Politische Betätigungen sind nicht gemeinnützig
Dem folgenden Urteil liegt ein steuerrechtlicher Sachverhalt zugrunde und beschäftigt sich explizit mit der Frage, wann einem Verein eigentlich das Merkmal der „Gemeinnützigkeit“ zugesprochen werden darf.
Das Steuerrecht hat grundsätzlich einen schlechten Ruf in der Gesellschaft. Wieso ist das eigentlich so? Die Menschen müssen einen Teil ihres Geldes an den Staat abführen. Hierbei gerät aber in Vergessenheit, dass jeder Einzelne einen beträchtlichen Betrag dieser Gelder zurück erhält. Denn staatliche Leistungen werden weitestgehend aus Steuern bezahlt. Ohne die Zahlung von Steuern und damit der finanzielle Beitrag des einzelnen Bürgers gäbe es nun keinen Wohlfahrtsstaat, dessen Vorzüge wir in der Bundesrepublik genießen, so auch Bundesfinanzminister Rudolf Mellinghoff.
Die juristische Diskussion über die Gemeinnützigkeit geht nun in eine neue Runde: Es wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt. Anlass hierfür war das Urteil in Sachen Attac (V R 14/20); ein Verein, dem die Gemeinnützigkeit aberkannt worden ist.
In fast 7 Jahren Streit über das „Ob“ der Gemeinnützigkeit von Attac ist nun der Instanzenzug durchlaufen und damit die Tür nach Karlsruhe eröffnet.
Der Bundesfinanzhof hatte eine Entscheidung des Hessischen Finanzgerichtes aufgehoben, durch die dem Verein seine Gemeinnützigkeit zugesprochen worden ist. Zur damaligen Zeit musste der Bundesfinanzhof die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Hessische Finanzgericht zurückverweisen. Das Finanzgericht wies sodann die Klage gegen die Verweigerung der Anerkennung als „gemeinnützig“ ab. Hiergegen wurde erfolglos Revision eingelegt. Der Bundesfinanzhof wies die hiergegen gerichtete Klage zurück:
Die Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung erfülle keinen eigenständigen gemeinnützigen Zweck i. S. v. § 52 Abgabenordnung.
Zu den Steuerbegünstigenden Zwecken: Eine Erläuterung
Eine grandiose Einführung in dieses Thema bietet der FAZ Einspruch Podcast Folge 103, indem Rudolf Mellinghoff, Präsident des Bundesfinanzhofes, die Knackpunkte der Entscheidung wiedergibt und alles wissenswerte über das Gemeinnützigkeitsrecht wiedergibt. Hierzu erklärt er, dass eine solche Materie zu den besonders emotionalen Themen des Steuerrechts gehört. Grundsätzlich schreibt sich nämlich jeder ein gewisses Einschätzungsvermögen darüber zu, wann ein Verein eigentlich gemeinnützig ist und wann nicht. Hierbei missachtet der Bürger in den meisten Fällen jedoch, dass der Gesetzgeber nur spezifische Zwecke als förderungswürdig in die Abgabenordnung gefasst hat. Insgesamt gibt es 25 unterschiedliche Tatbestände, welche der Gesetzgeber als förderungswürdig erachtet hat und mithin finanziell begünstigt.
Zahlreiche Steuerbegünstigungen erfordern grundsätzlich eine Verfolgung von steuerbegünstigenden Zwecken durch die Körperschaft gemäß §§ 51 Abgabenordnung (AO). Solche liegen nach § 51 S. 1 AO stets dann vor, wenn eine Körperschaft ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige (§ 52 AO), mildtätige (§ 53 AO) oder kirchliche (§ 54 AO) Zwecke verfolgt.
In der vorliegenden Sache geht es natürlich um die Frage, ob Attac als gemeinnütziger Verein zu qualifizieren ist. Schauen wir uns den § 52 AO einmal näher an:
Die Gemeinnützigkeit einer Körperschaft setzt stets voraus, dass ihre Tätigkeit auf einer materiellen, geistigen oder sittlichen Ebene selbstlos der Allgemeinheit zugutekommt. § 52 II AO formuliert hierbei einen Beispielkatalog von 25 möglichen, gemeinnützigen Zwecken. Hierunter zählen u. a. die Förderung von Wissenschaft und Forschung (Nr. 1), die Förderung der Religion (Nr.2) und die Förderung von Kunst und Kultur (Nr. 5).
Im Interview weist Mellinghoff noch einmal darauf hin, dass der Zusammenschluss von Menschen an sich natürlich nicht verboten ist. Vielmehr geht es vorliegend um die Frage, ob ein Verein im Sinne der Abgabenordnung so gemeinnützig ist, dass Spenden, Zuwendungen u. s. w. abgezogen werden können. Schlussendlich bedeutet das, dass die Nichtanerkennung der Gemeinnützigkeit nicht zur Folge hat, dass die Tätigkeit oder der Zusammenschluss nicht mehr erlaubt ist. Die Spenden können dann aber nicht mehr abgezogen werden. Hierbei darf nicht in Vergessenheit geraten, dass solche für einige Vereine eine Existenzvoraussetzung darstellen. Es bleibt unpraktisch, wenn ein Verein seinen Spendern nicht anbieten kann, die Spenden steuerlich abzusetzen; führt vielmehr im Endeffekt oftmals dazu, dass es keine Spenden mehr gibt.
Ein Überblick
Attac ist seit 2003 im Vereinsregister eingetragen. In den Streitjahren 2010 bis 2012 befasst er sich in der Öffentlichkeit mit vielerlei Themen wie u. a. die Finanz- und Wirtschaftskriese, Steuern gegen Armut, Klimaschutz, und den Arabischen Frühling. Das beklagte Finanzamt verneinte die Gemeinnützigkeit von Attac; auch die dagegen gerichtete Klage vor dem Hessischen Finanzgericht blieb erfolglos mit der Folge, dass Attac kein steuerbegünstigter Zweck i. S. v. § 52 AO zugesprochen wurde.
Gegen diese Entscheidung des hessischen Finanzgerichtes richtete der Kläger seine Revision: Der Verein legte dar, dass er allein seine satzungsmäßigen gemeinnützigen Zwecke verfolge; politische Zwecke hätte er zu keinem Zeitpunkt verfolgt.
Der Bundesfinanzhof: Attac ist nicht gemeinnützig
Der Bundesfinanzhof erachtete die Revision für unbegründet. Das Hessische Finanzgericht sei beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger nach seiner tatsächlichen Geschäftsführung keine gemeinnützigen Zwecke gemäß § 52 AO verfolgt hat. Die Gestaltung der öffentlichen Meinung sowie der Einfluss auf die politische Willensbildung sei jedenfalls kein eigener gemeinnütziger Zweck i. S. v. § 52 AO.
Das Gericht verweist vielmehr darauf, dass eine gemeinnützige Körperschaft unter Inanspruchnahme der steuerrechtlichen Förderung der Gemeinnützigkeit auf die öffentliche Meinung und politische Willensbildung nur dann Einfluss nehmen kann, wenn dies der Verfolgung der in § 52 II AO betitelten Zwecke nützt. Diesbezüglich lehnt der Bundesfinanzhof eine Ausdehnung des Begriffs der politischen Bildung dahingehend ab, dass sich hieraus die eigenständige steuerrechtliche Förderung einer Einflussnahme auf die politische Willensbildung in frei gewählten Politikfeldern ergibt. Dies hätte nämlich zur Folge, dass der Beispielskatalog in § 52 II AO tatsächlich um den dort namentlich nicht angeführten Zweck der „Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung“ ergänzt werden würde.
Einigkeit der Literatur und Rechtsprechung
Selten kommt es vor, dass sich Rechtsprechung und Literatur in einer juristischen Frage einig sind. Doch dieser Fall zeigt uns, dass es dennoch möglich ist: Die Fachliteratur und die Rechtsprechung sind sich nämlich weitestgehend einig darüber, dass die allgemein politische Betätigung als solche nicht als „gemeinnützig“ durch die Abgabenordnung gefördert werden soll. Der Gesetzgeber hat verschiedene Zwecke, die seines Erachtens als förderungsbedürftig einzustufen sind, gesetzlich normiert; die politische Betätigung fiel nicht darunter.
Die Verfassung differenziert zwischen zwei unterschiedlichen Regimen: Der allgemeinen (Partei-)politischen Betätigung, welche nur in besonders engen Grenzen eine steuerliche Förderung erhält, und der Gemeinnützigkeit, welche an eine großzügige finanzielle Forderung geknüpft sind.
Gemeinnützige Vereine (Beispiel: Fridays for future mit dem Zweck: Umweltschutz) sind weitestgehend frei – sie können frei darüber entschieden, was sie transparent machen wollen und was nicht. Sie sind etwa nicht dazu verpflichtet, bekannt zu geben, wie, von wem oder über wie viel Geld sie verfügen. Ihre Rechenschaft gegenüber dem Finanzamt passiert nicht in der Öffentlichkeit. Bei Parteien und der allgemein politischen Betätigung ist dies nicht so: Ihnen wird eine gewisse Rechenschaftspflicht auferlegt. Der Gesetzgeber hat demzufolge die allgemein politische Betätigung nicht in solch großzügigen Freiheiten des gemeinnützigen Spendenabzugs aufgenommen, bei dem keine Pflichten der Transparenz gelten. Dies wird momentan extrem kritisiert.
Gutachten des Bundesministerium der Finanzen
In einem Gutachten des Bundesministerium der Finanzen wird darauf hingewiesen, dass der Begriff der Gemeinnützigkeit nicht für die durch den Staat geförderte Gemeinnützigkeit besetzt werden sollte. Vielmehr sollte allgemein definiert werden, dass es gemeinnützige Betätigungen gibt und nur einigen von ihnen eine spezielle Förderung gemäß der Abgabenordnung zugesprochen wird.