnahme am Religionsunterricht und an religiösen Feiern zu bestimmen, wird ebenfalls nicht verletzt.
67 
(4) Auch bei Berücksichtigung des von Art. 2 Satz 2 ZP garantierten Elternrechts ergibt sich nichts anderes. Der Staat kann unter Beachtung dieser Garantie zwar einen Ethikunterricht allgemein vorschreiben. Ein Anspruch auf einen solchen Unterricht besteht aber auch nach Art. 2 Satz 2 ZP nicht. Eltern können auch nach dieser Bestimmung vom Staat keine bestimmte Unterrichtsform verlangen (vgl. EGMR, Urteile vom 15.06.2010, a.a.O., Rn. 104 ff., und der Großen Kammer vom 18.03.2011, a.a.O., Rn. 61 f.; Meyer-Ladewig, EMRK, 3 Aufl. 2011, Art. 2 ZP Rn. 9, 11).
68 
ee) Schließlich verletzt der Umstand, dass an der Grundschule noch kein Ethikunterricht erteilt wird, die Klägerin auch nicht in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.
69 
(1) Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verbietet es, jemanden wegen seines Glaubens oder seiner religiösen oder politischen Anschauungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Diese Verfassungsnorm verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie der dem Gesetzgeber darin eingeräumten Gestaltungsfreiheit engere Grenzen zieht. Danach dürfen der Glaube oder religiöse Anschauungen grundsätzlich nicht Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung sein. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt (vgl. zum Merkmal „Geschlecht“: BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25.10.2005 - 2 BvR 524/01 -, BVerfGE 114, 357, 364). Auch wenn Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG die areligiöse Weltanschauung nicht ausdrücklich erwähnt, ist sie von dem besonderen Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG mitumfasst (vgl. Osterloh, in: Sachs , GG, 6. Aufl. 2011, Art. 3 Rn. 302). Dies ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 5 und Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG.
70 
Im Wege der Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht kann eine an diese Merkmale anknüpfende Ungleichbehandlung jedoch gerechtfertigt sein (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25.10.2005, a.a.O.; Beschluss des Ersten Senats vom 24.01.1995 - 1 BvL 18/93 und 5, 6, 7/94, 1 BvR 403 und 569/94 -, BVerfGE 92, 91, 109).
71 
(2) Ausgehend von diesen Maßstäben wird Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht verletzt.
72 
Allerdings liegt in dem Umstand, dass staatlicher Ethikunterricht erst ab Klasse 7 bzw. 8 angeboten wird und die Klägerin bis dahin in erheblichem Umfang selbst für eine „ethisch-moralische“ Erziehung ihrer Kinder sorgen muss, im Vergleich zur Situation von Eltern konfessionsgebundener Kinder, für die derzeit wohl in aller Regel ab der ersten Klasse Religionsunterricht durchgeführt wird, eine Benachteiligung der Klägerin. Dabei wird nicht verkannt, dass die Einführung von Ethikunterricht als ordentliches Lehrfach nicht nur - wie die Klägerin meint - als Vorteil angesehen wird, sondern insoweit eine Schulpflicht auslöst (vgl. § 72 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 100a Abs. 1 SchG) und - wie sich in der Vergangenheit an entsprechenden Einwänden zeigte - von manchen auch als Nachteil empfunden werden kann (vgl. nur die Argumentation des Klägers im Verfahren BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O.). Gleichwohl kommt es hier zunächst auf das Verständnis der Klägerin an, zumal die fehlende Möglichkeit, staatlichen Unterricht zu besuchen, zu Recht generell ein Nachteil im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG sein kann.
73 
Die von der Klägerin beklagte, die elterliche Erziehungsaufgabe berührende Differenzierung wird wohl auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich Ethikunterricht und Religions- bzw. Weltanschauungsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG insofern unterscheiden, als jener bekenntnisneutral durchgeführt wird und inhaltlich vom Staat verantwortet wird, wohingegen Religions- bzw. Weltanschauungsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG bekenntnisgebunden ist und von der jeweiligen Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft verantwortet wird. Denn beide verfolgen schwerpunktmäßig thematisch vergleichbare Erziehungs- und Bildungsziele und sind damit inhaltlich als gleichwertig anzusehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O., 87 f. u. 91).
74 
Die Benachteiligung knüpft entgegen gewisser Zweifel des Verwaltungsgerichts auch an die konkrete Weltanschauung der Klägerin an. Sie hängt nicht allein an der formalen Entscheidung der Klägerin, ihre Kinder nicht zum Religionsunterricht angemeldet zu haben. Auch wenn es vorkommen mag, dass Eltern trotz Konfessionszugehörigkeit ihre Kinder vom Religionsunterricht abmelden sowie nicht-konfessionsgebundene Eltern ihre Kinder zum Religionsunterricht anmelden, wird diese Entscheidung maßgeblich durch eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Haltung geprägt. Darüber hinaus hängt die Teilnahmemöglichkeit am bekenntnisgebundenen Unterricht nicht allein von der Wahl der nicht-konfessionsgebundenen Eltern ab. Es ist verfassungsrechtlich geklärt, dass die Entscheidung über die Teilnahme von Schülern eines anderen Bekenntnisses oder ohne Bekenntnis der jeweils für den Unterricht verantwortlichen Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft obliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.02.1987, a.a.O.).
75 
Allerdings ist in Art. 7 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 7 WRV eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung zu erkennen. Art. 7 Abs. 3 GG geht insofern Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vor, als er bereits eine verfassungsunmittelbare Differenzierung enthält, die an einen bekenntnisgebundenen Tatbestand anknüpft (so mit Blick auf die Befreiung vom Ethikunterricht für bekenntnisgebundene Schüler: BVerwG, Urteil vom 17.06.1998, a.a.O., 91 f.). Denn in Art. 7 Abs. 3 GG hat sich der Verfassungsgeber bewusst dafür entschieden, dass bekenntnisgebundener Religions- oder Weltanschauungsunterricht ein ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ist. Wie bereits oben näher ausgeführt, wird dieser Unterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft durchgeführt, die auch über den Beginn des Unterrichts bestimmen können. Würde die Klägerin einer Weltanschauungsgemeinschaft angehören, die vergleichbare Voraussetzungen erfüllt wie Religionsgemeinschaften und in der Lage wäre, den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen entsprechend bekenntnisgebundenen Weltanschauungsunterricht zu erteilen, könnte sie jedenfalls nach der Verfassungslage ihre Kinder an diesem Unterricht teilnehmen lassen (vgl. zu einem Beispiel für wohl weltanschaulichen Unterricht auf der Grundlage von § 96 ff. SchG: Corlazzoli, Religionsunterricht von kleineren Religionsgemeinschaften an öffentlichen Schulen in Deutschland, 2009, 96 ff.).
76 
Art. 7 Abs. 3 GG enthält eine Privilegierung derjenigen Eltern, deren religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen in eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft eingebunden sind, die in der Lage und willens ist, zur Verwirklichung ihrer Religions- und Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und des sich daraus ergebenden Erziehungs- und Bildungsauftrags bekenntnisgebundenen Unterricht als ordentliches Lehrfach anzubieten. Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist nämlich nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet in positivem Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 24.09.2003, a.a.O. 300). Auch aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 ff. WRV ergibt sich, dass das Grundgesetz mit Blick auf die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften von einer „wohlwollenden oder koordinativen Trennung“ vom Staat ausgeht (vgl. Ehlers, in: Sachs , GG, 6. Aufl. 2011, Art. 140 Rn. 9; Korioth, a.a.O., Art. 140 GG, Rn. 31).
77 
Inwieweit es der Staat dagegen in Verwirklichung seines begrenzten Erziehungsauftrags aus Art. 7 Abs. 1 GG für erforderlich hält, hierzu ergänzend allgemeinen oder nur ersatzweisen, für religiös oder weltanschaulich nicht in eine solche Gemeinschaft eingebundene Schüler, Ethikunterricht anzubieten, fällt in seinen Gestaltungsspielraum.
78 
Entgegen der Meinung der Klägerin war dem Verfassungsgeber diese den elterlichen Erziehungsauftrag betreffende Differenzierung und Privilegierung der Betätigung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nach Art. 7 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 7 WRV auch von Anfang an bewusst. Dies ergibt sich aus Art. 7 Abs. 2 GG. Denn die Möglichkeit der Erziehungsberechtigten, ihre Kinder von einem bekenntnisgebundenen Religions- oder Weltanschauungsunterricht abzumelden mit der Folge, in größerem Umfang selbst für die ethisch-moralische Bildung der eigenen Kinder sorgen zu müssen, war bereits bei Schaffung des Grundgesetzes gegeben. Art. 7 Abs. 3 GG rechtfertigt daher weiterhin die Differenzierung, auch wenn seit Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 die Bindung an die großen Religionsgemeinschaften abgenommen hat.
79 
ff) Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG hinsichtlich der Verwirklichung des staatlichen Erziehungsauftrags aus Art. 7 Abs. 1 GG ist damit ebenfalls ausgeschlossen.
80 
gg) Berücksichtigt man das sich aus Art. 9 EMRK und Art. 2 ZP jeweils in Verbindung mit Art. 14 EMRK ergebende Diskriminierungsverbot hinsichtlich der Religion oder Weltanschauung und des elterlichen Erziehungsrechts ergibt sich nichts anderes.
81 
(1) Durch den Umstand, dass der hier betroffene Sohn der Klägerin im Fach Religion keine Schulnote erhält, wird zwar ersichtlich, dass dieser keiner Religionsgemeinschaft angehört, wodurch dessen von Art. 9 EMRK geschützte Religionsfreiheit berührt ist (vgl. EGMR, Urteile vom 15.06.2010, a.a.O., Rn. 88, und vom 17.02.2011 - Nr. 12884/03 „Wasmuth ./. Deutschland“ -, NVwZ 2011, 1503 Rn. 51). Die Klägerin ist jedoch als Mutter hiervon nicht selbst betroffen (vgl. EGMR, Urteil vom 15.06.2010, a.a.O., Rn. 52). Zudem wäre diese Differenzierung nach Art. 14 EMRK gerechtfertigt, weil es sich um eine bloße Information handelt, die keine schulischen Nachteile für den Schüler nach sich zieht (anders im Fall: EGMR, Urteil vom 15.06.2010, a.a.O., Rn. 92-101).
82 
(2) Soweit die Klägerin hinsichtlich ihres elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 2 Satz 2 ZP anders als konfessionsgebundene Eltern behandelt wird und die ethisch-moralische Erziehung ihrer Kinder zunächst in großem Umfang selbst leisten muss, ist dies nach Art. 14 EMRK gerechtfertigt. Nach dieser Konventionsbestimmung ist eine unterschiedliche Behandlung von Personen in vergleichbarer oder rechtserheblich ähnlicher Lage nur diskriminierend, wenn ihr eine sachliche und vernünftige Rechtfertigung fehlt, das heißt wenn sie kein berechtigtes Ziel verfolgt oder wenn kein angemessenes Verhältnis zwischen den angewendeten Mitteln und dem verfolgten Ziel besteht. Die Staaten haben außerdem bei der Beurteilung, ob und in welchem Umfang Unterschiede bei im Übrigen gleichen Sachverhalten eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, einen Beurteilungsspielraum (vgl. EGMR, Urteil vom 29.04.2002 - Nr. 2346/02 „Pretty ./. Vereinigtes Königreich“ -, NJW 2002, 2851, Rn. 88).
83 
Dieser Spielraum ist hier nicht überschritten. Die Vertragsstaaten können - wie bereits oben ausgeführt - im Rahmen von Art. 2 ZP bestimmen, ob und wie sie Religionsunterricht einführen, sofern dieser nicht indoktrinierend wirkt (vgl. EGMR, Urteil vom 15.06.2010, a.a.O., Rn. 104). Dementsprechend gestattet Art. 7 Abs. 3 GG Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf freiwilliger Basis (vgl. Art. 7 Abs. 2 GG) die Durchführung von bekenntnisgebundenem Unterricht. Die Klägerin erleidet dadurch keinen unangemessen Nachteil. Denn immerhin wird ab dem Alter, in dem eine ethisch-moralische Bildung besonders wichtig wird, staatlicher Ethikunterricht erteilt. Auch davor muss sie die ethisch-moralische Erziehung ihrer Kinder nicht völlig allein bewältigen. Denn in nicht unerheblichem Umfang wird dies in den übrigen Unterrichtsfächern grundsätzlich mitgeleistet. Zudem haben die Kinder von der Nichtteilnahme am bekenntnisgebundenen Unterricht keine curricularen Nachteile.
II.
84 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
85 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des §132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
86 
Beschluss vom 23. Januar 2013
87 
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 GKG).

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Die Anträge werden abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die beim sachlich zuständigen Verwaltungsgerichtshof (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) gestellten Anträge, die aufschiebende Wirkung der Klagen der Antragsteller gegen die der Beigeladenen vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg unter Anordnung der sofortigen Vollziehung erteilte 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung (nachfolgend: 2. SAG) für das Kernkraftwerk Obrigheim vom 24.10.2011 wiederherzustellen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO), haben jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der Genehmigung überwiegen das entgegengesetzte Interesse der Antragsteller an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen.
Die Antragsteller haben zur Unterstützung ihres Vorbringens vollinhaltlich auf eine „fachliche Begründung zum Eilantrag bezüglich der 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung“ des Gutachtensbüros ... vom 29.02.2012 verwiesen. Derartige Stellungnahmen und Ausarbeitungen können inhaltlich nicht berücksichtigt werden. Dies folgt aus § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Für die dem anwaltlichen Prozessbevollmächtigten der Antragsteller aufgegebene eigene Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs ist die Bezugnahme auf Ausführungen eines Dritten nicht ausreichend (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.07.1977 - 8 CB 84.76 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 47; Urteil vom 19.05.1998 - 4 A 9.97 - BVerwGE 107, 1). Das Gebot, sich vor dem Verwaltungsgerichtshof durch einen Rechtsanwalt oder eine sonstige postulationsfähige Person vertreten zu lassen, soll die Sachlichkeit des Verfahrens und die sachkundige Erörterung des Streitfalles, insbesondere der entscheidungserheblichen Rechtsfragen, gewährleisten. Das erfordert, dass der anwaltliche Prozessbevollmächtigte in erkennbarer Weise die Verantwortung für den Sachvortrag übernimmt. Daher stellt es keine formgerechte Antragsbegründung dar, wenn der bevollmächtigte Rechtsanwalt sich Ausführungen der von ihm vertretenen Partei oder eines Dritten lediglich zu eigen macht, ohne dass erkennbar wird, dass er eine eigene Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes vorgenommen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.07.1998 - 4 B 140.88 - Buchholz 406.11 § 236 BauGB Nr. 1). Die in der fachlichen Begründung des Gutachters vom 29.02.2012 enthaltenen Ausführungen sind deshalb nur insoweit berücksichtigungsfähig, wie sich der anwaltliche Prozessbevollmächtigte hiermit in der Antragsbegründungsschrift oder den sonstigen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgelegten Schriftsätzen zumindest ansatzweise auseinandergesetzt und sie sich damit im Einzelnen zu eigen gemacht hat.
Keiner abschließenden Klärung bedarf, ob die von dem Antragsgegner und der Beigeladenen aufgeworfenen sonstigen Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Anträge durchgreifen. Jedenfalls bei summarischer Prüfung spricht jedoch vieles dafür, dass die Antragsteller in entsprechender Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt sind. Zwar begründet nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats die bloße Behauptung, es könne ein Reaktorunfall eintreten, der zu der Freisetzung von erheblichen Mengen radioaktiver Stoffe führen könne, noch nicht die Klagebefugnis bzw. die nach gleichen rechtlichen Maßstäben zu beurteilende Antragsbefugnis (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 07.06.1991 - 7 C 43/90 - BVerwGE 88, 286; Urteil des Senats vom 07.03.1995 - 10 S 2822/92 - ZUR 1996, 33 - jeweils m.w.N.). Die Antragsteller machen jedoch noch hinreichend substantiiert geltend, dass bei Durchführung der mit der 2. SAG gestatteten Abbaumaßnahmen Störfälle eintreten können, die zur Freisetzung von Radioaktivitätskonzentrationen führen, die erheblich über dem maßgeblichen Störfallgrenzwert liegen würden, und es deshalb zu einem Schaden an ihren schützenswerten Rechtsgütern kommen kann. Auch dürfte sich ihrem Vorbringen noch entnehmen lassen, dass das zu einem solchen Schaden führende Risiko so hinreichend wahrscheinlich ist, dass hiergegen Vorsorge nach § 7 Abs. 2 Nrn. 3 bzw. 5 AtG i.V.m. § 7 Abs. 3 Satz 2 AtG getroffen werden muss und dass diese Vorsorge als Voraussetzung der angefochtenen Genehmigung ihrer Ansicht nach nicht getroffen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 11.01.1985 - 7 C 74.82 - BVerwGE 70, 365). Ferner dürfte den Antragstellern auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats das erforderliche allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen zustehen. Soweit ersichtlich ist der von der gegenständlichen Genehmigung gedeckte Abbau der Großkomponenten des Primärkreislaufs gegenwärtig noch nicht vollständig abgeschlossen. Diese Fragen bedürfen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keiner abschließenden Klärung. Denn die Anträge haben jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung der 2. SAG vom 24.10.2011 in einer den formellen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet (dazu unter 1.). Bei der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage haben die Antragsteller keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür dargetan, dass die angefochtene Genehmigung entweder in formeller oder materieller Hinsicht rechtswidrig ist und sie in eigenen drittschützenden Rechten verletzt (dazu unter 2.). Schließlich überwiegt das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der 2. SAG auch bei einer von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache losgelösten freien Interessenabwägung das Aussetzungsinteresse der Antragsteller (dazu unter 3.).
1. Die unter A.VI. des angegriffenen Bescheids erklärte Anordnung der sofortigen Vollziehung der 2. SAG unterliegt zunächst mit Blick auf die formellen Begründungsanforderungen keinen durchgreifenden Bedenken.
Zweck des Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist es, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts anzuhalten. Außerdem sollen dem Betroffenen die für die Sofortvollzugsanordnung maßgeblichen Gründe zur Kenntnis gebracht werden, so dass ihm eine Verteidigung seiner Rechte möglich ist. Ferner soll die Begründung der Sofortvollzugsanordnung die Grundlage für eine gerichtliche Kontrolle der Anordnung bilden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.01.2001 - 19 B 1757/00 u.a. - NJW 2001, 3427; Senatsbeschluss vom 24.06.2002 - 10 S 985/02 - VBlBW 2002, 441). Dementsprechend muss aus der Begründung hinreichend nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts den Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt und aus welchen im dringenden öffentlichen Interesse liegenden Gründen sie es für gerechtfertigt oder geboten hält, den durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ansonsten eintretenden vorläufigen Rechtsschutz des Betroffenen einstweilen zurückzustellen. Demgemäß genügen - wie die Antragsteller zu Recht hervorheben - pauschale und nichtssagende formelhafte Wendungen dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht.
Die von dem Antragsgegner verfügte Sofortvollzugsanordnung und deren Begründung genügen den vorstehend bezeichneten Anforderungen. Der Antragsgegner hat zur Begründung der verfügten sofortigen Vollziehung der 2. SAG im Wesentlichen ausgeführt, die sofortige Ausnutzung der Genehmigung entspreche dem Interesse der Allgemeinheit an einem unterbrechungsfreien und zügigen Abbau des stillgelegten Kernkraftwerks Obrigheim (vgl. Begründung der Genehmigung S. 52). Ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Genehmigung bestehe die Gefahr, dass der bereits beschrittene Weg des direkten Abbaus des Kernkraftwerks unterbrochen werde; auch habe die Beigeladene ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der ihr erteilten Genehmigung. Darüber hinaus hat der Antragsgegner eine Interessenabwägung mit den Belangen betroffener Dritter vorgenommen und darauf abgehoben, dass die Genehmigung einen überschaubaren Sachverhalt betreffe und gegen die ebenfalls überschaubaren Risiken ausreichend Vorsorge getroffen worden sei. Mit dieser Begründung hat der Antragsgegner - noch - hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, aus welchen Gründen des öffentlichen Interesses er es für sachgerecht hält, den durch die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage regelmäßig eintretenden Schutz des Betroffenen im Einzelfall zurückzustellen. Weitergehende, auf den Einzelfall bezogene Erwägungen waren in diesem Zusammenhang nicht zwingend anzustellen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO lediglich eine - von der materiellen Prüfung des Bestehens eines Sofortvollzugsinteresses zu unterscheidende - formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung normiert. Ob die insoweit verlautbarten Erwägungen der Behörde inhaltlich zutreffen, ist für die Einhaltung dieses formellen Begründungserfordernisses nicht von Bedeutung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10.12.2010 - 10 S 2173/10 - VBlBW 2011, 196; sowie vom 20.09.2011 - 10 S 625/11 - juris). Das Gericht nimmt im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene Interessenabwägung vor und ist nicht auf die bloße Überprüfung der von der Behörde getroffenen Entscheidung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO beschränkt (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 05.06.2001 - 1 SN 38/01 - NVwZ-RR 2001, 610).
2. Jedenfalls bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage leidet die 2. SAG für das Kernkraftwerk Obrigheim vom 24.10.2011 weder an einem durchgreifenden formellen (dazu unter 2.1) noch an einem materiellen (dazu unter 2.2) Fehler, der die Antragsteller in drittschützenden Rechtspositionen verletzt.
2.1 Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist die 2. SAG nicht bereits deshalb formell rechtswidrig, weil eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung überhaupt nicht (dazu unter 2.1.1) bzw. fehlerhaft durchgeführt wurde (dazu unter 2.1.2) oder eine zwingend notwendige Öffentlichkeitsbeteiligung unterblieben ist (dazu unter 2.1.3).
2.1.1 Zwar können die Antragsteller rügen, eine zwingend notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung sei zu Unrecht unterblieben. Diese Rüge ist jedoch unbegründet, da die mit der 2. SAG genehmigten Stilllegungs- und Abbaumaßnahmen nicht zwingend einer vollständigen Umweltverträglichkeitsprüfung nach der allein in Betracht kommenden Bestimmung der Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG zu unterziehen waren.
10 
2.1.1.1 Zutreffend weisen die Antragsteller darauf hin, dass nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24.11.2011 - 9 A 24.10 - DVBl. 2012, 447) auch von einem Vorhaben lediglich mittelbar Betroffene eine zu Unrecht unterbliebene Umweltverträglichkeitsprüfung oder eine zu Unrecht unterbliebene Vorprüfung des Einzelfalles über die UVP-Pflichtigkeit rügen können, ohne dass es darauf ankommt, ob sich der Fehler im Ergebnis auf ihre Rechtsposition ausgewirkt haben kann. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG u.a. dann verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder eine erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt und nicht in zulässiger Weise nachgeholt worden ist. Nach § 4 Abs. 3 UmwRG gilt dies entsprechend für Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO. Diese Regelungen räumen Individualklägern - abweichend von der früheren Rechtslage (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 13.12.2007 - 4 C 9.06 - BVerwGE 130, 83) - ein subjektives Recht auf Durchführung einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. auf Vorprüfung ein mit der Folge, dass ein Verfahrensfehler als beachtlich einzustufen ist. Danach kann die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung bereits dann verlangt werden, wenn die in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten Verfahrensverstöße vorliegen, ohne dass es darauf ankommt, ob sich diese Verstöße auf die Entscheidung ausgewirkt haben; es handelt sich insoweit um eine Sonderregelung, welche die Relevanz bestimmter Verfahrensverstöße gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht erweitert (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2011 - 9 A 23.10 - a.a.O.). Die Bestimmung des § 4 Abs. 1 UmwRG ist nach ihrem Wortlaut eindeutig in dem Sinne, dass bereits die Nichtdurchführung einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung einen Aufhebungsanspruch begründet. Indem § 4 Abs. 3 UmwRG die Regelung des § 4 Abs. 1 UmwRG auf Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO für entsprechend anwendbar erklärt, bringt er zum Ausdruck, dass auch insoweit das Fehlen einer unterbliebenen Umweltverträglichkeitsprüfung oder einer UVP-Vorprüfung unabhängig von den sonst nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geltenden einschränkenden Maßgaben zur Begründetheit der Klage führt.
11 
2.1.1.2 Zutreffend ist der Antragsgegner davon ausgegangen, dass die mit der 2. SAG genehmigten einzelnen Abbau- und Stilllegungsmaßnahmen nicht einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen waren, sondern dass lediglich eine Vorprüfung des Einzelfalls durchzuführen war. Nach der allein in Betracht kommenden einschlägigen Bestimmung der Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG sind UVP-pflichtig u.a.
12 
„bei ortsfesten Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen die insgesamt geplanten Maßnahmen zur Stilllegung, zum sicheren Einschluss oder zum Abbau der Anlage oder von Anlagenteilen; ausgenommen sind ortsfeste Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen, deren Höchstleistung 1 KW thermische Dauerleistungen nicht überschreitet; einzelne Maßnahmen zur Stilllegung, zum sicheren Einschluss oder zum Abbau der in Halbsatz 1 bezeichneten Anlagen oder von Anlagenteilen gelten als Änderung im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2;“
13 
Danach bestimmt der Wortlaut von Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG eindeutig, dass nur die insgesamt geplanten Maßnahmen nach dieser Bestimmung UVP-pflichtig sind; die einzelnen Maßnahmen zur Stilllegung, zum sicheren Einschluss oder zum Abbau dagegen „gelten als Änderung im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2“. Bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung folgt, dass lediglich vor der Entscheidung über den erstmaligen Antrag auf eine Stilllegungsgenehmigung gemäß § 7 Abs. 3 AtG eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, auch wenn den Antragstellern zuzugeben ist, dass die einschlägige Bestimmung der Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG das Wort „erstmalig“ nicht verwendet. Der 3. Halbsatz der Bestimmung stellt jedoch klar, dass die einzelnen Maßnahmen nur dann UVP-pflichtig sind, wenn die gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG durchzuführende Vorprüfung des Einzelfalls ergibt, dass die einzelnen Maßnahmen erhebliche nachteilige Auswirkungen haben können, die nicht bereits im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung für die Maßnahme insgesamt beurteilt wurden. Haben die einzelnen Maßnahmen nach der Vorprüfung jedoch keine über die insgesamt geplanten Maßnahmen hinausgehenden erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen, bedarf es für sie keiner gesonderten Umweltverträglichkeitsprüfung.
14 
Dieser Befund wird durch eine systematische und historische Gesetzesauslegung bestätigt. Die gesetzliche Regelung der Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG steht im engen systematischen Zusammenhang mit der untergesetzlichen Bestimmung des § 19b der Verordnung über das Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen nach § 7 des Atomgesetzes - Atomrechtliche Verfahrensverordnung (AtVfV). Diese Bestimmung enthält die verfahrensrechtlichen Regelungen für die Erteilung einer Stilllegungsgenehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG. Nach § 19b Abs. 1 AtVfV müssen die Unterlagen, die einem erstmaligen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG beizufügen sind, auch Angaben zu den insgesamt geplanten Maßnahmen zur Stilllegung, zum sicheren Einschluss und zum Abbau der Anlage oder von Anlagenteilen enthalten, die insbesondere die Beurteilung ermöglichen, ob die beantragten Maßnahmen weitere Maßnahmen nicht erschweren oder verhindern und ob eine sinnvolle Reihenfolge der Abbaumaßnahmen vorgesehen ist. Nach § 19b Abs. 1 Satz 2 AtVfV ist in den Unterlagen darzulegen, „wie die geplanten Maßnahmen verfahrensmäßig umgesetzt werden sollen und welche Auswirkungen die Maßnahmen nach dem jeweiligen Planungsstand voraussichtlich auf die in § 1a genannten Schutzgüter haben werden“. Die Verfahrensvorschrift des § 19b Abs. 1 Satz 2 AtVfV bestimmt somit, dass mit dem erstmaligen Eintrag auf Erteilung einer Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG die Auswirkungen der insgesamt geplanten Maßnahmen auf die Schutzgüter der Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem jeweiligen Planungsstand darzulegen sind. Anknüpfend hieran regelt § 19b Abs. 3 AtVfV, dass sich die Umweltverträglichkeitsprüfung auf die insgesamt geplanten Maßnahmen zur Stilllegung und zum Abbau erstreckt. Das der verfahrensrechtlichen Bestimmung des § 19b AtVfV zugrundeliegende Regelungskonzept bestätigt deshalb bei einer systematischen Betrachtung den Wortlautbefund der gesetzlichen Bestimmung der Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG, wonach lediglich die insgesamt geplanten Stillegungsmaßnahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf, spätere Einzelmaßnahmen jedoch als Änderung gelten und deshalb nur vorprüfungspflichtig im Sinne von § 3e Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UVPG sind.
15 
Fehl geht in diesem Zusammenhang der Einwand der Antragsteller, dass eine untergesetzliche Verfahrensregelung wie § 19b AtVfV die höherrangige Gesetzesbestimmung der Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG nicht abändern kann. Die Antragsteller verkennen dabei, dass die Verfahrensbestimmungen der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung nicht das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz abändern, sondern lediglich zu dessen Auslegung herangezogen werden. Im Übrigen ist die Umweltverträglichkeitsprüfung bei atomrechtlichen Genehmigungsverfahren gemäß § 2a Abs. 1 Satz 2 AtG vorrangig nach den Verfahrensvorschriften der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung durchzuführen; dies ist im Hinblick auf die in § 4 UVPG enthaltene Subsidiaritätsklausel rechtlich nicht bedenklich. Eine derartige systematische Betrachtung ist trotz der unterschiedlichen Normenhierarchie der herangezogenen Bestimmungen hier vor allem deshalb statthaft, weil beide Bestimmungen nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers von einem einheitlichen Regelungskonzept getragen werden. Nach der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz (BT-Drs. 14/4599 vom 14.11.2000, S. 115 f.) trägt die neu eingeführte Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für die insgesamt geplanten Maßnahmen zur Stilllegung im weiteren Sinne von Reaktoren der Neuregelung in Anhang I Nr. 2, 2. Anstrich der UVP-Änderungsrichtlinie Rechnung: „Hierzu wird in den geänderten Vorschriften der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung eine Umweltverträglich-keitsprüfung im gestuften Verfahren zur Genehmigung von Errichtung und Betrieb vorgesehen, ohne allerdings die einzelnen Genehmigungen nach § 7 Abs. 1 AtG durch ein vorläufiges positives Gesamturteil als feststellenden Regelungsbestandteil zu verbinden. Damit ist vor Beginn der Stilllegung und des Abbaus im Rahmen der Erteilung der ersten Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die insgesamt vorgesehenen Maßnahmen durchzuführen. Der letzte Halbsatz in Nr. 11.1 stellt in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht klar, dass unbeschadet dessen - bei Reaktoren zusätzlich - in jedem Verfahren zur Erteilung einer Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG die jeweils beantragten Maßnahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedürfen“. Auch die Begründung spricht eher für die Vorstellung des Gesetzgebers, dass lediglich vor Beginn der Stilllegung und des Abbaus im Rahmen der Erteilung der ersten Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die insgesamt vorgesehenen Maßnahmen durchzuführen ist und die späteren Genehmigungen zugeordneten einzelnen Abbauschritte lediglich vorbehaltlich einer nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG durchzuführenden Vorprüfung des Einzelfalles umweltverträglichkeitsprüfungspflichtig sind.
16 
2.1.1.3 Vor Erteilung der 1. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung vom 28.08.2008 hat der Antragsgegner eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt, die sich entsprechend den Vorgaben der Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG auf die insgesamt geplanten Maßnahmen zur Stilllegung und zum Abbau des Kernkraftwerkes bezogen hat. Die 1. SAG enthält unter B.III. (S. 118 ff.) eine zusammenfassende Darstellung und Bewertung der Umweltauswirkungen, die auf der von der Beigeladenen erarbeiteten Umweltverträglichkeitsuntersuchung zum Vorhaben „Stilllegung und Abbau der Anlage KWO (Gesamtvorhaben)“ beruht. Damit sind die insgesamt geplanten Maßnahmen der Stilllegung und zum Abbau des Kernkraftwerks - wie von Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG gefordert - vor Erteilung der 1. SAG einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen worden. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die vor Erteilung der 1. SAG durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung der insgesamt geplanten Maßnahmen fehlerfrei erfolgt ist. Einwendungen gegen die durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung wurden damals weder von Trägern öffentlicher Belange noch von Anwohnern erhoben; auch ist die 1. SAG vom 28.08.2008 in Bestandskraft erwachsen. Damit steht Einwendungen gegen die damals durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung - unabhängig von einer möglichen Präklusion nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AtVfV - bereits die Bestandskraft der 1. SAG entgegen.
17 
2.1.1.4 Entgegen der Auffassung der Antragsteller war vor Erteilung der 2. SAG eine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung nicht deshalb erforderlich, weil diese Genehmigung die 1. SAG vollständig ersetzen sollte bzw. nach dem Willen der Beigeladenen ein völlig eigenständiges Genehmigungsverfahren eröffnet worden sei. Die Antragsteller verkennen in diesem Zusammenhang das Verhältnis der streitgegenständlichen 2. SAG zur bestandskräftig gewordenen 1. SAG vom 28.08.2008. Maßgebend für das Verhältnis der beiden Stilllegungs- und Abbaugenehmigungen zueinander ist der Regelungsinhalt der 2. SAG, wie er sich aus dem Empfängerhorizont vor allem von Drittbetroffenen ergibt. Gerade im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren ist es im Hinblick auf den Einwendungsausschluss für Drittbetroffene nach Ablauf der Auslegungsfrist (§ 7 AtVfV), im gestuften Verfahren darüber hinaus auch durch die Bestandskraft vorangegangener Teilgenehmigungen (§ 7b AtG), rechtsstaatlich geboten, bei der Auslegung von Genehmigungsbescheiden auch auf den Empfängerhorizont potentiell Drittbetroffener abzustellen. Denn sonst obläge Drittbetroffenen zwar eine Anfechtungslast mit allen rechtlichen Nachteilen bei Versäumung von Anfechtungsfristen, ohne dass gewährleistet wäre, dass sie der Anfechtungslast auch tatsächlich nachkommen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.06.1991 - 7 C 43.90 - a.a.O.; Senatsurteil vom 07.03.1995 - 10 S 2822/92 - a.a.O.).
18 
Bei der gerade auch aus Rechtsschutzgründen gebotenen objektiven Auslegung der 2. SAG aus dem Empfängerhorizont eines Drittbetroffenen kann entgegen der Auffassung der Antragsteller keine Rede davon sein, dass die 2. SAG die 1. SAG vollständig abgelöst habe. Vielmehr hat die 2. SAG nach ihrem eindeutigen Tenor und ihrer Begründung lediglich die Vornahme einzelner Abbaumaßnahmen vor allem im Kontrollbereich genehmigt und darüber hinaus das Stilllegungsreglement teilweise geändert. Fehl geht insbesondere die Grundannahme der Antragsteller, die 2. SAG habe den Betrieb des externen Brennelementlagers im sog. „Notstandsgebäude“ (Bau 37) insgesamt und umfassend neu genehmigt.
19 
Bei der Ermittlung des Regelungsinhalts der 2. SAG durch Auslegung ist primär auf den Entscheidungstenor, daneben auf die von der Genehmigungsbehörde gegebene Begründung abzustellen. Dabei ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Bescheidtenors und seiner Systematik mit der gebotenen Eindeutigkeit, dass die 2. SAG die 1. SAG nicht vollständig ersetzen sollte. So gestattet die 2. SAG ausweislich des Bescheidausspruchs in A.I.1.1 (S. 6) „den Abbau der nachfolgend tabellarisch aufgeführten Anlagenteile der Anlage KWO“; insoweit wurde durch die angegriffene 2. SAG der Regelungsinhalt der 1. SAG vom 28.08.2008 erweitert. Zum anderen wird gemäß A.I.1.2 (S. 13) der 2. SAG das Betriebsreglement für die Fortführung des Stilllegungsbetriebs dahingehend geändert, dass die in A.II. Nr. 25 bis Nr. 56 dieser Genehmigung genannten Unterlagen die entsprechenden Unterlagen in A.II. Nr. 16 bis Nr. 48 des Stilllegungsreglements der 1. SAG ersetzen. Die 2. SAG enthält deshalb nach ihrem eindeutigen Tenor lediglich eine gegenständlich beschränkte Änderung des Stilllegungsbetriebs, ohne diesen insgesamt und erneut vollständig zu legalisieren.
20 
Für dieses Verständnis spricht auch die von der Genehmigungsbehörde gegebene Begründung zum Verhältnis der beiden Stilllegungs- und Abbaugenehmigungen zueinander. Der Antragsgegner umschreibt in der beigegebenen Begründung den Genehmigungsumfang dahingehend, das „die 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung neben dem Abbau von Anlagenteilen im Kontrollbereich und von weiteren Anlagenteilen im Überwachungsbereich auch die Fortführung des mit der 1. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung genehmigten Stilllegungsbetriebs nach einem geänderten Stilllegungsreglement“ beinhalte (B.I.2 der 2. SAG, S. 32). Übereinstimmend hiermit stellt die Genehmigung unter B.I.2.2 (S. 34 f. der 2. SAG) klar, dass der mit der 1. SAG genehmigte Stilllegungsbetrieb mit der 2. SAG weiter gilt. Unter B.I.2.3 (S. 36 f. der 2. SAG) grenzt der Antragsgegner den Regelungsumfang der 1. und 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung ausdrücklich voneinander ab. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „die 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung als eine zur 1. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung selbständige Genehmigung neben diese“ trete. Sie löse die für das KWO geltende 1. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung für den weiteren Abbau insoweit ab, als in ihr Festlegungen und Gestattungen aus der 1. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung in Teilen angepasst, übernommen und geändert wurden; daneben enthalte sie die gesamten einhüllenden Gestattungen, die bis zum Ende des gesamten Stilllegungs- und Abbauvorhabens gelten sollten. Damit stellt die Genehmigungsbehörde auch in der Begründung eindeutig klar, dass Gegenstand der 2. SAG im Hinblick auf das Stilllegungsreglement nur die dort ausdrücklich genannten Änderungen sind, nicht jedoch das Stilllegungsreglement insgesamt. Soweit keine Änderungen im Stilllegungsreglement durch die 2. SAG vorgenommen werden, verbleibt es nach der eindeutigen Regelung im Bescheidtenor und der oben wiedergegebenen Begründung vielmehr bei dem Stilllegungsbetrieb entsprechend den Regelungen der bestandskräftigen 1. SAG.
21 
Ein gegenteiliges Verständnis kann auch nicht den sonstigen Regelungselementen des Bescheidtenors entnommen werden. Zutreffend weisen die Antragsteller zwar darauf hin, dass sich die 2. SAG gemäß A.I.1.5 auch auf den Umgang mit sonstigen radioaktiven Stoffen nach § 2 Abs. 1 AtG und mit Kernbrennstoffen nach § 2 Abs. 3 AtG erstreckt. Aus dieser Bestimmung kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die 2. SAG das Betriebsreglement und insbesondere den Betrieb des externen Brennelementlagers vollständig neu regele. Bei der von den Antragstellern herangezogenen Regelung handelt es sich lediglich um die Erstreckung der atomrechtlichen Genehmigung auf einen an sich nach § 7 Abs. 1 StrlSchV genehmigungsbedürftigen Umgang mit Kernbrennstoffen gemäß § 7 Abs. 2 StrlSchV. Soweit eine solche Erstreckung der atomrechtlichen Genehmigung erfolgt, ist eine eigenständige Genehmigung nach § 7 Abs. 1 StrlSchV nicht mehr erforderlich. Bereits aus der Binnensystematik von § 7 StrlSchV und daneben aus dem systematischen Zusammenhang mit den atomrechtlichen Bestimmungen folgt, dass die Erstreckung nur soweit reichen kann, wie die atomrechtliche Genehmigung eine entsprechende Regelung enthält, die erstreckungsfähig ist. Hieraus folgt zugleich, dass die in A.I.1.5 enthaltene Erstreckung gemäß § 7 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StrlSchV nicht weiter reichen kann als die im sonstigen Bescheidtenor enthaltenen atomrechtlichen Gestattungen. Auch in Bezug auf das Stilllegungsreglement kann die Erstreckung deshalb nicht über die durch die 2. SAG genehmigten Änderungen hinausgehen und nicht die Brennelementlagerung im Notstandsgebäude eigenständig regeln.
22 
Entgegen der Auffassung der Antragsteller kann aus der Systematik der in A.III. des Genehmigungstenors beigegebenen Nebenbestimmungen nicht ein abweichendes Verständnis des Genehmigungsumfangs der 2. SAG hergeleitet werden. Zwar beinhalten die Nebenbestimmungen insbesondere in A.III.3. Maßgaben zur Handhabung bestrahlter Brennelemente, die keine Beschränkung auf das Betriebsreglement der 2. SAG erkennen lassen. In der Einleitung zu den verfügten Nebenbestimmungen (S. 18 der 2. SAG) weist die Genehmigungsbehörde aber darauf hin, dass sämtliche Nebenbestimmungen an die Stelle der Nebenbestimmungen der 1. SAG treten und damit für den Gestattungsumfang beider Genehmigungen Geltung beanspruchen sollen. Bereits daraus folgt, dass die Genehmigungsbehörde lediglich aus Gründen der Klarheit sämtliche Nebenbestimmungen wiederholt und zusammengefasst hat, ohne damit eine inhaltlich abweichende Regelung gegenüber der 1. SAG zu treffen.
23 
Ebenso wenig können aus dem Genehmigungsantrag der Beigeladenen vom 15.12.2008 Anhaltspunkte für ein abweichendes Verhältnis der beiden Genehmigungen zueinander hergeleitet werden. Zutreffend weisen die Antragsteller freilich darauf hin, dass die Beigeladene in ihrem ursprünglichen Antragsschreiben vom 15.12.2008 selbst von einem anderen Verständnis der beantragten Genehmigung zu der bestandskräftig erteilten 1. SAG ausgegangen ist. So führte die Beigeladene in dem Antragsschreiben vom 15.12.2008 ausdrücklich aus, „dass die vorliegend beantragte 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung die 1. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung vollständig ablöst und bis zum Ende des gesamten Vorhabens gelten soll“. Damit hat die Beigeladene ihren eindeutigen Willen zum Ausdruck gebracht, dass sie ein umfassendes und vollständig eigenständiges Genehmigungsverfahren in Gang setzen wollte, mit dem das Stilllegungsreglement für das Kernkraftwerk insgesamt einer neuen genehmigungsrechtlichen Grundlage unterstellt werden sollte. Für einen derartigen Willen der Beigeladenen sprechen auch weitere Ausführungen in der Begründung ihres Genehmigungsantrags. Zu Recht weist die Beigeladene aber darauf hin, dass ihr Antragsschreiben vom 15.12.2008 nicht für die Ermittlung des Genehmigungsinhalts der 2. SAG maßgeblich ist. Wie oben näher dargestellt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Ermittlung des Inhalts einer atomrechtlichen Genehmigung gerade aus Rechtsschutzgründen auf den Inhalt der Genehmigungsurkunde selbst abzustellen, vor allem primär auf den Bescheidtenor und daneben die von der Behörde beigegebene Begründung. Auf Umstände außerhalb der Genehmigungsurkunde kann allenfalls untergeordnet und zur Beseitigung von Auslegungszweifeln abgestellt werden, wobei sich die Auslegung dabei freilich nicht in Widerspruch zu dem ausdrücklichen Bescheidinhalt setzen darf. Im Übrigen hat die Beigeladene ihre Ausführungen in dem ursprünglichen Antragsschreiben vom 15.12.2008 im Genehmigungsverfahren nicht aufrecht erhalten, sondern mit Schreiben an den Antragsgegner vom 31.08.2009 berichtigt. Dabei führte die Beigeladene ausdrücklich aus, dass die 2. SAG nunmehr eine zur 1. SAG selbständige Genehmigung darstellen solle; als solche trete die 2. SAG neben die 1. SAG. Regelungen der 1. SAG könnten gegenstandslos und in Teilen angepasst oder übernommen werden (vgl. S. 2 des Anschreibens der Beigeladenen vom 31.08.2009). Von diesem geänderten Verständnis der Beigeladenen ist im Übrigen - wie oben dargestellt - auch die Genehmigungsbehörde in der Begründung der 2. SAG ausgegangen (vgl. S. 37).
24 
Auch der Versuch der Antragsteller, aus den dem Genehmigungsantrag beigefügten Unterlagen ein anderweitiges Verständnis der beiden Genehmigungen zueinander herzuleiten, geht fehl. Zuzugeben ist den Antragstellern zwar, dass der von der Beigeladenen vorgelegte technische Bericht „Stilllegung und Abbau KWO - 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung - Störfallbetrachtung“ des Gutachters ... vom 31.03.2010 offenbar davon ausgeht, dass das Stilllegungsreglement durch die 2. SAG vollständig neu geregelt werden soll. Hierfür spricht, dass der Gutachter in seiner Störfallbetrachtung auch Szenarien berücksichtigt, die lediglich von der 1. SAG umfasste Maßnahmen beinhalten. Auch hier gelten jedoch die oben angestellten Erwägungen, wonach für die Ermittlung des Genehmigungsinhalts primär auf die Genehmigung selbst, nicht jedoch auf die Antragsunterlagen abzustellen ist. Im Übrigen ist der technische Bericht des Gutachters ... weder Grundlage noch Inhalt der 2. SAG; er ist in A.II. der 2. SAG nicht als Genehmigungsgrundlage erwähnt.
25 
Aus ähnlichen Gründen kann auch aus den der Genehmigung zugrundeliegenden Erläuterungsberichten Nrn. 1, 13 und Nr. 15 nicht entnommen werden, dass die 2. SAG den Betrieb des externen Lagerbeckens neu genehmige. Diese Erläuterungsberichte enthalten im Wesentlichen eine Beschreibung des Anlagenzustandes in verschiedener Hinsicht, etwa eine Charakterisierung des radiologischen Ausgangszustands oder eine Beschreibung des Gesamtvorhabens. Es liegt deshalb auf der Hand, dass in diesen Unterlagen technische Beschreibungen enthalten sind, die über den Regelungsinhalt der beantragten 2. SAG hinausgehen. Von diesem Verständnis ist auch der Antragsgegner ausgegangen, der diese Unterlagen unter A.II. der 2. SAG lediglich als Grundlage der Genehmigung, nicht aber als Genehmigungsinhalt aufgeführt hat. Entgegen der Auffassung der Antragsteller kann schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass in dem von der Beigeladenen mit dem Genehmigungsantrag vorgelegten Stilllegungshandbuch der Betrieb des externen Brennelementlagers in Bau 37 wiederholt erwähnt wird, geschlossen werden, der Stilllegungsbetrieb solle mit der 2. SAG insgesamt und umfassend neu geregelt werden. Zum einen ist - wie oben näher dargestellt - aus Rechtsschutzgesichtspunkten zur Ermittlung des Genehmigungsinhalts nicht auf technische Unterlagen wie das Stilllegungshandbuch abzustellen. Zum anderen trägt das neu erstellte Stilllegungshandbuch der Beigeladenen lediglich dem Umstand Rechnung, dass durch die 2. SAG der Stilllegungsbetrieb modifiziert wurde, was im Stilllegungshandbuch zu berücksichtigen war. Schließlich ist bei der hier vorzunehmenden Auslegung der von den Antragstellern herangezogene Schriftwechsel zwischen dem Antragsgegner und dem Bundesministerium für Umwelt unergiebig. Das von den Antragstellern erwähnte e-mail des Bundesumweltministeriums vom 12.10.2011 ist in anderen, nämlich aufsichtlichen Zusammenhängen ergangen und bezieht sich auf den geplanten Abbau von Elementen des externen Brennelementlagers im Notstandsgebäude. Der - nach dem oben Gesagten für die Auslegung der Genehmigung im Übrigen nicht maßgeblichen - Korrespondenz des Antragsgegners mit der Aufsichtsbehörde lässt sich deshalb nichts für die hier in Rede stehende Frage des Umfangs des Betriebsreglements der 2. SAG entnehmen.
26 
Nach alldem kann entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht davon ausgegangen werden, dass die 2. SAG den Stilllegungsbetrieb insgesamt erneut geregelt und dabei den Betrieb des externen Brennelementlagers im Notstandsgebäude eigenständig gestattet hat. Gegenstand des Antrags auf Erteilung der 2. SAG waren deshalb nur die dort im Einzelnen aufgeführten Änderungen des Stilllegungsreglements, nicht jedoch die „insgesamt geplanten Maßnahmen“ im Sinne von Nr. 11.1.1 der Anlage 1 zum UVPG.
27 
2.1.2 Entgegen der Auffassung der Antragsteller leidet die von dem Antragsgegner durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalles nicht an einem zur Aufhebung der Genehmigung führenden relativen Verfahrensfehler. Dabei spricht zwar vieles dafür, dass § 4 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG - anders als die Überschrift nahelegt - keine abschließende Regelung über die Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern enthält, sondern nur die dort genannten Fallgruppen zu absoluten Verfahrensfehlern erklärt, ohne die Beachtlichkeit anderer Verfahrensfehler nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. etwa § 46 VwVfG, § 44a VwGO) auszuschließen (vgl. hierzu näher Urteil des Senats vom 20.07.2011 - 10 S 2102/09 - ZUR 2011, 600 - mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dies bedarf hier jedoch ebenso wenig einer weitergehenden Erörterung wie die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umstrittene Frage, ob ein gegenteiliges Normverständnis mit den unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 85/337/EWG in der durch die Richtlinie 2003/35/EG geänderten Fassung, jetzt Art. 11 RL 2011/92/EU vereinbar ist (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.01.2012 - 7 C 20.11 - NVwZ 2012, 448). Jedenfalls bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung leidet die von dem Antragsgegner durchgeführte Vorprüfung der einzelnen Maßnahmen, die Gegenstand der 2. SAG sind, auf ihre Umweltrelevanz gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG i.V.m. § 3c Satz 1 und 3 UVPG nicht an einem im gerichtlichen Verfahren zu beanstandenden relativen Verfahrensfehler.
28 
2.1.2.1 Beruht die Entscheidung, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung unterbleiben soll, auf einer Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c UVPG, ist gemäß § 3a Satz 4 UVPG die Einschätzung der zuständigen Behörde in einem gerichtlichen Verfahren hinsichtlich der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens ausschließlich daraufhin zu überprüfen, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben von § 3c UVPG durchgeführt worden ist und ob das Ergebnis nachvollziehbar ist. Diese Einschränkung des gerichtlichen Kontrollumfangs gilt auch für alle Fälle der Vorprüfung, in denen auf § 3c UVPG verwiesen wird, mithin auch für die Vorprüfung nach Maßgabe von § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG (vgl. hierzu näher Dienes in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl. 2012, § 3a UVPG RdNr. 26.1). Gemäß der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 551/06, S. 43 f.) soll durch die Regelung des § 3a Satz 4 UVPG dem Umstand Rechnung getragen werden, dass § 3c UVPG der zuständigen Behörde mit der Formulierung „nach Einschätzung der zuständigen Behörde aufgrund überschlägiger Prüfung“ einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumt. Nachvollziehbarkeit im Sinne dieser Vorschrift bedeutet, dass das Ergebnis der behördlichen Prognose nach § 12 UVPG durch ein Gericht nicht auf materielle Richtigkeit, sondern lediglich auf Plausibilität zu überprüfen ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.07.2010 - OVG 11 S 45.09 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 24.02.2010 - 5 Bs 24/10 - UPR 2010, 445). Im gerichtlichen Verfahren zu beanstandende Rechtsfehler, welche die Nachvollziehbarkeit ausschließen, liegen lediglich dann vor, wenn die Vorprüfung entweder Ermittlungsfehler aufweist, die so schwer wiegen, dass sie ersichtlich auf das Ergebnis durchschlagen konnten, oder wenn das Ergebnis außerhalb des Rahmens zulässiger Einschätzung liegt (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 24.02.2010 - 5 Bs 24/10 - a.a.O.).
29 
Jedenfalls bei summarischer Prüfung ist nicht davon auszugehen, dass die von dem Antragsgegner durchgeführte Umweltverträglichkeitsvorprüfung einen derartigen schwerwiegenden Ermittlungs- oder Bewertungsfehler aufweist, der im gerichtlichen Verfahren beanstandet werden könnte. Auch die Antragsteller legen nicht dar, dass die durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls an einem Verfahrensfehler leidet oder deren Ergebnis nicht nachvollziehbar wäre. Die Beigeladene hat die mit der 2. SAG beantragten Einzelmaßnahmen einer Vorprüfung nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3c Satz 1 und 3 UVPG unterzogen und das Ergebnis in dem den Antragsunterlagen beigefügten Bericht vom 11.12.2008 festgehalten. Dabei ist die Beigeladene zu dem Ergebnis gelangt, dass die geplanten Einzelmaßnahmen keine wesentlichen Umweltauswirkungen auf die Schutzgüter des § 1a AtVfV bzw. § 2a UVPG haben. Der Antragsgegner hat - wie sich einem Aktenvermerk vom 26.01.2009 entnehmen lässt - die Vorprüfung der Beigeladenen dahingehend kritisch gewürdigt, ob die relevanten Auswirkungen des Vorhabens der 2. SAG auf die Schutzgüter durch die Ergebnisse der im Rahmen des Gesamtvorhabens durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung vollständig erfasst wurden und abgedeckt sind. Er kam dabei zu dem Ergebnis, dass bei der Ausnutzung der 2. SAG keine umweltrelevanten Wirkungen eintreten, die zu erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen gegenüber den Umweltauswirkungen führen, die Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung im Verfahren zur Erteilung der 1. SAG waren. Dieses Ergebnis hat der Antragsgegner ordnungsgemäß gemäß § 3a Satz 2 UVPG öffentlich bekannt gemacht. Zutreffend weisen die Antragsteller freilich darauf hin, dass der Prüfvermerk des Antragsgegners vom 26.01.2009 über die Plausibilität der durchgeführten Vorprüfung sehr knapp gehalten ist, weshalb die von der Genehmigungsbehörde in diesem Zusammenhang im Einzelnen angestellten Erwägungen nicht vollständig nachvollzogen werden können. Dies führt jedenfalls bei summarischer Prüfung gleichwohl nicht zu einem im gerichtlichen Verfahren zu beanstandenden Fehler im oben dargestellten Sinne, da die von der Beigeladenen durchgeführten Vorprüfungen in ihrem Bericht vom 11.12.2008 wesentlich detaillierter dargestellt sind und die Behörde sich ersichtlich diese Erwägungen zu Eigen gemacht hat.
30 
2.1.2.2. Entgegen der Auffassung der Antragsteller enthält die 2. SAG bei summarischer Sachverhaltsprüfung keine relevanten Änderungen gegenüber der im Rahmen der Erteilung der 1. SAG durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung, die eine zumindest teilweise neue Verträglichkeitsprüfung erforderlich gemacht hätten. Vielmehr hält sich der mit der 2. SAG genehmigte Abbau und die Änderungen des Stilllegungsreglements im Rahmen der im Antrag zur 1. SAG dargestellten insgesamt geplanten Maßnahmen, die Gegenstand der durchgeführten Prüfung nach Nr. 11.1 der Anlage 1 zum UVPG waren.
31 
Eine wesentliche Abänderung des mit der 2. SAG genehmigten Vorhabens gegenüber der im Rahmen der 1. SAG dargelegten Gesamtmaßnahme kann nicht in der Errichtung der Materialschleuse zum Reaktorgebäude gesehen werden. Der Bau der neuen Materialschleuse ist nicht Gegenstand der 2. SAG, sondern wurde mit einer bestandskräftigen Änderungsgenehmigung zur 1. SAG vom 21.04.2010 legalisiert. Bereits aufgrund der Bestandskraft dieser Änderungsgenehmigung kann die Errichtung der Materialschleuse als solche nicht als den Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung überschreitende Änderung angesehen werden. In diesem Zusammenhang ist deshalb lediglich die Umweltrelevanz von Änderungen des Betriebsreglements zu betrachten, die durch die Errichtung der Materialschleuse eingetreten sind. Bei summarischer Prüfung dürfte der Antragsgegner zutreffend davon ausgegangen sein, dass durch die wohl untergeordneten Änderungen des Betriebsreglements durch Errichtung der neuen Materialschleuse keine derartigen umweltrelevanten Auswirkungen eintreten können, die den Rahmen der bei Erteilung der 1. SAG insgesamt geprüften Maßnahmen überschreiten. Hiergegen spricht, dass bereits im Sicherheitsbericht zur 1. SAG vom 19.05.2006 davon ausgegangen wurde, dass im Zuge der Abbaumaßnahmen bauliche Änderungen im Reaktorgebäude notwendig werden können (vgl. S. 112 des Sicherheitsberichts zur 1. SAG).
32 
Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist auch durch die abweichende Gestaltung der einzelnen Genehmigungsschritte keine wesentliche Änderung der insgesamt geplanten Maßnahmen eingetreten, die Gegenstand der 1. SAG und der Umweltverträglichkeitsprüfung vor deren Erteilung waren. Zutreffend weisen die Antragsteller in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Beigeladene mit ihrem Antrag zur Erteilung der 2. SAG von den Genehmigungsschritten abweicht, welche im Sicherheitsbericht zur 1. SAG vom 19.05.2006 und dem damaligen Genehmigungsantrag dargestellt waren. Insbesondere hat der damalige Genehmigungsantrag vorgesehen, dass in einem umfassenderen 2. Abbauschritt die stärker aktivierten Anlagenteile des Kon-trollbereichs vollständig abgebaut werden sollen, vor allem auch der Reaktordruckbehälter (vgl. die Darstellung der vorgesehenen Genehmigungsschritte im Sicherheitsbericht vom 19.05.2006, S. 12, 15 und 16). Von diesem ursprünglich geplanten Verfahrensablauf weicht der Antrag der Beigeladenen zur Erteilung der 2. SAG insoweit ab, als nunmehr ein weiterer Genehmigungsschritt vorgesehen wird und mit der beantragten 2. SAG lediglich ein Teil der aktivierten Anlagenteile im Kontrollbereich abgebaut werden soll. So soll die 2. SAG nur noch den Abbau des Reaktordruckbehälterdeckels, nicht jedoch des stark aktivierten Reaktordruckbehälterunterteils, der Reaktoreinbauten sowie des biologischen Schilds im Kontrollbereich umfassen; diese Abbaumaßnahmen sollen vielmehr einer bereits beantragten, jedoch noch nicht erteilten 3. SAG vorbehalten bleiben.
33 
Durch diese geänderte Genehmigungsabfolge wird indes nicht der mit der 1. SAG geprüfte Gesamtumfang der geplanten Maßnahmen mit der Folge verlassen, dass nunmehr eine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung des Vorhabens zu erfolgen hätte. Zum einen hat die Beigeladene bereits in ihrem Sicherheitsbericht vom 19.05.2006 (S. 16) explizit darauf hingewiesen, dass bei der für den zweiten Genehmigungsschritt noch durchzuführenden Detailabbauplanung sich unter Berücksichtigung der Verfahrensökonomie und von technischen Notwendigkeiten ergeben könne, dass zur Umsetzung der Abbauarbeiten im zweiten Abbauschritt mehr als nur ein Genehmigungsantrag erforderlich werde. Aufgrund dieser Angaben im Sicherheitsbericht stand bereits bei Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung des Gesamtvorhabens im Rahmen der 1. SAG fest, dass die vorgesehenen Genehmigungsschritte keine verbindliche Planung darstellen. Zum anderen weisen der Antragsgegner und die Beigeladene zutreffend darauf hin, dass allein eine geänderte Abfolge der zu beantragenden Genehmigungen und die Zuordnung der Abbauschritte hierzu nicht zu relevanten Umweltauswirkungen führen kann. Maßgeblich hierfür ist allein, ob die mit der ursprünglichen Planung vorgesehenen konkreten Abbaumaßnahmen bzw. Abbauschritte eingehalten werden oder ob auch insoweit eine relevante Änderung eingetreten ist. Wie sich der Darstellung der Abbaufolge auf S. 76 f. des Sicherheitsberichts vom 19.05.2006 entnehmen lässt, wird durch die geänderte Aufteilung der Genehmigungsschritte nicht von den technisch vorgesehenen Abbaumaßnahmen abgewichen. Im Übrigen wies die Beigeladene bei der Beschreibung des zweiten Abbauschritts (S. 90 f. des Sicherheitsberichts) bereits darauf hin, dass die konkrete Abbaufolge erst im Rahmen der Detailplanung des 2. Abbauschritts festgelegt werden könne. Durch die mit der 2. SAG vorgenommene Modifizierung tritt deshalb keine Änderung der technischen Abbauplanung ein, sondern lediglich eine Verschiebung von Maßnahmen in einen späteren Genehmigungsschritt. Gerade im Hinblick auf die Umweltrelevanz eines Vorhabens ist jedoch unerheblich, in welchem Genehmigungsschritt eine konkrete Einzelmaßnahme erfolgen soll. Entscheidend ist allein, dass sich die Ausführungsmaßnahmen innerhalb der insgesamt geplanten Maßnahmen halten, die Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung der 1. SAG waren. Unerheblich dürfte in diesem Zusammenhang auch der Hinweis der Antragsteller sein, durch den Abbau des Reaktordruckbehälters in zwei Genehmigungsschritten stünden das Druckbehälter-Unterteil und die stark aktivierten Kerneinbauten für längere Zeit offen. Dem steht bereits entgegen, dass auch in der ursprünglich geprüften Genehmigungsplanung und dem Sicherheitsbericht vom 19.05.2006 keine zeitlichen Vorgaben für den Abbau des Reaktordruckbehälters enthalten waren. Auch ohne die nunmehr vorgesehene Aufspaltung des Abbaus des Reaktordruckbehälters in zwei Genehmigungsschritten war deshalb nicht sichergestellt, dass dieser in einem engen zeitlichen Rahmen abgebaut wird.
34 
Eine wesentliche Änderung dürfte schließlich nicht dadurch eingetreten sein, dass eine längere Lagerung der Brennelemente im externen Nasslager (sog. Notstandsgebäude, Bau 37) erfolgen soll. Zutreffend weisen die Antragsteller freilich darauf hin, dass nach der ursprünglichen zeitlichen Planung der Beigeladenen bis ca. 2011 alle bestrahlten Brennelemente in das beantragte Standortzwischenlager verbracht werden sollten, so dass die Anlage bei Beginn des zweiten Abbauschrittes brennstofffrei gewesen wäre. Die weitere Lagerung der abgebrannten Brennstäbe im Notstandsgebäude führt jedoch entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht dazu, dass der Rahmen der im Zuge der Erteilung der 1. SAG durchgeführten Umweltverträglichkeits-prüfung überschritten würde. Zum einen handelt es sich bei der oben dargestellten zeitlichen Abfolge lediglich um eine unverbindliche Planung der Beigeladenen, die unter dem Vorbehalt veränderter Umstände, insbesondere einer Verzögerung der Genehmigungserteilung für das Standortzwischenlager, stand. So wurde bereits im Sicherheitsbericht zur 1. SAG vom 19.05.2006 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass möglicherweise der Abtransport der bestrahlten Brennelemente aus der Anlage KWO nicht - wie vorgesehen - bis ca. 2011 abgeschlossen sein könne, etwa weil das beantragte BE-Zwischenlager zu diesem Zeitpunkt noch nicht betriebsbereit sei (vgl. S. 70 und 90 des Sicherheitsberichts). In diesem Fall sollte nach der im Sicherheitsbericht vom 19.05.2006 dargelegten Konzeption der Stilllegungsbetrieb unter dem Regime der 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung auch die weitere Lagerung der bestrahlten KWO-Brennelemente im externen Nasslager bis zum vollständigen Abtransport aus der Anlage umfassen. Aufgrund dieser Darstellungen im Sicherheitsbericht war die weitergehende Lagerung von Brennelementen im externen Lager auch zum Zeitpunkt des zweiten Abbauschritts Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung, die im Rahmen der Erteilung der 1. SAG durchgeführt wurde.
35 
Zum anderen wurde die externe Brennelementlagerung im Notstandsgebäude mit einer der Beigeladenen erteilten Genehmigung vom 26.10.1998 gestattet, welche bestandskräftig wurde (vgl. hierzu auch den im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss des Senats vom 15.09.1999 - 10 S 1991/99 - VBlBW 2000, 149). Etwaige mit der externen Brennelementlagerung verbundenen Umweltauswirkungen waren bei Erteilung der 2. SAG daher nur insoweit in den Blick zu nehmen, als das Betriebsreglement in Bezug hierauf geändert wurde. Jedenfalls bei summarischer Prüfung ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die geringfügigen Änderungen des Betriebsreglements hinsichtlich der Lagerung der Brennelemente im externen Nasslager in einer für die Schutzgüter der Umweltverträglichkeitsprüfung relevanten Weise auswirken könnten. Ferner sollten nach den Darlegungen im Sicherheitsbericht die mit der 2. SAG beantragten Abbaumaßnahmen dergestalt rückwirkungsfrei erfolgen, dass die Lagerung der Brennelemente und der hierfür erforderlichen Sicherheitseinrichtungen im Notstandsgebäude durch die Maßnahmen nicht beeinträchtigt werden kann. Eine wesentliche Abweichung durch die längere Lagerung, bezogen auf die insgesamt geplanten Maßnahmen, liegt deshalb nicht vor.
36 
Nach alldem hat der Antragsgegner die mit der 2. SAG geplanten Einzelmaßnahmen zu Recht keiner weiteren vollständigen Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen, sondern lediglich rechtsfehlerfrei eine Vorprüfung des Einzelfalles gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG durchgeführt.
37 
2.1.3 Entgegen der Auffassung der Antragsteller war vor Erteilung der 2. SAG weder eine obligatorische (dazu unter 2.1.3.1) noch eine fakultative (dazu unter 2.1.3.2) Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen.
38 
2.1.3.1 Zutreffend ist der Antragsgegner davon ausgegangen, dass die von der Beigeladenen im Rahmen der 2. SAG beantragten Einzelmaßnahmen zur Stilllegung und zum Abbau des Kernkraftwerks Obrigheim nicht einer obligatorischen Öffentlichkeitsbeteiligung bedurften. Gemäß § 19b Abs. 2 AtVfV kann abweichend von § 4 Abs. 4 AtVfV von einer Bekanntmachung und Auslegung des Vorhabens dann nicht abgesehen werden, wenn für eine ortsfeste Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen, deren Höchstleistung 1 KW thermische Dauerleistung überschreitet, erstmals eine Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG beantragt wird. Bei den von der Beigeladenen beantragten Maßnahmen handelte es sich jedoch nicht um einen erstmaligen Antrag auf Erteilung einer Stilllegungs- und Abbaugenehmigung im Sinne von § 7 Abs. 3 AtG. Auch wenn es sich bei der 1. und 2. Stilllegungsgenehmigung - wie oben unter 2.1.1.3 näher dargestellt - um selbständige Genehmigungen und nicht um Teilgenehmigungen im Sinne von § 18 AtVfV handelt, sind die Genehmigungen aufeinander bezogen und gestatten ein einheitliches Vorhaben im Sinne von § 19b Abs. 1 AtVfV. In diesem Zusammenhang kann auf die oben angestellten Erwägungen zu der Bestimmung der Nr. 11.1 der Anlage 1 zum Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz verwiesen werden, da diese auch im hier in Rede stehenden Zusammenhang Geltung beanspruchen. Schließlich war - wie oben näher dargestellt - für die mit der 2. SAG beantragten Maßnahmen keine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, so dass eine obligatorische Öffentlichkeitsbeteiligung auch nicht gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 AtVfV geboten war.
39 
2.1.3.2 Der Antragsgegner hat unter fehlerfreier Betätigung seines Ermessens von einer erneuten fakultativen Öffentlichkeitsbeteiligung vor Erteilung der 2. SAG abgesehen. Die Tatbestandsvoraussetzungen für ein Absehen von einer fakultativen Öffentlichkeitsbeteiligung nach Ermessen gemäß § 19b, § 4 Abs. 4 AtVfV lagen vor. Nach § 19b Abs. 1 AtVfV müssen die Unterlagen, die einem erstmaligen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG beizufügen sind, u.a. Angaben zu den insgesamt geplanten Maßnahmen zur Stilllegung und zum Abbau der Anlage oder von Anlagenteilen enthalten. Für den hier in Rede stehenden weiteren Antrag auf Erteilung einer Genehmigung nach § 7 Abs. 3 AtG bleibt es dagegen gemäß 19b Abs. 2 AtVfV bei der allgemeinen Bestimmung des § 4 Abs. 4 Satz 1 AtVfV. Danach kann die Genehmigungsbehörde von der Bekanntmachung und Auslegung unter den in § 4 Abs. 2 AtVfV genannten Voraussetzungen absehen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn im Sicherheitsbericht keine zusätzlichen oder anderen Umstände darzulegen wären, die nachteilige Auswirkungen für Dritte besorgen lassen.
40 
Diese Voraussetzungen liegen jedenfalls bei summarischer Prüfung für das Genehmigungsverfahren der 2. SAG vor. Im Sicherheitsbericht zur 1. SAG ist das Gesamtvorhaben der Stilllegung und des Abbaus des Kernkraftwerks Obrigheim in einer den Anforderungen des § 19b Abs. 1 Satz 1 AtVfV genügenden Weise dargestellt. Die Beigeladene hat in ihrem Sicherheitsbericht vom 19.05.2006 das von ihr verfolgte Gesamtkonzept zum Abbau und zur Stilllegung der von ihr betriebenen kerntechnischen Anlage in den Grundzügen so konkret beschrieben, dass auch für Dritte eine Beurteilung der insgesamt geplanten Maßnahmen möglich war. Insbesondere hat sie im Sicherheitsbericht die insgesamt geplanten Maßnahmen, die Reihenfolge der einzelnen Abbauschritte und die dabei zu verwendenden Methoden so detailliert dargestellt, dass auch die interessierte Öffentlichkeit sowohl die mögliche Rückwirkungsfreiheit der Maßnahmen als auch das Vorliegen einer sinnvollen Abbaureihenfolge prüfen konnte. Auch hat die Beigeladene in den Unterlagen den Anforderungen des § 19b Abs. 1 Satz 2 AtVfV entsprechend weiter dargelegt, welche Auswirkungen die Maßnahmen nach dem jeweiligen Planungsstand voraussichtlich auf die in § 1a AtVfV genannten Schutzgüter haben werden. Wie oben unter 2.1.2.2 näher dargelegt, wichen die mit der 2. SAG gestatteten Einzelmaßnahmen auch nicht in einer Weise von der im Sicherheitsbericht zur 1. SAG dargestellten Abbauplanung ab, dass der vorgegebene Rahmen der Gesamtmaßnahmen überschritten worden wäre. Es stand deshalb im Ermessen des Antragsgegners, auf eine fakultative Öffentlichkeitsbeteiligung zu verzichten.
41 
Wie sich aus der Begründung der 2. SAG (B.I. 2.4.1) ergibt, hat der Antragsgegner das ihm eröffnete Ermessen erkannt; die im Rahmen der Ermessensausübung angestellten Erwägungen leiden nicht an einem im gerichtlichen Verfahren zu beanstandenden Mangel. Der Antragsgegner hat sich bei der Ausübung seines Ermessens im Wesentlichen davon leiten lassen, dass die Durchführung einer fakultativen Öffentlichkeitsbeteiligung weder relevante neue Informationen für die zu treffende Genehmigungsentscheidung liefern würde noch für die Rechtsschutz suchende Öffentlichkeit erforderlich wäre. In diesem Zusammenhang hat er darauf abgehoben, dass durch die beantragten Abbau- und Stilllegungsmaßnahmen keine nachteiligen Auswirkungen für Dritte zu erwarten seien und bei der Durchführung eines fakultativen Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahrens nicht mit einem wesentlichen Erkenntnisgewinn gerechnet werden könne. Diese Einschätzung des Antragsgegners ist zumindest vertretbar und kann deshalb nicht als ermessensfehlerhaft beanstandet werden. Vor diesem Hintergrund begegnet auch die abschließend von dem Antragsgegner getroffene Abwägungsentscheidung zwischen den Belangen der interessierten Öffentlichkeit und dem öffentlichen Interesse an einer beschleunigten Durchführung der Stilllegungsmaßnahmen bzw. der privaten Belange der Beigeladenen keinen Bedenken.
42 
Lediglich zur Ergänzung wird darauf hingewiesen, dass die Antragsteller wohl auch bei einer fehlerhaft unterbliebenen Öffentlichkeitsbeteiligung nicht in eigenen Rechten verletzt wären. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermittelt das atomrechtliche Verfahrensrecht Drittschutz nur im Hinblick auf eine bestmögliche Verwirklichung einer materiellen Rechtsposition. Dies hat zur Folge, dass ein auf einen Fehler des Verwaltungsverfahrens gestützter Rechtsbehelf eines Dritten nur Erfolg haben kann, wenn er dartut, dass und inwieweit sich die Nichtbeachtung der Verfahrensvorschrift auf seine materiell-rechtliche Rechtsposition ausgewirkt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.01.1997 - 11 C 7.95 - BVerwGE 104, 36; sowie Beschluss vom 12.07.1993 - 7 B 114.92 - Buchholz 451.171 AtG Nr. 42). Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Dritte infolge des Verfahrensfehlers daran gehindert worden ist, Umstände vorzutragen, welche die Behörde nicht beachtet hat, denen sie aber bei einer den Anforderungen des § 7 Abs. 3 und Abs. 2 AtG entsprechenden Ermittlung und Bewertung von Risikofaktoren hätte nachgehen müssen. Eine derartige Beeinträchtigung ihrer Rechtsschutzmöglichkeiten wird von den Antragstellern nicht dargetan und liegt bereits deshalb fern, weil ihnen von dem Antragsgegner jedenfalls nach Erteilung der 2. SAG umfassende Akteneinsicht gewährt worden ist.
43 
Nach alledem ist die 2. SAG nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.
44 
2.2 Die der Beigeladenen erteilte 2. SAG leidet jedenfalls bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht an einem durchgreifenden materiell-rechtlichen Mangel. Der Antragsgegner hat die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik den Antragstellern gegenüber erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die genehmigten Stilllegungs- und Abbaumaßnahmen gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG (dazu unter 2.2.1) und einen den Antragstellern gegenüber erforderlichen Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG (dazu unter 2.2.2) als gewährleistet ansehen dürfen. Auch kann der Antrag nicht auf die behauptete fehlende Entsorgungsvorsorge gestützt werden (dazu unter 2.2.3).
45 
2.2.1 Jedenfalls bei summarischer Prüfung durfte der Antragsgegner die gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG i.V.m. § 7 Abs. 3 Satz 2 AtG erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die mit der 2. SAG gestatteten Einzelmaßnahmen zur Stilllegung und zum Abbau der kerntechnischen Anlage der Beigeladenen als getroffen ansehen.
46 
2.2.1.1 Ob die erforderliche Vorsorge gegen Schäden im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG gewährleistet ist, kann der Senat nur eingeschränkt überprüfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich aus der Normstruktur des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, dass die Exekutive die Verantwortung für die Risikoermittlung und Risikobewertung trägt, auch für die Entscheidung über Art und Ausmaß von Risiken, die hingenommen oder nicht hingenommen werden müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.01.1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115; BVerfG, Beschluss vom 10.11.2009 - 1 BvR 1178/07 - NVwZ 2010, 114 - jeweils mit weiteren Nachweisen aus der umfassenden Rechtsprechung). Daraus folgt, dass es nicht Sache der nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle sein kann, die der Exekutive zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Bewertung zu ersetzen. Die Exekutive ist für die Risikoermittlung und -bewertung, also auch für die Entscheidung über Art und Ausmaß von Risiken, die hingenommen oder nicht hingenommen werden müssen, allein verantwortlich (BVerwG, Urteil vom 14.01.1998 - 11 C 11.96 - a.a.O.; Urteil vom 10.04.2008 - 7 C 39.07 - BVerwGE 131, 129). Reichweite und Grenzen des sog. exekutiven Funktionsvorbehalts ergeben sich aus dem materiellen Recht, namentlich dessen Sinn und Zweck.
47 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dient der Funktionsvorbehalt der Exekutive einem dynamischen Grundrechtsschutz und rechtfertigt sich auch daraus, dass im Atomrecht die erforderliche Schadensvorsorge am in die Zukunft hinein offenen, die bestmögliche Verwirklichung des Schutzzwecks des § 1 Nr. 2 AtG gewährleistenden Maßstab des Stands von Wissenschaft und Technik zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 7 C 1.11 - ZNER 2012, 288). Es ist insoweit nicht Sache der Gerichte, Prognosen der Genehmigungsbehörde im Hinblick auf Situationen zu korrigieren, die allenfalls im Grenzbereich des nach praktischer Vernunft noch Möglichen liegen können. Allerdings ist das Maß des erforderlichen Schutzes normativ vorgegeben. Die Vorschrift des § 7 Abs. 2 AtG legt die Exekutive normativ auf den Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsoge fest und lässt die Genehmigungserteilung nur zu, wenn Gefahren und Risiken durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage „praktisch ausgeschlossen“ erscheinen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12.11.2008 - 1 BvR 2456/06 - DVBl. 2009, 642). Dementsprechend unterliegen die behördliche Risikoermittlung und -bewertung einschließlich des hinzunehmenden Restrisikos nur einer eingeschränkten Nachprüfung. Die Gerichte sind darauf beschränkt zu überprüfen, ob die der behördlichen Beurteilung zugrunde liegende Risikoermittlung und -bewertung auf einer ausreichenden Datenbasis beruht und dem Stand von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt der Behördenentscheidung Rechnung trägt, die Behörde also im Hinblick auf die Ergebnisse des von ihr durchgeführten Genehmigungsverfahrens „diese Überzeugung von Rechts wegen haben durfte“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.1987 - 7 C 4.85 - BVerwGE 78, 177; Beschluss vom 02.07.1998 - 11 B 30.97 - NVwZ 1999, 654; Urteil vom 10.04.2008 - 7 C 39.07 - a.a.O.). Das Gericht ist deshalb auf die Nachprüfung beschränkt, ob die Genehmigungsbehörde willkürfrei annehmen durfte, dass der erforderliche Schutz gegen die Risiken einer Leben oder Gesundheit Drittbetroffener möglicherweise gefährdenden Freisetzung ionisierender Strahlen nach Maßgabe des insoweit vorgesehenen Sicherungs- und Schutzkonzepts gewährleistet ist und Risiken damit praktisch nicht zu gegenwärtigen sind. Die Behörde darf aber nicht maßgebliche wissenschaftliche Erkenntnisse negieren oder in grober Weise fehl gewichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.08.1996 - 11 C 9.95 - DVBl. 1997, 52). Unsicherheiten bei der Risikoermittlung und -bewertung ist nach Maßgabe des sich daraus ergebenden Besorgnispotenzials durch hinreichend konservative Annahmen Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 7 C 1.11 - a.a.O.).
48 
2.2.1.2 Bei Anwendung dieser Grundsätze durfte der Antragsgegner davon ausgehen, dass die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Beeinträchtigungen, die aus einer planmäßigen Durchführung der mit der 2. SAG gestatteten Abbaumaßnahmen und des genehmigten Stilllegungsreglements herrühren, getroffen worden ist. Welches Risiko hiernach bei der Erteilung einer atomrechtlichen Genehmigung Drittbetroffenen zugemutet werden darf, ergibt sich nicht unmittelbar aus § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 12 Abs. 1 Nr. 2 AtG die Exekutive dazu ermächtigt, näher zu bestimmen, welche Vorsorge zu treffen ist, damit bestimmte Strahlendosen und Konzentrationen radioaktiver Stoffe in der Luft und im Wasser nicht überschritten werden. Die erforderliche Vorsorge dafür, dass bestimmte Strahlendosen und bestimmte Konzentrationen radioaktiver Stoffe in Luft und Wasser nicht überschritten werden, wird durch die Bestimmung der Dosisgrenzwerte (§ 47 StrlSchV) konkretisiert. Dieser Wert konkretisiert die Schutzwirkung zugunsten Dritter, weil er die äußerste, nicht mehr überschreitbare Grenze der erforderlichen Schadensvorsorge und damit nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch den Einzelnen vor den Gefahren und Risiken der Kernenergie bewahren soll. Soweit die Genehmigungsbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik dem Einzelnen gegenüber erforderliche Vorsorge gegen Schäden als getroffen ansehen darf, hat es damit auch für den Drittschutz sein Bewenden. Mehr als die erforderliche Vorsorge, die auf den praktischen Ausschluss eines sich als Grundrechtsverletzung darstellenden Schadens hinausläuft, kann ein Dritter nicht verlangen. Insbesondere gibt es keinen Anspruch eines Dritten auf weitergehende Minimierung der Strahlenexpositionen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 - 7 C 39.07 - a.a.O.; Urteil vom 22.12.1980 - 7 C 84.78 - BVerwGE 61, 256).
49 
Die Genehmigungsbehörde ist aufgrund der von der Beigeladenen vorgelegten fachkundigen Berechnungen, die von dem gemäß § 20 AtG herangezogenen Sachverständigen geprüft worden sind, zu dem Ergebnis gelangt, dass bei Durchführung der Stilllegungsmaßnahmen und einem ordnungsgemäßen Stilllegungsbetrieb die gemäß § 47 StrlSchV hinzunehmenden Werte bei weitem nicht erreicht werden. Die Antragsteller haben insoweit nicht substantiiert vorgebracht, durch welche Defizite der Schadensvorsorge sie sich in eigenen Rechten verletzt fühlen. Letztendlich wird von den Antragstellern nicht geltend gemacht, dass die Überschreitung von Grenzwerten für den bestimmungsgemäßen Stilllegungsbetrieb droht. Die Antragsteller sehen vielmehr lediglich einen Verstoß gegen das Strahlenminimierungsgebot des § 6 StrlSchV, der nach dem oben Gesagten jedoch nicht drittschützend ist.
50 
2.2.1.3 Entgegen der Auffassung der Antragsteller durfte die Genehmigungsbehörde bei summarischer Prüfung auch die erforderliche Vorsorge gegen die Auswirkungen von Störfällen, die in Ausnutzung der mit der 2. SAG genehmigten Einzelmaßnahmen zu betrachten waren, als getroffen ansehen. Die erforderliche Vorsorge dafür, dass bestimmte Strahlendosen bei den zu betrachtenden Störfallereignissen nicht überschritten werden, wird durch den anwendbaren Störfallplanungswert abschließend konkretisiert; auch insoweit gibt es keinen Anspruch eines Dritten auf weitergehende Minimierung der Strahlenexposition bei den zu betrachtenden Störfallereignissen (vgl. BVerwG, Urteile vom 22.01.1997 - 11 C 7.95 - BVerwGE 104, 36; sowie vom 10.04.2008 - 7 C 39.07 - a.a.O.). Zutreffend ist die Genehmigungsbehörde auch davon ausgegangen, dass der für den Abbau und die Stilllegung von Kernkraftwerken maßgebende Störfallplanungswert gemäß § 117 Abs. 16 StrlSchV i.V.m. § 50 StrlSchV 50 mSv beträgt.
51 
Jedenfalls bei summarischer Prüfung ist die von der Genehmigungsbehörde durchgeführte Störfallbetrachtung nicht zu beanstanden. Die Beigeladene hat mit ihren Genehmigungsunterlagen eine Störfallbetrachtung des Sachverständigenbüros ... vom 31.03.2010 vorgelegt, die von dem amtlich bestellten Sachverständigen (§ 20 AtG) und der Genehmigungsbehörde kritisch gewürdigt wurde. Die Gutachter haben im Rahmen ihrer Störfallbetrachtung sämtliche zu unterstellenden sicherheitstechnisch bedeutsamen Ereignisabläufe des Stilllegungsbetriebes und des Abbaus der kerntechnischen Anlage der Beigeladenen untersucht. Zutreffend haben die Sachverständigen für die Ermittlung der relevanten Ereignisabläufe den Stilllegungsleitfaden vom 12.08.2009 sowie ergänzend die Störfall-Leitlinien zugrunde gelegt. In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben hat der Gutachter radiologisch repräsentative Ereignisabläufe für Einwirkungen von Innen (EVI) und Einwirkungen von außen (EVA) untersucht und ist zu der rechnerischen Prognose gelangt, dass der einzuhaltende Störfallplanungswert von 50 mSv bei Weitem - für die meisten zu betrachtenden Szenarien um mehrere Größenordnungen - unterschritten wird. Die Antragsteller zeigen nicht substantiiert auf, dass weitere Störfallabläufe zu betrachten gewesen wären, oder dass gegen die Prognose der bei den angenommenen Störfällen eintretenden Strahlenexpositionen durchgreifende Bedenken bestehen. Ergänzend ist anzumerken, dass die Sachverständigen im Rahmen der Störfallbetrachtung auch Szenarien betrachtet haben, die nach dem zutreffenden rechtlichen Ansatz der Genehmigungsbehörde nicht in Ausnutzung der 2. SAG eintreten können. So haben die Gutachter bei ihrer Störfallbetrachtung u.a. den Einsturz der Lagergebäude Bau 39 und Bau 52 unterstellt und dessen Auswirkungen untersucht, obwohl die Lagerung von Abfallgebinden in diesen Gebäuden nicht mit der gegenständlichen 2. SAG, sondern bereits mit der bestandskräftigen 1. SAG vom 28.08.2008 genehmigt worden ist. In ähnlicher Weise haben die Gutachter die Lagerung der Brennelemente im externen Lagerbecken in ihre Betrachtung einbezogen, obwohl diese - wie oben unter 2.1.1.4 näher dargestellt - nicht Genehmigungsinhalt der 2. SAG war. Jedenfalls nach den im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein bestehenden beschränkten gerichtlichen Erkenntnismöglichkeiten ist deshalb davon auszugehen, dass Ermittlungsdefizite hinsichtlich der Identifizierung der Störfallszenarien und Bewertungsdefizite hinsichtlich der Auswirkungen der zu betrachtenden Störfälle nicht vorliegen. Die Genehmigungsbehörde durfte deshalb die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Schadensvorsorge gegen Störfälle im Sinne von § 7 Abs. 3 i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG als getroffen ansehen.
52 
2.2.2 Zu Recht dürfte die Genehmigungsbehörde auch davon ausgegangen sein, dass der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG i.V.m. § 7 Abs. 3 AtG zu Gunsten der Antragsteller gegeben ist. In der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG auch dem Schutz individueller Rechte eines in der Nähe einer kerntechnischen Anlage wohnenden Drittbetroffenen gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter dient, sofern diese nicht dem Bereich des Restrisikos zuzuordnen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 - 7 C 39.07 - a.a.O.; sowie vom 22.03.2012 - 7 C 1.11 - a.a.O.). Zutreffend weisen die Antragsteller ferner in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die von ihnen befürchteten Anschläge auf eine atomrechtliche Anlage als Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG anzusehen sind. Die Begriffe der „Störmaßnahmen“ und „sonstige(n) Einwirkungen Dritter“ sind denkbar weit gefasst, um entsprechend dem Gebot des dynamischen Grundrechtsschutzes auch gegenüber neuen Bedrohungsformen durch Handeln Dritter den erforderlichen Schutz bei atomrechtlichen Anlagen zu gewährleisten. Der Tatbestand schließt deshalb den Schutz vor Terror- und Sabotageakten sowie anderen Gefahren beispielsweise aus einem Flugzeugabsturz oder aus dem Transport gefährlicher Güter auf an der Anlage vorbeiführenden Verkehrswegen ein (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 - 7 C 31.87 - BVerwGE 81, 185). Auch ist der nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliche Drittschutz gegen Störeinwirkungen von außen nicht auf die erforderliche Vorsorge gegen Auslegungsstörfälle beschränkt (vgl. näher Urteil vom 10.04.2008 - 7 C 39.07 - a.a.O.).
53 
Die Antragsteller sehen vor allem den erforderlichen Schutz gegen die Einwirkung Dritter durch den gezielten Absturz eines großen Verkehrsflugzeuges auf das externe Brennelementlager im Notstandsgebäude (Bau 37) als nicht gewährleistet an und weisen zutreffend darauf hin, dass die Genehmigungsbehörde dieses Szenario vor Erteilung der 2. SAG nicht erneut betrachtet hat (vgl. Genehmigungsbegründung S. 49). Entgegen der Auffassung der Antragsteller dürfte diese Vorgehensweise der Genehmigungsbehörde rechtlich nicht zu beanstanden sein.
54 
Dies folgt bereits daraus, dass die Errichtung und der Betrieb des externen Brennelementlagers im Notstandsgebäude - wie oben unter 2.1.1.4 im Einzelnen dargestellt - nicht Regelungsgegenstand der 2. SAG ist. Vielmehr wurde die Errichtung und der Betrieb der externen Brennelementlagerung im Notstandsgebäude mit bestandskräftiger Genehmigung vom 26.10.1998 gestattet. Mit der 1. SAG vom 28.08.2008 wurde die externe Brennelementlagerung in den Stilllegungsbetrieb einbezogen und das Stilllegungs- bzw. Betriebsreglement der Lagerung neu geregelt. Die 2. SAG dagegen enthält im Hinblick auf die externe Brennelementlagerung nach ihrem eindeutigen Tenor und der von der Behörde gegebenen Begründung nur eine gegenständlich beschränkte Änderung des Stilllegungsbetriebs, nicht jedoch eine umfassende und neue Regelung. Bereits aus Gründen der Bestandskraftpräklusion können die Antragsteller deshalb der 2. SAG nicht entgegenhalten, dass der erforderliche Schutz gegen Einwirkungen Dritter durch den gezielten Absturz einer großen Verkehrsmaschine auf das externe Brennelementlagerbecken nicht gewährleistet sei.
55 
Im Übrigen könnten die Antragsteller selbst dann, wenn die 2. SAG eine umfassende Neuregelung des Stilllegungsbetriebes des externen Brennelementlagers enthielte, die Rechtmäßigkeit der 2. SAG nicht mit der Erwägung in Zweifel ziehen, Vorsorge gegen die Auswirkungen eines gezielten Flugzeugabsturzes sei nicht hinreichend getroffen worden. Dem steht die bestandskräftige Genehmigung vom 26.10.1998 entgegen, mit der u.a. der Einbau von Brennelement-Lagergestellen in das externe Brennelementlagerbecken im Notstandsgebäude genehmigt wurde. Insofern liegt eine bestandskräftige Errichtungsgenehmigung für ein dauerhaftes Lagerbecken im Notstandsgebäude vor. Eine Errichtungsgenehmigung enthält nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die verbindliche Feststellung, dass eine genehmigungskonform errichtete Anlage die atomrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt (vgl. BVerwG, Urteile vom 22.01.1997 - 11 C 7.95 - a.a.O.; sowie vom 07.06.1991 - 7 C 43.90 - a.a.O.). Bei Erteilung einer nachfolgenden Betriebsgenehmigung ist insbesondere auch die Genehmigungsvoraussetzung des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG nur noch bezüglich des Betriebsreglements zu prüfen, nicht jedoch bezüglich der früher bestandskräftig genehmigten Errichtung. Mit der Betriebsgenehmigung wird die Genehmigungsfrage neu lediglich im Hinblick auf den Betrieb aufgeworfen. Nur in diesem Umfang können Drittbetroffene mit einer gegen die Betriebsgenehmigung gerichteten Anfechtungsklage Ermittlungs- und Bewertungsdefizite im Bereich der Schadensvorsorge bzw. dem Schutz vor Einwirkungen Dritter rügen. Für den Drittschutz folgt hieraus insbesondere auch, dass die Betriebsgenehmigung nicht mehr mit materiell-rechtlichen Einwendungen bekämpft werden kann, die thematisch zum Regelungsgehalt einer früheren Errichtungsgenehmigung gehören; solchen Einwendungen ist vielmehr lediglich nach Maßgabe des § 17 AtG im aufsichtlichen Verfahren Rechnung zu tragen. Dies gilt selbst dann, wenn von den Drittbetroffenen Einwendungen aufgrund einer veränderten Sachlage geltend gemacht werden, die erst nach Erlass der vorangegangenen Errichtungsgenehmigung entstanden sind. Auch eine derartige Sachverhaltsänderung kann lediglich Anlass zum aufsichtlichen Einschreiten auf der Grundlage von § 17 AtG bieten, nicht jedoch einredeweise einer Betriebsgenehmigung entgegengehalten werden (vgl. hierzu ausführlich BVerwG, Urteil vom 22.01.1997 - 11 C 7.95 - a.a.O.). Bereits aus diesem Verhältnis von bestandskräftig gewordener Errichtungs- zu der hier in Rede stehenden Betriebsgenehmigung folgt, dass die Antragsteller diese nur mit der Einwendung bekämpfen können, die erforderliche Vorsorge gegen Einwirkungen Dritter im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG sei insoweit nicht gewährleistet, als die Genehmigungsfrage hinsichtlich der Errichtung gerade durch die Änderung des Betriebsreglements neu aufgeworfen wird. Dies wird jedoch von den Antragstellern nicht behauptet und ist auch fernliegend. Vielmehr machen die Antragsteller im Kern geltend, das externe Brennelementlager im Notstandsgebäude sei konstruktiv nicht gegen die Folgen eines gezielten Flugzeugabsturzes ausgelegt. Der Einwand bezieht sich auf die generelle bauliche Eignung des Lagergebäudes, nicht jedoch auf Fragen des Betriebsreglements.
56 
Lediglich zur Ergänzung wird darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner vor Erteilung der 1. SAG die Frage eines gezielten Flugzeugabsturzes im Hinblick auf § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG geprüft hat (vgl. hierzu B.II.4.5 S. 111 f. der 1. SAG). Die Genehmigungsbehörde gelangte dabei nach Auswertung der Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zu dem Ergebnis, dass nach dem Maßstab der praktischen Vernunft ein absichtlich herbeigeführter Flugzeugabsturz auf eine Anlage, die den Leistungsbetrieb eingestellt und offensichtlich keinen besonderen Symbolwert und kein hohes Gefährdungspotenzial aufweise, nicht zu unterstellen sei; sie hat deshalb dieses Szenario dem Restrisiko zugeordnet. Dahingestellt kann bleiben, ob diese Betrachtung auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch vertretbar ist; zutreffend weisen die Antragsteller insoweit darauf hin, dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in vergleichbaren Fallkonstellationen das Szenario „gezielter Flugzeugabsturz“ nicht dem Restrisiko, sondern dem Bereich der Schadensvorsorge zuzuordnen ist (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 7 C 1.11 - a.a.O.). Die Genehmigungsbehörde hat jedenfalls unabhängig hiervon die von der Betreiberin vorgelegte Abschätzung der radiologischen Folgen eines absichtlich herbeigeführten Flugzeugabsturzes für den Nachbetrieb betrachtet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass auch dabei der maßgebliche Eingreifrichtwert für Evakuierungsmaßnahmen in Höhe von 100 mSv eingehalten wird. Mit den im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln kann mangels aussagekräftiger Angaben in der Begründung der 2. SAG freilich nicht nachvollzogen werden, von welchen konkreten Lastannahmen diese Prognose ausgeht.
57 
Das Abstellen auf den Eingreifrichtwert für Evakuierungsmaßnahmen nach Katastrophenschutzgrundsätzen dürfte rechtlich nicht zu beanstanden sein. Jedenfalls sind die in Rede stehenden Szenarien terroristischer Anschläge durch einen gezielten Flugzeugabsturz nach geltendem Recht nicht dem Bereich der auslegungsbestimmenden Störfälle zuzurechnen. Infolge dessen ist die erforderliche Schadensvorsorge nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hier nicht nach den Störfallplanungswerten zu bemessen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.08.2006 - 7 B 38.06 - Buchholz 451.171 § 9a AtG Nr. 1). Der in § 49 Abs. 1 StrlSchV für den Anwendungsbereich dieser Vorschrift verwendete Begriff des Störfalls ist in § 3 Abs. 1 Nr. 28 Satz 1 StrlSchV als Ereignisablauf definiert, bei dessen Eintreten der Betrieb der Anlage oder die Tätigkeit aus sicherheitstechnischen Gründen nicht fortgeführt werden kann und für den die Anlage auszulegen ist oder für den bei der Tätigkeit vorsorglich Schutzvorkehrungen vorgesehen sind. Damit knüpft die Vorschrift der Sache nach an die Störfall-Leitlinien vom 18.10.1983 an, deren Gegenstand die Schadensvorsorge im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG ist, nicht dagegen näher bestimmte andere Ereignisse, wie etwa Szenarien infolge gezielten Flugzeugabsturzes, die wegen ihres geringen Risikos keine Auslegungsstörfälle mehr sind. Bei der gebotenen Konkretisierung des Rechtsbegriffs des erforderlichen Schutzes gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG muss deshalb das allgemeine Schutzziel maßgeblich sein, dass eine Gefährdung von Leben und Gesundheit infolge erheblicher Direktstrahlung oder infolge der Freisetzung einer erheblichen Menge radioaktiver Stoffe verhindert werden muss. Als Orientierungsmaßstab kommen daher die Radiologischen Grundlagen für Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bei unfallbedingten Freisetzungen von Radionukliden, verabschiedet von der Strahlenschutzkommission am 17./18.12.1998, in Betracht (vgl. hierzu näher BayVGH, Urteil vom 09.01.2006 - 22 A 04.40010 u.a. - juris). Der von der Genehmigungsbehörde herangezogene Eingreifrichtwert für Evakuierungsmaßnahmen in Höhe von 100 mSv bei einem Integrationszeitraum von sieben Tagen ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.
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Nach alldem durfte die Genehmigungsbehörde den erforderlichen Schutz vor Schäden im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG und gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG von Rechts wegen als gegeben ansehen.
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2.3 Ohne Erfolg machen die Antragsteller geltend, der erforderliche Entsorgungsnachweis für die in der Anlage noch vorhandenen Brennelemente sei von der Beigeladenen nicht geführt worden. Die Antragsteller bringen in diesem Zusammenhang vor, die 2. SAG genehmige die Verbringung der bestrahlten Brennelemente aus dem internen Brennelementlagerbecken im Reaktorgebäude in das Lagerbecken des Notstandsgebäudes; im Fall einer Störung im Notstandsgebäude stehe keine weitere Lagerungsmöglichkeit mehr zur Verfügung, die erforderliche Redundanz sei somit nicht gegeben. Dabei machen die Antragsteller mit diesem Vorbringen ein „anlagenimmanentes“ Entsorgungsrisiko geltend, das grundsätzlich als Klagegrund anerkannt ist (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 22.10.1987 - 7 C 4.85 - a.a.O.). Die diesem Vorbringen zugrunde liegende Annahme, die 2. SAG genehmige die Lagerung der bestrahlten Brennelemente in dem externen Becken, trifft jedoch - wie wiederholt dargelegt - nicht zu. Vielmehr wird durch die 2. SAG lediglich das Betriebsreglement des externen Brennelementlagerbeckens in Einzelheiten modifiziert, ohne dieses freilich umfassend und erneut zu legalisieren.
60 
Fehl geht insbesondere die Annahme der Antragsteller, durch die 2. SAG werde das Verbringen der Brennelemente aus dem internen Brennelementlager in das Notstandsgebäude erstmalig gestattet. Wie oben näher dargestellt, wurde die Errichtung und der Betrieb des externen Brennelementlagers mit bestandskräftig gewordener Genehmigung vom 26.10.1998 gestattet; mit der 1. SAG vom 28.08.2008 wurde das externe Brennelementlager in das Stilllegungsreglement einbezogen. Ferner befanden sich sämtliche Brennelemente zum Zeitpunkt der Erteilung der 2. SAG bereits im externen Brennelementlagerbecken. Im Reaktorgebäude befinden sich nach Vortrag der Beigeladenen seit Ende März 2007 keine Brennelemente mehr. Jedenfalls bei summarischer Prüfung dürfte der Antragsgegner auch ohne Rechtsfehler davon ausgegangen sein, dass ein weiteres redundantes Brennelementlagerbecken nicht erforderlich ist. Vielmehr ist die Genehmigungsbehörde sachverständig beraten zu der Einschätzung gelangt, dass das externe Brennelementlager die erforderlichen Sicherungseinrichtungen aufweist und dass die mit der 2. SAG gestatteten Maßnahmen keine Rückwirkungen auf dessen Betrieb haben. Im Übrigen ging auch das im Sicherheitsbericht zur 1. SAG vom 19.05.2006 dargestellte Stilllegungs- und Abbaukonzept der Beigeladenen davon aus, dass sich die abgebrannten Brennstäbe zum Zeitpunkt der Erteilung der 2. SAG allenfalls im externen Brennelementlagerbecken befinden sollen, sofern die primär vorgesehene Verbringung in ein Standortzwischenlager nicht durchgeführt werden konnte. Eine Rückverbringung der Brennelemente in das interne Brennelementlagerbecken war dagegen nach dem Stilllegungskonzept der Beigeladenen zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt. In Übereinstimmung mit diesem Konzept hat auch die Reaktorsicherheitskommission in ihrer vor Erteilung der 1. SAG abgegebenen Stellungnahme vom 11./12.12.2007 empfohlen, dass die Brennelemente nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände in das interne Nasslager zurücktransportiert werden dürfen (siehe S. 20 der Stellungnahme). Eine derartige Rückverbringung in das interne Brennelementlager dürfte jedenfalls mit Errichtung der neuen Materialschleuse zum Reaktorgebäude zudem technisch unmöglich geworden sein. Vor Erteilung der hierzu erforderlichen Errichtungsgenehmigung vom 21.04.2010 hat der Antragsgegner sachverständig beraten geprüft, ob der Abtransport der Brennelemente aus dem externen Brennelementlager technisch möglich ist und keine Notwendigkeit für den Rücktransport in das interne Brennelementlagerbecken besteht. Aufgrund der Bestandskraft der Änderungsgenehmigung vom 21.04.2010 können die Antragsteller mithin nicht mehr geltend machen, dass ein Abtransport der Brennelemente aus dem externen Brennelementlagerbecken nicht möglich sei bzw. das interne Brennelementlagerbecken aus Redundanzgründen weiterhin benötigt werde.
61 
Des Weiteren machen die Antragsteller geltend, es fehle an der vom Gesetz vorausgesetzten realistischen Planung für die zeitnahe Errichtung eines standortnahen Zwischenlagers, in das die Brennelemente nach Beendigung der Lagerungen im externen Elementbecken verbracht werden könnten. Dies stehe im Widerspruch zu der in § 9a Abs. 1 b AtG enthaltenen Anforderung, dass der Entsorgungsnachweis für bestrahlte Brennelemente auf einer realistischen Planung beruhen müsse und nachzuweisen sei, dass hierfür rechtlich und technisch verfügbare Zwischenlagerkapazitäten bereitstehen. Diesem Einwand braucht jedenfalls im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht weiter nachgegangen werden, da die insoweit einschlägige und von den Antragstellern selbst herangezogene Vorschrift des § 9a AtG keinen Drittschutz vermittelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.01.1997 - 11 C 7.95 - a.a.O.; Beschluss vom 22.08.1991 - 7 B 153.90 - Buchholz 451.171 AtG Nr. 37).
62 
3. Auch bei einer von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache losgelösten Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der Genehmigung das entgegengesetzte Interesse der Antragsteller an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen.
63 
Der Senat teilt dabei die Einschätzung des Antragsgegners, dass ein erhebliches öffentliches Interesse an einem zeitnahen Rückbau des Kernkraftwerkes Obrigheim besteht. Dieser liegt nicht zuletzt auch im wohlverstandenen Interesse der Anwohner und damit auch der Antragsteller, da mit dem Rückbau der Anlage und insbesondere dem Abtransport der demontierten Großkomponenten des Primärkreislaufs das geltend gemachte Besorgnispotenzial weiter reduziert wird. Zutreffend hat der Antragsgegner in diesem Zusammenhang auch auf die Gefahr hingewiesen, dass bei einer längeren Unterbrechung des Abbaus des Kernkraftwerks sich dieses Projekt in der Reihe der anderen Rückbauvorhaben nach der Abschaltung von acht deutschen Kernkraftwerken nach hinten verschieben könnte und damit eine erhebliche Zeitverzögerung zu befürchten wäre. Schließlich hat die Beigeladene nachvollziehbar im Einzelnen näher dargelegt, dass gerade die Durchführung der mit der 2. SAG gestatteten Abbaumaßnahmen von Großkomponenten des Primärkreislaufs für den vorgesehenen Zeitrahmen von essentieller Bedeutung ist. Auch hat die Beigeladene ein erhebliches wirtschaftliches Interesse am Sofortvollzug und der zügigen Durchführung von bereits vergebenen Abbaumaßnahmen dargelegt. Keiner abschließenden Klärung bedarf in diesem Zusammenhang, ob die von der Beigeladenen vorgelegten Berechnungen der wirtschaftlichen Auswirkungen bei einer den Eilanträgen vollständig stattgebenden Entscheidung nachvollziehbar sind. Denn der Senat stellt bei der Interessenabwägung im Wesentlichen auf das öffentliche Interesse am zügigen Rückbau des Kernkraftwerks und lediglich untergeordnet auf die wirtschaftlichen Belange der Beigeladenen ab.
64 
Gegenüber diesen für die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung der Genehmigung streitenden Interessen muss das Interesse der Antragsteller an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen zurücktreten. Zwar haben vor allem die Rechtsgüter Leben und Gesundheit, zu deren Schutz die Antragsteller die erforderliche Vorsorge beanspruchen, einen hohen Rang. Die Antragsteller haben jedoch - wie ausgeführt - einen Erfolg ihrer Klagen nicht als hinreichend wahrscheinlich dartun können. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass es bei der Beurteilung dieser Erfolgsaussichten ausschließlich um die Fragen einer Risikoerhöhung im vorgelagerten Bereich der Vorsorge bzw. um bloße Besorgnispotentiale geht. Auch dies lässt es eher zumutbar erscheinen, dass die Antragsteller den Vollzug der Genehmigung vorläufig hinnehmen. Zu berücksichtigen ist weiter, dass eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen für die Antragsteller geringe Vorteile bringen würde. Bei einem Erfolg der Eilanträge könnte der Abbau der in A.I.1.1 der 2. SAG genannten Anlagenteile nicht fortgesetzt werden. Dies dürfte für die Antragsteller jedoch lediglich von untergeordneter Bedeutung sein, da vor allem die kritischen Großkomponenten des Primärkreislaufs, deren Abbau von der 2. SAG gestattet wird, zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits weitgehend demontiert sind. Auch damit hat sich das von den Antragstellern geltend gemachte Besorgnispotenzial, sofern es auf den Abbau von Anlagenteilen des Primärkreislaufs bezogen ist, bereits bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung weiter reduziert. Im Übrigen haben die Antragsteller weniger gegen die mit der 2. SAG gestatteten Abbaumaßnahmen Einwendungen erhoben, sondern sich gegen den Betrieb des externen Nasslagers im Notstandsgebäude gewendet. Dieser würde jedoch auch bei einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen nicht vollständig unterbunden werden, da er - wie oben näher dargestellt - nicht Gegenstand der 2. SAG ist. Deshalb bestünde auch bei einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung die Möglichkeit, dass der Stilllegungsbetrieb unter dem Regime der 1. SAG weitergeführt wird. Bei einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung könnten die Antragsteller daher ihr Hauptziel, nämlich die Unterbindung der weiteren Brennelementlagerung im Notstandsgebäude, nicht erreichen. Daher ist das Suspensivinteresse der Antragsteller aufgrund der Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles als gering zu bewerten.
65 
Nach alledem bleibt der Antrag der Antragsteller auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen ohne Erfolg.
66 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten den Antragstellern aufzuerlegen.
67 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG sowie § 39 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen Nrn. 1.5, 6.2 i.V.m. Nr. 2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2004 (VBlBW 2004, 467).
68 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 24. August 2011 - 4 K 1583/11 - geändert. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Beschlagnahmeanordnung vom 12.08.2011 durch die Antragsgegnerin wird aufgehoben.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird auf 7.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässigen Beschwerden (§ 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO) sind begründet.
Die gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO mündlich durch die Antragsgegnerin getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der angegriffenen Beschlag-nahmeanordnung vom 12.08.2011, bestätigt durch Verfügung der Antragsgegnerin vom 15.08.2011, kann keinen Bestand haben, weil die Antragsgegnerin entgegen dem zwingenden Erfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung bei deren Anordnung nicht schriftlich begründet hat. Sie leidet daher an einem formellen Mangel, der zu ihrer Aufhebung nötigt, ohne dass es darauf ankommt, ob ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 25.08.1976 - X 1318/76 -, NJW 1977, 165 sowie Beschluss v. 17.07.1990 - 10 S 1121/90 -, juris m.w.N). Durch das Nachbringen der schriftlichen Begründung in der Verfügung vom 15.08.2011 kann der Formmangel nicht geheilt werden.
Die Vorschrift des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bestimmt, dass die sofortige Vollziehung „besonders angeordnet wird“. Notwendig ist eine entsprechende behördliche Willensentschließung, die dem Betroffenen kundgetan wird. Dafür reicht weder die tatsächliche Vollziehung oder Einleitung der Vollstreckung eines Verwaltungsakts noch die Annahme einer konkludenten Anordnung. Die Entscheidung über die sofortige Vollziehbarkeit muss ausdrücklich erfolgen. Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts muss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich begründet werden. Auch die Offensichtlichkeit der Gründe, die einen Sofortvollzug gebieten, rechtfertigt in aller Regel keine Ausnahme vom Begründungszwang, wie die ausdrückliche Regelung in § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO zeigt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse v. 25.8.1976, a.a.O. und v. 17.07.1990, a.a.O., m.w.N.). Von dem besonderen Begründungserfordernis darf nur unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO, also bei sog. Notstandsmaßnahmen, abgesehen werden. Diese Bestimmungen weichen deutlich vom Begründungsgebot bei Verwaltungsakten und den dortigen Ausnahmen (§ 39 VwVfG) ab. Eine dem § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vergleichbare Vorschrift fehlt in § 80 Abs. 3 VwGO. Angesichts dieser Rechtslage handelt es sich bei § 80 Abs. 3 VwGO um eine abschließende Spezialregelung. Das - danach zwingende - Begründungserfordernis in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verfolgt drei Funktionen. Die Behörde selbst wird angehalten, sich des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung bewusst zu sein. Diese Warnfunktion soll zu einer sorgfältigen Prüfung des Interesses an der sofortigen Vollziehung veranlassen. Der Betroffene wird über die Gründe, die für die behördliche Entscheidung maßgebend gewesen sind, unterrichtet. Er kann danach die Erfolgsaussichten eines Aussetzungsantrags gemäß § 80 Abs. 4 VwGO abschätzen. Dem Gericht erlaubt die Kenntnis der verwaltungsbehördlichen Erwägungen für die sofortige Vollziehbarkeit eine ordnungsgemäße Rechtskontrolle.
Diese Vorgaben sind durch die Antragsgegnerin nur unzureichend beachtet worden.
Die Beschlagnahme der Fahrzeuge der Antragsteller wurde nach Maßgabe des § 33 Abs. 1 Nr. 1 PolG durch die Antragsgegnerin als der zuständigen Ortspolizeibehörde (§ 60 Abs. 1 PolG) am 12.08.2011 mündlich angeordnet. Zur Begründung erklärte die Antragsgegnerin, die Beschlagnahme sei erforderlich, um weitere Besetzungen von Grundstücken zu verhindern. Zugleich wurde von ihr mündlich die sofortige Vollziehung der Maßnahme erklärt. Die Beschlagnahme wurde durch den Polizeivollzugsdienst sofort vollstreckt. Den Antragstellern wurde vor Ort gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 PolG Bescheinigungen über den Vollzug der Beschlagnahme ausgestellt, in denen als Grund für die Beschlagnahme „Verhinderung weiterer Besetzungen von Grundstücken“ genannt worden ist; die Bescheinigungen weisen die Antragsgegnerin als anordnende Behörde aus.
Diese Bescheinigung ersetzt die erforderliche Begründung nicht. Sie dient vielmehr der Beweissicherung für den Betroffenen und soll es ihm ermöglichen, einen (eventuellen) späteren Anspruch auf Rückgabe der beschlagnahmten Sache mit Aussicht auf Erfolg geltend zu machen. Sie muss daher die beschlagnahmten Sachen hinreichend genau bezeichnen und die Polizeibehörde erkennen lassen, die die Beschlagnahme angeordnet hat (Belz/Mußmann, Polizeirecht für Baden-Württemberg, 7. Auflage, § 33 RdNr. 12).
Von dem Begründungserfordernis kann nicht ausnahmsweise nach Maßgabe des § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO abgewichen werden. Danach gilt das Begründungserfordernis nach Satz 1 dann nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft (§ 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO). Dies war hier indes nicht der Fall. Auch wenn die Maßnahme aus der Sicht der Antragsgegnerin eilbedürftig war, handelte es sich weder um eine Notstandsmaßnahme, noch wurde sie als solche bezeichnet.
Über den Begründungsmangel kann auch nicht deshalb hinweggesehen werden, weil es sich um eine Maßnahme gehandelt hat, die sofort vollstreckt werden sollte. Der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten (§ 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) erfasst ausdrücklich nur Verwaltungsakte des Polizeivollzugsdienstes im institutionellen Sinne, die sich nach Landesrecht bestimmen. Dieses Privileg ist einem Bedürfnis der Praxis geschuldet (vgl. Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 2010, § 80 RdNr. 122), erstreckt sich aber nicht auf - unaufschiebbare - Anordnungen und Maßnahmen der sog. Verwaltungspolizei (Ordnungs- bzw. Sicherheitsbehörden). Auch mit Blick darauf, dass für Maßnahmen nach § 33 PolG neben den Polizeibehörden (§ 60 Abs. 1 PolG) auch der Polizeivollzugsdienst (§ 60 Abs. 3 PolG) zuständig ist, ergibt sich nichts anderes. Da nach § 60 Abs. 3 PolG für die meisten der sog. polizeilichen Standardmaßnahmen neben der Zuständigkeit der Polizeibehörde eine eigene Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes besteht, werden diese auch bei unaufschiebbaren Maßnahmen im Regelfall tätig werden, sodass ihnen das Privileg des § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu Gute kommt und damit auch aus diesem Grunde eine Ausnahme vom Begründungserfordernis für die Ortspolizeibehörde nicht gerechtfertigt erscheint.
Durch die nach Vollzug der Maßnahme ergangene Verfügung vom 15.08.2011, die unter Ziff. 7 auch eine schriftliche Begründung der sofortigen Vollziehung enthält, ist der Begründungsmangel nicht geheilt worden.
10 
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs (Beschluss v. 25.08.1976, a.a.O. und Beschluss v. 17.07.1990, a.a.O.) und auch nach der überwiegend in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Eyermann, VwGO, 11. Auflage, § 80 RdNr. 44, Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. § 80, RdNr. 179, jeweils m.w.N.; BayVGH, Beschluss. v. 24.02.1988, BayVBl. 1989, 117) kann eine fehlende oder unzureichende Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht mit heilender Wirkung nachgeholt werden. Der Gegenauffassung (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 01.03.1995, NVwZ-RR 1995, 572; HessVGH Beschluss v. 17.5.1984, DÖV 1985, 75; OVG NRW, Beschluss v. 26.6.1985, NJW 1986, 1894), die dem Gründe der Prozessökonomie entgegenhält und ein Nachholen der Begründung jedenfalls bis zur Stellung eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO erlaubt, ist mit Blick darauf, dass es sich bei § 80 Abs. 3 VwGO um eine abschließende Sonderregelung handelt, nicht zu folgen. Mit der Warn- und Appellfunktion des Schriftlichkeitserfordernisses wäre es nicht vereinbar, wenn eine fehlende Begründung mit heilender Wirkung nachgeholt werden könnte (vgl. Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 80 RdNr. 174 ff. m.w.N; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 17.07.1990, a.a.O; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Auflage, § 80 RdNr. 48, m.w.N.).
11 
In der Verfügung vom 15.08.2011 kann schließlich nicht eine neue Anordnung einer sofortigen Vollziehung mit diesmal gesetzeskonformer Begründung gesehen werden. Eine solche Annahme scheitert - ungeachtet der Frage, ob vor Aufhebung des Sofortvollzugs dieser überhaupt neu angeordnet werden kann - bereits daran, dass sich dies dem Inhalt der Verfügung nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG) entnehmen lässt.
12 
Sowohl der Eingang des Entscheidungssatzes („zu der am 12.08.2011 auf mündliche Anordnung der Polizeibehörde erfolgten Beschlagnahme Ihres Fahrzeugs ergeht folgende Verfügung“) als auch der erste Satz der Begründung („Die am 12.08.2011 auf Anordnung der Polizeibehörde erfolgte Beschlagnahme Ihres Fahrzeugs... wird wie folgt begründet:“) weisen vielmehr darauf hin, dass es sich wohl um eine nachträgliche Bestätigung der Beschlagnahme, die rechtlich zulässig ist, sowie um eine allerdings in rechtlicher Hinsicht - nicht zulässige (a.A. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 01.03.1995 - 11 B 10640/95 -) - nachträgliche Bestätigung und Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung handeln soll, ungeachtet der ebenfalls beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung. Insoweit bestehende Unklarheiten gehen zu Lasten der Antragsgegnerin.
13 
Mit dem Wegfall der Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt dem Widerspruch der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 1 VwGO wieder die aufschiebende Wirkung zu. Für eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist daher kein Raum. Es bedarf vielmehr ggfs. einer erneuten, formgemäßen Anordnung.
14 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 39 GKG.
15 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Langenfeld vom 4. Juli 2013 - 42 F 81/13 - und des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Oktober 2013 - II-5 UF 119/13 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird aufgehoben, soweit er die Entziehung des Sorgerechts bestätigt. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Die Verfassungsbeschwerde wird im Übrigen nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern zwei Drittel ihrer notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

4. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgte Entziehung von Teilbereichen des Sorgerechts für ihre im Jahr 2010 geborene Tochter. Die Beschwerdeführer hatten mit ihrer Tochter in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, bis diese am 27. Mai 2013 gegen den Willen der Eltern in einem Kinderheim untergebracht wurde. Die Beschwerdeführerin, die bereits erwachsene Söhne hat, war aufgrund psychischer Probleme seit der Geburt der Tochter kontinuierlich in ambulanter, vorübergehend auch stationärer psychotherapeutischer Behandlung. Seit Mai 2011 erhielt die Familie Unterstützung durch eine sozialpädagogische Familienhilfe.

2

a) Auf Antrag des Jugendamts vom 24. Mai 2013 entzog das Amtsgericht den Beschwerdeführern mit angegriffenem Beschluss vom 24. Mai 2013 im Wege der einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung die Personensorge und bestellte eine Ergänzungspflegerin. Außerdem verpflichtete es die Beschwerdeführer zur Herausgabe des Kindes an die Ergänzungspflegerin. Aus der Antragsschrift des Jugendamts und der vom Jugendamt in Auftrag gegebenen psychiatrischen Stellungnahme des Gesundheitsamts ergebe sich, dass das Kind in der Obhut seiner Eltern gefährdet sei. Die Beschwerdeführerin sei in ihrer Erziehungsfähigkeit schwer beeinträchtigt, der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, dies auszugleichen und die Betreuung und Erziehung zu übernehmen. Im Haushalt der Beschwerdeführer bestünden starke Spannungen, die das Kind miterlebe. Nach der psychiatrischen Stellungnahme des Gesundheitsamts werde ein Verbleib in dem von Spannung, Aggressivität und Dissoziation geprägten Umfeld zu einer schweren Beeinträchtigung des Kindes führen. Nach dem Bericht des Jugendamts zeigten sich bei dem Kind bereits Auffälligkeiten.

3

Das Mädchen wurde am selben Tag in einer sogenannten Kriseninterventionsgruppe eines Kinderheims untergebracht, wo sie seitdem lebt.

4

b) Die Beschwerdeführer beantragten beim Amtsgericht, die Sorgerechtsentziehung aufzuheben, hilfsweise das Kind in den Haushalt der Großmutter oder einer Tante väterlicherseits zu überführen.

5

aa) Das Amtsgericht hörte die Beschwerdeführer, das Jugendamt, die Ergänzungspflegerin, den Verfahrensbeistand, die ehemalige Familienhelferin und den Arzt an, der die psychiatrische Stellungnahme des Gesundheitsamts erstellt hatte. Die Großmutter und die Tante des Kindes väterlicherseits waren während der mündlichen Verhandlung im Gerichtsgebäude anwesend, wurden aber nicht gehört. Beide beantragten am selben Tag schriftlich, am Verfahren beteiligt und zum Ergänzungspfleger bestellt zu werden.

6

bb) Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Juli 2013 erhielt das Amtsgericht die einstweilige Anordnung aufrecht. Eine Änderung setze eine umfassende Abklärung der Fähigkeit und Bereitschaft der Beschwerdeführer oder anderer Bezugspersonen zur Wahrnehmung der Pflege und Erziehung des Kindes voraus, wozu ein psychiatrisches und familienpsychologisches Gutachten erforderlich sei. Im einstweiligen Verfahren habe sich gezeigt, dass die Beschwerdeführer bisher nicht in der Lage waren, ihr Verhalten gegeneinander und gegenüber dem Kind so zu steuern, dass eine Kindeswohlgefährdung vermieden werde. Die Beschwerdeführerin sei wegen ihrer Erkrankung derzeit nicht in der Lage, das Kind so zu betreuen, dass das Kindeswohl ausreichend gesichert sei. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, das Kind gegenüber dem Verhalten der Beschwerdeführerin abzuschirmen und seinerseits eine kindeswohlgerechte kontinuierliche Entwicklung sicherzustellen; allein wegen seiner berufsbedingten Abwesenheit wäre das Kind häufig mit der Beschwerdeführerin allein. Die Entwicklung des Kindes sei bereits beeinträchtigt. Es verweigere häufiger das Essen, zeige aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen, wenn diese ihr Grenzen setzten, außerdem halte es die Hände über den Kopf und zucke bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton zusammen. Es sei auch nicht hilfreich, das Kind bei einer Verwandten, etwa der Großmutter, unterzubringen. Denn das Kind habe sich gerade in seiner neuen Umgebung eingelebt. Bei einer Änderung müsse es erneut die Bezugspersonen wechseln. Außerdem sei damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin bei einer Unterbringung bei Verwandten weiterhin starken Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben würde.

7

c) Die Beschwerdeführer legten gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Beschwerde ein und begehrten abermals, das Kind im Haushalt der Großmutter oder Tante unterzubringen.

8

aa) Das Oberlandesgericht hörte die Beschwerdeführer, die Großmutter, die Tante, einen Vertreter des Jugendamts sowie die Ergänzungspflegerin an.

9

bb) Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Oktober 2013 beschränkte das Oberlandesgericht die einstweilige Entziehung des Sorgerechts auf die Bereiche Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Antragstellung nach §§ 27 f. SGB VIII und wies die Beschwerde im Übrigen zurück.

10

Nach den Feststellungen des Jugendamts habe das Kind Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. Es habe sich nach den Beobachtungen in der Kindertagesstätte aggressiv gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen verhalten und halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen. Nach einem von der Ergänzungspflegerin überreichten Kurzbericht der Psychologin des Kinderheims vom 10. September 2013 fänden sich bei dem Kind klinisch auffällige Verhaltensweisen im Bereich des oppositionell-aggressiven Verhaltens bei gleichzeitig gering ausgeprägten sozialen Kompetenzen. Das Kind scheine auf Erlebtes zurückzugreifen, ein Zusammenhang mit der Erkrankung der Mutter in ihren depressiven und aggressiven Anteilen sei anzunehmen.

11

Das Oberlandesgericht ging davon aus, dass bei einem Verbleib im elterlichen Haushalt eine konkrete Gefahr für die Entwicklung des Kindes im Sinne des § 1666 BGB bestünde, und dass die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes nach dem Stand des summarischen Verfahrens auf dem Verhalten der Eltern beruhten. Nach den Beobachtungen der Familienhelferin sei es immer wieder zu erheblichen Streitigkeiten der Eltern gekommen. Nach den Angaben des Arztes des Gesundheitsamts leide die Beschwerdeführerin an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung; sie sei in ihrer Erziehungsfähigkeit aufgrund eines Mentalisierungsdefizits, einer Affektregulationsbeeinträchtigung und einer Impulsstörung erheblich beeinträchtigt. Nach dem Entlassungsbericht der Klinik, in die sich die Beschwerdeführerin im Sommer 2012 für sechs Wochen mit ihrer Tochter begeben hatte, weise die Beschwerdeführerin eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ auf. Ob diese Annahmen zuträfen oder es der Beschwerdeführerin wieder gut gehe, sei im Hauptsacheverfahren durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu klären. Mildere Mittel als die Heimunterbringung seien nicht vorhanden.

12

2. Die Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der sie eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG rügen. Sie legen dar, dass eine Gefährdung des Kindeswohls, die eine Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigen könnte, nicht festgestellt worden sei. Die Fachgerichte hätten es versäumt, die von Dritten beschriebenen Gefahren einer eigenen, spezifisch rechtlichen Beurteilung zu unterziehen. Die Gefahr sei nicht derart dringend gewesen, dass die Trennung im Wege der einstweiligen Anordnung hätte erfolgen dürfen. Die Fachgerichte hätten gar nicht geprüft, ob ein Aufschub bis zur vollständigen Sachverhaltsklärung möglich gewesen wäre. Die Entscheidungen seien außerdem unverhältnismäßig. Die Maßnahme sei nicht geeignet, die Situation des Kindes zu verbessern. Die Fachgerichte hätten sich mit den erheblichen traumatisierenden Folgen einer plötzlichen, für ein Kleinkind unverständlichen und überfallartigen Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt überhaupt nicht befasst. Es sei zudem nicht nach milderen Mitteln gesucht worden.

13

3. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, das Jugendamt, die Ergänzungspflegerin und die Verfahrensbeiständin des Kindes aus dem Ausgangsverfahren hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des familiengerichtlichen Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

14

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sie sich gegen die zweite Entscheidung des Amtsgerichts und gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts richtet, weil dies zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Elternrechts der Beschwerdeführer angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Diese Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde danach offensichtlich begründet ist, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

15

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist insoweit begründet, weil die Entscheidung des Amtsgerichts vom 4. Juli 2013 und die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 4. Oktober 2013 die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtlich geschützten Elternrecht verletzen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihres Kindes. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern stellt den stärksten Eingriff in dieses Recht dar. Sie ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen (a) und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (b). Dem genügen die beiden Entscheidungen nicht.

16

a) Den Entscheidungen ist nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, dass eine die Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vorliegt. An die Annahme einer solchen Kindeswohlgefährdung sind von Verfassungs wegen strenge Anforderungen zu stellen (aa). Dem genügen die zweite Entscheidung des Amtsgerichts (bb) und die Entscheidung des Oberlandesgerichts (cc) nicht. Dass eine die Trennung rechtfertigende Gefahr des Kindeswohls besteht, liegt angesichts der fachgerichtlichen Feststellungen auch nicht so offen zu Tage, dass sich nähere Ausführungen der Gerichte ausnahmsweise erübrigen könnten (dd).

17

aa) Der verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines Sorgerechtsentzugs liegen besondere Maßstäbe zugrunde. Die Annahme einer - die Trennung des Kindes von den Eltern allein rechtfertigenden - Kindeswohlgefährdung unterliegt strengen Voraussetzungen (1). Damit verbunden sind hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung, die grundsätzlich auch im fachgerichtlichen Eilverfahren gelten (2). Gerichtliche Entscheidungen über eine die Trennung des Kindes von den Eltern vorbereitende Sorgerechtsentziehung unterliegen intensiver Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (3).

18

(1) Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern geht, ist die Sorgerechtsentziehung verfassungsrechtlich nur bei einer Gefährdung des Kindeswohls zu rechtfertigen, an deren Annahme strenge Anforderungen zu stellen sind. Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ist allein zu den in Art. 6 Abs. 3 GG genannten Zwecken zulässig. Danach darf ein Kind gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat, auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen. Das Grundgesetz hat die primäre Entscheidungszuständigkeit von Eltern zur Förderung ihres Kindes anerkannt. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass Kinder durch Entscheidungen der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden (vgl. BVerfGE 60, 79 <94>). Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Ihren einfachrechtlichen Ausdruck hat diese Anforderung in § 1666 Abs. 1 BGB gefunden. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfGK 19, 295 <301>; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

19

(2) (a) Neben diesen materiellrechtlichen Vorgaben kommt auch der Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens hohe Bedeutung für die Gewährleistung effektiven Grundrechtsschutzes zu (vgl. BVerfGE 63, 131 <143>). In Sorgerechtsverfahren haben die Familiengerichte das Verfahren so zu gestalten, dass es geeignet ist, eine möglichst zuverlässige Grundlage zu schaffen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Damit sind hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung gestellt, die so erfolgen muss, dass sich die materiellrechtlich geforderte hohe Prognosesicherheit ("mit ziemlicher Sicherheit", vgl. BVerfGK 19, 295 <301>) tatsächlich erzielen lässt.

20

(b) Steht wie hier eine Entscheidung im Eilverfahren in Rede, bleiben die praktisch verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren allerdings regelmäßig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurück. Eine Sorgerechtsentziehung aufgrund summarischer Prüfung im Wege der einstweiligen Anordnung ist damit zwar nicht ausgeschlossen. Sie unterliegt jedoch besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen.

21

(aa) Generell ist die Frage, wie weit die Sachverhaltsermittlung im Eilverfahren reichen muss, in Ansehung der gegen und für eine Eilmaßnahme sprechenden Grundrechte zu beantworten. Je schwerer die dem Einzelnen auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahme Unabänderliches bewirkt, umso gesicherter muss die Tatsachengrundlage des Grundrechtseingriffs sein (vgl. BVerfGE 67, 43 <58 f.>; 69, 315 <363 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Januar 2008 - 1 BvR 2911/07 -, juris, Rn. 25). Andererseits kann umso eher auf ungesicherter Tatsachengrundlage entschieden werden, je schwerer das zu schützende Rechtsgut wiegt und je eilbedürftiger die Entscheidung ist.

22

(bb) Danach bemisst sich die gebotene Intensität der Sachverhaltsermittlung im Fall des Sorgerechtsentzugs im Eilverfahren einerseits nach dem Recht der Eltern, von einem unberechtigten Sorgerechtsentzug verschont zu bleiben (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und andererseits nach dem Recht des Kindes, durch die staatliche Gemeinschaft vor nachhaltigen Gefahren, insbesondere für sein körperliches Wohl geschützt zu werden, die ihm im elterlichen Haushalt drohen (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG). Von einer unberechtigten Trennung von den Eltern verschont zu bleiben, liegt im Übrigen auch im durch das Grundrecht auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 19. Februar 2013 - 1 BvL 1/11 u.a. -, juris, Rn. 41 ff.; Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 -, juris, Rn. 101) geschützten Interesse des Kindes.

23

Weil bereits der vorläufige Entzug des Sorgerechts einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Eltern und des Kindes darstellt und weil schon die vorläufige Herausnahme des Kindes aus der Familie Tatsachen schaffen kann, welche später nicht ohne Weiteres rückgängig zu machen sind, sind grundsätzlich auch bei einer Sorgerechtsentziehung im Eilverfahren hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung zu stellen. Sie sind umso höher, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden des Kindes wiegt und in je größerer zeitlicher Ferne der zu erwartende Schadenseintritt liegt. So fehlt es regelmäßig an der gebotenen Dringlichkeit einer Maßnahme, wenn sich die drohenden Beeinträchtigungen erst über längere Zeiträume entwickeln und sich die Gefährdungslage im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht derart verdichtet hat, dass ein sofortiges Einschreiten geboten wäre.

24

Ohne weitergehende Sachverhaltsaufklärung können die Gerichte angesichts besonderer Schwere und zeitlicher Nähe der dem Kind drohenden Gefahr eine Trennung des Kindes von seinen Eltern allerdings dann veranlassen, wenn die Gefahr wegen der Art der zu erwartenden Schädigung des Kindes und der zeitlichen Nähe des zu erwartenden Schadenseintritts ein sofortiges Einschreiten gebietet. Ein sofortiges Einschreiten aufgrund vorläufiger Ermittlungsergebnisse kommt im Eilverfahren etwa bei Hinweisen auf körperliche Misshandlungen, Missbrauch oder gravierende, gesundheitsgefährdende Formen der Vernachlässigung in Betracht.

25

(3) Bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines die Trennung des Kindes von den Eltern vorbereitenden Sorgerechtsentzugs kommt ein strenger Kontrollmaßstab zur Anwendung. Zwar sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall grundsätzlich Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt im Regelfall lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Wegnahme des Kindes das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht hingegen wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kind Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 75, 201 <221 f.>). Vor allem prüft das Bundesverfassungsgericht, ob das Familiengericht in nachvollziehbarer Weise angenommen hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur durch die Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger intensiv eingreifende Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken.

26

bb) Die Entscheidung des Amtsgerichts vom 4. Juli 2013 verletzt das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Gericht hat - auch nach eigener Einschätzung - nicht auf gesicherter Ermittlungsgrundlage entschieden; es beabsichtigt, das aus seiner Sicht notwendige Sachverständigengutachten, das sowohl psychiatrischen wie familienpsychologischen Sachverstand erfordere, erst in einem Hauptsacheverfahren einzuholen. Wegen der Intensität des Grundrechtseingriffs durfte der die Wegnahme des Kindes vorbereitende Sorgerechtsentzug auf diesen vorläufigen Ermittlungsstand nur dann gestützt werden, wenn die Gefahr einer schweren und zeitlich nahen Kindeswohlgefahr bestand, die ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung ausschloss. Das Gericht hat das Bestehen einer solchen Kindeswohlgefahr nicht nachvollziehbar festgestellt. Es geht davon aus, dass die Beschwerdeführer bisher nicht in der Lage waren, ihr Verhalten gegen-einander und gegenüber dem Kind so zu steuern, dass eine Kindeswohlgefährdung vermieden wurde. Die Entwicklung des Kindes sei bereits beeinträchtigt. Das Kind verweigere häufiger das Essen, zeige aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen, wenn diese ihr Grenzen setzten und halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen. Die Beschwerdeführerin sei wegen ihrer Erkrankung gegenwärtig nicht in der Lage, das Kind so zu betreuen, dass das Kindeswohl ausreichend gesichert sei. Mit diesen Ausführungen benennt das Gericht weder die konkrete Art und das Gewicht der Gefahren, die dem Kind bei einem Verbleib im elterlichen Haushalt drohen könnten, noch erfolgt eine richterliche Einschätzung der zeitlichen Dringlichkeit der Fremdunterbringung. Beides wäre angesichts des lediglich vorläufigen Ermittlungsstands, welcher der Entscheidung zugrunde lag, verfassungsrechtlich notwendig gewesen. Da das Kind zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem elterlichen Haushalt herausgenommen und die unterstellte Kindeswohlgefahr damit vorläufig gebannt war, stand das Amtsgericht - anders als bei der ersten Entscheidung (s.u., III.) - auch nicht unter solch außergewöhnlichem Zeitdruck, dass sich die notwendigen richterlichen Ermittlungen, Darlegungen und Einschätzungen ausnahmsweise erübrigten.

27

cc) Auch anhand der Begründung der Entscheidung des Oberlandesgerichts lässt sich nicht nachvollziehen, worin die sachliche und zeitliche Dringlichkeit einer Trennung des Kindes von seinen Eltern zu sehen ist, die den Sorgerechtsentzug auf Grundlage des nach wie vor lediglich vorläufig ermittelten Sachverhalts allein rechtfertigen könnte. Das Gericht spricht von einer konkreten Gefahr für die Entwicklung des Kindes, ohne jedoch die Art der Gefahr und die zeitliche Dringlichkeit der Herausnahme des Kindes zu spezifizieren. Das Gericht erwähnt zwar Berichte über psychische Erkrankungen der Beschwerdeführerin, über erhebliche Streitigkeiten der Eltern und über auffällige Verhaltensweisen des Kindes im Bereich des oppositionell-aggressiven Verhaltens bei gering ausgeprägten sozialen Kompetenzen. Auch insoweit unterbleiben aber eine Benennung und Bewertung der Art des dem Kind im elterlichen Haushalt drohenden Schadens. Dass dem Kind ein schwerer Schaden droht, der ein sofortiges Einschreiten wegen der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts erforderte, wird auch nicht durch die bloße Wiedergabe der Beobachtung begründet, das Kind halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen.

28

dd) Dass dem Kind im Haushalt der Eltern in naher Zukunft eine schwere Gefahr drohte, ist nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen auch nicht solchermaßen offenkundig, dass nähere Ausführungen der Gerichte verfassungsrechtlich entbehrlich wären. Der von den Gerichten benannte, aber nicht weiter analysierte Umstand, dass mehreren Betreuern des Mädchens schreckhafte Reaktionen auf laute Ansprache, teilweise auch auf schnelle Bewegungen aufgefallen waren, mag die Vermutung erlauben, das Kind habe körperliche Gewalt erlebt, lässt darauf ohne nähere Erläuterungen jedoch nicht hinreichend deutlich schließen. Weder das psychiatrische Gutachten des Gesundheitsamts noch die langjährige Familienhelferin hatten berichtet, dass es in der Vergangenheit zu körperlicher Gewalt der Beschwerdeführerin gegen das Kind gekommen sei. Laut Antragsschrift des Jugendamts hat die Beschwerdeführerin selbst von einer Ohrfeige berichtet, die sie ihrer Tochter (wohl im Jahr 2011) gegeben habe, als sie sich überfordert gefühlt habe. Sie habe ihr Fehlverhalten bedauert und sich dafür geschämt. Für eine darüber hinausgehende Gewalttätigkeit gegenüber ihrer Tochter spricht dies nicht; auch sonst ist nichts ersichtlich, was hierauf mit hinreichender Sicherheit schließen ließe.

29

b) Inwieweit die zweite Entscheidung des Amtsgerichts und die Entscheidung des Oberlandesgerichts darüber hinaus den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen (siehe dazu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris), bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Sofern das Oberlandesgericht die Fremdunterbringung des Kindes weiterhin für geboten erachten sollte, wird es insoweit prüfen müssen, ob die Großmutter des Mädchens oder seine Tante zum Ergänzungspfleger zu bestellen sind. Die Unterbringung des Kindes bei Verwandten kann im Vergleich zur Heimunterbringung eine Eltern und Kind weniger stark belastende Maßnahme sein. Ist die Verwandtenunterbringung zur Abwendung der Kindeswohlgefahr ebenso geeignet, genügt die Heimunterbringung nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

30

Die vom Amtsgericht und vom Oberlandesgericht angeführten Gründe dafür, warum von einer Bestellung der Verwandten als Ergänzungspfleger abzusehen sei, begegnen teilweise erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt etwa für die Erwägung, das Mädchen habe sich gerade in ihrer neuen Umgebung eingewöhnt und ein erneuter Aufenthaltswechsel belaste das Kind. Das Kind ist in einer sogenannten Kriseninterventionsgruppe untergebracht, die keine Dauer-lösung bietet, so dass dem Kind ohnehin ein weiterer Wechsel bevorsteht. Davon abgesehen kann das Argument der Eingewöhnung in den Fällen einer auf vorläufiger Sorgerechtsentziehung beruhenden Fremdunterbringung grundsätzlich nicht durchgreifen, weil damit Entscheidungen, die im Eilverfahren auf wenig gesicherter tatsächlicher Grundlage gefällt werden, faktisch endgültig zu werden drohen, da sie die Voraussetzungen für den Fortbestand der Trennung schaffen. Auch das Argument, es sei damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin bei einer Verwandtenunterbringung weiterhin starken Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben würde, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese Aussage geht darüber hinweg, dass die Verwandtenunterbringung gerade auch deshalb ein milderes Mittel darstellt, weil sie es den Eltern ermöglicht, den Kontakt zum Kind leichter zu halten und dessen Entwicklung weiter zu beeinflussen, soweit dies dem Kindeswohl nicht schadet.

III.

31

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, soweit die Beschwerdeführer sich gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 24. Mai 2013 wenden. Insoweit kommt der Sache weder grundlegende Bedeutung zu noch ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt. Diese Entscheidung ist verfassungsgemäß.

32

Die Annahme des Amtsgerichts in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2013, es liege eine die Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vor, hält verfassungsrechtlicher Kontrolle am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG noch stand.

33

Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf summarischer Prüfung, die sich in tatsächlicher Hinsicht allein auf die Antragsschrift des Jugendamts und die psychiatrische Stellungnahme des Gesundheitsamts stützt. Das Gericht hätte eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung zur Frage der Kindeswohlgefahr in der kurzen Zeit, die zwischen dem am Freitag dem 24. Mai 2013 beim Amtsgericht eingegangenen Antrag des Jugendamts und der vom Jugendamt für den Vormittag des Montags den 27. Mai 2013 geplanten Herausnahme des Kindes aus dem elterlichen Haushalt verblieb, kaum vornehmen können.

34

Den Ausführungen des Amtsgerichts ist die angesichts dieser noch sehr ungewissen Ermittlungslage verfassungsrechtlich geforderte Dringlichkeit der Herausnahme des Kindes aus dem elterlichen Haushalt zwar nicht unmittelbar zu entnehmen. Es benennt die Gefahren für das Kindeswohl nur sehr allgemein und verzichtet auf eine Bewertung ihrer Schwere und Dringlichkeit. Das Amtsgericht mag aus den in seiner Entscheidung in Bezug genommenen Ausführungen des Jugendamts und des Gesundheitsamts jedoch die Möglichkeit einer jederzeit aktualisierbaren Gefahr für Leib und Leben des Kindes abgeleitet haben. Das Jugendamt hat unter Verweis auf die psychiatrische Stellungnahme des Gesundheitsamts ausgeführt, eine akute Kindeswohlgefährdung werde eintreten, wenn die Beschwerdeführerin ihre wiederholt geäußerten Tötungsphantasien im Rahmen von krisenhaften Konflikten oder überfordernden Kontextänderungen nicht mehr kontrollieren könne. Zwar findet diese Einschätzung in den vom Jugendamt wiedergegebenen Aussagen keine hinreichende Grundlage. Dort wird über früher geäußerte Tötungsgedanken und fremdaggressives Verhalten gegenüber dem Ehemann berichtet, was zu einem Klinikaufenthalt im Sommer 2011 führte. Laut Klinik sind fremdaggressive Impulse gegenüber dem Kind jedoch tatsächlich nicht aufgetreten. Das Jugendamt erwähnt in seiner Antragsschrift einen Bericht der Familienhelferin, die Beschwerdeführerin habe das Foto eines zu Tode gekommenen Mädchens aufgestellt, weil ihr der Fall sehr nahe gehe, und sie spreche darüber, dass ihr das vor zwei Jahren auch hätte passieren können. Dies lässt aber nicht den Schluss auf eine auch nur halbwegs reale, aktuelle Tötungsneigung gegenüber dem Kind zu. Zu Recht wurde dieser Aspekt weder in der zweiten Entscheidung des Amtsgerichts noch in der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts aufgegriffen, die beide nicht unter demselben Zeitdruck getroffen werden mussten, unter dem das Amtsgericht hier stand.

35

Angesichts einer sehr hohen Schadensintensität, die durch den Antragsschriftsatz des Jugendamts angedeutet war, ist die Annahme, das Kind müsse zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben sofort aus der Familie herausgenommen werden, noch nachvollziehbar. Wegen des besonderen Zeitdrucks genügt insoweit ausnahmsweise auch die bloße Bezugnahme auf die Ausführungen des Jugendamts und die psychiatrische Stellungnahme durch das Gericht noch verfassungsrechtlichen Anforderungen.

IV.

36

1. Es wird lediglich der Beschluss des Oberlandesgerichts, soweit er die Entziehung des Sorgerechts bestätigt, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil er dem Interesse der Beschwerdeführer, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>), am besten dient.

37

2. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 105, 197 <235>; stRspr).

38

3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

39

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Ausschluss des Umgangs der Eltern mit ihrem in einer Pflegefamilie untergebrachten Sohn.

2

1. Aus der ersten Ehe der Beschwerdeführer, die von September 1998 bis Januar 2000 Bestand hatte, ist ihr im Juli 1999 geborener Sohn hervorgegangen. Während der Schwangerschaft trennten sich die Beschwerdeführer. Nachdem die Beschwerdeführerin das Kind drei Tage nach der Geburt im Krankenhaus zurückgelassen hatte, wurde es bei Pflegeeltern untergebracht, bei denen es bis heute lebt. Die Beschwerdeführer haben drei weitere (2001, 2005 und 2010 geborene) gemeinsame Kinder, die von ihnen betreut werden.

3

a) Mit der die im Frühjahr 2000 rechtskräftig gewordene Scheidung aussprechenden Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer mit Zustimmung der Beschwerdeführerin das Sorgerecht für das Kind übertragen. In der Folge pflegte er einmal wöchentlich Umgang mit dem Kind. Im Herbst 2000 lebte die Beziehung der Beschwerdeführer wieder auf, woraufhin sie eine Rückkehr des Kindes zu sich anstrebten. Ab Februar 2001 wurde der Umgang der Beschwerdeführer auf letztlich zwei Tage pro Woche einschließlich Übernachtung ausgedehnt. Im November 2001 heirateten die Beschwerdeführer erneut. In einem durch die Beschwerdeführer eingeleiteten Sorgerechtsverfahren wurde im Februar 2004 ein Sachverständigengutachten erstellt, das eine Rückkehr des Kindes nicht befürwortete, woraufhin sich die Beschwerdeführer in einer Vereinbarung mit dem weiteren Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie bei einem wöchentlichen Umgangsrecht und 14-täglicher Wochenend-Übernachtung einverstanden erklärten.

4

Nachdem sich aus Sicht der Beschwerdeführer anlässlich des Pfingstferienumgangs im Jahr 2006 der Verdacht einer körperlichen Misshandlung durch die Pflegeeltern ergeben hatte, weigerten sie sich, das Kind an die Pflegeeltern zurückzugeben. Auf Antrag des Jugendamts entzog das Amtsgericht den Beschwerdeführern daraufhin im Juni 2006 im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge und setzte den Umgang für drei Monate aus. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde änderte das Oberlandesgericht die Sorgerechtsentziehung in eine befristete Verbleibensanordnung ab. Im Hauptsacheverfahren entzog das Amtsgericht im Mai 2007 nach Einholung eines zweiten psychologischen Gutachtens vom Dezember 2006 beiden Beschwerdeführern das Sorgerecht und ordnete wohl einen begleiteten Umgangstermin pro Monat an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht im Dezember 2007 mit der Maßgabe zurück, dass nur dem (bisher allein sorgeberechtigten) Beschwerdeführer die elterliche Sorge entzogen wurde und eine Übertragung auf die Beschwerdeführerin nicht erfolgte. Der begleitete Umgang wurde in der Folge bis September 2008 fortgesetzt. Dann lehnte der Kinderschutzbund eine weitere Begleitung der Umgangskontakte ab, weil der Beschwerdeführer die Bedürfnisse des Kindes nicht erkenne und bei den Treffen eine emotional angespannte Atmosphäre herrsche. In der Folgezeit konnte zwischen den Beschwerdeführern und dem Jugendamt keine Einigung über weitere regelmäßige Umgangstermine erzielt werden. Danach trafen die Beschwerdeführer das Kind lediglich an dessen zehntem Geburtstag im Juli 2009 sowie wenige Male im Sommer 2010. Zwei weitere im April und August 2010 angebotene Umgangstermine nahmen die Beschwerdeführer nicht wahr. Im November 2010 fand ein begleiteter Umgang statt. Sodann lehnte das Kind weitere Kontakte ab. Seitdem haben die Beschwerdeführer es nicht gesehen. Ein für Anfang Januar 2011 vorgesehener Umgangskontakt fand nicht statt, weil die Beschwerdeführer eine Begleitung des Umgangs ablehnten.

5

b) aa) Im Ausgangsverfahren begehrten die Beschwerdeführer im Juli 2010 einen wöchentlichen unbegleiteten Umgang. Im Oktober 2010 gab das damals elfjährige Kind gegenüber dem Amtsgericht an, es wünsche keinen Umgang. Die Beschwerdeführer erklärten sich in der darauf folgenden mündlichen Verhandlung mit einem begleiteten Umgangstermin pro Monat einverstanden. Nachdem das Kind im Dezember 2010 weitere Treffen mit den Beschwerdeführern ablehnte, wurde das gerichtliche Verfahren fortgeführt. In der mündlichen Verhandlung im März 2011 gab das Kind an, es wolle die Umgangstermine selbst bestimmen und keinen vom Gericht geregelten Kontakt, es wünsche sich Termine mit seinem Bruder und Onkel, nicht jedoch mit seinem Vater.

6

bb) Mit Beschluss vom 1. April 2011 wies das Amtsgericht den Antrag der Beschwerdeführer zurück und setzte den Umgang für die Dauer von sechs Monaten aus. Das Jugendamt habe mitgeteilt, dass es für die Beschwerdeführer offenbar nach wie vor kaum zu ertragen sei, dass das Kind in einer Pflegefamilie lebe. Der Beschwerdeführer habe heimlich Kontakt zu seinem Sohn aufgenommen, was diesen in innere Konflikte bringe. Nach Einschätzung des Jugendamts habe das Kind eine sehr intensive liebevolle und emotional tragfähige Bindung zu seiner Pflegefamilie aufgebaut und würden erzwungene Kontakte zu den Eltern seine weitere Entwicklung gefährden. Seit der Beschwerdeentscheidung im Vorverfahren, die festgestellt habe, die Kindeseltern nutzten seit mehreren Jahren die Umgangskontakte dazu, das Kind negativ gegen die Pflegefamilie zu beeinflussen, und insbesondere der Beschwerdeführer stelle die primäre Bindung des Kindes zu den Pflegeeltern permanent in Frage und verursache so eine psychische Destabilisierung des Kindes, habe sich das Verhalten der Eltern, insbesondere des Beschwerdeführers, nicht entscheidend geändert. Er habe das Generalkonsulat seines Herkunftslandes um Unterstützung bei der Wiedererlangung des Sorgerechts gebeten. Sich über den Willen des weitere Umgangskontakte ablehnenden Kindes hinwegzusetzen, gefährde das Kindeswohl. Die Einholung eines weiteren Gutachtens sei angesichts der bereits vorliegenden Gutachten, der Stellungnahme des Jugendamts und des Kinderschutzbundes entbehrlich. Eine erneute Begutachtung würde zu einer weiteren Belastung des Kindes führen. Aus diesem Grund sei auch die Bestellung eines Verfahrensbeistands nicht geboten. Ein begleiteter Umgang sei angesichts des Willens des Kindes, der ablehnenden Haltung der Beschwerdeführer gegen diese Form des Umgangs und der Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht sinnvoll.

7

cc) Eine gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde wies das Oberlandesgericht nach Bestellung eines Verfahrensbeistands, Anhörung des Kindes und Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Beschluss vom 2. November 2011 unter Verlängerung des Umgangsausschlusses bis zum 31. Dezember 2012 zurück.

8

Ein unbegleiteter Umgang gefährde das Kindeswohl. Die Gutachten von Februar 2004 und Dezember 2006 sprächen von einem langjährigen schädigenden Verhalten der Beschwerdeführer, vor allem des Beschwerdeführers, und von einer negativen Beeinflussung des Kindes gegen die Pflegeeltern bei den Umgangskontakten. Der Beschwerdeführer sei der Ansicht, das Kind gehöre aufgrund der Blutsverwandtschaft zu ihm und müsse in einer muslimischen Familie aufwachsen. Er stelle die primäre Bindung des Kindes zu den Pflegeeltern permanent in Frage, diskreditiere die Pflegefamilie öffentlich und habe sie 2006 mit Strafanzeigen belegt. Seit der Zeit des Beschlusses vom Dezember 2007 könne bei den Kindeseltern weder ein Umdenken noch ein Lernfortschritt festgestellt werden. Sie könnten den Verbleib des Kindes bei seinen Pflegeeltern weiterhin innerlich nicht akzeptieren und nicht ansatzweise positiv begleiten. Mehrfach habe der Beschwerdeführer beim pakistanischen Generalkonsulat um Unterstützung zur Wiedererlangung des Sorgerechts nachgesucht. Dieses Verhalten verursache bei dem Kind einen erheblichen Loyalitätskonflikt und eine psychische Destabilisierung. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer ihre Position künftig änderten; so habe der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung daran festgehalten, dass es dem Kind in der Pflegefamilie nicht gut gehe. Daraus, dass die Kindeseltern einen begleiteten Umgangskontakt in den Räumen des Jugendamts aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt und drei zwischen April 2010 und Januar 2011 angebotene Termine nicht wahrgenommen hätten, sei ersichtlich, dass sie die eigenen Interessen und Vorstellungen in den Vordergrund stellten und es ihnen nicht um die Verfestigung der Beziehung zu ihrem Kind gehe.

9

Auch die Anordnung eines begleiteten Umgangs gefährde das Kindeswohl, denn das Kind lehne den Umgang mit den Beschwerdeführern derzeit stabil, nachhaltig, ernsthaft und klar ab. Es besitze die Fähigkeit zur verantwortlichen Selbstbestimmung, Reife und Urteilsfähigkeit. Es denke über sich und seine Lebenssituation intensiv nach und reflektiere sie sorgfältig. In seiner etwas verschüchterten, aber durchaus selbstbewussten Art habe der Junge überzeugend erklärt, er wolle keine Gerichtsverhandlungen mehr, sondern wolle selbst eine Entscheidung treffen, auch wenn ihm durchaus bewusst sei, dass seine Eltern ihn liebten und ehrten. Die Entscheidung des Kindes erscheine ausgewogen und wohl überlegt. Eine Beeinflussung des Kindes durch das Jugendamt oder die Pflegeeltern sei nicht erkennbar. Es habe erklärt, die Pflegeeltern würden ihm allein die Entscheidung überlassen, inwieweit es Kontakte zu seinen Eltern pflegen wolle. Dies sei auch glaubhaft, nachdem die Pflegeeltern die Umgangskontakte stets ermöglicht hätten. Für den vom Kind geäußerten Wunsch, keinen Kontakt mehr zu wollen, gebe es objektive Gründe, nämlich die auch in der mündlichen Verhandlung erneut deutlich gewordene mangelnde Akzeptanz der Beschwerdeführer für den Wunsch des Kindes, in der Pflegefamilie zu bleiben. In seiner Anhörung habe das Kind als maßgeblichen Grund für die Verweigerung von Kontakten angegeben, dass es von seinen Eltern immer wieder bedrängt werde, bei ihnen zu leben. Ein erzwungener Umgang gefährde vorliegend das Kindeswohl und lasse sich im Hinblick darauf, dass das Kind den Umgang ernsthaft mit beachtenswerten und nachvollziehbaren Gründen ablehne, nicht mit seinem Persönlichkeitsrecht vereinbaren. Nach der Stellungnahme des Verfahrensbeistands könnte das Kind zu Schaden kommen, wenn ihm unbegleitete oder begleitete Umgangskontakte aufgedrängt würden.

10

Der Umgangsausschluss sei zeitlich zu befristen bis zum 31. Dezember 2012, denn das Kind müsse jetzt zur Ruhe kommen und vor den ständigen Konflikten, insbesondere weiteren belastenden Gerichtsverfahren, die es erheblich verunsicherten, geschützt werden. In Verfahren zur Regelung des Umgangs gelte das Verschlechterungsverbot nicht.

11

Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich, da zwei umfangreiche Gutachten vorlägen, die sich mit der Entwicklung des Kindes seit seiner Geburt und den sozialen Verhältnissen der Herkunfts- und der Pflegefamilie auseinandersetzten und dem Senat eine vollständige Anamnese in Bezug auf diese sieben Lebensjahre ermöglichten. Im Umfeld der Familien hätten sich seitdem keine wesentlichen Änderungen ergeben. Der Wille des Kindes sei ausführlich vom Verfahrensbeistand erforscht worden, und auch das Jugendamt habe dem Gericht über viele Gespräche berichtet. Der Senat sei aufgrund seiner eigenen ausführlichen Anhörung des Kindes in der Lage, den Willen des Kindes sowie die autonome Bildung dieses Willens abschließend zu beurteilen. Abweichende, entscheidungsrelevante Erkenntnisse zum Kindeswillen seien durch ein Gutachten nicht zu erwarten.

12

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde, die einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einschließt, rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und mit Art. 8 und Art. 6 EMRK und von Art. 103 Abs. 1 GG.

13

Die Gerichte hätten sich nicht damit auseinandergesetzt, dass das Umgangsrecht der Beschwerdeführer grundsätzlich unter dem Schutz des Art. 6 GG stehe, und hätten Art. 6 GG auch nicht in einer Weise ausgelegt, die den aus Art. 8 EMRK folgenden Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland entspreche. Diese Norm verpflichte die Behörden, auf eine Zusammenführung eines Kindes mit seinen leiblichen Eltern hinzuwirken. Der Umgangsausschluss berge die Gefahr, dass die familiären Bande zwischen dem Kind und seinen Eltern endgültig abgeschnitten würden und es seiner Wurzeln beraubt würde, was einen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle, der nur bei außergewöhnlichen, hier nicht vorliegenden Umständen gerechtfertigt sei. Den Beschwerdeführern werde zu Unrecht angelastet, dass sie sich wegen der Rückenverletzungen des Kindes 2006 an die Polizei gewandt hätten. Bis dahin seien die Kontakte problemlos verlaufen. Da sie ihren Sohn seit langer Zeit kaum noch sähen, könnten sie auch nicht für den festgestellten Loyalitätskonflikt verantwortlich sein. Die Gerichte hätten eine von den Beschwerdeführern vorgeschlagene Umgangsregelung mit größeren zeitlichen Abständen (zwei bis drei Monate) in Erwägung ziehen müssen. Auch seien die negativen Auswirkungen einer Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern nicht berücksichtigt worden.

14

Der Verfahrensbeistand sei zu spät bestellt worden. Er habe kein Gespräch mit den Beschwerdeführern geführt, und seine Stellungnahme sei ihnen erst in der mündlichen Verhandlung zur Verfügung gestellt worden. Die Gerichte hätten sich auf fünf beziehungsweise sieben Jahre alte Gutachten gestützt, ohne zu berücksichtigen, dass sich die Bedürfnisse des Kindes altersgemäß geändert hätten. Zudem sei nicht geklärt worden, weshalb das Kind, das im Frühjahr 2006 noch bei den Beschwerdeführern habe leben wollen, sie nach einer Zeit von drei Jahren nahezu ohne Kontakt nun nicht mehr treffen wolle. Die geäußerte Ablehnung eines Umgangs beruhe möglicherweise auf einer Beeinflussung durch die Pflegeeltern oder das Jugendamt. Auch die Beschwerdeführer selbst hätten seit der letzten Begutachtung ihre Denkweise verändert; so hätten sie sich um eine Versöhnung mit den Pflegeeltern bemüht und drei Jahre lang keine gerichtlichen Verfahren angestrengt, um Ruhe einkehren zu lassen.

II.

15

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung hat (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) noch ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

16

a) Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 GG in Verbindung mit Art. 6 EMRK rügen, genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den sich aus §§ 23, 92 BVerfGG ergebenden Begründungsanforderungen. Insoweit legen die Beschwerdeführer schon nicht dar, in welchen Punkten das von den Fachgerichten gewählte Verfahren der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte widersprechen sollte. Die bloße Behauptung von Verfahrensfehlern, ohne im Einzelnen auszuführen, welche Anforderungen an familiengerichtliche Verfahren der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ableitet und inwiefern die bemängelten Vorgänge gegen diese Rechtsprechung verstoßen, reicht nicht aus. Es kann dahinstehen, ob die Beschwerdeführer zudem hinreichend begründet haben, weshalb die behauptete Konventionsverletzung zugleich einen Verstoß gegen das Grundgesetz darstellen sollte (vgl. BVerfGE 111, 307 <316 ff.>; 128, 326 <366 ff.>).

17

b) Zweifelhaft ist darüber hinaus, ob die Beschwerdeführer den Rechtsweg erschöpft haben (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Sie rügen ausdrücklich eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, haben jedoch nicht die nach § 44 FamFG statthafte Anhörungsrüge erhoben (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, NJW 2005, S. 3059 f.). Allerdings erscheint nicht ausgeschlossen, das Vorbringen der Beschwerdeführer der Sache nach als Rüge des Unterlassens der durch Art. 6 Abs. 2 GG gebotenen Sachverhaltsaufklärung zu verstehen. Dies kann hier offenbleiben.

18

c) Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie nicht bereits unzulässig ist (a), jedenfalls unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG. Der befristete Ausschluss des Umgangsrechts ist mit dem Grundgesetz auch im Lichte der bei seiner Auslegung zu berücksichtigenden Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. BVerfGE 111, 307 <317>; 128, 326 <368 f.>; stRspr) vereinbar.

19

aa) (1) Das durch § 1684 BGB gewährte Umgangsrecht eines Elternteils mit seinem (nicht bei ihm lebenden) Kind erwächst aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und steht somit unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 31, 194 <206>; 64, 180 <187 f.>). Es ermöglicht im Falle einer Trennung der Eltern dem umgangsberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung fortlaufend persönlich zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten, einer Entfremdung vorzubeugen und dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 31, 194, <206 f.>; 64, 180 <187 f.>). Entsprechendes gilt auch für den Fall, dass das Kind nicht bei einem Elternteil, sondern in einer Pflegefamilie lebt. Denn in der Regel entspricht es dem Kindeswohl, die familiären Beziehungen aufrechtzuerhalten und das Kind nicht vollständig von seinen Wurzeln zu trennen (vgl. BVerfGK 4, 339 <347>; 17, 407 <411>).

20

(2) Der Ausschluss der Eltern vom Umgang mit ihrem in einer Pflegefamilie untergebrachten Kind wie auch die Beschränkung des elterlichen Umgangsrechts unterliegen strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen.

21

(a) Die Inpflegenahme eines Kindes gegen den Willen der Eltern stellt einen der stärksten vorstellbaren Eingriffe in das Elternrecht dar, der mit gleicher Intensität das Kind selbst trifft (vgl. BVerfGE 68, 176 <187>), so dass sowohl die ursprüngliche Trennung als auch deren Aufrechterhaltung nur unter Wahrung strenger Verhältnismäßigkeitsanforderungen nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 3 GG mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl. BVerfGE 60, 79). Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet die staatlichen Behörden anzustreben, die institutionell auf Zeit angelegten (vgl. BVerfGE 79, 51 <60>) Pflegeverhältnisse nicht so zu verfestigen, dass die leiblichen Eltern mit der Weggabe ihres Kindes in nahezu jedem Fall den dauernden Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie oder -einrichtung befürchten müssen (vgl. BVerfGE 75, 201 <219>). Das Elternrecht dient dem Schutz des Kindes und beruht auf dem Grundgedanken, dass in aller Regel Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution (vgl. BVerfGE 59, 360 <376>). Dies hat Konsequenzen für die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Ausschluss der Eltern vom Umgang mit ihrem in einer Pflegefamilie untergebrachten Kind wie auch für die Umgangsbeschränkung.

22

(b) Nach Art. 6 Abs. 3 GG dürfen Kinder gegen den Willen der Erziehungsberechtigten nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Zwar kommen die strengen Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 GG bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung eines gerichtlichen Umgangsausschlusses nicht direkt zum Tragen, da hiermit nicht unmittelbar über die Herbeiführung oder die Aufrechterhaltung der Trennung des Kindes von seiner Familie entschieden wird. Jedoch beeinflusst ein Umgangsausschluss die weitere Entwicklung des Verhältnisses zwischen den Eltern und ihrem in einer Pflegefamilie lebenden Kind insofern, als er tendenziell zu einer weiteren Verfestigung der bereits bestehenden Trennung oder zumindest zu einer Erschwerung einer Rückkehr des Kindes zu den Eltern beiträgt. Weil demnach die Entscheidung über den Umgang der Eltern mit ihrem in einer Pflegefamilie untergebrachten Kind mit der Aufrechterhaltung der Trennung des Kindes von seinen beiden Eltern aufs Engste zusammenhängt, ist die Wertung des Art. 6 Abs. 3 GG in dieser Konstellation auch für die Entscheidung über den Umgangsausschluss maßgeblich.

23

Soweit das Bundesverfassungsgericht eine Betroffenheit des Art. 6 Abs. 3 GG durch bestimmte gesetzliche oder gerichtliche Regelungen zum Umgangsrecht ausdrücklich verneint hat (vgl. BVerfGE 31, 194 <210 f.>), bezog sich dies auf die insoweit mit einer Fremdunterbringung des Kindes nicht vergleichbare Konstellation, dass sich die leiblichen Eltern, die sich beide gleichermaßen auf Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG berufen können, untereinander über die Ausgestaltung des Umgangs nicht einigen konnten. Der Staat wird in einer solchen Konstellation nur zum Ausgleich zwischen den streitenden Eltern tätig, indem er bestimmt, in welchem Umfang der eine Teil sein Elternrecht ausüben darf und der andere dies dulden und ermöglichen muss. Gegen eine solche Verkehrsregelung im Falle getrennt lebender Eltern ist Art. 6 Abs. 3 GG nicht gerichtet. Die Regelung wendet sich vielmehr gegen die "Wegnahme" des Kindes von seinen Eltern, um es einer Erziehung durch den Staat oder durch von diesem bestellte Dritte zu unterwerfen (vgl. BVerfGE 31, 194 <210 f.>). Steht hingegen, wie hier, das Umgangsrecht der Eltern mit ihrem in einer Pflegefamilie lebenden Kind in Rede, tritt der Staat gerade nicht zum Ausgleich zwischen den Eltern auf; vielmehr greift er in das Verhältnis zwischen den Eltern und ihrem Kind ein, das infolge dieses Umgangsausschlusses langfristig von seinen Eltern getrennt zu werden droht. Für Maßnahmen, die die Rückkehr eines in einer Pflegefamilie untergebrachten Kindes zu seinen Eltern erschweren, gelten strenge Maßstäbe (vgl. BVerfGE 75, 201 <220>).

24

(c) Den strengen Anforderungen des Art. 6 GG an Ausschluss oder Beschränkung des elterlichen Umgangs mit ihrem in Pflege genommenen Kind entspricht der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus Art. 8 EMRK hergeleitete Schutz des elterlichen Umgangs mit ihrem Kind. Auch Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt das gegenseitige Erleben des Zusammenseins von Eltern und Kindern als grundlegenden Bestandteil des Familienlebens. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederholt die mit der Inpflegenahme eines Kindes verbundene Intensität des Eingriffs in die Rechte der leiblichen Eltern sowie die einem regelmäßigen Umgang schon mit Blick auf das vorrangige Ziel einer Rückführung des Kindes zu seinen Eltern zukommende große Bedeutung betont und daher strenge Anforderungen an Beschränkungen des Umgangs formuliert (vgl. EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 12. Juli 2001 - 25702/94 -, K. und T. v. Finnland, Rn. 155, 177 ff.; Urteil vom 26. Februar 2002 - 46544/99 -, K. v. Deutschland, Rn. 67, 76 ff.; Urteil vom 26. Februar 2004 - 74969/01 -, G. v. Deutschland, FamRZ 2004, 1456 <1458 f.>).

25

(d) Die Rechtfertigung einer Einschränkung oder eines Ausschlusses des elterlichen Umgangsrechts setzt im Falle eines in einer Pflegefamilie untergebrachten Kindes auf der einen Seite voraus, dass der Schutz des Kindes dies nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erfordert, um eine konkrete Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren (vgl. BVerfGK 17, 407 <411>), wobei gegebenenfalls auch der dem Umgang entgegenstehende Wille des Kindes und die Folgen eines gegen diesen Willen angeordneten Umgangs nicht außer Betracht bleiben dürfen; so kommen eine Einschränkung oder der Ausschluss der Umgangsbefugnis insbesondere in Betracht, wenn das Kind dies aus ernsthaften Gründen wünscht und ein erzwungenes Umgangsrecht das Kindeswohl beeinträchtigen würde (vgl. BVerfGE 64, 180 <191>; s. auch EGMR, Entscheidung vom 25. September 2007 - 13301/05 -, B. v. Deutschland, Rn. 30, juris). Auf der anderen Seite muss das Gericht dem besonderen verfassungs- und menschenrechtlichen Stellenwert des elterlichen Umgangsrechts mit ihrem in Pflege genommenen Kind Rechnung tragen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht muss ein Kindschaftsverfahren in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung zu erlangen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. Dezember 2008 - 1 BvR 746/08 -, Rn. 52, juris; sowie für die elterliche Sorge BVerfGE 55, 171 <182>) und damit der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen (vgl. BVerfGE 84, 34 <49>).

26

bb) Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen gerecht.

27

(1) Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung auf § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB gestützt. Dieser erlaubt eine Einschränkung oder einen Ausschluss des Umgangsrechts für längere Zeit oder auf Dauer nur dann, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Diese Bestimmung lässt hinreichend Raum für die Berücksichtigung der oben genannten verfassungs- und menschenrechtlichen Anforderungen an den Ausschluss des elterlichen Umgangsrechts im Fall der Inpflegenahme ihres Kindes.

28

Zwar erwähnt das Oberlandesgericht auch die Auffangvorschrift des § 1697a BGB. Diese Regelung bildet verfassungsrechtlich keine hinreichende Grundlage für den Ausschluss des elterlichen Umgangs mit ihrem in einer Pflegefamilie untergebrachten Kind. Nach § 1697a BGB sind gerichtliche Entscheidungen über die elterliche Sorge in Ermangelung einer anderen Bestimmung danach zu treffen, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Diese Voraussetzung erfüllt, anders als § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB, für sich genommen nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die im Fall eines in Pflege genommenen Kindes an Ausschluss und Beschränkung des elterlichen Umgangsrechts zu stellen sind. Verfassungsrechtlich kommt es in dieser Konstellation nicht darauf an, was dem Kindeswohl am besten entspricht, sondern ob der Umgangsausschluss oder die Umgangsbeschränkung zur Verhinderung einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls erforderlich sind (vgl. auch EGMR, a.a.O., K. v. Deutschland, Rn. 69). Verfassungsrechtlich ist der Umgangsentscheidung in einer solchen Konstellation somit ein strengerer Maßstab als der des § 1697a BGB vorgegeben.

29

Aus den weiteren Ausführungen des Oberlandesgerichts ergibt sich jedoch, dass es gerade die Kindeswohlgefährdung als Voraussetzung für einen Umgangsausschluss angesehen und sich nicht darauf beschränkt hat, zu erwägen, was dem Kindeswohl am besten entspricht.

30

(2) Dass das Oberlandesgericht diese strengen Voraussetzungen eines Umgangsausschlusses für gegeben erachtet hat, hält verfassungsrechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.

31

(a) Das Oberlandesgericht hat im Rahmen der Erörterung der Möglichkeit begleiteter Umgangskontakte eine Kindeswohlgefährdung mit dem entgegenstehenden Kindeswillen begründet. Dabei hat es den Kindeswillen durch persönliche Anhörung sowie durch Verwertung der Erkenntnisse des Verfahrensbeistands und des Jugendamts erforscht und festgestellt, dass das Kind die ablehnende Haltung konstant und wiederholt (gegenüber dem Amtsgericht, dem Verfahrensbeistand, dem Oberlandesgericht) geäußert hat. Auch hat sich das Oberlandesgericht eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit der geäußerte Wille Ausdruck einer autonomen Entscheidung des Kindes war und auf welchen Gründen die Ablehnung von Umgangskontakten beruhte. Wenn es nach alledem aufgrund seines persönlichen Eindrucks von dem Kind und unter Berücksichtigung der durch das Kind bekundeten Erfahrungen davon ausging, dass die als stabil und nachhaltig eingeschätzte Ablehnung jeglichen Umgangs seitens des zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zwölf Jahre und drei Monate alten Kindes momentan nicht ohne Schäden überwunden werden könne und deswegen das Kindeswohl für den Fall der Durchführung begleiteter Umgangskontakte als kon-kret gefährdet angesehen hat, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

32

Diese Erwägungen des Gerichts zur Frage des begleiteten Umgangs tragen erst recht den Ausschluss unbegleiteten Umgangs.

33

(b) Ob eine den Umgangsausschluss rechtfertigende Kindeswohlgefährdung auch aus dem Verhalten der Beschwerdeführer, insbesondere dem Verhalten des Beschwerdeführers bei den Umgangskontakten, abgeleitet werden kann, obwohl zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts ein Umgang der Beschwerdeführer mit dem Kind bereits seit geraumer Zeit kaum noch stattgefunden hatte und die Sachverständigengutachten, auf die das Oberlandesgericht seine Einschätzung der Kindeswohlschädlichkeit des elterlichen Verhaltens unter anderem stützt, bereits in den Jahren 2004 und 2006 erstellt wurden, bedarf hier ebenso wenig einer Entscheidung wie die Frage, ob die wiederholte Äußerung des Wunsches der Eltern nach einer Rückkehr des Kindes zu ihnen für sich betrachtet als Argument für einen Umgangsausschluss herangezogen werden darf. Auf diese Gesichtspunkte kommt es nicht an, weil das Oberlandesgericht seine Feststellung einer Kindeswohlgefährdung auch darauf gestützt hat, dass der Wille des Kindes derzeit nicht überwunden werden könne, ohne das Kind zu schädigen. Diese Begründung der Kindeswohlgefahr trägt die Entscheidung selbständig.

34

(c) Den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat das Oberlandesgericht dadurch Rechnung getragen, dass es den Umgangsausschluss befristet und damit auf das erforderliche Maß beschränkt hat.

35

2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (vgl. § 40 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts).

36

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts war abzulehnen, weil die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 1, 109; 81, 347 <362>).

37

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

38

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 42/07
vom
17. Oktober 2007
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Brüssel IIa-VO Art. 8 Abs. 1;
NRWSchulG §§ 34, 41;
NRWVerf Art. 8 Abs. 2
Weigern sich Eltern beharrlich, ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder einer anerkannten
Ersatzschule zuzuführen, um ihnen statt dessen selbst "Hausunterricht" zu erteilen,
so kann darin ein Missbrauch der elterlichen Sorge liegen, der das Wohl der Kinder nachhaltig
gefährdet und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666 a BGB erfordert.
Die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Regelung von
Schulangelegenheiten in Verbindung mit der Anordnung einer Pflegschaft ist in solchen Fällen
im Grundsatz zur Abwehr der Gefahr geeignet und verhältnismäßig.
Ein vom Familiengericht bestellter Pfleger ist jedoch zur Wahrnehmung seiner Aufgaben im
Einzelfall offenkundig ungeeignet, wenn er bereits im einstweiligen Anordnungsverfahren
zum Pfleger bestellt worden war und in dieser Eigenschaft die Voraussetzungen dafür geschaffen
hat, dass die Eltern ihre Kinder ins Ausland verbracht haben und ihnen dort nunmehr
- wie von ihren Eltern bezweckt - auf Antrag des Pflegers "Hausunterricht" erteilt wird.
Die gleichzeitige Bestellung eines solchen Pflegers stellt zwar die Rechtsmäßigkeit des teilweisen
Sorgerechtsentzugs und der Anordnung der Pflegschaft als solche nicht in Frage. Sie
ist, weil sie die Wirksamkeit dieser an sich sachgerechten Maßnahmen unterläuft, aber - für
sich genommen - rechtsfehlerhaft.
BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2007 - XII ZB 42/07 - OLG Hamm
AG Paderborn
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Oktober 2007 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagnitz und Fuchs

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des 6. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. Februar 2007 wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die teilweise Entziehung der elterlichen Sorge, die Anordnung der Pflegschaft für die betroffenen Kinder und die dem Pfleger zuerkannte Befugnis richtet, die Herausgabe der Kinder, notfalls mit Gewalt und mittels Betretens und Durchsuchung der elterlichen Wohnung, zu verlangen. Im Übrigen (Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger; Einschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechts des Pflegers) wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 3000 €

Gründe:

I.

1
Die Beteiligten zu 1 sind die Eltern der minderjährigen Kinder D. und M. sowie deren jüngerer Schwester und weiterer älterer Geschwister. Sie sind gläubige Baptisten und - zusammen mit anderen Mitgliedern ihrer Glaubensgemeinschaft - als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Das Kind D. besuchte die ersten zwei Klassen der öffentlichen Grundschule. Im September 2004 - Beginn der dritten Grundschulklasse - haben die Eltern der Schule mitgeteilt, dass sie das Kind D. ebenso wie das Kind M. , das zu diesem Zeitpunkt eingeschult werden sollte, künftig zu Hause unterrichten würden, da die Erziehung und Bildung ihrer Kinder in der öffentlichen Grundschule mit ihren Glaubensüberzeugungen nicht vereinbar seien. Gespräche mit Schulleitung , Bezirksregierung und Integrationsbeauftragtem führten ebenso wenig wie die rechtskräftige Verurteilung der Eltern zur Zahlung eines Bußgeldes von je 250 € dazu, dass die Eltern die Kinder zum Schulunterricht brachten. Ein Zwangsgeldverfahren wurde bislang nicht erfolgreich abgeschlossen. Die Eltern und andere Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft streben die Gründung einer Ersatzschule an, die ihren religiösen Überzeugungen entspricht; eine Entscheidung im Verwaltungsverfahren steht aus.
2
Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge in Schulangelegenheiten sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und auf die Beteiligte zu 2 als Pfleger mit der Maßgabe übertragen, dass im Falle einer notwendig werdenden Fremdunterbringung der Kinder keine Heimunterbringung, sondern eine Unterbringung in einer baptistischen Pflegefamilie erfolgen solle, welche die allgemeine Schulpflicht anerkenne und die Teilnahme der Kinder am Unterricht in einer öffentli- chen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule ermögliche; zugleich ist die Beteiligte zu 2 ermächtigt worden, die Herausgabe der Kinder mittels Gewalt zu erzwingen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
3
Die Kinder wurden im Juli/August 2005 mit Einwilligung der Beteiligten zu 2 nach W. in K. (Österreich) umgemeldet. Sie halten sich überwiegend dort auf und bewohnen gemeinsam mit ihrer Mutter, die ihren Wohnsitz nach wie vor in P. hat, mit ihrer jüngeren Schwester sowie mit Angehörigen einer anderen baptistischen Familie, die ebenfalls die Erfüllung der deutschen Schulpflicht verweigert (Parallelverfahren betr. die minderjährigen Kinder D. und M. – XII ZB 41/07), ein gemietetes Haus. Der Vater lebt mit den anderen minderjährigen Kindern weiterhin in P. und geht dort seiner Berufstätigkeit nach. Die Mutter besucht mit den Kindern D. und M. sowie mit deren jüngerer Schwester in den Ferien und an verlängerten Wochenenden die übrige Familie in P. . Sie will mit den Kindern nicht dauerhaft in Österreich bleiben, sondern nach einem für sie erfolgreichen Abschluss des vorliegenden Verfahrens nach P. zurückkehren. Die Beteiligte zu 2 hat bei den österreichischen Behörden die Gestattung erwirkt, dass die Kinder in Österreich Heimunterricht nach § 11 des österreichischen Schulpflichtgesetzes erhalten; der Unterricht wird ihnen anhand von österreichischem Lernmaterial von ihrer Mutter, die über keine einschlägige Vorbildung verfügt, erteilt. Ausweislich eines von der Externistenkommission der Adventistischen Volksschule B. erteilten Zeugnisses haben beide Kinder die Prüfung für ihre jeweilige Schulstufe der Volksschule bestanden.
4
Im Hauptverfahren hat das Amtsgericht die bereits mit der einstweiligen Anordnung getroffene Regelung über den teilweisen Entzug des Sorgerechts und dessen Übertragung auf die Beteiligte zu 2 aufrechterhalten. Die Gefahr für das Kindeswohl bestehe trotz der Beschulung der Kinder in Österreich insoweit fort, als bei einer Aufhebung der angeordneten Maßnahme mit einer Rückkehr der Kinder nach P. zu rechnen sei, ohne dass die Kinder dort die öffentlichen Schulen besuchen würden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 1 ihr Beschwerdebegehren weiter.

II.

5
Das Rechtsmittel führt lediglich zur teilweisen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht, hat aber im Übrigen keinen Erfolg.
6
1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat das Familiengericht den Beteiligten zu 1 das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung von Schulangelegenheiten für ihre Kinder D. und M. gemäß §§ 1666, 1666 a BGB zu Recht entzogen und auf die Beteiligte zu 2 übertragen.
7
Das geistige und seelische Wohl der Kinder sei nachhaltig gefährdet, weil die Beteiligten zu 1 die für die Entwicklung der Kinder in einer pluralistischen Gesellschaft wichtige staatliche Schulerziehung ablehnten und verhinderten. Dabei könne dahinstehen, ob die Heimunterrichtung der Kinder eine hinreichende Wissensvermittlung gewährleiste; denn durch den gemeinsamen Schulbesuch sollten Kinder auch in das Gemeinschaftsleben hineinwachsen.
Es sei notwendig, Kinder auch anderen Einflüssen als denen des Elternhauses auszusetzen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt habe, könnten soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfänden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung seien.
8
Der Umstand, dass die Kinder sich derzeit in Österreich aufhielten und nach dem dortigen Recht die Schulpflicht durch Heimunterricht erfüllt werde, stehe nicht entgegen. Denn die Kinder teilten den Wohnsitz ihrer Eltern (§ 11 BGB), der für beide Elternteile weiterhin in Nordrhein-Westfalen begründet sei. Der Aufenthalt in Österreich sei, wie die Mutter selbst wiederholt erklärt habe, nur vorübergehender Natur; er begründe mangels Domizilwillens keinen Wohnsitz. Deshalb unterlägen die Kinder nach wie vor der Schulpflicht nach § 34 SchulG NRW, die eine Hausunterrichtung nicht zulasse. Eine Kindeswohlgefährdung sei auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Beteiligte zu 2 selbst bei den österreichischen Behörden beantragt habe, dass die Kinder ihre Schulpflicht durch Heimunterricht nach österreichischem Recht erfüllen könnten. Denn mit diesem Antrag habe die Beteiligte zu 2 ersichtlich nur erreichen wollen , dass die Kinder zumindest in die Lage versetzt würden, in Österreich häuslichen Unterricht mit der Möglichkeit des Ablegens einer Prüfung nach § 11 Abs. 4 des österreichischen Schulpflichtgesetzes zu erhalten.
9
Durch die Schulpflicht seien die Grundrechte der Beteiligten zu 1 und der Kinder nicht verletzt. Wie das Bundesverfassungsgericht dargelegt habe, diene die Pflicht zum Besuch der staatlichen Grundschule dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags und sei zur Erreichung die- ses Ziels auch geeignet und erforderlich. Die mit dieser Pflicht verbundenen Eingriffe in die Grundrechte der Eltern stünden auch in angemessenem Verhältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen erwarten ließen. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich geprägten „Parallelgesellschaften“ entgegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren. Integration setze dabei auch voraus, dass religiöse oder weltanschauliche Minderheiten sich nicht selbst abgrenzten und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschlössen. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, sei eine wichtige Aufgabe schon der Grundschule.
10
Die vom Familiengericht zur Durchsetzung der Schulpflicht angeordneten Maßnahmen seien auch verhältnismäßig; geringere Eingriffe zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung kämen nicht in Betracht.
11
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Wesentlichen stand.
12
a) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben, da die Kinder weiterhin in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 8 Abs. 1 EG-Verordnung Nr. 2201/2003, EuEheVO II = „Brüssel II a“). Das Oberlandesgericht hat zwar den gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder nicht ausdrücklich erörtert. Aus seinen zum Wohnsitz getroffenen Feststellungen ergibt sich jedoch, dass der Schwerpunkt der Bindungen der Kinder, mithin ihr Daseinsmittelpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1975 - IV ZR 103/73 - FamRZ 1975, 272), weiterhin in Deutschland liegt.
13
b) Nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass die Kinder weiterhin der Schulpflicht nach deutschem Recht unterliegen, da der insoweit maßgebende § 34 Schulgesetz NRW auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder abstellt, die Kinder den Wohnsitz ihrer Eltern teilen (§ 11 Satz 1 BGB) und dieser für beide Elternteile - nach den rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Oberlandesgerichts - weiterhin in P. begründet ist. Richtig ist ferner, dass das deutsche Schulrecht die Beteiligten zu 1 verpflichtet, ihre Kinder zur Befolgung der Schulpflicht anzuhalten (vgl. § 41 Abs. 1 Schulgesetz NRW i.V.m. Art. 8 Abs. 2 Landesverfassung NRW). Richtig ist außerdem, dass die beharrliche Weigerung der Beteiligten zu 1, ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, sich als ein Missbrauch der elterlichen Sorge darstellt, der das Wohl der betroffenen Kinder nachhaltig gefährdet und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666 a BGB erfordert. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit weder gegen die Schulpflicht noch - im Grundsatz - gegen familiengerichtliche Maßnahmen, mit denen die Schulpflicht nach Maßgabe der §§ 1666, 1666 a BGB durchgesetzt werden soll. Auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts und die dort ausführlich wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird verwiesen. Danach sind die Eltern auch dann nicht berechtigt, ihre Kinder der Schulpflicht zu entziehen, wenn einzelne Lehrinhalte oder –methoden der Schule den Glaubensüberzeugungen der Eltern entgegenstehen. Dies gilt jedenfalls solange, als der Staat seinen Erziehungsauftrag im Sinne der Vorgaben des Grundgesetzes verantwortungsvoll wahrnimmt; Gegenteiliges ist hier nicht ersichtlich.
14
Das Oberlandesgericht durfte auch zu Recht davon absehen, den von den Beteiligten zu 1 angebotenen Zeugenbeweis über deren Behauptung zu erheben, die Erfahrungen mit dem Unterricht in Gemeindeschulen sowie mit dem (Haus-) Unterricht der „D. F. “ oder der „P. - S. “ hätten keine Kindeswohlgefährdungen zutage gebracht. Der Unterricht in Gemeindeschulen ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Vor- und Nachteile von Hausunterricht sind, wie das Oberlandesgericht zu Recht bemerkt, nicht einem Zeugenbeweis, sondern allenfalls einem Sachverständigenbeweis zugänglich. Der Erhebung eines solchen Sachverständigenbeweises bedurfte es jedoch nicht, da sich die vom Oberlandesgericht - in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - geschilderten Vorzüge eines nicht hausgebundenen Unterrichts ebenso wie die relativen Nachteile eines Hausunterrichts dem tatrichterlichen Sachverstand ohne weiteres erschließen und sich zudem mit der Einschätzung des deutschen Schulgesetzgebers wie auch des Bundesverfassungsgerichts decken.
15
c) Frei von Rechtsfehlern sind auch der teilweise Entzug des Sorgerechts und die Anordnung einer Pflegschaft. Diese Maßnahmen sind im Grundsatz geeignet, dem Missbrauch der elterlichen Sorge durch die Beteiligten zu 1 entgegenzuwirken. Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Regelung von Schulangelegenheiten schafft in Verbindung mit der Anordnung der Pflegschaft die Voraussetzungen dafür, dass die Kinder durch geeignete Maßnahmen eines Pflegers zum Besuch einer öffentlichen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule in Deutschland angehalten werden und Schaden von den Kindern, wie er von einem fortgesetzten ausschließlichen Hausunterricht durch die Mutter zu besorgen ist, abgewendet wird. Es ist rechtsbedenkenfrei und im Hinblick auf die gezeigte Widersetzlichkeit der Eltern sogar naheliegend, dass ein solcher Pfleger - wie im Beschluss des Familiengerichts auch geschehen - ermächtigt wird, die Herausgabe der Kinder notfalls unter Einsatz von Gewalt und mittels Betreten und Durchsuchung der elterlichen Wohnung sowie unter Inanspruchnahme der Hilfe des Gerichtsvollziehers oder der Polizei zu erzwingen. Mildere Mittel, die Kinder vor dem Missbrauch der elterlichen Sorge wirksam zu schützen und den staatlichen Erziehungsauftrag im wohlverstandenen Kindesinteresse durchzusetzen, stehen - wie vom Oberlandesgericht zutreffend dargelegt - nicht zur Verfügung. Der teilweise Sor- gerechtsentzug und die Anordnung der Pflegschaft stehen zu dem mit diesen Maßnahmen verfolgten Kindesinteresse auch nicht außer Verhältnis; sie sind in Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes geboten.
16
d) Rechtlich zu beanstanden ist allerdings, dass das Familiengericht die Beteiligte zu 2 zum Pfleger bestellt hat. Denn dieser Pfleger ist nicht geeignet, den Gefahren für das Kindeswohl im vorliegenden Fall effektiv zu begegnen.
17
Zwar ist es grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters, einen geeigneten Pfleger auszuwählen. Die Auswahlentscheidung ist deshalb vom Rechtsbeschwerdegericht nur begrenzt nachprüfbar, insbesondere dahin, ob der Tatrichter die maßgeblichen Umstände ausreichend und umfassend in seine Auswahlentscheidung einbezogen hat. Das ist hier offenkundig nicht der Fall. Denn das Familiengericht hat die Erfahrungen, die es im vorangegangenen einstweiligen Anordnungsverfahren aus der Tätigkeit der Beteiligten zu 2 als Pfleger der Kinder hätte gewinnen müssen, unberücksichtigt gelassen.
18
Vor Erlass der angefochtenen Entscheidung hatte die Beteiligte zu 2 als Pfleger der Kinder deren Ummeldung nach Österreich - mit Wissen des Familiengerichts - zugestimmt und damit deren Verbringung dorthin erst ermöglicht. Die Ummeldung der Kinder nach Österreich verfolgte nach dem erklärten Willen der Beteiligten zu 1 den Zweck, die Kinder der deutschen Schulpflicht zu entziehen und ihnen den in Österreich zulässigen Hausunterricht durch die Mutter angedeihen zu lassen. Die Möglichkeit, die Kinder in Österreich dem Hausunterricht durch die Mutter zuzuführen, hat die Beteiligte zu 2 sodann - ebenfalls mit Wissen des Familiengerichts - durch eine entsprechende Antragstellung bei den österreichischen Behörden selbst eröffnet. Damit ist der Erfolg eingetreten, den die Beteiligten zu 1 von vornherein erstrebt haben, nämlich die häusliche Unterrichtung der Kinder durch die Mutter – dies allerdings nicht in Deutschland , sondern in Österreich.
19
Es ist nicht ersichtlich, dass der angefochtene - im Hauptverfahren ergangene - Beschluss des Familiengerichts, soweit er der Beteiligten zu 2 das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Sorgerecht in Schulangelegenheiten überträgt, an dieser von der Beteiligten zu 2 selbst herbeigeführten Situation etwas ändert. Diese Sicht teilt im Ansatz offenbar auch das Familiengericht, das eine Kindeswohlgefährdung deshalb für weiterhin gegeben hält und die teilweise Entziehung deshalb für nach wie vor notwendig erachtet, weil anderenfalls „mit einer Rückkehr der Kinder nach P. zu rechnen ist, ohne dass diese dann hier die öffentlichen Schulen besuchen werden“. Damit wird indes verkannt , dass das Wohl der Kinder nicht deshalb gefährdet ist, weil sie in Deutschland keine öffentliche Schule besuchen, sondern weil sie - obschon sie der deutschen Schulpflicht unterliegen - überhaupt keine öffentliche Schule besuchen. Der Gefahr für das Kindeswohl kann deshalb auch nicht dadurch begegnet werden, dass die Kinder möglichst an einer Rückkehr nach Deutschland gehindert werden; Ziel einer auf §§ 1666, 1666 a BGB gestützten Maßnahme kann es vielmehr nur sein, die Kinder zum Besuch einer öffentlichen Schule anzuhalten. Dieses Ziel kann zwar grundsätzlich mit dem vom Familiengericht vorgenommenen teilweisen Sorgerechtsentzug und der Anordnung einer Pflegschaft erreicht werden – dies allerdings nur dann, wenn der mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht und der Sorge für Schulangelegenheiten der Kinder betraute Pfleger willens und in der Lage ist, den Besuch der Kinder in einer öffentlichen Schule durchzusetzen, oder wenn er erforderlichenfalls durch geeignete Weisungen des Familiengerichts hierzu angehalten wird.
20
An geeigneten Weisungen hat es das Familiengericht - in Kenntnis des Verhaltens des Pflegers - bereits im einstweiligen Anordnungsverfahren fehlen lassen; auch im Hauptverfahren hat es solche Weisungen offenbar für nicht angezeigt erachtet. Da die Beteiligte zu 2 bereits vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung keine geeigneten Maßnahmen zur Einhaltung der Schulpflicht getroffen und - im Gegenteil - die Voraussetzungen für eine Hausunterrichtung der Kinder in Österreich überhaupt erst geschaffen hat, erscheint die Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger - bei gleichzeitigem Fehlen entsprechender Weisungen des Familiengerichts - zur Wahrnehmung seiner Aufgaben in diesem Einzelfall offenkundig ungeeignet, den Gefahren für das Wohl der Kinder zu begegnen. Die Bestellung eines offenkundig ungeeigneten Pflegers stellt die Rechtmäßigkeit des teilweisen Sorgerechtsentzugs und der Anordnung der Pflegschaft zwar als solche nicht in Frage; sie ist, weil sie die Wirksamkeit dieser an sich sachgerechten Maßnahmen unterläuft, aber für sich genommen rechtsfehlerhaft.
21
e) Soweit das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Pflegers dahin eingeschränkt hat, dass die Kinder für den Fall einer notwendig werdenden Fremdunterbringung nicht in einem Heim, sondern nur bei einer baptistischen Pflegefamilie untergebracht werden dürfen, stützt sich diese Einschränkung - ausweislich der vom Familiengericht gegebenen Begründung - auf die besonderen Verhältnisse und Möglichkeiten in P. . Sie ist ersichtlich auf die Beteiligte zu 2 als Pfleger zugeschnitten und deshalb nicht geeignet und bestimmt, auch andere Pfleger in der Wahrnehmung ihres Aufenthaltsbestimmungsrechts zu binden. Diese Beschränkung teilt deshalb das rechtliche Schicksal der Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger und bedarf deshalb erneuter Überprüfung.

III.

22
Im Ergebnis sind deshalb die teilweise Entziehung des Sorgerechts und die Anordnung einer Pflegschaft als solche rechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb war die Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen diese Maßnahmen richtet, zurückzuweisen.
23
Die teilweise Entziehung des Sorgerechts und die Anordnung einer Pflegschaft können die Kindeswohlgefährdung aber letztlich nur dann abwenden , wenn durch die Auswahl eines geeigneten Pflegers oder durch geeignete Weisungen des Familiengerichts an den Pfleger sichergestellt wird, dass der Schulpflicht der Kinder und der Verantwortung der Eltern für deren Einhaltung Geltung verschafft werden kann. Dies gilt, solange deutsches Recht - auch Schulrecht - Anwendung findet, unabhängig davon, ob die Kinder sich in Deutschland oder in Österreich aufhalten. Daran fehlt es bislang.
24
Der angefochtene Beschluss war daher hinsichtlich der vom Familiengericht vorgenommenen Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger und der auf ihn zugeschnittenen Beschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechts aufzuheben. Die Sache war insoweit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, damit es durch die Bestellung eines anderen, geeigneten Pflegers oder durch detaillierte Weisungen sicherstellt, dass die Schulpflicht der Kinder entsprechend dem offenkundigen Zweck der Pflegerbestellung und im recht verstandenen Interesse des Kindeswohls durchgesetzt wird. Das Verbot der reformatio in peius hindert eine solche Abänderung oder Ergänzung der familiengerichtlichen Entscheidung nicht, da im Verfahren nach §§ 1666, 1666 a BGB die Dispositionsmaxime nicht gilt und deshalb vom Rechtsmittelführer im Interesse des Kindeswohls auch eine Schlechterstellung hinzunehmen ist (BayObLG FamRZ 1985, 635, 636; Keidel/Kahl Freiwillige Gerichtsbarkeit 15. Aufl. § 19 Rdn. 115). Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Fuchs
Vorinstanzen:
AG Paderborn, Entscheidung vom 07.03.2006 - 8 F 811/05 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 20.02.2007 - 6 UF 51/06 -

Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen,
2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts,
3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung),
4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und
5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.

(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:

1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung,
2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung,
3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung,
4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und
5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn

1.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
2.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Über Erinnerungen des Kostenschuldners und der Staatskasse gegen den Kostenansatz entscheidet das Gericht, bei dem die Kosten angesetzt sind. Sind die Kosten bei der Staatsanwaltschaft angesetzt, ist das Gericht des ersten Rechtszugs zuständig. War das Verfahren im ersten Rechtszug bei mehreren Gerichten anhängig, ist das Gericht, bei dem es zuletzt anhängig war, auch insoweit zuständig, als Kosten bei den anderen Gerichten angesetzt worden sind. Soweit sich die Erinnerung gegen den Ansatz der Auslagen des erstinstanzlichen Musterverfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz richtet, entscheidet hierüber das für die Durchführung des Musterverfahrens zuständige Oberlandesgericht.

(2) Gegen die Entscheidung über die Erinnerung findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde ist auch zulässig, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt.

(3) Soweit das Gericht die Beschwerde für zulässig und begründet hält, hat es ihr abzuhelfen; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Beschwerdegericht ist das nächsthöhere Gericht. Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet nicht statt. Das Beschwerdegericht ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden; die Nichtzulassung ist unanfechtbar.

(4) Die weitere Beschwerde ist nur zulässig, wenn das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden und sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht; die §§ 546 und 547 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. Absatz 3 Satz 1 und 4 gilt entsprechend.

(5) Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend. Die Erinnerung ist bei dem Gericht einzulegen, das für die Entscheidung über die Erinnerung zuständig ist. Die Erinnerung kann auch bei der Staatsanwaltschaft eingelegt werden, wenn die Kosten bei dieser angesetzt worden sind. Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird.

(6) Das Gericht entscheidet über die Erinnerung durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter; dies gilt auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren der Kammer oder dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Gericht entscheidet jedoch immer ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter. Auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden.

(7) Erinnerung und Beschwerde haben keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht oder das Beschwerdegericht kann auf Antrag oder von Amts wegen die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen; ist nicht der Einzelrichter zur Entscheidung berufen, entscheidet der Vorsitzende des Gerichts.

(8) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.