Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2011 - 11 S 1929/11

bei uns veröffentlicht am20.10.2011

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2011 - 12 K 1301/10 - geändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
Der am ...1986 in St. James/Montego Bay/Jamaika geborene ledige Kläger ist jamaikanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 23.03.1993 gemeinsam mit seinem älteren Bruder nach Deutschland ein, wo beide bei ihrer bereits 1991 von Jamaika zugezogenen Mutter, deren deutschen Ehemann und dem am 18.06.1992 geborenen Halbbruder des Klägers, welcher deutscher Staatsangehörigkeit ist, lebten. Im Jahre 2000 wurde die Ehe der Mutter geschieden. Diese ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, der ältere Bruder des Klägers hatte befristete Aufenthaltstitel und ist nach einem Verlängerungsantrag derzeit im Besitz einer Fiktionsbescheinigung.
In der Zeit vom 09.02.1995 bis zum 22.10.2004 war der Kläger im Besitz von befristeten Aufenthaltserlaubnissen. Mit einem am 28.10.2004 beim Landratsamt Hohenlohekreis eingegangen Schreiben beantragte er die Verlängerung der ihm zuletzt ausgestellten Aufenthaltserlaubnis. Auf einen erneuten Antrag vom 12.02.2008 hin verlängerte zwar das Landratsamt am 01.09.2008 seine Aufenthaltserlaubnis bis 28.02.2009. Diese Verlängerung wurde dem Kläger jedoch nicht bekanntgegeben; er war trotz Benachrichtigung nicht zur Abholung erschienen.
Der Kläger besuchte zunächst die Grundschule, wechselte dann aber zur 4. Klasse auf eine Förderschule. Wegen familiärer Probleme lebte er ab August 2002 in einer Pflegefamilie. Im Jahr 2003 erreichte er den Hauptschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 3,4. Diesen verbesserte er im daran anschließenden Berufsvorbereitungsjahr auf 2,5. Unter anderem wegen Drogenproblemen musste er 2004 die Pflegefamilie verlassen. Eine 2004 begonnene Ausbildung zum Kraftfahrzeug-Mechatroniker brach er 2005 ab.
Mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 - 2 KLs 32 Js 32158/05 Hw. - wurden der Kläger und weitere fünf Mitangeklagte des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger, welcher sich wegen der in der Nacht vom 10. auf den 11.09.2005 begangenen Straftat seit dem 07.03.2006 in Haft befunden hatte, wurde zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Adelsheim vom 09.01.2008 - 1 VRJs 563/06 -wurde die Vollstreckung der Restjugendstrafe (447 Tage) – mit einer Bewährungszeit von drei Jahren – zur Bewährung ausgesetzt. Nach seiner Haftentlassung am 12.02.2008 zog der Kläger wieder zu seiner Mutter und deren damaligen Lebensgefährten und später nach S., wo er einer befristeten Arbeit nachging und sodann arbeitslos war.
Wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung wurde gegen den Kläger mit Strafbefehl des Amtsgerichts Wertheim vom 01.09.2008 - 2 Cs 26 Js 6005/08 - eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 25,-- EUR verhängt. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung von zehn Monaten festgesetzt.
Mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 - 3 Ks 43 Js 1806/09 - wurde er wegen versuchten Totschlags und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt; die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, ihm nicht vor Ablauf von zwei Jahren eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. In dem Urteil wird zum Tatgeschehen festgestellt: Am Abend des 20.01.2009 gegen 18.00 Uhr seien der Kläger und das Ehepaar Mi.G und Ma.G. mit einem geliehenen Fahrzeug zu dem Haus des Geschädigten K. gefahren. Der Kläger, der an diesem Tag weder Alkohol noch Drogen zu sich genommen gehabt habe, habe das Fahrzeug gelenkt, obwohl er nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen sei. Bei der Fahrt habe er zwei mit einer Kette verbundene Metallrohre, ein so genanntes Nunchaku, bei sich gehabt, was zumindest dem Angeklagten Mi.G. bekannt gewesen sei. Nachdem Ma.G. von K. aus der Wohnung verwiesen worden sei, ohne dass es ihr gelungen wäre, Marihuana zu erhalten, seien sie zurück in Richtung I. gefahren. Auf der Fahrt hätten sich Mi.G. und der Kläger dazu entschlossen, zum Haus des K. zurückzukehren, um sich notfalls mit Gewalt und unter Einsatz des mitgeführten Nunchakus Marihuana zu verschaffen. Dabei habe der Angeklagte Mi.G. auch vorgehabt, die Gelegenheit zu nutzen und K. wegen vorausgegangener Kontakte mit seiner Ehefrau „eine Abreibung“ zu verpassen. Nachdem Ma.G. den K. unter einem Vorwand überredet habe, sie nochmals ins Haus zu lassen, seien Mi.G. und der Kläger hereingestürmt und hätten gemeinsam und ohne Vorwarnung auf K. eingeschlagen. Der Kläger habe zudem mehrfach gegen dessen Unterschenkel getreten und versucht, ihn so zu Boden zu bringen. Im Verlauf des gesamten Angriffs hätten sowohl Mi.G. als auch der Kläger mindestens jeweils einmal mit dem mitgeführten Nunchaku mit Wucht auf den Kopf des K. eingeschlagen, wodurch dieses in zwei Teile gerissen sei. Dies habe zur Folge gehabt, dass K. mit stark blutenden Kopfverletzungen zu Boden gesunken sei. Nachdem K. blutüberströmt auf dem Boden gelegen habe, hätten beide weiter auf ihn eingetreten, bis einer sinngemäß geäußert habe, dass man ihn nun liegenlassen könne, da dieser „verrecke“, woraufhin alle Angeklagten fluchtartig das Haus verlassen hätten. Dabei seien zumindest Mi.G. und der Kläger davon ausgegangen, dass K. ohne ärztliche Hilfe an den erlittenen Verletzungen sterben würde. Tatsächlich sei es ihm jedoch gelungen, telefonisch Hilfe zu holen. Während Platzwunden, Prellungen und Hämatome inzwischen ausgeheilt seien, könne K. infolge einer Glaskörperblutung am linken Auge nur noch eingeschränkt sehen. Hinsichtlich der Strafzumessung beim Kläger wird in dem Urteil unter anderem dargelegt, Anhaltspunkte für das Vorliegen eines besonders schweren Falles gemäß § 212 Abs. 2 StGB oder eines minder schweren Falles gemäß § 213 StGB seien nach der Gesamtschau der Tatumstände nicht zu erkennen. Von der Möglichkeit einer Milderung des Strafrahmens nach §§ 22, 23 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB sei – im Hinblick darauf, dass es bei dem Geschädigten letztlich zu keinen lebensgefährlichen Verletzungen gekommen sei – Gebrauch gemacht worden. Bei der Strafzumessung sei zugunsten des Klägers zu werten, dass dieser geständig und reuig gewesen sei und sich in der Hauptverhandlung bei K. entschuldigt habe. Weiter sei berücksichtigt worden, dass er im Verhältnis zum Mitangeklagten Mi.G. einen geringen Tatbeitrag geleistet habe. Strafmildernd wirke sich zudem aus, dass K. auch hinsichtlich des Klägers kein erhöhtes Verfolgungsinteresse habe und dem Kläger der Widerruf der Strafaussetzung hinsichtlich einer zur Bewährung ausgesetzten Restjugendstrafe drohe. Zu Lasten des Klägers seien die erheblichen körperlichen Verletzungsfolgen und die andauernde psychische Beeinträchtigung des Geschädigten zu werten. Er sei zudem vor Begehung der Taten in drei Fällen, in einem Fall einschlägig wegen eines Gewaltdeliktes und in zwei Fällen einschlägig wegen Straßenverkehrsdelikten, strafrechtlich in Erscheinung getreten und während der laufenden Bewährungszeit bereits einmal straffällig geworden.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 15.02.2010 - 1 BWL 8/08 -wurde die durch Beschluss vom 09.01.2008 bezüglich des Urteils des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen und bestimmt, dass die restliche Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene zu vollziehen sei.
Nach Anhörung des Klägers wies das Regierungspräsidium Stuttgart diesen mit Bescheid vom 09.03.2010 aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1). Außerdem wurde sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Ziffer 2). Ihm wurde – ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise – die Abschiebung nach Jamaika oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Ziffer 3). Zur Begründung wurde ausgeführt: Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine so genannte Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 1 AufenthG lägen unzweifelhaft vor. Besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sei nicht gegeben, insbesondere sei der Kläger nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Im Übrigen sei die Rechtsschranke des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG überwunden, weil schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben seien. Solche lägen nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen des § 53 AufenthG vor. Besondere Umstände, die einen Ausnahmefall begründen könnten, seien nicht gegeben. Unabhängig davon erfolge die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, weil der Ausweisungsanlass gravierend sei und zudem eine hohe und konkrete Wiederholungsgefahr bestehe. Der besondere Ausweisungsschutz erschöpfe sich allerdings nicht in der Beschränkung der Zulässigkeit der Ausweisung auf schwerwiegende Gründe. Daneben sei die Ist-Ausweisung zur Regel-Ausweisung herabgestuft. Der Kläger lebe seit 1993 und damit seit mittlerweile nahezu 17 Jahren im Bundesgebiet; zudem hielten sich seine Mutter und seine Geschwister hier auf. Die Ausweisung greife in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG – freie Entfaltung der Persönlichkeit – und in das Achtungsgebot aus Art. 8 EMRK – Schutz des Privat- und Familienlebens – ein. Das Regierungspräsidium gehe davon aus, dass deswegen eine umfassende und alle denkbaren Gesichtspunkte in den Blick zu nehmende Ermessensentscheidung zu treffen sei. Nach § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG seien dabei die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Der Kläger habe mehrfach und zuletzt sehr schwerwiegend gegen die bestehende Rechtsordnung verstoßen. Es sei mit weiteren erheblichen rechtswidrigen Straftaten gleicher Schwere zu rechnen. Die Wiederholungsgefahr sei außerordentlich hoch. Damit habe das herausragende öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zur Dauer seines Aufenthalts und dem damit verbundenen Integrationsgrad ein deutliches Übergewicht. Dies gelte auch deshalb, weil eine abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse nicht vorliege. Er habe keine Berufsausbildung und sei lediglich in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt gewesen. Zuletzt sei er arbeitslos und auf Unterstützungsleistungen seiner Familienangehörigen angewiesen gewesen. Auch seine häufigen Straftaten sprächen gegen eine erfolgreiche Integration. Es werde nicht übersehen, dass der Kläger in Jamaika zunächst Schwierigkeiten haben werde, sich an die dortigen Lebensverhältnisse zu gewöhnen, doch seien diese nicht unüberwindbar. Die Ausweisung stelle damit auch einen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässigen Eingriff dar, der gesetzlich vorgesehen und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der öffentlichen Ordnung notwendig und insbesondere nicht unverhältnismäßig sei. Da dem Kläger die verwaltungsinterne Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 01.09.2008 bis zum 26.02.2009 nicht habe bekanntgegeben werden können, sei über seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis noch nicht entschieden worden. Einer entsprechenden Verlängerung stehe die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 AufenthG.
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Am 09.04.2010 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage. Zu deren Begründung wurde darauf verwiesen, dass in Deutschland aufgewachsenen Ausländern eine besondere persönliche Prägung zukomme. Sie betrachteten das Land, dessen Staatsangehörigkeit sie innehätten, regelmäßig gerade noch als Urlaubsland. Es stelle sich die Frage, ob eine Ausweisung und Abschiebung des Betroffenen wirklich die der Sache nach angemessene Reaktion auf eine möglicherweise misslungene Integration eines jungen Ausländers darstelle. In der Sache sei zu berücksichtigen, dass er seinen leiblichen Vater tatsächlich nie kennengelernt habe, weil sich seine Mutter noch in der Schwangerschaft von diesem getrennt habe. Andere nähere Verwandte lebten in Jamaika nicht mehr. Seine Großmutter mütterlicherseits lebe bei einer Tante in den USA. Einen Großvater gebe es nicht. Der Vater seiner Mutter sei verstorben. Ein Onkel, der in Jamaika gewohnt habe, sei Anfang der 1990er Jahre gestorben, ein zweiter Onkel, der aber im Ausland gelebt habe, sei im Jahr 2009 in Jamaika getötet worden, als er seine Tochter besucht habe. Zwei weitere Onkel hielten sich in Costa Rica auf. Die Englischkenntnisse des Klägers seien schlecht. Die von Zuhause erworbenen Kennnisse der Muttersprache seien nahezu vollständig verlorengegangen. Seine Mutter habe Wert darauf gelegt, dass zu Hause Deutsch gesprochen worden sei. Jamaika habe er nie mehr besucht, und zwar auch deshalb, weil Ausländer und Exiljamaikaner in gleicher Weise gefährdet seien, überfallen und ausgeraubt zu werden. Er sei außerdem in rechtlicher Hinsicht so zu stellen, wie er stünde, wenn ihm die letzte befristete Aufenthaltserlaubnis vom 01.09.2008 tatsächlich ausgehändigt worden wäre. Denn die Behörde hätte nachfragen oder ihm diese zustellen müssen. Damit genieße er besonderen Ausweisungsschutz im Sinne des § 56 AufenthG. Zudem sei zu berücksichtigen, dass in keiner der abgeurteilten Straftaten die Initiative von ihm selbst ausgegangen sei. Er sei vielmehr jedes Mal „mitgegangen“.
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Durch Urteil vom 15.02.2011 hob Verwaltungsgericht Stuttgart Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 auf, wies die Klage im Übrigen ab und legte Kläger und beklagtem Land je die Hälfte der Kosten des Verfahrens auf. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt: Die im angefochtenen Bescheid verfügte Ausweisung sei rechtswidrig und aufzuheben. Das Regierungspräsidium habe allerdings zu Recht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG bejaht. Auch komme dem Kläger die Privilegierung des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht zu. Ungeachtet dessen habe das Regierungspräsidium den Kläger zu seinen Gunsten so gestellt, als ob ihm besonderer Ausweisungsschutz zustünde. In diesem Zusammenhang habe es zu Recht bejaht, dass im Hinblick auf die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung des § 53 AufenthG schwerwiegende Ausweisungsgründe nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vorlägen und kein Ausnahmefall erkennbar sei. Dies sei vom Kläger auch nicht in Frage gestellt worden. Weiter habe das Regierungspräsidium zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass seine Ausweisung höherrangiges Recht, wie die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK tangiere, und habe sodann anstelle der Regelausweisung geprüft, ob die Ausweisung unter Ermessensgesichtspunkten nach § 55 AufenthG gerechtfertigt sei. Bei der gebotenen Ermessensbetätigung habe es allerdings nicht alle abwägungsrelevanten Umstände gewürdigt, die im Rahmen der persönlichen Interessen des Klägers zu berücksichtigen seien. So teile das Gericht nicht die Auffassung des Regierungspräsidiums, wonach der Kläger sich nicht vollständig in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe. Sein Werdegang belege, dass er keineswegs integrationsunwillig oder -unfähig gewesen sei. Außer Acht gelassen habe das Regierungspräsidium auch, dass er einwandfrei Deutsch spreche. Die Begehung von Straftaten allein sei jedenfalls vor diesem Hintergrund kein Indiz gegen eine Integration. Der Kläger habe des Weiteren unbestritten persönliche Bindungen zum Bundesgebiet, zumindest zu seiner Mutter und seinem Bruder. Er wolle gerne in der Haft eine Drogentherapie machen, die allerdings angesichts der verfügten Ausweisung nicht bewilligt worden sei. Hinzukomme, dass der Kläger seit seiner Einreise in das Bundesgebiet nicht mehr in Jamaika gewesen sei. Es sei glaubhaft, dass er dieses Land nicht als sein Heimatland ansehe, zumal er dort keine Bezugsperson mehr habe. Nach Berichten des Auswärtigen Amtes und des Außenministeriums Österreich zur Sicherheitslage in Jamaika sei dort außerdem eine erhöhte Sicherheitsgefährdung zu verzeichnen, welche sich nicht nur auf die Hauptstadt Kingston beziehe, sondern auch für Touristengebiete gelte bzw. für diese nicht ausgeschlossen werden könne. Der Alltag in den Städten sei von Gewaltverbrechen geprägt. Insgesamt überwögen nach Auffassung des Gerichts die privaten Interessen des Klägers das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung mit der Folge, dass die Ausweisungsverfügung rechtswidrig und daher aufzuheben sei. Hingegen begegne die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bzw. der Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis keinen rechtlichen Bedenken. Auch die Abschiebungsandrohung sei danach rechtlich nicht zu beanstanden.
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Auf Antrag des beklagten Landes hat der Senat mit Beschluss vom 30.06.2011 - 11 S 989/11 - die Berufung zugelassen. Diese wird im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Verwaltungsgericht gehe in seiner Entscheidung zunächst zu Unrecht davon aus, dass das Regierungspräsidium in der Ausweisungsverfügung das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben des Klägers nicht ausreichend beachtet hätte. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei dieser nicht vollständig in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik integriert. Abgesehen davon habe das Regierungspräsidium zugunsten des Klägers gleichwohl unterstellt, dass der Schutzbereich des Art. 8 EMRK eröffnet sei. Es sei allerdings davon ausgegangen, dass der Eingriff in das Schutzgebot verhältnismäßig und damit zulässig sei. Auch die vom Verwaltungsgericht angenommenen Verstöße gegen Ermessensgrundsätze lägen nicht vor. Letztlich ersetze es das Ermessen des Regierungspräsidiums durch eigenes Ermessen und überschreite damit die durch § 114 VwGO gezogenen Grenzen der gerichtlichen Überprüfung des Ermessens.
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Das beklagte Land beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2011 - 12 K 1301/10 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
17 
Zur Begründung wird ergänzend zum bisherigen Vorbringen unter anderem dargelegt: Art. 8 EMRK stehe einer Ausweisung des Klägers entgegen. Soweit von Seiten des beklagten Landes beanstandet werde, dass das Verwaltungsgericht bei der Frage der Integration des Klägers von falschen Maßstäben ausgehe, so erliege es selbst einem Fehlschluss. Ein junger Deutscher, der sich nach problematischer Adoleszenz mit Abbruch der Schulausbildung zu einem notorischen Schläger entwickelt habe, wäre natürlich nach wie vor in Deutschland integriert. Dasselbe gelte für einen jungen Jamaikaner, der den größten Teil seines bisherigen Lebens (einschließlich der gesamten Phase des Schulbesuchs) in Deutschland verbracht habe und während dieser Zeit mehrfach straffällig geworden sei. Ein straffreies Leben könne kein taugliches Kriterium für die Frage der Integration des Betroffenen sein.
18 
Der Kläger, welcher sich seit 01.02.2009 wieder in Haft befindet, hat inzwischen auch die gegen ihn – wegen Uneinbringlichkeit der im Strafbefehl des Amtsgerichts Wertheim vom 01.09.2008 verhängten Geldstrafe – angeordnete Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen verbüßt. Die mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten und die Restfreiheitstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 wäre am 09.10.2015 vollstreckt. Mit Verfügung vom 12.03.2010 hat die Staatsanwaltschaft Heilbronn entschieden, dass gemäß § 456a StPO von der Vollstreckung der Reststrafe von dem Tage an abgesehen werde, an dem der Kläger in Vollzug der ausländerrechtlichen Verfügungen den ausländischen Grenzpolizeistellen übergeben oder wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert werde, jedoch frühestens ab 20.05.2012.
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Dem Senat liegen die ausländerrechtlichen Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart und des Landratsamts Hohenlohekreis (jeweils ein Heft), die Gefangenenpersonalakten der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Hall (ein Heft) sowie ein Vollstreckungsheft - 1 VRJs 536/06 - und ein Bewährungsheft - 1 BWL 8/08 - des Amtsgerichts Adelsheim bezüglich des Urteils des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 - 2 KLs 32 Js 32158/05 - vor. Der Inhalt dieser Akten ist ebenso wie der Inhalt der Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart - 12 K 1301/10 - sowie des Verwaltungsgerichtshofs zum vorliegenden Verfahren Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des beklagten Landes ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage insgesamt, also auch hinsichtlich der Ausweisung, abweisen müssen. Denn die unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 verfügte Ausweisung ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
21 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Stuttgart steht die Ausweisung des Klägers nicht im Ermessen des beklagten Landes und ist daher schon deshalb nicht wegen Ermessensfehlern aufzuheben. Vielmehr handelt es sich vorliegend um eine so genannte „Ist-Ausweisung“ bzw. „zwingende Ausweisung“ nach § 53 AufenthG. Da die Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG vorliegen (dazu unter 1.) und der Kläger weder besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG genießt (2.) noch seine Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK oder Art. 2 GG als unverhältnismäßig anzusehen ist (3.), ist sie rechtmäßig.
22 
1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Nr. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet worden ist. Die Tatbestandvoraussetzungen dieser Regelung sind schon allein aufgrund der letzten Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Heilbronn vom 20.10.2009 wegen versuchten Totschlags und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten gegeben.
23 
2. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu. Er kann sich insbesondere nicht auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG berufen. Danach genießt ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, besonderen Ausweisungsschutz. Der Kläger ist jedoch bereits seit Ablauf der Geltungsdauer der am 23.10.2002 ausgestellten Aufenthaltserlaubnis zum 22.10.2004 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels. Die am 01.09.2008 durch das Landratsamt Hohenlohekreis erfolgte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit bis zum 28.02.2009 ist mangels Bekanntgabe an den Kläger nie wirksam geworden. Soweit der Kläger vorträgt, er müsste so gestellt werden, als ob ihm der Aufenthaltstitel ausgehändigt worden wäre, verkennt er, dass dieser lediglich bis 28.02.2009 gegolten hätte. Die Anträge des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 28.10.2004 und vom 12.02.2008 sind unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 abgelehnt worden. Selbst wenn durch die Anträge – trotz verspäteter Antragstellung – eine Fiktionswirkung (vgl. § 81 Abs. 4 AufenthG 2007, § 81 Abs. 4 AufenthG 2005, § 69 Abs. 3 AuslG 1965 i.d.F. vom 09.01.2002) eingetreten wäre, wäre diese damit jedenfalls beendet gewesen. Abgesehen davon hat das Regierungspräsidium zu Recht ausgeführt, dass Zeiten der Fiktionswirkung nicht dem (tatsächlichen) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gleichgestellt werden können (vgl. ausführlich Bay. VGH, Urteil vom 04.07.2011 - 19 B 10.1631 -juris, m.w.N.), wenn später die Erteilung des Titels unanfechtbar abgelehnt wurde.
24 
3. Die danach einfachgesetzlich zwingende Ausweisung des Klägers ist nicht mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK oder auf höherrangiges Recht wie Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig anzusehen.
25 
a) Auch eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG ist auf ihre Vereinbarkeit mit dem in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens hin zu überprüfen (vgl.VGH Bad.-Württ., Urteile vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 - und vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - juris; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.07.2003 - 1 B 252.02 - Buchholz 140 Art. 8 EMRK Nr. 14). Dies folgt nach Auffassung des Senats aus § 1 Abs. 1 Satz 5 AufenthG (noch mit anderer Begründung: VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 23.10.2002 - 11 S 1410/02 - NVwZ-RR 2003, 304, und vom 14.02.2001 - 13 S 2501/00 - NVwZ-Beil. 2001, 81). Danach bleiben die Regelungen in anderen Gesetzen „unberührt“. Diese „Unberührtheitsklausel“ gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zu den völkervertraglichen Regelungen, die – wie die Europäische Menschenrechtskonvention – durch Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) den Rang eines Bundesgesetzes erhalten haben und nicht nur die Vertragsparteien binden, sondern unmittelbar Rechte und Pflichten der betreffenden Staatsangehörigen begründen können, und zwar selbst wenn diese älter sind und deshalb nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ nicht vorrangig anwendbar wären (ausführlich dazu Fritzsch, VBlBW 2005, 378; GK-AufenthG, Stand: August 2011, § 1 AufenthG Rn. 23. ff.; Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 1 AufenthG Rn. 21).
26 
Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, ist im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung eine umfassende Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Offenbleiben kann daher, ob in diesen Fällen bei einer zwingenden Ausweisung zudem mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG – oder gegebenenfalls Art. 6 GG, welcher hier nicht einschlägig ist – i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen wäre (so OVG NRW, Beschluss vom 25.05.2009 - 18 E 1230/08 - AuAS 2009, 184; HambOVG, Urteil vom 24.03.2009 - 3 Bf 166/04 - InfAuslR 2009, 279), obwohl es sich um eine gebundene Entscheidung handelt und die Tatbestandsmerkmale des § 53 AufenthG – anders etwa als die der §§ 54 und 56 AufenthG – keinen Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Auslegung bieten (insoweit zu Recht kritisch Naumann, DÖV 2011, 96; vgl. zu Regel- und Ermessensausweisungen sowie zu § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG: BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443, und vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275; BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367). Denn insoweit wären dieselben Maßstäbe anzuwenden, die bei der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 EMRK zur Anwendung kommen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007- 2 BvR 535/06 - a.a.O.). In jedem Fall wäre der Ausländerbehörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. Senatsurteil vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O.; Bay.VGH, Beschluss vom 27.09.2010 - 19 ZB 09.715 - juris; vgl. auch Hailbronner, AuslR, Stand: September 2010, vor § 53 AufenthG Rn. 10 ff., m.w.N.; a.A. Thym, DVBl. 2008, 1346, 1351 f.; Huber, AuslR, 2010, § 53 AufenthG Rn. 5).
27 
b) Die Ausweisung des Klägers stellt zwar einen Eingriff in das in Art. 8 Abs. 1 EMRK verbürgte Recht auf Achtung seines Privatlebens dar; dieser ist jedoch gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.
28 
aa) Das Recht auf Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 - [Slivenko] EuGRZ 2005, 560). Über entsprechende Beziehungen verfügt der Kläger. Dies folgt bereits daraus, dass er seit seinem sechsten Lebensjahr und damit inzwischen seit mehr als 18 Jahren und 6 Monaten in Deutschland lebt, davon die meiste Zeit – jedenfalls bis zum 22.10.2004 – im Besitz von Aufenthaltstiteln war, hier zur Schule gegangen ist und den Hauptschulabschluss gemacht hat und zudem in Deutschland seine Mutter, sein älterer Bruder und sein jüngerer – deutscher – Halbbruder sowie seine langjährige Freundin leben. Selbst wenn ihm die Bescheinigungen über eine aufgrund seiner Verlängerungsanträge eingetretene Erlaubnisfiktion zu Unrecht ausgestellt worden und sein Aufenthalt bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr als rechtmäßig anzusehen gewesen wäre, könnte er sich weiter auf Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen. Ein Verständnis dahingehend, dass ein Privatleben, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine „Verwurzelung“ begründet, nur auf der Grundlage eines weiterhin fortdauernden rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt, ist angesichts der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK weder erforderlich noch sinnvoll (Senatsurteil vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -). Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK bei einer bereits erfolgten und weiter bestehenden „Verwurzelung“ immer schon dann nicht mehr eröffnet wäre, wenn es dem Betreffenden in der Folge nicht gelungen ist, im Erwerbsleben Fuß zu fassen und sich eine eigene Existenz zu schaffen oder aber wenn er Straftaten begangen hat. Auch diese Punkte sind vielmehr gegebenenfalls bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung aller Umstände entsprechend zu gewichten. Davon ist das Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid vom 09.03.2010 auch ausgegangen. Zwar wird darin mehrmals eine „nicht abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse“ angeführt und zur Begründung unter anderem auf eine fehlende Berufsausbildung und die Straftaten verwiesen. Diese Argumentation erfolgt jedoch im Rahmen der Ermessensausübung und bei der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Die Frage, ob der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK überhaupt eröffnet ist, wird hingegen ausdrücklich bejaht; die Ausweisung sei als ein Eingriff in das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK anzusehen (S. 11 des Bescheids).
29 
Hingegen ist das in Art. 8 Abs. 1 EMRK ebenfalls geschützte Familienleben hier schon deshalb nicht betroffen, weil der volljährige Kläger bereits vor seiner erneuten Inhaftierung nicht mehr mit seiner Mutter und seinem jüngsten Halbbruder in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat und auch nicht etwa aus besonderen Gründen auf ein Zusammenleben mit seiner Familie und auf deren Beistand angewiesen wäre bzw. seine Brüder oder seine Mutter seine Hilfe und Unterstützung benötigen würden (vgl. zu diesen Anforderungen: Senatsbeschluss des Senats vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - InfAuslR 2009, 178, m.w.N).
30 
bb) Die danach vorzunehmende Abwägung aller Umstände führt zum Ergebnis, dass die Ausweisung des Klägers trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein im Bundesgebiet geführtes Privatleben nach Art. 8 EMRK als gerechtfertigt anzusehen ist – und damit auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG als verhältnismäßig zu beurteilen wäre.
31 
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 - [Trabelsi]) ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien. Danach sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das gegebenenfalls abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
32 
Nach diesen Grundsätzen ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Kläger innerhalb weniger Jahre bereits mehrmals strafbar gemacht hat und dass es sich bei dem in der Nacht vom 10. auf den 11.09.2005 verübten schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und dem am 20.01.2009 begangenen Versuch eines Totschlags um gravierende Straftaten handelt. Bereits mit der Verurteilung wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch das Landgericht Heilbronn vom 15.08.2006 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten war der Regelausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Das Regierungspräsidium sah damals wegen des langjährigen Aufenthalts des Klägers in Deutschland, der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Mutter und seinem deutschen Halbbruder, der vom Kläger geäußerten Reue und vor allem wegen des Berichts der Justizvollzugsanstalt Adelsheim vom 19.01.2007, nach welchem von einer günstigen Sozial und Kriminalprognose auszugehen sei, von einer Ausweisung ab. Es machte dem Kläger in einem Schreiben vom 07.02.2007 aber deutlich, dass eine erneute Straftat zu seiner Ausweisung führen könne. Dies hielt den Kläger ebenso wenig von weiteren Straftaten ab wie die Tatsache, dass die Vollstreckung der Reststrafe mit Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 09.01.2008 lediglich auf Bewährung ausgesetzt worden war. Er machte sich vielmehr nicht nur im Juli 2008 – wenige Monate nach seiner Haftentlassung am 12.02.2008 – wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung strafbar, sondern nur einige Monate später, am 20.01.2009, auch wegen versuchten Totschlags und Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
33 
Schon aus diesen Umständen ist zu folgern, dass im Falle des Klägers von einer sehr hohen Gefahr der Wiederholung schwerer Straftaten auszugehen ist. Dies wird noch verdeutlicht durch die innere Einstellung des Klägers zu Leib und Leben anderer, die er bei den Taten gezeigt hat. Bei der Rücksichtslosigkeit und Brutalität, mit der er vorgegangen ist, sind weitere ähnliche Taten konkret zu befürchten. Zwar war er nach den Feststellungen des Landgerichts Heilbronn im Urteil vom 15.08.2006 bei dem Überfall auf eine Autofirma am 10. bzw. 11.09.2005, bei welchem er und weitere fünf Täter zwei neuwertige Fahrzeuge entwendeten, weder Initiator noch Organisator des Geschehens, sondern wurde „angeworben“. Auch hat er den Wachmann, der den Raub entdeckt hatte und erheblich verletzt worden war, nicht selbst geschlagen. Er hat aber den zuvor gefassten Plan mitgetragen, diesen unter Anwendung erheblicher körperlicher Gewalt „auszuschalten“ und zu fesseln, war dabei zugegen und hat das brutale Vorgehen seiner Mittäter gebilligt sowie ihnen beim Anlegen der Fesseln durch Leuchten mit der Taschenlampe geholfen. Schließlich hat auch er den Wachmann, der gefesselt, schwer verletzt und blutend eine 10 m hohe Böschung hinuntergestoßen worden war, seinem Schicksal überlassen. Dabei hätten er und seine Mittäter zwar darauf vertraut, dass der Tod nicht eintreten würde, weil sie davon ausgegangen seien, dass der Wachmann noch lebend gefunden würde. Sie hätten aber erkannt, dass dieser sich aufgrund seiner wegen der Fesselung eingeschränkten Bewegungs- und Atmungsfähigkeit sowie der Witterungsverhältnisse in Todesgefahr befunden habe. Tatsächlich wurde er erst um 06.30 Uhr in lebensbedrohlichem Zustand gefunden und hat erhebliche physische und psychische Verletzungen erlitten. Bei der am 20.01.2009 begangenen Straftat des versuchten Totschlags ging offenbar die Initiative vom Mitangeklagten Mi.G aus. Nach den Feststellungen im Strafurteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 haben aber sowohl Mi.G als auch der Kläger – jeder mindestens einmal – mit dem vom Kläger mitgeführten Nunchaku mit Wucht auf den Kopf des Geschädigten K. eingeschlagen, so dass dieses in zwei Teile zerriss. Nachdem K. dann mit blutenden Kopfwunden auf dem Boden gelegen hat, haben beide auf ihn eingetreten, bis einer der beiden geäußert habe, man könne ihn nun liegenlassen, weil er „verrecke“. Beim Verlassen des Hauses seien beide davon ausgegangen, dass K. ohne ärztliche Hilfe versterben würde.
34 
Hinzu kommt, dass auch dieser zweite Angriff des Klägers auf Leib und Leben einer Person nicht etwa in einer besonderen Ausnahmesituation oder aufgrund einer gravierenden emotionalen Belastung erfolgte. Der Mittäter Mi.G. war nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 wegen Drogenabhängigkeit vermindert steuerungsfähig und hat sich wegen der außerehelichen Beziehungen seiner Ehefrau zu dem Geschädigten in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Im Falle des Klägers fehlen entsprechende besondere Umstände. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er auf Nachfragen angegeben, er könne sich selbst nicht erklären, wieso er die Tat begangen habe.
35 
Die Wiederholungsgefahr wird zudem durch den Drogenkonsum des Klägers eher noch erhöht. Dabei kann hier offen bleiben, ob von einer Drogenabhängigkeit auszugehen ist. Jedenfalls hat der Kläger seinen eigenen Angaben in den Strafverfahren nach jahrelang regelmäßig Haschisch konsumiert und teilweise auch härtere Drogen. Er hat offensichtlich selbst nach seiner Entlassung auf Bewährung am 12.02.2008 bis zu seiner erneuten Verhaftung weiterhin regelmäßig Drogen genommen.
36 
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass sich an der danach bestehenden hohen Gefahr der Wiederholung gravierender Straftaten etwas geändert haben könnte. Bislang wurden – unter anderem wegen der ausländerrechtlichen Situation – keinerlei therapeutische Maßnahmen durchgeführt. Der Kläger hat zwar eine feste Beziehung mit einer deutschen Staatsangehörigen. Diese besteht aber schon seit vielen Jahren, ohne dass ihn das von der Begehung der Straftaten abgehalten hätte. In der Justizvollzugsanstalt zeigt der Kläger ausweislich der dem Senat vorliegenden Gefangenpersonalakten wohl einige positive Entwicklungen, etwa bei der Arbeit. Gegen ihn mussten aber auch mehrfach Sicherungsmaßnahmen verhängt werden. Eine Urinkontrolle – von mehreren – wurde positiv auf THC getestet. Nach dem Vollzugsplan vom 15.03.2011 wird weiter von einer behandlungsbedürftigen Gewalt- und Suchtproblematik ausgegangen. Aufgrund seiner Anlasstat und der daraus ersichtlichen Persönlichkeitsstörung sei bei ihm eine Sozialtherapie grundsätzlich indiziert und weiterhin erforderlich. Im Hinblick darauf hatte die Justizvollzugsanstalt bei einer anderen Anstalt mit einer Sozialtherapeutischen Abteilung um Aufnahme des Klägers zur Durchführung einer Sozialtherapie gebeten. In den beigefügten Unterlagen wird von der Psychotherapeutin der Justizvollzugsanstalt dargelegt, dass die zutage getretene Gewaltneigung das zentrale Problem sei. Ohne erfolgreiche Sozialtherapie sei zu befürchten, dass der Kläger weitere Gewaltdelikte begehen werde.
37 
Zugunsten des Klägers ist unter anderem zu berücksichtigen, dass er sich seit seinem sechsten Lebensjahr in Deutschland aufhält, hier aufgewachsen ist, trotz offensichtlich problematischer Familienverhältnisse, die die Aufnahme durch eine Pflegefamilie erforderlich machten, den Hauptschulabschluss absolviert und seine Abschlussnote in dem anschließenden Berufsvorbereitungsjahr auf 2,5 verbessert hat. Danach hat er eine Lehre begonnen, welche er allerdings nicht abgeschlossen hat. Er hat eine feste Beziehung zu einer deutschen Staatsangehörigen, mit welcher er nach seiner Haftentlassung zusammenziehen will. Seine Mutter ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, sein älterer Bruder lebt ebenfalls in Deutschland, sein jüngerer Halbbruder ist deutscher Staatsangehörigkeit. Er spricht fließend Deutsch und wohl nur schlecht Englisch. Aktuelle Beziehungen zu seiner Heimat Jamaika hat der Kläger seinen Angaben nach nicht. Seine Großmutter und viele der näheren Verwandten seien in andere Länder ausgereist. In der mündlichen Verhandlung hat er erläutert, dass er nicht wisse, welche Bekannten und welche Verwandten noch in Jamaika lebten.
38 
Trotzdem ist dem Kläger eine Rückkehr nach Jamaika nicht unzumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er fast 25 Jahre alt ist, also grundsätzlich auch ohne die Unterstützung von Bekannten und Verwandten zurechtkommen kann. Dass es für ihn nicht einfach sein wird, sich in Jamaika ein neues Leben aufzubauen, liegt auf der Hand. Abgesehen davon, dass er wohl nicht fließend Englisch spricht, ist die allgemeine wirtschaftliche und politische Situation in Jamaika nicht günstig. Insbesondere ist von einer hohen Kriminalitätsrate auszugehen. Dies belegen die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Hinweise des österreichischen Außenministeriums zu Jamaika vom 31.08.2010 sowie die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts vom 31.08.2010 (ebenso neuere Hinweise, Stand 21.09.2011, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/JamaikaSicherheit.html). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Kriminalitätsrate so hoch bzw. oder die allgemeinen Verhältnisse derart schlecht wären, dass dem Kläger ein Leben in Jamaika nicht zugemutet werden könnte. Schließlich müsste er nicht in die offenbar besonders problematische Hauptstadt Kingston ziehen. In Anbetracht seiner Deutschkenntnisse hat er ohnehin wohl in den Touristenzentren bessere Chancen, Arbeit zu finden. Außerdem könnte er in der Anfangszeit gegebenenfalls durch seine Mutter oder seine Brüder unterstützt werden. Der Senat geht im Übrigen davon aus, dass der Kläger zumindest über ausreichende Grundkenntnisse des Englischen verfügt, die ihm ein Einleben möglich machen und auf die er für einen schnellen Spracherwerb aufbauen kann. Schließlich ist er erst in seinem sechsten Lebensjahr nach Deutschland eingereist und hat bis zu diesem Zeitpunkt nur Englisch gesprochen. Es ist anzunehmen, dass er sich danach zumindest mit seinem älteren Bruder noch einige Zeit weiter in seiner Muttersprache unterhalten hat. Dafür spricht, dass er in der vierten Grundschulklasse wegen Sprachproblemen auf die Förderschule wechseln musste. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung berichtet, dass er ab und zu mit seiner inzwischen in den USA lebenden Großmutter telefoniert habe. Er hat zwar dazu erläutert, dass sein Englisch nicht mehr so gut sei, so dass er teilweise Übersetzungshilfen durch seine Mutter benötigt habe. Danach ist ihm aber die englische Sprache jedenfalls nicht völlig fremd geworden.
39 
Insgesamt ist die Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der angeführten Bindungen in Deutschland und der zu erwartenden Schwierigkeiten in Jamaika wegen der Schwere der begangenen Straftaten und der besonders hohen Wiederholungsgefahr als verhältnismäßig anzusehen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung muss sie nicht etwa im Hinblick auf Art. 8 EMRK sogleich befristet werden.
40 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Ausweisung auch nicht aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff. - Rückführungsrichtlinie) bereits jetzt befristet werden muss (vgl. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Diese Richtlinie ist zwar zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (noch) unmittelbar anwendbar, weil die Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen und das „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ (vgl. Entwurf, BT-Drucks. 17/5470 vom 12.04.2011) noch nicht in Kraft getreten ist. Die Ausweisung selbst stellt jedoch keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie dar (vgl. Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291).
41 
Da die Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG mithin schon allein aufgrund spezialpräventiver Gründe als verhältnismäßig anzusehen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob sie auch selbstständig tragend generalpräventiv begründet werden könnte (vgl. dazu Senatsurteile vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 -AuAS 2011, 136, vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O., und vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -).
II.
42 
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Ausweisung selbst dann als rechtmäßig anzusehen wäre, wenn davon ausgegangen würde, dass Ermessen auszuüben ist. Denn die vom Verwaltungsgericht angeführten Ermessensfehler liegen nicht vor.
43 
Das beklagte Land hat im Rahmen der von ihm angestellten und durch seinen Vertreter in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet.
44 
Zunächst ist nicht ersichtlich, dass – bezogen auf den Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung – ein wesentlicher Umstand nicht berücksichtigt worden wäre. Abgesehen davon sind die Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren noch entsprechend ergänzt bzw. klargestellt worden. Die Tatsache, dass der Kläger fließend Deutsch spricht, ist schon wegen seines Hauptschulabschlusses selbstverständlich und musste im angefochtenen Bescheid nicht explizit erwähnt werden.
45 
Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat auch in den Ausführungen des Regierungspräsidiums im angefochtenen Bescheid zur Frage des Grades der Integration keinen Ermessensfehler zu erkennen. Zwar wird darin dargelegt, dass sich der Kläger „nicht vollständig“ in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe und zur Begründung auf die nicht abgeschlossene Berufsausbildung bzw. den fehlenden festen Arbeitsplatz und die begangenen Straftaten abgestellt. Wie ausgeführt, ist aber zunächst betont worden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK eröffnet ist. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass durchaus von einer Integration in dem Sinne ausgegangen worden ist, dass das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK greift. Dies hat der Vertreter des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung bekräftigt. Die weiteren Erwägungen zur Frage, ob die Integration abgeschlossen ist, erfolgen im Rahmen der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. des Ermessens. In diesem Zusammenhang aber können die angeführten Umstände wie Berufsausbildung, Berufstätigkeit, u.a. selbstverständlich berücksichtigt und die Straftaten als gewichtige Integrationsdefizite gewertet werden.
46 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Gewaltdelikte auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten. Aus den oben zu § 8 Abs. 2 EMRK angeführten Gründen lässt es sich rechtlich nicht beanstanden, dass das Regierungspräsidium das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers höher bewertet hat als sein erhebliches privates Interesse, von einer Ausweisung verschont zu bleiben.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
49 
Beschluss
50 
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Beschluss vom 15. Februar 2011 (12 K 1301/10) – auf 10.000,-- EUR, der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
51 
Gründe
52 
Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruhen auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage war nicht nur auf Aufhebung der unter Ziffer 1 des Bescheids vom 09.03.2010 verfügten Ausweisung gerichtet, sondern auch auf Verpflichtung der in diesem Bescheid ebenfalls erfolgten Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Während es sich bei den ersten beiden Begehren um zwei selbstständige prozessuale Ansprüche handelt, für die jeweils der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (vgl. Ziffern 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327), kommt der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 - InfAuslR 1982, 167). Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ist demnach auf 10.000,-- EUR festzusetzen, der für das Berufungsverfahren, in welchem es nur noch um die Ausweisung ging, auf 5.000,-- EUR.
53 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
20 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des beklagten Landes ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage insgesamt, also auch hinsichtlich der Ausweisung, abweisen müssen. Denn die unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 verfügte Ausweisung ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
21 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Stuttgart steht die Ausweisung des Klägers nicht im Ermessen des beklagten Landes und ist daher schon deshalb nicht wegen Ermessensfehlern aufzuheben. Vielmehr handelt es sich vorliegend um eine so genannte „Ist-Ausweisung“ bzw. „zwingende Ausweisung“ nach § 53 AufenthG. Da die Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG vorliegen (dazu unter 1.) und der Kläger weder besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG genießt (2.) noch seine Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK oder Art. 2 GG als unverhältnismäßig anzusehen ist (3.), ist sie rechtmäßig.
22 
1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Nr. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet worden ist. Die Tatbestandvoraussetzungen dieser Regelung sind schon allein aufgrund der letzten Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Heilbronn vom 20.10.2009 wegen versuchten Totschlags und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten gegeben.
23 
2. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu. Er kann sich insbesondere nicht auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG berufen. Danach genießt ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, besonderen Ausweisungsschutz. Der Kläger ist jedoch bereits seit Ablauf der Geltungsdauer der am 23.10.2002 ausgestellten Aufenthaltserlaubnis zum 22.10.2004 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels. Die am 01.09.2008 durch das Landratsamt Hohenlohekreis erfolgte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit bis zum 28.02.2009 ist mangels Bekanntgabe an den Kläger nie wirksam geworden. Soweit der Kläger vorträgt, er müsste so gestellt werden, als ob ihm der Aufenthaltstitel ausgehändigt worden wäre, verkennt er, dass dieser lediglich bis 28.02.2009 gegolten hätte. Die Anträge des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 28.10.2004 und vom 12.02.2008 sind unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 abgelehnt worden. Selbst wenn durch die Anträge – trotz verspäteter Antragstellung – eine Fiktionswirkung (vgl. § 81 Abs. 4 AufenthG 2007, § 81 Abs. 4 AufenthG 2005, § 69 Abs. 3 AuslG 1965 i.d.F. vom 09.01.2002) eingetreten wäre, wäre diese damit jedenfalls beendet gewesen. Abgesehen davon hat das Regierungspräsidium zu Recht ausgeführt, dass Zeiten der Fiktionswirkung nicht dem (tatsächlichen) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gleichgestellt werden können (vgl. ausführlich Bay. VGH, Urteil vom 04.07.2011 - 19 B 10.1631 -juris, m.w.N.), wenn später die Erteilung des Titels unanfechtbar abgelehnt wurde.
24 
3. Die danach einfachgesetzlich zwingende Ausweisung des Klägers ist nicht mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK oder auf höherrangiges Recht wie Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig anzusehen.
25 
a) Auch eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG ist auf ihre Vereinbarkeit mit dem in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens hin zu überprüfen (vgl.VGH Bad.-Württ., Urteile vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 - und vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - juris; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.07.2003 - 1 B 252.02 - Buchholz 140 Art. 8 EMRK Nr. 14). Dies folgt nach Auffassung des Senats aus § 1 Abs. 1 Satz 5 AufenthG (noch mit anderer Begründung: VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 23.10.2002 - 11 S 1410/02 - NVwZ-RR 2003, 304, und vom 14.02.2001 - 13 S 2501/00 - NVwZ-Beil. 2001, 81). Danach bleiben die Regelungen in anderen Gesetzen „unberührt“. Diese „Unberührtheitsklausel“ gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zu den völkervertraglichen Regelungen, die – wie die Europäische Menschenrechtskonvention – durch Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) den Rang eines Bundesgesetzes erhalten haben und nicht nur die Vertragsparteien binden, sondern unmittelbar Rechte und Pflichten der betreffenden Staatsangehörigen begründen können, und zwar selbst wenn diese älter sind und deshalb nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ nicht vorrangig anwendbar wären (ausführlich dazu Fritzsch, VBlBW 2005, 378; GK-AufenthG, Stand: August 2011, § 1 AufenthG Rn. 23. ff.; Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 1 AufenthG Rn. 21).
26 
Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, ist im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung eine umfassende Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Offenbleiben kann daher, ob in diesen Fällen bei einer zwingenden Ausweisung zudem mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG – oder gegebenenfalls Art. 6 GG, welcher hier nicht einschlägig ist – i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen wäre (so OVG NRW, Beschluss vom 25.05.2009 - 18 E 1230/08 - AuAS 2009, 184; HambOVG, Urteil vom 24.03.2009 - 3 Bf 166/04 - InfAuslR 2009, 279), obwohl es sich um eine gebundene Entscheidung handelt und die Tatbestandsmerkmale des § 53 AufenthG – anders etwa als die der §§ 54 und 56 AufenthG – keinen Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Auslegung bieten (insoweit zu Recht kritisch Naumann, DÖV 2011, 96; vgl. zu Regel- und Ermessensausweisungen sowie zu § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG: BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443, und vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275; BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367). Denn insoweit wären dieselben Maßstäbe anzuwenden, die bei der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 EMRK zur Anwendung kommen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007- 2 BvR 535/06 - a.a.O.). In jedem Fall wäre der Ausländerbehörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. Senatsurteil vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O.; Bay.VGH, Beschluss vom 27.09.2010 - 19 ZB 09.715 - juris; vgl. auch Hailbronner, AuslR, Stand: September 2010, vor § 53 AufenthG Rn. 10 ff., m.w.N.; a.A. Thym, DVBl. 2008, 1346, 1351 f.; Huber, AuslR, 2010, § 53 AufenthG Rn. 5).
27 
b) Die Ausweisung des Klägers stellt zwar einen Eingriff in das in Art. 8 Abs. 1 EMRK verbürgte Recht auf Achtung seines Privatlebens dar; dieser ist jedoch gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.
28 
aa) Das Recht auf Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 - [Slivenko] EuGRZ 2005, 560). Über entsprechende Beziehungen verfügt der Kläger. Dies folgt bereits daraus, dass er seit seinem sechsten Lebensjahr und damit inzwischen seit mehr als 18 Jahren und 6 Monaten in Deutschland lebt, davon die meiste Zeit – jedenfalls bis zum 22.10.2004 – im Besitz von Aufenthaltstiteln war, hier zur Schule gegangen ist und den Hauptschulabschluss gemacht hat und zudem in Deutschland seine Mutter, sein älterer Bruder und sein jüngerer – deutscher – Halbbruder sowie seine langjährige Freundin leben. Selbst wenn ihm die Bescheinigungen über eine aufgrund seiner Verlängerungsanträge eingetretene Erlaubnisfiktion zu Unrecht ausgestellt worden und sein Aufenthalt bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr als rechtmäßig anzusehen gewesen wäre, könnte er sich weiter auf Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen. Ein Verständnis dahingehend, dass ein Privatleben, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine „Verwurzelung“ begründet, nur auf der Grundlage eines weiterhin fortdauernden rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt, ist angesichts der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK weder erforderlich noch sinnvoll (Senatsurteil vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -). Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK bei einer bereits erfolgten und weiter bestehenden „Verwurzelung“ immer schon dann nicht mehr eröffnet wäre, wenn es dem Betreffenden in der Folge nicht gelungen ist, im Erwerbsleben Fuß zu fassen und sich eine eigene Existenz zu schaffen oder aber wenn er Straftaten begangen hat. Auch diese Punkte sind vielmehr gegebenenfalls bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung aller Umstände entsprechend zu gewichten. Davon ist das Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid vom 09.03.2010 auch ausgegangen. Zwar wird darin mehrmals eine „nicht abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse“ angeführt und zur Begründung unter anderem auf eine fehlende Berufsausbildung und die Straftaten verwiesen. Diese Argumentation erfolgt jedoch im Rahmen der Ermessensausübung und bei der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Die Frage, ob der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK überhaupt eröffnet ist, wird hingegen ausdrücklich bejaht; die Ausweisung sei als ein Eingriff in das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK anzusehen (S. 11 des Bescheids).
29 
Hingegen ist das in Art. 8 Abs. 1 EMRK ebenfalls geschützte Familienleben hier schon deshalb nicht betroffen, weil der volljährige Kläger bereits vor seiner erneuten Inhaftierung nicht mehr mit seiner Mutter und seinem jüngsten Halbbruder in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat und auch nicht etwa aus besonderen Gründen auf ein Zusammenleben mit seiner Familie und auf deren Beistand angewiesen wäre bzw. seine Brüder oder seine Mutter seine Hilfe und Unterstützung benötigen würden (vgl. zu diesen Anforderungen: Senatsbeschluss des Senats vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - InfAuslR 2009, 178, m.w.N).
30 
bb) Die danach vorzunehmende Abwägung aller Umstände führt zum Ergebnis, dass die Ausweisung des Klägers trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein im Bundesgebiet geführtes Privatleben nach Art. 8 EMRK als gerechtfertigt anzusehen ist – und damit auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG als verhältnismäßig zu beurteilen wäre.
31 
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 - [Trabelsi]) ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien. Danach sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das gegebenenfalls abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
32 
Nach diesen Grundsätzen ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Kläger innerhalb weniger Jahre bereits mehrmals strafbar gemacht hat und dass es sich bei dem in der Nacht vom 10. auf den 11.09.2005 verübten schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und dem am 20.01.2009 begangenen Versuch eines Totschlags um gravierende Straftaten handelt. Bereits mit der Verurteilung wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch das Landgericht Heilbronn vom 15.08.2006 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten war der Regelausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Das Regierungspräsidium sah damals wegen des langjährigen Aufenthalts des Klägers in Deutschland, der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Mutter und seinem deutschen Halbbruder, der vom Kläger geäußerten Reue und vor allem wegen des Berichts der Justizvollzugsanstalt Adelsheim vom 19.01.2007, nach welchem von einer günstigen Sozial und Kriminalprognose auszugehen sei, von einer Ausweisung ab. Es machte dem Kläger in einem Schreiben vom 07.02.2007 aber deutlich, dass eine erneute Straftat zu seiner Ausweisung führen könne. Dies hielt den Kläger ebenso wenig von weiteren Straftaten ab wie die Tatsache, dass die Vollstreckung der Reststrafe mit Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 09.01.2008 lediglich auf Bewährung ausgesetzt worden war. Er machte sich vielmehr nicht nur im Juli 2008 – wenige Monate nach seiner Haftentlassung am 12.02.2008 – wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung strafbar, sondern nur einige Monate später, am 20.01.2009, auch wegen versuchten Totschlags und Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
33 
Schon aus diesen Umständen ist zu folgern, dass im Falle des Klägers von einer sehr hohen Gefahr der Wiederholung schwerer Straftaten auszugehen ist. Dies wird noch verdeutlicht durch die innere Einstellung des Klägers zu Leib und Leben anderer, die er bei den Taten gezeigt hat. Bei der Rücksichtslosigkeit und Brutalität, mit der er vorgegangen ist, sind weitere ähnliche Taten konkret zu befürchten. Zwar war er nach den Feststellungen des Landgerichts Heilbronn im Urteil vom 15.08.2006 bei dem Überfall auf eine Autofirma am 10. bzw. 11.09.2005, bei welchem er und weitere fünf Täter zwei neuwertige Fahrzeuge entwendeten, weder Initiator noch Organisator des Geschehens, sondern wurde „angeworben“. Auch hat er den Wachmann, der den Raub entdeckt hatte und erheblich verletzt worden war, nicht selbst geschlagen. Er hat aber den zuvor gefassten Plan mitgetragen, diesen unter Anwendung erheblicher körperlicher Gewalt „auszuschalten“ und zu fesseln, war dabei zugegen und hat das brutale Vorgehen seiner Mittäter gebilligt sowie ihnen beim Anlegen der Fesseln durch Leuchten mit der Taschenlampe geholfen. Schließlich hat auch er den Wachmann, der gefesselt, schwer verletzt und blutend eine 10 m hohe Böschung hinuntergestoßen worden war, seinem Schicksal überlassen. Dabei hätten er und seine Mittäter zwar darauf vertraut, dass der Tod nicht eintreten würde, weil sie davon ausgegangen seien, dass der Wachmann noch lebend gefunden würde. Sie hätten aber erkannt, dass dieser sich aufgrund seiner wegen der Fesselung eingeschränkten Bewegungs- und Atmungsfähigkeit sowie der Witterungsverhältnisse in Todesgefahr befunden habe. Tatsächlich wurde er erst um 06.30 Uhr in lebensbedrohlichem Zustand gefunden und hat erhebliche physische und psychische Verletzungen erlitten. Bei der am 20.01.2009 begangenen Straftat des versuchten Totschlags ging offenbar die Initiative vom Mitangeklagten Mi.G aus. Nach den Feststellungen im Strafurteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 haben aber sowohl Mi.G als auch der Kläger – jeder mindestens einmal – mit dem vom Kläger mitgeführten Nunchaku mit Wucht auf den Kopf des Geschädigten K. eingeschlagen, so dass dieses in zwei Teile zerriss. Nachdem K. dann mit blutenden Kopfwunden auf dem Boden gelegen hat, haben beide auf ihn eingetreten, bis einer der beiden geäußert habe, man könne ihn nun liegenlassen, weil er „verrecke“. Beim Verlassen des Hauses seien beide davon ausgegangen, dass K. ohne ärztliche Hilfe versterben würde.
34 
Hinzu kommt, dass auch dieser zweite Angriff des Klägers auf Leib und Leben einer Person nicht etwa in einer besonderen Ausnahmesituation oder aufgrund einer gravierenden emotionalen Belastung erfolgte. Der Mittäter Mi.G. war nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 wegen Drogenabhängigkeit vermindert steuerungsfähig und hat sich wegen der außerehelichen Beziehungen seiner Ehefrau zu dem Geschädigten in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Im Falle des Klägers fehlen entsprechende besondere Umstände. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er auf Nachfragen angegeben, er könne sich selbst nicht erklären, wieso er die Tat begangen habe.
35 
Die Wiederholungsgefahr wird zudem durch den Drogenkonsum des Klägers eher noch erhöht. Dabei kann hier offen bleiben, ob von einer Drogenabhängigkeit auszugehen ist. Jedenfalls hat der Kläger seinen eigenen Angaben in den Strafverfahren nach jahrelang regelmäßig Haschisch konsumiert und teilweise auch härtere Drogen. Er hat offensichtlich selbst nach seiner Entlassung auf Bewährung am 12.02.2008 bis zu seiner erneuten Verhaftung weiterhin regelmäßig Drogen genommen.
36 
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass sich an der danach bestehenden hohen Gefahr der Wiederholung gravierender Straftaten etwas geändert haben könnte. Bislang wurden – unter anderem wegen der ausländerrechtlichen Situation – keinerlei therapeutische Maßnahmen durchgeführt. Der Kläger hat zwar eine feste Beziehung mit einer deutschen Staatsangehörigen. Diese besteht aber schon seit vielen Jahren, ohne dass ihn das von der Begehung der Straftaten abgehalten hätte. In der Justizvollzugsanstalt zeigt der Kläger ausweislich der dem Senat vorliegenden Gefangenpersonalakten wohl einige positive Entwicklungen, etwa bei der Arbeit. Gegen ihn mussten aber auch mehrfach Sicherungsmaßnahmen verhängt werden. Eine Urinkontrolle – von mehreren – wurde positiv auf THC getestet. Nach dem Vollzugsplan vom 15.03.2011 wird weiter von einer behandlungsbedürftigen Gewalt- und Suchtproblematik ausgegangen. Aufgrund seiner Anlasstat und der daraus ersichtlichen Persönlichkeitsstörung sei bei ihm eine Sozialtherapie grundsätzlich indiziert und weiterhin erforderlich. Im Hinblick darauf hatte die Justizvollzugsanstalt bei einer anderen Anstalt mit einer Sozialtherapeutischen Abteilung um Aufnahme des Klägers zur Durchführung einer Sozialtherapie gebeten. In den beigefügten Unterlagen wird von der Psychotherapeutin der Justizvollzugsanstalt dargelegt, dass die zutage getretene Gewaltneigung das zentrale Problem sei. Ohne erfolgreiche Sozialtherapie sei zu befürchten, dass der Kläger weitere Gewaltdelikte begehen werde.
37 
Zugunsten des Klägers ist unter anderem zu berücksichtigen, dass er sich seit seinem sechsten Lebensjahr in Deutschland aufhält, hier aufgewachsen ist, trotz offensichtlich problematischer Familienverhältnisse, die die Aufnahme durch eine Pflegefamilie erforderlich machten, den Hauptschulabschluss absolviert und seine Abschlussnote in dem anschließenden Berufsvorbereitungsjahr auf 2,5 verbessert hat. Danach hat er eine Lehre begonnen, welche er allerdings nicht abgeschlossen hat. Er hat eine feste Beziehung zu einer deutschen Staatsangehörigen, mit welcher er nach seiner Haftentlassung zusammenziehen will. Seine Mutter ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, sein älterer Bruder lebt ebenfalls in Deutschland, sein jüngerer Halbbruder ist deutscher Staatsangehörigkeit. Er spricht fließend Deutsch und wohl nur schlecht Englisch. Aktuelle Beziehungen zu seiner Heimat Jamaika hat der Kläger seinen Angaben nach nicht. Seine Großmutter und viele der näheren Verwandten seien in andere Länder ausgereist. In der mündlichen Verhandlung hat er erläutert, dass er nicht wisse, welche Bekannten und welche Verwandten noch in Jamaika lebten.
38 
Trotzdem ist dem Kläger eine Rückkehr nach Jamaika nicht unzumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er fast 25 Jahre alt ist, also grundsätzlich auch ohne die Unterstützung von Bekannten und Verwandten zurechtkommen kann. Dass es für ihn nicht einfach sein wird, sich in Jamaika ein neues Leben aufzubauen, liegt auf der Hand. Abgesehen davon, dass er wohl nicht fließend Englisch spricht, ist die allgemeine wirtschaftliche und politische Situation in Jamaika nicht günstig. Insbesondere ist von einer hohen Kriminalitätsrate auszugehen. Dies belegen die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Hinweise des österreichischen Außenministeriums zu Jamaika vom 31.08.2010 sowie die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts vom 31.08.2010 (ebenso neuere Hinweise, Stand 21.09.2011, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/JamaikaSicherheit.html). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Kriminalitätsrate so hoch bzw. oder die allgemeinen Verhältnisse derart schlecht wären, dass dem Kläger ein Leben in Jamaika nicht zugemutet werden könnte. Schließlich müsste er nicht in die offenbar besonders problematische Hauptstadt Kingston ziehen. In Anbetracht seiner Deutschkenntnisse hat er ohnehin wohl in den Touristenzentren bessere Chancen, Arbeit zu finden. Außerdem könnte er in der Anfangszeit gegebenenfalls durch seine Mutter oder seine Brüder unterstützt werden. Der Senat geht im Übrigen davon aus, dass der Kläger zumindest über ausreichende Grundkenntnisse des Englischen verfügt, die ihm ein Einleben möglich machen und auf die er für einen schnellen Spracherwerb aufbauen kann. Schließlich ist er erst in seinem sechsten Lebensjahr nach Deutschland eingereist und hat bis zu diesem Zeitpunkt nur Englisch gesprochen. Es ist anzunehmen, dass er sich danach zumindest mit seinem älteren Bruder noch einige Zeit weiter in seiner Muttersprache unterhalten hat. Dafür spricht, dass er in der vierten Grundschulklasse wegen Sprachproblemen auf die Förderschule wechseln musste. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung berichtet, dass er ab und zu mit seiner inzwischen in den USA lebenden Großmutter telefoniert habe. Er hat zwar dazu erläutert, dass sein Englisch nicht mehr so gut sei, so dass er teilweise Übersetzungshilfen durch seine Mutter benötigt habe. Danach ist ihm aber die englische Sprache jedenfalls nicht völlig fremd geworden.
39 
Insgesamt ist die Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der angeführten Bindungen in Deutschland und der zu erwartenden Schwierigkeiten in Jamaika wegen der Schwere der begangenen Straftaten und der besonders hohen Wiederholungsgefahr als verhältnismäßig anzusehen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung muss sie nicht etwa im Hinblick auf Art. 8 EMRK sogleich befristet werden.
40 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Ausweisung auch nicht aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff. - Rückführungsrichtlinie) bereits jetzt befristet werden muss (vgl. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Diese Richtlinie ist zwar zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (noch) unmittelbar anwendbar, weil die Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen und das „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ (vgl. Entwurf, BT-Drucks. 17/5470 vom 12.04.2011) noch nicht in Kraft getreten ist. Die Ausweisung selbst stellt jedoch keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie dar (vgl. Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291).
41 
Da die Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG mithin schon allein aufgrund spezialpräventiver Gründe als verhältnismäßig anzusehen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob sie auch selbstständig tragend generalpräventiv begründet werden könnte (vgl. dazu Senatsurteile vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 -AuAS 2011, 136, vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O., und vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -).
II.
42 
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Ausweisung selbst dann als rechtmäßig anzusehen wäre, wenn davon ausgegangen würde, dass Ermessen auszuüben ist. Denn die vom Verwaltungsgericht angeführten Ermessensfehler liegen nicht vor.
43 
Das beklagte Land hat im Rahmen der von ihm angestellten und durch seinen Vertreter in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet.
44 
Zunächst ist nicht ersichtlich, dass – bezogen auf den Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung – ein wesentlicher Umstand nicht berücksichtigt worden wäre. Abgesehen davon sind die Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren noch entsprechend ergänzt bzw. klargestellt worden. Die Tatsache, dass der Kläger fließend Deutsch spricht, ist schon wegen seines Hauptschulabschlusses selbstverständlich und musste im angefochtenen Bescheid nicht explizit erwähnt werden.
45 
Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat auch in den Ausführungen des Regierungspräsidiums im angefochtenen Bescheid zur Frage des Grades der Integration keinen Ermessensfehler zu erkennen. Zwar wird darin dargelegt, dass sich der Kläger „nicht vollständig“ in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe und zur Begründung auf die nicht abgeschlossene Berufsausbildung bzw. den fehlenden festen Arbeitsplatz und die begangenen Straftaten abgestellt. Wie ausgeführt, ist aber zunächst betont worden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK eröffnet ist. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass durchaus von einer Integration in dem Sinne ausgegangen worden ist, dass das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK greift. Dies hat der Vertreter des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung bekräftigt. Die weiteren Erwägungen zur Frage, ob die Integration abgeschlossen ist, erfolgen im Rahmen der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. des Ermessens. In diesem Zusammenhang aber können die angeführten Umstände wie Berufsausbildung, Berufstätigkeit, u.a. selbstverständlich berücksichtigt und die Straftaten als gewichtige Integrationsdefizite gewertet werden.
46 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Gewaltdelikte auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten. Aus den oben zu § 8 Abs. 2 EMRK angeführten Gründen lässt es sich rechtlich nicht beanstanden, dass das Regierungspräsidium das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers höher bewertet hat als sein erhebliches privates Interesse, von einer Ausweisung verschont zu bleiben.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
49 
Beschluss
50 
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Beschluss vom 15. Februar 2011 (12 K 1301/10) – auf 10.000,-- EUR, der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
51 
Gründe
52 
Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruhen auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage war nicht nur auf Aufhebung der unter Ziffer 1 des Bescheids vom 09.03.2010 verfügten Ausweisung gerichtet, sondern auch auf Verpflichtung der in diesem Bescheid ebenfalls erfolgten Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Während es sich bei den ersten beiden Begehren um zwei selbstständige prozessuale Ansprüche handelt, für die jeweils der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (vgl. Ziffern 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327), kommt der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 - InfAuslR 1982, 167). Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ist demnach auf 10.000,-- EUR festzusetzen, der für das Berufungsverfahren, in welchem es nur noch um die Ausweisung ging, auf 5.000,-- EUR.
53 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 55 Bleibeinteresse


(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 54 Ausweisungsinteresse


(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 81 Beantragung des Aufenthaltstitels


(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist u

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafgesetzbuch - StGB | § 23 Strafbarkeit des Versuchs


(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Täter aus grobem Unv

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 56 Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit


(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei de

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 1 Zweck des Gesetzes; Anwendungsbereich


(1) Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbei

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 59


(1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten. (2) Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich a

Strafprozeßordnung - StPO | § 456a Absehen von Vollstreckung bei Auslieferung, Überstellung oder Ausweisung


(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefe

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 69 Gebühren


(1) Für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen nach diesem Gesetz und den zur Durchführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen werden Gebühren und Auslagen erhoben. Die Gebührenfestsetzung kann auch mündlich erfolgen. Satz 1 gilt n

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2011 - 11 S 1929/11 zitiert oder wird zitiert von 12 Urteil(en).

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2011 - 11 S 1929/11 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 04. Mai 2011 - 11 S 207/11

bei uns veröffentlicht am 04.05.2011

Tenor Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27. Oktober 2010 - 1 K 1516/08 - geändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge. Die Revision wird zugela

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 15. Apr. 2011 - 11 S 189/11

bei uns veröffentlicht am 15.04.2011

Tenor Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. In Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zurückgewiese

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 18. März 2011 - 11 S 2/11

bei uns veröffentlicht am 18.03.2011

Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 2010 - 5 K 1778/09 - insoweit geändert, als es die Klage als unbegründet abgewiesen hat.Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 23. Juni 20

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 05. Feb. 2009 - 11 S 3244/08

bei uns veröffentlicht am 05.02.2009

Tenor Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt ..., bewilligt. Er hat auf die Prozesskosten monatliche Raten von ... EUR zu zahlen. Auf die Beschwerde des
8 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2011 - 11 S 1929/11.

Verwaltungsgericht München Urteil, 17. Juni 2015 - M 25 K 15.1190

bei uns veröffentlicht am 17.06.2015

Gründe Bayerisches Verwaltungsgericht München Aktenzeichen: M 25 K 15.1190 Im Namen des Volkes Urteil vom 17. Juni 2015 25. Kammer Sachgebiets-Nr. 600 Hauptpunkte: Ausweisung mit Wiedereinreisesper

Verwaltungsgericht München Urteil, 05. Aug. 2015 - M 25 K 15.106

bei uns veröffentlicht am 05.08.2015

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegu

Verwaltungsgericht München Beschluss, 07. Dez. 2017 - M 25 S 17.4284

bei uns veröffentlicht am 07.12.2017

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt. Gründe I. Der Antragsteller ist iranische

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 18. Nov. 2015 - 11 K 4268/14

bei uns veröffentlicht am 18.11.2015

Tenor Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwende

Referenzen

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.

(2) Kehrt der Verurteilte zurück, so kann die Vollstreckung nachgeholt werden. Für die Nachholung einer Maßregel der Besserung und Sicherung gilt § 67c Abs. 2 des Strafgesetzbuches entsprechend. Die Vollstreckungsbehörde kann zugleich mit dem Absehen von der Vollstreckung die Nachholung für den Fall anordnen, dass der Verurteilte zurückkehrt, und hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen sowie die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen, insbesondere die Ausschreibung zur Festnahme, veranlassen; § 131 Abs. 4 sowie § 131a Abs. 3 gelten entsprechend. Der Verurteilte ist zu belehren.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen nach diesem Gesetz und den zur Durchführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen werden Gebühren und Auslagen erhoben. Die Gebührenfestsetzung kann auch mündlich erfolgen. Satz 1 gilt nicht für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen der Bundesagentur für Arbeit nach den §§ 39 bis 42. § 287 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt. Satz 1 gilt zudem nicht für das Mitteilungsverfahren im Zusammenhang mit der kurzfristigen Mobilität von Studenten nach § 16c, von unternehmensintern transferierten Arbeitnehmern nach § 19a und von Forschern nach § 18e.

(2) Die Gebühr soll die mit der individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung verbundenen Kosten aller an der Leistung Beteiligten decken. In die Gebühr sind die mit der Leistung regelmäßig verbundenen Auslagen einzubeziehen. Zur Ermittlung der Gebühr sind die Kosten, die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen als Einzel- und Gemeinkosten zurechenbar und ansatzfähig sind, insbesondere Personal- und Sachkosten sowie kalkulatorische Kosten, zu Grunde zu legen. Zu den Gemeinkosten zählen auch die Kosten der Rechts- und Fachaufsicht. Grundlage der Gebührenermittlung nach den Sätzen 1 bis 4 sind die in der Gesamtheit der Länder und des Bundes mit der jeweiligen Leistung verbundenen Kosten.

(3) Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die gebührenpflichtigen Tatbestände und die Gebührensätze sowie Gebührenbefreiungen und -ermäßigungen, insbesondere für Fälle der Bedürftigkeit. Soweit dieses Gesetz keine abweichenden Vorschriften enthält, finden § 3 Absatz 1 Nummer 1 und 4, Absatz 2 und 4 bis 6, die §§ 4 bis 7 Nummer 1 bis 10, die §§ 8, 9 Absatz 3, die §§ 10 bis 12 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 sowie die §§ 13 bis 21 des Bundesgebührengesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) in der jeweils geltenden Fassung entsprechende Anwendung.

(4) Abweichend von § 4 Absatz 1 des Bundesgebührengesetzes können die von den Auslandsvertretungen zu erhebenden Gebühren bereits bei Beantragung der individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung erhoben werden. Für die von den Auslandsvertretungen zu erhebenden Gebühren legt das Auswärtige Amt fest, ob die Erhebung bei den jeweiligen Auslandsvertretungen in Euro, zum Gegenwert in Landeswährung oder in einer Drittwährung erfolgt. Je nach allgemeiner Verfügbarkeit von Einheiten der festgelegten Währung kann eine Rundung auf die nächste verfügbare Einheit erfolgen.

(5) Die in der Rechtsverordnung bestimmten Gebühren dürfen folgende Höchstsätze nicht übersteigen:

1.
für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis: 140 Euro,
1a.
für die Erteilung einer Blauen Karte EU: 140 Euro,
1b.
für die Erteilung einer ICT-Karte: 140 Euro,
1c.
für die Erteilung einer Mobiler-ICT-Karte: 100 Euro,
2.
für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis: 200 Euro,
2a.
für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU: 200 Euro,
3.
für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU oder einer ICT-Karte: 100 Euro,
3a.
für die Verlängerung einer Mobiler-ICT-Karte: 80 Euro,
4.
für die Erteilung eines nationalen Visums und die Ausstellung eines Passersatzes und eines Ausweisersatzes: 100 Euro,
5.
für die Anerkennung einer Forschungseinrichtung zum Abschluss von Aufnahmevereinbarungen oder einem entsprechenden Vertrag nach § 18d: 220 Euro,
6.
für sonstige individuell zurechenbare öffentliche Leistungen: 80 Euro,
7.
für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen zu Gunsten Minderjähriger: die Hälfte der für die öffentliche Leistung bestimmten Gebühr,
8.
für die Neuausstellung eines Dokuments nach § 78 Absatz 1, die auf Grund einer Änderung der Angaben nach § 78 Absatz 1 Satz 3, auf Grund des Ablaufs der technischen Kartennutzungsdauer, auf Grund des Verlustes des Dokuments oder auf Grund des Verlustes der technischen Funktionsfähigkeit des Dokuments notwendig wird: 70 Euro,
9.
für die Aufhebung, Verkürzung oder Verlängerung der Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes: 200 Euro.

(6) Für die Erteilung eines nationalen Visums und eines Passersatzes an der Grenze darf ein Zuschlag von höchstens 25 Euro erhoben werden. Für eine auf Wunsch des Antragstellers außerhalb der Dienstzeit vorgenommene individuell zurechenbare öffentliche Leistung darf ein Zuschlag von höchstens 30 Euro erhoben werden. Gebührenzuschläge können auch für die individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen gegenüber einem Staatsangehörigen festgesetzt werden, dessen Heimatstaat von Deutschen für entsprechende öffentliche Leistungen höhere Gebühren als die nach Absatz 3 festgesetzten Gebühren erhebt. Die Sätze 2 und 3 gelten nicht für die Erteilung oder Verlängerung eines Schengen-Visums. Bei der Festsetzung von Gebührenzuschlägen können die in Absatz 5 bestimmten Höchstsätze überschritten werden.

(7) Die Rechtsverordnung nach Absatz 3 kann vorsehen, dass für die Beantragung gebührenpflichtiger individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen eine Bearbeitungsgebühr erhoben wird. Die Bearbeitungsgebühr für die Beantragung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU darf höchstens die Hälfte der für ihre Erteilung zu erhebenden Gebühr betragen. Die Gebühr ist auf die Gebühr für die individuell zurechenbare öffentliche Leistung anzurechnen. Sie wird auch im Falle der Rücknahme des Antrages und der Versagung der beantragten individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung nicht zurückgezahlt.

(8) Die Rechtsverordnung nach Absatz 3 kann für die Einlegung eines Widerspruchs Gebühren vorsehen, die höchstens betragen dürfen:

1.
für den Widerspruch gegen die Ablehnung eines Antrages auf Vornahme einer gebührenpflichtigen individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung: die Hälfte der für diese vorgesehenen Gebühr,
2.
für den Widerspruch gegen eine sonstige individuell zurechenbare öffentliche Leistung: 55 Euro.
Soweit der Widerspruch Erfolg hat, ist die Gebühr auf die Gebühr für die vorzunehmende individuell zurechenbare öffentliche Leistung anzurechnen und im Übrigen zurückzuzahlen.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. In Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wendet sich gegen seine Ausweisung.
Er ist am 01.10.1981 in ... geboren und dort aufgewachsen. Sein 1947 geborener Vater war im Bundesgebiet seit 1973 erwerbstätig und verstarb 2009 an den Folgen einer 1999 diagnostizierten Krebserkrankung. Seine 1950 geborene Mutter lebt seit 1978 in Deutschland und ist nach einem Hirninfarkt mit Halbseitenlähmung und weiteren Erkrankungen hilfebedürftig. Sie wird durch Familienmitglieder unterstützt und gepflegt. Im Bundesgebiet leben die vier älteren, in den Jahren 1971, 1972, 1973 und 1979 geborenen Brüder des Klägers, die teilweise hier eigene Familien haben. Die drei ältesten Brüder wuchsen zunächst bei ihren Großeltern in der Türkei auf und kamen im Kindesalter nach Deutschland.
Am 02.10.1997 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Er erwarb 1998 den Hauptschulabschluss und schloss am 18.07.2001 eine Lehre als Verpackungsmittelmechaniker erfolgreich ab. Sein bisheriger Ausbildungsbetrieb setzte ihn in unmittelbarem Anschluss an das Ende seiner Ausbildung als Drucker ein. Nach eigenen Angaben arbeitete der Kläger wegen einer durch die andauernde Belastung mit Lösungsmitteln hervorgerufenen Erkrankung nur etwa zwei Jahre in seinem erlernten Beruf. Danach bezog er Arbeitslosengeld. Im Jahre 2003 war er kurzzeitig als Konzessionsinhaber des Pizza-Services „...“ in ... registriert, wobei die Pizzeria aufgrund einer „Verrechnung“ in einem Drogengeschäft erworben worden war.
Der Kläger wurde am 06.10.1999 in einem Zug einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen, bei der ein Gramm Marihuana und eine Haschischpfeife gefunden wurden. Von der Verfolgung wurde nach § 45 Abs. 1 JGG abgesehen. Nach einem „Tipp aus der Szene“ wurde gegen ihn ab dem Sommer 2003 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Am 08.04.2004 erließ das Amtsgericht ... deswegen einen Haftbefehl, seit 09.05.2005 bestand ein europäischer Haftbefehl. Die Verhaftung des Klägers erfolgte am 02.06.2005 in den Niederlanden. Am 12.08.2005 wurde er an die deutschen Behörden überstellt; zuvor hatte er sich in den Niederlanden erfolglos um gerichtlichen Rechtsschutz gegen seine Auslieferung bemüht.
Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Kläger mit Urteil vom 24.11.2005 - 5 KLs 221 Js 100500/04 -, das noch am gleichen Tag rechtskräftig wurde, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe. Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit dem gesondert verfolgten Mittäter ... Y., wurde angeordnet.
Das Landgericht traf ausweislich der nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründe im Wesentlichen folgende Feststellungen: Der Kläger beschloss spätestens Mitte des Jahres 2002, sich aus dem fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana eine Einnahmequelle von einem gewissen Umfang und einer gewissen Dauer zu verschaffen. Er verkaufte im Sommer 2002 zweimal jeweils mindestens ein Kilo Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10% gewinnbringend zum Grammpreis von 4,30 EUR an die gesondert verfolgten M.K. und A.Y. (Taten 1 und 2 gemäß des Strafurteils). Spätestens im Oktober 2002 beschlossen der Kläger und der gesondert verfolgte ... Y., sich in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken durch den fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana in Stuttgart eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Die Beschaffung und den Vertrieb organisierten sie arbeitsteilig, wobei ... Y. sich die Letztentscheidungskompetenz vorbehielt. Das Marihuana, dessen THC-Gehalt mindestens 15% betrug, verkauften sie an A.M. der es seinerseits an seine Abnehmer G.L. und F.M. weiterveräußerte. Gegenstand der im Strafurteil im Einzelnen aufgeführten und zwischen Oktober 2002 und April 2003 begangenen Taten 3 - 12 (UA S. 4 f.) waren insgesamt mindestens 24,5 kg Marihuana, wobei von den bei den Taten 9, 11 und 12 gehandelten Rauschgiftmengen etwa 12,8 kg sichergestellt werden konnten. Die Polizei verhaftete F.M. am 09.04.2003 und A.M. am 16.04.2003. Spätestens Anfang Dezember 2003 schlossen sich der Kläger, ... Y., M.Y. sowie die beiden Brüder des Klägers N. und M. zu einer Gruppierung zusammen mit dem Ziel, künftig in ... und Umgebung für eine gewisse Dauer erhebliche Mengen Marihuana sowie Kokain jeweils guter Qualität (Wirkstoffgehalt THC mindestens 10 % bzw. Kokainhydrochlorid mindestens 35 %) gewinnbringend weiterzuverkaufen, um sich daraus eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Entsprechend der gemeinsamen Abrede vereinbarten sie ein arbeitsteiliges Vorgehen, wobei es Aufgabe des Klägers und von ... Y. war, die Betäubungsmittelbeschaffung und deren Weiterverkauf zu organisieren. Insbesondere legten sie gemeinsam die jeweiligen Lieferzeitpunkte fest und kontrollierten den Zahlungsverkehr. Mittels sog. Palms glichen sie von Zeit zu Zeit die von ihnen arbeitsteilig erzielten Ergebnisse ab. Im Verhältnis untereinander konnte ... Y. dem Kläger Weisungen erteilen. Bei Bedarf teilten beide den anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zu. Als Umschlagplatz für die Betäubungsmittel diente die von beiden gemeinsam bewohnte Wohnung im Anwesen ..., nachdem die Kurierfahrzeuge zuvor von anderen Bandenmitgliedern in verschiedenen Tiefgaragen in ... entladen worden waren. Spätestens Ende Januar 2004 schloss sich ... F. der Gruppierung an. ... Y. bot diesem in Absprache mit dem Kläger zunächst an, als Security-Mann für ihn zu arbeiten. Nachdem F. dieses Angebot angenommen hatte, wurde ihm innerhalb kürzester Zeit klar, dass der Kläger und ... Y. ihren aufwändigen Lebensstil aus Rauschgiftgeschäften finanzierten. In der Folge erklärte er sich auf Nachfrage der beiden bereit, bei dem Rauschgifthandel mitzumachen. Da der Kläger und ... Y. aus ihrer seitherigen Lieferquelle den wachsenden Marihuana-Absatz nicht mehr vollständig bedienen konnten, beauftragte ... Y. in Absprache mit dem Kläger F., neue Lieferquellen zu erschließen. F. nahm Kontakt mit einem nicht näher identifizierten Russen namens „...“ auf und vereinbarte und organisierte mit diesem Lieferungen von Marihuana aus den Niederlanden, wobei man sich zur „Geschäftsabwicklung“ teilweise in Heinsberg traf. Im März 2004 stieß schließlich J.L. zu der Bande. Dieser hatte sich Anfang Januar 2004 vom Kläger Geld geliehen, was er jedoch nicht zurückzahlen konnte. Zur Abgeltung dieser Schulden erklärte sich L. bereit, an dem Rauschgifthandel mitzuwirken. Gegenstand der abgeurteilten 16 Taten, die im Zeitraum zwischen Dezember 2003 und 06.04.2004 begangen worden waren, waren insgesamt etwa 205 kg Marihuana sowie 500 g Kokain, wobei 15 kg Marihuana sichergestellt werden konnten. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Taten wird auf die Feststellungen des Landgerichts verwiesen (dort Taten Nrn. 13 bis 28, UA S. 7 - 15). Die Feststellungen zur Sache beruhten dem Strafurteil zufolge auf dem umfassenden, im Vorfeld der Hauptverhandlung abgelegten Geständnis des Klägers, das sich einerseits mit den vom Zeugen KHK K. glaubhaft berichteten Ermittlungsergebnissen aus dem umfassenden Gesamtermittlungskomplex und andererseits den Feststellungen in dem gegen die übrigen Bandenmitglieder ergangenen Strafurteil vom 15.03.2005 deckte.
Zur Strafzumessung führte das Landgericht unter anderem aus: Für eine Strafrahmenverschiebung nach § 31 BtMG sei kein Raum gewesen. Zwar habe der Kläger im Rahmen seiner polizeilichen Angaben - wie KHK K. berichtet habe -umfängliche, über seinen eigenen Tatbeitrag hinausgehende Aufklärungshilfe geleistet. Diese erschöpfe sich jedoch, von einem in seiner Erfolgsaussicht derzeit noch nicht abschließend zu beurteilenden Ermittlungsansatz abgesehen, maßgeblich in der Bestätigung des bereits durch die Angaben des ... Y. bekannten Ermittlungsstandes. Innerhalb des für die Taten 1 bis 12 geltenden Strafrahmens nach § 29a Abs. 1 BtMG und des für die Taten 13 bis 28 zur Anwendung kommenden Strafrahmens nach § 30a Abs. 1 BtMG sei zu Gunsten des nicht vorbestraften Klägers sein umfassendes Geständnis gewertet worden, welches zu einer nennenswerten Verfahrensabkürzung geführt habe. In diesem Zusammenhang habe die Strafkammer auch die geleistete Aufklärungshilfe strafmildernd gewertet. In gleicher Weise sei die Länge der erlittenen Auslieferungs- und Untersuchungshaft sowie der Umstand gewichtet worden, dass der Kläger als Erstverbüßer äußerst strafempfindlich sei. Auch die im Raume stehenden ausländerrechtlichen Folgen der vorliegenden Verurteilung seien strafmildernd gewertet worden. Zu Gunsten des Klägers sei bezüglich der Taten 9, 11, 12 und 28 strafmildernd berücksichtigt worden, dass Rauschgift habe sichergestellt werden können und nicht in den Verkehr gelangt sei. Zudem habe die Strafkammer strafmildernd gewertet, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt gewesen sei. Zu seinen Lasten fielen strafschärfend die jeweils erheblichen Mengen an Rauschgift sowie das Handeltreiben mit Kokain als einem der gefährlichsten Rauschgifte ins Gewicht. Bei den Taten 13 bis 28 sei zu seinen Lasten berücksichtigt worden, dass die Tatinitiative jeweils von ihm - zusammen mit ... Y. - ausgegangen sei, zu seinen Gunsten sei jedoch seine Weisungsgebundenheit gegenüber diesem einzustellen. Schließlich sei seine extrem große kriminelle Energie strafschärfend gewichtet worden, welche insbesondere in der hohen Tatfrequenz zum Ausdruck gekommen sei.
Ausweislich des Protokolls des Landgerichts über die Hauptverhandlung gab es zwischen der Strafkammer, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger Gespräche über eine einvernehmliche Verfahrensabkürzung. Die Strafkammer sagte dem Kläger für den Fall eines umfassenden Geständnisses und der Bereitschaft, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, zu, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als neun Jahren zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft sagte für diesen Fall zu, das weitere anhängige Ermittlungsverfahren im bisher bekannten Umfang einzustellen und erklärte, dass die Zusage nur für den Fall einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens neun Jahren gilt.
Die übrigen Bandenmitglieder waren bereits durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.03.2005 - 5 KLs 221 Js 95338/03 - zu Freiheitsstrafen verurteilt worden - unter anderem ... Y. zu 10 Jahren, M.Y. zu 6 Jahren, N.B. zu 6 Jahren und 2 Monaten sowie M.B. zu 6 Jahren und 6 Monaten. Nach den hinsichtlich aller Angeklagten gem. § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründen des Urteils beruhten die Feststellungen zur Sache auf den umfassenden sich wechselseitig bestätigenden und daher glaubhaften Geständnissen sämtlicher Angeklagter, die auch durch die vom Zeugen KHK K. nachvollziehbar berichteten Ermittlungsergebnisse aus den stattgefundenen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie Observationen gestützt wurden.
10 
Der Kläger selbst hatte ab dem 16.11.2005 in polizeilichen Vernehmungen Angaben gemacht. Nach seiner Verurteilung wurde der Kläger erneut in der Zeit zwischen Januar 2006 und Juni 2006 polizeilich vernommen. ... Y., der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde, hatte bereits vor den Angaben des Klägers zur Sache umfangreich über Hintermänner, Lieferanten und Abnehmer des Rauschgifthandels ausgesagt. Nach einem Schreiben von KHK K. an das Regierungspräsidium Stuttgart vom 17.03.2008 seien aufgrund der Aussagen des „Bandenkopfes“, dessen rechter Hand und weiterer Bandenmitglieder, welche zwischenzeitlich bei der Polizei Angaben gemacht hätten, etwa 90 Strafverfahren eingeleitet worden, die teilweise zu langjährigen Freiheitsstrafen geführt hätten. Das aufgrund der ab Januar 2006 erfolgten Angaben gegen den Kläger eröffnete Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Verfügung vom 16.03.2007 - 221 Js 26457/06 - nach § 154 StPO ein.
11 
Das Regierungspräsidium Stuttgart nahm die Verurteilung des Klägers zum Anlass, ihn mit Verfügung vom 04.10.2006 aus dem Bundesgebiet auszuweisen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung in die Türkei ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht und die Abschiebung auf den Zeitpunkt der Haftentlassung angekündigt. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger besitze eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80. Folglich könne er nur unter dem Vorbehalt der Beschränkungen aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und nach Ermessen ausgewiesen werden. Die von ihm vorsätzlich und tatmehrheitlich begangenen Betäubungsmittelstraftaten wögen ausgesprochen schwer, da er sich unter anderem mit anderen Personen zu einer Bande zusammen geschlossen habe, die allein aus Gewinnstreben höchst umfangreich einen schwunghaften Handel mit Marihuana in höheren Kilogrammbereich betrieben habe. Dass es sich dabei „nur“ um Marihuana gehandelt habe, ändere an der Schwere der Tat nichts, denn über diese Einstiegsdroge führe oft der Weg in eine schwere Drogenabhängigkeit. Zudem habe er in einem Fall auch die harte Droge Kokain in einer Menge von ca. 500 Gramm verkauft. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei gegeben. Diese entfalle auch nicht im Hinblick auf das Geständnis im Strafverfahren. Eine echte Einsicht und Reue lasse sich daraus nicht ableiten, zumal die Beweislage wegen der Telekommunikationsüberwachung und der polizeilichen Observation erdrückend gewesen sei. Der Ausweisung stehe Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG und der darin enthaltene besondere Ausweisungsschutz nicht entgegen. Diese gemeinschaftsrechtliche Vorschrift sei auf türkische Staatsangehörige, die sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen könnten, nicht anzuwenden. Der Kläger sei zwar im Bundesgebiet geboren und hier aufgewachsen, doch überwiege sein durchaus erhebliches Interesse, von der Ausweisung verschont zu bleiben, nicht das herausragende öffentliche Interesse an der wirksamen Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. Die Wahrscheinlichkeit, dass er im Bundesgebiet erneut straffällig werde, sei ausgesprochen hoch. Es werde nicht übersehen, dass er Schwierigkeiten haben werde, sich in der Türkei einzugewöhnen. Er könne aufgrund seines Alters jedoch ohne weiteres allein klar kommen, zumal er zumindest Grundkenntnisse der türkischen Sprache besitze. Vor dem Hintergrund des höchst kriminellen Fehlverhaltens sei es ihm zumutbar, die mit einer Abschiebung in die Türkei verbundenen Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen und dort zu überwinden - zumal die Straftaten auf eine nicht abgeschlossene Integration in die deutschen Lebensverhältnisse schließen ließen. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass er noch Bindungen in der Türkei habe. Hierauf deute auch der Kauf einer Eigentumswohnung dort durch seinen Bruder M. hin. Die familiäre Verbundenheit mit den im Bundesgebiet lebenden Angehörigen den Eltern und Brüdern stehe der Ausweisung nicht entgegen. Diese stehe mit Art. 8 EMRK in Einklang.
12 
Zur Begründung seiner fristgerecht erhobenen Klage trug der Kläger vor: Die Ausweisungsverfügung verstoße gegen nationale und internationale Vorschriften. Er könne nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Diese Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Abgesehen davon sei seine Ausweisung auch aus anderen Gründen fehlerhaft. Schon vor seiner Verurteilung habe er damit begonnen, mit seiner kriminogenen Vergangenheit abzuschließen. Seine Zeugenaussagen, die bewirkt hätten, dass er in ständiger Bedrohung lebe, hätten zu einer strafrechtlichen Verfolgung einer Vielzahl von Personen geführt. Seine Entwicklung nach der Tat und sein in jeder Hinsicht beanstandungsfreies Verhalten im Vollzug zeigten, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgehe. Seine Integration in deutsche Lebensverhältnisse sei abgeschlossen; daran ändere seine Straffälligkeit nichts. Seine Bezugspersonen lebten alle in Deutschland. Hier habe er einen festen Freundeskreis. Verbindungen in die Türkei habe er keine mehr. Auch sei sein früherer Mittäter ... Y. in den Zeugenschutz aufgenommen worden, was wiederum für diesen zumindest ein Abschiebungshindernis bedeute. Er dürfe ausländerrechtlich nicht schlechter behandelt werden als dieser und als seine eigenen Brüder, die im Bundesgebiet bleiben könnten. Auch bilde er sich weiter. Er plane und betreibe seine Schuldenregulierung, die bei einer Abschiebung in die Türkei nicht mehr erfolgen könnte. Seine Ausweisung verstoße gegen Art. 8 EMRK.
13 
Das Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte mit Urteil vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - die Ausweisungsverfügung des beklagten Landes, das der Klage entgegen getreten war.
14 
Da sowohl die angefochtene Verfügung als auch das Urteil des Verwaltungsgerichts davon ausgingen, die Ausweisung des Klägers richte sich aufgrund seiner Rechtstellung nach Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80 nach Art. 14 ARB 1/80 und offen sei, ob auch assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige sich auf den Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG berufen können, ließ der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 22.07.2008 - 13 S 1244/08 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu. Die vom Kläger unter Stellung eines Antrags fristgerecht begründete Berufung wurde mit Blick auf das durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 22.07.2008 - 13 S 1917/07 - bei Europäischen Gerichtshof zu dieser Frage bereits anhängig gemachte Vorabentscheidungsersuchen (C-371/08) ausgesetzt.
15 
Der Kläger war zunächst in der JVA ... und sodann in der JVA ... in Haft. Dort teilte er sich mit seinen zwei Brüdern - aus Sicherheitsgründen - die Zelle. In der JVA ... arbeitete er seit dem 14.03.2006 in der Druckerei und eignete sich hier die Reprofilmmontage, die Druckplattenkopie und die Filmarchivierung an. Nach der Bescheinigung der JVA - Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen - vom 09.07.2009 habe er sich im Laufe seiner Tätigkeit in der Druckerei in seinem Verhalten gegenüber Vorgesetzten und auch Mitgefangenen sehr positiv entwickelt; er zeichne sich hauptsächlich durch Zuverlässigkeit, Qualitätsbewusstsein und Loyalität aus. Betäubungsmittelkontrollen während der Haft waren negativ. Mit Wirkung zum 26.08.2009 wurde der Kläger als Freigänger zugelassen, um ab dem 30.08.2009 einen zwei Jahre dauernden Umschulungslehrgang am ... Berufskolleg beginnen zu können. Die in Vollzeit stattfindende Ausbildung „Mediengestalter Digital und Print, Schwerpunkt: Gestaltung und Technik“ endet mit einer Abschlussprüfung vor der IHK. Nach den Bescheiden der Bundesagentur für Arbeit vom 07.09.2009 werden die Kosten des Lehrgangs von insgesamt 17.518,60 EUR als Leistungen für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme von dieser getragen, darüber hinaus erhält der Kläger ein monatliches Arbeitslosengeld gemäß § 117 SGB III in Höhe von 797,40 EUR.
16 
Mit Schreiben vom 09.03.2010 beantragte der Kläger die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.11.2005 und führte hierin unter anderem aus: Er habe durch seine umfangreiche, wahrheitsgemäße Aufklärungshilfe glaubwürdig Abstand von seinen kriminellen Taten genommen. Im Strafvollzug habe er sich mit der Bedeutung und den Folgen der Rauschgiftkriminalität in Diskussionsrunden und mit dem Bewährungspersonal aktiv und kritisch auseinandergesetzt. Dabei habe er nicht nur die ihn selbst betreffenden negativen Folgen seiner Taten durch den Strafvollzug in aller Deutlichkeit an „Haut und Haaren“ durchleben müssen. Auch die Gefahren und negativen Folgen, die von Rauschgift gegenüber der Allgemeinheit ausgingen, habe er in zahlreichen Diskussionsrunden mit Mithäftlingen und Resozialisierungspersonal erstmals in seinem jungen Leben in aller Deutlichkeit aufgezeigt bekommen und bleibend aufgenommen. Aufgrund der während des Strafvollzugs gewonnenen Erkenntnisse über die vom Rauschgift ausgehende Gefährlichkeit für die Gesundheit des Einzelnen und der Allgemeinheit habe er, ohne dass dies naturgemäß in seinem eigenen Strafverfahren im Urteil des Landgerichts Stuttgart berücksichtigt worden sei, nach seiner Verurteilung weiterhin mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet und durch seine Aussage die Sprengung von zahlreichen, bandenmäßig organisierten Rauschgifthändlern herbeigeführt. Er habe Angaben zu Lieferanten und Abnehmern gemacht, von denen die Ermittlungsbehörden vor seiner Aussage keinerlei Kenntnis gehabt hätten.
17 
Die JVA ... erstellte am 10.05.2010 dem Kläger unter Hinweis auf den beanstandungsfreien Verlauf von Vollzug und Vollzugslockerungen eine positive Sozialprognose und befürwortete seine bewährungsweise Entlassung.
18 
Das Landgericht ... - Auswärtige Strafvollstreckungskammer ... - setzte nach Einholung eines kriminalprognostischen Gutachtens bei Dr. X. - Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie - mit Beschluss vom 26.10.2010 die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und der Kläger für die Dauer der ersten beiden Jahre der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt. Der Kläger wurde am 28.10.2010 - und damit etwa ein halbes Jahr vor der Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe - aus dem Strafvollzug entlassen. Am 12.02.2011 heiratete er nach islamischem Ritus ... D., die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Mit ihr und den beiden vier und acht Jahre alten Kindern von Frau D. aus einer früheren Beziehung lebt er in familiärer Lebensgemeinschaft.
19 
Nachdem der Europäische Gerichtshof die Rechtssache Tsakouridis (C-145/09) mit Urteil vom 23.11.2010 entschieden und das beklagte Land mit Schriftsatz vom 12.01.2011 auf den Umstand hingewiesen hatte, der Kläger habe anlässlich seiner kriminalprognostischen Begutachtung angegeben, er habe sich vor seiner Verhaftung 14 Monate in den Niederlanden aufgehalten, hat der Senat mit Beschluss vom 21.01.2011 den Aussetzungsbeschluss aufgehoben.
20 
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger nunmehr vor: Seine Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 seien nicht erloschen. Dies folge schon aus Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG. Die Vorschrift konkretisiere den Zeitraum, der für den Erhalt unionsrechtlich begründeter Aufenthaltsrechte bei Auslandsaufenthalten anzuwenden sei. Im Übrigen habe er sich nach seiner Flucht nicht durchgehend in den Niederlanden aufgehalten. Er habe die Aufenthalte zwischen Deutschland und den Niederladen gewechselt. In dieser Zeit habe er auch regelmäßig seine Familie getroffen. Treffpunkt sei jeweils Köln gewesen. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 23.11.2010 sei die Berufung begründet. Die Erstreckung der Kriterien für eine Aufenthaltsbeendigung nach dem Maßstab des Art. 45 Abs. 3 AEUV, der mit demjenigen des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG übereinstimme, auf Art. 14 ARB 1/80 sei ungeklärt. Der EuGH leite im Urteil Tsakouridis jedoch die Zulässigkeit der Ausweisung von Drogenhändlern aus der Gefahr her, die der Drogenhandel für die Gesellschaft darstelle. Um die Gesellschaft zu schützen und den Drogenhandel wirksam bekämpfen zu können, griffen heute die Mitgliedstaaten zu Mitteln wie der Kronzeugenregelung. Mittätern würden für den Fall der Aussage Vergünstigungen zugesagt, die von geringeren Strafen bis zur Verleihung einer anderen Identität reichen könnten. Er habe sich stets aussagebereit gezeigt und Aufklärungshilfe geleistet. Wegen seines Aussageverhaltens seien ihm Drohungen zugekommen. Von ihm gehe keine gegenwärtige Gefahr mehr aus. Seine Verfehlungen seien einmalig gewesen. Er sei Ersttäter und die Strafhaft habe ihn beeindruckt. Er habe in der JVA ... Gespräche zur Tataufbereitung mit dem Psychologen M. geführt. Eine Rückfallneigung sei zu verneinen. Das bestätige das Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das ihm einen nachhaltigen Gesinnungswandel attestiere. Er habe sich aus der Drogenszene gelöst und wolle das auch in Zukunft einhalten. Im Übrigen stünde eine Ausweisung im Widerspruch zur gezeigten Aussagebereitschaft und zur Kronzeugenregelung. Die Aussagebereitschaft würde nicht gefördert, wenn sie mit Ausweisung „belohnt“ würde. Eine Ausweisung würde ihn auch vollständig entwurzeln. Er sei im Bundesgebiet geboren, aufgewachsen und vollständig integriert. Deutsch sei seine Muttersprache. Würde er durch Ausweisung von seiner Familie und seiner Verlobten getrennt und in eine sprachfremde Umgebung verbracht, würde er in eine verzweifelte Lage gebracht werden. Allein und ohne Sprachkenntnisse käme er in der Türkei nicht zurecht. Im Übrigen seien sein Nachtatverhalten und seine Resozialisierung so außergewöhnlich, dass eine Wiederholungsgefahr unter jeder Betrachtung entfallen sei. Seine Haftverbüßung habe abschreckend gewirkt und eine starken Verhaltensänderung herbeigeführt. Er sei nicht drogenabhängig und habe jegliche Beziehungen und Strukturen zu ehemaligen kriminellen Personen für immer abgebrochen. Er habe Aussicht auf den Erlass des größten Teils der Schulden, sofern er sich weiterhin gut führe, sowie auf eine Festanstellung nach Ende seiner Ausbildung bei der Firma, bei der er derzeit sein Praktikum mache.
21 
Der Kläger beantragt zuletzt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zu ändern und Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006 aufzuheben.
23 
Das beklagte Land beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Es entgegnet: Die Rechtspositionen des Klägers aus Art. 7 ARB 1/80 seien erloschen. Mit seiner Flucht im April 2004 habe er seinen Lebensmittelpunkt in einen anderen Staat verlagert, weil er sich auf diese Weise dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden dauerhaft habe entziehen wollen. Insoweit seien Unionsrecht und damit die Frage der Anwendung des Art. 28 Abs. 3 lit. a Richtlinie 2004/38/EG nicht relevant und die Ausweisung richte sich nur nach nationalem Recht. Es bestehe ungeachtet des Nachtatverhaltens des Klägers und seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft weiterhin unter dem Gesichtspunkt der ordnungsrechtlichen Gefahrenabwehr ein Bedürfnis, den Kläger aus spezialpräventiven und daneben auch aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Art. 8 EMRK und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stünden dem nicht entgegen. Der Kläger könne aufgrund seiner beruflichen Qualifikation in der Türkei ohne weiteres eine Arbeitsmöglichkeit finden. Wenn er nunmehr aus der Haft entlassen worden sei und an seiner beruflichen Bildung arbeite, so mindere dies das ausgesprochen schwere Gewicht des spezial- und generalpräventiven Grundes nicht. Nichts anderes gelte hinsichtlich der neuen Partnerin, mit der der Kläger allerdings nicht verheiratet sei.
26 
Der Vertreter des beklagten Landes hat in der Berufungsverhandlung die Abschiebungsandrohung (Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006) aufgehoben.
27 
Der Senat hat Dr. X. zur Erläuterung ihres kriminalprognostischen Gutachtens vom 07.09.2010 angehört und KHK K. als Zeugen vernommen. Hinsichtlich ihrer Angaben wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
28 
Wegen des weiteren Vortrags und Sachverhalts wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Akten verwiesen. Der Senat hat die Strafakten des Landgerichts Stuttgart (3 Bände) und die Ermittlungsakten (25 Leitzordner) im Verfahren 5 KLs 221 Js 100500/04, die Strafvollstreckungsakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart (1 Band), das Bewährungsheft (1 Band) und die Gefangenenpersonalakten (5 Bände) sowie die Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 beigezogen. Diese sind ebenso wie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart, die Ausländerakten der Stadt Stuttgart (2 Bände) und die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (1 Band), Grundlage der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
68 
Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
76 
Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
85 
Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
86 
Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
87 
Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
88 
Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
89 
Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
90 
Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
92 
Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
68 
Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
76 
Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
85 
Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
86 
Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
87 
Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
88 
Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
89 
Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
90 
Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
92 
Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Das Gesetz dient zugleich der Erfüllung der humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt hierzu die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern. Die Regelungen in anderen Gesetzen bleiben unberührt.

(2) Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Ausländer,

1.
deren Rechtsstellung von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist,
2.
die nach Maßgabe der §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen,
3.
soweit sie nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge für den diplomatischen und konsularischen Verkehr und für die Tätigkeit internationaler Organisationen und Einrichtungen von Einwanderungsbeschränkungen, von der Verpflichtung, ihren Aufenthalt der Ausländerbehörde anzuzeigen und dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und wenn Gegenseitigkeit besteht, sofern die Befreiungen davon abhängig gemacht werden können.

(1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.

(2) Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend.

(1) Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Das Gesetz dient zugleich der Erfüllung der humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt hierzu die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern. Die Regelungen in anderen Gesetzen bleiben unberührt.

(2) Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Ausländer,

1.
deren Rechtsstellung von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist,
2.
die nach Maßgabe der §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen,
3.
soweit sie nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge für den diplomatischen und konsularischen Verkehr und für die Tätigkeit internationaler Organisationen und Einrichtungen von Einwanderungsbeschränkungen, von der Verpflichtung, ihren Aufenthalt der Ausländerbehörde anzuzeigen und dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und wenn Gegenseitigkeit besteht, sofern die Befreiungen davon abhängig gemacht werden können.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt ..., bewilligt. Er hat auf die Prozesskosten monatliche Raten von ... EUR zu zahlen.

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 12. Dezember 2008 - 3 K 2484/08 - geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers vorläufig auszusetzen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der nach Aktenlage am 01.01.1985 geborene Antragsteller ist ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und alevitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste im Juli 1996 zusammen mit zwei seiner Geschwister zur Durchführung eines Asylverfahrens in das Bundesgebiet ein. Sein Vater war bereits im Oktober 1991 als Asylbewerber eingereist, zwei weitere Geschwister 1994. Seine Mutter folgte im Dezember 1996. Mit Bescheid vom 15.11.1996 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) seinen Asylantrag ab; ein 2001 durchgeführtes Folgeverfahren blieb ebenfalls ohne Erfolg. In der Folgezeit wurde der Aufenthalt des Antragstellers geduldet. Sein Antrag vom 28.10.2005 an die Härtefallkommission wurde am 22.03.2006 abgelehnt.
Den Eltern des Antragstellers wurden Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 AufenthG i.V.m. der Anordnung des Innenministeriums vom 20.11.2006 (Bleiberechtsregelung) und den Geschwistern ... und ... Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 a AufenthG (Härtefallregelung) erteilt. Sein Bruder ... besitzt eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, seine Schwester ... eine Niederlassungserlaubnis.
Der Antragsteller ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zuletzt wurde er, nachdem zuvor die Mehrzahl der Verfahren nach § 47 JGG eingestellt worden war, wie folgt verurteilt:
- Mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 15.09.2005 wurde der Antragsteller wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall, Nötigung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einem Jugendarrest von vier Wochen verurteilt. Der Antragsteller hatte u.a. eine Bierflasche auf den Besucher einer Diskothek geworfen und das Handy von dessen Freundin zerstört, als diese versuchte, die Polizei zu benachrichtigen. Außerdem hatte er versucht, einen Fahrscheinautomaten aufzubrechen, um das darin vermutete Bargeld zu stehlen.
- Mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 14.02.2007 wurde er wegen versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 25,-- EUR verurteilt. Er hatte in Karlsruhe versucht, einen Fahrscheinautomaten aufzubrechen, um mit dem erbeuteten Geld einen Bordellbesuch zu finanzieren.
- Zuletzt wurde der Antragsteller mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 17.04.2008 wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Er hatte am 04.02.2007 zwei kleinere Geldtresore aus einem Wettbüro gestohlen, um an den Inhalt von erhofften 5.000,-- bis 10.000,-- EUR zu kommen. Unmittelbar nach Verlassen des Wettbüros wurden der Antragsteller und ein Mittäter von Beamten eines Sondereinsatzkommandos gestellt und überwältigt.
Seit September 2004 ist der Antragsteller erwerbstätig; er wohnt mit seinen Eltern sowie den Geschwistern ... und ... in häuslicher Gemeinschaft und trägt mit seinem Erwerbseinkommen zu den Mietkosten der Familie bei.
Mit Bescheid vom 19.08.2008 wies das Regierungspräsidium Freiburg den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus und lehnte seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20.11.2006 ab. Am 19.09.2008 hat der Antragsteller hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg erhoben (Az.: 3 K 1783/08).
Am 04.12.2008 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf seine beabsichtigte Abschiebung nachgesucht. Er hat geltend gemacht, er habe einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG und zudem einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK, sobald er im Besitz eines Passes sei. Die begangenen Straftaten seien überwiegend als Jugendverfehlungen einzustufen. Bei keiner der Straftaten seien Rauschmittel im Spiel gewesen. Das Amtsgericht Freiburg habe ihm eine günstige Sozialprognose bescheinigt, die er bislang gerechtfertigt habe. Alle Familienmitglieder unterstützten und betreuten die Mutter, die seit Jahren an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung leide. Im Juli 2002 habe er den Hauptschulabschluss erworben und nach wiederholten vergeblichen Versuchen, die Erlaubnis zur Ausübung der Erwerbstätigkeit zu erhalten, im September 2004 eine Anstellung als „Eisenbieger“ in einem Betrieb für Stahlarmierungen gefunden. Er spreche fließend deutsch, verfüge über einen Freundeskreis, der sich auch aus gleichaltrigen Deutschen zusammensetze und engagiere sich u.a. in einem Verein, der sich der Förderung der Völkerverständigung verschrieben habe. In der Türkei lebten nur entferntere Verwandte, zu denen er keinen Kontakt habe. In seiner Familie werde die kurdische Sprache Kurmanci gesprochen. Im Fall seiner Abschiebung drohe eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands seiner Mutter. Bereits das Bekanntwerden der Ausweisungsverfügung habe bei ihr einen schweren psychischen Zusammenbruch ausgelöst.
10 
Mit Beschluss vom 12.12.2008 - 3 K 2484/08 - hat das Verwaltungsgericht Freiburg den Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es fehle am erforderlichen Anordnungsanspruch. Der Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG stehe der Abschiebung des ledigen und kinderlosen Antragstellers nicht entgegen. Dafür, dass die Mutter gerade auf seine Hilfe angewiesen sei, sei nichts ersichtlich. Auch auf den durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz des Familienlebens könne sich der Antragsteller nicht berufen. Der Eingriff in das Recht des Antragstellers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens sei nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Gegen eine gelungene Integration sprächen insbesondere die von ihm begangenen Straftaten. Die Behauptung des Antragstellers, seine Abschiebung werde zu einer dauerhaften Verschlechterung des Gesundheitszustands seiner Mutter führen, sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden. In dem vorgelegten Attest der Frau ... werde eine solche Aussage nicht zuverlässig getroffen, sondern lediglich als - allerdings wahrscheinliche - Möglichkeit in den Raum gestellt. Hinzu komme, dass das Attest keinerlei Aussagen dazu enthalte, auf welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen die entsprechende Aussage gestützt sei.
11 
Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsteller, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, seine Abschiebung vorläufig auszusetzen. Er ergänzt und vertieft sein bisheriges Vorbringen: Nach der fachärztlichen Stellungnahme der Nervenärztin, die die Mutter seit dem Jahr 2000 behandele, habe diese ein besonders inniges Verhältnis zu dem Antragsteller. Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht eine Beistandsgemeinschaft verneint. Was das Recht auf Achtung des Privatlebens angehe, sei von einer völligen Entfremdung von den Lebensverhältnissen in der Türkei auszugehen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das in den Personalpapieren vermerkte Geburtsdatum (01.01.1985) unzutreffend sei. Tatsächlich sei er im Juli 1996 geboren und daher bei seiner Ausreise erst 10 Jahre alt gewesen. Nach der letzten Straftat habe er sein Leben grundsätzlich neu ausgerichtet und sich insbesondere einen neuen Freundeskreis aufgebaut. Er lebe seit eineinhalb Jahren in einer festen Beziehung und habe sich von seiner früheren Delinquenz deutlich distanziert. Soweit im angefochtenen Beschluss Zweifel anklängen, ob von einer konkreten Suizidgefahr seiner Mutter ausgegangen werden könne, sei dem entgegenzuhalten, dass sich die Suizidalität wie ein roter Faden durch die Krankheitsgeschichte seiner Mutter ziehe.
12 
Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten. Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und führt ergänzend aus, die Suizidalität der Mutter könne kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in der Person des Antragstellers begründen.
13 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Senat vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
14 
1. Wie sich aus dem Nachstehenden ergibt, hat die Beschwerde hinreichende Erfolgsaussicht. Dem Antragsteller ist mithin für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe gegen Ratenzahlung zu gewähren, weil er - wie sich aus seiner dahingehenden Erklärung ergibt - nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nur im Umfang der festgesetzten Raten aufbringen kann (vgl. § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 115, 117 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO). Der Antragsteller verfügt über ein Bruttoeinkommen von ... EUR. Hiervon sind abzusetzen die in § 82 Abs. 2 SGB XII bezeichneten Beträge (Lohnsteuer, Rentenversicherung, Fahrtkosten, zusammen... EUR), der Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b ZPO in Höhe von... EUR, der Unterhaltsfreibetrag gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a ZPO in Höhe von... EUR und der auf ihn entfallende Anteil der Unterkunftskosten von ... EUR (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO). Nicht abzusetzen sind demgegenüber die geltend gemachten Verpflegungskosten sowie die lediglich behauptete, aber nicht glaubhaft gemachte Ratenzahlungsverpflichtung aus einer Geldstrafe in Höhe von monatlich ... EUR. Dem Antragsteller verbleibt demnach ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von ... EUR monatlich, so dass gemäß § 115 Abs. 2 ZPO monatliche Raten von... EUR festzusetzen sind.
15 
2. Die fristgerecht erhobene und begründete sowie inhaltlich den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechende Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Der Antragsteller hat sowohl das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - der Antragsgegner beabsichtigt, ihn abzuschieben -, als auch die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO, §§ 920, Abs. 2, 294 ZPO). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts geht der Senat bei der im Eilverfahren allein angezeigten und möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage davon aus, dass der Antragsteller auch weiterhin zumindest einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG besitzt. Seine Abschiebung ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil der damit einhergehende Eingriff in sein Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sein dürfte. Ob dem Antragsteller deshalb auch eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt werden muss oder kann und ob insoweit im Lichte aufenthaltsrechtlicher Schutzwirkungen aus Art. 8 EMRK trotz der rechtskräftigen Verurteilungen auch von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden muss (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), bedarf im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keiner Klärung.
16 
a) Die beabsichtigte Abschiebung dürfte entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht nur in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens, sondern auch in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreifen. Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit grundsätzlich keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Bei jungen Erwachsenen, die - wie der Antragsteller - nach Erreichen der Volljährigkeit weiterhin mit ihren Eltern in häuslicher Gemeinschaft leben, geht der EGMR allerdings davon aus, dass auch ihre Beziehung zu den Eltern und anderen nahen Familienmitgliedern Familienleben darstellt und aufenthaltsbeendende Maßnahmen daher auch in das Recht auf Achtung des Familienlebens eingreifen (Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - InfAuslR 2008, 333). Der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens dürfte hier auch deshalb eröffnet sein, weil die Beziehung des Antragstellers zu seiner psychisch schwer kranken Mutter ausweislich der vorgelegten fachärztlichen Bescheinigungen sehr innig ist und jedenfalls über das Normalmaß affektiver Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern weit hinausgeht (vgl. zu diesem Aspekt auch EGMR, Urt. v. 28.06.2007 - Nr. 31753/02 [Kaya] - InfAuslR 2007, 325 Rn. 58).
17 
Daneben dürfte die beabsichtigte Abschiebung in das Recht auf Achtung des Privatlebens eingreifen. Der EGMR geht insoweit von einem weiten Begriff des „Privatlebens“ aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“ sowie das Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - „gewachsenen Bindungen“ umfasst. Allerdings darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein eine gegebenenfalls auch zwangsweise Aufenthaltsbeendigung bei Ausländern bereits deswegen, weil diese sich eine bestimmte Zeit im Aufnahmeland aufgehalten haben. Eine Aufenthaltsbeendigung kann vielmehr nur dann einen Eingriff in das „Privatleben“ im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum „Aufnahmestaat“ verfügt, so dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem Inländer“ geworden ist. Nachdem der Antragsteller seit seinem 10. oder 11. Lebensjahr in Deutschland lebt, hier den überwiegenden Teil seiner Schulzeit verbracht und den Hauptschulabschluss erlangt hat, seit über vier Jahren über einen festen Arbeitsplatz verfügt und von Sozialleistungen unabhängig ist, er die deutsche Sprache beherrscht, über einen festen - auch deutschen - Freundeskreis verfügt und weitere Integrationsleistungen in Form von Vereinsaktivitäten aufweisen kann, können die für die rechtliche Annahme eines im Bundesgebiet geführten Privatlebens erforderlichen Bindungen in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht kaum verneint werden. Hinzu kommt, dass sowohl seine Eltern als auch seine Geschwister über gesicherte Aufenthaltsrechte verfügen. Wie sich hinreichend etwa aus den neueren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Sachen „Sisojeva I und II“ (EGMR, Urteile vom 16.06.2005 und 15.01.2007, EuGRZ 2006, 554 und InfAuslR 2007, 140) sowie „Rodrigues da Silva und Hoogkamer“ (EGMR, Urteil vom 31.01.2006, EuGRZ 2006, 562) ergibt, kommt es im Rahmen des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 EMRK wohl nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Ausländer über einen zumindest vorübergehenden legalen Aufenthalt verfügte (offen gelassen im Urteil vom 08.04.2008 - Nr. 21878/06 - „Nnyanzi“); der Schutzbereich dieses Menschenrechts dürfte vielmehr auch bei nur Geduldeten eröffnet sein können (Senatsbeschlüsse vom 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - InfAuslR 2008, 29 = VBlBW 2008, 114 = NVwZ 2008, 344 und vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - InfAuslR 2009, 72; ebenso Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 150; HK-AuslR/Fränkel, § 25 AufenthG Rn. 56; Benasssi, InfAuslR 2006, 397 <401 f.>; Hoppe, ZAR 2006, 125; Marx, ZAR 2006, 261 <266>; a.A. wohl Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.07.2008 - 8 ME 42/08 - juris und Storr in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 25 AufenthG Rn. 31). Auch die von dem Antragsteller begangenen Straftaten, bei denen es sich überwiegend um Jugendstraftaten handelt, stellen seine gesellschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet nicht ernsthaft in Frage.
18 
Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK dürfte zu bejahen sein, weil die hier asylverfahrensrechtlich begründete Ausreisepflicht durchgesetzt, d.h. der Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland durch Abschiebung beendet werden soll. Der Senat geht - wie inzwischen wohl auch der Antragsteller - davon aus, dass diesem wegen der begangenen Straftaten weder ein aus der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG vom 20.11.2006 (Az.: 4-1340/29; vgl. insbesondere Nr. 3.3) ermöglichtes Bleiberecht noch ein Aufenthaltsrecht nach der gesetzlichen Altfallregelung des § 104 a AufenthG zusteht, weswegen eine aufenthaltsrechtliche Legalisierung seines Familien- und Privatlebens im Bundesgebiet insoweit ausgeschlossen sein dürfte.
19 
Gleichwohl ergibt sich aus der Existenz der Bleiberechts- und Altfallregelungen keine hier relevante Sperrwirkung. Vielmehr bleibt neben den dort geregelten generalisierten Fallkonstellationen Raum für hiervon losgelöste Einzelfallabwägungen, auch bei einer Entscheidung über das Vorliegen eines zwingenden Duldungsgrundes nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (Senatsbeschlüsse vom 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - und vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - a.a.O. m.w.N.). Etwas anderes wäre gerade im Falle von Straftätern mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. die Nachweise in BVerfG, Beschluss vom 01.03.2004 - 2 BvR 1570/03 - NVwZ 2004, 852 = InfAuslR 2004, 280 = EuGRZ 2004, 317) nicht vereinbar.
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b) Der Eingriff in das geschützte Familien- und Privatleben des Antragstellers dürfte im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, weil unverhältnismäßig sein. Die Notwendigkeit des Eingriffs ist bei dem im Alter von 10 oder 11 Jahren eingereisten Antragsteller nach ähnlichen Kriterien zu prüfen, wie sie normalerweise bei Einwanderern der zweiten Generation angewendet werden (EGMR, Urt. v. 27.10.2005 - Nr. 32231/02 [Keles] - InfAuslR 2006, 3 Rn. 56). Insoweit ist insbesondere das öffentliche Interesse an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit dem Interesse des Antragstellers an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Bindungen im Bundesgebiet abzuwägen. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Dabei kommt es zunächst auf den jeweiligen Grad der „Verwurzelung“ an; je stärker der Betroffene im Aufenthaltsstaat integriert ist, desto schwerer müssen die öffentlichen Interessen wiegen (vgl. auch EGMR, Urteil vom 22.06.2006 - Nr. 59643/00 - „Kaftailova“). Weiter ist auf den Grad der „Entwurzelung“ abzustellen, d. h. auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration im Herkunftsstaat, insbesondere aufgrund der Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen und den dort lebenden und aufnahmebereiten Verwandten. Schließlich können im Rahmen der Schrankenprüfung sonstige Faktoren Berücksichtigung finden, etwa ob der Aufenthalt des Betroffenen zumindest vorübergehend legal war und damit - i.S. einer „Handreichung des Staates“ - schutzwürdiges Vertrauen auf ein Hierbleibendürfen entwickelt werden konnte.
21 
Gemessen daran dürfte das Interesse des Antragstellers an der Aufrechterhaltung seiner familiären und privaten Bindungen im Bundesgebiet das öffentliche Interesse insbesondere an Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von straffälligen Ausländern voraussichtlich überwiegen. Aufgrund seiner Einreise im Grundschulalter, der Erlangung eines Schulabschlusses, seinen familiären und sonstigen sozialen Bindungen und seiner Berufstätigkeit ist von einer weitreichenden „Verwurzelung“ des Antragstellers in Deutschland auszugehen. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass seine Eltern und Geschwister bereits ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet erlangt haben. Zu den engen familiären Bindungen des Antragstellers insbesondere zu seiner psychisch schwer kranken Mutter treten die sozialen Kontakte zu Deutschen und die weiteren Integrationsleistungen (Tätigkeit in Vereinen) hinzu.
22 
Auch die Folgen einer Aufenthaltsbeendigung für die Mutter des Antragstellers können in diesem Zusammenhang nicht völlig ausgeblendet werden. Die Mutter des Antragstellers ist, wie im Beschwerdeverfahren durch Vorlage mehrerer ärztlicher Bescheinigungen jedenfalls für das Eilverfahren hinreichend glaubhaft gemacht wurde, seit dem Jahr 2000 wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit rezidivierenden schweren Depressionsphasen und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung in psychiatrischer Behandlung. Das fachärztliche Attest vom 05.12.2008 geht von einer ernsthaften Suizidgefahr aus und stuft die Gefahr einer dauerhaften Verschlechterung und Chronifizierung der psychischen Erkrankungen der Mutter als „sehr wahrscheinlich“ ein. Für den Fall der Abschiebung des Antragstellers müsse eine erneute stationäre Einweisung der Mutter - die ausweislich der vorgelegten ärztlichen Zeugnisse bereits im August/September 2004 sowie vom 08.06. bis 02.08.2006 in stationärer Behandlung war - in das Zentrum für Psychiatrie erfolgen. Verbleibende Restzweifel an den fachärztlich prognostizierten Auswirkungen einer Abschiebung des Antragstellers auf den Gesundheitszustand seiner Mutter können gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beseitigt werden.
23 
Der Senat verkennt auf der anderen Seite nicht, dass der Antragsteller in erheblichem Maße straffällig geworden ist. Die Straftaten können allerdings zumindest überwiegend noch als Jugendverfehlungen betrachtet werden (vgl. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 46). Legt man zugrunde, dass der Antragsteller, wie er im Beschwerdeverfahren durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen seiner Eltern und seiner ältesten Schwester glaubhaft gemacht hat, nicht am 01.01.1985, sondern im Juli 1986 geboren wurde, war er auch bei Begehung der letzten Straftat am 04.02.2007 noch Heranwachsender. Von Bedeutung ist auch, dass der Antragsteller nicht wegen Betäubungsmitteldelikten und - abgesehen von einer am 05.09.2004 begangenen versuchten gefährlichen Körperverletzung - nicht wegen Gewaltdelikten verurteilt wurde (vgl. EGMR, Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - InfAuslR 2008, 333). Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Amtsgericht Freiburg dem Antragsteller eine positive Sozialprognose gestellt und die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe daher zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Straffälligkeit des Antragstellers bewegt sich damit in einem Rahmen, der bei einem im gleichen Alter wie der Antragsteller im Wege des Familiennachzugs eingereisten Ausländer im Regelfall nicht zur Aufenthaltsbeendigung führen, sondern nur eine weitere Verfestigung durch Erteilung einer Niederlassungserlaubnis verhindern würde. Dieser Personenkreis fällt unter die Bestimmungen des § 35 AufenthG. Mit § 35 Abs. 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber aus integrationspolitischen Gründen Personen, die in Deutschland einen großen Teil ihrer Jugend und Schulzeit verbracht haben, unter erleichterten Voraussetzungen eine Aufenthaltsverfestigung ermöglichen. Allerdings besteht nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kein Rechtsanspruch auf die Niederlassungserlaubnis, wenn der Ausländer in den letzten drei Jahren zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist. Nach § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist bei in Deutschland aufgewachsenen Ausländern, die zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden sind, in der Regel die Aufenthaltserlaubnis bis zum Ablauf der Bewährungszeit zu verlängern. Diese Vorschrift, die bei in Deutschland aufgewachsenen Ausländern mit legalisiertem Aufenthalt dem Schutzzweck des Art. 8 EMRK Rechnung trägt, führt demnach bei Straftaten, wie sie hier in Rede stehen, im Regelfall nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung.
24 
Bisher hat der Antragsteller die vom Strafgericht getroffene positive Prognose bestätigt. Ausweislich der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Berichte der Jugendberatung ... e.V. ist der Antragsteller seit der Begehung seiner Straftaten erheblich gereift, hat seit dem letzten Delikt keinen Kontakt mehr zu seinen alten Freunden und distanziert sich deutlich von seinen damaligen Straftaten. Diese Einschätzung wird gestützt durch die Bescheinigung des Arbeitgebers vom 12.01.2009, in welcher dem Antragsteller, der seit 2008 die Funktion eines Vorarbeiters übernommen hat, ein hohes Maß an Verlässlichkeit attestiert wird. Bei einer Gesamtschau ergeben sich damit für den Senat greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller mit seiner (jugend-)kriminellen Vergangenheit abgeschlossen und als Erwachsener begonnen hat, diese aufzuarbeiten.
25 
Nachdem der Antragsteller seit seiner Ausreise nicht mehr in der Türkei gewesen ist, dort keine nahen Verwandten hat, diese vielmehr alle in Deutschland leben, er der kurdischen Minderheit angehört und ihm im kurmancisprachigen Elternhaus auch die türkische Sprache nicht vermittelt worden ist, kann auch eine weitreichende „Entwurzelung“ angenommen werden.
26 
Dass der Aufenthalt des Antragstellers nie legalisiert war, ist zwar im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen, fällt aber letztlich nicht entscheidend ins Gewicht. Angesichts der skizzierten konkreten Verwurzelungs- und Entwurzelungssituation erscheint der mit der Abschiebung verbundene Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK in der Gesamtabwägung derzeit unverhältnismäßig. Hierfür spricht zudem, dass der Antragsteller nach einer Abschiebung keine realistische Möglichkeit haben dürfte, in absehbarer Zeit legal wieder in das Bundesgebiet einzureisen. Die für sein Privatleben konstitutiven Beziehungen könnten bei einer Abschiebung mithin gegebenenfalls irreparabel beschädigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 = NVwZ 2007, 946).
27 
Sollten sich vor einer Entscheidung in der Hauptsache neue wesentliche Umstände ergeben (bspw. eine erneute Straffälligkeit des Antragstellers), könnte diesen Umständen im Rahmen eines Abänderungsverfahrens analog § 80 Abs. 7 VwGO Rechnung getragen werden.
28 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
29 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 1 GKG.
30 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27. Oktober 2010 - 1 K 1516/08 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
Er wurde 1974 im heutigen Kirgisistan geboren und ist kirgisischer Staatsangehöriger. In seinem Heimatland besuchte er acht Jahre lang die Schule, absolvierte eine Ausbildung zum Traktoristen und Maschinenführer und arbeitete anschließend in einer Kolchose und in verschiedenen anderen landwirtschaftlichen Betrieben. Dort leistete er auch Wehrdienst. Im Oktober 2000 heiratete er die damals sechzehnjährige deutschstämmige L. D., die einen 1998 geborenen Sohn mit in die Ehe brachte, den er später adoptierte. Im April 2001 kam der gemeinsame Sohn A. zur Welt. Im Juli 2001 übersiedelte seine Ehefrau mit den Kindern, ihrer Mutter und ihrer Schwester, die mit einem Bruder des Klägers verheiratet ist, in die Bundesrepublik Deutschland. Im Januar 2002 reiste auch der Kläger zusammen mit seinem Bruder nach Deutschland ein und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis, die regelmäßig verlängert wurde. Zuletzt war er im Besitz einer bis Januar 2007 gültigen Aufenthaltserlaubnis. Die Entscheidung über seinen Verlängerungsantrag wurde wegen des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens ausgesetzt. Die Familie lebte zunächst zwei Jahre in Sachsen, wo der Kläger einen Sprachkurs besuchte und den Gabelstaplerführerschein machte. Nachdem der Kläger 2004 eine Arbeitsstelle in S. gefunden hatte, zog er zunächst alleine dort hin. Kurze Zeit danach folgte ihm seine Familie. In der Nähe von S. wohnen auch sein Bruder und seine Schwägerin.
Mit Urteil des Landgerichts Rottweil vom 03.08.2007, rechtskräftig seit 28.02.2008, wurde der Kläger wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. In den Gründen dieses Urteils heißt es: Der Kläger habe am 22.10.2006 erstmals erfahren, dass seine Ehefrau eine Liebesbeziehung zu M. B. unterhalte. Sie sei nicht bereit gewesen, diese zu beenden. Der Kläger habe sich am 30.10.2006 in die Nähe des Wohnhauses des M.B. in T. begeben. Als M.B. dort eingetroffen und auf seine Haustüre zugegangen sei, habe sich der Kläger an diesen herangeschlichen und habe ihn mit einer mitgeführten Eisenstange von ca. 50 bis 60 cm Länge von hinten mit Wucht auf den Kopf geschlagen. Anschließend habe er den Fliehenden verfolgt und ihm auf der Straße mindestens 13mal mit der Eisenstange auf den Kopf geschlagen, bis dieser regungslos liegen geblieben sei. Einige Personen aus der Nachbarschaft hätten diesen Vorgang beobachtet, den Kläger aber nicht von den Schlägen durch Zurufen abbringen können. Der Kläger habe mit absolutem Vernichtungswillen gehandelt. Der Anblick des „Nebenbuhlers“ habe bei ihm eine heftige Gemütswallung ausgelöst, die zu einer rechtserheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt habe. Der Kläger habe sich zwar dahingehend eingelassen, M.B. sei, nachdem er mit dem Auto angekommen sei, ausgestiegen und ihm direkt entgegengegangen. Er sei gar nicht dazu gekommen, etwas zu sagen, schon habe M.B. nach der Polizei geschrien und ihn irgendwie getroffen. M.B. haben ihm etwas auf den Kopf geschlagen, wobei er nicht wisse womit. Ansonsten habe er keine Erinnerung mehr. Auch daran, dass er selbst geschlagen habe, könne er sich nicht erinnern. Eine Eisenstange habe er nicht dabei gehabt; woher diese gekommen sei, wisse er nicht. Diese Einlassungen seien durch die Beweisaufnahme widerlegt. Die Kammer gehe allerdings zugunsten des Klägers davon aus, dass er den endgültigen Tötungsvorsatz erst unmittelbar vor der Tatausführung gefasst habe. M.B. habe schwere Schädel- und Gesichtsverletzungen erlitten, die mehrere Operationen nötig gemacht hätten. Auf dem rechten Auge habe er die Sehkraft vollständig und irreparabel verloren. Auch seinen Geruchssinn habe er vollständig und seinen Geschmackssinn weitgehend verloren. Wegen der Folgen der Verletzungen sei er mit 50 % GdB als Schwerbehinderter eingestuft worden. Abgesehen von der vorgenommenen Verschiebung des Strafrahmens wegen der Minderung der Steuerungsfähigkeit, habe die Kammer von einer weiteren Milderung wegen des nur vorliegenden Totschlagversuchs abgesehen. Gegen eine weitere Milderung habe vor allem gesprochen, dass dieser ganz in der Nähe zur Vollendung gelegen habe. M.B habe nur wegen der sofort eingeleiteten intensiv-medizinischen Rettungsmaßnahmen überleben können und während des einwöchigen künstlichen Komas zwischen Leben und Tod geschwebt. Weiter seien die ganz erheblichen, lebenslang bleibenden und teilweise in ihrem Ausmaß noch gar nicht absehbaren Folgen der Verletzungen zu berücksichtigen gewesen. Wegen der besonderen schulderhöhenden Merkmale sei bei der Gesamtwürdigung ein minderschwerer Fall auszuschließen.
Am 31.10.2006 war der Kläger verhaftet worden. Er verbüßt derzeit seine Freiheitsstrafe.
Nach vorheriger Anhörung wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger mit Bescheid vom 14.07.2008 aus der Bundesrepublik aus, drohte ihm die Abschiebung nach Kirgisistan nach der Unanfechtbarkeit dieser Verfügung an und ordnete die Abschiebung aus der Haft heraus an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Es lägen die Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG vor. Der Kläger genieße jedoch besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG. Deshalb könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden; außerdem werde die zwingende Ausweisung zur Ausweisung im Regelfall herabgestuft. Mit der abgeurteilten Tat habe er die öffentliche Sicherheit und Ordnung in besonders schwerwiegendem Maße beeinträchtigt. Zugunsten des Klägers gehe das Regierungspräsidium davon aus, dass wegen der familiären Verhältnisse ein atypischer Ausnahmefall vorliege, weshalb über die Ausweisung nach Ermessen entschieden werde. Gleichfalls sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er bis zu seiner Verhaftung mit seiner deutschen Ehefrau und seinen zwei deutschen Kindern zusammengelebt habe, dass er während seines gesamten Aufenthalts im Bundesgebiet gearbeitet und für den Unterhalt seiner Familie gesorgt habe, dass Deutschland nach der Übersiedlung aus Kirgisistan zum Mittelpunkt seines Lebens geworden und er bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei. Das öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor weiteren von ihm begangenen Straftaten überwiege aber die privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet. Vom Kläger gehe eine konkrete Gefahr weiterer schwerer Rechtsverletzungen aus. Die Begehung der abgeurteilten Tat zeige eine latente Gewaltbereitschaft, die eine gewaltfreie Problemlösung verhindert habe. Diese Eigenschaften könnten auch in Zukunft sein Verhalten in Konfliktsituationen bestimmen. Auch generalpräventive Gründe sprächen für die Ausweisung.
Am 11.08.2008 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg. Zur Begründung trug er vor: Er werde von seinen beiden Kindern monatlich in der Haftanstalt besucht. Auf den Fortbestand dieser Vater-Kind-Beziehung seien seine beiden Söhne angewiesen. Auch für ihn sei es sehr wichtig, für seine beiden Kinder da zu sein. Er wisse, dass er einen großen Fehler gemacht habe und bereue seine Tat. In Kirgisistan habe er keine Existenz und keine Familie. Deutschland sei für ihn seine neue Heimat geworden.
Der Beklagte trat der Klage aus den Gründen des angefochtenen Bescheids entgegen.
Das Gericht erhob Beweis durch Einholung eines kriminalprognostischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. K. (vom 16.06.2010) und hörte diesen in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung des Gutachtens an.
Durch Urteil vom 27.10.2010 hob das Verwaltungsgericht Freiburg den angefochtenen Bescheid auf und führte zur Begründung aus: Der dem Kläger zustehende besondere Ausweisungsschutz habe gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Solche Gründe lägen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel u. a. in den Fällen des § 53 AufenthG vor. Die Regelung enthalte allerdings keine Automatik, sondern erfordere eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorlägen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen ließen. Werde die Ausweisung - wie hier - auf spezialpräventive Gründe gestützt, liege bei dem nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genießenden Personenkreis ein schwerwiegender Grund nur dann vor, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohten und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut ausgehe. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität seien diese Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung zwar grundsätzlich zu bejahen. Wegen des durch § 56 Abs. 1 AufenthG gewährleisteten besonderen Ausweisungsschutzes sei jedoch eine gesteigerte Wiederholungsgefahr im Sinne einer erhöhten Gefährdung erforderlich. Das gelte auch in Fällen schwerer Kriminalität. Gemessen hieran könne nicht angenommen werden, vom Kläger ginge eine in diesem Sinne gesteigerte Wiederholungsgefahr aus. Der Sachverständige komme in seinem schriftlichen kriminalprognostischen Gutachten zu dem Ergebnis, beim Kläger könne zwar die Begehung einer erneuten Straftat nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Die erneute Begehung einer Straftat gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit, wie sie der Verurteilung durch das Landgericht Rottweil zugrunde liege, sei jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Die Kammer folge dem Sachverständigen in seiner prognostischen Beurteilung der vom Kläger künftig ausgehenden Rückfallgefahr. Die vom Beklagten gegen das schriftliche Gutachten vorgebrachten Bedenken seien unberechtigt. Der Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens plausibel und nachvollziehbar angegeben, dass sich seine kriminalprognostische Einschätzung in erster Linie und ganz entscheidend auf die Exploration des Klägers stütze. Von entscheidender Bedeutung für die Einschätzung, beim Kläger sei mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Wiederholung einer vergleichbaren Straftat zu erwarten, sei die Annahme des Gutachters, dass die abgeurteilte Straftat eine Beziehungstat mit einer hochspezifischen Täter-Opfer-Beziehung gewesen sei. Auch die tatsächlichen Annahmen des Sachverständigen zur Biografie des Klägers seien nicht zu beanstanden. Der Sachverständige sei aufgrund des Akteninhalts, der mit dem Kläger geführten Gespräche sowie der Telefongespräche mit der Schwägerin und der Ehefrau zu der Annahme gelangt, der Kläger habe bis zu seiner Straftat einen gewaltfreien Lebenswandel geführt. Das Merkmal mangelhafte Verhaltenskontrolle erfüllten nur solche Personen, die bei geringstem Anlass und häufig sofort aggressiv reagierten. Das sei beim Kläger nicht der Fall. Dagegen wende das beklagte Land zu Unrecht ein, der Gutachter hätte sich zur Feststellung eines bisher gewaltfreien Lebenswandels nicht auf die Befragung des Klägers und naher Verwandter beschränken dürfen. Weder den vorgelegten Verwaltungsakten noch dem Strafurteil des Landgerichts Rottweil ließen sich irgendwelche Anhaltspunkte für das Gegenteil entnehmen. Dass der Kläger bei der abgeurteilten Tat gegen sein Opfer auf äußerst brutale Weise vorgegangen sei, werte der Gutachter als einen Gesichtspunkt, der zwar gegen eine günstige Prognose sprechen könne. Ein durchschlagendes Gewicht messe er diesem Gesichtspunkt jedoch nicht bei. Der Sachverständige habe zum einen darauf hingewiesen, dass der Kläger - im Gegensatz zu seiner bisherigen Lebensführung - erstmals bei der Tat ein äußerst aggressives und brutales Verhalten gezeigt habe. Vor allem aber müsse nach Auffassung des Gutachters bei der Bewertung dieses Verhaltens für die Rückfallprognose berücksichtigt werden, dass die hochspezifische Beziehungstat durch eine extreme Konfliktsituation ausgelöst worden sei, in die der Kläger durch den wenige Tage vor der Tat offenbar gewordenen Ehebruch seiner Frau gestürzt worden sei. Auch der im strafgerichtlichen Verfahren eingesetzte Sachverständige komme zu dem Ergebnis, dass die Steuerungs-, Hemmungs- und Handlungsfähigkeit des Klägers während der Tat infolge eines Affekts zum Tatzeitpunkt rechtserheblich beeinträchtigt gewesen sein könne. Dem sei das Landgericht in seinem Strafurteil gefolgt und habe einen Affektzustand mit schuldeinschränkender Wirkung im Sinne des § 21 StGB bejaht. Es spreche von einem tief greifenden Konflikt des Klägers, weil er wegen des Ehebruchs und des anschließenden Verhaltens seiner Frau damit habe rechnen müssen, dass sich diese zusammen mit den Kindern auf Dauer von ihm trennen werde. Das habe ihn in eine tiefe Krise gestürzt, die bis zur Tat angedauert habe. Für die Kammer sei es nachvollziehbar und überzeugend, wenn der Sachverständige aufgrund dieser besonderen Umstände zu dem Ergebnis gelange, beim Kläger liege keine Persönlichkeitsstruktur mit latenter Gewaltbereitschaft vor. Der Sachverständige komme zu dem Ergebnis, dass eine Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Straftat bisher kaum stattgefunden habe, was für die kriminalprognostische Beurteilung ungünstig einzuschätzen sei; denn der Kläger habe die Tat weitgehend verdrängt und stelle den Tathergang im Gegensatz zu den Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil zum Teil anders dar. Einer günstigen Kriminalprognose stehe dieser Umstand aber deshalb nicht entgegen, weil der Gutachter nach seinen sachverständigen Verhaltensbeobachtungen während der Gespräche zu dem Ergebnis gekommen sei, dass beim Kläger durchaus ein Schuldbewusstsein vorhanden sei. Der Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei seiner abschließenden kriminalprognostischen Beurteilung im schriftlichen Gutachten sei er davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Entlassung aus der Strafhaft trotz der Schwierigkeiten, sich auf Deutsch zu verständigen, die erforderlichen Hilfen in Form von Therapien und Gesprächen erhalte. Der Sachverständige gehe zu Recht davon aus, dass der Kläger aus der Strafhaft nicht ohne solche Behandlungsmaßnahmen entlassen werde. Denn das Strafvollzugsgesetz sehe ausdrücklich vor, dass der Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden solle, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Der Kläger habe sowohl gegenüber dem Sachverständigen als auch dem Gericht mehrfach bekundet, dass er zur Teilnahme an derartigen Hilfsmaßnahmen bereit sei. Auch soweit das Regierungspräsidium die Ausweisung auf generalpräventive Erwägungen stütze, könne dies die Maßnahme nicht rechtfertigen.
10 
Am 09.12.2010 wurde das Urteil dem Beklagten zugestellt.
11 
Auf den am 17.12.2010 vom Beklagten gestellten Antrag ließ der Senat mit Beschluss vom 25.01.2011 die Berufung zu. Der Beschluss wurde dem Beklagten am 31.01.2011 zugestellt.
12 
Am 04.03.2011 beantragte der Beklagte Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist und legte zugleich den Begründungsschriftsatz (vom 31.01.2011) in Kopie vor.
13 
Zur Begründung trägt er zunächst vor: Der Schriftsatz vom 31.01.2011 sei am 31.01.2011 zum Postversand gegeben worden. Er sei im elektronischen Verzeichnis, das vom Referat 15 geführt und in das alle Schreiben nach Abgang mit Datum des Postversands eingetragen würden, verzeichnet. Das Schreiben müsse daher auf dem Postweg verloren gegangen sein. Der Unterzeichner habe am 31.01.2011 die Berufungsbegründung verfasst und das Schreiben zum Postversand gegeben. Anschließend habe die Servicekraft Frau F. das Schreiben mit der Post versendet. Nachdem es das Haus verlassen habe, sei es in das elektronische Verzeichnis als Postausgang für den 31.01.2011 aufgenommen worden. In einem weiteren Schriftsatz (vom 28.03.2011) wird vorgetragen: Nachdem der Unterzeichner die Berufungsbegründung am 31.01.2011 verfasst und ausgedruckt gehabt habe, habe er das Schreiben in einer Umlaufmappe in das Postausgangsfach des Referats 15 gelegt. Frau F. habe diese Mappe am 31.01.2011 aus dem Postausgangsfach entnommen, habe die Entwurfsfassung im Feld für den Postausgangsvermerk abgezeichnet und das Entwurfsschreiben in der Postumlaufmappe dem Sachbearbeiter des Falles, Herrn K. in dessen Fach gelegt. Anschließend habe sie das Originalschreiben der Sekretärin, Frau R. vorgelegt. Diese habe sich das Schreiben angeschaut und es im elektronischen Postausgangsverzeichnis mit den Bemerkungen „K.“, „VGH Mannheim“, „L., S. und „AU Verwaltungsrechtssache“ eingetragen. Sodann habe sie das Originalschreiben in einen Briefumschlag gesteckt, habe diesen verschlossen und den Brief in die gelbe Postausgangskiste des Regierungspräsidiums gelegt. Am 01.02.2011 habe der Hausmeister des Dienstgebäudes Schwendistraße 12, Herr B., die Postausgangskiste zur Hauptpoststelle des Regierungspräsidiums gebracht. Dort würden täglich alle für den Postversand bestimmten Schreiben frankiert und auf den Postweg gegeben. Der im vorliegenden Fall gewählte Weg für den Versand entspreche der seit Jahren praktizierten Verfahrensweise. Der ordnungsgemäße Ablauf werde dabei fortlaufend kontrolliert und überwacht. Im Übrigen legt der Beklagte schriftliche Erklärungen von Frau F., Frau R. und Herrn B. vor. In einem weiteren Schriftsatz vom 13.04.2011 wird ausgeführt: Die Tatsache, dass Frau F. den Schriftsatz anschließend Frau R. vorgelegt habe, werde durch die Tatsache dokumentiert, dass Frau F. das Schreiben in das elektronische Postausgangsverzeichnis eingetragen habe. Hätte Frau F. das Schreiben nicht in Händen gehalten und dafür gesorgt, dass es auf den Postweg gegeben werde, so würde sich auf dem Schreiben nicht ihr handschriftlicher Vermerk befinden und Frau R. hätte das Schreiben nicht in das Verzeichnis eintragen können. Deshalb könnten Frau F. und Frau R. heute auch noch sichere Angaben machen. Der Eintrag in das Ausgangsverzeichnis, das Verpacken und Zukleben des Briefs sowie das Legen in die gelbe Postausgangskiste stellten einen einheitlichen Vorgang dar. Zunächst schaue sich Frau R. dabei den jeweiligen Schriftsatz an, um zu erkennen, wer den Brief verfasst habe und welche Sache das Schreiben betreffe. Sodann trage sie diese Daten in das Postverzeichnis ein, stecke den Brief dann in einen Umschlag und verschließe diesen. In unmittelbarem Anschluss hieran lege sie den Brief dann in die neben ihrem Schreibtisch stehende Postausgangskiste. Dies entspreche ständiger Praxis, ohne dass es bislang in einem einzigen Fall zu Problemen gekommen sei.
14 
In der Sache trägt er vor: Entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Freiburg habe der Gutachter seine Feststellung, dass die erneute Begehung einer Straftat gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit, wie sie der Verurteilung durch das Landgericht Rottweil zugrunde liege, mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, nicht uneingeschränkt aufrecht erhalten. Diese Einschätzung gelte nur dann, wenn der Kläger eine Therapie erhalte und auch nach der Haftentlassung begleitet werde. Weiter habe der Gutachter eingeschränkt, dass der Kläger die deutsche Sprache nicht in einem für eine Therapie in erforderlichen Maße beherrsche. Grundvoraussetzung für seine Annahme sei es daher, dass der Kläger Deutsch lerne, zu einer Therapie bereit sei und diese dann während der Haftzeit erfolgreich durchgeführt werde. Dass der Kläger eine fortlaufende Therapie auf Russisch während der Haftzeit erhalten könne, sei unwahrscheinlich, weil für eine solche Therapie nicht genug Therapeuten in der Justizvollzugsanstalt zur Verfügung stehen würden. Erhalte der Kläger jedoch während der Haftzeit keine Therapie, steige die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Begehung schwerer Straftaten. Das Verwaltungsgericht habe sich darauf beschränkt, den vom Gesetzgeber des Strafvollzugsgesetzes gewünschten Idealzustand in Bezug zu nehmen. Der Gutachter gehe davon aus, dass der Kläger über schlechte Konfliktverarbeitungsmechanismen verfüge. Weiterhin habe sich das Verwaltungsgericht nicht in ausreichendem Maße mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Kläger wirklich ernsthaft an einer Therapie interessiert sei. So habe er in der mündlichen Verhandlung am 24.03.2010 auf Frage, ob es Gespräche mit einem Psychologen gegeben habe, geantwortet: „Ich brauche doch keinen Psychologen. Ich bin doch nicht verrückt.“ Diese Einstellung werde auch durch die Ausführungen im Gutachten bestätigt. Dort werde festgestellt, dass der Kläger nicht an therapeutischen Gesprächen interessiert sei. Zu diesem Ergebnis sei auch ein weiterer Facharzt gekommen, welcher im Strafverfahren den Kläger begutachtet habe. Unberücksichtigt habe das Verwaltungsgericht auch die Frage eines Misserfolgs einer eventuellen Therapie gelassen. Das Verwaltungsgericht habe nur darauf abgestellt, dass der Kläger nach den gesetzlichen Vorgaben des Strafvollzugsgesetzes nicht ohne Behandlungsmaßnahmen entlassen werde. Seine Entlassung werde jedoch völlig unabhängig von einer Therapiebereitschaft oder der Durchführung einer Therapie nach Ende der Strafhaft erfolgen. Das Verwaltungsgericht sei auch von einem falschen Maßstab hinsichtlich der Wiederholungsgefahr ausgegangen. Nach der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung sei es für die Frage der Wiederholungsgefahr lediglich maßgeblich, ob vom Kläger die Gefahr der Begehung eines weiteren (versuchten) Totschlagsdelikt oder einer „gleichartigen Tat“ ausgehe. Hiernach sei die Verwirklichung einer Vielzahl anderer Straftaten, beispielsweise eine Vergewaltigung, ein Raub oder Diebstahl oder auch Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, für die Frage einer beim Kläger bestehenden Wiederholungsgefahr ohne Bedeutung. Demgegenüber sei es ausreichend, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen ernsthaft drohe und damit eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut bestehe. Wenn man jedoch mit dem Verwaltungsgericht lediglich auf die Gefahr der Begehung eines erneuten Totschlagsdelikts abstellen wollte, hätte es sich umso mehr aufdrängen müssen, auf die Relativität des Gefahrenbegriffs einzugehen. Zu seiner brutalen und menschenverachtenden Tat stehe der Kläger im Übrigen bis heute nicht. So habe der Kläger auch in den der Begutachtung zu Grunde liegenden persönlichen Gesprächen am 20. und 23. April 2010 behauptet, das Tatopfer habe ihn zuerst angegriffen und sei auf ihn losgegangen, so dass es zu einem Gerangel gekommen sei. Der Kläger habe bekräftigt, dass er die Eisenstange nicht zum Tatort mitgenommen habe, vielmehr habe das Tatopfer angefangen, ihn anzugreifen, so dass er eine Verletzung an Hand und Kopf erlitten habe.
15 
Ferner lasse das Verwaltungsgericht die Tatsache unberücksichtigt, dass die familiäre Situation des Klägers ungeklärt sei. Während der bisherigen Haftzeit von über vier Jahren habe der Kläger lediglich ein einziges Mal Besuch von seiner Ehefrau erhalten. In Briefen, die sie an ihn geschrieben habe, sei es allein um Unterlagen, die sie für Ansprüche der Kinder gegenüber Behörden benötigt habe, gegangen. Vor diesem Hintergrund sei es völlig offen, ob nach einer Haftentlassung in Deutschland die Ehe fortgesetzt werde. Ebenfalls unklar sei, wie sich der Umgang des Klägers bei einer Haftentlassung in Deutschland zu seinen Kindern gestalten werde. Der Kläger habe klar zum Ausdruck gebracht, dass es seine oberste Priorität sei, Umgang und Kontakt zu seinen Kindern zu haben. Sollte es hierbei - auch aufgrund des Verhaltens seiner Ehefrau in einem Scheidungsverfahren - zu Problemen kommen, sei nicht absehbar, wie er reagieren werde. Prof. Dr. K. habe ein Gefahr- und Konfliktpotential erkannt, falls es zu Problemen bei dem Umgang mit den Kindern kommen werde. Grundsätzlich sei er bei Erstellung seines Gutachtens jedoch davon ausgegangen, dass das familiäre Zusammenleben wieder aufgenommen werden könne und der Kläger im Laufe seines weiteren Lebens mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in eine ähnliche Situation geraten werde.
16 
Obwohl auch das Verwaltungsgericht erkannt habe, dass es dem Kläger aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur extrem schwer falle, seine Empfindungen - wie etwa Gefühle des Mitleids für sein Opfer - in Worten auszudrücken, sei es nicht darauf eingegangen, welche Folgen dies für die Frage einer Wiederholungsgefahr habe. Auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den selbständig tragenden generalpräventiven Gründen der Ausweisung gingen fehl.
17 
Der Beklagte beantragt,
18 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27. Oktober 2010 - 1 K 1516/08 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
19 
Der Kläger beantragt,
20 
die Berufung zurückzuweisen.
21 
Seiner Ansicht nach habe der Beklagte nicht unverschuldet die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Das Vorbringen sei widersprüchlich. Abgesehen davon müsse es überraschen, dass sich alle Beteiligten im Detail gerade an diesen bestimmten Brief und die konkrete Verfahrensweise noch erinnern könnten. Auch habe Frau R. zuerst den Eintrag in das elektronische Verzeichnis und erst anschließend die Sendung überhaupt versandfertig gemacht. Der weitere Transport der Schriftstücke zur zentralen Hauptpoststelle sei nicht hinreichend sicher gestellt; es sei offen, welche Mitarbeiter hierfür zuständig und ob diese ausreichend zuverlässig seien. Auch wichen die vorgelegten persönlichen Erklärungen vom Vortrag im Schriftsatz vom 28.03.2011 ab. So werde dort vorgetragen, Frau F. habe das Schreiben an Frau R. übergeben. Frau F. und Frau R. hätten hingegen angegeben, dass das Schreiben von Frau F. auf den Schreibtisch von Frau R. gelegt worden sei, wo diese es vorgefunden habe. Im Übrigen mache er sich die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen.
22 
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. K. eingeholt, die dieser unter dem 21.03.2011 abgegeben hat.
23 
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
24 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Freiburg, die Strafakten des Landgerichts Rottweil sowie Gefangenenpersonalakten des Klägers vor.

Entscheidungsgründe

 
A.
25 
Die Berufung ist zulässig. Zwar hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) versäumt. Er hat jedoch fristgemäß die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt (§ 60 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO). Die Tatsache, dass in dem innerhalb der Frist vorgelegten Schriftsatz vom 04.03.2011 der maßgebliche Sachverhalt bzw. Geschehensablauf nur in den Grundzügen vorgetragen und erst später präzisiert wurde, insbesondere auch hinsichtlich der getroffenen organisatorischen Vorkehrungen, ist unschädlich. Er hat auch glaubhaft gemacht, ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sei, weshalb ihm Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
26 
Es bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die fragliche Postsendung im Machtbereich des Regierungspräsidiums auf eine zurechenbare Art und Weise verloren gegangen sein könnte. Dabei gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe und Anforderungen wie sie auch auf die Tätigkeit von Rechtsanwälten angewandt werden. Auch hier wird nur unmittelbares Verschulden des Behördenleiters oder des selbstständig mit der Organisation der Fristüberwachung betrauten Beamten zugerechnet, nicht jedoch das Verschulden anderer Bediensteter (von Albedyll, in: Bader u.a., VwGO, 5. Aufl., § 60 Rdn. 13 m.w.N.). Ein derartiges originäres Verschulden ist nicht erkennbar. Insbesondere ist die Organisation und Überwachung der Versendung fristwahrender Schriftsätze ausreichend zuverlässig. Der vom Kläger beanstandete Umstand, dass Frau R. bereits, nachdem sie sich des Inhalts des Schriftstücks vergewissert hat, die Eintragung in das elektronische Register vornimmt, ist unschädlich, wenn, wie hier, sichergestellt ist, dass sie dieses sowie das Eintüten und Einlegen in die Postausgangskiste in einem Arbeitsgang vornimmt. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn sich etwa aufgrund der Verhältnisse am Arbeitsplatz von Frau R., etwa wegen häufiger Ablenkungen durch Telefonanrufe etc., hier Unzuträglichkeiten ergeben können bzw. schon tatsächlich ergeben hätten, was jedoch nicht ersichtlich ist. Einen weitergehenden Nachweis, dass der Schriftsatz dann auch tatsächlich zur Post gelangt ist, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht verlangt, ebenso wenig wie eine genaue Darlegung, wann und wo er verloren gegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16.02.2010 – VIII ZB 76/09 – NJW 2010, 1378). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der weitere Postlauf zur Hauptpoststelle und von dort zur Post selbst mangelhaft organisiert gewesen sein könnte, zumal es sich hierbei um einfach strukturierte Routineabläufe handelt. Eine andere Frage ist, ob bei dieser Sachlage ausreichende Vorsorge getroffen wurde, dass die Schriftsätze unverzüglich und auch rechtzeitig das Haus verlassen und zur Post gelangen, um dann entsprechende Fristen zu wahren. Darum geht es hier jedoch nicht. Denn der fragliche Schriftsatz ist vermutlich gar nicht beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Er ist bei einer Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 31.01.2011 jedenfalls so rechtzeitig vom Referat 15 in den Postlauf gegeben worden, dass der Verlust des Schriftsatzes kausal für die Fristversäumung gewesen sein muss.
27 
Die schriftsätzlichen Ausführungen sowie die hierzu vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen von Frau F. und Frau R. sind auch im Wesentlichen nicht unauflösbar widersprüchlich. Zwar klingen die ursprünglichen Ausführungen im Schriftsatz vom 04.03.2011 sowie vom 21.03.2011 zunächst so, als ob Frau F. die Sendung zum Postversand gebracht hätte. Der folgende Schriftsatz vom 28.03.2011 schildert die Abläufe hingegen zulässigerweise differenzierter und gibt die arbeitsteilige Handlungsweisen genauer wieder, ohne dass hieraus geschlossen werden kann, es würden unwahre Angaben gemacht. Kein Widerspruch besteht auch zwischen den Angaben im Schriftsatz vom 28.03.2011, wonach Frau F. das Schreiben Frau R. „vorgelegt“ habe, während in deren persönlichen Erklärungen ausgeführt wurde, Frau F. habe es auf den Schreibtisch von Frau R. gelegt. Widersprüchlich erscheinen zunächst die Angaben nur insofern, als es im Schriftsatz vom 21.03.2011 heißt, Frau F. habe, nachdem das Schriftstück das Haus verlassen habe, dieses in das elektronische Verzeichnis für den 31.01.2011 aufgenommen. Denn unter dem 28.03.2011 wurde vorgetragen, Frau R. habe den Eintrag gemacht, bevor das Schriftstück das Haus verlassen habe. Der Beklagtenvertreter hat jedoch nochmals in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er ursprünglich der Auffassung gewesen sei, der knappe Vortrag würde ausreichen. Er habe dann aber als Reaktion auf das Vorbringen des Klägers und die Anforderungen des Gerichts weitere Gespräche mit den Mitarbeiterinnen geführt und daher den Vortrag präzisieren und genauer darlegen müssen, weshalb es auch - wegen früherer Verkürzungen - zu gewissen Unterschieden in der Darstellung gekommen sei. Der Umstand, dass nunmehr ausgeführt wird, die Postausgangskiste sei erst am 01.02.2011 zur zentralen Poststelle gebracht worden, stellt nach Überzeugung des Senats eine solche zulässige Präzisierung dar, da auch in den früheren Erklärungen nicht explizit davon die Rede gewesen war, der Schriftsatz sei schon am 31.01.2011 bei der Deutschen Post AG eingegangen.

B.
28 
Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Auch nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - NVwZ 2008, 434) ergibt sich nichts anderes.
29 
I. Der Kläger hat, indem er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt wurde, den zwingenden Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht.
30 
1. Da er mit seiner deutschen Ehefrau und seinen beiden deutschen Kindern bis zum Zeitpunkt der Verhaftung in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hatte, genießt er nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz und darf nur ausgewiesen werden, wenn schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen.
31 
Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - NVwZ 2009, 727 m.w.N.) liegt ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nur dann vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz mit den Regelungen des § 56 AufenthG bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung streng einzelfallbezogen ein deutliches Übergewicht hat. Ein solches Übergewicht kann aus den besonderen Umständen der jeweils die Ausweisung auslösenden Verhaltensweisen des Ausländers folgen. Danach können Fälle mittlerer und schwerer Kriminalität, namentlich schwere Gewaltdelikte, einen solchen schwerwiegenden Grund ausmachen, wobei als kumulativ festzustellende Voraussetzung die Ausweisung zur Unterbindung erneuter vom Ausländer ausgehender Gefahren geboten sein muss (vgl. auch Senatsurteil vom 09.07.2003 - 11 S 420/03 -EzAR 033 Nr. 8).
32 
Stützt die Ausländerbehörde ihre Ausweisungsverfügung auf spezialpräventive Gründe, so ist diese (im Sinne eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes) nur dann gerechtfertigt, wenn für die Gefahr erneuter Rechtsgutsverletzungen konkrete Anhaltspunkte bestehen. Der Ausweisungsgrund ist nicht schwerwiegend mit der zwingenden Rechtsfolge, dass eine Abschiebung unzulässig ist, wenn allein eine entfernte Möglichkeit weiterer Störungen der öffentlichen Sicherheit besteht, weil nicht hinreichend ausgeschlossen werden kann, dass der Ausländer sein schwerwiegendes früheres Fehlverhalten wiederholen oder andere Taten von vergleichbarem Gewicht begehen wird. Es sind somit qualifizierte Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen, weshalb konkrete Anhaltspunkte dafür ausgemacht werden müssen, dass auch in Zukunft bedeutsame Gefahren für ein wichtiges Schutzgut ernsthaft zu besorgen sind (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.05.2003 - 1 S 254/03 - VBlBW 2003, 474). Mit anderen Worten: Eine grenzenlose Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach Maßgabe der Schwere der Rechtsgutsverletzung (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61.84 - InfAuslR 1985, 33) ist nicht statthaft. Allerdings ordnet für die hier zu beurteilende Fallkonstellation § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausdrücklich an, dass im Falle des § 53 AufenthG in der Regel schwerwiegende Gründe vorliegen, weshalb es hier keiner konkreten positiven Feststellungen bedarf, sondern lediglich Umstände festgestellt werden müssen, die eine Atypik begründen. Solche Umstände sind hier nicht gegeben.
33 
Im Falle des Klägers bestehen – ungeachtet der gesetzlichen Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG – im Übrigen auch die für die Annahme eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes gebotenen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wieder in schwerwiegender Weise gegen die Strafrechtsordnung verstoßen könnte. Die ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. K. (vgl. S. 1 und 5) macht unmissverständlich deutlich, dass beim Kläger ein nicht vollständig zu vernachlässigendes Potential unzureichend entwickelter Konfliktvermeidungs- und Konfliktbewältigungsstrategien vorhanden ist, das einer therapeutischen Aufarbeitung bedarf, um eine ausreichend verantwortliche Verhaltenssteuerung einigermaßen zuverlässig zu gewährleisten. Allerdings geht der Gutachter davon aus, dass eine eigentliche Therapie nicht unbedingt erforderlich ist, sondern dass auch umfassende und eingehende therapeutische bzw. psychologische Gespräche und ein Resozialisierungsprogramm sowie ein Anti-Gewalt-Training ausreichen; er stellt beides prinzipiell als gleichwertig nebeneinander (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 30; Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 27.10.2010, S. 3 und 5; ergänzende Stellungnahme S. 1). Diese Voraussetzung kommt nicht nur deutlich in seinen grundsätzlichen Ausführungen zu den zwingenden Erfordernissen einer Vorbereitung in der Haft zum Ausdruck, sondern liegt ersichtlich auch seinen abschließenden Bemerkungen über die unerlässlichen Anforderungen an die Gestaltung der Bewährungszeit zugrunde. Nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht hinreichend prognostiziert werden, dass mit der erforderlichen Verlässlichkeit bis zur Haftentlassung eine Therapie erfolgreich abgeschlossen sein wird, oder jedenfalls die therapeutischen bzw. psychologischen Gespräche mit dem erforderlichen Ergebnis durchgeführt sein werden. Im Gegenteil: Es spricht alles dafür, dass dieses nicht der Fall sein wird. Zwar hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27.10.2010 ausweislich der Niederschrift behauptet, er habe mit dem russischsprechenden Psychotherapeuten bzw. Psychologen W. in der Vollzugsanstalt drei therapeutische Gespräche geführt, wovon eines einen halben Tag und die anderen beiden jeweils etwa eine Stunde gedauert hätten. Auf diesbezügliche Fragen des Senats in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger schon von sich aus nicht mehr davon gesprochen, dass er Gespräche von einer solchen Dauer geführt habe, woraus unübersehbar deutlich wird, dass er insoweit beim Verwaltungsgericht die Unwahrheit gesagt hat, um sich in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Er hat gegenüber dem Senat lediglich ganz allgemein behauptet, in zwei Gesprächen, die aber nach den eigenen Angaben wesentlich kürzer gewesen waren (eine Stunde oder auch nur eine halbe Stunde), sei auch über die Tat gesprochen worden. Der Senat kann unterstellen, dass auch die Tat erwähnt worden sein wird, jede andere Annahme wäre lebensfremd. Entscheidend ist vielmehr allein die Dauer bzw. Häufigkeit der Gespräche und deren Qualität. Zu seiner Überzeugung steht nach der eingeholten schriftlichen Erklärung von Herrn W. vom 03.05.2011 aber fest, dass eine erforderliche intensive Befassung mit und Aufarbeitung der Tat nicht erfolgt ist. Dies wäre angesichts der vom Kläger selbst zugestandenen Kürze und der Zahl der Treffen mit Herrn W. auch gar nicht möglich. Auch muss der Senat davon ausgehen, dass der Kläger kein wirkliches Interesse daran hat, obwohl ihm in der Justizvollzugsanstalt die Chance von Gesprächen in seiner Muttersprache geboten wird. Eine gegenteilige Überzeugung hat der Kläger mit seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung beim Senat nicht herbeiführen können. Abgesehen davon hat Herr W. dieses in seiner Stellungnahme auch klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Der Senat sieht in diesem Zusammenhang keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, wie der Prozessbevollmächtigte vermutet, dass Herr W. aus auch bei diesem liegenden Gründen keine Gesprächsbasis gefunden hatte, weshalb ein beim Kläger an sich bestehender ernsthafter Wunsch und Wille zu einer intensiven Aufarbeitung der Tat nicht erfüllt werden konnte, ohne dass er dieses zu vertreten hätte. Dies ganz losgelöst von der Frage, ob dieses unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr überhaupt erheblich sein kann. Für den Senat ist insgesamt nicht ersichtlich, weshalb Herr W. in seiner Stellungnahme vom 03.05.2011 unwahre Angaben gemacht haben sollte. Demgegenüber liegt es auf der Hand, dass der Kläger ein erhebliches Interesse hat, wahrheitswidrig ein Interesse an einer Therapie zu behaupten, nachdem ihm nunmehr nach der gesamten Vorgeschichte klar geworden sein muss, dass er nur auf diese Weise eine Chance haben kann, die Ausweisung noch abwenden zu können. Diese ist auch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zweifelsfrei unwahren Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu sehen. Jedenfalls kann, nachdem nunmehr 3 ½ Jahre seit der Verurteilung verstrichen sind, ohne dass der Kläger diesbezüglich irgendetwas auf den Weg gebracht hat, die bloße verbale Behauptung, an einer Therapie interessiert zu sein, ein positive Einschätzung nicht begründen.
34 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine völlig ungeklärte eheliche und familiäre Situation ein vom Senat zu seinen Lasten zu berücksichtigender gefahrerhöhender Umstand, der keineswegs nur abstrakt ist und damit unerheblich wäre. Der Kläger hält zwar nach seinen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung formal an seiner Ehe fest und will sich nicht scheiden lassen, was insoweit nachvollziehbar ist, weil er andernfalls den mit der Ehe verbundenen erhöhten Ausweisungsschutz verlieren würde. Andererseits will er mit seiner Ehefrau gegenwärtig nichts zu tun haben und hat diese seit seiner Inhaftierung vor 4 ½ Jahren allenfalls ein Mal gesehen; er will sie nach seinen eindeutigen und kategorischen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch zukünftig nicht sehen und hat mit ihr auch keinen nennenswerten, ihre Beziehung betreffenden brieflichen Kontakt. Es ist für den Senat nicht nachzuvollziehen, weshalb der Kläger nur für den Fall, dass er hier bleiben dürfe, seine Beziehung zu der Ehefrau „ankurbeln“ wolle, was er auch immer darunter verstehen mag. Denn wenn ihm wirklich etwas an der Beziehung zu seiner Ehefrau liegen würde, müsste er sich in jedem Fall und bedingungslos um die Beziehung bemühen. Nach alledem muss sich aufdrängen, dass spätestens im Falle der Haftentlassung ein ernst zu nehmendes Risiko besteht, dass sich die Ehefrau endgültig von ihm trennt oder bereits getrennt hat. Dann jedoch steht die Frage an, was mit den Kindern geschehen wird. Diese Fragestellung beinhaltet ein erhebliches Konfliktpotential, das auch mit schweren Kränkungen verbunden sein kann, zumal dann, wenn die Ehefrau den Kläger nicht oder jedenfalls wenig an dem Leben der Kinder teilhaben lassen will. Auch der Gutachter sieht dieses ebenso (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 2 und 5). Dass der Kläger mit tiefer gehenden persönlichen Konflikten und Kränkungen nicht umgehen kann, hat er in der Vergangenheit eindrücklich gezeigt, wie er ebenso - zuletzt in der mündlichen Verhandlung - deutlich gemacht hat, dass er nicht ernsthaft bereit ist, hieran zu arbeiten.
35 
Gegen den Kläger spricht – jedenfalls in einer Gesamtschau – nach Überzeugung des Senats auch, dass er nach der Tat und insbesondere nach der strafgerichtlichen Verurteilung bis heute die Tat, jedenfalls wesentliche Tatbeiträge seinerseits, im Grunde leugnet und sich nicht vorbehaltlos seiner Schuld stellt. Zwar übersieht der Senat nicht, dass nach der fachlichen Einschätzung des Gutachters (vgl. S. 3 der ergänzenden Stellungnahme) nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger, wie auch viele andere vergleichbar strukturierte Täter, an seine Grenzen stößt und eine möglicherweise zusätzlich vorhandene Störung der Wahrnehmung offenbar auch dem Schutz der eigenen psychischen Stabilität dient. Immerhin weist der Gutachter darauf hin, dass es tatsächlich zu erheblichen Erinnerungsausfällen gekommen sein kann. All das mag das Verhalten zunächst nachvollziehbar erscheinen lassen. Gleichwohl spricht gegen eine - wie auch oben in anderem Zusammenhang erörterte - Auseinandersetzungsbereitschaft mit der Tat, dass der Kläger über ein Leugnen hinaus im Grunde wesentliche, wenn nicht überwiegende Tatbeiträge bzw. Verschuldensanteile auf das Opfer verschiebt. Dies gilt jedenfalls, wenn man sein gesamtes Verhalten im Zusammenhang betrachtet und die bereits oben gewürdigten Angaben zur Therapiebereitschaft und den mit Herrn W. geführten Gesprächen angemessen berücksichtigt.
36 
Anders als der Beklagte dies sieht, können allerdings bei der Beurteilung des Maßes der Wiederholungsgefahr nicht andere Deliktsgruppen wie Vergewaltigung, Raub, Diebstahl oder Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz einbezogen werden. Auch wenn es sich – wie der Gutachter richtigerweise ausführt – hier nicht um eine klassische Affekttat gehandelt hat, so war es doch gewissermaßen eine Beziehungstat. Hinzukommt, dass der Gutachter keine besondere, mit erhöhter Aggressivität einhergehende Persönlichkeitsstörung festgestellt hat; der Gutachter verneint ausdrücklich eine allgemeine Gewaltbereitschaft (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 21, 26 und 29), was der Beklagte offenbar aus dem Auge verloren hat. Ausgehend von den Ausführungen des Gutachters besteht kein Ansatz dafür, dass die Begehung solcher Taten auch angedacht werden müsste.
37 
Der weitere tatsächliche Ausgangspunkt des Gutachters wie auch des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei Ersttäter, wird zwar von der Beklagten in Frage gestellt, weil diese Annahme nur auf den Angaben des Klägers im Strafverfahren wie auch gegenüber dem Verwaltungsgericht sowie telefonischen Auskünften der Ehefrau und der Schwägerin beruht. Eine weitere, in erster Linie nur in Kirgisistan mögliche Ermittlung ist jedoch nach Auffassung des Senats nicht geboten, zumal der Beklagte sich auch nicht zu solchen im Verwaltungsverfahren veranlasst sah. Es besteht kein Anlass, dem Kläger zu misstrauen, auch nicht deshalb, weil er behauptet hat, angegriffen worden zu sein, weil er unzutreffende Angaben über die Gespräche mit Herrn W. gemacht hat. Wenn der Kläger im Bundesgebiet nicht weiter strafrechtlich und polizeilich in Erscheinung getreten ist, was im Strafverfahren zu Tage getreten wäre, bestand für den Gutachter kein ausreichender Ermittlungsansatz für weitere Nachforschungen im sozialen Umfeld des Klägers.
38 
Auch wenn der Gutachter eine infolge der Hafterfahrung eingetretene Nachreifung festgestellt haben will (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 4 f.), so verbleibt namentlich auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung gewonnen Überzeugung des Senats ein rechtlich erhebliches Risiko der Begehung einer vergleichbaren Gewalttat.
39 
Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die vom Beklagten betonte Feststellung der formellen Voraussetzungen des § 66 b a.F. StGB durch die Staatsanwaltschaft nichts besagt, weil hier gerade keinerlei Aussage zu den materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung („wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“) gemacht wurde.
40 
Nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung wiederum über bestimmte Prozentränge für eine Eintrittswahrscheinlichkeit diskutiert haben und sie das auch schon in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 getan hatten, möchte der Senat - wie auch schon das Verwaltungsgericht - abschließend eine wichtige Aussage des Gutachters in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 hervorheben, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt. Er hatte dort ausdrücklich betont, dass sich die benannten Prozentränge nur aus einzelnen Checklisten und Tests ergäben und allein dienenden und ergänzenden Charakter haben können. Sie dürften in keinem Fall die auf der Exploration beruhende endgültige kriminalprognostische Beurteilung ersetzen oder maßgeblich mitbestimmen.
41 
2. Ist der die Ausweisung tragende Grund schwerwiegend, so ist an sich der Kläger gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat den Kläger, insbesondere wegen der vorhandenen minderjährigen Kinder deutscher Staatsangehörigkeit, entsprechend den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - VwZ 2008, 326) allerdings zutreffend nur im Ermessenswege ausgewiesen. Es ist damit von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall ausgegangen, denn allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG wird dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300). Der Senat geht in diesem Zusammenhang zugunsten des Klägers davon aus, dass die Ehefrau des Klägers und auch er weiter an der Ehe festhalten, weshalb diesem Umstand aufenthaltsrechtlich eine erhebliche und weit reichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, zumal da die Ehefrau deutsche Staatsangehörige ist (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133; vom 27.09.1978 - 1 C 79.76 - BVerwGE 56, 246; vom 17.1.1989 - 1 C 46.86 - NVwZ 1989, 770; auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschluss vom 15.6.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311). Weiter wird der Schutz erheblich verstärkt durch den Umstand, dass der Kläger nach wie vor das Sorgerecht hinsichtlich seiner deutschen Kinder hat und auch während der Haft mit diesen regelmäßig Kontakt pflegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.1980 - I 55.75 - BVerwGE 60, 126; vom 19.10.1982 - 1 C 100.78 - EzAR 124 Nr. 6). Die Frage des konkreten Schutzes wird nicht allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG erschöpfend beantwortet, ihr ist vielmehr im Rahmen der Ermessensausübung nochmals umfassend und differenziert nachzugehen. Der Schutz der deutsch/ausländischen Familie wird dabei nicht durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau und die Kinder selbst aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388).
42 
Der Beklagte hat im Rahmen der von ihm angestellten und in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet. Der Beklagte hat zwar erwogen, dass die Ehefrau und seine Kinder wegen ihrer Herkunft mit dem Kläger nach Kirgisistan zurückkehren und ihnen dieses vorübergehend zuzumuten sein könnte, hat aber bei seiner Ermessenentscheidung die endgültige Trennung letztlich unterstellt. Was das Gewicht der Folgen der Trennung betrifft, kann der Senat nicht unberücksichtigt lassen, dass gegenwärtig keinerlei persönliche Beziehung zur Ehefrau besteht und der Kläger eine Wiederaufnahme strikt abgelehnt hat und weiter ablehnt. Der Kläger konnte dem Senat auch in der mündlichen Verhandlung nicht plausibel machen, dass er ernsthaft an einer Klärung der Beziehung mit dem Ziel einer Wiederaufnahme zu arbeiten gewillt ist. Auch die Beziehung zu seinen beiden Kindern ist nach den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben auch unter angemessener Berücksichtigung der haftbedingten Erschwernisse eher lose und lässt eine intensive Teilhabe am Leben der Kinder vermissen. Es wurde auch nicht geltend gemacht, dass aus der ebenfalls maßgeblichen Sicht der Kinder eine besonders enge Bindung an den Vater besteht. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob in der Justizvollzugsanstalt F. häufigere persönliche Besuche möglich wären. Immerhin hat sich der Kläger gar nicht darauf berufen, dass diese nicht möglich wären, sondern ausschließlich geltend gemacht, der Bruder habe nicht mehr Zeit bzw. den Kindern werde bei der Autofahrt leicht schlecht. Der letztgenannte Grund leuchtet dem Senat nicht ein, wenn ein tiefer gehendes Interesse der Kinder bzw. des Klägers an einem unmittelbaren persönlichen Kontakt bestehen würde. Für diese Bewertung ist für den Senat maßgeblich, dass der Kläger beispielsweise keine genaueren Angaben über die Art der vom älteren Sohn besuchte Schule machen konnte, sondern erst auf entsprechende Nachfrage sagte, dass er nicht wisse, wie man die Schule bezeichne, und pauschal von „Mittelschule“ sprach. Dieser Umstand wie auch die Tatsache, dass er nur sehr allgemeine Angaben über den schulischen Werdegang der Kinder und deren sonstige Aktivitäten machen konnte, zeigen deutlich, dass das Interesse an seinen Kindern nicht besonders entwickelt ist. Beispielsweise konnte der Kläger nicht einmal präzise Angaben darüber machen, wo der ältere Sohn Taekwon-Do trainiere, ob etwa im Rahmen des Sportunterrichts oder außerhalb des schulischen Rahmens. Auch seine Schilderungen über den Ablauf der Besuchsaufenthalte in der Haft blieben sehr an der Oberfläche und blass. Vor dem Hintergrund der eher größeren Abstände der Besuche in der Haft konnte der Senat nicht nachvollziehen, dass er in 4 ½ Jahren seine Kinder nur 1 bis 2 Mal angerufen hat. Die Erklärung, dass er aus der Justizvollzugsanstalt auf deren Mobiltelefone nicht anrufen dürfe, wertet der Senat als Ausflucht. Denn es fehlt jeder Anhalt dafür, dass die Kinder nicht auch über einen Festnetzanschluss erreichbar sein könnten, auch wenn die Mutter über einen solchen nicht verfügen sollte. Wenn schon ein telefonischer Kontakt praktisch nicht stattfindet, so wäre bei einer wirklich gelebten intensiven persönlichen Beziehung wenigstens ein intensiver schriftlicher Kontakt zu erwarten gewesen, den der Senat aber auch nicht feststellen konnte. Nach den Angaben des Klägers schickt er lediglich Postkarten, und dann auch nur an Geburtstagen und etwa an Weihnachten. Angesichts dieser persönlichen und familiären Verhältnisse und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger erst im Alter von knapp 28 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist und nur 4 ½ Jahre straffrei im Bundesgebiet gelebt hat, erweist sich die Ausweisung in Ansehung der nicht von der Hand zu weisenden Besorgnis der Begehung vergleichbarer Gewalttaten und insbesondere unter Berücksichtigung der außerordentlich gravierenden Folgen der Tat auch nicht als unverhältnismäßig (vgl. auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif/Schweiz -InfAuslR 2001, 476; vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279; vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04, Maslov/Deutschland II - InfAuslR 2008, 333).
43 
Der Senat kann daher offen lassen, ob die Ausweisung auch allein durch generalpräventive Erwägungen getragen wäre (vgl. hierzu Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris).
44 
II. Für den Kläger ergeben sich auch aus Europarecht keine weitergehende Rechte, die seiner Ausweisung entgegenstehen.
45 
1. a) Der Europäische Gerichtshof hat zwar mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache C-34/09 (Ruiz Zambrano) in einem familiär ähnlich gelagerten Fall u.a. entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann.
46 
Ob damit, insbesondere was die Beurteilung der Rechte drittstaatsangehöriger Familienmitglieder betrifft, eine generelle Gleichstellung mit solchen Unionsbürgern verbunden ist, die bereits einmal von ihrer mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, und ob etwa die Bestimmungen der Unionsbürger-RL 2004/38/EG (namentlich dessen Art. 28) entsprechend anzuwenden sind (vgl. zum Anwendungsbereich deren Art. 3 Abs. 1 und nunmehr auch EuGH, Urteil vom 05.05.2011, Rs C-434/09, McCarthy), kann der Senat offenlassen (vgl. zu dieser Frage auch das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 20.01.2011 - 11 S 1069/10 - InfAuslR 2011, 133). Denn Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG stünde einer Ausweisung nicht entgegen (vgl. hierzu unten) und Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG wäre ohnehin im Falle des Klägers nicht anwendbar, da er sich noch nicht 10 Jahre im Bundesgebiet aufhält.
47 
Folge der nicht möglichen unmittelbaren Anwendbarkeit der Unionsbürger-RL 2004/38/EG ist dann auch, dass das FreizügigkeitsG/EU hier ebenfalls nicht unmittelbar anzuwenden ist, es vielmehr bei der Geltung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regeln zu verbleiben hat. Diese sind allerdings unionsrechtskonform zu handhaben.
48 
b) Auch wenn infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon am 01.12.2009 in Art. 24 der Grundrechtecharta (GRCh) die Kinderrechte gestärkt und bekräftigt werden, gilt der nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „Ruiz Zambrano“ aus der Unionsbürgerschaft nach Art. 20 AEUV folgende Aufenthaltsanspruch der drittstaatsangehörigen Eltern - ungeachtet einer möglichen entsprechenden Anwendbarkeit des Art. 28 RL 2004/38/EG -nicht unbeschränkt. Wie für den Fortbestand der Unionsbürgerschaft selbst (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-135/08, Rottmann, Rn. 55), muss auch für deren Reichweite der primärrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fruchtbar gemacht werden (vgl. Art. 5 Abs. 4 EUV). Hiernach gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Um hierbei die von Art. 6 Abs. 2 EUV sowie Art. 52 Abs. 3 und 7 GRCh angestrebte Einheitlichkeit des europäischen Menschenrechtsschutzes, d.h. den angestrebten materiell-rechtlichen Gleichlauf zwischen EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) des Europarates zu erreichen, sind bei straffällig gewordenen Eltern die vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zu Art. 8 EMRK entwickelten sog. Boultif/Üner-Kriterien heranzuziehen (EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476; Urteil vom 05.07.2005 - 46410/99 <Üner> - InfAuslR 2005, 450), die der Gerichtshof etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) zusammengefasst hat.
49 
Ob der Eingriff in das unionsbürgerliche Aufenthaltsrecht des Elternteils nach Art. 20 AEUV sowie das geschützte Familien- und Privatleben im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, entscheidet sich mithin immer im konkreten Einzelfall unter Abwägung der aufgeführten verschiedenen Belange. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, führt jedoch auch die Anwendung der Boultif/Üner-Kriterien im konkreten Einzelfall des Klägers nicht zu einem ihm günstigen Ergebnis.
50 
c) Die Ausweisung des Klägers, dem grundsätzlich der unionsbürgerrechtliche Schutz nach Art. 20 AEUV zukommt, erweist sich auch nicht bei Berücksichtigung der sonstigen Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs zu Ausweisungen als rechtswidrig. Zwar ist die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG (in entsprechender Anwendung) und der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann eröffnet, wenn in restriktiver Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Ausnahmebestimmungen unter Ausschluss generalpräventiver Überlegungen aufgrund eines persönlichen Verhaltens des Betroffenen eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung von diesem ausgeht, die darüber hinaus ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren muss (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs 67/74, Bonsignore - Slg. 1975, 297; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - Slg. 1975, 1219; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - Slg. 1977, 1999; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81, Adoui und Cornuaille - Slg. 1982, 1665; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86, Kommission/Bundesrepublik - Slg. 1989, 2363; vom 19.01.1999 - C-348/96, Calfa - Slg 1999, I-11). Dieser Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich im Verständnis des Gerichtshofs auf ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann ausreichen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erkennen lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01, Orfanopoulus und Oliveri - Slg. 2004, I-5257). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - a.a.O.). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet ist. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59).
51 
aa) Der Europäische Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes „gesellschaftliches Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - a.a.O.). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
52 
bb) Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Diese Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartig weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in den dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Europäischen Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit nur die „ultima ratio“ sein darf, stehen einem solchen Verständnis entgegen; es ist auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unionsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet.
53 
Das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung ist nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit, jedenfalls aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats immer dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise gewichtige Gründe dafür sprechen, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, ist dieses im Falle des Klägers anzunehmen.
54 
cc) Der Senat geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass die vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Schutzes vorliegen, auch wenn der Kläger aktuell seinen Kindern – abgesehen von gelegentlichen kleineren Geschenken – keinen Unterhalt leistet. Denn die Tatsache, dass er dies bis zu seiner Inhaftierung regelmäßig getan hat und er nunmehr aus objektiven Gründen daran gehindert ist, muss genügen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass er nach seiner Entlassung, so er über Erwerbseinkommen verfügt, weiter Unterhalt leisten wird.
55 
Angesichts der weiter bestehenden relevanten und nicht zu vernachlässigenden Wiederholungsgefahr erweist sich jedoch auch in Anwendung der unionsrechtlichen und menschenrechtlichen Maßstäbe die Ausweisung als ermessensfehlerfrei sowie als verhältnismäßig und durch ein Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz der körperlichen Integrität ihrer Bewohner gerechtfertigt. Insbesondere hat der Beklagte sich nach der Erörterung möglicher unionsrechtlicher Vorgaben in der mündlichen Verhandlung dieser vergewissert und seine Ermessenserwägungen überprüft sowie seine unionsrechtlich tragfähigen Überlegungen, weshalb an der Ausweisungsverfügung festgehalten werden soll, nachvollziehbar dargelegt (vgl. Seite 3 der Niederschrift vom 04.05.2011).
56 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung aus der Haft finden ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG. Der Senat kann offen lassen, ob sich für die Ausgestaltung einer Abschiebungsandrohung nunmehr besondere Vorgaben aus der Rückführungs-RL 2008/115/EG ergeben. Denn die Richtlinie gilt nach deren Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Nr. 4 nur für Rückkehrentscheidungen (vgl. auch deren Art. 6), die gegenüber illegal aufhältigen Ausländern ergehen. Der Kläger ist jedoch erst mit Wirksamwerden der Ausweisungsverfügung, die in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG zum Erlöschen gebracht hat, zum illegal aufhältigen Ausländer geworden.
57 
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Zulassung der Revision auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
58 
Beschluss
59 
vom 4. Mai 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.
61 
Der Beschluss ist unanfechtbar.
62 
Funke-Kaiser Prof. Dr. Bergmann Dr. Bauer

Gründe

 
A.
25 
Die Berufung ist zulässig. Zwar hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) versäumt. Er hat jedoch fristgemäß die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt (§ 60 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO). Die Tatsache, dass in dem innerhalb der Frist vorgelegten Schriftsatz vom 04.03.2011 der maßgebliche Sachverhalt bzw. Geschehensablauf nur in den Grundzügen vorgetragen und erst später präzisiert wurde, insbesondere auch hinsichtlich der getroffenen organisatorischen Vorkehrungen, ist unschädlich. Er hat auch glaubhaft gemacht, ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sei, weshalb ihm Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
26 
Es bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die fragliche Postsendung im Machtbereich des Regierungspräsidiums auf eine zurechenbare Art und Weise verloren gegangen sein könnte. Dabei gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe und Anforderungen wie sie auch auf die Tätigkeit von Rechtsanwälten angewandt werden. Auch hier wird nur unmittelbares Verschulden des Behördenleiters oder des selbstständig mit der Organisation der Fristüberwachung betrauten Beamten zugerechnet, nicht jedoch das Verschulden anderer Bediensteter (von Albedyll, in: Bader u.a., VwGO, 5. Aufl., § 60 Rdn. 13 m.w.N.). Ein derartiges originäres Verschulden ist nicht erkennbar. Insbesondere ist die Organisation und Überwachung der Versendung fristwahrender Schriftsätze ausreichend zuverlässig. Der vom Kläger beanstandete Umstand, dass Frau R. bereits, nachdem sie sich des Inhalts des Schriftstücks vergewissert hat, die Eintragung in das elektronische Register vornimmt, ist unschädlich, wenn, wie hier, sichergestellt ist, dass sie dieses sowie das Eintüten und Einlegen in die Postausgangskiste in einem Arbeitsgang vornimmt. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn sich etwa aufgrund der Verhältnisse am Arbeitsplatz von Frau R., etwa wegen häufiger Ablenkungen durch Telefonanrufe etc., hier Unzuträglichkeiten ergeben können bzw. schon tatsächlich ergeben hätten, was jedoch nicht ersichtlich ist. Einen weitergehenden Nachweis, dass der Schriftsatz dann auch tatsächlich zur Post gelangt ist, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht verlangt, ebenso wenig wie eine genaue Darlegung, wann und wo er verloren gegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16.02.2010 – VIII ZB 76/09 – NJW 2010, 1378). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der weitere Postlauf zur Hauptpoststelle und von dort zur Post selbst mangelhaft organisiert gewesen sein könnte, zumal es sich hierbei um einfach strukturierte Routineabläufe handelt. Eine andere Frage ist, ob bei dieser Sachlage ausreichende Vorsorge getroffen wurde, dass die Schriftsätze unverzüglich und auch rechtzeitig das Haus verlassen und zur Post gelangen, um dann entsprechende Fristen zu wahren. Darum geht es hier jedoch nicht. Denn der fragliche Schriftsatz ist vermutlich gar nicht beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Er ist bei einer Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 31.01.2011 jedenfalls so rechtzeitig vom Referat 15 in den Postlauf gegeben worden, dass der Verlust des Schriftsatzes kausal für die Fristversäumung gewesen sein muss.
27 
Die schriftsätzlichen Ausführungen sowie die hierzu vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen von Frau F. und Frau R. sind auch im Wesentlichen nicht unauflösbar widersprüchlich. Zwar klingen die ursprünglichen Ausführungen im Schriftsatz vom 04.03.2011 sowie vom 21.03.2011 zunächst so, als ob Frau F. die Sendung zum Postversand gebracht hätte. Der folgende Schriftsatz vom 28.03.2011 schildert die Abläufe hingegen zulässigerweise differenzierter und gibt die arbeitsteilige Handlungsweisen genauer wieder, ohne dass hieraus geschlossen werden kann, es würden unwahre Angaben gemacht. Kein Widerspruch besteht auch zwischen den Angaben im Schriftsatz vom 28.03.2011, wonach Frau F. das Schreiben Frau R. „vorgelegt“ habe, während in deren persönlichen Erklärungen ausgeführt wurde, Frau F. habe es auf den Schreibtisch von Frau R. gelegt. Widersprüchlich erscheinen zunächst die Angaben nur insofern, als es im Schriftsatz vom 21.03.2011 heißt, Frau F. habe, nachdem das Schriftstück das Haus verlassen habe, dieses in das elektronische Verzeichnis für den 31.01.2011 aufgenommen. Denn unter dem 28.03.2011 wurde vorgetragen, Frau R. habe den Eintrag gemacht, bevor das Schriftstück das Haus verlassen habe. Der Beklagtenvertreter hat jedoch nochmals in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er ursprünglich der Auffassung gewesen sei, der knappe Vortrag würde ausreichen. Er habe dann aber als Reaktion auf das Vorbringen des Klägers und die Anforderungen des Gerichts weitere Gespräche mit den Mitarbeiterinnen geführt und daher den Vortrag präzisieren und genauer darlegen müssen, weshalb es auch - wegen früherer Verkürzungen - zu gewissen Unterschieden in der Darstellung gekommen sei. Der Umstand, dass nunmehr ausgeführt wird, die Postausgangskiste sei erst am 01.02.2011 zur zentralen Poststelle gebracht worden, stellt nach Überzeugung des Senats eine solche zulässige Präzisierung dar, da auch in den früheren Erklärungen nicht explizit davon die Rede gewesen war, der Schriftsatz sei schon am 31.01.2011 bei der Deutschen Post AG eingegangen.

B.
28 
Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Auch nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - NVwZ 2008, 434) ergibt sich nichts anderes.
29 
I. Der Kläger hat, indem er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt wurde, den zwingenden Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht.
30 
1. Da er mit seiner deutschen Ehefrau und seinen beiden deutschen Kindern bis zum Zeitpunkt der Verhaftung in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hatte, genießt er nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz und darf nur ausgewiesen werden, wenn schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen.
31 
Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - NVwZ 2009, 727 m.w.N.) liegt ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nur dann vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz mit den Regelungen des § 56 AufenthG bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung streng einzelfallbezogen ein deutliches Übergewicht hat. Ein solches Übergewicht kann aus den besonderen Umständen der jeweils die Ausweisung auslösenden Verhaltensweisen des Ausländers folgen. Danach können Fälle mittlerer und schwerer Kriminalität, namentlich schwere Gewaltdelikte, einen solchen schwerwiegenden Grund ausmachen, wobei als kumulativ festzustellende Voraussetzung die Ausweisung zur Unterbindung erneuter vom Ausländer ausgehender Gefahren geboten sein muss (vgl. auch Senatsurteil vom 09.07.2003 - 11 S 420/03 -EzAR 033 Nr. 8).
32 
Stützt die Ausländerbehörde ihre Ausweisungsverfügung auf spezialpräventive Gründe, so ist diese (im Sinne eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes) nur dann gerechtfertigt, wenn für die Gefahr erneuter Rechtsgutsverletzungen konkrete Anhaltspunkte bestehen. Der Ausweisungsgrund ist nicht schwerwiegend mit der zwingenden Rechtsfolge, dass eine Abschiebung unzulässig ist, wenn allein eine entfernte Möglichkeit weiterer Störungen der öffentlichen Sicherheit besteht, weil nicht hinreichend ausgeschlossen werden kann, dass der Ausländer sein schwerwiegendes früheres Fehlverhalten wiederholen oder andere Taten von vergleichbarem Gewicht begehen wird. Es sind somit qualifizierte Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen, weshalb konkrete Anhaltspunkte dafür ausgemacht werden müssen, dass auch in Zukunft bedeutsame Gefahren für ein wichtiges Schutzgut ernsthaft zu besorgen sind (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.05.2003 - 1 S 254/03 - VBlBW 2003, 474). Mit anderen Worten: Eine grenzenlose Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach Maßgabe der Schwere der Rechtsgutsverletzung (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61.84 - InfAuslR 1985, 33) ist nicht statthaft. Allerdings ordnet für die hier zu beurteilende Fallkonstellation § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausdrücklich an, dass im Falle des § 53 AufenthG in der Regel schwerwiegende Gründe vorliegen, weshalb es hier keiner konkreten positiven Feststellungen bedarf, sondern lediglich Umstände festgestellt werden müssen, die eine Atypik begründen. Solche Umstände sind hier nicht gegeben.
33 
Im Falle des Klägers bestehen – ungeachtet der gesetzlichen Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG – im Übrigen auch die für die Annahme eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes gebotenen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wieder in schwerwiegender Weise gegen die Strafrechtsordnung verstoßen könnte. Die ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. K. (vgl. S. 1 und 5) macht unmissverständlich deutlich, dass beim Kläger ein nicht vollständig zu vernachlässigendes Potential unzureichend entwickelter Konfliktvermeidungs- und Konfliktbewältigungsstrategien vorhanden ist, das einer therapeutischen Aufarbeitung bedarf, um eine ausreichend verantwortliche Verhaltenssteuerung einigermaßen zuverlässig zu gewährleisten. Allerdings geht der Gutachter davon aus, dass eine eigentliche Therapie nicht unbedingt erforderlich ist, sondern dass auch umfassende und eingehende therapeutische bzw. psychologische Gespräche und ein Resozialisierungsprogramm sowie ein Anti-Gewalt-Training ausreichen; er stellt beides prinzipiell als gleichwertig nebeneinander (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 30; Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 27.10.2010, S. 3 und 5; ergänzende Stellungnahme S. 1). Diese Voraussetzung kommt nicht nur deutlich in seinen grundsätzlichen Ausführungen zu den zwingenden Erfordernissen einer Vorbereitung in der Haft zum Ausdruck, sondern liegt ersichtlich auch seinen abschließenden Bemerkungen über die unerlässlichen Anforderungen an die Gestaltung der Bewährungszeit zugrunde. Nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht hinreichend prognostiziert werden, dass mit der erforderlichen Verlässlichkeit bis zur Haftentlassung eine Therapie erfolgreich abgeschlossen sein wird, oder jedenfalls die therapeutischen bzw. psychologischen Gespräche mit dem erforderlichen Ergebnis durchgeführt sein werden. Im Gegenteil: Es spricht alles dafür, dass dieses nicht der Fall sein wird. Zwar hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27.10.2010 ausweislich der Niederschrift behauptet, er habe mit dem russischsprechenden Psychotherapeuten bzw. Psychologen W. in der Vollzugsanstalt drei therapeutische Gespräche geführt, wovon eines einen halben Tag und die anderen beiden jeweils etwa eine Stunde gedauert hätten. Auf diesbezügliche Fragen des Senats in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger schon von sich aus nicht mehr davon gesprochen, dass er Gespräche von einer solchen Dauer geführt habe, woraus unübersehbar deutlich wird, dass er insoweit beim Verwaltungsgericht die Unwahrheit gesagt hat, um sich in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Er hat gegenüber dem Senat lediglich ganz allgemein behauptet, in zwei Gesprächen, die aber nach den eigenen Angaben wesentlich kürzer gewesen waren (eine Stunde oder auch nur eine halbe Stunde), sei auch über die Tat gesprochen worden. Der Senat kann unterstellen, dass auch die Tat erwähnt worden sein wird, jede andere Annahme wäre lebensfremd. Entscheidend ist vielmehr allein die Dauer bzw. Häufigkeit der Gespräche und deren Qualität. Zu seiner Überzeugung steht nach der eingeholten schriftlichen Erklärung von Herrn W. vom 03.05.2011 aber fest, dass eine erforderliche intensive Befassung mit und Aufarbeitung der Tat nicht erfolgt ist. Dies wäre angesichts der vom Kläger selbst zugestandenen Kürze und der Zahl der Treffen mit Herrn W. auch gar nicht möglich. Auch muss der Senat davon ausgehen, dass der Kläger kein wirkliches Interesse daran hat, obwohl ihm in der Justizvollzugsanstalt die Chance von Gesprächen in seiner Muttersprache geboten wird. Eine gegenteilige Überzeugung hat der Kläger mit seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung beim Senat nicht herbeiführen können. Abgesehen davon hat Herr W. dieses in seiner Stellungnahme auch klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Der Senat sieht in diesem Zusammenhang keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, wie der Prozessbevollmächtigte vermutet, dass Herr W. aus auch bei diesem liegenden Gründen keine Gesprächsbasis gefunden hatte, weshalb ein beim Kläger an sich bestehender ernsthafter Wunsch und Wille zu einer intensiven Aufarbeitung der Tat nicht erfüllt werden konnte, ohne dass er dieses zu vertreten hätte. Dies ganz losgelöst von der Frage, ob dieses unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr überhaupt erheblich sein kann. Für den Senat ist insgesamt nicht ersichtlich, weshalb Herr W. in seiner Stellungnahme vom 03.05.2011 unwahre Angaben gemacht haben sollte. Demgegenüber liegt es auf der Hand, dass der Kläger ein erhebliches Interesse hat, wahrheitswidrig ein Interesse an einer Therapie zu behaupten, nachdem ihm nunmehr nach der gesamten Vorgeschichte klar geworden sein muss, dass er nur auf diese Weise eine Chance haben kann, die Ausweisung noch abwenden zu können. Diese ist auch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zweifelsfrei unwahren Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu sehen. Jedenfalls kann, nachdem nunmehr 3 ½ Jahre seit der Verurteilung verstrichen sind, ohne dass der Kläger diesbezüglich irgendetwas auf den Weg gebracht hat, die bloße verbale Behauptung, an einer Therapie interessiert zu sein, ein positive Einschätzung nicht begründen.
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Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine völlig ungeklärte eheliche und familiäre Situation ein vom Senat zu seinen Lasten zu berücksichtigender gefahrerhöhender Umstand, der keineswegs nur abstrakt ist und damit unerheblich wäre. Der Kläger hält zwar nach seinen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung formal an seiner Ehe fest und will sich nicht scheiden lassen, was insoweit nachvollziehbar ist, weil er andernfalls den mit der Ehe verbundenen erhöhten Ausweisungsschutz verlieren würde. Andererseits will er mit seiner Ehefrau gegenwärtig nichts zu tun haben und hat diese seit seiner Inhaftierung vor 4 ½ Jahren allenfalls ein Mal gesehen; er will sie nach seinen eindeutigen und kategorischen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch zukünftig nicht sehen und hat mit ihr auch keinen nennenswerten, ihre Beziehung betreffenden brieflichen Kontakt. Es ist für den Senat nicht nachzuvollziehen, weshalb der Kläger nur für den Fall, dass er hier bleiben dürfe, seine Beziehung zu der Ehefrau „ankurbeln“ wolle, was er auch immer darunter verstehen mag. Denn wenn ihm wirklich etwas an der Beziehung zu seiner Ehefrau liegen würde, müsste er sich in jedem Fall und bedingungslos um die Beziehung bemühen. Nach alledem muss sich aufdrängen, dass spätestens im Falle der Haftentlassung ein ernst zu nehmendes Risiko besteht, dass sich die Ehefrau endgültig von ihm trennt oder bereits getrennt hat. Dann jedoch steht die Frage an, was mit den Kindern geschehen wird. Diese Fragestellung beinhaltet ein erhebliches Konfliktpotential, das auch mit schweren Kränkungen verbunden sein kann, zumal dann, wenn die Ehefrau den Kläger nicht oder jedenfalls wenig an dem Leben der Kinder teilhaben lassen will. Auch der Gutachter sieht dieses ebenso (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 2 und 5). Dass der Kläger mit tiefer gehenden persönlichen Konflikten und Kränkungen nicht umgehen kann, hat er in der Vergangenheit eindrücklich gezeigt, wie er ebenso - zuletzt in der mündlichen Verhandlung - deutlich gemacht hat, dass er nicht ernsthaft bereit ist, hieran zu arbeiten.
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Gegen den Kläger spricht – jedenfalls in einer Gesamtschau – nach Überzeugung des Senats auch, dass er nach der Tat und insbesondere nach der strafgerichtlichen Verurteilung bis heute die Tat, jedenfalls wesentliche Tatbeiträge seinerseits, im Grunde leugnet und sich nicht vorbehaltlos seiner Schuld stellt. Zwar übersieht der Senat nicht, dass nach der fachlichen Einschätzung des Gutachters (vgl. S. 3 der ergänzenden Stellungnahme) nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger, wie auch viele andere vergleichbar strukturierte Täter, an seine Grenzen stößt und eine möglicherweise zusätzlich vorhandene Störung der Wahrnehmung offenbar auch dem Schutz der eigenen psychischen Stabilität dient. Immerhin weist der Gutachter darauf hin, dass es tatsächlich zu erheblichen Erinnerungsausfällen gekommen sein kann. All das mag das Verhalten zunächst nachvollziehbar erscheinen lassen. Gleichwohl spricht gegen eine - wie auch oben in anderem Zusammenhang erörterte - Auseinandersetzungsbereitschaft mit der Tat, dass der Kläger über ein Leugnen hinaus im Grunde wesentliche, wenn nicht überwiegende Tatbeiträge bzw. Verschuldensanteile auf das Opfer verschiebt. Dies gilt jedenfalls, wenn man sein gesamtes Verhalten im Zusammenhang betrachtet und die bereits oben gewürdigten Angaben zur Therapiebereitschaft und den mit Herrn W. geführten Gesprächen angemessen berücksichtigt.
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Anders als der Beklagte dies sieht, können allerdings bei der Beurteilung des Maßes der Wiederholungsgefahr nicht andere Deliktsgruppen wie Vergewaltigung, Raub, Diebstahl oder Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz einbezogen werden. Auch wenn es sich – wie der Gutachter richtigerweise ausführt – hier nicht um eine klassische Affekttat gehandelt hat, so war es doch gewissermaßen eine Beziehungstat. Hinzukommt, dass der Gutachter keine besondere, mit erhöhter Aggressivität einhergehende Persönlichkeitsstörung festgestellt hat; der Gutachter verneint ausdrücklich eine allgemeine Gewaltbereitschaft (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 21, 26 und 29), was der Beklagte offenbar aus dem Auge verloren hat. Ausgehend von den Ausführungen des Gutachters besteht kein Ansatz dafür, dass die Begehung solcher Taten auch angedacht werden müsste.
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Der weitere tatsächliche Ausgangspunkt des Gutachters wie auch des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei Ersttäter, wird zwar von der Beklagten in Frage gestellt, weil diese Annahme nur auf den Angaben des Klägers im Strafverfahren wie auch gegenüber dem Verwaltungsgericht sowie telefonischen Auskünften der Ehefrau und der Schwägerin beruht. Eine weitere, in erster Linie nur in Kirgisistan mögliche Ermittlung ist jedoch nach Auffassung des Senats nicht geboten, zumal der Beklagte sich auch nicht zu solchen im Verwaltungsverfahren veranlasst sah. Es besteht kein Anlass, dem Kläger zu misstrauen, auch nicht deshalb, weil er behauptet hat, angegriffen worden zu sein, weil er unzutreffende Angaben über die Gespräche mit Herrn W. gemacht hat. Wenn der Kläger im Bundesgebiet nicht weiter strafrechtlich und polizeilich in Erscheinung getreten ist, was im Strafverfahren zu Tage getreten wäre, bestand für den Gutachter kein ausreichender Ermittlungsansatz für weitere Nachforschungen im sozialen Umfeld des Klägers.
38 
Auch wenn der Gutachter eine infolge der Hafterfahrung eingetretene Nachreifung festgestellt haben will (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 4 f.), so verbleibt namentlich auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung gewonnen Überzeugung des Senats ein rechtlich erhebliches Risiko der Begehung einer vergleichbaren Gewalttat.
39 
Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die vom Beklagten betonte Feststellung der formellen Voraussetzungen des § 66 b a.F. StGB durch die Staatsanwaltschaft nichts besagt, weil hier gerade keinerlei Aussage zu den materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung („wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“) gemacht wurde.
40 
Nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung wiederum über bestimmte Prozentränge für eine Eintrittswahrscheinlichkeit diskutiert haben und sie das auch schon in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 getan hatten, möchte der Senat - wie auch schon das Verwaltungsgericht - abschließend eine wichtige Aussage des Gutachters in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 hervorheben, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt. Er hatte dort ausdrücklich betont, dass sich die benannten Prozentränge nur aus einzelnen Checklisten und Tests ergäben und allein dienenden und ergänzenden Charakter haben können. Sie dürften in keinem Fall die auf der Exploration beruhende endgültige kriminalprognostische Beurteilung ersetzen oder maßgeblich mitbestimmen.
41 
2. Ist der die Ausweisung tragende Grund schwerwiegend, so ist an sich der Kläger gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat den Kläger, insbesondere wegen der vorhandenen minderjährigen Kinder deutscher Staatsangehörigkeit, entsprechend den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - VwZ 2008, 326) allerdings zutreffend nur im Ermessenswege ausgewiesen. Es ist damit von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall ausgegangen, denn allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG wird dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300). Der Senat geht in diesem Zusammenhang zugunsten des Klägers davon aus, dass die Ehefrau des Klägers und auch er weiter an der Ehe festhalten, weshalb diesem Umstand aufenthaltsrechtlich eine erhebliche und weit reichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, zumal da die Ehefrau deutsche Staatsangehörige ist (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133; vom 27.09.1978 - 1 C 79.76 - BVerwGE 56, 246; vom 17.1.1989 - 1 C 46.86 - NVwZ 1989, 770; auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschluss vom 15.6.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311). Weiter wird der Schutz erheblich verstärkt durch den Umstand, dass der Kläger nach wie vor das Sorgerecht hinsichtlich seiner deutschen Kinder hat und auch während der Haft mit diesen regelmäßig Kontakt pflegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.1980 - I 55.75 - BVerwGE 60, 126; vom 19.10.1982 - 1 C 100.78 - EzAR 124 Nr. 6). Die Frage des konkreten Schutzes wird nicht allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG erschöpfend beantwortet, ihr ist vielmehr im Rahmen der Ermessensausübung nochmals umfassend und differenziert nachzugehen. Der Schutz der deutsch/ausländischen Familie wird dabei nicht durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau und die Kinder selbst aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388).
42 
Der Beklagte hat im Rahmen der von ihm angestellten und in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet. Der Beklagte hat zwar erwogen, dass die Ehefrau und seine Kinder wegen ihrer Herkunft mit dem Kläger nach Kirgisistan zurückkehren und ihnen dieses vorübergehend zuzumuten sein könnte, hat aber bei seiner Ermessenentscheidung die endgültige Trennung letztlich unterstellt. Was das Gewicht der Folgen der Trennung betrifft, kann der Senat nicht unberücksichtigt lassen, dass gegenwärtig keinerlei persönliche Beziehung zur Ehefrau besteht und der Kläger eine Wiederaufnahme strikt abgelehnt hat und weiter ablehnt. Der Kläger konnte dem Senat auch in der mündlichen Verhandlung nicht plausibel machen, dass er ernsthaft an einer Klärung der Beziehung mit dem Ziel einer Wiederaufnahme zu arbeiten gewillt ist. Auch die Beziehung zu seinen beiden Kindern ist nach den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben auch unter angemessener Berücksichtigung der haftbedingten Erschwernisse eher lose und lässt eine intensive Teilhabe am Leben der Kinder vermissen. Es wurde auch nicht geltend gemacht, dass aus der ebenfalls maßgeblichen Sicht der Kinder eine besonders enge Bindung an den Vater besteht. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob in der Justizvollzugsanstalt F. häufigere persönliche Besuche möglich wären. Immerhin hat sich der Kläger gar nicht darauf berufen, dass diese nicht möglich wären, sondern ausschließlich geltend gemacht, der Bruder habe nicht mehr Zeit bzw. den Kindern werde bei der Autofahrt leicht schlecht. Der letztgenannte Grund leuchtet dem Senat nicht ein, wenn ein tiefer gehendes Interesse der Kinder bzw. des Klägers an einem unmittelbaren persönlichen Kontakt bestehen würde. Für diese Bewertung ist für den Senat maßgeblich, dass der Kläger beispielsweise keine genaueren Angaben über die Art der vom älteren Sohn besuchte Schule machen konnte, sondern erst auf entsprechende Nachfrage sagte, dass er nicht wisse, wie man die Schule bezeichne, und pauschal von „Mittelschule“ sprach. Dieser Umstand wie auch die Tatsache, dass er nur sehr allgemeine Angaben über den schulischen Werdegang der Kinder und deren sonstige Aktivitäten machen konnte, zeigen deutlich, dass das Interesse an seinen Kindern nicht besonders entwickelt ist. Beispielsweise konnte der Kläger nicht einmal präzise Angaben darüber machen, wo der ältere Sohn Taekwon-Do trainiere, ob etwa im Rahmen des Sportunterrichts oder außerhalb des schulischen Rahmens. Auch seine Schilderungen über den Ablauf der Besuchsaufenthalte in der Haft blieben sehr an der Oberfläche und blass. Vor dem Hintergrund der eher größeren Abstände der Besuche in der Haft konnte der Senat nicht nachvollziehen, dass er in 4 ½ Jahren seine Kinder nur 1 bis 2 Mal angerufen hat. Die Erklärung, dass er aus der Justizvollzugsanstalt auf deren Mobiltelefone nicht anrufen dürfe, wertet der Senat als Ausflucht. Denn es fehlt jeder Anhalt dafür, dass die Kinder nicht auch über einen Festnetzanschluss erreichbar sein könnten, auch wenn die Mutter über einen solchen nicht verfügen sollte. Wenn schon ein telefonischer Kontakt praktisch nicht stattfindet, so wäre bei einer wirklich gelebten intensiven persönlichen Beziehung wenigstens ein intensiver schriftlicher Kontakt zu erwarten gewesen, den der Senat aber auch nicht feststellen konnte. Nach den Angaben des Klägers schickt er lediglich Postkarten, und dann auch nur an Geburtstagen und etwa an Weihnachten. Angesichts dieser persönlichen und familiären Verhältnisse und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger erst im Alter von knapp 28 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist und nur 4 ½ Jahre straffrei im Bundesgebiet gelebt hat, erweist sich die Ausweisung in Ansehung der nicht von der Hand zu weisenden Besorgnis der Begehung vergleichbarer Gewalttaten und insbesondere unter Berücksichtigung der außerordentlich gravierenden Folgen der Tat auch nicht als unverhältnismäßig (vgl. auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif/Schweiz -InfAuslR 2001, 476; vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279; vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04, Maslov/Deutschland II - InfAuslR 2008, 333).
43 
Der Senat kann daher offen lassen, ob die Ausweisung auch allein durch generalpräventive Erwägungen getragen wäre (vgl. hierzu Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris).
44 
II. Für den Kläger ergeben sich auch aus Europarecht keine weitergehende Rechte, die seiner Ausweisung entgegenstehen.
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1. a) Der Europäische Gerichtshof hat zwar mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache C-34/09 (Ruiz Zambrano) in einem familiär ähnlich gelagerten Fall u.a. entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann.
46 
Ob damit, insbesondere was die Beurteilung der Rechte drittstaatsangehöriger Familienmitglieder betrifft, eine generelle Gleichstellung mit solchen Unionsbürgern verbunden ist, die bereits einmal von ihrer mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, und ob etwa die Bestimmungen der Unionsbürger-RL 2004/38/EG (namentlich dessen Art. 28) entsprechend anzuwenden sind (vgl. zum Anwendungsbereich deren Art. 3 Abs. 1 und nunmehr auch EuGH, Urteil vom 05.05.2011, Rs C-434/09, McCarthy), kann der Senat offenlassen (vgl. zu dieser Frage auch das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 20.01.2011 - 11 S 1069/10 - InfAuslR 2011, 133). Denn Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG stünde einer Ausweisung nicht entgegen (vgl. hierzu unten) und Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG wäre ohnehin im Falle des Klägers nicht anwendbar, da er sich noch nicht 10 Jahre im Bundesgebiet aufhält.
47 
Folge der nicht möglichen unmittelbaren Anwendbarkeit der Unionsbürger-RL 2004/38/EG ist dann auch, dass das FreizügigkeitsG/EU hier ebenfalls nicht unmittelbar anzuwenden ist, es vielmehr bei der Geltung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regeln zu verbleiben hat. Diese sind allerdings unionsrechtskonform zu handhaben.
48 
b) Auch wenn infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon am 01.12.2009 in Art. 24 der Grundrechtecharta (GRCh) die Kinderrechte gestärkt und bekräftigt werden, gilt der nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „Ruiz Zambrano“ aus der Unionsbürgerschaft nach Art. 20 AEUV folgende Aufenthaltsanspruch der drittstaatsangehörigen Eltern - ungeachtet einer möglichen entsprechenden Anwendbarkeit des Art. 28 RL 2004/38/EG -nicht unbeschränkt. Wie für den Fortbestand der Unionsbürgerschaft selbst (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-135/08, Rottmann, Rn. 55), muss auch für deren Reichweite der primärrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fruchtbar gemacht werden (vgl. Art. 5 Abs. 4 EUV). Hiernach gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Um hierbei die von Art. 6 Abs. 2 EUV sowie Art. 52 Abs. 3 und 7 GRCh angestrebte Einheitlichkeit des europäischen Menschenrechtsschutzes, d.h. den angestrebten materiell-rechtlichen Gleichlauf zwischen EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) des Europarates zu erreichen, sind bei straffällig gewordenen Eltern die vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zu Art. 8 EMRK entwickelten sog. Boultif/Üner-Kriterien heranzuziehen (EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476; Urteil vom 05.07.2005 - 46410/99 <Üner> - InfAuslR 2005, 450), die der Gerichtshof etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) zusammengefasst hat.
49 
Ob der Eingriff in das unionsbürgerliche Aufenthaltsrecht des Elternteils nach Art. 20 AEUV sowie das geschützte Familien- und Privatleben im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, entscheidet sich mithin immer im konkreten Einzelfall unter Abwägung der aufgeführten verschiedenen Belange. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, führt jedoch auch die Anwendung der Boultif/Üner-Kriterien im konkreten Einzelfall des Klägers nicht zu einem ihm günstigen Ergebnis.
50 
c) Die Ausweisung des Klägers, dem grundsätzlich der unionsbürgerrechtliche Schutz nach Art. 20 AEUV zukommt, erweist sich auch nicht bei Berücksichtigung der sonstigen Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs zu Ausweisungen als rechtswidrig. Zwar ist die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG (in entsprechender Anwendung) und der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann eröffnet, wenn in restriktiver Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Ausnahmebestimmungen unter Ausschluss generalpräventiver Überlegungen aufgrund eines persönlichen Verhaltens des Betroffenen eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung von diesem ausgeht, die darüber hinaus ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren muss (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs 67/74, Bonsignore - Slg. 1975, 297; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - Slg. 1975, 1219; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - Slg. 1977, 1999; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81, Adoui und Cornuaille - Slg. 1982, 1665; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86, Kommission/Bundesrepublik - Slg. 1989, 2363; vom 19.01.1999 - C-348/96, Calfa - Slg 1999, I-11). Dieser Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich im Verständnis des Gerichtshofs auf ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann ausreichen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erkennen lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01, Orfanopoulus und Oliveri - Slg. 2004, I-5257). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - a.a.O.). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet ist. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59).
51 
aa) Der Europäische Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes „gesellschaftliches Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - a.a.O.). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
52 
bb) Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Diese Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartig weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in den dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Europäischen Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit nur die „ultima ratio“ sein darf, stehen einem solchen Verständnis entgegen; es ist auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unionsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet.
53 
Das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung ist nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit, jedenfalls aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats immer dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise gewichtige Gründe dafür sprechen, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, ist dieses im Falle des Klägers anzunehmen.
54 
cc) Der Senat geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass die vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Schutzes vorliegen, auch wenn der Kläger aktuell seinen Kindern – abgesehen von gelegentlichen kleineren Geschenken – keinen Unterhalt leistet. Denn die Tatsache, dass er dies bis zu seiner Inhaftierung regelmäßig getan hat und er nunmehr aus objektiven Gründen daran gehindert ist, muss genügen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass er nach seiner Entlassung, so er über Erwerbseinkommen verfügt, weiter Unterhalt leisten wird.
55 
Angesichts der weiter bestehenden relevanten und nicht zu vernachlässigenden Wiederholungsgefahr erweist sich jedoch auch in Anwendung der unionsrechtlichen und menschenrechtlichen Maßstäbe die Ausweisung als ermessensfehlerfrei sowie als verhältnismäßig und durch ein Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz der körperlichen Integrität ihrer Bewohner gerechtfertigt. Insbesondere hat der Beklagte sich nach der Erörterung möglicher unionsrechtlicher Vorgaben in der mündlichen Verhandlung dieser vergewissert und seine Ermessenserwägungen überprüft sowie seine unionsrechtlich tragfähigen Überlegungen, weshalb an der Ausweisungsverfügung festgehalten werden soll, nachvollziehbar dargelegt (vgl. Seite 3 der Niederschrift vom 04.05.2011).
56 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung aus der Haft finden ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG. Der Senat kann offen lassen, ob sich für die Ausgestaltung einer Abschiebungsandrohung nunmehr besondere Vorgaben aus der Rückführungs-RL 2008/115/EG ergeben. Denn die Richtlinie gilt nach deren Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Nr. 4 nur für Rückkehrentscheidungen (vgl. auch deren Art. 6), die gegenüber illegal aufhältigen Ausländern ergehen. Der Kläger ist jedoch erst mit Wirksamwerden der Ausweisungsverfügung, die in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG zum Erlöschen gebracht hat, zum illegal aufhältigen Ausländer geworden.
57 
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Zulassung der Revision auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
58 
Beschluss
59 
vom 4. Mai 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.
61 
Der Beschluss ist unanfechtbar.
62 
Funke-Kaiser Prof. Dr. Bergmann Dr. Bauer

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 2010 - 5 K 1778/09 - insoweit geändert, als es die Klage als unbegründet abgewiesen hat.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 23. Juni 2009 wird (mit Ausnahme der in Ziffer 2 verfügten Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus) aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten der Verfahren in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1978 in Gornje (Kosovo) geborene Kläger ist kosovarischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 07.08.1996 in die Bundesrepublik ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 13.08.1996 abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage (Az.: A 14 K 30993/96). 1998 lernte er seine erste Ehefrau, die deutsche Staatsangehörige D. S. kennen, und heiratete sie am 22.06.1999. Am 24.09.1999 nahm er Asylantrag und Klage zurück. Er reiste am 18.05.2000 in sein Heimatland aus und am 11.06.2000 mit einem Visum zum Familiennachzug wieder in die Bundesrepublik ein.
Am 26.06.2000 wurde dem Kläger eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die anschließend mehrfach - zuletzt bis 24.06.2005 - verlängert wurde. Am 21.05.2004 beantragte der Kläger die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Mit Bescheid vom 14.07.2004 lehnte das Ausländeramt der Stadt W... diesen Antrag ab, weil beim Kläger Ausweisungsgründe vorlägen. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den er damit begründete, dass frühere Eintragungen im Zentralregister getilgt seien. Mit Bescheid vom 28.10.2004 half die Stadt Wiesloch dem Widerspruch ab und erteilte dem Kläger die begehrte unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Am 27.04.2006 wurde die erste Ehe des Klägers geschieden. Die im Jahr 2007 geschlossene zweite Ehe des Klägers mit einer Kosovarin, die im Kosovo lebte, hielt nur vier Monate. Im Januar 2008 heiratete der Kläger Frau G. D., die gleichfalls kosovarische Staatsangehörige ist. Aufgrund seiner Inhaftierung am 24.06.2008 kam es nicht zum Ehegattennachzug.
Der Kläger übte in der Bundesrepublik zunächst verschiedene kurzfristige Gelegenheitsjobs aus. Ab 2002 arbeitete er als Staplerfahrer bei der Firma R. in W... Bis zu seiner Inhaftierung hatte er dort eine feste Arbeitsstelle, bei der er ein Nettoeinkommen zwischen 1.800 EUR und 1.900 EUR erzielte.
Am 18.02.2009 verurteilte das Landgericht ... den Kläger wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl in zwölf Fällen, darunter in zwei tateinheitlichen Fällen, und wegen Beihilfe zum versuchten schweren Bandendiebstahl in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten (Az.: 1 KLs 45 Js 6611/08; rechtskräftig). Im Strafurteil wird ausgeführt, der Kläger habe sich im Mai 2008 mit drei anderen Mittätern zusammengeschlossen, um zwischen dem 24.05.2008 und dem 23.06.2008 nach gleich bleibender Methode Einbrüche in Gewerbebetriebe zu begehen. Die Bande habe in aller Regel Geld gesucht, wenngleich vereinzelt auch Kraftfahrzeuge und sonstige Wertgegenstände im Gesamtwert von fast 80.000 EUR erbeutet worden seien. Der Kläger habe an den insgesamt 21 Taten gelegentlich mitgewirkt. Er sei zwar von Anfang an in die Tatvorbereitung eingebunden gewesen. Planung und Auswahl des Einbruchsobjekts hätten ihm aber nicht oblegen. Bei der Tatausführung habe er lediglich als Fahrer agiert. An den eigentlichen Taten sei er nicht unmittelbar beteiligt gewesen und habe nicht gewusst, in welches Objekt seine Komplizen eingebrochen seien, weshalb er den Tatablauf in keiner Weise habe beeinflussen können. Er habe auch keinen gleichen Beuteanteil erhalten, sondern eine Belohnung, die regelmäßig deutlich hinter einem rechnerischen Anteil von einem Viertel bzw. später einem Fünftel zurückgeblieben sei. Zur Strafzumessung führte das Landgericht aus: Zwar sei ein minderschwerer Fall bei keiner Tat in Frage gekommen. Denn die rechtliche als Beihilfe zu qualifizierende Tat habe sich an der Grenze zur Mittäterschaft bewegt. Andererseits habe der Kläger als einziger Tatbeteiligter frühzeitig im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt, durch das auch die übrigen Beteiligten hätten namhaft gemacht werden können. Dies habe einerseits die Ermittlungen erheblich erleichtert, andererseits zu erheblichen Anfeindungen durch die anderen Beteiligten geführt. Zu Gunsten des Klägers sei zu berücksichtigen gewesen, dass er nicht vorbestraft und erstmals in Haft und seine Frau im Kosovo schwer erkrankt gewesen sei. Demgegenüber sei zu seinen Lasten zu berücksichtigen gewesen, dass er in einer gut bezahlten Arbeit gestanden und nicht aus einer finanziellen Notlage heraus gehandelt habe.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger mit Bescheid vom 23.06.2009 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1) und drohte ihm die Abschiebung in das Kosovo oder einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist. Für den Fall der Haftentlassung vor einer Abschiebung wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines Monat zu verlassen (Ziffer 2). Zur Begründung stützte sich das Regierungspräsidium primär auf spezialpräventive Gründe. Bei den von dem Kläger verwirklichten Delikten handele es sich um schwere Eigentumsdelikte, die in einer außerordentlichen Häufigkeit begangen worden seien. Die erforderliche Wiederholungsgefahr sei gegeben. Die Ausweisung des Klägers sei aber auch aus generalpräventiven Gründen geboten. Es sei unstreitig, dass Eigentumsdelikte, die in einer solch hohen Zahl und über einen relativ langen Zeitraum hinweg begangen würden, geeignet seien, eine generalpräventiv motivierte Ausweisung zu begründen. Innerhalb des Strafrahmens habe sein Strafmaß letztlich deutlich über der unteren Grenze von drei Monaten gelegen und in keinem Fall sei ein minderschwerer Fall angenommen worden. Deshalb sei es hier unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich, den Kläger zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auszuweisen. Seine privaten Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet müssten hinter dem öffentlichen Interesse zurückstehen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 29.06.2009 zugestellt.
Am 29.07.2009 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, die Straftaten gehörten zwar auf den ersten Blick zur mittleren bzw. schweren Kriminalität. Bei individueller Prüfung des Falles seien jedoch Besonderheiten gegeben, die den Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen ließen. Zu seiner Beteiligung an den Straftaten sei es gekommen, als ihn im Mai 2008 der Mitangeklagte G. - der Cousin seiner Ehefrau - gebeten habe, zwei Landsleute für eine gewisse Zeit in der Wohnung aufzunehmen. Er habe eingewilligt, weil es die Bitte eines Familienangehörigen gewesen sei. Kurze Zeit später sei er von G. gebeten worden, ihn und seine Freunde nachts irgendwo hinzufahren und sie gegebenenfalls auch wieder abzuholen. Da man ihm hierfür eine Belohnung versprochen habe, habe er seine anfänglichen Bedenken beiseite gewischt und eingewilligt. Grund hierfür sei gewesen, dass er seine im Kosovo lebende, an Krebs erkrankte Ehefrau mit Medikamenten versorgt und er deshalb, trotz regelmäßigen Einkommens, einen finanziellen Engpass gehabt habe. Wegen seiner späten aktiven Kooperation mit den Strafverfolgungsorganen sei er während der mehrtägigen Hauptverhandlung von den Mitangeklagten als „Verräter“ angefeindet worden. Berücksichtige man weiter den Umstand, dass er Ersttäter gewesen sei, sei bei individueller Prüfung nicht von einem schwerwiegenden Ausweisungsanlass auszugehen. Jedenfalls sei seine Ausweisung rechtswidrig, weil keine Wiederholungsgefahr angenommen werden könne. Er sei nicht vorbestraft und lebe seit über 13 Jahren in Deutschland. Er habe immer gearbeitet. Sein letztes Arbeitszeugnis belege, dass er „ein zuverlässiger, gewissenhafter und ehrlicher Mitarbeiter“ sei, der „seine Aufgaben immer selbstständig und termingerecht erledigt“ habe. Er sei in Deutschland nicht nur beruflich, sondern auch sozial integriert. Deutsch beherrsche er gut in Wort und Schrift. Sein Vollzug sei beanstandungsfrei. Bereits vier Monate nach seiner Inhaftierung habe er in der Gefängnisküche arbeiten dürfen. Auch der erstmalige Freiheitsentzug, der ihn nachhaltig beeindrucke, werde ihn davon abhalten, erneut straffällig zu werden. Eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen sei in seinem Fall nicht geboten, weil bereits der Ausweisungsgrund nicht hinreichend schwer wiege. Hinzu komme, dass sich sein besonders gelagerter Einzelfall nicht dazu eigne, andere Ausländer von der Begehung von Straftaten abzuhalten. Der Beklagte trat dem entgegen und führte aus, dass generalpräventiv motivierte Ausweisungen durchaus geeignet seien, entsprechende Wirkung zu erzeugen. In der Bundesrepublik würde eine Vielzahl von Landsleuten leben, die gerade auch im abgeurteilten Deliktsbereich delinquent würden. Im vorliegenden Falle sei es nach Abwägung aller Umstände ermessensgerecht, den Kläger jedenfalls generalpräventiv motiviert auszuweisen.
Mit Beschluss vom 07.05.2010 hat die Strafvollstreckungskammer am Landgericht ... die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung ausgesetzt. Der Kläger ist am 12.05.2010 aus der Haft entlassen worden. Er ist seit 01.06.2010 erneut in Vollzeit beschäftigt.
Mit Urteil vom 21.07.2010 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei unzulässig, soweit sie sich gegen die inzwischen erledigte Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus richte. Im Übrigen sei die Klage zulässig, jedoch nicht begründet. Zwar bestehe nach Überzeugung der Kammer im maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die für eine spezialpräventiv begründete Ausweisung erforderliche Wiederholungsgefahr nicht mehr. In generalpräventiver Hinsicht jedoch seien bei dem Kläger schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne eine Ausweisung grundsätzlich auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, also zu dem Zweck erfolgen, andere Ausländer zu einem ordnungsgemäßen Verhalten in der Bundesrepublik zu veranlassen und von der Begehung von Straftaten abzuschrecken. Dies gelte gerade auch für den Bereich des Bandendiebstahls als einer Art des organisierten Verbrechens. Dessen Bekämpfung habe wegen der großen Gefahren, die von ihm ausgingen, einen hohen Rang und erfordere in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein möglichst kontinuierliches Vorgehen auch der Ordnungsbehörden. Mit Rücksicht auf die hohe Gefährlichkeit der hier zu beurteilenden Kriminalität sei ein dringendes Bedürfnis gegeben, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung des Klägers andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Der Kläger halte sich zwar seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland auf und besitze seit 2000 einen Aufenthaltstitel, er sei aber erst als Erwachsener in das Bundesgebiet eingereist. Auch lebten seine Schwester und sein Bruder im Bundesgebiet; er habe aber noch starke Kontakte zum Kosovo. Schließlich erweise sich die Ausweisung nicht deswegen als unverhältnismäßig, weil der Kläger aufgrund seines Aussageverhaltens zur Aufklärung der Straftaten beigetragen und deshalb im Kosovo mit „erheblichen Repressalien" zu rechnen habe. Auch Art. 8 EMRK führe im konkreten Einzelfall nicht dazu, die Ausweisung des Klägers als unverhältnismäßig zu bewerten. Die Wirkungen der Ausweisung müssten auch nicht schon jetzt befristet werden.
10 
Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung führt der Kläger insbesondere aus, die Ausweisung verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Seine persönlichen Umstände würden nicht hinreichend gewichtet. Bereits 14 von 32 Lebensjahren habe er mit rechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet verbracht. Neben seiner persönlichen Prägung sei die gesamte berufliche Integration hier erfolgt. Sein Lebensmittelpunkt sei trotz bestehender Kontakte auch zu Kosovaren eindeutig in Deutschland. Sein Verhalten sei situationsbedingt und nicht in seiner Persönlichkeit begründet gewesen. Ein Vergleich seiner Biografie etwa mit den Biographien der Mittäter zeige, dass diese eine längere kriminelle Vergangenheit gehabt und für bandenmäßige Strukturen typische Verhaltenstendenzen aufgewiesen hätten. Er hingegen weise eine stabile Persönlichkeit auf und habe sich hier eine Existenz aufgebaut. Aus den besonderen Umständen des Einzelfalls folge, dass seine Ausweisung nicht geeignet sei, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuschrecken.
11 
Der Kläger beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 2010 – 5 K 1778/09 – insoweit zu ändern, als es die Klage als unbegründet abgewiesen hat und den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 23. Juni 2009 (mit Ausnahme der in Ziffer 2 verfügten Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus) aufzuheben.
13 
Das beklagte Land beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Es tritt dem Vortrag des Klägers entgegen und hält eine Ausweisung allein aus generalpräventiven Gründen im konkreten Einzelfall für möglich und gerechtfertigt.
16 
In der mündlichen Verhandlung erläuterte der Kläger, dass er einen guten Arbeitsplatz innehabe, bei dem er monatlich ca. 1.250 EUR (netto) verdiene. Sein Chef sei sehr zufrieden mit ihm und wolle ihn demnächst auf eine Schulung für Trocknungstechnik nach Stuttgart schicken. Er gehe fest davon aus, dass er „unbefristet“ weiterarbeiten könne. Bis auf Weiteres wohne er kostenfrei und könne deshalb auch etwas sparen. Er habe jedoch noch ca. 12.000 EUR Altschulden und ca. 23.000 EUR Schulden im Zusammenhang mit dem Strafverfahren; mit Hilfe der Schuldnerberatung der Diakonie W. suche er nach einer Lösung, wie er diese Schulden bewältigen könne. Die Ehe mit Frau G. D. sei seit 22.11.2010 geschieden. Er habe inzwischen eine deutsche Freundin, wolle sich mit dem Heiraten diesmal aber Zeit lassen.
17 
Im Rahmen der Erörterung der Rechtsfrage der fortdauernden Zulässigkeit einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung vertrat auch die Beklagten-Vertreterin den Standpunkt, vom Kläger ginge keine Wiederholungsgefahr aus, sodass eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen ausscheide.
18 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe, die Strafakten des Landgerichts ... und die Gefangenenpersonalakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist ebenso begründet wie seine Anfechtungsklage (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
20 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angefochtenen Androhung der Abschiebung in das Kosovo vor allem die Ausweisung des Klägers. Mit dem Verwaltungsgericht und den Beteiligten ist auch der Senat (nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung sowie insbesondere dem schlüssigen Strafaussetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 07.05.2010 und den positiven Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt in den Gefangenen-Personalakten) der Überzeugung, dass von dem Kläger heute keine gesteigerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden. Die Ausweisung wird von dem Beklagten deshalb allein tragend zur - generalpräventiven - Abschreckung anderer Ausländer aufrechterhalten. Damit verstößt sie hier im Lichte des gemäß Art. 8 EMRK qualifiziert geschützten Privatlebens gegen § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
21 
1. Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Verurteilung durch das Landgericht Heidelberg am 18.02.2009 zu zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe den Regel-Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG. Er genießt jedoch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthalts, jedenfalls seit 2000, und der am 28.10.2004 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis besonderen Ausweisungsschutz, weswegen er nach Satz 2 der Norm nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ausgewiesen werden darf. Maßgebend für die Frage, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, also des Senats. Ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, ist voll gerichtlich überprüfbar; es besteht für die Ausländerbehörde kein Beurteilungsspielraum.
22 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356).
23 
Erfüllt ein Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, - wie der Kläger - keinen der in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aufgeführten Ist- oder Regelausweisungsgründe, steht dies einer Ausweisung im Ermessenswege nicht entgegen (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). In diesem Fall fehlt es aber an einer gesetzlichen Vermutung für die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dennoch können solche schwerwiegenden Gründe auch bei Vorliegen eines sonstigen (Regel- oder Ermessens-)Ausweisungsanlasses gegeben sein. Erforderlich ist dann jedoch, dass dem Ausweisungsgrund ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - ZAR 2009, 145).
24 
2. Bei einer durch eine Straftat veranlassten Ausweisung, die tragend zur generalpräventiven Abschreckung anderer Ausländer verfügt oder aufrechterhalten wird, fehlt es im Lichte von Art. 8 EMRK in der Regel an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wenn hierdurch ein in Deutschland nachhaltig „verwurzelter“ Ausländer betroffen wird. Die regelmäßige Unzulässigkeit von tragend generalpräventiv motivierten Ausweisungen bei dieser Personengruppe folgert der Senat in einer Gesamtschau aus den neueren Rechtsprechungslinien sowohl des Bundesverfassungsgerichts (a) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - (b) und im Übrigen auch aus der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - bezüglich Unionsbürgern (c) sowie des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen (d). Dies gilt jedenfalls seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 (e).
25 
a) Im Beschluss der Zweiten Kammer des Zweiten Senats vom 10.08.2007 (- 2 BvR 535/06, Rn. 24 f. - NVwZ 2007, 1300) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
26 
„Eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Entscheidung über die Zulässigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung setzt … voraus, dass die Ausländerbehörde die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen sorgfältig ermittelt und eingehend würdigt. Ohne die Kenntnis von Einzelheiten der Tatbegehung und der persönlichen Situation des Betroffenen können in der Regel die Auswirkungen der Ausweisung auf die Individualinteressen nicht hinreichend sicher festgestellt und in einer einzelfallbezogenen Abwägung den die Ausweisung verlangenden Interessen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden. … Im Grundsatz nicht anders als bei der Würdigung der von dem Ausländer künftig ausgehenden Gefahren im Rahmen spezialpräventiv motivierter Ausweisungen genügt es insbesondere nicht, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen.“
27 
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, mit dieser inhaltlich teilweisen Neukonturierung des Anforderungsprofils habe das Bundesverfassungsgericht der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen „nicht nur die Zähne gezogen, sondern ihr - jedenfalls was eine praktische Anwendung betrifft - gleichsam auf kaltem Wege den (endgültigen) Todesstoß versetzt“ (Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht, VerwArch 2010, 507). Denn eine generalpräventive Ausweisung, die im Grundsatz nicht anders als bei einer spezialpräventiven Ausweisung auch eine Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der Umstände der begangenen Straftat verlangt und daran anschließend eine einzelfallbezogene Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit erfordert, sei in Wahrheit nichts anderes als eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen. Da das Wesen der generalpräventiven Ausweisung vor allem darin bestehe, eine Ausweisung ohne das Abstellen auf die individuelle Gefährlichkeit des Ausländers zu ermöglichen (so schon Pagenkopf, DVBl. 1975, S. 766), könne es allenfalls noch eine „generalpräventiv motivierte“ Ausweisung geben, die jedoch zugleich auch spezialpräventiv gerechtfertigt sein müsse. Ohnehin wäre eine selbständig rechtfertigende Wirkung generalpräventiver Erwägungen mit dem Garantiegehalt der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn diese schließe es aus, den Ausgewiesenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu denaturieren und ihn als Vehikel zu benutzen, um auf andere abschreckend und damit verhaltenssteuernd einzuwirken (Mayer, a.a.O., m.w.N.). Ob dies in dieser Allgemeinheit zutrifft, kann hier offen bleiben. Jedenfalls bei nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern, die sich auf den qualifizierten Schutz von Art. 8 EMRK berufen können - was nicht notwendig zugleich eine tiefgreifende „Entwurzelung“ voraussetzt -, steht der vom Bundesverfassungsgericht besonders betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvR 241/77 - BVerfGE 50, 166) einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aber in der Regel entgegen. Eine tragend generalpräventiv motivierte Ausweisung stellt sich bei nachhaltig „Verwurzelten“ auch im Lichte der Ausführungen des BVerfG mithin regelmäßig als unverhältnismäßig dar, sodass es an hierfür rechtfertigenden schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fehlt.
28 
b) Auch der Straßburger EGMR steht der Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich skeptisch gegenüber. Dies ergibt sich aus seiner Rechtsprechung zu Ausweisungen, die er an Art. 8 EMRK misst. Seine sogenannten Boultif/Üner-Kriterien hat er etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) wie folgt zusammengefasst:
29 
„Der Gerichtshof hat bekräftigt, dass in allen Rechtssachen, die niedergelassene Zuwanderer betreffen, bei der Prüfung der Frage, ob eine Ausweisungsmaßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stand, die folgenden Kriterien heranzuziehen sind:
30 
- Die Art und Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat;
- die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll;
- die seit der Tat verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit;
- die Staatsangehörigkeit der verschiedenen Betroffenen;
- die familiäre Situation des Beschwerdeführers, wie z.B. die Dauer der Ehe, und andere Faktoren, die erkennen lassen, wie intakt das Familienleben eines Ehepaars ist;
- ob der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin von der Straftat wusste, als er bzw. sie eine familiäre Beziehung einging;
- ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und gegebenenfalls deren Alter und
- das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin in dem Land, in das der Beschwerdeführer bzw. die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen wird.
31 
Im Urteil Üner hat der Gerichtshof außerdem ausdrücklich die beiden folgenden Kriterien genannt:
32 
- Die Belange und das Wohl der Kinder, insbesondere das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen Kinder des Beschwerdeführers in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen werden, und
- die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland.“
33 
Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht verlangt mithin auch der Menschenrechtsgerichtshof (angesiedelt auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung), dass für eine konventionsgemäße Ausweisung zwingend eine genaue und auf den Einzelfall bezogene Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der konkreten Umstände der begangenen Straftat getroffen und daran anschließend eine Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit durchgeführt wird (vgl. auch EGMR, Urteil vom 23.06.2008 - 1638/03 - Maslov). Auch dies läuft jedenfalls in rechtstatsächlicher Hinsicht sehr stark auf eine Ausweisung (nur oder nur auch) aus spezialpräventiven Gründen zu.
34 
c) Der Luxemburger EuGH hält hinsichtlich Unionsbürgern eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen schon seit 1975 für rechtswidrig, wie er erstmals im Urteil Bonsignore (Urteil vom 26.02.1975, Rs. 67/74, Rn. 7) klarstellte:
35 
„Auf die gestellten Fragen ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie Nr. 64/221 der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates entgegensteht, wenn diese zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird, das heißt, wenn sie - in der Formulierung des innerstaatlichen Gerichts - auf ‚generalpräventive‘ Gesichtspunkte gestützt wird.“
36 
Im Urteil Orfanopoulos und Oliveri (Urteil vom 29.04.2004, Rs. C-482/01 u. 493/01, Rn. 66-68) hat er dies 2004 nochmals ausführlicher dargelegt:
37 
„Maßnahmen der öffentlichen Ordnung sind nach Art. 3 der Richtlinie 64/221 nur dann gerechtfertigt, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen gestützt sind. In dieser Bestimmung heißt es, dass strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres diese Maßnahmen nicht rechtfertigen können. Wie der Gerichtshof u. a. im Urteil vom 27.10.1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 35) festgestellt hat, setzt die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
38 
Zwar kann ein Mitgliedstaat die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen, doch ist die Ausnahme der öffentlichen Ordnung eng auszulegen, so dass eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur insoweit rechtfertigen kann, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. u. a. Urteil vom 19.01.1999, Rs. C-348/96, Calfa, Rn. 22-24).
39 
Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass das Gemeinschaftsrecht der Ausweisung eines Angehörigen eines Mitgliedstaats entgegensteht, die auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt, d. h. zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird (vgl. u.a. Urteil Bonsignore, Rn. 7), insbesondere, wenn die Ausweisung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (vgl. Urteile Calfa, Rn. 27, und Nazli, Rn. 59).“
40 
d) Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Impulse aus Luxemburg aufgegriffen und seine diesbezügliche Rechtsprechung mit Urteil vom 03.08.2004 -1 C 30.02 - auch hinsichtlich der generalpräventiv begründeten Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern geändert (BVerwGE 121, 297, Rn. 24):
41 
„Die Gefährdung kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens ergeben. Es besteht aber keine dahin gehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet. Eine vom Einzelfall losgelöste oder auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützte Begründung der Ausweisung ist in jedem Fall unzulässig.“
42 
Im Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (BVerwGE 124, 243) wurde dies nochmals bekräftigt:
43 
„Das Gemeinschaftsrecht lässt eine Ausweisung ausnahmslos nur aus spezialpräventiven Gründen zu, d.h. zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von dem einzelnen Ausländer persönlich ausgehen, nicht aber - tragend oder auch nur mittragend - zur (generalpräventiven) Abschreckung anderer Ausländer.“
44 
Mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - (BVerwGE 121, 315, Rn. 17) hat das Bundesverwaltungsgericht diese Grundsätze des unionsrechtlichen Ausweisungsschutzes auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige erstreckt, d.h. deren Ausweisungsschutz in gleicher Weise materiellrechtlich begründet und ausgestaltet wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger:
45 
„Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Übertragung der nach dem Urteil des Senats im Verfahren BVerwG 1 C 30.02 anzuwendenden Maßstäbe entgegenstehen.“
46 
Der EuGH hat die Richtigkeit dieser Entscheidung mit Urteil vom 11.11.2004 (Rs. C-467/02 - Cetinkaya) bestätigt.
47 
Seither können freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur noch ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen darf eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt und auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet; aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfen daher nicht mehr aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zwecke der Generalprävention angeordnet werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - ZAR 2010, 284). Hier kann mithin kein „dringendes Bedürfnis“ mehr angenommen werden, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus „durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten“ (so noch: BVerwG, Beschluss vom 08.05.1996 - 1 B 136.95 - InfAuslR 1996, 299).
48 
Seit der 2. EU-Osterweiterung am 01.01.2007 kommen zunächst alle Staatsangehörigen der anderen 26 Mitgliedstaaten in den Genuss dieses europarechtlichen Ausweisungsschutzes. Das sind rund 35 % aller in Deutschland lebenden Ausländer (Stand: 31.12.2009; zit. nach BAMF, Ausländerzahlen 2009, S. 12). Hinzu kommen des Weiteren wohl rund 23 % türkische Staatsangehörige (vgl. BAMF, a.a.O., S. 11), weil nur ca. 5 % der in Deutschland lebenden Türken (ca. 25 % der ausländischen Bevölkerung von insgesamt 6,7 Mio. Menschen) kürzer als sechs Jahre hier leben; über 86 % der türkischen Staatsangehörigen leben sogar länger als 10 Jahre in Deutschland (vgl. BAMF, a.a.O. S. 14). Dies bedeutet ausländerrechtlich, dass sich möglicherweise rund 95 % der hier lebenden türkischen Staatsangehörigen auf Art. 6 oder 7 ARB 1/80 berufen können (vgl. Günes, Europäischer Ausweisungsschutz, 2009, S. 49 ff.). Geht man davon aus, dass zudem ein Teil sowohl der Unionsbürger als auch der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit ebenfalls aufenthaltsrechtlich besonders geschützten Drittstaatern (vgl. Art. 27 Abs. 2 Unionsbürger-RL 2004/38/EG, Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthalts-RL 2003/109/EG und Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 FreizügG/EU, Rn. 20 ff.) familiär verbunden ist, dürfte aufgrund insbesondere der Rechtsprechung des EuGH zwischenzeitlich möglicherweise für rund zwei Drittel aller in Deutschland lebenden Ausländer ein absolutes Verbot der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen bestehen. Dies würde deren - nach Auskunft des Beklagten und Erfahrung des Senats - heute nur noch sehr geringe Praxisrelevanz schlüssig erklären. Die Frage, ob vor diesem empirisch-europarechtlichen Hintergrund auch mangels „kontinuierlicher Verwaltungspraxis“ eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen überhaupt noch abschreckende Wirkung im Sinne einer „Verhaltenssteuerung“ entfalten kann - wofür im Übrigen die Ausländerbehörde darlegungs- und beweispflichtig wäre -, sei nur am Rande gestellt. Neuere empirische Studien hierzu hat der Senat jedenfalls nicht auffinden können.
49 
e) Die Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen beruht bis heute auf richterlicher Schöpfung, nicht aber auf einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers (vgl. GK-AufenthG, 6/2009, Vor §§ 53 ff., Rn. 1300.1, m.w.N.). Nach Überzeugung des Senats hat sie nunmehr auch bezüglich der in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländer ihre Berechtigung grundsätzlich verloren. Eine Anpassung ist erforderlich, um im Wege einer Gesamtschau insbesondere dem Schutz von Art. 8 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR noch besser gerecht zu werden und insoweit eine Angleichung mit der Rechtsprechung des EuGH zu erzielen. Die Personengruppe der nachhaltig „Verwurzelten“ steht Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen in mancherlei Hinsicht gleich. Da jedoch nach wie vor keine vollständige Identität der Rechtsstellung besteht, kann der Schutz vor einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung nur eine Grundregel darstellen.
50 
Anders als bei Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen kann bei „Verwurzelten“ demnach eine generalpräventiv begründete Ausweisung weiterhin ausnahmsweise zulässig sein, wenn ganz besonders schwerwiegende Delikte verwirklicht wurden, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährden. Als Maßstab aus anderen Regelungszusammenhängen kann sich - zur Fallgruppenbildung im Europäischen Rechtsraum - insoweit zum einen Art. 12 Abs. 2 der Qualifikations-RL 2004/83/EG anbieten (insbesondere „Terrorismusdelikte“; vgl. Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 AsylVfG Rn. 8 f.). Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es auch im europäischen Flüchtlingsrecht hier nicht auf eine gegenwärtige Wiederholungsgefahr an (EuGH, Urteil vom 09.11.2010, Rs. C-101/09 - Deutschland vs. D). Zum anderen kann der Rechtsgedanke von Art. 28 Abs. 3 Unionsbürger-RL 2004/38/EG herangezogen werden („staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte“), weil auch Unionsbürger insoweit selbst nach 10-jährigem Aufenthalt im Aufnahmestaat nur einen eingeschränkten Schutz gegen (weiterhin ausschließlich spezialpräventiv begründete) Ausweisungen genießen (EuGH, Urteil vom 23.11.2010, Rs. C-145/09 - Tsakouridis). Liegen jedoch keine vergleichbar schwerwiegenden Delikte vor, verdient derjenige, der sich in qualifizierter Weise auf Art. 8 EMRK berufen kann, insbesondere weil er in Deutschland ein nach der Rechtsprechung des EGMR nachhaltig zu schützendes Privatleben entfaltet hat, menschenrechtlich einen mit Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen vergleichbaren Ausweisungsschutz. Die weitgehende Vereinheitlichung des bisweilen nur noch schlecht überschaubaren Ausländerrechts liegt insoweit nahe.
51 
Als Stichtag bietet sich das Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon an, d.h. der 01.12.2009. Denn der Lissabon-Vertrag hebt den Prozess der europäischen Integration „auf eine neue Stufe“ (Abs. 1 EUV-Präambel) und strebt mit der Vergemeinschaftung, heute genauer „Verunionung“ (vgl. Art. 1 Abs. 3 Satz 3 EUV) der vormaligen 3. EU-Säule die Schaffung eines europaweiten „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ an, in dem - gerade auch für die Bereiche Asyl, Einwanderung und Freizügigkeit - im Wesentlichen einheitliche Standards gelten sollen (vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 ff. AEUV und das Stockholmer Programm vom 11.12.2010 - ABlEU Nr. C 115/1). Auch wird mit dem gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV angestrebten Beitritt der neu verfassten EU zur EMRK diese Konvention normhierarchisch gewissermaßen auf die höchste Stufe gestellt. Selbst das bezüglich allen nationalen Rechts anwendungsvorrangige Unionsrecht wird künftig vom EGMR am Maßstab der EMRK gemessen und, trotz EU-Grundrechtecharta, gegebenenfalls als menschenrechtswidrig eingestuft. Damit wird durch den Lissabon-Vertrag klargestellt - und mit dessen Ratifikation auch von der Bundesrepublik angestrebt -, dass in Sachen Menschenrechtsschutz der Straßburger EGMR europaweit „das letzte Wort“ haben soll (ausführlich: Bergmann, Diener dreier Herren? - Der Instanzrichter zwischen BVerfG, EuGH und EGMR, EuR 2006, S. 101). Der Straßburger Rechtsprechung ist deshalb seit 01.12.2009 noch größeres Gewicht beizumessen. Seit 01.12.2009 muss bei der dogmatischen Durchdringung und Fortbildung des mitgliedstaatlichen Rechts vom „Europäischen Rechtsraum“ her gedacht werden (v. Bogdandy, Perspektiven einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Handlexikon der EU, 4. Aufl., Baden-Baden, sowie JZ 2011, S. 4).
52 
Als diesbezügliches Vorbild für die Erstreckung des grundsätzlichen Verbots der generalpräventiven Ausweisung auf nachhaltig „verwurzelte“ Ausländer ab 01.12.2009 sieht der Senat die rechtspolitisch in gleiche Richtung weisende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur allgemeinen Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung. Mit Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28.08.2007 – nach der Geltung für Unionsbürger und sodann für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige – nunmehr bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist, was insoweit zu einer Rechtsvereinheitlichung in dem durch EGMR- und EuGH-Rechtsprechung geprägten Europäischen Rechtsraum geführt hat.
53 
3. Der Kläger ist ein in Deutschland „verwurzelter“ Ausländer und kann sich auf den Schutz von Art. 8 EMRK berufen. Der EGMR geht von einem weiten Begriff des Privatlebens aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“ sowie das „Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln“ und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - „gewachsenen Bindungen“ umfasst. Maßgebend ist, ob der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum Aufnahmestaat verfügt (vgl. die im Senatsurteil vom 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - referierte EGMR-Rechtsprechung). Im konkreten Einzelfall des Klägers ist dies nach Auffassung des Senats gegeben. Der Kläger lebt nunmehr bereits seit 14 Jahren im Bundesgebiet. Seine gesamte berufliche Entwicklung ist hier erfolgt. Hier leben enge Familienangehörige und sein Freundeskreis. Hier hat er einen Arbeitsplatz, der ihn ohne ergänzenden Sozialleistungsbezug unterhält. Hier verlebt der Kläger sein Privatleben mit seiner deutschen Partnerin.
54 
Auf die Frage der zugleich tiefgreifenden „Entwurzelung“ kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Denn auch der diesbezügliche Ausweisungsschutz von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen besteht unabhängig davon, ob die Sprache der früheren Heimat beherrscht wird oder ob dort etwa noch Verwandte bzw. Bekannte leben. Solche Umstände können allerdings (insbesondere auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung) einen noch weitergehenden Schutz gegenüber einer ausnahmsweise generalpräventiv oder aber spezialpräventiv motivierten Ausweisung begründen.
55 
Damit greift bezüglich des Klägers die oben dargelegte Regel des Verbots der tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser Regel vorliegen (Terrorismus, staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte), ist seine Ausweisung gesperrt. Anders formuliert fehlt es damit im konkreten Einzelfall an den für die Ausweisung erforderlichen „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Sinne von § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Die allein auf generalpräventive Motive gestützte Ausweisung des Klägers ist also im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat rechtswidrig.
II.
56 
Ist die angefochtene Ausweisung aufzuheben, entfällt die nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 50 Abs. 1 AufenthG entstandene Ausreisepflicht und die dem Kläger am 28.10.2004 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgilt, lebt wieder auf. Demgemäß ist auch die im Bescheid vom 23.06.2009 verfügte unselbständige Abschiebungsandrohung aufzuheben, soweit sie sich nach der Haftentlassung nicht erledigt hat. Denn Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist eine bestehende Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG (ebenso: Nds. OVG, Urteil vom 10.03.2011 - 8 LB 153/09 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2009 - 18 A 2620/08 - juris).
57 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
58 
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat und die Frage der Möglichkeit einer Ausweisung bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Gründen zur Herstellung einer bundeseinheitlichen Rechtslage vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden sollte. Das Bundesverwaltungsgericht ging bisher in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Straftat als Ausweisungsgrund im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG regelmäßig auch bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Erwägungen als besonders schwerwiegend bewertet werden und ein öffentliches Interesse an der Ausweisung des Ausländers begründen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25/03 - BVerwGE 121, 356; hierauf sich berufend etwa Bay. VGH, Beschluss vom 31.01.2011 - 10 ZB 10.2868 - juris).
59 
Beschluss vom 18. März 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
61 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
19 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist ebenso begründet wie seine Anfechtungsklage (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
20 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angefochtenen Androhung der Abschiebung in das Kosovo vor allem die Ausweisung des Klägers. Mit dem Verwaltungsgericht und den Beteiligten ist auch der Senat (nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung sowie insbesondere dem schlüssigen Strafaussetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 07.05.2010 und den positiven Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt in den Gefangenen-Personalakten) der Überzeugung, dass von dem Kläger heute keine gesteigerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden. Die Ausweisung wird von dem Beklagten deshalb allein tragend zur - generalpräventiven - Abschreckung anderer Ausländer aufrechterhalten. Damit verstößt sie hier im Lichte des gemäß Art. 8 EMRK qualifiziert geschützten Privatlebens gegen § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
21 
1. Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Verurteilung durch das Landgericht Heidelberg am 18.02.2009 zu zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe den Regel-Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG. Er genießt jedoch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthalts, jedenfalls seit 2000, und der am 28.10.2004 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis besonderen Ausweisungsschutz, weswegen er nach Satz 2 der Norm nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ausgewiesen werden darf. Maßgebend für die Frage, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, also des Senats. Ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, ist voll gerichtlich überprüfbar; es besteht für die Ausländerbehörde kein Beurteilungsspielraum.
22 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356).
23 
Erfüllt ein Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, - wie der Kläger - keinen der in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aufgeführten Ist- oder Regelausweisungsgründe, steht dies einer Ausweisung im Ermessenswege nicht entgegen (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). In diesem Fall fehlt es aber an einer gesetzlichen Vermutung für die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dennoch können solche schwerwiegenden Gründe auch bei Vorliegen eines sonstigen (Regel- oder Ermessens-)Ausweisungsanlasses gegeben sein. Erforderlich ist dann jedoch, dass dem Ausweisungsgrund ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - ZAR 2009, 145).
24 
2. Bei einer durch eine Straftat veranlassten Ausweisung, die tragend zur generalpräventiven Abschreckung anderer Ausländer verfügt oder aufrechterhalten wird, fehlt es im Lichte von Art. 8 EMRK in der Regel an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wenn hierdurch ein in Deutschland nachhaltig „verwurzelter“ Ausländer betroffen wird. Die regelmäßige Unzulässigkeit von tragend generalpräventiv motivierten Ausweisungen bei dieser Personengruppe folgert der Senat in einer Gesamtschau aus den neueren Rechtsprechungslinien sowohl des Bundesverfassungsgerichts (a) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - (b) und im Übrigen auch aus der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - bezüglich Unionsbürgern (c) sowie des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen (d). Dies gilt jedenfalls seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 (e).
25 
a) Im Beschluss der Zweiten Kammer des Zweiten Senats vom 10.08.2007 (- 2 BvR 535/06, Rn. 24 f. - NVwZ 2007, 1300) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
26 
„Eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Entscheidung über die Zulässigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung setzt … voraus, dass die Ausländerbehörde die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen sorgfältig ermittelt und eingehend würdigt. Ohne die Kenntnis von Einzelheiten der Tatbegehung und der persönlichen Situation des Betroffenen können in der Regel die Auswirkungen der Ausweisung auf die Individualinteressen nicht hinreichend sicher festgestellt und in einer einzelfallbezogenen Abwägung den die Ausweisung verlangenden Interessen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden. … Im Grundsatz nicht anders als bei der Würdigung der von dem Ausländer künftig ausgehenden Gefahren im Rahmen spezialpräventiv motivierter Ausweisungen genügt es insbesondere nicht, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen.“
27 
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, mit dieser inhaltlich teilweisen Neukonturierung des Anforderungsprofils habe das Bundesverfassungsgericht der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen „nicht nur die Zähne gezogen, sondern ihr - jedenfalls was eine praktische Anwendung betrifft - gleichsam auf kaltem Wege den (endgültigen) Todesstoß versetzt“ (Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht, VerwArch 2010, 507). Denn eine generalpräventive Ausweisung, die im Grundsatz nicht anders als bei einer spezialpräventiven Ausweisung auch eine Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der Umstände der begangenen Straftat verlangt und daran anschließend eine einzelfallbezogene Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit erfordert, sei in Wahrheit nichts anderes als eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen. Da das Wesen der generalpräventiven Ausweisung vor allem darin bestehe, eine Ausweisung ohne das Abstellen auf die individuelle Gefährlichkeit des Ausländers zu ermöglichen (so schon Pagenkopf, DVBl. 1975, S. 766), könne es allenfalls noch eine „generalpräventiv motivierte“ Ausweisung geben, die jedoch zugleich auch spezialpräventiv gerechtfertigt sein müsse. Ohnehin wäre eine selbständig rechtfertigende Wirkung generalpräventiver Erwägungen mit dem Garantiegehalt der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn diese schließe es aus, den Ausgewiesenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu denaturieren und ihn als Vehikel zu benutzen, um auf andere abschreckend und damit verhaltenssteuernd einzuwirken (Mayer, a.a.O., m.w.N.). Ob dies in dieser Allgemeinheit zutrifft, kann hier offen bleiben. Jedenfalls bei nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern, die sich auf den qualifizierten Schutz von Art. 8 EMRK berufen können - was nicht notwendig zugleich eine tiefgreifende „Entwurzelung“ voraussetzt -, steht der vom Bundesverfassungsgericht besonders betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvR 241/77 - BVerfGE 50, 166) einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aber in der Regel entgegen. Eine tragend generalpräventiv motivierte Ausweisung stellt sich bei nachhaltig „Verwurzelten“ auch im Lichte der Ausführungen des BVerfG mithin regelmäßig als unverhältnismäßig dar, sodass es an hierfür rechtfertigenden schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fehlt.
28 
b) Auch der Straßburger EGMR steht der Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich skeptisch gegenüber. Dies ergibt sich aus seiner Rechtsprechung zu Ausweisungen, die er an Art. 8 EMRK misst. Seine sogenannten Boultif/Üner-Kriterien hat er etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) wie folgt zusammengefasst:
29 
„Der Gerichtshof hat bekräftigt, dass in allen Rechtssachen, die niedergelassene Zuwanderer betreffen, bei der Prüfung der Frage, ob eine Ausweisungsmaßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stand, die folgenden Kriterien heranzuziehen sind:
30 
- Die Art und Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat;
- die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll;
- die seit der Tat verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit;
- die Staatsangehörigkeit der verschiedenen Betroffenen;
- die familiäre Situation des Beschwerdeführers, wie z.B. die Dauer der Ehe, und andere Faktoren, die erkennen lassen, wie intakt das Familienleben eines Ehepaars ist;
- ob der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin von der Straftat wusste, als er bzw. sie eine familiäre Beziehung einging;
- ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und gegebenenfalls deren Alter und
- das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin in dem Land, in das der Beschwerdeführer bzw. die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen wird.
31 
Im Urteil Üner hat der Gerichtshof außerdem ausdrücklich die beiden folgenden Kriterien genannt:
32 
- Die Belange und das Wohl der Kinder, insbesondere das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen Kinder des Beschwerdeführers in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen werden, und
- die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland.“
33 
Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht verlangt mithin auch der Menschenrechtsgerichtshof (angesiedelt auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung), dass für eine konventionsgemäße Ausweisung zwingend eine genaue und auf den Einzelfall bezogene Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der konkreten Umstände der begangenen Straftat getroffen und daran anschließend eine Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit durchgeführt wird (vgl. auch EGMR, Urteil vom 23.06.2008 - 1638/03 - Maslov). Auch dies läuft jedenfalls in rechtstatsächlicher Hinsicht sehr stark auf eine Ausweisung (nur oder nur auch) aus spezialpräventiven Gründen zu.
34 
c) Der Luxemburger EuGH hält hinsichtlich Unionsbürgern eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen schon seit 1975 für rechtswidrig, wie er erstmals im Urteil Bonsignore (Urteil vom 26.02.1975, Rs. 67/74, Rn. 7) klarstellte:
35 
„Auf die gestellten Fragen ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie Nr. 64/221 der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates entgegensteht, wenn diese zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird, das heißt, wenn sie - in der Formulierung des innerstaatlichen Gerichts - auf ‚generalpräventive‘ Gesichtspunkte gestützt wird.“
36 
Im Urteil Orfanopoulos und Oliveri (Urteil vom 29.04.2004, Rs. C-482/01 u. 493/01, Rn. 66-68) hat er dies 2004 nochmals ausführlicher dargelegt:
37 
„Maßnahmen der öffentlichen Ordnung sind nach Art. 3 der Richtlinie 64/221 nur dann gerechtfertigt, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen gestützt sind. In dieser Bestimmung heißt es, dass strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres diese Maßnahmen nicht rechtfertigen können. Wie der Gerichtshof u. a. im Urteil vom 27.10.1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 35) festgestellt hat, setzt die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
38 
Zwar kann ein Mitgliedstaat die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen, doch ist die Ausnahme der öffentlichen Ordnung eng auszulegen, so dass eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur insoweit rechtfertigen kann, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. u. a. Urteil vom 19.01.1999, Rs. C-348/96, Calfa, Rn. 22-24).
39 
Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass das Gemeinschaftsrecht der Ausweisung eines Angehörigen eines Mitgliedstaats entgegensteht, die auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt, d. h. zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird (vgl. u.a. Urteil Bonsignore, Rn. 7), insbesondere, wenn die Ausweisung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (vgl. Urteile Calfa, Rn. 27, und Nazli, Rn. 59).“
40 
d) Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Impulse aus Luxemburg aufgegriffen und seine diesbezügliche Rechtsprechung mit Urteil vom 03.08.2004 -1 C 30.02 - auch hinsichtlich der generalpräventiv begründeten Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern geändert (BVerwGE 121, 297, Rn. 24):
41 
„Die Gefährdung kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens ergeben. Es besteht aber keine dahin gehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet. Eine vom Einzelfall losgelöste oder auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützte Begründung der Ausweisung ist in jedem Fall unzulässig.“
42 
Im Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (BVerwGE 124, 243) wurde dies nochmals bekräftigt:
43 
„Das Gemeinschaftsrecht lässt eine Ausweisung ausnahmslos nur aus spezialpräventiven Gründen zu, d.h. zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von dem einzelnen Ausländer persönlich ausgehen, nicht aber - tragend oder auch nur mittragend - zur (generalpräventiven) Abschreckung anderer Ausländer.“
44 
Mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - (BVerwGE 121, 315, Rn. 17) hat das Bundesverwaltungsgericht diese Grundsätze des unionsrechtlichen Ausweisungsschutzes auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige erstreckt, d.h. deren Ausweisungsschutz in gleicher Weise materiellrechtlich begründet und ausgestaltet wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger:
45 
„Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Übertragung der nach dem Urteil des Senats im Verfahren BVerwG 1 C 30.02 anzuwendenden Maßstäbe entgegenstehen.“
46 
Der EuGH hat die Richtigkeit dieser Entscheidung mit Urteil vom 11.11.2004 (Rs. C-467/02 - Cetinkaya) bestätigt.
47 
Seither können freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur noch ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen darf eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt und auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet; aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfen daher nicht mehr aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zwecke der Generalprävention angeordnet werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - ZAR 2010, 284). Hier kann mithin kein „dringendes Bedürfnis“ mehr angenommen werden, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus „durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten“ (so noch: BVerwG, Beschluss vom 08.05.1996 - 1 B 136.95 - InfAuslR 1996, 299).
48 
Seit der 2. EU-Osterweiterung am 01.01.2007 kommen zunächst alle Staatsangehörigen der anderen 26 Mitgliedstaaten in den Genuss dieses europarechtlichen Ausweisungsschutzes. Das sind rund 35 % aller in Deutschland lebenden Ausländer (Stand: 31.12.2009; zit. nach BAMF, Ausländerzahlen 2009, S. 12). Hinzu kommen des Weiteren wohl rund 23 % türkische Staatsangehörige (vgl. BAMF, a.a.O., S. 11), weil nur ca. 5 % der in Deutschland lebenden Türken (ca. 25 % der ausländischen Bevölkerung von insgesamt 6,7 Mio. Menschen) kürzer als sechs Jahre hier leben; über 86 % der türkischen Staatsangehörigen leben sogar länger als 10 Jahre in Deutschland (vgl. BAMF, a.a.O. S. 14). Dies bedeutet ausländerrechtlich, dass sich möglicherweise rund 95 % der hier lebenden türkischen Staatsangehörigen auf Art. 6 oder 7 ARB 1/80 berufen können (vgl. Günes, Europäischer Ausweisungsschutz, 2009, S. 49 ff.). Geht man davon aus, dass zudem ein Teil sowohl der Unionsbürger als auch der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit ebenfalls aufenthaltsrechtlich besonders geschützten Drittstaatern (vgl. Art. 27 Abs. 2 Unionsbürger-RL 2004/38/EG, Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthalts-RL 2003/109/EG und Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 FreizügG/EU, Rn. 20 ff.) familiär verbunden ist, dürfte aufgrund insbesondere der Rechtsprechung des EuGH zwischenzeitlich möglicherweise für rund zwei Drittel aller in Deutschland lebenden Ausländer ein absolutes Verbot der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen bestehen. Dies würde deren - nach Auskunft des Beklagten und Erfahrung des Senats - heute nur noch sehr geringe Praxisrelevanz schlüssig erklären. Die Frage, ob vor diesem empirisch-europarechtlichen Hintergrund auch mangels „kontinuierlicher Verwaltungspraxis“ eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen überhaupt noch abschreckende Wirkung im Sinne einer „Verhaltenssteuerung“ entfalten kann - wofür im Übrigen die Ausländerbehörde darlegungs- und beweispflichtig wäre -, sei nur am Rande gestellt. Neuere empirische Studien hierzu hat der Senat jedenfalls nicht auffinden können.
49 
e) Die Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen beruht bis heute auf richterlicher Schöpfung, nicht aber auf einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers (vgl. GK-AufenthG, 6/2009, Vor §§ 53 ff., Rn. 1300.1, m.w.N.). Nach Überzeugung des Senats hat sie nunmehr auch bezüglich der in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländer ihre Berechtigung grundsätzlich verloren. Eine Anpassung ist erforderlich, um im Wege einer Gesamtschau insbesondere dem Schutz von Art. 8 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR noch besser gerecht zu werden und insoweit eine Angleichung mit der Rechtsprechung des EuGH zu erzielen. Die Personengruppe der nachhaltig „Verwurzelten“ steht Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen in mancherlei Hinsicht gleich. Da jedoch nach wie vor keine vollständige Identität der Rechtsstellung besteht, kann der Schutz vor einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung nur eine Grundregel darstellen.
50 
Anders als bei Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen kann bei „Verwurzelten“ demnach eine generalpräventiv begründete Ausweisung weiterhin ausnahmsweise zulässig sein, wenn ganz besonders schwerwiegende Delikte verwirklicht wurden, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährden. Als Maßstab aus anderen Regelungszusammenhängen kann sich - zur Fallgruppenbildung im Europäischen Rechtsraum - insoweit zum einen Art. 12 Abs. 2 der Qualifikations-RL 2004/83/EG anbieten (insbesondere „Terrorismusdelikte“; vgl. Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 AsylVfG Rn. 8 f.). Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es auch im europäischen Flüchtlingsrecht hier nicht auf eine gegenwärtige Wiederholungsgefahr an (EuGH, Urteil vom 09.11.2010, Rs. C-101/09 - Deutschland vs. D). Zum anderen kann der Rechtsgedanke von Art. 28 Abs. 3 Unionsbürger-RL 2004/38/EG herangezogen werden („staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte“), weil auch Unionsbürger insoweit selbst nach 10-jährigem Aufenthalt im Aufnahmestaat nur einen eingeschränkten Schutz gegen (weiterhin ausschließlich spezialpräventiv begründete) Ausweisungen genießen (EuGH, Urteil vom 23.11.2010, Rs. C-145/09 - Tsakouridis). Liegen jedoch keine vergleichbar schwerwiegenden Delikte vor, verdient derjenige, der sich in qualifizierter Weise auf Art. 8 EMRK berufen kann, insbesondere weil er in Deutschland ein nach der Rechtsprechung des EGMR nachhaltig zu schützendes Privatleben entfaltet hat, menschenrechtlich einen mit Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen vergleichbaren Ausweisungsschutz. Die weitgehende Vereinheitlichung des bisweilen nur noch schlecht überschaubaren Ausländerrechts liegt insoweit nahe.
51 
Als Stichtag bietet sich das Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon an, d.h. der 01.12.2009. Denn der Lissabon-Vertrag hebt den Prozess der europäischen Integration „auf eine neue Stufe“ (Abs. 1 EUV-Präambel) und strebt mit der Vergemeinschaftung, heute genauer „Verunionung“ (vgl. Art. 1 Abs. 3 Satz 3 EUV) der vormaligen 3. EU-Säule die Schaffung eines europaweiten „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ an, in dem - gerade auch für die Bereiche Asyl, Einwanderung und Freizügigkeit - im Wesentlichen einheitliche Standards gelten sollen (vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 ff. AEUV und das Stockholmer Programm vom 11.12.2010 - ABlEU Nr. C 115/1). Auch wird mit dem gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV angestrebten Beitritt der neu verfassten EU zur EMRK diese Konvention normhierarchisch gewissermaßen auf die höchste Stufe gestellt. Selbst das bezüglich allen nationalen Rechts anwendungsvorrangige Unionsrecht wird künftig vom EGMR am Maßstab der EMRK gemessen und, trotz EU-Grundrechtecharta, gegebenenfalls als menschenrechtswidrig eingestuft. Damit wird durch den Lissabon-Vertrag klargestellt - und mit dessen Ratifikation auch von der Bundesrepublik angestrebt -, dass in Sachen Menschenrechtsschutz der Straßburger EGMR europaweit „das letzte Wort“ haben soll (ausführlich: Bergmann, Diener dreier Herren? - Der Instanzrichter zwischen BVerfG, EuGH und EGMR, EuR 2006, S. 101). Der Straßburger Rechtsprechung ist deshalb seit 01.12.2009 noch größeres Gewicht beizumessen. Seit 01.12.2009 muss bei der dogmatischen Durchdringung und Fortbildung des mitgliedstaatlichen Rechts vom „Europäischen Rechtsraum“ her gedacht werden (v. Bogdandy, Perspektiven einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Handlexikon der EU, 4. Aufl., Baden-Baden, sowie JZ 2011, S. 4).
52 
Als diesbezügliches Vorbild für die Erstreckung des grundsätzlichen Verbots der generalpräventiven Ausweisung auf nachhaltig „verwurzelte“ Ausländer ab 01.12.2009 sieht der Senat die rechtspolitisch in gleiche Richtung weisende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur allgemeinen Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung. Mit Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28.08.2007 – nach der Geltung für Unionsbürger und sodann für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige – nunmehr bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist, was insoweit zu einer Rechtsvereinheitlichung in dem durch EGMR- und EuGH-Rechtsprechung geprägten Europäischen Rechtsraum geführt hat.
53 
3. Der Kläger ist ein in Deutschland „verwurzelter“ Ausländer und kann sich auf den Schutz von Art. 8 EMRK berufen. Der EGMR geht von einem weiten Begriff des Privatlebens aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“ sowie das „Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln“ und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - „gewachsenen Bindungen“ umfasst. Maßgebend ist, ob der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum Aufnahmestaat verfügt (vgl. die im Senatsurteil vom 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - referierte EGMR-Rechtsprechung). Im konkreten Einzelfall des Klägers ist dies nach Auffassung des Senats gegeben. Der Kläger lebt nunmehr bereits seit 14 Jahren im Bundesgebiet. Seine gesamte berufliche Entwicklung ist hier erfolgt. Hier leben enge Familienangehörige und sein Freundeskreis. Hier hat er einen Arbeitsplatz, der ihn ohne ergänzenden Sozialleistungsbezug unterhält. Hier verlebt der Kläger sein Privatleben mit seiner deutschen Partnerin.
54 
Auf die Frage der zugleich tiefgreifenden „Entwurzelung“ kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Denn auch der diesbezügliche Ausweisungsschutz von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen besteht unabhängig davon, ob die Sprache der früheren Heimat beherrscht wird oder ob dort etwa noch Verwandte bzw. Bekannte leben. Solche Umstände können allerdings (insbesondere auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung) einen noch weitergehenden Schutz gegenüber einer ausnahmsweise generalpräventiv oder aber spezialpräventiv motivierten Ausweisung begründen.
55 
Damit greift bezüglich des Klägers die oben dargelegte Regel des Verbots der tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser Regel vorliegen (Terrorismus, staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte), ist seine Ausweisung gesperrt. Anders formuliert fehlt es damit im konkreten Einzelfall an den für die Ausweisung erforderlichen „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Sinne von § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Die allein auf generalpräventive Motive gestützte Ausweisung des Klägers ist also im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat rechtswidrig.
II.
56 
Ist die angefochtene Ausweisung aufzuheben, entfällt die nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 50 Abs. 1 AufenthG entstandene Ausreisepflicht und die dem Kläger am 28.10.2004 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgilt, lebt wieder auf. Demgemäß ist auch die im Bescheid vom 23.06.2009 verfügte unselbständige Abschiebungsandrohung aufzuheben, soweit sie sich nach der Haftentlassung nicht erledigt hat. Denn Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist eine bestehende Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG (ebenso: Nds. OVG, Urteil vom 10.03.2011 - 8 LB 153/09 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2009 - 18 A 2620/08 - juris).
57 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
58 
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat und die Frage der Möglichkeit einer Ausweisung bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Gründen zur Herstellung einer bundeseinheitlichen Rechtslage vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden sollte. Das Bundesverwaltungsgericht ging bisher in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Straftat als Ausweisungsgrund im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG regelmäßig auch bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Erwägungen als besonders schwerwiegend bewertet werden und ein öffentliches Interesse an der Ausweisung des Ausländers begründen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25/03 - BVerwGE 121, 356; hierauf sich berufend etwa Bay. VGH, Beschluss vom 31.01.2011 - 10 ZB 10.2868 - juris).
59 
Beschluss vom 18. März 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
61 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. In Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wendet sich gegen seine Ausweisung.
Er ist am 01.10.1981 in ... geboren und dort aufgewachsen. Sein 1947 geborener Vater war im Bundesgebiet seit 1973 erwerbstätig und verstarb 2009 an den Folgen einer 1999 diagnostizierten Krebserkrankung. Seine 1950 geborene Mutter lebt seit 1978 in Deutschland und ist nach einem Hirninfarkt mit Halbseitenlähmung und weiteren Erkrankungen hilfebedürftig. Sie wird durch Familienmitglieder unterstützt und gepflegt. Im Bundesgebiet leben die vier älteren, in den Jahren 1971, 1972, 1973 und 1979 geborenen Brüder des Klägers, die teilweise hier eigene Familien haben. Die drei ältesten Brüder wuchsen zunächst bei ihren Großeltern in der Türkei auf und kamen im Kindesalter nach Deutschland.
Am 02.10.1997 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Er erwarb 1998 den Hauptschulabschluss und schloss am 18.07.2001 eine Lehre als Verpackungsmittelmechaniker erfolgreich ab. Sein bisheriger Ausbildungsbetrieb setzte ihn in unmittelbarem Anschluss an das Ende seiner Ausbildung als Drucker ein. Nach eigenen Angaben arbeitete der Kläger wegen einer durch die andauernde Belastung mit Lösungsmitteln hervorgerufenen Erkrankung nur etwa zwei Jahre in seinem erlernten Beruf. Danach bezog er Arbeitslosengeld. Im Jahre 2003 war er kurzzeitig als Konzessionsinhaber des Pizza-Services „...“ in ... registriert, wobei die Pizzeria aufgrund einer „Verrechnung“ in einem Drogengeschäft erworben worden war.
Der Kläger wurde am 06.10.1999 in einem Zug einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen, bei der ein Gramm Marihuana und eine Haschischpfeife gefunden wurden. Von der Verfolgung wurde nach § 45 Abs. 1 JGG abgesehen. Nach einem „Tipp aus der Szene“ wurde gegen ihn ab dem Sommer 2003 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Am 08.04.2004 erließ das Amtsgericht ... deswegen einen Haftbefehl, seit 09.05.2005 bestand ein europäischer Haftbefehl. Die Verhaftung des Klägers erfolgte am 02.06.2005 in den Niederlanden. Am 12.08.2005 wurde er an die deutschen Behörden überstellt; zuvor hatte er sich in den Niederlanden erfolglos um gerichtlichen Rechtsschutz gegen seine Auslieferung bemüht.
Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Kläger mit Urteil vom 24.11.2005 - 5 KLs 221 Js 100500/04 -, das noch am gleichen Tag rechtskräftig wurde, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe. Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit dem gesondert verfolgten Mittäter ... Y., wurde angeordnet.
Das Landgericht traf ausweislich der nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründe im Wesentlichen folgende Feststellungen: Der Kläger beschloss spätestens Mitte des Jahres 2002, sich aus dem fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana eine Einnahmequelle von einem gewissen Umfang und einer gewissen Dauer zu verschaffen. Er verkaufte im Sommer 2002 zweimal jeweils mindestens ein Kilo Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10% gewinnbringend zum Grammpreis von 4,30 EUR an die gesondert verfolgten M.K. und A.Y. (Taten 1 und 2 gemäß des Strafurteils). Spätestens im Oktober 2002 beschlossen der Kläger und der gesondert verfolgte ... Y., sich in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken durch den fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana in Stuttgart eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Die Beschaffung und den Vertrieb organisierten sie arbeitsteilig, wobei ... Y. sich die Letztentscheidungskompetenz vorbehielt. Das Marihuana, dessen THC-Gehalt mindestens 15% betrug, verkauften sie an A.M. der es seinerseits an seine Abnehmer G.L. und F.M. weiterveräußerte. Gegenstand der im Strafurteil im Einzelnen aufgeführten und zwischen Oktober 2002 und April 2003 begangenen Taten 3 - 12 (UA S. 4 f.) waren insgesamt mindestens 24,5 kg Marihuana, wobei von den bei den Taten 9, 11 und 12 gehandelten Rauschgiftmengen etwa 12,8 kg sichergestellt werden konnten. Die Polizei verhaftete F.M. am 09.04.2003 und A.M. am 16.04.2003. Spätestens Anfang Dezember 2003 schlossen sich der Kläger, ... Y., M.Y. sowie die beiden Brüder des Klägers N. und M. zu einer Gruppierung zusammen mit dem Ziel, künftig in ... und Umgebung für eine gewisse Dauer erhebliche Mengen Marihuana sowie Kokain jeweils guter Qualität (Wirkstoffgehalt THC mindestens 10 % bzw. Kokainhydrochlorid mindestens 35 %) gewinnbringend weiterzuverkaufen, um sich daraus eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Entsprechend der gemeinsamen Abrede vereinbarten sie ein arbeitsteiliges Vorgehen, wobei es Aufgabe des Klägers und von ... Y. war, die Betäubungsmittelbeschaffung und deren Weiterverkauf zu organisieren. Insbesondere legten sie gemeinsam die jeweiligen Lieferzeitpunkte fest und kontrollierten den Zahlungsverkehr. Mittels sog. Palms glichen sie von Zeit zu Zeit die von ihnen arbeitsteilig erzielten Ergebnisse ab. Im Verhältnis untereinander konnte ... Y. dem Kläger Weisungen erteilen. Bei Bedarf teilten beide den anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zu. Als Umschlagplatz für die Betäubungsmittel diente die von beiden gemeinsam bewohnte Wohnung im Anwesen ..., nachdem die Kurierfahrzeuge zuvor von anderen Bandenmitgliedern in verschiedenen Tiefgaragen in ... entladen worden waren. Spätestens Ende Januar 2004 schloss sich ... F. der Gruppierung an. ... Y. bot diesem in Absprache mit dem Kläger zunächst an, als Security-Mann für ihn zu arbeiten. Nachdem F. dieses Angebot angenommen hatte, wurde ihm innerhalb kürzester Zeit klar, dass der Kläger und ... Y. ihren aufwändigen Lebensstil aus Rauschgiftgeschäften finanzierten. In der Folge erklärte er sich auf Nachfrage der beiden bereit, bei dem Rauschgifthandel mitzumachen. Da der Kläger und ... Y. aus ihrer seitherigen Lieferquelle den wachsenden Marihuana-Absatz nicht mehr vollständig bedienen konnten, beauftragte ... Y. in Absprache mit dem Kläger F., neue Lieferquellen zu erschließen. F. nahm Kontakt mit einem nicht näher identifizierten Russen namens „...“ auf und vereinbarte und organisierte mit diesem Lieferungen von Marihuana aus den Niederlanden, wobei man sich zur „Geschäftsabwicklung“ teilweise in Heinsberg traf. Im März 2004 stieß schließlich J.L. zu der Bande. Dieser hatte sich Anfang Januar 2004 vom Kläger Geld geliehen, was er jedoch nicht zurückzahlen konnte. Zur Abgeltung dieser Schulden erklärte sich L. bereit, an dem Rauschgifthandel mitzuwirken. Gegenstand der abgeurteilten 16 Taten, die im Zeitraum zwischen Dezember 2003 und 06.04.2004 begangen worden waren, waren insgesamt etwa 205 kg Marihuana sowie 500 g Kokain, wobei 15 kg Marihuana sichergestellt werden konnten. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Taten wird auf die Feststellungen des Landgerichts verwiesen (dort Taten Nrn. 13 bis 28, UA S. 7 - 15). Die Feststellungen zur Sache beruhten dem Strafurteil zufolge auf dem umfassenden, im Vorfeld der Hauptverhandlung abgelegten Geständnis des Klägers, das sich einerseits mit den vom Zeugen KHK K. glaubhaft berichteten Ermittlungsergebnissen aus dem umfassenden Gesamtermittlungskomplex und andererseits den Feststellungen in dem gegen die übrigen Bandenmitglieder ergangenen Strafurteil vom 15.03.2005 deckte.
Zur Strafzumessung führte das Landgericht unter anderem aus: Für eine Strafrahmenverschiebung nach § 31 BtMG sei kein Raum gewesen. Zwar habe der Kläger im Rahmen seiner polizeilichen Angaben - wie KHK K. berichtet habe -umfängliche, über seinen eigenen Tatbeitrag hinausgehende Aufklärungshilfe geleistet. Diese erschöpfe sich jedoch, von einem in seiner Erfolgsaussicht derzeit noch nicht abschließend zu beurteilenden Ermittlungsansatz abgesehen, maßgeblich in der Bestätigung des bereits durch die Angaben des ... Y. bekannten Ermittlungsstandes. Innerhalb des für die Taten 1 bis 12 geltenden Strafrahmens nach § 29a Abs. 1 BtMG und des für die Taten 13 bis 28 zur Anwendung kommenden Strafrahmens nach § 30a Abs. 1 BtMG sei zu Gunsten des nicht vorbestraften Klägers sein umfassendes Geständnis gewertet worden, welches zu einer nennenswerten Verfahrensabkürzung geführt habe. In diesem Zusammenhang habe die Strafkammer auch die geleistete Aufklärungshilfe strafmildernd gewertet. In gleicher Weise sei die Länge der erlittenen Auslieferungs- und Untersuchungshaft sowie der Umstand gewichtet worden, dass der Kläger als Erstverbüßer äußerst strafempfindlich sei. Auch die im Raume stehenden ausländerrechtlichen Folgen der vorliegenden Verurteilung seien strafmildernd gewertet worden. Zu Gunsten des Klägers sei bezüglich der Taten 9, 11, 12 und 28 strafmildernd berücksichtigt worden, dass Rauschgift habe sichergestellt werden können und nicht in den Verkehr gelangt sei. Zudem habe die Strafkammer strafmildernd gewertet, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt gewesen sei. Zu seinen Lasten fielen strafschärfend die jeweils erheblichen Mengen an Rauschgift sowie das Handeltreiben mit Kokain als einem der gefährlichsten Rauschgifte ins Gewicht. Bei den Taten 13 bis 28 sei zu seinen Lasten berücksichtigt worden, dass die Tatinitiative jeweils von ihm - zusammen mit ... Y. - ausgegangen sei, zu seinen Gunsten sei jedoch seine Weisungsgebundenheit gegenüber diesem einzustellen. Schließlich sei seine extrem große kriminelle Energie strafschärfend gewichtet worden, welche insbesondere in der hohen Tatfrequenz zum Ausdruck gekommen sei.
Ausweislich des Protokolls des Landgerichts über die Hauptverhandlung gab es zwischen der Strafkammer, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger Gespräche über eine einvernehmliche Verfahrensabkürzung. Die Strafkammer sagte dem Kläger für den Fall eines umfassenden Geständnisses und der Bereitschaft, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, zu, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als neun Jahren zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft sagte für diesen Fall zu, das weitere anhängige Ermittlungsverfahren im bisher bekannten Umfang einzustellen und erklärte, dass die Zusage nur für den Fall einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens neun Jahren gilt.
Die übrigen Bandenmitglieder waren bereits durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.03.2005 - 5 KLs 221 Js 95338/03 - zu Freiheitsstrafen verurteilt worden - unter anderem ... Y. zu 10 Jahren, M.Y. zu 6 Jahren, N.B. zu 6 Jahren und 2 Monaten sowie M.B. zu 6 Jahren und 6 Monaten. Nach den hinsichtlich aller Angeklagten gem. § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründen des Urteils beruhten die Feststellungen zur Sache auf den umfassenden sich wechselseitig bestätigenden und daher glaubhaften Geständnissen sämtlicher Angeklagter, die auch durch die vom Zeugen KHK K. nachvollziehbar berichteten Ermittlungsergebnisse aus den stattgefundenen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie Observationen gestützt wurden.
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Der Kläger selbst hatte ab dem 16.11.2005 in polizeilichen Vernehmungen Angaben gemacht. Nach seiner Verurteilung wurde der Kläger erneut in der Zeit zwischen Januar 2006 und Juni 2006 polizeilich vernommen. ... Y., der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde, hatte bereits vor den Angaben des Klägers zur Sache umfangreich über Hintermänner, Lieferanten und Abnehmer des Rauschgifthandels ausgesagt. Nach einem Schreiben von KHK K. an das Regierungspräsidium Stuttgart vom 17.03.2008 seien aufgrund der Aussagen des „Bandenkopfes“, dessen rechter Hand und weiterer Bandenmitglieder, welche zwischenzeitlich bei der Polizei Angaben gemacht hätten, etwa 90 Strafverfahren eingeleitet worden, die teilweise zu langjährigen Freiheitsstrafen geführt hätten. Das aufgrund der ab Januar 2006 erfolgten Angaben gegen den Kläger eröffnete Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Verfügung vom 16.03.2007 - 221 Js 26457/06 - nach § 154 StPO ein.
11 
Das Regierungspräsidium Stuttgart nahm die Verurteilung des Klägers zum Anlass, ihn mit Verfügung vom 04.10.2006 aus dem Bundesgebiet auszuweisen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung in die Türkei ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht und die Abschiebung auf den Zeitpunkt der Haftentlassung angekündigt. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger besitze eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80. Folglich könne er nur unter dem Vorbehalt der Beschränkungen aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und nach Ermessen ausgewiesen werden. Die von ihm vorsätzlich und tatmehrheitlich begangenen Betäubungsmittelstraftaten wögen ausgesprochen schwer, da er sich unter anderem mit anderen Personen zu einer Bande zusammen geschlossen habe, die allein aus Gewinnstreben höchst umfangreich einen schwunghaften Handel mit Marihuana in höheren Kilogrammbereich betrieben habe. Dass es sich dabei „nur“ um Marihuana gehandelt habe, ändere an der Schwere der Tat nichts, denn über diese Einstiegsdroge führe oft der Weg in eine schwere Drogenabhängigkeit. Zudem habe er in einem Fall auch die harte Droge Kokain in einer Menge von ca. 500 Gramm verkauft. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei gegeben. Diese entfalle auch nicht im Hinblick auf das Geständnis im Strafverfahren. Eine echte Einsicht und Reue lasse sich daraus nicht ableiten, zumal die Beweislage wegen der Telekommunikationsüberwachung und der polizeilichen Observation erdrückend gewesen sei. Der Ausweisung stehe Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG und der darin enthaltene besondere Ausweisungsschutz nicht entgegen. Diese gemeinschaftsrechtliche Vorschrift sei auf türkische Staatsangehörige, die sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen könnten, nicht anzuwenden. Der Kläger sei zwar im Bundesgebiet geboren und hier aufgewachsen, doch überwiege sein durchaus erhebliches Interesse, von der Ausweisung verschont zu bleiben, nicht das herausragende öffentliche Interesse an der wirksamen Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. Die Wahrscheinlichkeit, dass er im Bundesgebiet erneut straffällig werde, sei ausgesprochen hoch. Es werde nicht übersehen, dass er Schwierigkeiten haben werde, sich in der Türkei einzugewöhnen. Er könne aufgrund seines Alters jedoch ohne weiteres allein klar kommen, zumal er zumindest Grundkenntnisse der türkischen Sprache besitze. Vor dem Hintergrund des höchst kriminellen Fehlverhaltens sei es ihm zumutbar, die mit einer Abschiebung in die Türkei verbundenen Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen und dort zu überwinden - zumal die Straftaten auf eine nicht abgeschlossene Integration in die deutschen Lebensverhältnisse schließen ließen. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass er noch Bindungen in der Türkei habe. Hierauf deute auch der Kauf einer Eigentumswohnung dort durch seinen Bruder M. hin. Die familiäre Verbundenheit mit den im Bundesgebiet lebenden Angehörigen den Eltern und Brüdern stehe der Ausweisung nicht entgegen. Diese stehe mit Art. 8 EMRK in Einklang.
12 
Zur Begründung seiner fristgerecht erhobenen Klage trug der Kläger vor: Die Ausweisungsverfügung verstoße gegen nationale und internationale Vorschriften. Er könne nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Diese Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Abgesehen davon sei seine Ausweisung auch aus anderen Gründen fehlerhaft. Schon vor seiner Verurteilung habe er damit begonnen, mit seiner kriminogenen Vergangenheit abzuschließen. Seine Zeugenaussagen, die bewirkt hätten, dass er in ständiger Bedrohung lebe, hätten zu einer strafrechtlichen Verfolgung einer Vielzahl von Personen geführt. Seine Entwicklung nach der Tat und sein in jeder Hinsicht beanstandungsfreies Verhalten im Vollzug zeigten, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgehe. Seine Integration in deutsche Lebensverhältnisse sei abgeschlossen; daran ändere seine Straffälligkeit nichts. Seine Bezugspersonen lebten alle in Deutschland. Hier habe er einen festen Freundeskreis. Verbindungen in die Türkei habe er keine mehr. Auch sei sein früherer Mittäter ... Y. in den Zeugenschutz aufgenommen worden, was wiederum für diesen zumindest ein Abschiebungshindernis bedeute. Er dürfe ausländerrechtlich nicht schlechter behandelt werden als dieser und als seine eigenen Brüder, die im Bundesgebiet bleiben könnten. Auch bilde er sich weiter. Er plane und betreibe seine Schuldenregulierung, die bei einer Abschiebung in die Türkei nicht mehr erfolgen könnte. Seine Ausweisung verstoße gegen Art. 8 EMRK.
13 
Das Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte mit Urteil vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - die Ausweisungsverfügung des beklagten Landes, das der Klage entgegen getreten war.
14 
Da sowohl die angefochtene Verfügung als auch das Urteil des Verwaltungsgerichts davon ausgingen, die Ausweisung des Klägers richte sich aufgrund seiner Rechtstellung nach Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80 nach Art. 14 ARB 1/80 und offen sei, ob auch assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige sich auf den Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG berufen können, ließ der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 22.07.2008 - 13 S 1244/08 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu. Die vom Kläger unter Stellung eines Antrags fristgerecht begründete Berufung wurde mit Blick auf das durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 22.07.2008 - 13 S 1917/07 - bei Europäischen Gerichtshof zu dieser Frage bereits anhängig gemachte Vorabentscheidungsersuchen (C-371/08) ausgesetzt.
15 
Der Kläger war zunächst in der JVA ... und sodann in der JVA ... in Haft. Dort teilte er sich mit seinen zwei Brüdern - aus Sicherheitsgründen - die Zelle. In der JVA ... arbeitete er seit dem 14.03.2006 in der Druckerei und eignete sich hier die Reprofilmmontage, die Druckplattenkopie und die Filmarchivierung an. Nach der Bescheinigung der JVA - Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen - vom 09.07.2009 habe er sich im Laufe seiner Tätigkeit in der Druckerei in seinem Verhalten gegenüber Vorgesetzten und auch Mitgefangenen sehr positiv entwickelt; er zeichne sich hauptsächlich durch Zuverlässigkeit, Qualitätsbewusstsein und Loyalität aus. Betäubungsmittelkontrollen während der Haft waren negativ. Mit Wirkung zum 26.08.2009 wurde der Kläger als Freigänger zugelassen, um ab dem 30.08.2009 einen zwei Jahre dauernden Umschulungslehrgang am ... Berufskolleg beginnen zu können. Die in Vollzeit stattfindende Ausbildung „Mediengestalter Digital und Print, Schwerpunkt: Gestaltung und Technik“ endet mit einer Abschlussprüfung vor der IHK. Nach den Bescheiden der Bundesagentur für Arbeit vom 07.09.2009 werden die Kosten des Lehrgangs von insgesamt 17.518,60 EUR als Leistungen für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme von dieser getragen, darüber hinaus erhält der Kläger ein monatliches Arbeitslosengeld gemäß § 117 SGB III in Höhe von 797,40 EUR.
16 
Mit Schreiben vom 09.03.2010 beantragte der Kläger die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.11.2005 und führte hierin unter anderem aus: Er habe durch seine umfangreiche, wahrheitsgemäße Aufklärungshilfe glaubwürdig Abstand von seinen kriminellen Taten genommen. Im Strafvollzug habe er sich mit der Bedeutung und den Folgen der Rauschgiftkriminalität in Diskussionsrunden und mit dem Bewährungspersonal aktiv und kritisch auseinandergesetzt. Dabei habe er nicht nur die ihn selbst betreffenden negativen Folgen seiner Taten durch den Strafvollzug in aller Deutlichkeit an „Haut und Haaren“ durchleben müssen. Auch die Gefahren und negativen Folgen, die von Rauschgift gegenüber der Allgemeinheit ausgingen, habe er in zahlreichen Diskussionsrunden mit Mithäftlingen und Resozialisierungspersonal erstmals in seinem jungen Leben in aller Deutlichkeit aufgezeigt bekommen und bleibend aufgenommen. Aufgrund der während des Strafvollzugs gewonnenen Erkenntnisse über die vom Rauschgift ausgehende Gefährlichkeit für die Gesundheit des Einzelnen und der Allgemeinheit habe er, ohne dass dies naturgemäß in seinem eigenen Strafverfahren im Urteil des Landgerichts Stuttgart berücksichtigt worden sei, nach seiner Verurteilung weiterhin mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet und durch seine Aussage die Sprengung von zahlreichen, bandenmäßig organisierten Rauschgifthändlern herbeigeführt. Er habe Angaben zu Lieferanten und Abnehmern gemacht, von denen die Ermittlungsbehörden vor seiner Aussage keinerlei Kenntnis gehabt hätten.
17 
Die JVA ... erstellte am 10.05.2010 dem Kläger unter Hinweis auf den beanstandungsfreien Verlauf von Vollzug und Vollzugslockerungen eine positive Sozialprognose und befürwortete seine bewährungsweise Entlassung.
18 
Das Landgericht ... - Auswärtige Strafvollstreckungskammer ... - setzte nach Einholung eines kriminalprognostischen Gutachtens bei Dr. X. - Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie - mit Beschluss vom 26.10.2010 die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und der Kläger für die Dauer der ersten beiden Jahre der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt. Der Kläger wurde am 28.10.2010 - und damit etwa ein halbes Jahr vor der Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe - aus dem Strafvollzug entlassen. Am 12.02.2011 heiratete er nach islamischem Ritus ... D., die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Mit ihr und den beiden vier und acht Jahre alten Kindern von Frau D. aus einer früheren Beziehung lebt er in familiärer Lebensgemeinschaft.
19 
Nachdem der Europäische Gerichtshof die Rechtssache Tsakouridis (C-145/09) mit Urteil vom 23.11.2010 entschieden und das beklagte Land mit Schriftsatz vom 12.01.2011 auf den Umstand hingewiesen hatte, der Kläger habe anlässlich seiner kriminalprognostischen Begutachtung angegeben, er habe sich vor seiner Verhaftung 14 Monate in den Niederlanden aufgehalten, hat der Senat mit Beschluss vom 21.01.2011 den Aussetzungsbeschluss aufgehoben.
20 
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger nunmehr vor: Seine Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 seien nicht erloschen. Dies folge schon aus Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG. Die Vorschrift konkretisiere den Zeitraum, der für den Erhalt unionsrechtlich begründeter Aufenthaltsrechte bei Auslandsaufenthalten anzuwenden sei. Im Übrigen habe er sich nach seiner Flucht nicht durchgehend in den Niederlanden aufgehalten. Er habe die Aufenthalte zwischen Deutschland und den Niederladen gewechselt. In dieser Zeit habe er auch regelmäßig seine Familie getroffen. Treffpunkt sei jeweils Köln gewesen. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 23.11.2010 sei die Berufung begründet. Die Erstreckung der Kriterien für eine Aufenthaltsbeendigung nach dem Maßstab des Art. 45 Abs. 3 AEUV, der mit demjenigen des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG übereinstimme, auf Art. 14 ARB 1/80 sei ungeklärt. Der EuGH leite im Urteil Tsakouridis jedoch die Zulässigkeit der Ausweisung von Drogenhändlern aus der Gefahr her, die der Drogenhandel für die Gesellschaft darstelle. Um die Gesellschaft zu schützen und den Drogenhandel wirksam bekämpfen zu können, griffen heute die Mitgliedstaaten zu Mitteln wie der Kronzeugenregelung. Mittätern würden für den Fall der Aussage Vergünstigungen zugesagt, die von geringeren Strafen bis zur Verleihung einer anderen Identität reichen könnten. Er habe sich stets aussagebereit gezeigt und Aufklärungshilfe geleistet. Wegen seines Aussageverhaltens seien ihm Drohungen zugekommen. Von ihm gehe keine gegenwärtige Gefahr mehr aus. Seine Verfehlungen seien einmalig gewesen. Er sei Ersttäter und die Strafhaft habe ihn beeindruckt. Er habe in der JVA ... Gespräche zur Tataufbereitung mit dem Psychologen M. geführt. Eine Rückfallneigung sei zu verneinen. Das bestätige das Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das ihm einen nachhaltigen Gesinnungswandel attestiere. Er habe sich aus der Drogenszene gelöst und wolle das auch in Zukunft einhalten. Im Übrigen stünde eine Ausweisung im Widerspruch zur gezeigten Aussagebereitschaft und zur Kronzeugenregelung. Die Aussagebereitschaft würde nicht gefördert, wenn sie mit Ausweisung „belohnt“ würde. Eine Ausweisung würde ihn auch vollständig entwurzeln. Er sei im Bundesgebiet geboren, aufgewachsen und vollständig integriert. Deutsch sei seine Muttersprache. Würde er durch Ausweisung von seiner Familie und seiner Verlobten getrennt und in eine sprachfremde Umgebung verbracht, würde er in eine verzweifelte Lage gebracht werden. Allein und ohne Sprachkenntnisse käme er in der Türkei nicht zurecht. Im Übrigen seien sein Nachtatverhalten und seine Resozialisierung so außergewöhnlich, dass eine Wiederholungsgefahr unter jeder Betrachtung entfallen sei. Seine Haftverbüßung habe abschreckend gewirkt und eine starken Verhaltensänderung herbeigeführt. Er sei nicht drogenabhängig und habe jegliche Beziehungen und Strukturen zu ehemaligen kriminellen Personen für immer abgebrochen. Er habe Aussicht auf den Erlass des größten Teils der Schulden, sofern er sich weiterhin gut führe, sowie auf eine Festanstellung nach Ende seiner Ausbildung bei der Firma, bei der er derzeit sein Praktikum mache.
21 
Der Kläger beantragt zuletzt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zu ändern und Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006 aufzuheben.
23 
Das beklagte Land beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Es entgegnet: Die Rechtspositionen des Klägers aus Art. 7 ARB 1/80 seien erloschen. Mit seiner Flucht im April 2004 habe er seinen Lebensmittelpunkt in einen anderen Staat verlagert, weil er sich auf diese Weise dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden dauerhaft habe entziehen wollen. Insoweit seien Unionsrecht und damit die Frage der Anwendung des Art. 28 Abs. 3 lit. a Richtlinie 2004/38/EG nicht relevant und die Ausweisung richte sich nur nach nationalem Recht. Es bestehe ungeachtet des Nachtatverhaltens des Klägers und seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft weiterhin unter dem Gesichtspunkt der ordnungsrechtlichen Gefahrenabwehr ein Bedürfnis, den Kläger aus spezialpräventiven und daneben auch aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Art. 8 EMRK und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stünden dem nicht entgegen. Der Kläger könne aufgrund seiner beruflichen Qualifikation in der Türkei ohne weiteres eine Arbeitsmöglichkeit finden. Wenn er nunmehr aus der Haft entlassen worden sei und an seiner beruflichen Bildung arbeite, so mindere dies das ausgesprochen schwere Gewicht des spezial- und generalpräventiven Grundes nicht. Nichts anderes gelte hinsichtlich der neuen Partnerin, mit der der Kläger allerdings nicht verheiratet sei.
26 
Der Vertreter des beklagten Landes hat in der Berufungsverhandlung die Abschiebungsandrohung (Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006) aufgehoben.
27 
Der Senat hat Dr. X. zur Erläuterung ihres kriminalprognostischen Gutachtens vom 07.09.2010 angehört und KHK K. als Zeugen vernommen. Hinsichtlich ihrer Angaben wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
28 
Wegen des weiteren Vortrags und Sachverhalts wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Akten verwiesen. Der Senat hat die Strafakten des Landgerichts Stuttgart (3 Bände) und die Ermittlungsakten (25 Leitzordner) im Verfahren 5 KLs 221 Js 100500/04, die Strafvollstreckungsakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart (1 Band), das Bewährungsheft (1 Band) und die Gefangenenpersonalakten (5 Bände) sowie die Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 beigezogen. Diese sind ebenso wie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart, die Ausländerakten der Stadt Stuttgart (2 Bände) und die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (1 Band), Grundlage der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
68 
Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
76 
Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
85 
Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
86 
Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
87 
Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
88 
Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
89 
Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
90 
Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
92 
Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
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Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
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Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
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Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
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Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
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Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
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Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
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Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
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Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
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Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen nach diesem Gesetz und den zur Durchführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen werden Gebühren und Auslagen erhoben. Die Gebührenfestsetzung kann auch mündlich erfolgen. Satz 1 gilt nicht für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen der Bundesagentur für Arbeit nach den §§ 39 bis 42. § 287 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt. Satz 1 gilt zudem nicht für das Mitteilungsverfahren im Zusammenhang mit der kurzfristigen Mobilität von Studenten nach § 16c, von unternehmensintern transferierten Arbeitnehmern nach § 19a und von Forschern nach § 18e.

(2) Die Gebühr soll die mit der individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung verbundenen Kosten aller an der Leistung Beteiligten decken. In die Gebühr sind die mit der Leistung regelmäßig verbundenen Auslagen einzubeziehen. Zur Ermittlung der Gebühr sind die Kosten, die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen als Einzel- und Gemeinkosten zurechenbar und ansatzfähig sind, insbesondere Personal- und Sachkosten sowie kalkulatorische Kosten, zu Grunde zu legen. Zu den Gemeinkosten zählen auch die Kosten der Rechts- und Fachaufsicht. Grundlage der Gebührenermittlung nach den Sätzen 1 bis 4 sind die in der Gesamtheit der Länder und des Bundes mit der jeweiligen Leistung verbundenen Kosten.

(3) Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die gebührenpflichtigen Tatbestände und die Gebührensätze sowie Gebührenbefreiungen und -ermäßigungen, insbesondere für Fälle der Bedürftigkeit. Soweit dieses Gesetz keine abweichenden Vorschriften enthält, finden § 3 Absatz 1 Nummer 1 und 4, Absatz 2 und 4 bis 6, die §§ 4 bis 7 Nummer 1 bis 10, die §§ 8, 9 Absatz 3, die §§ 10 bis 12 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 sowie die §§ 13 bis 21 des Bundesgebührengesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) in der jeweils geltenden Fassung entsprechende Anwendung.

(4) Abweichend von § 4 Absatz 1 des Bundesgebührengesetzes können die von den Auslandsvertretungen zu erhebenden Gebühren bereits bei Beantragung der individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung erhoben werden. Für die von den Auslandsvertretungen zu erhebenden Gebühren legt das Auswärtige Amt fest, ob die Erhebung bei den jeweiligen Auslandsvertretungen in Euro, zum Gegenwert in Landeswährung oder in einer Drittwährung erfolgt. Je nach allgemeiner Verfügbarkeit von Einheiten der festgelegten Währung kann eine Rundung auf die nächste verfügbare Einheit erfolgen.

(5) Die in der Rechtsverordnung bestimmten Gebühren dürfen folgende Höchstsätze nicht übersteigen:

1.
für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis: 140 Euro,
1a.
für die Erteilung einer Blauen Karte EU: 140 Euro,
1b.
für die Erteilung einer ICT-Karte: 140 Euro,
1c.
für die Erteilung einer Mobiler-ICT-Karte: 100 Euro,
2.
für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis: 200 Euro,
2a.
für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU: 200 Euro,
3.
für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU oder einer ICT-Karte: 100 Euro,
3a.
für die Verlängerung einer Mobiler-ICT-Karte: 80 Euro,
4.
für die Erteilung eines nationalen Visums und die Ausstellung eines Passersatzes und eines Ausweisersatzes: 100 Euro,
5.
für die Anerkennung einer Forschungseinrichtung zum Abschluss von Aufnahmevereinbarungen oder einem entsprechenden Vertrag nach § 18d: 220 Euro,
6.
für sonstige individuell zurechenbare öffentliche Leistungen: 80 Euro,
7.
für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen zu Gunsten Minderjähriger: die Hälfte der für die öffentliche Leistung bestimmten Gebühr,
8.
für die Neuausstellung eines Dokuments nach § 78 Absatz 1, die auf Grund einer Änderung der Angaben nach § 78 Absatz 1 Satz 3, auf Grund des Ablaufs der technischen Kartennutzungsdauer, auf Grund des Verlustes des Dokuments oder auf Grund des Verlustes der technischen Funktionsfähigkeit des Dokuments notwendig wird: 70 Euro,
9.
für die Aufhebung, Verkürzung oder Verlängerung der Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes: 200 Euro.

(6) Für die Erteilung eines nationalen Visums und eines Passersatzes an der Grenze darf ein Zuschlag von höchstens 25 Euro erhoben werden. Für eine auf Wunsch des Antragstellers außerhalb der Dienstzeit vorgenommene individuell zurechenbare öffentliche Leistung darf ein Zuschlag von höchstens 30 Euro erhoben werden. Gebührenzuschläge können auch für die individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen gegenüber einem Staatsangehörigen festgesetzt werden, dessen Heimatstaat von Deutschen für entsprechende öffentliche Leistungen höhere Gebühren als die nach Absatz 3 festgesetzten Gebühren erhebt. Die Sätze 2 und 3 gelten nicht für die Erteilung oder Verlängerung eines Schengen-Visums. Bei der Festsetzung von Gebührenzuschlägen können die in Absatz 5 bestimmten Höchstsätze überschritten werden.

(7) Die Rechtsverordnung nach Absatz 3 kann vorsehen, dass für die Beantragung gebührenpflichtiger individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen eine Bearbeitungsgebühr erhoben wird. Die Bearbeitungsgebühr für die Beantragung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU darf höchstens die Hälfte der für ihre Erteilung zu erhebenden Gebühr betragen. Die Gebühr ist auf die Gebühr für die individuell zurechenbare öffentliche Leistung anzurechnen. Sie wird auch im Falle der Rücknahme des Antrages und der Versagung der beantragten individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung nicht zurückgezahlt.

(8) Die Rechtsverordnung nach Absatz 3 kann für die Einlegung eines Widerspruchs Gebühren vorsehen, die höchstens betragen dürfen:

1.
für den Widerspruch gegen die Ablehnung eines Antrages auf Vornahme einer gebührenpflichtigen individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung: die Hälfte der für diese vorgesehenen Gebühr,
2.
für den Widerspruch gegen eine sonstige individuell zurechenbare öffentliche Leistung: 55 Euro.
Soweit der Widerspruch Erfolg hat, ist die Gebühr auf die Gebühr für die vorzunehmende individuell zurechenbare öffentliche Leistung anzurechnen und im Übrigen zurückzuzahlen.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. In Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wendet sich gegen seine Ausweisung.
Er ist am 01.10.1981 in ... geboren und dort aufgewachsen. Sein 1947 geborener Vater war im Bundesgebiet seit 1973 erwerbstätig und verstarb 2009 an den Folgen einer 1999 diagnostizierten Krebserkrankung. Seine 1950 geborene Mutter lebt seit 1978 in Deutschland und ist nach einem Hirninfarkt mit Halbseitenlähmung und weiteren Erkrankungen hilfebedürftig. Sie wird durch Familienmitglieder unterstützt und gepflegt. Im Bundesgebiet leben die vier älteren, in den Jahren 1971, 1972, 1973 und 1979 geborenen Brüder des Klägers, die teilweise hier eigene Familien haben. Die drei ältesten Brüder wuchsen zunächst bei ihren Großeltern in der Türkei auf und kamen im Kindesalter nach Deutschland.
Am 02.10.1997 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Er erwarb 1998 den Hauptschulabschluss und schloss am 18.07.2001 eine Lehre als Verpackungsmittelmechaniker erfolgreich ab. Sein bisheriger Ausbildungsbetrieb setzte ihn in unmittelbarem Anschluss an das Ende seiner Ausbildung als Drucker ein. Nach eigenen Angaben arbeitete der Kläger wegen einer durch die andauernde Belastung mit Lösungsmitteln hervorgerufenen Erkrankung nur etwa zwei Jahre in seinem erlernten Beruf. Danach bezog er Arbeitslosengeld. Im Jahre 2003 war er kurzzeitig als Konzessionsinhaber des Pizza-Services „...“ in ... registriert, wobei die Pizzeria aufgrund einer „Verrechnung“ in einem Drogengeschäft erworben worden war.
Der Kläger wurde am 06.10.1999 in einem Zug einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen, bei der ein Gramm Marihuana und eine Haschischpfeife gefunden wurden. Von der Verfolgung wurde nach § 45 Abs. 1 JGG abgesehen. Nach einem „Tipp aus der Szene“ wurde gegen ihn ab dem Sommer 2003 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Am 08.04.2004 erließ das Amtsgericht ... deswegen einen Haftbefehl, seit 09.05.2005 bestand ein europäischer Haftbefehl. Die Verhaftung des Klägers erfolgte am 02.06.2005 in den Niederlanden. Am 12.08.2005 wurde er an die deutschen Behörden überstellt; zuvor hatte er sich in den Niederlanden erfolglos um gerichtlichen Rechtsschutz gegen seine Auslieferung bemüht.
Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Kläger mit Urteil vom 24.11.2005 - 5 KLs 221 Js 100500/04 -, das noch am gleichen Tag rechtskräftig wurde, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe. Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit dem gesondert verfolgten Mittäter ... Y., wurde angeordnet.
Das Landgericht traf ausweislich der nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründe im Wesentlichen folgende Feststellungen: Der Kläger beschloss spätestens Mitte des Jahres 2002, sich aus dem fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana eine Einnahmequelle von einem gewissen Umfang und einer gewissen Dauer zu verschaffen. Er verkaufte im Sommer 2002 zweimal jeweils mindestens ein Kilo Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10% gewinnbringend zum Grammpreis von 4,30 EUR an die gesondert verfolgten M.K. und A.Y. (Taten 1 und 2 gemäß des Strafurteils). Spätestens im Oktober 2002 beschlossen der Kläger und der gesondert verfolgte ... Y., sich in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken durch den fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana in Stuttgart eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Die Beschaffung und den Vertrieb organisierten sie arbeitsteilig, wobei ... Y. sich die Letztentscheidungskompetenz vorbehielt. Das Marihuana, dessen THC-Gehalt mindestens 15% betrug, verkauften sie an A.M. der es seinerseits an seine Abnehmer G.L. und F.M. weiterveräußerte. Gegenstand der im Strafurteil im Einzelnen aufgeführten und zwischen Oktober 2002 und April 2003 begangenen Taten 3 - 12 (UA S. 4 f.) waren insgesamt mindestens 24,5 kg Marihuana, wobei von den bei den Taten 9, 11 und 12 gehandelten Rauschgiftmengen etwa 12,8 kg sichergestellt werden konnten. Die Polizei verhaftete F.M. am 09.04.2003 und A.M. am 16.04.2003. Spätestens Anfang Dezember 2003 schlossen sich der Kläger, ... Y., M.Y. sowie die beiden Brüder des Klägers N. und M. zu einer Gruppierung zusammen mit dem Ziel, künftig in ... und Umgebung für eine gewisse Dauer erhebliche Mengen Marihuana sowie Kokain jeweils guter Qualität (Wirkstoffgehalt THC mindestens 10 % bzw. Kokainhydrochlorid mindestens 35 %) gewinnbringend weiterzuverkaufen, um sich daraus eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Entsprechend der gemeinsamen Abrede vereinbarten sie ein arbeitsteiliges Vorgehen, wobei es Aufgabe des Klägers und von ... Y. war, die Betäubungsmittelbeschaffung und deren Weiterverkauf zu organisieren. Insbesondere legten sie gemeinsam die jeweiligen Lieferzeitpunkte fest und kontrollierten den Zahlungsverkehr. Mittels sog. Palms glichen sie von Zeit zu Zeit die von ihnen arbeitsteilig erzielten Ergebnisse ab. Im Verhältnis untereinander konnte ... Y. dem Kläger Weisungen erteilen. Bei Bedarf teilten beide den anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zu. Als Umschlagplatz für die Betäubungsmittel diente die von beiden gemeinsam bewohnte Wohnung im Anwesen ..., nachdem die Kurierfahrzeuge zuvor von anderen Bandenmitgliedern in verschiedenen Tiefgaragen in ... entladen worden waren. Spätestens Ende Januar 2004 schloss sich ... F. der Gruppierung an. ... Y. bot diesem in Absprache mit dem Kläger zunächst an, als Security-Mann für ihn zu arbeiten. Nachdem F. dieses Angebot angenommen hatte, wurde ihm innerhalb kürzester Zeit klar, dass der Kläger und ... Y. ihren aufwändigen Lebensstil aus Rauschgiftgeschäften finanzierten. In der Folge erklärte er sich auf Nachfrage der beiden bereit, bei dem Rauschgifthandel mitzumachen. Da der Kläger und ... Y. aus ihrer seitherigen Lieferquelle den wachsenden Marihuana-Absatz nicht mehr vollständig bedienen konnten, beauftragte ... Y. in Absprache mit dem Kläger F., neue Lieferquellen zu erschließen. F. nahm Kontakt mit einem nicht näher identifizierten Russen namens „...“ auf und vereinbarte und organisierte mit diesem Lieferungen von Marihuana aus den Niederlanden, wobei man sich zur „Geschäftsabwicklung“ teilweise in Heinsberg traf. Im März 2004 stieß schließlich J.L. zu der Bande. Dieser hatte sich Anfang Januar 2004 vom Kläger Geld geliehen, was er jedoch nicht zurückzahlen konnte. Zur Abgeltung dieser Schulden erklärte sich L. bereit, an dem Rauschgifthandel mitzuwirken. Gegenstand der abgeurteilten 16 Taten, die im Zeitraum zwischen Dezember 2003 und 06.04.2004 begangen worden waren, waren insgesamt etwa 205 kg Marihuana sowie 500 g Kokain, wobei 15 kg Marihuana sichergestellt werden konnten. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Taten wird auf die Feststellungen des Landgerichts verwiesen (dort Taten Nrn. 13 bis 28, UA S. 7 - 15). Die Feststellungen zur Sache beruhten dem Strafurteil zufolge auf dem umfassenden, im Vorfeld der Hauptverhandlung abgelegten Geständnis des Klägers, das sich einerseits mit den vom Zeugen KHK K. glaubhaft berichteten Ermittlungsergebnissen aus dem umfassenden Gesamtermittlungskomplex und andererseits den Feststellungen in dem gegen die übrigen Bandenmitglieder ergangenen Strafurteil vom 15.03.2005 deckte.
Zur Strafzumessung führte das Landgericht unter anderem aus: Für eine Strafrahmenverschiebung nach § 31 BtMG sei kein Raum gewesen. Zwar habe der Kläger im Rahmen seiner polizeilichen Angaben - wie KHK K. berichtet habe -umfängliche, über seinen eigenen Tatbeitrag hinausgehende Aufklärungshilfe geleistet. Diese erschöpfe sich jedoch, von einem in seiner Erfolgsaussicht derzeit noch nicht abschließend zu beurteilenden Ermittlungsansatz abgesehen, maßgeblich in der Bestätigung des bereits durch die Angaben des ... Y. bekannten Ermittlungsstandes. Innerhalb des für die Taten 1 bis 12 geltenden Strafrahmens nach § 29a Abs. 1 BtMG und des für die Taten 13 bis 28 zur Anwendung kommenden Strafrahmens nach § 30a Abs. 1 BtMG sei zu Gunsten des nicht vorbestraften Klägers sein umfassendes Geständnis gewertet worden, welches zu einer nennenswerten Verfahrensabkürzung geführt habe. In diesem Zusammenhang habe die Strafkammer auch die geleistete Aufklärungshilfe strafmildernd gewertet. In gleicher Weise sei die Länge der erlittenen Auslieferungs- und Untersuchungshaft sowie der Umstand gewichtet worden, dass der Kläger als Erstverbüßer äußerst strafempfindlich sei. Auch die im Raume stehenden ausländerrechtlichen Folgen der vorliegenden Verurteilung seien strafmildernd gewertet worden. Zu Gunsten des Klägers sei bezüglich der Taten 9, 11, 12 und 28 strafmildernd berücksichtigt worden, dass Rauschgift habe sichergestellt werden können und nicht in den Verkehr gelangt sei. Zudem habe die Strafkammer strafmildernd gewertet, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt gewesen sei. Zu seinen Lasten fielen strafschärfend die jeweils erheblichen Mengen an Rauschgift sowie das Handeltreiben mit Kokain als einem der gefährlichsten Rauschgifte ins Gewicht. Bei den Taten 13 bis 28 sei zu seinen Lasten berücksichtigt worden, dass die Tatinitiative jeweils von ihm - zusammen mit ... Y. - ausgegangen sei, zu seinen Gunsten sei jedoch seine Weisungsgebundenheit gegenüber diesem einzustellen. Schließlich sei seine extrem große kriminelle Energie strafschärfend gewichtet worden, welche insbesondere in der hohen Tatfrequenz zum Ausdruck gekommen sei.
Ausweislich des Protokolls des Landgerichts über die Hauptverhandlung gab es zwischen der Strafkammer, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger Gespräche über eine einvernehmliche Verfahrensabkürzung. Die Strafkammer sagte dem Kläger für den Fall eines umfassenden Geständnisses und der Bereitschaft, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, zu, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als neun Jahren zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft sagte für diesen Fall zu, das weitere anhängige Ermittlungsverfahren im bisher bekannten Umfang einzustellen und erklärte, dass die Zusage nur für den Fall einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens neun Jahren gilt.
Die übrigen Bandenmitglieder waren bereits durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.03.2005 - 5 KLs 221 Js 95338/03 - zu Freiheitsstrafen verurteilt worden - unter anderem ... Y. zu 10 Jahren, M.Y. zu 6 Jahren, N.B. zu 6 Jahren und 2 Monaten sowie M.B. zu 6 Jahren und 6 Monaten. Nach den hinsichtlich aller Angeklagten gem. § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründen des Urteils beruhten die Feststellungen zur Sache auf den umfassenden sich wechselseitig bestätigenden und daher glaubhaften Geständnissen sämtlicher Angeklagter, die auch durch die vom Zeugen KHK K. nachvollziehbar berichteten Ermittlungsergebnisse aus den stattgefundenen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie Observationen gestützt wurden.
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Der Kläger selbst hatte ab dem 16.11.2005 in polizeilichen Vernehmungen Angaben gemacht. Nach seiner Verurteilung wurde der Kläger erneut in der Zeit zwischen Januar 2006 und Juni 2006 polizeilich vernommen. ... Y., der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde, hatte bereits vor den Angaben des Klägers zur Sache umfangreich über Hintermänner, Lieferanten und Abnehmer des Rauschgifthandels ausgesagt. Nach einem Schreiben von KHK K. an das Regierungspräsidium Stuttgart vom 17.03.2008 seien aufgrund der Aussagen des „Bandenkopfes“, dessen rechter Hand und weiterer Bandenmitglieder, welche zwischenzeitlich bei der Polizei Angaben gemacht hätten, etwa 90 Strafverfahren eingeleitet worden, die teilweise zu langjährigen Freiheitsstrafen geführt hätten. Das aufgrund der ab Januar 2006 erfolgten Angaben gegen den Kläger eröffnete Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Verfügung vom 16.03.2007 - 221 Js 26457/06 - nach § 154 StPO ein.
11 
Das Regierungspräsidium Stuttgart nahm die Verurteilung des Klägers zum Anlass, ihn mit Verfügung vom 04.10.2006 aus dem Bundesgebiet auszuweisen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung in die Türkei ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht und die Abschiebung auf den Zeitpunkt der Haftentlassung angekündigt. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger besitze eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80. Folglich könne er nur unter dem Vorbehalt der Beschränkungen aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und nach Ermessen ausgewiesen werden. Die von ihm vorsätzlich und tatmehrheitlich begangenen Betäubungsmittelstraftaten wögen ausgesprochen schwer, da er sich unter anderem mit anderen Personen zu einer Bande zusammen geschlossen habe, die allein aus Gewinnstreben höchst umfangreich einen schwunghaften Handel mit Marihuana in höheren Kilogrammbereich betrieben habe. Dass es sich dabei „nur“ um Marihuana gehandelt habe, ändere an der Schwere der Tat nichts, denn über diese Einstiegsdroge führe oft der Weg in eine schwere Drogenabhängigkeit. Zudem habe er in einem Fall auch die harte Droge Kokain in einer Menge von ca. 500 Gramm verkauft. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei gegeben. Diese entfalle auch nicht im Hinblick auf das Geständnis im Strafverfahren. Eine echte Einsicht und Reue lasse sich daraus nicht ableiten, zumal die Beweislage wegen der Telekommunikationsüberwachung und der polizeilichen Observation erdrückend gewesen sei. Der Ausweisung stehe Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG und der darin enthaltene besondere Ausweisungsschutz nicht entgegen. Diese gemeinschaftsrechtliche Vorschrift sei auf türkische Staatsangehörige, die sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen könnten, nicht anzuwenden. Der Kläger sei zwar im Bundesgebiet geboren und hier aufgewachsen, doch überwiege sein durchaus erhebliches Interesse, von der Ausweisung verschont zu bleiben, nicht das herausragende öffentliche Interesse an der wirksamen Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. Die Wahrscheinlichkeit, dass er im Bundesgebiet erneut straffällig werde, sei ausgesprochen hoch. Es werde nicht übersehen, dass er Schwierigkeiten haben werde, sich in der Türkei einzugewöhnen. Er könne aufgrund seines Alters jedoch ohne weiteres allein klar kommen, zumal er zumindest Grundkenntnisse der türkischen Sprache besitze. Vor dem Hintergrund des höchst kriminellen Fehlverhaltens sei es ihm zumutbar, die mit einer Abschiebung in die Türkei verbundenen Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen und dort zu überwinden - zumal die Straftaten auf eine nicht abgeschlossene Integration in die deutschen Lebensverhältnisse schließen ließen. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass er noch Bindungen in der Türkei habe. Hierauf deute auch der Kauf einer Eigentumswohnung dort durch seinen Bruder M. hin. Die familiäre Verbundenheit mit den im Bundesgebiet lebenden Angehörigen den Eltern und Brüdern stehe der Ausweisung nicht entgegen. Diese stehe mit Art. 8 EMRK in Einklang.
12 
Zur Begründung seiner fristgerecht erhobenen Klage trug der Kläger vor: Die Ausweisungsverfügung verstoße gegen nationale und internationale Vorschriften. Er könne nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Diese Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Abgesehen davon sei seine Ausweisung auch aus anderen Gründen fehlerhaft. Schon vor seiner Verurteilung habe er damit begonnen, mit seiner kriminogenen Vergangenheit abzuschließen. Seine Zeugenaussagen, die bewirkt hätten, dass er in ständiger Bedrohung lebe, hätten zu einer strafrechtlichen Verfolgung einer Vielzahl von Personen geführt. Seine Entwicklung nach der Tat und sein in jeder Hinsicht beanstandungsfreies Verhalten im Vollzug zeigten, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgehe. Seine Integration in deutsche Lebensverhältnisse sei abgeschlossen; daran ändere seine Straffälligkeit nichts. Seine Bezugspersonen lebten alle in Deutschland. Hier habe er einen festen Freundeskreis. Verbindungen in die Türkei habe er keine mehr. Auch sei sein früherer Mittäter ... Y. in den Zeugenschutz aufgenommen worden, was wiederum für diesen zumindest ein Abschiebungshindernis bedeute. Er dürfe ausländerrechtlich nicht schlechter behandelt werden als dieser und als seine eigenen Brüder, die im Bundesgebiet bleiben könnten. Auch bilde er sich weiter. Er plane und betreibe seine Schuldenregulierung, die bei einer Abschiebung in die Türkei nicht mehr erfolgen könnte. Seine Ausweisung verstoße gegen Art. 8 EMRK.
13 
Das Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte mit Urteil vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - die Ausweisungsverfügung des beklagten Landes, das der Klage entgegen getreten war.
14 
Da sowohl die angefochtene Verfügung als auch das Urteil des Verwaltungsgerichts davon ausgingen, die Ausweisung des Klägers richte sich aufgrund seiner Rechtstellung nach Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80 nach Art. 14 ARB 1/80 und offen sei, ob auch assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige sich auf den Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG berufen können, ließ der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 22.07.2008 - 13 S 1244/08 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu. Die vom Kläger unter Stellung eines Antrags fristgerecht begründete Berufung wurde mit Blick auf das durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 22.07.2008 - 13 S 1917/07 - bei Europäischen Gerichtshof zu dieser Frage bereits anhängig gemachte Vorabentscheidungsersuchen (C-371/08) ausgesetzt.
15 
Der Kläger war zunächst in der JVA ... und sodann in der JVA ... in Haft. Dort teilte er sich mit seinen zwei Brüdern - aus Sicherheitsgründen - die Zelle. In der JVA ... arbeitete er seit dem 14.03.2006 in der Druckerei und eignete sich hier die Reprofilmmontage, die Druckplattenkopie und die Filmarchivierung an. Nach der Bescheinigung der JVA - Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen - vom 09.07.2009 habe er sich im Laufe seiner Tätigkeit in der Druckerei in seinem Verhalten gegenüber Vorgesetzten und auch Mitgefangenen sehr positiv entwickelt; er zeichne sich hauptsächlich durch Zuverlässigkeit, Qualitätsbewusstsein und Loyalität aus. Betäubungsmittelkontrollen während der Haft waren negativ. Mit Wirkung zum 26.08.2009 wurde der Kläger als Freigänger zugelassen, um ab dem 30.08.2009 einen zwei Jahre dauernden Umschulungslehrgang am ... Berufskolleg beginnen zu können. Die in Vollzeit stattfindende Ausbildung „Mediengestalter Digital und Print, Schwerpunkt: Gestaltung und Technik“ endet mit einer Abschlussprüfung vor der IHK. Nach den Bescheiden der Bundesagentur für Arbeit vom 07.09.2009 werden die Kosten des Lehrgangs von insgesamt 17.518,60 EUR als Leistungen für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme von dieser getragen, darüber hinaus erhält der Kläger ein monatliches Arbeitslosengeld gemäß § 117 SGB III in Höhe von 797,40 EUR.
16 
Mit Schreiben vom 09.03.2010 beantragte der Kläger die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.11.2005 und führte hierin unter anderem aus: Er habe durch seine umfangreiche, wahrheitsgemäße Aufklärungshilfe glaubwürdig Abstand von seinen kriminellen Taten genommen. Im Strafvollzug habe er sich mit der Bedeutung und den Folgen der Rauschgiftkriminalität in Diskussionsrunden und mit dem Bewährungspersonal aktiv und kritisch auseinandergesetzt. Dabei habe er nicht nur die ihn selbst betreffenden negativen Folgen seiner Taten durch den Strafvollzug in aller Deutlichkeit an „Haut und Haaren“ durchleben müssen. Auch die Gefahren und negativen Folgen, die von Rauschgift gegenüber der Allgemeinheit ausgingen, habe er in zahlreichen Diskussionsrunden mit Mithäftlingen und Resozialisierungspersonal erstmals in seinem jungen Leben in aller Deutlichkeit aufgezeigt bekommen und bleibend aufgenommen. Aufgrund der während des Strafvollzugs gewonnenen Erkenntnisse über die vom Rauschgift ausgehende Gefährlichkeit für die Gesundheit des Einzelnen und der Allgemeinheit habe er, ohne dass dies naturgemäß in seinem eigenen Strafverfahren im Urteil des Landgerichts Stuttgart berücksichtigt worden sei, nach seiner Verurteilung weiterhin mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet und durch seine Aussage die Sprengung von zahlreichen, bandenmäßig organisierten Rauschgifthändlern herbeigeführt. Er habe Angaben zu Lieferanten und Abnehmern gemacht, von denen die Ermittlungsbehörden vor seiner Aussage keinerlei Kenntnis gehabt hätten.
17 
Die JVA ... erstellte am 10.05.2010 dem Kläger unter Hinweis auf den beanstandungsfreien Verlauf von Vollzug und Vollzugslockerungen eine positive Sozialprognose und befürwortete seine bewährungsweise Entlassung.
18 
Das Landgericht ... - Auswärtige Strafvollstreckungskammer ... - setzte nach Einholung eines kriminalprognostischen Gutachtens bei Dr. X. - Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie - mit Beschluss vom 26.10.2010 die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und der Kläger für die Dauer der ersten beiden Jahre der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt. Der Kläger wurde am 28.10.2010 - und damit etwa ein halbes Jahr vor der Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe - aus dem Strafvollzug entlassen. Am 12.02.2011 heiratete er nach islamischem Ritus ... D., die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Mit ihr und den beiden vier und acht Jahre alten Kindern von Frau D. aus einer früheren Beziehung lebt er in familiärer Lebensgemeinschaft.
19 
Nachdem der Europäische Gerichtshof die Rechtssache Tsakouridis (C-145/09) mit Urteil vom 23.11.2010 entschieden und das beklagte Land mit Schriftsatz vom 12.01.2011 auf den Umstand hingewiesen hatte, der Kläger habe anlässlich seiner kriminalprognostischen Begutachtung angegeben, er habe sich vor seiner Verhaftung 14 Monate in den Niederlanden aufgehalten, hat der Senat mit Beschluss vom 21.01.2011 den Aussetzungsbeschluss aufgehoben.
20 
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger nunmehr vor: Seine Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 seien nicht erloschen. Dies folge schon aus Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG. Die Vorschrift konkretisiere den Zeitraum, der für den Erhalt unionsrechtlich begründeter Aufenthaltsrechte bei Auslandsaufenthalten anzuwenden sei. Im Übrigen habe er sich nach seiner Flucht nicht durchgehend in den Niederlanden aufgehalten. Er habe die Aufenthalte zwischen Deutschland und den Niederladen gewechselt. In dieser Zeit habe er auch regelmäßig seine Familie getroffen. Treffpunkt sei jeweils Köln gewesen. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 23.11.2010 sei die Berufung begründet. Die Erstreckung der Kriterien für eine Aufenthaltsbeendigung nach dem Maßstab des Art. 45 Abs. 3 AEUV, der mit demjenigen des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG übereinstimme, auf Art. 14 ARB 1/80 sei ungeklärt. Der EuGH leite im Urteil Tsakouridis jedoch die Zulässigkeit der Ausweisung von Drogenhändlern aus der Gefahr her, die der Drogenhandel für die Gesellschaft darstelle. Um die Gesellschaft zu schützen und den Drogenhandel wirksam bekämpfen zu können, griffen heute die Mitgliedstaaten zu Mitteln wie der Kronzeugenregelung. Mittätern würden für den Fall der Aussage Vergünstigungen zugesagt, die von geringeren Strafen bis zur Verleihung einer anderen Identität reichen könnten. Er habe sich stets aussagebereit gezeigt und Aufklärungshilfe geleistet. Wegen seines Aussageverhaltens seien ihm Drohungen zugekommen. Von ihm gehe keine gegenwärtige Gefahr mehr aus. Seine Verfehlungen seien einmalig gewesen. Er sei Ersttäter und die Strafhaft habe ihn beeindruckt. Er habe in der JVA ... Gespräche zur Tataufbereitung mit dem Psychologen M. geführt. Eine Rückfallneigung sei zu verneinen. Das bestätige das Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das ihm einen nachhaltigen Gesinnungswandel attestiere. Er habe sich aus der Drogenszene gelöst und wolle das auch in Zukunft einhalten. Im Übrigen stünde eine Ausweisung im Widerspruch zur gezeigten Aussagebereitschaft und zur Kronzeugenregelung. Die Aussagebereitschaft würde nicht gefördert, wenn sie mit Ausweisung „belohnt“ würde. Eine Ausweisung würde ihn auch vollständig entwurzeln. Er sei im Bundesgebiet geboren, aufgewachsen und vollständig integriert. Deutsch sei seine Muttersprache. Würde er durch Ausweisung von seiner Familie und seiner Verlobten getrennt und in eine sprachfremde Umgebung verbracht, würde er in eine verzweifelte Lage gebracht werden. Allein und ohne Sprachkenntnisse käme er in der Türkei nicht zurecht. Im Übrigen seien sein Nachtatverhalten und seine Resozialisierung so außergewöhnlich, dass eine Wiederholungsgefahr unter jeder Betrachtung entfallen sei. Seine Haftverbüßung habe abschreckend gewirkt und eine starken Verhaltensänderung herbeigeführt. Er sei nicht drogenabhängig und habe jegliche Beziehungen und Strukturen zu ehemaligen kriminellen Personen für immer abgebrochen. Er habe Aussicht auf den Erlass des größten Teils der Schulden, sofern er sich weiterhin gut führe, sowie auf eine Festanstellung nach Ende seiner Ausbildung bei der Firma, bei der er derzeit sein Praktikum mache.
21 
Der Kläger beantragt zuletzt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zu ändern und Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006 aufzuheben.
23 
Das beklagte Land beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Es entgegnet: Die Rechtspositionen des Klägers aus Art. 7 ARB 1/80 seien erloschen. Mit seiner Flucht im April 2004 habe er seinen Lebensmittelpunkt in einen anderen Staat verlagert, weil er sich auf diese Weise dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden dauerhaft habe entziehen wollen. Insoweit seien Unionsrecht und damit die Frage der Anwendung des Art. 28 Abs. 3 lit. a Richtlinie 2004/38/EG nicht relevant und die Ausweisung richte sich nur nach nationalem Recht. Es bestehe ungeachtet des Nachtatverhaltens des Klägers und seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft weiterhin unter dem Gesichtspunkt der ordnungsrechtlichen Gefahrenabwehr ein Bedürfnis, den Kläger aus spezialpräventiven und daneben auch aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Art. 8 EMRK und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stünden dem nicht entgegen. Der Kläger könne aufgrund seiner beruflichen Qualifikation in der Türkei ohne weiteres eine Arbeitsmöglichkeit finden. Wenn er nunmehr aus der Haft entlassen worden sei und an seiner beruflichen Bildung arbeite, so mindere dies das ausgesprochen schwere Gewicht des spezial- und generalpräventiven Grundes nicht. Nichts anderes gelte hinsichtlich der neuen Partnerin, mit der der Kläger allerdings nicht verheiratet sei.
26 
Der Vertreter des beklagten Landes hat in der Berufungsverhandlung die Abschiebungsandrohung (Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006) aufgehoben.
27 
Der Senat hat Dr. X. zur Erläuterung ihres kriminalprognostischen Gutachtens vom 07.09.2010 angehört und KHK K. als Zeugen vernommen. Hinsichtlich ihrer Angaben wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
28 
Wegen des weiteren Vortrags und Sachverhalts wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Akten verwiesen. Der Senat hat die Strafakten des Landgerichts Stuttgart (3 Bände) und die Ermittlungsakten (25 Leitzordner) im Verfahren 5 KLs 221 Js 100500/04, die Strafvollstreckungsakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart (1 Band), das Bewährungsheft (1 Band) und die Gefangenenpersonalakten (5 Bände) sowie die Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 beigezogen. Diese sind ebenso wie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart, die Ausländerakten der Stadt Stuttgart (2 Bände) und die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (1 Band), Grundlage der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
68 
Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
76 
Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
85 
Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
86 
Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
87 
Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
88 
Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
89 
Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
90 
Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
92 
Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
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Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
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Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
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Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
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Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
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Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
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Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
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Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
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Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
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Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Das Gesetz dient zugleich der Erfüllung der humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt hierzu die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern. Die Regelungen in anderen Gesetzen bleiben unberührt.

(2) Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Ausländer,

1.
deren Rechtsstellung von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist,
2.
die nach Maßgabe der §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen,
3.
soweit sie nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge für den diplomatischen und konsularischen Verkehr und für die Tätigkeit internationaler Organisationen und Einrichtungen von Einwanderungsbeschränkungen, von der Verpflichtung, ihren Aufenthalt der Ausländerbehörde anzuzeigen und dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und wenn Gegenseitigkeit besteht, sofern die Befreiungen davon abhängig gemacht werden können.

(1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.

(2) Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend.

(1) Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Das Gesetz dient zugleich der Erfüllung der humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt hierzu die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern. Die Regelungen in anderen Gesetzen bleiben unberührt.

(2) Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Ausländer,

1.
deren Rechtsstellung von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist,
2.
die nach Maßgabe der §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen,
3.
soweit sie nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge für den diplomatischen und konsularischen Verkehr und für die Tätigkeit internationaler Organisationen und Einrichtungen von Einwanderungsbeschränkungen, von der Verpflichtung, ihren Aufenthalt der Ausländerbehörde anzuzeigen und dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und wenn Gegenseitigkeit besteht, sofern die Befreiungen davon abhängig gemacht werden können.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt ..., bewilligt. Er hat auf die Prozesskosten monatliche Raten von ... EUR zu zahlen.

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 12. Dezember 2008 - 3 K 2484/08 - geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers vorläufig auszusetzen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der nach Aktenlage am 01.01.1985 geborene Antragsteller ist ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und alevitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste im Juli 1996 zusammen mit zwei seiner Geschwister zur Durchführung eines Asylverfahrens in das Bundesgebiet ein. Sein Vater war bereits im Oktober 1991 als Asylbewerber eingereist, zwei weitere Geschwister 1994. Seine Mutter folgte im Dezember 1996. Mit Bescheid vom 15.11.1996 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) seinen Asylantrag ab; ein 2001 durchgeführtes Folgeverfahren blieb ebenfalls ohne Erfolg. In der Folgezeit wurde der Aufenthalt des Antragstellers geduldet. Sein Antrag vom 28.10.2005 an die Härtefallkommission wurde am 22.03.2006 abgelehnt.
Den Eltern des Antragstellers wurden Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 AufenthG i.V.m. der Anordnung des Innenministeriums vom 20.11.2006 (Bleiberechtsregelung) und den Geschwistern ... und ... Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 a AufenthG (Härtefallregelung) erteilt. Sein Bruder ... besitzt eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, seine Schwester ... eine Niederlassungserlaubnis.
Der Antragsteller ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zuletzt wurde er, nachdem zuvor die Mehrzahl der Verfahren nach § 47 JGG eingestellt worden war, wie folgt verurteilt:
- Mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 15.09.2005 wurde der Antragsteller wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall, Nötigung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einem Jugendarrest von vier Wochen verurteilt. Der Antragsteller hatte u.a. eine Bierflasche auf den Besucher einer Diskothek geworfen und das Handy von dessen Freundin zerstört, als diese versuchte, die Polizei zu benachrichtigen. Außerdem hatte er versucht, einen Fahrscheinautomaten aufzubrechen, um das darin vermutete Bargeld zu stehlen.
- Mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 14.02.2007 wurde er wegen versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 25,-- EUR verurteilt. Er hatte in Karlsruhe versucht, einen Fahrscheinautomaten aufzubrechen, um mit dem erbeuteten Geld einen Bordellbesuch zu finanzieren.
- Zuletzt wurde der Antragsteller mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 17.04.2008 wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Er hatte am 04.02.2007 zwei kleinere Geldtresore aus einem Wettbüro gestohlen, um an den Inhalt von erhofften 5.000,-- bis 10.000,-- EUR zu kommen. Unmittelbar nach Verlassen des Wettbüros wurden der Antragsteller und ein Mittäter von Beamten eines Sondereinsatzkommandos gestellt und überwältigt.
Seit September 2004 ist der Antragsteller erwerbstätig; er wohnt mit seinen Eltern sowie den Geschwistern ... und ... in häuslicher Gemeinschaft und trägt mit seinem Erwerbseinkommen zu den Mietkosten der Familie bei.
Mit Bescheid vom 19.08.2008 wies das Regierungspräsidium Freiburg den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus und lehnte seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20.11.2006 ab. Am 19.09.2008 hat der Antragsteller hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg erhoben (Az.: 3 K 1783/08).
Am 04.12.2008 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf seine beabsichtigte Abschiebung nachgesucht. Er hat geltend gemacht, er habe einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG und zudem einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK, sobald er im Besitz eines Passes sei. Die begangenen Straftaten seien überwiegend als Jugendverfehlungen einzustufen. Bei keiner der Straftaten seien Rauschmittel im Spiel gewesen. Das Amtsgericht Freiburg habe ihm eine günstige Sozialprognose bescheinigt, die er bislang gerechtfertigt habe. Alle Familienmitglieder unterstützten und betreuten die Mutter, die seit Jahren an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung leide. Im Juli 2002 habe er den Hauptschulabschluss erworben und nach wiederholten vergeblichen Versuchen, die Erlaubnis zur Ausübung der Erwerbstätigkeit zu erhalten, im September 2004 eine Anstellung als „Eisenbieger“ in einem Betrieb für Stahlarmierungen gefunden. Er spreche fließend deutsch, verfüge über einen Freundeskreis, der sich auch aus gleichaltrigen Deutschen zusammensetze und engagiere sich u.a. in einem Verein, der sich der Förderung der Völkerverständigung verschrieben habe. In der Türkei lebten nur entferntere Verwandte, zu denen er keinen Kontakt habe. In seiner Familie werde die kurdische Sprache Kurmanci gesprochen. Im Fall seiner Abschiebung drohe eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands seiner Mutter. Bereits das Bekanntwerden der Ausweisungsverfügung habe bei ihr einen schweren psychischen Zusammenbruch ausgelöst.
10 
Mit Beschluss vom 12.12.2008 - 3 K 2484/08 - hat das Verwaltungsgericht Freiburg den Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es fehle am erforderlichen Anordnungsanspruch. Der Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG stehe der Abschiebung des ledigen und kinderlosen Antragstellers nicht entgegen. Dafür, dass die Mutter gerade auf seine Hilfe angewiesen sei, sei nichts ersichtlich. Auch auf den durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz des Familienlebens könne sich der Antragsteller nicht berufen. Der Eingriff in das Recht des Antragstellers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens sei nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Gegen eine gelungene Integration sprächen insbesondere die von ihm begangenen Straftaten. Die Behauptung des Antragstellers, seine Abschiebung werde zu einer dauerhaften Verschlechterung des Gesundheitszustands seiner Mutter führen, sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden. In dem vorgelegten Attest der Frau ... werde eine solche Aussage nicht zuverlässig getroffen, sondern lediglich als - allerdings wahrscheinliche - Möglichkeit in den Raum gestellt. Hinzu komme, dass das Attest keinerlei Aussagen dazu enthalte, auf welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen die entsprechende Aussage gestützt sei.
11 
Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsteller, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, seine Abschiebung vorläufig auszusetzen. Er ergänzt und vertieft sein bisheriges Vorbringen: Nach der fachärztlichen Stellungnahme der Nervenärztin, die die Mutter seit dem Jahr 2000 behandele, habe diese ein besonders inniges Verhältnis zu dem Antragsteller. Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht eine Beistandsgemeinschaft verneint. Was das Recht auf Achtung des Privatlebens angehe, sei von einer völligen Entfremdung von den Lebensverhältnissen in der Türkei auszugehen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das in den Personalpapieren vermerkte Geburtsdatum (01.01.1985) unzutreffend sei. Tatsächlich sei er im Juli 1996 geboren und daher bei seiner Ausreise erst 10 Jahre alt gewesen. Nach der letzten Straftat habe er sein Leben grundsätzlich neu ausgerichtet und sich insbesondere einen neuen Freundeskreis aufgebaut. Er lebe seit eineinhalb Jahren in einer festen Beziehung und habe sich von seiner früheren Delinquenz deutlich distanziert. Soweit im angefochtenen Beschluss Zweifel anklängen, ob von einer konkreten Suizidgefahr seiner Mutter ausgegangen werden könne, sei dem entgegenzuhalten, dass sich die Suizidalität wie ein roter Faden durch die Krankheitsgeschichte seiner Mutter ziehe.
12 
Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten. Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und führt ergänzend aus, die Suizidalität der Mutter könne kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in der Person des Antragstellers begründen.
13 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Senat vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
14 
1. Wie sich aus dem Nachstehenden ergibt, hat die Beschwerde hinreichende Erfolgsaussicht. Dem Antragsteller ist mithin für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe gegen Ratenzahlung zu gewähren, weil er - wie sich aus seiner dahingehenden Erklärung ergibt - nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nur im Umfang der festgesetzten Raten aufbringen kann (vgl. § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 115, 117 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO). Der Antragsteller verfügt über ein Bruttoeinkommen von ... EUR. Hiervon sind abzusetzen die in § 82 Abs. 2 SGB XII bezeichneten Beträge (Lohnsteuer, Rentenversicherung, Fahrtkosten, zusammen... EUR), der Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b ZPO in Höhe von... EUR, der Unterhaltsfreibetrag gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a ZPO in Höhe von... EUR und der auf ihn entfallende Anteil der Unterkunftskosten von ... EUR (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO). Nicht abzusetzen sind demgegenüber die geltend gemachten Verpflegungskosten sowie die lediglich behauptete, aber nicht glaubhaft gemachte Ratenzahlungsverpflichtung aus einer Geldstrafe in Höhe von monatlich ... EUR. Dem Antragsteller verbleibt demnach ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von ... EUR monatlich, so dass gemäß § 115 Abs. 2 ZPO monatliche Raten von... EUR festzusetzen sind.
15 
2. Die fristgerecht erhobene und begründete sowie inhaltlich den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechende Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Der Antragsteller hat sowohl das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - der Antragsgegner beabsichtigt, ihn abzuschieben -, als auch die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO, §§ 920, Abs. 2, 294 ZPO). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts geht der Senat bei der im Eilverfahren allein angezeigten und möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage davon aus, dass der Antragsteller auch weiterhin zumindest einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG besitzt. Seine Abschiebung ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil der damit einhergehende Eingriff in sein Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sein dürfte. Ob dem Antragsteller deshalb auch eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt werden muss oder kann und ob insoweit im Lichte aufenthaltsrechtlicher Schutzwirkungen aus Art. 8 EMRK trotz der rechtskräftigen Verurteilungen auch von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden muss (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), bedarf im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keiner Klärung.
16 
a) Die beabsichtigte Abschiebung dürfte entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht nur in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens, sondern auch in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreifen. Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kleinfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiter reichen als normale affektive Beziehungen (EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 44 m.w.N.; Urt. v. 15.07.2003 - Nr. 52206/99 [Mokrani] - InfAuslR 2004, 183; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., § 22 Rn. 18 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit grundsätzlich keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Bei jungen Erwachsenen, die - wie der Antragsteller - nach Erreichen der Volljährigkeit weiterhin mit ihren Eltern in häuslicher Gemeinschaft leben, geht der EGMR allerdings davon aus, dass auch ihre Beziehung zu den Eltern und anderen nahen Familienmitgliedern Familienleben darstellt und aufenthaltsbeendende Maßnahmen daher auch in das Recht auf Achtung des Familienlebens eingreifen (Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - InfAuslR 2008, 333). Der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens dürfte hier auch deshalb eröffnet sein, weil die Beziehung des Antragstellers zu seiner psychisch schwer kranken Mutter ausweislich der vorgelegten fachärztlichen Bescheinigungen sehr innig ist und jedenfalls über das Normalmaß affektiver Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern weit hinausgeht (vgl. zu diesem Aspekt auch EGMR, Urt. v. 28.06.2007 - Nr. 31753/02 [Kaya] - InfAuslR 2007, 325 Rn. 58).
17 
Daneben dürfte die beabsichtigte Abschiebung in das Recht auf Achtung des Privatlebens eingreifen. Der EGMR geht insoweit von einem weiten Begriff des „Privatlebens“ aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“ sowie das Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - „gewachsenen Bindungen“ umfasst. Allerdings darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein eine gegebenenfalls auch zwangsweise Aufenthaltsbeendigung bei Ausländern bereits deswegen, weil diese sich eine bestimmte Zeit im Aufnahmeland aufgehalten haben. Eine Aufenthaltsbeendigung kann vielmehr nur dann einen Eingriff in das „Privatleben“ im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum „Aufnahmestaat“ verfügt, so dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem Inländer“ geworden ist. Nachdem der Antragsteller seit seinem 10. oder 11. Lebensjahr in Deutschland lebt, hier den überwiegenden Teil seiner Schulzeit verbracht und den Hauptschulabschluss erlangt hat, seit über vier Jahren über einen festen Arbeitsplatz verfügt und von Sozialleistungen unabhängig ist, er die deutsche Sprache beherrscht, über einen festen - auch deutschen - Freundeskreis verfügt und weitere Integrationsleistungen in Form von Vereinsaktivitäten aufweisen kann, können die für die rechtliche Annahme eines im Bundesgebiet geführten Privatlebens erforderlichen Bindungen in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht kaum verneint werden. Hinzu kommt, dass sowohl seine Eltern als auch seine Geschwister über gesicherte Aufenthaltsrechte verfügen. Wie sich hinreichend etwa aus den neueren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Sachen „Sisojeva I und II“ (EGMR, Urteile vom 16.06.2005 und 15.01.2007, EuGRZ 2006, 554 und InfAuslR 2007, 140) sowie „Rodrigues da Silva und Hoogkamer“ (EGMR, Urteil vom 31.01.2006, EuGRZ 2006, 562) ergibt, kommt es im Rahmen des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 EMRK wohl nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Ausländer über einen zumindest vorübergehenden legalen Aufenthalt verfügte (offen gelassen im Urteil vom 08.04.2008 - Nr. 21878/06 - „Nnyanzi“); der Schutzbereich dieses Menschenrechts dürfte vielmehr auch bei nur Geduldeten eröffnet sein können (Senatsbeschlüsse vom 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - InfAuslR 2008, 29 = VBlBW 2008, 114 = NVwZ 2008, 344 und vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - InfAuslR 2009, 72; ebenso Burr in GK-AufenthG, § 25 AufenthG Rn. 150; HK-AuslR/Fränkel, § 25 AufenthG Rn. 56; Benasssi, InfAuslR 2006, 397 <401 f.>; Hoppe, ZAR 2006, 125; Marx, ZAR 2006, 261 <266>; a.A. wohl Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.07.2008 - 8 ME 42/08 - juris und Storr in Storr u.a., ZuwG, 2. Aufl., § 25 AufenthG Rn. 31). Auch die von dem Antragsteller begangenen Straftaten, bei denen es sich überwiegend um Jugendstraftaten handelt, stellen seine gesellschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet nicht ernsthaft in Frage.
18 
Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK dürfte zu bejahen sein, weil die hier asylverfahrensrechtlich begründete Ausreisepflicht durchgesetzt, d.h. der Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland durch Abschiebung beendet werden soll. Der Senat geht - wie inzwischen wohl auch der Antragsteller - davon aus, dass diesem wegen der begangenen Straftaten weder ein aus der Anordnung des Innenministeriums nach § 23 AufenthG vom 20.11.2006 (Az.: 4-1340/29; vgl. insbesondere Nr. 3.3) ermöglichtes Bleiberecht noch ein Aufenthaltsrecht nach der gesetzlichen Altfallregelung des § 104 a AufenthG zusteht, weswegen eine aufenthaltsrechtliche Legalisierung seines Familien- und Privatlebens im Bundesgebiet insoweit ausgeschlossen sein dürfte.
19 
Gleichwohl ergibt sich aus der Existenz der Bleiberechts- und Altfallregelungen keine hier relevante Sperrwirkung. Vielmehr bleibt neben den dort geregelten generalisierten Fallkonstellationen Raum für hiervon losgelöste Einzelfallabwägungen, auch bei einer Entscheidung über das Vorliegen eines zwingenden Duldungsgrundes nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (Senatsbeschlüsse vom 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - und vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - a.a.O. m.w.N.). Etwas anderes wäre gerade im Falle von Straftätern mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. die Nachweise in BVerfG, Beschluss vom 01.03.2004 - 2 BvR 1570/03 - NVwZ 2004, 852 = InfAuslR 2004, 280 = EuGRZ 2004, 317) nicht vereinbar.
20 
b) Der Eingriff in das geschützte Familien- und Privatleben des Antragstellers dürfte im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, weil unverhältnismäßig sein. Die Notwendigkeit des Eingriffs ist bei dem im Alter von 10 oder 11 Jahren eingereisten Antragsteller nach ähnlichen Kriterien zu prüfen, wie sie normalerweise bei Einwanderern der zweiten Generation angewendet werden (EGMR, Urt. v. 27.10.2005 - Nr. 32231/02 [Keles] - InfAuslR 2006, 3 Rn. 56). Insoweit ist insbesondere das öffentliche Interesse an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit dem Interesse des Antragstellers an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Bindungen im Bundesgebiet abzuwägen. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 05.07.2005 - Nr. 46410/99 [Üner] - InfAuslR 2005, 450 = DVBl 2006, 688). Dabei kommt es zunächst auf den jeweiligen Grad der „Verwurzelung“ an; je stärker der Betroffene im Aufenthaltsstaat integriert ist, desto schwerer müssen die öffentlichen Interessen wiegen (vgl. auch EGMR, Urteil vom 22.06.2006 - Nr. 59643/00 - „Kaftailova“). Weiter ist auf den Grad der „Entwurzelung“ abzustellen, d. h. auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration im Herkunftsstaat, insbesondere aufgrund der Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen und den dort lebenden und aufnahmebereiten Verwandten. Schließlich können im Rahmen der Schrankenprüfung sonstige Faktoren Berücksichtigung finden, etwa ob der Aufenthalt des Betroffenen zumindest vorübergehend legal war und damit - i.S. einer „Handreichung des Staates“ - schutzwürdiges Vertrauen auf ein Hierbleibendürfen entwickelt werden konnte.
21 
Gemessen daran dürfte das Interesse des Antragstellers an der Aufrechterhaltung seiner familiären und privaten Bindungen im Bundesgebiet das öffentliche Interesse insbesondere an Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von straffälligen Ausländern voraussichtlich überwiegen. Aufgrund seiner Einreise im Grundschulalter, der Erlangung eines Schulabschlusses, seinen familiären und sonstigen sozialen Bindungen und seiner Berufstätigkeit ist von einer weitreichenden „Verwurzelung“ des Antragstellers in Deutschland auszugehen. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass seine Eltern und Geschwister bereits ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet erlangt haben. Zu den engen familiären Bindungen des Antragstellers insbesondere zu seiner psychisch schwer kranken Mutter treten die sozialen Kontakte zu Deutschen und die weiteren Integrationsleistungen (Tätigkeit in Vereinen) hinzu.
22 
Auch die Folgen einer Aufenthaltsbeendigung für die Mutter des Antragstellers können in diesem Zusammenhang nicht völlig ausgeblendet werden. Die Mutter des Antragstellers ist, wie im Beschwerdeverfahren durch Vorlage mehrerer ärztlicher Bescheinigungen jedenfalls für das Eilverfahren hinreichend glaubhaft gemacht wurde, seit dem Jahr 2000 wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit rezidivierenden schweren Depressionsphasen und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung in psychiatrischer Behandlung. Das fachärztliche Attest vom 05.12.2008 geht von einer ernsthaften Suizidgefahr aus und stuft die Gefahr einer dauerhaften Verschlechterung und Chronifizierung der psychischen Erkrankungen der Mutter als „sehr wahrscheinlich“ ein. Für den Fall der Abschiebung des Antragstellers müsse eine erneute stationäre Einweisung der Mutter - die ausweislich der vorgelegten ärztlichen Zeugnisse bereits im August/September 2004 sowie vom 08.06. bis 02.08.2006 in stationärer Behandlung war - in das Zentrum für Psychiatrie erfolgen. Verbleibende Restzweifel an den fachärztlich prognostizierten Auswirkungen einer Abschiebung des Antragstellers auf den Gesundheitszustand seiner Mutter können gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beseitigt werden.
23 
Der Senat verkennt auf der anderen Seite nicht, dass der Antragsteller in erheblichem Maße straffällig geworden ist. Die Straftaten können allerdings zumindest überwiegend noch als Jugendverfehlungen betrachtet werden (vgl. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - Nr. 52853/99 [Yilmaz] - NJW 2004, 2147 Rn. 46). Legt man zugrunde, dass der Antragsteller, wie er im Beschwerdeverfahren durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen seiner Eltern und seiner ältesten Schwester glaubhaft gemacht hat, nicht am 01.01.1985, sondern im Juli 1986 geboren wurde, war er auch bei Begehung der letzten Straftat am 04.02.2007 noch Heranwachsender. Von Bedeutung ist auch, dass der Antragsteller nicht wegen Betäubungsmitteldelikten und - abgesehen von einer am 05.09.2004 begangenen versuchten gefährlichen Körperverletzung - nicht wegen Gewaltdelikten verurteilt wurde (vgl. EGMR, Urt. v. 23.06.2008 - Nr. 1638/03 [Maslov II] - InfAuslR 2008, 333). Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Amtsgericht Freiburg dem Antragsteller eine positive Sozialprognose gestellt und die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe daher zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Straffälligkeit des Antragstellers bewegt sich damit in einem Rahmen, der bei einem im gleichen Alter wie der Antragsteller im Wege des Familiennachzugs eingereisten Ausländer im Regelfall nicht zur Aufenthaltsbeendigung führen, sondern nur eine weitere Verfestigung durch Erteilung einer Niederlassungserlaubnis verhindern würde. Dieser Personenkreis fällt unter die Bestimmungen des § 35 AufenthG. Mit § 35 Abs. 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber aus integrationspolitischen Gründen Personen, die in Deutschland einen großen Teil ihrer Jugend und Schulzeit verbracht haben, unter erleichterten Voraussetzungen eine Aufenthaltsverfestigung ermöglichen. Allerdings besteht nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kein Rechtsanspruch auf die Niederlassungserlaubnis, wenn der Ausländer in den letzten drei Jahren zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist. Nach § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist bei in Deutschland aufgewachsenen Ausländern, die zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden sind, in der Regel die Aufenthaltserlaubnis bis zum Ablauf der Bewährungszeit zu verlängern. Diese Vorschrift, die bei in Deutschland aufgewachsenen Ausländern mit legalisiertem Aufenthalt dem Schutzzweck des Art. 8 EMRK Rechnung trägt, führt demnach bei Straftaten, wie sie hier in Rede stehen, im Regelfall nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung.
24 
Bisher hat der Antragsteller die vom Strafgericht getroffene positive Prognose bestätigt. Ausweislich der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Berichte der Jugendberatung ... e.V. ist der Antragsteller seit der Begehung seiner Straftaten erheblich gereift, hat seit dem letzten Delikt keinen Kontakt mehr zu seinen alten Freunden und distanziert sich deutlich von seinen damaligen Straftaten. Diese Einschätzung wird gestützt durch die Bescheinigung des Arbeitgebers vom 12.01.2009, in welcher dem Antragsteller, der seit 2008 die Funktion eines Vorarbeiters übernommen hat, ein hohes Maß an Verlässlichkeit attestiert wird. Bei einer Gesamtschau ergeben sich damit für den Senat greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller mit seiner (jugend-)kriminellen Vergangenheit abgeschlossen und als Erwachsener begonnen hat, diese aufzuarbeiten.
25 
Nachdem der Antragsteller seit seiner Ausreise nicht mehr in der Türkei gewesen ist, dort keine nahen Verwandten hat, diese vielmehr alle in Deutschland leben, er der kurdischen Minderheit angehört und ihm im kurmancisprachigen Elternhaus auch die türkische Sprache nicht vermittelt worden ist, kann auch eine weitreichende „Entwurzelung“ angenommen werden.
26 
Dass der Aufenthalt des Antragstellers nie legalisiert war, ist zwar im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen, fällt aber letztlich nicht entscheidend ins Gewicht. Angesichts der skizzierten konkreten Verwurzelungs- und Entwurzelungssituation erscheint der mit der Abschiebung verbundene Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK in der Gesamtabwägung derzeit unverhältnismäßig. Hierfür spricht zudem, dass der Antragsteller nach einer Abschiebung keine realistische Möglichkeit haben dürfte, in absehbarer Zeit legal wieder in das Bundesgebiet einzureisen. Die für sein Privatleben konstitutiven Beziehungen könnten bei einer Abschiebung mithin gegebenenfalls irreparabel beschädigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 = NVwZ 2007, 946).
27 
Sollten sich vor einer Entscheidung in der Hauptsache neue wesentliche Umstände ergeben (bspw. eine erneute Straffälligkeit des Antragstellers), könnte diesen Umständen im Rahmen eines Abänderungsverfahrens analog § 80 Abs. 7 VwGO Rechnung getragen werden.
28 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
29 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 1 GKG.
30 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27. Oktober 2010 - 1 K 1516/08 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
Er wurde 1974 im heutigen Kirgisistan geboren und ist kirgisischer Staatsangehöriger. In seinem Heimatland besuchte er acht Jahre lang die Schule, absolvierte eine Ausbildung zum Traktoristen und Maschinenführer und arbeitete anschließend in einer Kolchose und in verschiedenen anderen landwirtschaftlichen Betrieben. Dort leistete er auch Wehrdienst. Im Oktober 2000 heiratete er die damals sechzehnjährige deutschstämmige L. D., die einen 1998 geborenen Sohn mit in die Ehe brachte, den er später adoptierte. Im April 2001 kam der gemeinsame Sohn A. zur Welt. Im Juli 2001 übersiedelte seine Ehefrau mit den Kindern, ihrer Mutter und ihrer Schwester, die mit einem Bruder des Klägers verheiratet ist, in die Bundesrepublik Deutschland. Im Januar 2002 reiste auch der Kläger zusammen mit seinem Bruder nach Deutschland ein und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis, die regelmäßig verlängert wurde. Zuletzt war er im Besitz einer bis Januar 2007 gültigen Aufenthaltserlaubnis. Die Entscheidung über seinen Verlängerungsantrag wurde wegen des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens ausgesetzt. Die Familie lebte zunächst zwei Jahre in Sachsen, wo der Kläger einen Sprachkurs besuchte und den Gabelstaplerführerschein machte. Nachdem der Kläger 2004 eine Arbeitsstelle in S. gefunden hatte, zog er zunächst alleine dort hin. Kurze Zeit danach folgte ihm seine Familie. In der Nähe von S. wohnen auch sein Bruder und seine Schwägerin.
Mit Urteil des Landgerichts Rottweil vom 03.08.2007, rechtskräftig seit 28.02.2008, wurde der Kläger wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. In den Gründen dieses Urteils heißt es: Der Kläger habe am 22.10.2006 erstmals erfahren, dass seine Ehefrau eine Liebesbeziehung zu M. B. unterhalte. Sie sei nicht bereit gewesen, diese zu beenden. Der Kläger habe sich am 30.10.2006 in die Nähe des Wohnhauses des M.B. in T. begeben. Als M.B. dort eingetroffen und auf seine Haustüre zugegangen sei, habe sich der Kläger an diesen herangeschlichen und habe ihn mit einer mitgeführten Eisenstange von ca. 50 bis 60 cm Länge von hinten mit Wucht auf den Kopf geschlagen. Anschließend habe er den Fliehenden verfolgt und ihm auf der Straße mindestens 13mal mit der Eisenstange auf den Kopf geschlagen, bis dieser regungslos liegen geblieben sei. Einige Personen aus der Nachbarschaft hätten diesen Vorgang beobachtet, den Kläger aber nicht von den Schlägen durch Zurufen abbringen können. Der Kläger habe mit absolutem Vernichtungswillen gehandelt. Der Anblick des „Nebenbuhlers“ habe bei ihm eine heftige Gemütswallung ausgelöst, die zu einer rechtserheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt habe. Der Kläger habe sich zwar dahingehend eingelassen, M.B. sei, nachdem er mit dem Auto angekommen sei, ausgestiegen und ihm direkt entgegengegangen. Er sei gar nicht dazu gekommen, etwas zu sagen, schon habe M.B. nach der Polizei geschrien und ihn irgendwie getroffen. M.B. haben ihm etwas auf den Kopf geschlagen, wobei er nicht wisse womit. Ansonsten habe er keine Erinnerung mehr. Auch daran, dass er selbst geschlagen habe, könne er sich nicht erinnern. Eine Eisenstange habe er nicht dabei gehabt; woher diese gekommen sei, wisse er nicht. Diese Einlassungen seien durch die Beweisaufnahme widerlegt. Die Kammer gehe allerdings zugunsten des Klägers davon aus, dass er den endgültigen Tötungsvorsatz erst unmittelbar vor der Tatausführung gefasst habe. M.B. habe schwere Schädel- und Gesichtsverletzungen erlitten, die mehrere Operationen nötig gemacht hätten. Auf dem rechten Auge habe er die Sehkraft vollständig und irreparabel verloren. Auch seinen Geruchssinn habe er vollständig und seinen Geschmackssinn weitgehend verloren. Wegen der Folgen der Verletzungen sei er mit 50 % GdB als Schwerbehinderter eingestuft worden. Abgesehen von der vorgenommenen Verschiebung des Strafrahmens wegen der Minderung der Steuerungsfähigkeit, habe die Kammer von einer weiteren Milderung wegen des nur vorliegenden Totschlagversuchs abgesehen. Gegen eine weitere Milderung habe vor allem gesprochen, dass dieser ganz in der Nähe zur Vollendung gelegen habe. M.B habe nur wegen der sofort eingeleiteten intensiv-medizinischen Rettungsmaßnahmen überleben können und während des einwöchigen künstlichen Komas zwischen Leben und Tod geschwebt. Weiter seien die ganz erheblichen, lebenslang bleibenden und teilweise in ihrem Ausmaß noch gar nicht absehbaren Folgen der Verletzungen zu berücksichtigen gewesen. Wegen der besonderen schulderhöhenden Merkmale sei bei der Gesamtwürdigung ein minderschwerer Fall auszuschließen.
Am 31.10.2006 war der Kläger verhaftet worden. Er verbüßt derzeit seine Freiheitsstrafe.
Nach vorheriger Anhörung wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger mit Bescheid vom 14.07.2008 aus der Bundesrepublik aus, drohte ihm die Abschiebung nach Kirgisistan nach der Unanfechtbarkeit dieser Verfügung an und ordnete die Abschiebung aus der Haft heraus an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Es lägen die Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG vor. Der Kläger genieße jedoch besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG. Deshalb könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden; außerdem werde die zwingende Ausweisung zur Ausweisung im Regelfall herabgestuft. Mit der abgeurteilten Tat habe er die öffentliche Sicherheit und Ordnung in besonders schwerwiegendem Maße beeinträchtigt. Zugunsten des Klägers gehe das Regierungspräsidium davon aus, dass wegen der familiären Verhältnisse ein atypischer Ausnahmefall vorliege, weshalb über die Ausweisung nach Ermessen entschieden werde. Gleichfalls sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er bis zu seiner Verhaftung mit seiner deutschen Ehefrau und seinen zwei deutschen Kindern zusammengelebt habe, dass er während seines gesamten Aufenthalts im Bundesgebiet gearbeitet und für den Unterhalt seiner Familie gesorgt habe, dass Deutschland nach der Übersiedlung aus Kirgisistan zum Mittelpunkt seines Lebens geworden und er bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei. Das öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor weiteren von ihm begangenen Straftaten überwiege aber die privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet. Vom Kläger gehe eine konkrete Gefahr weiterer schwerer Rechtsverletzungen aus. Die Begehung der abgeurteilten Tat zeige eine latente Gewaltbereitschaft, die eine gewaltfreie Problemlösung verhindert habe. Diese Eigenschaften könnten auch in Zukunft sein Verhalten in Konfliktsituationen bestimmen. Auch generalpräventive Gründe sprächen für die Ausweisung.
Am 11.08.2008 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg. Zur Begründung trug er vor: Er werde von seinen beiden Kindern monatlich in der Haftanstalt besucht. Auf den Fortbestand dieser Vater-Kind-Beziehung seien seine beiden Söhne angewiesen. Auch für ihn sei es sehr wichtig, für seine beiden Kinder da zu sein. Er wisse, dass er einen großen Fehler gemacht habe und bereue seine Tat. In Kirgisistan habe er keine Existenz und keine Familie. Deutschland sei für ihn seine neue Heimat geworden.
Der Beklagte trat der Klage aus den Gründen des angefochtenen Bescheids entgegen.
Das Gericht erhob Beweis durch Einholung eines kriminalprognostischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. K. (vom 16.06.2010) und hörte diesen in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung des Gutachtens an.
Durch Urteil vom 27.10.2010 hob das Verwaltungsgericht Freiburg den angefochtenen Bescheid auf und führte zur Begründung aus: Der dem Kläger zustehende besondere Ausweisungsschutz habe gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Solche Gründe lägen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel u. a. in den Fällen des § 53 AufenthG vor. Die Regelung enthalte allerdings keine Automatik, sondern erfordere eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorlägen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen ließen. Werde die Ausweisung - wie hier - auf spezialpräventive Gründe gestützt, liege bei dem nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genießenden Personenkreis ein schwerwiegender Grund nur dann vor, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohten und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut ausgehe. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität seien diese Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung zwar grundsätzlich zu bejahen. Wegen des durch § 56 Abs. 1 AufenthG gewährleisteten besonderen Ausweisungsschutzes sei jedoch eine gesteigerte Wiederholungsgefahr im Sinne einer erhöhten Gefährdung erforderlich. Das gelte auch in Fällen schwerer Kriminalität. Gemessen hieran könne nicht angenommen werden, vom Kläger ginge eine in diesem Sinne gesteigerte Wiederholungsgefahr aus. Der Sachverständige komme in seinem schriftlichen kriminalprognostischen Gutachten zu dem Ergebnis, beim Kläger könne zwar die Begehung einer erneuten Straftat nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Die erneute Begehung einer Straftat gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit, wie sie der Verurteilung durch das Landgericht Rottweil zugrunde liege, sei jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Die Kammer folge dem Sachverständigen in seiner prognostischen Beurteilung der vom Kläger künftig ausgehenden Rückfallgefahr. Die vom Beklagten gegen das schriftliche Gutachten vorgebrachten Bedenken seien unberechtigt. Der Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens plausibel und nachvollziehbar angegeben, dass sich seine kriminalprognostische Einschätzung in erster Linie und ganz entscheidend auf die Exploration des Klägers stütze. Von entscheidender Bedeutung für die Einschätzung, beim Kläger sei mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Wiederholung einer vergleichbaren Straftat zu erwarten, sei die Annahme des Gutachters, dass die abgeurteilte Straftat eine Beziehungstat mit einer hochspezifischen Täter-Opfer-Beziehung gewesen sei. Auch die tatsächlichen Annahmen des Sachverständigen zur Biografie des Klägers seien nicht zu beanstanden. Der Sachverständige sei aufgrund des Akteninhalts, der mit dem Kläger geführten Gespräche sowie der Telefongespräche mit der Schwägerin und der Ehefrau zu der Annahme gelangt, der Kläger habe bis zu seiner Straftat einen gewaltfreien Lebenswandel geführt. Das Merkmal mangelhafte Verhaltenskontrolle erfüllten nur solche Personen, die bei geringstem Anlass und häufig sofort aggressiv reagierten. Das sei beim Kläger nicht der Fall. Dagegen wende das beklagte Land zu Unrecht ein, der Gutachter hätte sich zur Feststellung eines bisher gewaltfreien Lebenswandels nicht auf die Befragung des Klägers und naher Verwandter beschränken dürfen. Weder den vorgelegten Verwaltungsakten noch dem Strafurteil des Landgerichts Rottweil ließen sich irgendwelche Anhaltspunkte für das Gegenteil entnehmen. Dass der Kläger bei der abgeurteilten Tat gegen sein Opfer auf äußerst brutale Weise vorgegangen sei, werte der Gutachter als einen Gesichtspunkt, der zwar gegen eine günstige Prognose sprechen könne. Ein durchschlagendes Gewicht messe er diesem Gesichtspunkt jedoch nicht bei. Der Sachverständige habe zum einen darauf hingewiesen, dass der Kläger - im Gegensatz zu seiner bisherigen Lebensführung - erstmals bei der Tat ein äußerst aggressives und brutales Verhalten gezeigt habe. Vor allem aber müsse nach Auffassung des Gutachters bei der Bewertung dieses Verhaltens für die Rückfallprognose berücksichtigt werden, dass die hochspezifische Beziehungstat durch eine extreme Konfliktsituation ausgelöst worden sei, in die der Kläger durch den wenige Tage vor der Tat offenbar gewordenen Ehebruch seiner Frau gestürzt worden sei. Auch der im strafgerichtlichen Verfahren eingesetzte Sachverständige komme zu dem Ergebnis, dass die Steuerungs-, Hemmungs- und Handlungsfähigkeit des Klägers während der Tat infolge eines Affekts zum Tatzeitpunkt rechtserheblich beeinträchtigt gewesen sein könne. Dem sei das Landgericht in seinem Strafurteil gefolgt und habe einen Affektzustand mit schuldeinschränkender Wirkung im Sinne des § 21 StGB bejaht. Es spreche von einem tief greifenden Konflikt des Klägers, weil er wegen des Ehebruchs und des anschließenden Verhaltens seiner Frau damit habe rechnen müssen, dass sich diese zusammen mit den Kindern auf Dauer von ihm trennen werde. Das habe ihn in eine tiefe Krise gestürzt, die bis zur Tat angedauert habe. Für die Kammer sei es nachvollziehbar und überzeugend, wenn der Sachverständige aufgrund dieser besonderen Umstände zu dem Ergebnis gelange, beim Kläger liege keine Persönlichkeitsstruktur mit latenter Gewaltbereitschaft vor. Der Sachverständige komme zu dem Ergebnis, dass eine Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Straftat bisher kaum stattgefunden habe, was für die kriminalprognostische Beurteilung ungünstig einzuschätzen sei; denn der Kläger habe die Tat weitgehend verdrängt und stelle den Tathergang im Gegensatz zu den Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil zum Teil anders dar. Einer günstigen Kriminalprognose stehe dieser Umstand aber deshalb nicht entgegen, weil der Gutachter nach seinen sachverständigen Verhaltensbeobachtungen während der Gespräche zu dem Ergebnis gekommen sei, dass beim Kläger durchaus ein Schuldbewusstsein vorhanden sei. Der Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei seiner abschließenden kriminalprognostischen Beurteilung im schriftlichen Gutachten sei er davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Entlassung aus der Strafhaft trotz der Schwierigkeiten, sich auf Deutsch zu verständigen, die erforderlichen Hilfen in Form von Therapien und Gesprächen erhalte. Der Sachverständige gehe zu Recht davon aus, dass der Kläger aus der Strafhaft nicht ohne solche Behandlungsmaßnahmen entlassen werde. Denn das Strafvollzugsgesetz sehe ausdrücklich vor, dass der Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden solle, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Der Kläger habe sowohl gegenüber dem Sachverständigen als auch dem Gericht mehrfach bekundet, dass er zur Teilnahme an derartigen Hilfsmaßnahmen bereit sei. Auch soweit das Regierungspräsidium die Ausweisung auf generalpräventive Erwägungen stütze, könne dies die Maßnahme nicht rechtfertigen.
10 
Am 09.12.2010 wurde das Urteil dem Beklagten zugestellt.
11 
Auf den am 17.12.2010 vom Beklagten gestellten Antrag ließ der Senat mit Beschluss vom 25.01.2011 die Berufung zu. Der Beschluss wurde dem Beklagten am 31.01.2011 zugestellt.
12 
Am 04.03.2011 beantragte der Beklagte Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist und legte zugleich den Begründungsschriftsatz (vom 31.01.2011) in Kopie vor.
13 
Zur Begründung trägt er zunächst vor: Der Schriftsatz vom 31.01.2011 sei am 31.01.2011 zum Postversand gegeben worden. Er sei im elektronischen Verzeichnis, das vom Referat 15 geführt und in das alle Schreiben nach Abgang mit Datum des Postversands eingetragen würden, verzeichnet. Das Schreiben müsse daher auf dem Postweg verloren gegangen sein. Der Unterzeichner habe am 31.01.2011 die Berufungsbegründung verfasst und das Schreiben zum Postversand gegeben. Anschließend habe die Servicekraft Frau F. das Schreiben mit der Post versendet. Nachdem es das Haus verlassen habe, sei es in das elektronische Verzeichnis als Postausgang für den 31.01.2011 aufgenommen worden. In einem weiteren Schriftsatz (vom 28.03.2011) wird vorgetragen: Nachdem der Unterzeichner die Berufungsbegründung am 31.01.2011 verfasst und ausgedruckt gehabt habe, habe er das Schreiben in einer Umlaufmappe in das Postausgangsfach des Referats 15 gelegt. Frau F. habe diese Mappe am 31.01.2011 aus dem Postausgangsfach entnommen, habe die Entwurfsfassung im Feld für den Postausgangsvermerk abgezeichnet und das Entwurfsschreiben in der Postumlaufmappe dem Sachbearbeiter des Falles, Herrn K. in dessen Fach gelegt. Anschließend habe sie das Originalschreiben der Sekretärin, Frau R. vorgelegt. Diese habe sich das Schreiben angeschaut und es im elektronischen Postausgangsverzeichnis mit den Bemerkungen „K.“, „VGH Mannheim“, „L., S. und „AU Verwaltungsrechtssache“ eingetragen. Sodann habe sie das Originalschreiben in einen Briefumschlag gesteckt, habe diesen verschlossen und den Brief in die gelbe Postausgangskiste des Regierungspräsidiums gelegt. Am 01.02.2011 habe der Hausmeister des Dienstgebäudes Schwendistraße 12, Herr B., die Postausgangskiste zur Hauptpoststelle des Regierungspräsidiums gebracht. Dort würden täglich alle für den Postversand bestimmten Schreiben frankiert und auf den Postweg gegeben. Der im vorliegenden Fall gewählte Weg für den Versand entspreche der seit Jahren praktizierten Verfahrensweise. Der ordnungsgemäße Ablauf werde dabei fortlaufend kontrolliert und überwacht. Im Übrigen legt der Beklagte schriftliche Erklärungen von Frau F., Frau R. und Herrn B. vor. In einem weiteren Schriftsatz vom 13.04.2011 wird ausgeführt: Die Tatsache, dass Frau F. den Schriftsatz anschließend Frau R. vorgelegt habe, werde durch die Tatsache dokumentiert, dass Frau F. das Schreiben in das elektronische Postausgangsverzeichnis eingetragen habe. Hätte Frau F. das Schreiben nicht in Händen gehalten und dafür gesorgt, dass es auf den Postweg gegeben werde, so würde sich auf dem Schreiben nicht ihr handschriftlicher Vermerk befinden und Frau R. hätte das Schreiben nicht in das Verzeichnis eintragen können. Deshalb könnten Frau F. und Frau R. heute auch noch sichere Angaben machen. Der Eintrag in das Ausgangsverzeichnis, das Verpacken und Zukleben des Briefs sowie das Legen in die gelbe Postausgangskiste stellten einen einheitlichen Vorgang dar. Zunächst schaue sich Frau R. dabei den jeweiligen Schriftsatz an, um zu erkennen, wer den Brief verfasst habe und welche Sache das Schreiben betreffe. Sodann trage sie diese Daten in das Postverzeichnis ein, stecke den Brief dann in einen Umschlag und verschließe diesen. In unmittelbarem Anschluss hieran lege sie den Brief dann in die neben ihrem Schreibtisch stehende Postausgangskiste. Dies entspreche ständiger Praxis, ohne dass es bislang in einem einzigen Fall zu Problemen gekommen sei.
14 
In der Sache trägt er vor: Entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Freiburg habe der Gutachter seine Feststellung, dass die erneute Begehung einer Straftat gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit, wie sie der Verurteilung durch das Landgericht Rottweil zugrunde liege, mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, nicht uneingeschränkt aufrecht erhalten. Diese Einschätzung gelte nur dann, wenn der Kläger eine Therapie erhalte und auch nach der Haftentlassung begleitet werde. Weiter habe der Gutachter eingeschränkt, dass der Kläger die deutsche Sprache nicht in einem für eine Therapie in erforderlichen Maße beherrsche. Grundvoraussetzung für seine Annahme sei es daher, dass der Kläger Deutsch lerne, zu einer Therapie bereit sei und diese dann während der Haftzeit erfolgreich durchgeführt werde. Dass der Kläger eine fortlaufende Therapie auf Russisch während der Haftzeit erhalten könne, sei unwahrscheinlich, weil für eine solche Therapie nicht genug Therapeuten in der Justizvollzugsanstalt zur Verfügung stehen würden. Erhalte der Kläger jedoch während der Haftzeit keine Therapie, steige die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Begehung schwerer Straftaten. Das Verwaltungsgericht habe sich darauf beschränkt, den vom Gesetzgeber des Strafvollzugsgesetzes gewünschten Idealzustand in Bezug zu nehmen. Der Gutachter gehe davon aus, dass der Kläger über schlechte Konfliktverarbeitungsmechanismen verfüge. Weiterhin habe sich das Verwaltungsgericht nicht in ausreichendem Maße mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Kläger wirklich ernsthaft an einer Therapie interessiert sei. So habe er in der mündlichen Verhandlung am 24.03.2010 auf Frage, ob es Gespräche mit einem Psychologen gegeben habe, geantwortet: „Ich brauche doch keinen Psychologen. Ich bin doch nicht verrückt.“ Diese Einstellung werde auch durch die Ausführungen im Gutachten bestätigt. Dort werde festgestellt, dass der Kläger nicht an therapeutischen Gesprächen interessiert sei. Zu diesem Ergebnis sei auch ein weiterer Facharzt gekommen, welcher im Strafverfahren den Kläger begutachtet habe. Unberücksichtigt habe das Verwaltungsgericht auch die Frage eines Misserfolgs einer eventuellen Therapie gelassen. Das Verwaltungsgericht habe nur darauf abgestellt, dass der Kläger nach den gesetzlichen Vorgaben des Strafvollzugsgesetzes nicht ohne Behandlungsmaßnahmen entlassen werde. Seine Entlassung werde jedoch völlig unabhängig von einer Therapiebereitschaft oder der Durchführung einer Therapie nach Ende der Strafhaft erfolgen. Das Verwaltungsgericht sei auch von einem falschen Maßstab hinsichtlich der Wiederholungsgefahr ausgegangen. Nach der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung sei es für die Frage der Wiederholungsgefahr lediglich maßgeblich, ob vom Kläger die Gefahr der Begehung eines weiteren (versuchten) Totschlagsdelikt oder einer „gleichartigen Tat“ ausgehe. Hiernach sei die Verwirklichung einer Vielzahl anderer Straftaten, beispielsweise eine Vergewaltigung, ein Raub oder Diebstahl oder auch Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, für die Frage einer beim Kläger bestehenden Wiederholungsgefahr ohne Bedeutung. Demgegenüber sei es ausreichend, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen ernsthaft drohe und damit eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut bestehe. Wenn man jedoch mit dem Verwaltungsgericht lediglich auf die Gefahr der Begehung eines erneuten Totschlagsdelikts abstellen wollte, hätte es sich umso mehr aufdrängen müssen, auf die Relativität des Gefahrenbegriffs einzugehen. Zu seiner brutalen und menschenverachtenden Tat stehe der Kläger im Übrigen bis heute nicht. So habe der Kläger auch in den der Begutachtung zu Grunde liegenden persönlichen Gesprächen am 20. und 23. April 2010 behauptet, das Tatopfer habe ihn zuerst angegriffen und sei auf ihn losgegangen, so dass es zu einem Gerangel gekommen sei. Der Kläger habe bekräftigt, dass er die Eisenstange nicht zum Tatort mitgenommen habe, vielmehr habe das Tatopfer angefangen, ihn anzugreifen, so dass er eine Verletzung an Hand und Kopf erlitten habe.
15 
Ferner lasse das Verwaltungsgericht die Tatsache unberücksichtigt, dass die familiäre Situation des Klägers ungeklärt sei. Während der bisherigen Haftzeit von über vier Jahren habe der Kläger lediglich ein einziges Mal Besuch von seiner Ehefrau erhalten. In Briefen, die sie an ihn geschrieben habe, sei es allein um Unterlagen, die sie für Ansprüche der Kinder gegenüber Behörden benötigt habe, gegangen. Vor diesem Hintergrund sei es völlig offen, ob nach einer Haftentlassung in Deutschland die Ehe fortgesetzt werde. Ebenfalls unklar sei, wie sich der Umgang des Klägers bei einer Haftentlassung in Deutschland zu seinen Kindern gestalten werde. Der Kläger habe klar zum Ausdruck gebracht, dass es seine oberste Priorität sei, Umgang und Kontakt zu seinen Kindern zu haben. Sollte es hierbei - auch aufgrund des Verhaltens seiner Ehefrau in einem Scheidungsverfahren - zu Problemen kommen, sei nicht absehbar, wie er reagieren werde. Prof. Dr. K. habe ein Gefahr- und Konfliktpotential erkannt, falls es zu Problemen bei dem Umgang mit den Kindern kommen werde. Grundsätzlich sei er bei Erstellung seines Gutachtens jedoch davon ausgegangen, dass das familiäre Zusammenleben wieder aufgenommen werden könne und der Kläger im Laufe seines weiteren Lebens mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in eine ähnliche Situation geraten werde.
16 
Obwohl auch das Verwaltungsgericht erkannt habe, dass es dem Kläger aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur extrem schwer falle, seine Empfindungen - wie etwa Gefühle des Mitleids für sein Opfer - in Worten auszudrücken, sei es nicht darauf eingegangen, welche Folgen dies für die Frage einer Wiederholungsgefahr habe. Auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den selbständig tragenden generalpräventiven Gründen der Ausweisung gingen fehl.
17 
Der Beklagte beantragt,
18 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27. Oktober 2010 - 1 K 1516/08 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
19 
Der Kläger beantragt,
20 
die Berufung zurückzuweisen.
21 
Seiner Ansicht nach habe der Beklagte nicht unverschuldet die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Das Vorbringen sei widersprüchlich. Abgesehen davon müsse es überraschen, dass sich alle Beteiligten im Detail gerade an diesen bestimmten Brief und die konkrete Verfahrensweise noch erinnern könnten. Auch habe Frau R. zuerst den Eintrag in das elektronische Verzeichnis und erst anschließend die Sendung überhaupt versandfertig gemacht. Der weitere Transport der Schriftstücke zur zentralen Hauptpoststelle sei nicht hinreichend sicher gestellt; es sei offen, welche Mitarbeiter hierfür zuständig und ob diese ausreichend zuverlässig seien. Auch wichen die vorgelegten persönlichen Erklärungen vom Vortrag im Schriftsatz vom 28.03.2011 ab. So werde dort vorgetragen, Frau F. habe das Schreiben an Frau R. übergeben. Frau F. und Frau R. hätten hingegen angegeben, dass das Schreiben von Frau F. auf den Schreibtisch von Frau R. gelegt worden sei, wo diese es vorgefunden habe. Im Übrigen mache er sich die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen.
22 
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. K. eingeholt, die dieser unter dem 21.03.2011 abgegeben hat.
23 
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
24 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Freiburg, die Strafakten des Landgerichts Rottweil sowie Gefangenenpersonalakten des Klägers vor.

Entscheidungsgründe

 
A.
25 
Die Berufung ist zulässig. Zwar hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) versäumt. Er hat jedoch fristgemäß die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt (§ 60 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO). Die Tatsache, dass in dem innerhalb der Frist vorgelegten Schriftsatz vom 04.03.2011 der maßgebliche Sachverhalt bzw. Geschehensablauf nur in den Grundzügen vorgetragen und erst später präzisiert wurde, insbesondere auch hinsichtlich der getroffenen organisatorischen Vorkehrungen, ist unschädlich. Er hat auch glaubhaft gemacht, ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sei, weshalb ihm Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
26 
Es bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die fragliche Postsendung im Machtbereich des Regierungspräsidiums auf eine zurechenbare Art und Weise verloren gegangen sein könnte. Dabei gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe und Anforderungen wie sie auch auf die Tätigkeit von Rechtsanwälten angewandt werden. Auch hier wird nur unmittelbares Verschulden des Behördenleiters oder des selbstständig mit der Organisation der Fristüberwachung betrauten Beamten zugerechnet, nicht jedoch das Verschulden anderer Bediensteter (von Albedyll, in: Bader u.a., VwGO, 5. Aufl., § 60 Rdn. 13 m.w.N.). Ein derartiges originäres Verschulden ist nicht erkennbar. Insbesondere ist die Organisation und Überwachung der Versendung fristwahrender Schriftsätze ausreichend zuverlässig. Der vom Kläger beanstandete Umstand, dass Frau R. bereits, nachdem sie sich des Inhalts des Schriftstücks vergewissert hat, die Eintragung in das elektronische Register vornimmt, ist unschädlich, wenn, wie hier, sichergestellt ist, dass sie dieses sowie das Eintüten und Einlegen in die Postausgangskiste in einem Arbeitsgang vornimmt. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn sich etwa aufgrund der Verhältnisse am Arbeitsplatz von Frau R., etwa wegen häufiger Ablenkungen durch Telefonanrufe etc., hier Unzuträglichkeiten ergeben können bzw. schon tatsächlich ergeben hätten, was jedoch nicht ersichtlich ist. Einen weitergehenden Nachweis, dass der Schriftsatz dann auch tatsächlich zur Post gelangt ist, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht verlangt, ebenso wenig wie eine genaue Darlegung, wann und wo er verloren gegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16.02.2010 – VIII ZB 76/09 – NJW 2010, 1378). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der weitere Postlauf zur Hauptpoststelle und von dort zur Post selbst mangelhaft organisiert gewesen sein könnte, zumal es sich hierbei um einfach strukturierte Routineabläufe handelt. Eine andere Frage ist, ob bei dieser Sachlage ausreichende Vorsorge getroffen wurde, dass die Schriftsätze unverzüglich und auch rechtzeitig das Haus verlassen und zur Post gelangen, um dann entsprechende Fristen zu wahren. Darum geht es hier jedoch nicht. Denn der fragliche Schriftsatz ist vermutlich gar nicht beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Er ist bei einer Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 31.01.2011 jedenfalls so rechtzeitig vom Referat 15 in den Postlauf gegeben worden, dass der Verlust des Schriftsatzes kausal für die Fristversäumung gewesen sein muss.
27 
Die schriftsätzlichen Ausführungen sowie die hierzu vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen von Frau F. und Frau R. sind auch im Wesentlichen nicht unauflösbar widersprüchlich. Zwar klingen die ursprünglichen Ausführungen im Schriftsatz vom 04.03.2011 sowie vom 21.03.2011 zunächst so, als ob Frau F. die Sendung zum Postversand gebracht hätte. Der folgende Schriftsatz vom 28.03.2011 schildert die Abläufe hingegen zulässigerweise differenzierter und gibt die arbeitsteilige Handlungsweisen genauer wieder, ohne dass hieraus geschlossen werden kann, es würden unwahre Angaben gemacht. Kein Widerspruch besteht auch zwischen den Angaben im Schriftsatz vom 28.03.2011, wonach Frau F. das Schreiben Frau R. „vorgelegt“ habe, während in deren persönlichen Erklärungen ausgeführt wurde, Frau F. habe es auf den Schreibtisch von Frau R. gelegt. Widersprüchlich erscheinen zunächst die Angaben nur insofern, als es im Schriftsatz vom 21.03.2011 heißt, Frau F. habe, nachdem das Schriftstück das Haus verlassen habe, dieses in das elektronische Verzeichnis für den 31.01.2011 aufgenommen. Denn unter dem 28.03.2011 wurde vorgetragen, Frau R. habe den Eintrag gemacht, bevor das Schriftstück das Haus verlassen habe. Der Beklagtenvertreter hat jedoch nochmals in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er ursprünglich der Auffassung gewesen sei, der knappe Vortrag würde ausreichen. Er habe dann aber als Reaktion auf das Vorbringen des Klägers und die Anforderungen des Gerichts weitere Gespräche mit den Mitarbeiterinnen geführt und daher den Vortrag präzisieren und genauer darlegen müssen, weshalb es auch - wegen früherer Verkürzungen - zu gewissen Unterschieden in der Darstellung gekommen sei. Der Umstand, dass nunmehr ausgeführt wird, die Postausgangskiste sei erst am 01.02.2011 zur zentralen Poststelle gebracht worden, stellt nach Überzeugung des Senats eine solche zulässige Präzisierung dar, da auch in den früheren Erklärungen nicht explizit davon die Rede gewesen war, der Schriftsatz sei schon am 31.01.2011 bei der Deutschen Post AG eingegangen.

B.
28 
Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Auch nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - NVwZ 2008, 434) ergibt sich nichts anderes.
29 
I. Der Kläger hat, indem er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt wurde, den zwingenden Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht.
30 
1. Da er mit seiner deutschen Ehefrau und seinen beiden deutschen Kindern bis zum Zeitpunkt der Verhaftung in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hatte, genießt er nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz und darf nur ausgewiesen werden, wenn schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen.
31 
Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - NVwZ 2009, 727 m.w.N.) liegt ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nur dann vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz mit den Regelungen des § 56 AufenthG bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung streng einzelfallbezogen ein deutliches Übergewicht hat. Ein solches Übergewicht kann aus den besonderen Umständen der jeweils die Ausweisung auslösenden Verhaltensweisen des Ausländers folgen. Danach können Fälle mittlerer und schwerer Kriminalität, namentlich schwere Gewaltdelikte, einen solchen schwerwiegenden Grund ausmachen, wobei als kumulativ festzustellende Voraussetzung die Ausweisung zur Unterbindung erneuter vom Ausländer ausgehender Gefahren geboten sein muss (vgl. auch Senatsurteil vom 09.07.2003 - 11 S 420/03 -EzAR 033 Nr. 8).
32 
Stützt die Ausländerbehörde ihre Ausweisungsverfügung auf spezialpräventive Gründe, so ist diese (im Sinne eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes) nur dann gerechtfertigt, wenn für die Gefahr erneuter Rechtsgutsverletzungen konkrete Anhaltspunkte bestehen. Der Ausweisungsgrund ist nicht schwerwiegend mit der zwingenden Rechtsfolge, dass eine Abschiebung unzulässig ist, wenn allein eine entfernte Möglichkeit weiterer Störungen der öffentlichen Sicherheit besteht, weil nicht hinreichend ausgeschlossen werden kann, dass der Ausländer sein schwerwiegendes früheres Fehlverhalten wiederholen oder andere Taten von vergleichbarem Gewicht begehen wird. Es sind somit qualifizierte Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen, weshalb konkrete Anhaltspunkte dafür ausgemacht werden müssen, dass auch in Zukunft bedeutsame Gefahren für ein wichtiges Schutzgut ernsthaft zu besorgen sind (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.05.2003 - 1 S 254/03 - VBlBW 2003, 474). Mit anderen Worten: Eine grenzenlose Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach Maßgabe der Schwere der Rechtsgutsverletzung (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61.84 - InfAuslR 1985, 33) ist nicht statthaft. Allerdings ordnet für die hier zu beurteilende Fallkonstellation § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausdrücklich an, dass im Falle des § 53 AufenthG in der Regel schwerwiegende Gründe vorliegen, weshalb es hier keiner konkreten positiven Feststellungen bedarf, sondern lediglich Umstände festgestellt werden müssen, die eine Atypik begründen. Solche Umstände sind hier nicht gegeben.
33 
Im Falle des Klägers bestehen – ungeachtet der gesetzlichen Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG – im Übrigen auch die für die Annahme eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes gebotenen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wieder in schwerwiegender Weise gegen die Strafrechtsordnung verstoßen könnte. Die ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. K. (vgl. S. 1 und 5) macht unmissverständlich deutlich, dass beim Kläger ein nicht vollständig zu vernachlässigendes Potential unzureichend entwickelter Konfliktvermeidungs- und Konfliktbewältigungsstrategien vorhanden ist, das einer therapeutischen Aufarbeitung bedarf, um eine ausreichend verantwortliche Verhaltenssteuerung einigermaßen zuverlässig zu gewährleisten. Allerdings geht der Gutachter davon aus, dass eine eigentliche Therapie nicht unbedingt erforderlich ist, sondern dass auch umfassende und eingehende therapeutische bzw. psychologische Gespräche und ein Resozialisierungsprogramm sowie ein Anti-Gewalt-Training ausreichen; er stellt beides prinzipiell als gleichwertig nebeneinander (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 30; Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 27.10.2010, S. 3 und 5; ergänzende Stellungnahme S. 1). Diese Voraussetzung kommt nicht nur deutlich in seinen grundsätzlichen Ausführungen zu den zwingenden Erfordernissen einer Vorbereitung in der Haft zum Ausdruck, sondern liegt ersichtlich auch seinen abschließenden Bemerkungen über die unerlässlichen Anforderungen an die Gestaltung der Bewährungszeit zugrunde. Nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht hinreichend prognostiziert werden, dass mit der erforderlichen Verlässlichkeit bis zur Haftentlassung eine Therapie erfolgreich abgeschlossen sein wird, oder jedenfalls die therapeutischen bzw. psychologischen Gespräche mit dem erforderlichen Ergebnis durchgeführt sein werden. Im Gegenteil: Es spricht alles dafür, dass dieses nicht der Fall sein wird. Zwar hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27.10.2010 ausweislich der Niederschrift behauptet, er habe mit dem russischsprechenden Psychotherapeuten bzw. Psychologen W. in der Vollzugsanstalt drei therapeutische Gespräche geführt, wovon eines einen halben Tag und die anderen beiden jeweils etwa eine Stunde gedauert hätten. Auf diesbezügliche Fragen des Senats in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger schon von sich aus nicht mehr davon gesprochen, dass er Gespräche von einer solchen Dauer geführt habe, woraus unübersehbar deutlich wird, dass er insoweit beim Verwaltungsgericht die Unwahrheit gesagt hat, um sich in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Er hat gegenüber dem Senat lediglich ganz allgemein behauptet, in zwei Gesprächen, die aber nach den eigenen Angaben wesentlich kürzer gewesen waren (eine Stunde oder auch nur eine halbe Stunde), sei auch über die Tat gesprochen worden. Der Senat kann unterstellen, dass auch die Tat erwähnt worden sein wird, jede andere Annahme wäre lebensfremd. Entscheidend ist vielmehr allein die Dauer bzw. Häufigkeit der Gespräche und deren Qualität. Zu seiner Überzeugung steht nach der eingeholten schriftlichen Erklärung von Herrn W. vom 03.05.2011 aber fest, dass eine erforderliche intensive Befassung mit und Aufarbeitung der Tat nicht erfolgt ist. Dies wäre angesichts der vom Kläger selbst zugestandenen Kürze und der Zahl der Treffen mit Herrn W. auch gar nicht möglich. Auch muss der Senat davon ausgehen, dass der Kläger kein wirkliches Interesse daran hat, obwohl ihm in der Justizvollzugsanstalt die Chance von Gesprächen in seiner Muttersprache geboten wird. Eine gegenteilige Überzeugung hat der Kläger mit seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung beim Senat nicht herbeiführen können. Abgesehen davon hat Herr W. dieses in seiner Stellungnahme auch klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Der Senat sieht in diesem Zusammenhang keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, wie der Prozessbevollmächtigte vermutet, dass Herr W. aus auch bei diesem liegenden Gründen keine Gesprächsbasis gefunden hatte, weshalb ein beim Kläger an sich bestehender ernsthafter Wunsch und Wille zu einer intensiven Aufarbeitung der Tat nicht erfüllt werden konnte, ohne dass er dieses zu vertreten hätte. Dies ganz losgelöst von der Frage, ob dieses unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr überhaupt erheblich sein kann. Für den Senat ist insgesamt nicht ersichtlich, weshalb Herr W. in seiner Stellungnahme vom 03.05.2011 unwahre Angaben gemacht haben sollte. Demgegenüber liegt es auf der Hand, dass der Kläger ein erhebliches Interesse hat, wahrheitswidrig ein Interesse an einer Therapie zu behaupten, nachdem ihm nunmehr nach der gesamten Vorgeschichte klar geworden sein muss, dass er nur auf diese Weise eine Chance haben kann, die Ausweisung noch abwenden zu können. Diese ist auch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zweifelsfrei unwahren Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu sehen. Jedenfalls kann, nachdem nunmehr 3 ½ Jahre seit der Verurteilung verstrichen sind, ohne dass der Kläger diesbezüglich irgendetwas auf den Weg gebracht hat, die bloße verbale Behauptung, an einer Therapie interessiert zu sein, ein positive Einschätzung nicht begründen.
34 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine völlig ungeklärte eheliche und familiäre Situation ein vom Senat zu seinen Lasten zu berücksichtigender gefahrerhöhender Umstand, der keineswegs nur abstrakt ist und damit unerheblich wäre. Der Kläger hält zwar nach seinen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung formal an seiner Ehe fest und will sich nicht scheiden lassen, was insoweit nachvollziehbar ist, weil er andernfalls den mit der Ehe verbundenen erhöhten Ausweisungsschutz verlieren würde. Andererseits will er mit seiner Ehefrau gegenwärtig nichts zu tun haben und hat diese seit seiner Inhaftierung vor 4 ½ Jahren allenfalls ein Mal gesehen; er will sie nach seinen eindeutigen und kategorischen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch zukünftig nicht sehen und hat mit ihr auch keinen nennenswerten, ihre Beziehung betreffenden brieflichen Kontakt. Es ist für den Senat nicht nachzuvollziehen, weshalb der Kläger nur für den Fall, dass er hier bleiben dürfe, seine Beziehung zu der Ehefrau „ankurbeln“ wolle, was er auch immer darunter verstehen mag. Denn wenn ihm wirklich etwas an der Beziehung zu seiner Ehefrau liegen würde, müsste er sich in jedem Fall und bedingungslos um die Beziehung bemühen. Nach alledem muss sich aufdrängen, dass spätestens im Falle der Haftentlassung ein ernst zu nehmendes Risiko besteht, dass sich die Ehefrau endgültig von ihm trennt oder bereits getrennt hat. Dann jedoch steht die Frage an, was mit den Kindern geschehen wird. Diese Fragestellung beinhaltet ein erhebliches Konfliktpotential, das auch mit schweren Kränkungen verbunden sein kann, zumal dann, wenn die Ehefrau den Kläger nicht oder jedenfalls wenig an dem Leben der Kinder teilhaben lassen will. Auch der Gutachter sieht dieses ebenso (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 2 und 5). Dass der Kläger mit tiefer gehenden persönlichen Konflikten und Kränkungen nicht umgehen kann, hat er in der Vergangenheit eindrücklich gezeigt, wie er ebenso - zuletzt in der mündlichen Verhandlung - deutlich gemacht hat, dass er nicht ernsthaft bereit ist, hieran zu arbeiten.
35 
Gegen den Kläger spricht – jedenfalls in einer Gesamtschau – nach Überzeugung des Senats auch, dass er nach der Tat und insbesondere nach der strafgerichtlichen Verurteilung bis heute die Tat, jedenfalls wesentliche Tatbeiträge seinerseits, im Grunde leugnet und sich nicht vorbehaltlos seiner Schuld stellt. Zwar übersieht der Senat nicht, dass nach der fachlichen Einschätzung des Gutachters (vgl. S. 3 der ergänzenden Stellungnahme) nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger, wie auch viele andere vergleichbar strukturierte Täter, an seine Grenzen stößt und eine möglicherweise zusätzlich vorhandene Störung der Wahrnehmung offenbar auch dem Schutz der eigenen psychischen Stabilität dient. Immerhin weist der Gutachter darauf hin, dass es tatsächlich zu erheblichen Erinnerungsausfällen gekommen sein kann. All das mag das Verhalten zunächst nachvollziehbar erscheinen lassen. Gleichwohl spricht gegen eine - wie auch oben in anderem Zusammenhang erörterte - Auseinandersetzungsbereitschaft mit der Tat, dass der Kläger über ein Leugnen hinaus im Grunde wesentliche, wenn nicht überwiegende Tatbeiträge bzw. Verschuldensanteile auf das Opfer verschiebt. Dies gilt jedenfalls, wenn man sein gesamtes Verhalten im Zusammenhang betrachtet und die bereits oben gewürdigten Angaben zur Therapiebereitschaft und den mit Herrn W. geführten Gesprächen angemessen berücksichtigt.
36 
Anders als der Beklagte dies sieht, können allerdings bei der Beurteilung des Maßes der Wiederholungsgefahr nicht andere Deliktsgruppen wie Vergewaltigung, Raub, Diebstahl oder Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz einbezogen werden. Auch wenn es sich – wie der Gutachter richtigerweise ausführt – hier nicht um eine klassische Affekttat gehandelt hat, so war es doch gewissermaßen eine Beziehungstat. Hinzukommt, dass der Gutachter keine besondere, mit erhöhter Aggressivität einhergehende Persönlichkeitsstörung festgestellt hat; der Gutachter verneint ausdrücklich eine allgemeine Gewaltbereitschaft (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 21, 26 und 29), was der Beklagte offenbar aus dem Auge verloren hat. Ausgehend von den Ausführungen des Gutachters besteht kein Ansatz dafür, dass die Begehung solcher Taten auch angedacht werden müsste.
37 
Der weitere tatsächliche Ausgangspunkt des Gutachters wie auch des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei Ersttäter, wird zwar von der Beklagten in Frage gestellt, weil diese Annahme nur auf den Angaben des Klägers im Strafverfahren wie auch gegenüber dem Verwaltungsgericht sowie telefonischen Auskünften der Ehefrau und der Schwägerin beruht. Eine weitere, in erster Linie nur in Kirgisistan mögliche Ermittlung ist jedoch nach Auffassung des Senats nicht geboten, zumal der Beklagte sich auch nicht zu solchen im Verwaltungsverfahren veranlasst sah. Es besteht kein Anlass, dem Kläger zu misstrauen, auch nicht deshalb, weil er behauptet hat, angegriffen worden zu sein, weil er unzutreffende Angaben über die Gespräche mit Herrn W. gemacht hat. Wenn der Kläger im Bundesgebiet nicht weiter strafrechtlich und polizeilich in Erscheinung getreten ist, was im Strafverfahren zu Tage getreten wäre, bestand für den Gutachter kein ausreichender Ermittlungsansatz für weitere Nachforschungen im sozialen Umfeld des Klägers.
38 
Auch wenn der Gutachter eine infolge der Hafterfahrung eingetretene Nachreifung festgestellt haben will (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 4 f.), so verbleibt namentlich auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung gewonnen Überzeugung des Senats ein rechtlich erhebliches Risiko der Begehung einer vergleichbaren Gewalttat.
39 
Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die vom Beklagten betonte Feststellung der formellen Voraussetzungen des § 66 b a.F. StGB durch die Staatsanwaltschaft nichts besagt, weil hier gerade keinerlei Aussage zu den materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung („wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“) gemacht wurde.
40 
Nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung wiederum über bestimmte Prozentränge für eine Eintrittswahrscheinlichkeit diskutiert haben und sie das auch schon in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 getan hatten, möchte der Senat - wie auch schon das Verwaltungsgericht - abschließend eine wichtige Aussage des Gutachters in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 hervorheben, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt. Er hatte dort ausdrücklich betont, dass sich die benannten Prozentränge nur aus einzelnen Checklisten und Tests ergäben und allein dienenden und ergänzenden Charakter haben können. Sie dürften in keinem Fall die auf der Exploration beruhende endgültige kriminalprognostische Beurteilung ersetzen oder maßgeblich mitbestimmen.
41 
2. Ist der die Ausweisung tragende Grund schwerwiegend, so ist an sich der Kläger gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat den Kläger, insbesondere wegen der vorhandenen minderjährigen Kinder deutscher Staatsangehörigkeit, entsprechend den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - VwZ 2008, 326) allerdings zutreffend nur im Ermessenswege ausgewiesen. Es ist damit von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall ausgegangen, denn allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG wird dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300). Der Senat geht in diesem Zusammenhang zugunsten des Klägers davon aus, dass die Ehefrau des Klägers und auch er weiter an der Ehe festhalten, weshalb diesem Umstand aufenthaltsrechtlich eine erhebliche und weit reichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, zumal da die Ehefrau deutsche Staatsangehörige ist (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133; vom 27.09.1978 - 1 C 79.76 - BVerwGE 56, 246; vom 17.1.1989 - 1 C 46.86 - NVwZ 1989, 770; auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschluss vom 15.6.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311). Weiter wird der Schutz erheblich verstärkt durch den Umstand, dass der Kläger nach wie vor das Sorgerecht hinsichtlich seiner deutschen Kinder hat und auch während der Haft mit diesen regelmäßig Kontakt pflegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.1980 - I 55.75 - BVerwGE 60, 126; vom 19.10.1982 - 1 C 100.78 - EzAR 124 Nr. 6). Die Frage des konkreten Schutzes wird nicht allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG erschöpfend beantwortet, ihr ist vielmehr im Rahmen der Ermessensausübung nochmals umfassend und differenziert nachzugehen. Der Schutz der deutsch/ausländischen Familie wird dabei nicht durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau und die Kinder selbst aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388).
42 
Der Beklagte hat im Rahmen der von ihm angestellten und in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet. Der Beklagte hat zwar erwogen, dass die Ehefrau und seine Kinder wegen ihrer Herkunft mit dem Kläger nach Kirgisistan zurückkehren und ihnen dieses vorübergehend zuzumuten sein könnte, hat aber bei seiner Ermessenentscheidung die endgültige Trennung letztlich unterstellt. Was das Gewicht der Folgen der Trennung betrifft, kann der Senat nicht unberücksichtigt lassen, dass gegenwärtig keinerlei persönliche Beziehung zur Ehefrau besteht und der Kläger eine Wiederaufnahme strikt abgelehnt hat und weiter ablehnt. Der Kläger konnte dem Senat auch in der mündlichen Verhandlung nicht plausibel machen, dass er ernsthaft an einer Klärung der Beziehung mit dem Ziel einer Wiederaufnahme zu arbeiten gewillt ist. Auch die Beziehung zu seinen beiden Kindern ist nach den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben auch unter angemessener Berücksichtigung der haftbedingten Erschwernisse eher lose und lässt eine intensive Teilhabe am Leben der Kinder vermissen. Es wurde auch nicht geltend gemacht, dass aus der ebenfalls maßgeblichen Sicht der Kinder eine besonders enge Bindung an den Vater besteht. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob in der Justizvollzugsanstalt F. häufigere persönliche Besuche möglich wären. Immerhin hat sich der Kläger gar nicht darauf berufen, dass diese nicht möglich wären, sondern ausschließlich geltend gemacht, der Bruder habe nicht mehr Zeit bzw. den Kindern werde bei der Autofahrt leicht schlecht. Der letztgenannte Grund leuchtet dem Senat nicht ein, wenn ein tiefer gehendes Interesse der Kinder bzw. des Klägers an einem unmittelbaren persönlichen Kontakt bestehen würde. Für diese Bewertung ist für den Senat maßgeblich, dass der Kläger beispielsweise keine genaueren Angaben über die Art der vom älteren Sohn besuchte Schule machen konnte, sondern erst auf entsprechende Nachfrage sagte, dass er nicht wisse, wie man die Schule bezeichne, und pauschal von „Mittelschule“ sprach. Dieser Umstand wie auch die Tatsache, dass er nur sehr allgemeine Angaben über den schulischen Werdegang der Kinder und deren sonstige Aktivitäten machen konnte, zeigen deutlich, dass das Interesse an seinen Kindern nicht besonders entwickelt ist. Beispielsweise konnte der Kläger nicht einmal präzise Angaben darüber machen, wo der ältere Sohn Taekwon-Do trainiere, ob etwa im Rahmen des Sportunterrichts oder außerhalb des schulischen Rahmens. Auch seine Schilderungen über den Ablauf der Besuchsaufenthalte in der Haft blieben sehr an der Oberfläche und blass. Vor dem Hintergrund der eher größeren Abstände der Besuche in der Haft konnte der Senat nicht nachvollziehen, dass er in 4 ½ Jahren seine Kinder nur 1 bis 2 Mal angerufen hat. Die Erklärung, dass er aus der Justizvollzugsanstalt auf deren Mobiltelefone nicht anrufen dürfe, wertet der Senat als Ausflucht. Denn es fehlt jeder Anhalt dafür, dass die Kinder nicht auch über einen Festnetzanschluss erreichbar sein könnten, auch wenn die Mutter über einen solchen nicht verfügen sollte. Wenn schon ein telefonischer Kontakt praktisch nicht stattfindet, so wäre bei einer wirklich gelebten intensiven persönlichen Beziehung wenigstens ein intensiver schriftlicher Kontakt zu erwarten gewesen, den der Senat aber auch nicht feststellen konnte. Nach den Angaben des Klägers schickt er lediglich Postkarten, und dann auch nur an Geburtstagen und etwa an Weihnachten. Angesichts dieser persönlichen und familiären Verhältnisse und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger erst im Alter von knapp 28 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist und nur 4 ½ Jahre straffrei im Bundesgebiet gelebt hat, erweist sich die Ausweisung in Ansehung der nicht von der Hand zu weisenden Besorgnis der Begehung vergleichbarer Gewalttaten und insbesondere unter Berücksichtigung der außerordentlich gravierenden Folgen der Tat auch nicht als unverhältnismäßig (vgl. auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif/Schweiz -InfAuslR 2001, 476; vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279; vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04, Maslov/Deutschland II - InfAuslR 2008, 333).
43 
Der Senat kann daher offen lassen, ob die Ausweisung auch allein durch generalpräventive Erwägungen getragen wäre (vgl. hierzu Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris).
44 
II. Für den Kläger ergeben sich auch aus Europarecht keine weitergehende Rechte, die seiner Ausweisung entgegenstehen.
45 
1. a) Der Europäische Gerichtshof hat zwar mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache C-34/09 (Ruiz Zambrano) in einem familiär ähnlich gelagerten Fall u.a. entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann.
46 
Ob damit, insbesondere was die Beurteilung der Rechte drittstaatsangehöriger Familienmitglieder betrifft, eine generelle Gleichstellung mit solchen Unionsbürgern verbunden ist, die bereits einmal von ihrer mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, und ob etwa die Bestimmungen der Unionsbürger-RL 2004/38/EG (namentlich dessen Art. 28) entsprechend anzuwenden sind (vgl. zum Anwendungsbereich deren Art. 3 Abs. 1 und nunmehr auch EuGH, Urteil vom 05.05.2011, Rs C-434/09, McCarthy), kann der Senat offenlassen (vgl. zu dieser Frage auch das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 20.01.2011 - 11 S 1069/10 - InfAuslR 2011, 133). Denn Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG stünde einer Ausweisung nicht entgegen (vgl. hierzu unten) und Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG wäre ohnehin im Falle des Klägers nicht anwendbar, da er sich noch nicht 10 Jahre im Bundesgebiet aufhält.
47 
Folge der nicht möglichen unmittelbaren Anwendbarkeit der Unionsbürger-RL 2004/38/EG ist dann auch, dass das FreizügigkeitsG/EU hier ebenfalls nicht unmittelbar anzuwenden ist, es vielmehr bei der Geltung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regeln zu verbleiben hat. Diese sind allerdings unionsrechtskonform zu handhaben.
48 
b) Auch wenn infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon am 01.12.2009 in Art. 24 der Grundrechtecharta (GRCh) die Kinderrechte gestärkt und bekräftigt werden, gilt der nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „Ruiz Zambrano“ aus der Unionsbürgerschaft nach Art. 20 AEUV folgende Aufenthaltsanspruch der drittstaatsangehörigen Eltern - ungeachtet einer möglichen entsprechenden Anwendbarkeit des Art. 28 RL 2004/38/EG -nicht unbeschränkt. Wie für den Fortbestand der Unionsbürgerschaft selbst (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-135/08, Rottmann, Rn. 55), muss auch für deren Reichweite der primärrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fruchtbar gemacht werden (vgl. Art. 5 Abs. 4 EUV). Hiernach gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Um hierbei die von Art. 6 Abs. 2 EUV sowie Art. 52 Abs. 3 und 7 GRCh angestrebte Einheitlichkeit des europäischen Menschenrechtsschutzes, d.h. den angestrebten materiell-rechtlichen Gleichlauf zwischen EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) des Europarates zu erreichen, sind bei straffällig gewordenen Eltern die vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zu Art. 8 EMRK entwickelten sog. Boultif/Üner-Kriterien heranzuziehen (EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476; Urteil vom 05.07.2005 - 46410/99 <Üner> - InfAuslR 2005, 450), die der Gerichtshof etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) zusammengefasst hat.
49 
Ob der Eingriff in das unionsbürgerliche Aufenthaltsrecht des Elternteils nach Art. 20 AEUV sowie das geschützte Familien- und Privatleben im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, entscheidet sich mithin immer im konkreten Einzelfall unter Abwägung der aufgeführten verschiedenen Belange. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, führt jedoch auch die Anwendung der Boultif/Üner-Kriterien im konkreten Einzelfall des Klägers nicht zu einem ihm günstigen Ergebnis.
50 
c) Die Ausweisung des Klägers, dem grundsätzlich der unionsbürgerrechtliche Schutz nach Art. 20 AEUV zukommt, erweist sich auch nicht bei Berücksichtigung der sonstigen Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs zu Ausweisungen als rechtswidrig. Zwar ist die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG (in entsprechender Anwendung) und der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann eröffnet, wenn in restriktiver Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Ausnahmebestimmungen unter Ausschluss generalpräventiver Überlegungen aufgrund eines persönlichen Verhaltens des Betroffenen eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung von diesem ausgeht, die darüber hinaus ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren muss (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs 67/74, Bonsignore - Slg. 1975, 297; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - Slg. 1975, 1219; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - Slg. 1977, 1999; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81, Adoui und Cornuaille - Slg. 1982, 1665; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86, Kommission/Bundesrepublik - Slg. 1989, 2363; vom 19.01.1999 - C-348/96, Calfa - Slg 1999, I-11). Dieser Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich im Verständnis des Gerichtshofs auf ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann ausreichen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erkennen lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01, Orfanopoulus und Oliveri - Slg. 2004, I-5257). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - a.a.O.). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet ist. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59).
51 
aa) Der Europäische Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes „gesellschaftliches Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - a.a.O.). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
52 
bb) Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Diese Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartig weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in den dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Europäischen Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit nur die „ultima ratio“ sein darf, stehen einem solchen Verständnis entgegen; es ist auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unionsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet.
53 
Das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung ist nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit, jedenfalls aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats immer dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise gewichtige Gründe dafür sprechen, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, ist dieses im Falle des Klägers anzunehmen.
54 
cc) Der Senat geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass die vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Schutzes vorliegen, auch wenn der Kläger aktuell seinen Kindern – abgesehen von gelegentlichen kleineren Geschenken – keinen Unterhalt leistet. Denn die Tatsache, dass er dies bis zu seiner Inhaftierung regelmäßig getan hat und er nunmehr aus objektiven Gründen daran gehindert ist, muss genügen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass er nach seiner Entlassung, so er über Erwerbseinkommen verfügt, weiter Unterhalt leisten wird.
55 
Angesichts der weiter bestehenden relevanten und nicht zu vernachlässigenden Wiederholungsgefahr erweist sich jedoch auch in Anwendung der unionsrechtlichen und menschenrechtlichen Maßstäbe die Ausweisung als ermessensfehlerfrei sowie als verhältnismäßig und durch ein Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz der körperlichen Integrität ihrer Bewohner gerechtfertigt. Insbesondere hat der Beklagte sich nach der Erörterung möglicher unionsrechtlicher Vorgaben in der mündlichen Verhandlung dieser vergewissert und seine Ermessenserwägungen überprüft sowie seine unionsrechtlich tragfähigen Überlegungen, weshalb an der Ausweisungsverfügung festgehalten werden soll, nachvollziehbar dargelegt (vgl. Seite 3 der Niederschrift vom 04.05.2011).
56 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung aus der Haft finden ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG. Der Senat kann offen lassen, ob sich für die Ausgestaltung einer Abschiebungsandrohung nunmehr besondere Vorgaben aus der Rückführungs-RL 2008/115/EG ergeben. Denn die Richtlinie gilt nach deren Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Nr. 4 nur für Rückkehrentscheidungen (vgl. auch deren Art. 6), die gegenüber illegal aufhältigen Ausländern ergehen. Der Kläger ist jedoch erst mit Wirksamwerden der Ausweisungsverfügung, die in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG zum Erlöschen gebracht hat, zum illegal aufhältigen Ausländer geworden.
57 
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Zulassung der Revision auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
58 
Beschluss
59 
vom 4. Mai 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.
61 
Der Beschluss ist unanfechtbar.
62 
Funke-Kaiser Prof. Dr. Bergmann Dr. Bauer

Gründe

 
A.
25 
Die Berufung ist zulässig. Zwar hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) versäumt. Er hat jedoch fristgemäß die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt (§ 60 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO). Die Tatsache, dass in dem innerhalb der Frist vorgelegten Schriftsatz vom 04.03.2011 der maßgebliche Sachverhalt bzw. Geschehensablauf nur in den Grundzügen vorgetragen und erst später präzisiert wurde, insbesondere auch hinsichtlich der getroffenen organisatorischen Vorkehrungen, ist unschädlich. Er hat auch glaubhaft gemacht, ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sei, weshalb ihm Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
26 
Es bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die fragliche Postsendung im Machtbereich des Regierungspräsidiums auf eine zurechenbare Art und Weise verloren gegangen sein könnte. Dabei gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe und Anforderungen wie sie auch auf die Tätigkeit von Rechtsanwälten angewandt werden. Auch hier wird nur unmittelbares Verschulden des Behördenleiters oder des selbstständig mit der Organisation der Fristüberwachung betrauten Beamten zugerechnet, nicht jedoch das Verschulden anderer Bediensteter (von Albedyll, in: Bader u.a., VwGO, 5. Aufl., § 60 Rdn. 13 m.w.N.). Ein derartiges originäres Verschulden ist nicht erkennbar. Insbesondere ist die Organisation und Überwachung der Versendung fristwahrender Schriftsätze ausreichend zuverlässig. Der vom Kläger beanstandete Umstand, dass Frau R. bereits, nachdem sie sich des Inhalts des Schriftstücks vergewissert hat, die Eintragung in das elektronische Register vornimmt, ist unschädlich, wenn, wie hier, sichergestellt ist, dass sie dieses sowie das Eintüten und Einlegen in die Postausgangskiste in einem Arbeitsgang vornimmt. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn sich etwa aufgrund der Verhältnisse am Arbeitsplatz von Frau R., etwa wegen häufiger Ablenkungen durch Telefonanrufe etc., hier Unzuträglichkeiten ergeben können bzw. schon tatsächlich ergeben hätten, was jedoch nicht ersichtlich ist. Einen weitergehenden Nachweis, dass der Schriftsatz dann auch tatsächlich zur Post gelangt ist, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht verlangt, ebenso wenig wie eine genaue Darlegung, wann und wo er verloren gegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16.02.2010 – VIII ZB 76/09 – NJW 2010, 1378). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der weitere Postlauf zur Hauptpoststelle und von dort zur Post selbst mangelhaft organisiert gewesen sein könnte, zumal es sich hierbei um einfach strukturierte Routineabläufe handelt. Eine andere Frage ist, ob bei dieser Sachlage ausreichende Vorsorge getroffen wurde, dass die Schriftsätze unverzüglich und auch rechtzeitig das Haus verlassen und zur Post gelangen, um dann entsprechende Fristen zu wahren. Darum geht es hier jedoch nicht. Denn der fragliche Schriftsatz ist vermutlich gar nicht beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Er ist bei einer Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 31.01.2011 jedenfalls so rechtzeitig vom Referat 15 in den Postlauf gegeben worden, dass der Verlust des Schriftsatzes kausal für die Fristversäumung gewesen sein muss.
27 
Die schriftsätzlichen Ausführungen sowie die hierzu vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen von Frau F. und Frau R. sind auch im Wesentlichen nicht unauflösbar widersprüchlich. Zwar klingen die ursprünglichen Ausführungen im Schriftsatz vom 04.03.2011 sowie vom 21.03.2011 zunächst so, als ob Frau F. die Sendung zum Postversand gebracht hätte. Der folgende Schriftsatz vom 28.03.2011 schildert die Abläufe hingegen zulässigerweise differenzierter und gibt die arbeitsteilige Handlungsweisen genauer wieder, ohne dass hieraus geschlossen werden kann, es würden unwahre Angaben gemacht. Kein Widerspruch besteht auch zwischen den Angaben im Schriftsatz vom 28.03.2011, wonach Frau F. das Schreiben Frau R. „vorgelegt“ habe, während in deren persönlichen Erklärungen ausgeführt wurde, Frau F. habe es auf den Schreibtisch von Frau R. gelegt. Widersprüchlich erscheinen zunächst die Angaben nur insofern, als es im Schriftsatz vom 21.03.2011 heißt, Frau F. habe, nachdem das Schriftstück das Haus verlassen habe, dieses in das elektronische Verzeichnis für den 31.01.2011 aufgenommen. Denn unter dem 28.03.2011 wurde vorgetragen, Frau R. habe den Eintrag gemacht, bevor das Schriftstück das Haus verlassen habe. Der Beklagtenvertreter hat jedoch nochmals in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er ursprünglich der Auffassung gewesen sei, der knappe Vortrag würde ausreichen. Er habe dann aber als Reaktion auf das Vorbringen des Klägers und die Anforderungen des Gerichts weitere Gespräche mit den Mitarbeiterinnen geführt und daher den Vortrag präzisieren und genauer darlegen müssen, weshalb es auch - wegen früherer Verkürzungen - zu gewissen Unterschieden in der Darstellung gekommen sei. Der Umstand, dass nunmehr ausgeführt wird, die Postausgangskiste sei erst am 01.02.2011 zur zentralen Poststelle gebracht worden, stellt nach Überzeugung des Senats eine solche zulässige Präzisierung dar, da auch in den früheren Erklärungen nicht explizit davon die Rede gewesen war, der Schriftsatz sei schon am 31.01.2011 bei der Deutschen Post AG eingegangen.

B.
28 
Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Auch nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - NVwZ 2008, 434) ergibt sich nichts anderes.
29 
I. Der Kläger hat, indem er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt wurde, den zwingenden Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht.
30 
1. Da er mit seiner deutschen Ehefrau und seinen beiden deutschen Kindern bis zum Zeitpunkt der Verhaftung in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hatte, genießt er nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz und darf nur ausgewiesen werden, wenn schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen.
31 
Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - NVwZ 2009, 727 m.w.N.) liegt ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nur dann vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz mit den Regelungen des § 56 AufenthG bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung streng einzelfallbezogen ein deutliches Übergewicht hat. Ein solches Übergewicht kann aus den besonderen Umständen der jeweils die Ausweisung auslösenden Verhaltensweisen des Ausländers folgen. Danach können Fälle mittlerer und schwerer Kriminalität, namentlich schwere Gewaltdelikte, einen solchen schwerwiegenden Grund ausmachen, wobei als kumulativ festzustellende Voraussetzung die Ausweisung zur Unterbindung erneuter vom Ausländer ausgehender Gefahren geboten sein muss (vgl. auch Senatsurteil vom 09.07.2003 - 11 S 420/03 -EzAR 033 Nr. 8).
32 
Stützt die Ausländerbehörde ihre Ausweisungsverfügung auf spezialpräventive Gründe, so ist diese (im Sinne eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes) nur dann gerechtfertigt, wenn für die Gefahr erneuter Rechtsgutsverletzungen konkrete Anhaltspunkte bestehen. Der Ausweisungsgrund ist nicht schwerwiegend mit der zwingenden Rechtsfolge, dass eine Abschiebung unzulässig ist, wenn allein eine entfernte Möglichkeit weiterer Störungen der öffentlichen Sicherheit besteht, weil nicht hinreichend ausgeschlossen werden kann, dass der Ausländer sein schwerwiegendes früheres Fehlverhalten wiederholen oder andere Taten von vergleichbarem Gewicht begehen wird. Es sind somit qualifizierte Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen, weshalb konkrete Anhaltspunkte dafür ausgemacht werden müssen, dass auch in Zukunft bedeutsame Gefahren für ein wichtiges Schutzgut ernsthaft zu besorgen sind (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.05.2003 - 1 S 254/03 - VBlBW 2003, 474). Mit anderen Worten: Eine grenzenlose Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach Maßgabe der Schwere der Rechtsgutsverletzung (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61.84 - InfAuslR 1985, 33) ist nicht statthaft. Allerdings ordnet für die hier zu beurteilende Fallkonstellation § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausdrücklich an, dass im Falle des § 53 AufenthG in der Regel schwerwiegende Gründe vorliegen, weshalb es hier keiner konkreten positiven Feststellungen bedarf, sondern lediglich Umstände festgestellt werden müssen, die eine Atypik begründen. Solche Umstände sind hier nicht gegeben.
33 
Im Falle des Klägers bestehen – ungeachtet der gesetzlichen Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG – im Übrigen auch die für die Annahme eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes gebotenen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wieder in schwerwiegender Weise gegen die Strafrechtsordnung verstoßen könnte. Die ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. K. (vgl. S. 1 und 5) macht unmissverständlich deutlich, dass beim Kläger ein nicht vollständig zu vernachlässigendes Potential unzureichend entwickelter Konfliktvermeidungs- und Konfliktbewältigungsstrategien vorhanden ist, das einer therapeutischen Aufarbeitung bedarf, um eine ausreichend verantwortliche Verhaltenssteuerung einigermaßen zuverlässig zu gewährleisten. Allerdings geht der Gutachter davon aus, dass eine eigentliche Therapie nicht unbedingt erforderlich ist, sondern dass auch umfassende und eingehende therapeutische bzw. psychologische Gespräche und ein Resozialisierungsprogramm sowie ein Anti-Gewalt-Training ausreichen; er stellt beides prinzipiell als gleichwertig nebeneinander (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 30; Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 27.10.2010, S. 3 und 5; ergänzende Stellungnahme S. 1). Diese Voraussetzung kommt nicht nur deutlich in seinen grundsätzlichen Ausführungen zu den zwingenden Erfordernissen einer Vorbereitung in der Haft zum Ausdruck, sondern liegt ersichtlich auch seinen abschließenden Bemerkungen über die unerlässlichen Anforderungen an die Gestaltung der Bewährungszeit zugrunde. Nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht hinreichend prognostiziert werden, dass mit der erforderlichen Verlässlichkeit bis zur Haftentlassung eine Therapie erfolgreich abgeschlossen sein wird, oder jedenfalls die therapeutischen bzw. psychologischen Gespräche mit dem erforderlichen Ergebnis durchgeführt sein werden. Im Gegenteil: Es spricht alles dafür, dass dieses nicht der Fall sein wird. Zwar hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27.10.2010 ausweislich der Niederschrift behauptet, er habe mit dem russischsprechenden Psychotherapeuten bzw. Psychologen W. in der Vollzugsanstalt drei therapeutische Gespräche geführt, wovon eines einen halben Tag und die anderen beiden jeweils etwa eine Stunde gedauert hätten. Auf diesbezügliche Fragen des Senats in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger schon von sich aus nicht mehr davon gesprochen, dass er Gespräche von einer solchen Dauer geführt habe, woraus unübersehbar deutlich wird, dass er insoweit beim Verwaltungsgericht die Unwahrheit gesagt hat, um sich in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Er hat gegenüber dem Senat lediglich ganz allgemein behauptet, in zwei Gesprächen, die aber nach den eigenen Angaben wesentlich kürzer gewesen waren (eine Stunde oder auch nur eine halbe Stunde), sei auch über die Tat gesprochen worden. Der Senat kann unterstellen, dass auch die Tat erwähnt worden sein wird, jede andere Annahme wäre lebensfremd. Entscheidend ist vielmehr allein die Dauer bzw. Häufigkeit der Gespräche und deren Qualität. Zu seiner Überzeugung steht nach der eingeholten schriftlichen Erklärung von Herrn W. vom 03.05.2011 aber fest, dass eine erforderliche intensive Befassung mit und Aufarbeitung der Tat nicht erfolgt ist. Dies wäre angesichts der vom Kläger selbst zugestandenen Kürze und der Zahl der Treffen mit Herrn W. auch gar nicht möglich. Auch muss der Senat davon ausgehen, dass der Kläger kein wirkliches Interesse daran hat, obwohl ihm in der Justizvollzugsanstalt die Chance von Gesprächen in seiner Muttersprache geboten wird. Eine gegenteilige Überzeugung hat der Kläger mit seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung beim Senat nicht herbeiführen können. Abgesehen davon hat Herr W. dieses in seiner Stellungnahme auch klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Der Senat sieht in diesem Zusammenhang keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, wie der Prozessbevollmächtigte vermutet, dass Herr W. aus auch bei diesem liegenden Gründen keine Gesprächsbasis gefunden hatte, weshalb ein beim Kläger an sich bestehender ernsthafter Wunsch und Wille zu einer intensiven Aufarbeitung der Tat nicht erfüllt werden konnte, ohne dass er dieses zu vertreten hätte. Dies ganz losgelöst von der Frage, ob dieses unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr überhaupt erheblich sein kann. Für den Senat ist insgesamt nicht ersichtlich, weshalb Herr W. in seiner Stellungnahme vom 03.05.2011 unwahre Angaben gemacht haben sollte. Demgegenüber liegt es auf der Hand, dass der Kläger ein erhebliches Interesse hat, wahrheitswidrig ein Interesse an einer Therapie zu behaupten, nachdem ihm nunmehr nach der gesamten Vorgeschichte klar geworden sein muss, dass er nur auf diese Weise eine Chance haben kann, die Ausweisung noch abwenden zu können. Diese ist auch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zweifelsfrei unwahren Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu sehen. Jedenfalls kann, nachdem nunmehr 3 ½ Jahre seit der Verurteilung verstrichen sind, ohne dass der Kläger diesbezüglich irgendetwas auf den Weg gebracht hat, die bloße verbale Behauptung, an einer Therapie interessiert zu sein, ein positive Einschätzung nicht begründen.
34 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine völlig ungeklärte eheliche und familiäre Situation ein vom Senat zu seinen Lasten zu berücksichtigender gefahrerhöhender Umstand, der keineswegs nur abstrakt ist und damit unerheblich wäre. Der Kläger hält zwar nach seinen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung formal an seiner Ehe fest und will sich nicht scheiden lassen, was insoweit nachvollziehbar ist, weil er andernfalls den mit der Ehe verbundenen erhöhten Ausweisungsschutz verlieren würde. Andererseits will er mit seiner Ehefrau gegenwärtig nichts zu tun haben und hat diese seit seiner Inhaftierung vor 4 ½ Jahren allenfalls ein Mal gesehen; er will sie nach seinen eindeutigen und kategorischen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch zukünftig nicht sehen und hat mit ihr auch keinen nennenswerten, ihre Beziehung betreffenden brieflichen Kontakt. Es ist für den Senat nicht nachzuvollziehen, weshalb der Kläger nur für den Fall, dass er hier bleiben dürfe, seine Beziehung zu der Ehefrau „ankurbeln“ wolle, was er auch immer darunter verstehen mag. Denn wenn ihm wirklich etwas an der Beziehung zu seiner Ehefrau liegen würde, müsste er sich in jedem Fall und bedingungslos um die Beziehung bemühen. Nach alledem muss sich aufdrängen, dass spätestens im Falle der Haftentlassung ein ernst zu nehmendes Risiko besteht, dass sich die Ehefrau endgültig von ihm trennt oder bereits getrennt hat. Dann jedoch steht die Frage an, was mit den Kindern geschehen wird. Diese Fragestellung beinhaltet ein erhebliches Konfliktpotential, das auch mit schweren Kränkungen verbunden sein kann, zumal dann, wenn die Ehefrau den Kläger nicht oder jedenfalls wenig an dem Leben der Kinder teilhaben lassen will. Auch der Gutachter sieht dieses ebenso (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 2 und 5). Dass der Kläger mit tiefer gehenden persönlichen Konflikten und Kränkungen nicht umgehen kann, hat er in der Vergangenheit eindrücklich gezeigt, wie er ebenso - zuletzt in der mündlichen Verhandlung - deutlich gemacht hat, dass er nicht ernsthaft bereit ist, hieran zu arbeiten.
35 
Gegen den Kläger spricht – jedenfalls in einer Gesamtschau – nach Überzeugung des Senats auch, dass er nach der Tat und insbesondere nach der strafgerichtlichen Verurteilung bis heute die Tat, jedenfalls wesentliche Tatbeiträge seinerseits, im Grunde leugnet und sich nicht vorbehaltlos seiner Schuld stellt. Zwar übersieht der Senat nicht, dass nach der fachlichen Einschätzung des Gutachters (vgl. S. 3 der ergänzenden Stellungnahme) nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger, wie auch viele andere vergleichbar strukturierte Täter, an seine Grenzen stößt und eine möglicherweise zusätzlich vorhandene Störung der Wahrnehmung offenbar auch dem Schutz der eigenen psychischen Stabilität dient. Immerhin weist der Gutachter darauf hin, dass es tatsächlich zu erheblichen Erinnerungsausfällen gekommen sein kann. All das mag das Verhalten zunächst nachvollziehbar erscheinen lassen. Gleichwohl spricht gegen eine - wie auch oben in anderem Zusammenhang erörterte - Auseinandersetzungsbereitschaft mit der Tat, dass der Kläger über ein Leugnen hinaus im Grunde wesentliche, wenn nicht überwiegende Tatbeiträge bzw. Verschuldensanteile auf das Opfer verschiebt. Dies gilt jedenfalls, wenn man sein gesamtes Verhalten im Zusammenhang betrachtet und die bereits oben gewürdigten Angaben zur Therapiebereitschaft und den mit Herrn W. geführten Gesprächen angemessen berücksichtigt.
36 
Anders als der Beklagte dies sieht, können allerdings bei der Beurteilung des Maßes der Wiederholungsgefahr nicht andere Deliktsgruppen wie Vergewaltigung, Raub, Diebstahl oder Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz einbezogen werden. Auch wenn es sich – wie der Gutachter richtigerweise ausführt – hier nicht um eine klassische Affekttat gehandelt hat, so war es doch gewissermaßen eine Beziehungstat. Hinzukommt, dass der Gutachter keine besondere, mit erhöhter Aggressivität einhergehende Persönlichkeitsstörung festgestellt hat; der Gutachter verneint ausdrücklich eine allgemeine Gewaltbereitschaft (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 21, 26 und 29), was der Beklagte offenbar aus dem Auge verloren hat. Ausgehend von den Ausführungen des Gutachters besteht kein Ansatz dafür, dass die Begehung solcher Taten auch angedacht werden müsste.
37 
Der weitere tatsächliche Ausgangspunkt des Gutachters wie auch des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei Ersttäter, wird zwar von der Beklagten in Frage gestellt, weil diese Annahme nur auf den Angaben des Klägers im Strafverfahren wie auch gegenüber dem Verwaltungsgericht sowie telefonischen Auskünften der Ehefrau und der Schwägerin beruht. Eine weitere, in erster Linie nur in Kirgisistan mögliche Ermittlung ist jedoch nach Auffassung des Senats nicht geboten, zumal der Beklagte sich auch nicht zu solchen im Verwaltungsverfahren veranlasst sah. Es besteht kein Anlass, dem Kläger zu misstrauen, auch nicht deshalb, weil er behauptet hat, angegriffen worden zu sein, weil er unzutreffende Angaben über die Gespräche mit Herrn W. gemacht hat. Wenn der Kläger im Bundesgebiet nicht weiter strafrechtlich und polizeilich in Erscheinung getreten ist, was im Strafverfahren zu Tage getreten wäre, bestand für den Gutachter kein ausreichender Ermittlungsansatz für weitere Nachforschungen im sozialen Umfeld des Klägers.
38 
Auch wenn der Gutachter eine infolge der Hafterfahrung eingetretene Nachreifung festgestellt haben will (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 4 f.), so verbleibt namentlich auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung gewonnen Überzeugung des Senats ein rechtlich erhebliches Risiko der Begehung einer vergleichbaren Gewalttat.
39 
Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die vom Beklagten betonte Feststellung der formellen Voraussetzungen des § 66 b a.F. StGB durch die Staatsanwaltschaft nichts besagt, weil hier gerade keinerlei Aussage zu den materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung („wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“) gemacht wurde.
40 
Nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung wiederum über bestimmte Prozentränge für eine Eintrittswahrscheinlichkeit diskutiert haben und sie das auch schon in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 getan hatten, möchte der Senat - wie auch schon das Verwaltungsgericht - abschließend eine wichtige Aussage des Gutachters in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 hervorheben, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt. Er hatte dort ausdrücklich betont, dass sich die benannten Prozentränge nur aus einzelnen Checklisten und Tests ergäben und allein dienenden und ergänzenden Charakter haben können. Sie dürften in keinem Fall die auf der Exploration beruhende endgültige kriminalprognostische Beurteilung ersetzen oder maßgeblich mitbestimmen.
41 
2. Ist der die Ausweisung tragende Grund schwerwiegend, so ist an sich der Kläger gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat den Kläger, insbesondere wegen der vorhandenen minderjährigen Kinder deutscher Staatsangehörigkeit, entsprechend den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - VwZ 2008, 326) allerdings zutreffend nur im Ermessenswege ausgewiesen. Es ist damit von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall ausgegangen, denn allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG wird dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300). Der Senat geht in diesem Zusammenhang zugunsten des Klägers davon aus, dass die Ehefrau des Klägers und auch er weiter an der Ehe festhalten, weshalb diesem Umstand aufenthaltsrechtlich eine erhebliche und weit reichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, zumal da die Ehefrau deutsche Staatsangehörige ist (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133; vom 27.09.1978 - 1 C 79.76 - BVerwGE 56, 246; vom 17.1.1989 - 1 C 46.86 - NVwZ 1989, 770; auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschluss vom 15.6.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311). Weiter wird der Schutz erheblich verstärkt durch den Umstand, dass der Kläger nach wie vor das Sorgerecht hinsichtlich seiner deutschen Kinder hat und auch während der Haft mit diesen regelmäßig Kontakt pflegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.1980 - I 55.75 - BVerwGE 60, 126; vom 19.10.1982 - 1 C 100.78 - EzAR 124 Nr. 6). Die Frage des konkreten Schutzes wird nicht allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG erschöpfend beantwortet, ihr ist vielmehr im Rahmen der Ermessensausübung nochmals umfassend und differenziert nachzugehen. Der Schutz der deutsch/ausländischen Familie wird dabei nicht durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau und die Kinder selbst aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388).
42 
Der Beklagte hat im Rahmen der von ihm angestellten und in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet. Der Beklagte hat zwar erwogen, dass die Ehefrau und seine Kinder wegen ihrer Herkunft mit dem Kläger nach Kirgisistan zurückkehren und ihnen dieses vorübergehend zuzumuten sein könnte, hat aber bei seiner Ermessenentscheidung die endgültige Trennung letztlich unterstellt. Was das Gewicht der Folgen der Trennung betrifft, kann der Senat nicht unberücksichtigt lassen, dass gegenwärtig keinerlei persönliche Beziehung zur Ehefrau besteht und der Kläger eine Wiederaufnahme strikt abgelehnt hat und weiter ablehnt. Der Kläger konnte dem Senat auch in der mündlichen Verhandlung nicht plausibel machen, dass er ernsthaft an einer Klärung der Beziehung mit dem Ziel einer Wiederaufnahme zu arbeiten gewillt ist. Auch die Beziehung zu seinen beiden Kindern ist nach den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben auch unter angemessener Berücksichtigung der haftbedingten Erschwernisse eher lose und lässt eine intensive Teilhabe am Leben der Kinder vermissen. Es wurde auch nicht geltend gemacht, dass aus der ebenfalls maßgeblichen Sicht der Kinder eine besonders enge Bindung an den Vater besteht. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob in der Justizvollzugsanstalt F. häufigere persönliche Besuche möglich wären. Immerhin hat sich der Kläger gar nicht darauf berufen, dass diese nicht möglich wären, sondern ausschließlich geltend gemacht, der Bruder habe nicht mehr Zeit bzw. den Kindern werde bei der Autofahrt leicht schlecht. Der letztgenannte Grund leuchtet dem Senat nicht ein, wenn ein tiefer gehendes Interesse der Kinder bzw. des Klägers an einem unmittelbaren persönlichen Kontakt bestehen würde. Für diese Bewertung ist für den Senat maßgeblich, dass der Kläger beispielsweise keine genaueren Angaben über die Art der vom älteren Sohn besuchte Schule machen konnte, sondern erst auf entsprechende Nachfrage sagte, dass er nicht wisse, wie man die Schule bezeichne, und pauschal von „Mittelschule“ sprach. Dieser Umstand wie auch die Tatsache, dass er nur sehr allgemeine Angaben über den schulischen Werdegang der Kinder und deren sonstige Aktivitäten machen konnte, zeigen deutlich, dass das Interesse an seinen Kindern nicht besonders entwickelt ist. Beispielsweise konnte der Kläger nicht einmal präzise Angaben darüber machen, wo der ältere Sohn Taekwon-Do trainiere, ob etwa im Rahmen des Sportunterrichts oder außerhalb des schulischen Rahmens. Auch seine Schilderungen über den Ablauf der Besuchsaufenthalte in der Haft blieben sehr an der Oberfläche und blass. Vor dem Hintergrund der eher größeren Abstände der Besuche in der Haft konnte der Senat nicht nachvollziehen, dass er in 4 ½ Jahren seine Kinder nur 1 bis 2 Mal angerufen hat. Die Erklärung, dass er aus der Justizvollzugsanstalt auf deren Mobiltelefone nicht anrufen dürfe, wertet der Senat als Ausflucht. Denn es fehlt jeder Anhalt dafür, dass die Kinder nicht auch über einen Festnetzanschluss erreichbar sein könnten, auch wenn die Mutter über einen solchen nicht verfügen sollte. Wenn schon ein telefonischer Kontakt praktisch nicht stattfindet, so wäre bei einer wirklich gelebten intensiven persönlichen Beziehung wenigstens ein intensiver schriftlicher Kontakt zu erwarten gewesen, den der Senat aber auch nicht feststellen konnte. Nach den Angaben des Klägers schickt er lediglich Postkarten, und dann auch nur an Geburtstagen und etwa an Weihnachten. Angesichts dieser persönlichen und familiären Verhältnisse und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger erst im Alter von knapp 28 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist und nur 4 ½ Jahre straffrei im Bundesgebiet gelebt hat, erweist sich die Ausweisung in Ansehung der nicht von der Hand zu weisenden Besorgnis der Begehung vergleichbarer Gewalttaten und insbesondere unter Berücksichtigung der außerordentlich gravierenden Folgen der Tat auch nicht als unverhältnismäßig (vgl. auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif/Schweiz -InfAuslR 2001, 476; vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279; vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04, Maslov/Deutschland II - InfAuslR 2008, 333).
43 
Der Senat kann daher offen lassen, ob die Ausweisung auch allein durch generalpräventive Erwägungen getragen wäre (vgl. hierzu Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris).
44 
II. Für den Kläger ergeben sich auch aus Europarecht keine weitergehende Rechte, die seiner Ausweisung entgegenstehen.
45 
1. a) Der Europäische Gerichtshof hat zwar mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache C-34/09 (Ruiz Zambrano) in einem familiär ähnlich gelagerten Fall u.a. entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann.
46 
Ob damit, insbesondere was die Beurteilung der Rechte drittstaatsangehöriger Familienmitglieder betrifft, eine generelle Gleichstellung mit solchen Unionsbürgern verbunden ist, die bereits einmal von ihrer mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, und ob etwa die Bestimmungen der Unionsbürger-RL 2004/38/EG (namentlich dessen Art. 28) entsprechend anzuwenden sind (vgl. zum Anwendungsbereich deren Art. 3 Abs. 1 und nunmehr auch EuGH, Urteil vom 05.05.2011, Rs C-434/09, McCarthy), kann der Senat offenlassen (vgl. zu dieser Frage auch das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 20.01.2011 - 11 S 1069/10 - InfAuslR 2011, 133). Denn Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG stünde einer Ausweisung nicht entgegen (vgl. hierzu unten) und Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG wäre ohnehin im Falle des Klägers nicht anwendbar, da er sich noch nicht 10 Jahre im Bundesgebiet aufhält.
47 
Folge der nicht möglichen unmittelbaren Anwendbarkeit der Unionsbürger-RL 2004/38/EG ist dann auch, dass das FreizügigkeitsG/EU hier ebenfalls nicht unmittelbar anzuwenden ist, es vielmehr bei der Geltung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regeln zu verbleiben hat. Diese sind allerdings unionsrechtskonform zu handhaben.
48 
b) Auch wenn infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon am 01.12.2009 in Art. 24 der Grundrechtecharta (GRCh) die Kinderrechte gestärkt und bekräftigt werden, gilt der nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „Ruiz Zambrano“ aus der Unionsbürgerschaft nach Art. 20 AEUV folgende Aufenthaltsanspruch der drittstaatsangehörigen Eltern - ungeachtet einer möglichen entsprechenden Anwendbarkeit des Art. 28 RL 2004/38/EG -nicht unbeschränkt. Wie für den Fortbestand der Unionsbürgerschaft selbst (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-135/08, Rottmann, Rn. 55), muss auch für deren Reichweite der primärrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fruchtbar gemacht werden (vgl. Art. 5 Abs. 4 EUV). Hiernach gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Um hierbei die von Art. 6 Abs. 2 EUV sowie Art. 52 Abs. 3 und 7 GRCh angestrebte Einheitlichkeit des europäischen Menschenrechtsschutzes, d.h. den angestrebten materiell-rechtlichen Gleichlauf zwischen EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) des Europarates zu erreichen, sind bei straffällig gewordenen Eltern die vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zu Art. 8 EMRK entwickelten sog. Boultif/Üner-Kriterien heranzuziehen (EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476; Urteil vom 05.07.2005 - 46410/99 <Üner> - InfAuslR 2005, 450), die der Gerichtshof etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) zusammengefasst hat.
49 
Ob der Eingriff in das unionsbürgerliche Aufenthaltsrecht des Elternteils nach Art. 20 AEUV sowie das geschützte Familien- und Privatleben im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, entscheidet sich mithin immer im konkreten Einzelfall unter Abwägung der aufgeführten verschiedenen Belange. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, führt jedoch auch die Anwendung der Boultif/Üner-Kriterien im konkreten Einzelfall des Klägers nicht zu einem ihm günstigen Ergebnis.
50 
c) Die Ausweisung des Klägers, dem grundsätzlich der unionsbürgerrechtliche Schutz nach Art. 20 AEUV zukommt, erweist sich auch nicht bei Berücksichtigung der sonstigen Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs zu Ausweisungen als rechtswidrig. Zwar ist die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG (in entsprechender Anwendung) und der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann eröffnet, wenn in restriktiver Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Ausnahmebestimmungen unter Ausschluss generalpräventiver Überlegungen aufgrund eines persönlichen Verhaltens des Betroffenen eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung von diesem ausgeht, die darüber hinaus ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren muss (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs 67/74, Bonsignore - Slg. 1975, 297; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - Slg. 1975, 1219; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - Slg. 1977, 1999; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81, Adoui und Cornuaille - Slg. 1982, 1665; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86, Kommission/Bundesrepublik - Slg. 1989, 2363; vom 19.01.1999 - C-348/96, Calfa - Slg 1999, I-11). Dieser Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich im Verständnis des Gerichtshofs auf ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann ausreichen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erkennen lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01, Orfanopoulus und Oliveri - Slg. 2004, I-5257). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - a.a.O.). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet ist. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59).
51 
aa) Der Europäische Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes „gesellschaftliches Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - a.a.O.). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
52 
bb) Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Diese Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartig weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in den dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Europäischen Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit nur die „ultima ratio“ sein darf, stehen einem solchen Verständnis entgegen; es ist auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unionsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet.
53 
Das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung ist nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit, jedenfalls aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats immer dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise gewichtige Gründe dafür sprechen, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, ist dieses im Falle des Klägers anzunehmen.
54 
cc) Der Senat geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass die vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Schutzes vorliegen, auch wenn der Kläger aktuell seinen Kindern – abgesehen von gelegentlichen kleineren Geschenken – keinen Unterhalt leistet. Denn die Tatsache, dass er dies bis zu seiner Inhaftierung regelmäßig getan hat und er nunmehr aus objektiven Gründen daran gehindert ist, muss genügen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass er nach seiner Entlassung, so er über Erwerbseinkommen verfügt, weiter Unterhalt leisten wird.
55 
Angesichts der weiter bestehenden relevanten und nicht zu vernachlässigenden Wiederholungsgefahr erweist sich jedoch auch in Anwendung der unionsrechtlichen und menschenrechtlichen Maßstäbe die Ausweisung als ermessensfehlerfrei sowie als verhältnismäßig und durch ein Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz der körperlichen Integrität ihrer Bewohner gerechtfertigt. Insbesondere hat der Beklagte sich nach der Erörterung möglicher unionsrechtlicher Vorgaben in der mündlichen Verhandlung dieser vergewissert und seine Ermessenserwägungen überprüft sowie seine unionsrechtlich tragfähigen Überlegungen, weshalb an der Ausweisungsverfügung festgehalten werden soll, nachvollziehbar dargelegt (vgl. Seite 3 der Niederschrift vom 04.05.2011).
56 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung aus der Haft finden ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG. Der Senat kann offen lassen, ob sich für die Ausgestaltung einer Abschiebungsandrohung nunmehr besondere Vorgaben aus der Rückführungs-RL 2008/115/EG ergeben. Denn die Richtlinie gilt nach deren Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Nr. 4 nur für Rückkehrentscheidungen (vgl. auch deren Art. 6), die gegenüber illegal aufhältigen Ausländern ergehen. Der Kläger ist jedoch erst mit Wirksamwerden der Ausweisungsverfügung, die in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG zum Erlöschen gebracht hat, zum illegal aufhältigen Ausländer geworden.
57 
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Zulassung der Revision auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
58 
Beschluss
59 
vom 4. Mai 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.
61 
Der Beschluss ist unanfechtbar.
62 
Funke-Kaiser Prof. Dr. Bergmann Dr. Bauer

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 2010 - 5 K 1778/09 - insoweit geändert, als es die Klage als unbegründet abgewiesen hat.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 23. Juni 2009 wird (mit Ausnahme der in Ziffer 2 verfügten Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus) aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten der Verfahren in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1978 in Gornje (Kosovo) geborene Kläger ist kosovarischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 07.08.1996 in die Bundesrepublik ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 13.08.1996 abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage (Az.: A 14 K 30993/96). 1998 lernte er seine erste Ehefrau, die deutsche Staatsangehörige D. S. kennen, und heiratete sie am 22.06.1999. Am 24.09.1999 nahm er Asylantrag und Klage zurück. Er reiste am 18.05.2000 in sein Heimatland aus und am 11.06.2000 mit einem Visum zum Familiennachzug wieder in die Bundesrepublik ein.
Am 26.06.2000 wurde dem Kläger eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die anschließend mehrfach - zuletzt bis 24.06.2005 - verlängert wurde. Am 21.05.2004 beantragte der Kläger die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Mit Bescheid vom 14.07.2004 lehnte das Ausländeramt der Stadt W... diesen Antrag ab, weil beim Kläger Ausweisungsgründe vorlägen. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den er damit begründete, dass frühere Eintragungen im Zentralregister getilgt seien. Mit Bescheid vom 28.10.2004 half die Stadt Wiesloch dem Widerspruch ab und erteilte dem Kläger die begehrte unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Am 27.04.2006 wurde die erste Ehe des Klägers geschieden. Die im Jahr 2007 geschlossene zweite Ehe des Klägers mit einer Kosovarin, die im Kosovo lebte, hielt nur vier Monate. Im Januar 2008 heiratete der Kläger Frau G. D., die gleichfalls kosovarische Staatsangehörige ist. Aufgrund seiner Inhaftierung am 24.06.2008 kam es nicht zum Ehegattennachzug.
Der Kläger übte in der Bundesrepublik zunächst verschiedene kurzfristige Gelegenheitsjobs aus. Ab 2002 arbeitete er als Staplerfahrer bei der Firma R. in W... Bis zu seiner Inhaftierung hatte er dort eine feste Arbeitsstelle, bei der er ein Nettoeinkommen zwischen 1.800 EUR und 1.900 EUR erzielte.
Am 18.02.2009 verurteilte das Landgericht ... den Kläger wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl in zwölf Fällen, darunter in zwei tateinheitlichen Fällen, und wegen Beihilfe zum versuchten schweren Bandendiebstahl in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten (Az.: 1 KLs 45 Js 6611/08; rechtskräftig). Im Strafurteil wird ausgeführt, der Kläger habe sich im Mai 2008 mit drei anderen Mittätern zusammengeschlossen, um zwischen dem 24.05.2008 und dem 23.06.2008 nach gleich bleibender Methode Einbrüche in Gewerbebetriebe zu begehen. Die Bande habe in aller Regel Geld gesucht, wenngleich vereinzelt auch Kraftfahrzeuge und sonstige Wertgegenstände im Gesamtwert von fast 80.000 EUR erbeutet worden seien. Der Kläger habe an den insgesamt 21 Taten gelegentlich mitgewirkt. Er sei zwar von Anfang an in die Tatvorbereitung eingebunden gewesen. Planung und Auswahl des Einbruchsobjekts hätten ihm aber nicht oblegen. Bei der Tatausführung habe er lediglich als Fahrer agiert. An den eigentlichen Taten sei er nicht unmittelbar beteiligt gewesen und habe nicht gewusst, in welches Objekt seine Komplizen eingebrochen seien, weshalb er den Tatablauf in keiner Weise habe beeinflussen können. Er habe auch keinen gleichen Beuteanteil erhalten, sondern eine Belohnung, die regelmäßig deutlich hinter einem rechnerischen Anteil von einem Viertel bzw. später einem Fünftel zurückgeblieben sei. Zur Strafzumessung führte das Landgericht aus: Zwar sei ein minderschwerer Fall bei keiner Tat in Frage gekommen. Denn die rechtliche als Beihilfe zu qualifizierende Tat habe sich an der Grenze zur Mittäterschaft bewegt. Andererseits habe der Kläger als einziger Tatbeteiligter frühzeitig im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt, durch das auch die übrigen Beteiligten hätten namhaft gemacht werden können. Dies habe einerseits die Ermittlungen erheblich erleichtert, andererseits zu erheblichen Anfeindungen durch die anderen Beteiligten geführt. Zu Gunsten des Klägers sei zu berücksichtigen gewesen, dass er nicht vorbestraft und erstmals in Haft und seine Frau im Kosovo schwer erkrankt gewesen sei. Demgegenüber sei zu seinen Lasten zu berücksichtigen gewesen, dass er in einer gut bezahlten Arbeit gestanden und nicht aus einer finanziellen Notlage heraus gehandelt habe.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger mit Bescheid vom 23.06.2009 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1) und drohte ihm die Abschiebung in das Kosovo oder einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist. Für den Fall der Haftentlassung vor einer Abschiebung wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines Monat zu verlassen (Ziffer 2). Zur Begründung stützte sich das Regierungspräsidium primär auf spezialpräventive Gründe. Bei den von dem Kläger verwirklichten Delikten handele es sich um schwere Eigentumsdelikte, die in einer außerordentlichen Häufigkeit begangen worden seien. Die erforderliche Wiederholungsgefahr sei gegeben. Die Ausweisung des Klägers sei aber auch aus generalpräventiven Gründen geboten. Es sei unstreitig, dass Eigentumsdelikte, die in einer solch hohen Zahl und über einen relativ langen Zeitraum hinweg begangen würden, geeignet seien, eine generalpräventiv motivierte Ausweisung zu begründen. Innerhalb des Strafrahmens habe sein Strafmaß letztlich deutlich über der unteren Grenze von drei Monaten gelegen und in keinem Fall sei ein minderschwerer Fall angenommen worden. Deshalb sei es hier unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich, den Kläger zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auszuweisen. Seine privaten Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet müssten hinter dem öffentlichen Interesse zurückstehen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 29.06.2009 zugestellt.
Am 29.07.2009 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, die Straftaten gehörten zwar auf den ersten Blick zur mittleren bzw. schweren Kriminalität. Bei individueller Prüfung des Falles seien jedoch Besonderheiten gegeben, die den Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen ließen. Zu seiner Beteiligung an den Straftaten sei es gekommen, als ihn im Mai 2008 der Mitangeklagte G. - der Cousin seiner Ehefrau - gebeten habe, zwei Landsleute für eine gewisse Zeit in der Wohnung aufzunehmen. Er habe eingewilligt, weil es die Bitte eines Familienangehörigen gewesen sei. Kurze Zeit später sei er von G. gebeten worden, ihn und seine Freunde nachts irgendwo hinzufahren und sie gegebenenfalls auch wieder abzuholen. Da man ihm hierfür eine Belohnung versprochen habe, habe er seine anfänglichen Bedenken beiseite gewischt und eingewilligt. Grund hierfür sei gewesen, dass er seine im Kosovo lebende, an Krebs erkrankte Ehefrau mit Medikamenten versorgt und er deshalb, trotz regelmäßigen Einkommens, einen finanziellen Engpass gehabt habe. Wegen seiner späten aktiven Kooperation mit den Strafverfolgungsorganen sei er während der mehrtägigen Hauptverhandlung von den Mitangeklagten als „Verräter“ angefeindet worden. Berücksichtige man weiter den Umstand, dass er Ersttäter gewesen sei, sei bei individueller Prüfung nicht von einem schwerwiegenden Ausweisungsanlass auszugehen. Jedenfalls sei seine Ausweisung rechtswidrig, weil keine Wiederholungsgefahr angenommen werden könne. Er sei nicht vorbestraft und lebe seit über 13 Jahren in Deutschland. Er habe immer gearbeitet. Sein letztes Arbeitszeugnis belege, dass er „ein zuverlässiger, gewissenhafter und ehrlicher Mitarbeiter“ sei, der „seine Aufgaben immer selbstständig und termingerecht erledigt“ habe. Er sei in Deutschland nicht nur beruflich, sondern auch sozial integriert. Deutsch beherrsche er gut in Wort und Schrift. Sein Vollzug sei beanstandungsfrei. Bereits vier Monate nach seiner Inhaftierung habe er in der Gefängnisküche arbeiten dürfen. Auch der erstmalige Freiheitsentzug, der ihn nachhaltig beeindrucke, werde ihn davon abhalten, erneut straffällig zu werden. Eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen sei in seinem Fall nicht geboten, weil bereits der Ausweisungsgrund nicht hinreichend schwer wiege. Hinzu komme, dass sich sein besonders gelagerter Einzelfall nicht dazu eigne, andere Ausländer von der Begehung von Straftaten abzuhalten. Der Beklagte trat dem entgegen und führte aus, dass generalpräventiv motivierte Ausweisungen durchaus geeignet seien, entsprechende Wirkung zu erzeugen. In der Bundesrepublik würde eine Vielzahl von Landsleuten leben, die gerade auch im abgeurteilten Deliktsbereich delinquent würden. Im vorliegenden Falle sei es nach Abwägung aller Umstände ermessensgerecht, den Kläger jedenfalls generalpräventiv motiviert auszuweisen.
Mit Beschluss vom 07.05.2010 hat die Strafvollstreckungskammer am Landgericht ... die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung ausgesetzt. Der Kläger ist am 12.05.2010 aus der Haft entlassen worden. Er ist seit 01.06.2010 erneut in Vollzeit beschäftigt.
Mit Urteil vom 21.07.2010 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei unzulässig, soweit sie sich gegen die inzwischen erledigte Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus richte. Im Übrigen sei die Klage zulässig, jedoch nicht begründet. Zwar bestehe nach Überzeugung der Kammer im maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die für eine spezialpräventiv begründete Ausweisung erforderliche Wiederholungsgefahr nicht mehr. In generalpräventiver Hinsicht jedoch seien bei dem Kläger schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne eine Ausweisung grundsätzlich auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, also zu dem Zweck erfolgen, andere Ausländer zu einem ordnungsgemäßen Verhalten in der Bundesrepublik zu veranlassen und von der Begehung von Straftaten abzuschrecken. Dies gelte gerade auch für den Bereich des Bandendiebstahls als einer Art des organisierten Verbrechens. Dessen Bekämpfung habe wegen der großen Gefahren, die von ihm ausgingen, einen hohen Rang und erfordere in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein möglichst kontinuierliches Vorgehen auch der Ordnungsbehörden. Mit Rücksicht auf die hohe Gefährlichkeit der hier zu beurteilenden Kriminalität sei ein dringendes Bedürfnis gegeben, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung des Klägers andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Der Kläger halte sich zwar seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland auf und besitze seit 2000 einen Aufenthaltstitel, er sei aber erst als Erwachsener in das Bundesgebiet eingereist. Auch lebten seine Schwester und sein Bruder im Bundesgebiet; er habe aber noch starke Kontakte zum Kosovo. Schließlich erweise sich die Ausweisung nicht deswegen als unverhältnismäßig, weil der Kläger aufgrund seines Aussageverhaltens zur Aufklärung der Straftaten beigetragen und deshalb im Kosovo mit „erheblichen Repressalien" zu rechnen habe. Auch Art. 8 EMRK führe im konkreten Einzelfall nicht dazu, die Ausweisung des Klägers als unverhältnismäßig zu bewerten. Die Wirkungen der Ausweisung müssten auch nicht schon jetzt befristet werden.
10 
Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung führt der Kläger insbesondere aus, die Ausweisung verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Seine persönlichen Umstände würden nicht hinreichend gewichtet. Bereits 14 von 32 Lebensjahren habe er mit rechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet verbracht. Neben seiner persönlichen Prägung sei die gesamte berufliche Integration hier erfolgt. Sein Lebensmittelpunkt sei trotz bestehender Kontakte auch zu Kosovaren eindeutig in Deutschland. Sein Verhalten sei situationsbedingt und nicht in seiner Persönlichkeit begründet gewesen. Ein Vergleich seiner Biografie etwa mit den Biographien der Mittäter zeige, dass diese eine längere kriminelle Vergangenheit gehabt und für bandenmäßige Strukturen typische Verhaltenstendenzen aufgewiesen hätten. Er hingegen weise eine stabile Persönlichkeit auf und habe sich hier eine Existenz aufgebaut. Aus den besonderen Umständen des Einzelfalls folge, dass seine Ausweisung nicht geeignet sei, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuschrecken.
11 
Der Kläger beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 2010 – 5 K 1778/09 – insoweit zu ändern, als es die Klage als unbegründet abgewiesen hat und den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 23. Juni 2009 (mit Ausnahme der in Ziffer 2 verfügten Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus) aufzuheben.
13 
Das beklagte Land beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Es tritt dem Vortrag des Klägers entgegen und hält eine Ausweisung allein aus generalpräventiven Gründen im konkreten Einzelfall für möglich und gerechtfertigt.
16 
In der mündlichen Verhandlung erläuterte der Kläger, dass er einen guten Arbeitsplatz innehabe, bei dem er monatlich ca. 1.250 EUR (netto) verdiene. Sein Chef sei sehr zufrieden mit ihm und wolle ihn demnächst auf eine Schulung für Trocknungstechnik nach Stuttgart schicken. Er gehe fest davon aus, dass er „unbefristet“ weiterarbeiten könne. Bis auf Weiteres wohne er kostenfrei und könne deshalb auch etwas sparen. Er habe jedoch noch ca. 12.000 EUR Altschulden und ca. 23.000 EUR Schulden im Zusammenhang mit dem Strafverfahren; mit Hilfe der Schuldnerberatung der Diakonie W. suche er nach einer Lösung, wie er diese Schulden bewältigen könne. Die Ehe mit Frau G. D. sei seit 22.11.2010 geschieden. Er habe inzwischen eine deutsche Freundin, wolle sich mit dem Heiraten diesmal aber Zeit lassen.
17 
Im Rahmen der Erörterung der Rechtsfrage der fortdauernden Zulässigkeit einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung vertrat auch die Beklagten-Vertreterin den Standpunkt, vom Kläger ginge keine Wiederholungsgefahr aus, sodass eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen ausscheide.
18 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe, die Strafakten des Landgerichts ... und die Gefangenenpersonalakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist ebenso begründet wie seine Anfechtungsklage (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
20 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angefochtenen Androhung der Abschiebung in das Kosovo vor allem die Ausweisung des Klägers. Mit dem Verwaltungsgericht und den Beteiligten ist auch der Senat (nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung sowie insbesondere dem schlüssigen Strafaussetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 07.05.2010 und den positiven Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt in den Gefangenen-Personalakten) der Überzeugung, dass von dem Kläger heute keine gesteigerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden. Die Ausweisung wird von dem Beklagten deshalb allein tragend zur - generalpräventiven - Abschreckung anderer Ausländer aufrechterhalten. Damit verstößt sie hier im Lichte des gemäß Art. 8 EMRK qualifiziert geschützten Privatlebens gegen § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
21 
1. Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Verurteilung durch das Landgericht Heidelberg am 18.02.2009 zu zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe den Regel-Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG. Er genießt jedoch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthalts, jedenfalls seit 2000, und der am 28.10.2004 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis besonderen Ausweisungsschutz, weswegen er nach Satz 2 der Norm nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ausgewiesen werden darf. Maßgebend für die Frage, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, also des Senats. Ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, ist voll gerichtlich überprüfbar; es besteht für die Ausländerbehörde kein Beurteilungsspielraum.
22 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356).
23 
Erfüllt ein Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, - wie der Kläger - keinen der in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aufgeführten Ist- oder Regelausweisungsgründe, steht dies einer Ausweisung im Ermessenswege nicht entgegen (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). In diesem Fall fehlt es aber an einer gesetzlichen Vermutung für die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dennoch können solche schwerwiegenden Gründe auch bei Vorliegen eines sonstigen (Regel- oder Ermessens-)Ausweisungsanlasses gegeben sein. Erforderlich ist dann jedoch, dass dem Ausweisungsgrund ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - ZAR 2009, 145).
24 
2. Bei einer durch eine Straftat veranlassten Ausweisung, die tragend zur generalpräventiven Abschreckung anderer Ausländer verfügt oder aufrechterhalten wird, fehlt es im Lichte von Art. 8 EMRK in der Regel an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wenn hierdurch ein in Deutschland nachhaltig „verwurzelter“ Ausländer betroffen wird. Die regelmäßige Unzulässigkeit von tragend generalpräventiv motivierten Ausweisungen bei dieser Personengruppe folgert der Senat in einer Gesamtschau aus den neueren Rechtsprechungslinien sowohl des Bundesverfassungsgerichts (a) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - (b) und im Übrigen auch aus der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - bezüglich Unionsbürgern (c) sowie des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen (d). Dies gilt jedenfalls seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 (e).
25 
a) Im Beschluss der Zweiten Kammer des Zweiten Senats vom 10.08.2007 (- 2 BvR 535/06, Rn. 24 f. - NVwZ 2007, 1300) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
26 
„Eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Entscheidung über die Zulässigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung setzt … voraus, dass die Ausländerbehörde die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen sorgfältig ermittelt und eingehend würdigt. Ohne die Kenntnis von Einzelheiten der Tatbegehung und der persönlichen Situation des Betroffenen können in der Regel die Auswirkungen der Ausweisung auf die Individualinteressen nicht hinreichend sicher festgestellt und in einer einzelfallbezogenen Abwägung den die Ausweisung verlangenden Interessen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden. … Im Grundsatz nicht anders als bei der Würdigung der von dem Ausländer künftig ausgehenden Gefahren im Rahmen spezialpräventiv motivierter Ausweisungen genügt es insbesondere nicht, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen.“
27 
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, mit dieser inhaltlich teilweisen Neukonturierung des Anforderungsprofils habe das Bundesverfassungsgericht der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen „nicht nur die Zähne gezogen, sondern ihr - jedenfalls was eine praktische Anwendung betrifft - gleichsam auf kaltem Wege den (endgültigen) Todesstoß versetzt“ (Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht, VerwArch 2010, 507). Denn eine generalpräventive Ausweisung, die im Grundsatz nicht anders als bei einer spezialpräventiven Ausweisung auch eine Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der Umstände der begangenen Straftat verlangt und daran anschließend eine einzelfallbezogene Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit erfordert, sei in Wahrheit nichts anderes als eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen. Da das Wesen der generalpräventiven Ausweisung vor allem darin bestehe, eine Ausweisung ohne das Abstellen auf die individuelle Gefährlichkeit des Ausländers zu ermöglichen (so schon Pagenkopf, DVBl. 1975, S. 766), könne es allenfalls noch eine „generalpräventiv motivierte“ Ausweisung geben, die jedoch zugleich auch spezialpräventiv gerechtfertigt sein müsse. Ohnehin wäre eine selbständig rechtfertigende Wirkung generalpräventiver Erwägungen mit dem Garantiegehalt der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn diese schließe es aus, den Ausgewiesenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu denaturieren und ihn als Vehikel zu benutzen, um auf andere abschreckend und damit verhaltenssteuernd einzuwirken (Mayer, a.a.O., m.w.N.). Ob dies in dieser Allgemeinheit zutrifft, kann hier offen bleiben. Jedenfalls bei nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern, die sich auf den qualifizierten Schutz von Art. 8 EMRK berufen können - was nicht notwendig zugleich eine tiefgreifende „Entwurzelung“ voraussetzt -, steht der vom Bundesverfassungsgericht besonders betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvR 241/77 - BVerfGE 50, 166) einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aber in der Regel entgegen. Eine tragend generalpräventiv motivierte Ausweisung stellt sich bei nachhaltig „Verwurzelten“ auch im Lichte der Ausführungen des BVerfG mithin regelmäßig als unverhältnismäßig dar, sodass es an hierfür rechtfertigenden schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fehlt.
28 
b) Auch der Straßburger EGMR steht der Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich skeptisch gegenüber. Dies ergibt sich aus seiner Rechtsprechung zu Ausweisungen, die er an Art. 8 EMRK misst. Seine sogenannten Boultif/Üner-Kriterien hat er etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) wie folgt zusammengefasst:
29 
„Der Gerichtshof hat bekräftigt, dass in allen Rechtssachen, die niedergelassene Zuwanderer betreffen, bei der Prüfung der Frage, ob eine Ausweisungsmaßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stand, die folgenden Kriterien heranzuziehen sind:
30 
- Die Art und Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat;
- die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll;
- die seit der Tat verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit;
- die Staatsangehörigkeit der verschiedenen Betroffenen;
- die familiäre Situation des Beschwerdeführers, wie z.B. die Dauer der Ehe, und andere Faktoren, die erkennen lassen, wie intakt das Familienleben eines Ehepaars ist;
- ob der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin von der Straftat wusste, als er bzw. sie eine familiäre Beziehung einging;
- ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und gegebenenfalls deren Alter und
- das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin in dem Land, in das der Beschwerdeführer bzw. die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen wird.
31 
Im Urteil Üner hat der Gerichtshof außerdem ausdrücklich die beiden folgenden Kriterien genannt:
32 
- Die Belange und das Wohl der Kinder, insbesondere das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen Kinder des Beschwerdeführers in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen werden, und
- die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland.“
33 
Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht verlangt mithin auch der Menschenrechtsgerichtshof (angesiedelt auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung), dass für eine konventionsgemäße Ausweisung zwingend eine genaue und auf den Einzelfall bezogene Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der konkreten Umstände der begangenen Straftat getroffen und daran anschließend eine Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit durchgeführt wird (vgl. auch EGMR, Urteil vom 23.06.2008 - 1638/03 - Maslov). Auch dies läuft jedenfalls in rechtstatsächlicher Hinsicht sehr stark auf eine Ausweisung (nur oder nur auch) aus spezialpräventiven Gründen zu.
34 
c) Der Luxemburger EuGH hält hinsichtlich Unionsbürgern eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen schon seit 1975 für rechtswidrig, wie er erstmals im Urteil Bonsignore (Urteil vom 26.02.1975, Rs. 67/74, Rn. 7) klarstellte:
35 
„Auf die gestellten Fragen ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie Nr. 64/221 der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates entgegensteht, wenn diese zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird, das heißt, wenn sie - in der Formulierung des innerstaatlichen Gerichts - auf ‚generalpräventive‘ Gesichtspunkte gestützt wird.“
36 
Im Urteil Orfanopoulos und Oliveri (Urteil vom 29.04.2004, Rs. C-482/01 u. 493/01, Rn. 66-68) hat er dies 2004 nochmals ausführlicher dargelegt:
37 
„Maßnahmen der öffentlichen Ordnung sind nach Art. 3 der Richtlinie 64/221 nur dann gerechtfertigt, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen gestützt sind. In dieser Bestimmung heißt es, dass strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres diese Maßnahmen nicht rechtfertigen können. Wie der Gerichtshof u. a. im Urteil vom 27.10.1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 35) festgestellt hat, setzt die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
38 
Zwar kann ein Mitgliedstaat die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen, doch ist die Ausnahme der öffentlichen Ordnung eng auszulegen, so dass eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur insoweit rechtfertigen kann, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. u. a. Urteil vom 19.01.1999, Rs. C-348/96, Calfa, Rn. 22-24).
39 
Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass das Gemeinschaftsrecht der Ausweisung eines Angehörigen eines Mitgliedstaats entgegensteht, die auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt, d. h. zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird (vgl. u.a. Urteil Bonsignore, Rn. 7), insbesondere, wenn die Ausweisung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (vgl. Urteile Calfa, Rn. 27, und Nazli, Rn. 59).“
40 
d) Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Impulse aus Luxemburg aufgegriffen und seine diesbezügliche Rechtsprechung mit Urteil vom 03.08.2004 -1 C 30.02 - auch hinsichtlich der generalpräventiv begründeten Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern geändert (BVerwGE 121, 297, Rn. 24):
41 
„Die Gefährdung kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens ergeben. Es besteht aber keine dahin gehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet. Eine vom Einzelfall losgelöste oder auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützte Begründung der Ausweisung ist in jedem Fall unzulässig.“
42 
Im Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (BVerwGE 124, 243) wurde dies nochmals bekräftigt:
43 
„Das Gemeinschaftsrecht lässt eine Ausweisung ausnahmslos nur aus spezialpräventiven Gründen zu, d.h. zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von dem einzelnen Ausländer persönlich ausgehen, nicht aber - tragend oder auch nur mittragend - zur (generalpräventiven) Abschreckung anderer Ausländer.“
44 
Mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - (BVerwGE 121, 315, Rn. 17) hat das Bundesverwaltungsgericht diese Grundsätze des unionsrechtlichen Ausweisungsschutzes auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige erstreckt, d.h. deren Ausweisungsschutz in gleicher Weise materiellrechtlich begründet und ausgestaltet wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger:
45 
„Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Übertragung der nach dem Urteil des Senats im Verfahren BVerwG 1 C 30.02 anzuwendenden Maßstäbe entgegenstehen.“
46 
Der EuGH hat die Richtigkeit dieser Entscheidung mit Urteil vom 11.11.2004 (Rs. C-467/02 - Cetinkaya) bestätigt.
47 
Seither können freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur noch ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen darf eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt und auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet; aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfen daher nicht mehr aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zwecke der Generalprävention angeordnet werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - ZAR 2010, 284). Hier kann mithin kein „dringendes Bedürfnis“ mehr angenommen werden, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus „durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten“ (so noch: BVerwG, Beschluss vom 08.05.1996 - 1 B 136.95 - InfAuslR 1996, 299).
48 
Seit der 2. EU-Osterweiterung am 01.01.2007 kommen zunächst alle Staatsangehörigen der anderen 26 Mitgliedstaaten in den Genuss dieses europarechtlichen Ausweisungsschutzes. Das sind rund 35 % aller in Deutschland lebenden Ausländer (Stand: 31.12.2009; zit. nach BAMF, Ausländerzahlen 2009, S. 12). Hinzu kommen des Weiteren wohl rund 23 % türkische Staatsangehörige (vgl. BAMF, a.a.O., S. 11), weil nur ca. 5 % der in Deutschland lebenden Türken (ca. 25 % der ausländischen Bevölkerung von insgesamt 6,7 Mio. Menschen) kürzer als sechs Jahre hier leben; über 86 % der türkischen Staatsangehörigen leben sogar länger als 10 Jahre in Deutschland (vgl. BAMF, a.a.O. S. 14). Dies bedeutet ausländerrechtlich, dass sich möglicherweise rund 95 % der hier lebenden türkischen Staatsangehörigen auf Art. 6 oder 7 ARB 1/80 berufen können (vgl. Günes, Europäischer Ausweisungsschutz, 2009, S. 49 ff.). Geht man davon aus, dass zudem ein Teil sowohl der Unionsbürger als auch der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit ebenfalls aufenthaltsrechtlich besonders geschützten Drittstaatern (vgl. Art. 27 Abs. 2 Unionsbürger-RL 2004/38/EG, Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthalts-RL 2003/109/EG und Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 FreizügG/EU, Rn. 20 ff.) familiär verbunden ist, dürfte aufgrund insbesondere der Rechtsprechung des EuGH zwischenzeitlich möglicherweise für rund zwei Drittel aller in Deutschland lebenden Ausländer ein absolutes Verbot der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen bestehen. Dies würde deren - nach Auskunft des Beklagten und Erfahrung des Senats - heute nur noch sehr geringe Praxisrelevanz schlüssig erklären. Die Frage, ob vor diesem empirisch-europarechtlichen Hintergrund auch mangels „kontinuierlicher Verwaltungspraxis“ eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen überhaupt noch abschreckende Wirkung im Sinne einer „Verhaltenssteuerung“ entfalten kann - wofür im Übrigen die Ausländerbehörde darlegungs- und beweispflichtig wäre -, sei nur am Rande gestellt. Neuere empirische Studien hierzu hat der Senat jedenfalls nicht auffinden können.
49 
e) Die Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen beruht bis heute auf richterlicher Schöpfung, nicht aber auf einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers (vgl. GK-AufenthG, 6/2009, Vor §§ 53 ff., Rn. 1300.1, m.w.N.). Nach Überzeugung des Senats hat sie nunmehr auch bezüglich der in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländer ihre Berechtigung grundsätzlich verloren. Eine Anpassung ist erforderlich, um im Wege einer Gesamtschau insbesondere dem Schutz von Art. 8 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR noch besser gerecht zu werden und insoweit eine Angleichung mit der Rechtsprechung des EuGH zu erzielen. Die Personengruppe der nachhaltig „Verwurzelten“ steht Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen in mancherlei Hinsicht gleich. Da jedoch nach wie vor keine vollständige Identität der Rechtsstellung besteht, kann der Schutz vor einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung nur eine Grundregel darstellen.
50 
Anders als bei Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen kann bei „Verwurzelten“ demnach eine generalpräventiv begründete Ausweisung weiterhin ausnahmsweise zulässig sein, wenn ganz besonders schwerwiegende Delikte verwirklicht wurden, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährden. Als Maßstab aus anderen Regelungszusammenhängen kann sich - zur Fallgruppenbildung im Europäischen Rechtsraum - insoweit zum einen Art. 12 Abs. 2 der Qualifikations-RL 2004/83/EG anbieten (insbesondere „Terrorismusdelikte“; vgl. Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 AsylVfG Rn. 8 f.). Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es auch im europäischen Flüchtlingsrecht hier nicht auf eine gegenwärtige Wiederholungsgefahr an (EuGH, Urteil vom 09.11.2010, Rs. C-101/09 - Deutschland vs. D). Zum anderen kann der Rechtsgedanke von Art. 28 Abs. 3 Unionsbürger-RL 2004/38/EG herangezogen werden („staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte“), weil auch Unionsbürger insoweit selbst nach 10-jährigem Aufenthalt im Aufnahmestaat nur einen eingeschränkten Schutz gegen (weiterhin ausschließlich spezialpräventiv begründete) Ausweisungen genießen (EuGH, Urteil vom 23.11.2010, Rs. C-145/09 - Tsakouridis). Liegen jedoch keine vergleichbar schwerwiegenden Delikte vor, verdient derjenige, der sich in qualifizierter Weise auf Art. 8 EMRK berufen kann, insbesondere weil er in Deutschland ein nach der Rechtsprechung des EGMR nachhaltig zu schützendes Privatleben entfaltet hat, menschenrechtlich einen mit Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen vergleichbaren Ausweisungsschutz. Die weitgehende Vereinheitlichung des bisweilen nur noch schlecht überschaubaren Ausländerrechts liegt insoweit nahe.
51 
Als Stichtag bietet sich das Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon an, d.h. der 01.12.2009. Denn der Lissabon-Vertrag hebt den Prozess der europäischen Integration „auf eine neue Stufe“ (Abs. 1 EUV-Präambel) und strebt mit der Vergemeinschaftung, heute genauer „Verunionung“ (vgl. Art. 1 Abs. 3 Satz 3 EUV) der vormaligen 3. EU-Säule die Schaffung eines europaweiten „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ an, in dem - gerade auch für die Bereiche Asyl, Einwanderung und Freizügigkeit - im Wesentlichen einheitliche Standards gelten sollen (vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 ff. AEUV und das Stockholmer Programm vom 11.12.2010 - ABlEU Nr. C 115/1). Auch wird mit dem gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV angestrebten Beitritt der neu verfassten EU zur EMRK diese Konvention normhierarchisch gewissermaßen auf die höchste Stufe gestellt. Selbst das bezüglich allen nationalen Rechts anwendungsvorrangige Unionsrecht wird künftig vom EGMR am Maßstab der EMRK gemessen und, trotz EU-Grundrechtecharta, gegebenenfalls als menschenrechtswidrig eingestuft. Damit wird durch den Lissabon-Vertrag klargestellt - und mit dessen Ratifikation auch von der Bundesrepublik angestrebt -, dass in Sachen Menschenrechtsschutz der Straßburger EGMR europaweit „das letzte Wort“ haben soll (ausführlich: Bergmann, Diener dreier Herren? - Der Instanzrichter zwischen BVerfG, EuGH und EGMR, EuR 2006, S. 101). Der Straßburger Rechtsprechung ist deshalb seit 01.12.2009 noch größeres Gewicht beizumessen. Seit 01.12.2009 muss bei der dogmatischen Durchdringung und Fortbildung des mitgliedstaatlichen Rechts vom „Europäischen Rechtsraum“ her gedacht werden (v. Bogdandy, Perspektiven einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Handlexikon der EU, 4. Aufl., Baden-Baden, sowie JZ 2011, S. 4).
52 
Als diesbezügliches Vorbild für die Erstreckung des grundsätzlichen Verbots der generalpräventiven Ausweisung auf nachhaltig „verwurzelte“ Ausländer ab 01.12.2009 sieht der Senat die rechtspolitisch in gleiche Richtung weisende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur allgemeinen Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung. Mit Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28.08.2007 – nach der Geltung für Unionsbürger und sodann für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige – nunmehr bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist, was insoweit zu einer Rechtsvereinheitlichung in dem durch EGMR- und EuGH-Rechtsprechung geprägten Europäischen Rechtsraum geführt hat.
53 
3. Der Kläger ist ein in Deutschland „verwurzelter“ Ausländer und kann sich auf den Schutz von Art. 8 EMRK berufen. Der EGMR geht von einem weiten Begriff des Privatlebens aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“ sowie das „Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln“ und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - „gewachsenen Bindungen“ umfasst. Maßgebend ist, ob der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum Aufnahmestaat verfügt (vgl. die im Senatsurteil vom 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - referierte EGMR-Rechtsprechung). Im konkreten Einzelfall des Klägers ist dies nach Auffassung des Senats gegeben. Der Kläger lebt nunmehr bereits seit 14 Jahren im Bundesgebiet. Seine gesamte berufliche Entwicklung ist hier erfolgt. Hier leben enge Familienangehörige und sein Freundeskreis. Hier hat er einen Arbeitsplatz, der ihn ohne ergänzenden Sozialleistungsbezug unterhält. Hier verlebt der Kläger sein Privatleben mit seiner deutschen Partnerin.
54 
Auf die Frage der zugleich tiefgreifenden „Entwurzelung“ kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Denn auch der diesbezügliche Ausweisungsschutz von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen besteht unabhängig davon, ob die Sprache der früheren Heimat beherrscht wird oder ob dort etwa noch Verwandte bzw. Bekannte leben. Solche Umstände können allerdings (insbesondere auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung) einen noch weitergehenden Schutz gegenüber einer ausnahmsweise generalpräventiv oder aber spezialpräventiv motivierten Ausweisung begründen.
55 
Damit greift bezüglich des Klägers die oben dargelegte Regel des Verbots der tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser Regel vorliegen (Terrorismus, staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte), ist seine Ausweisung gesperrt. Anders formuliert fehlt es damit im konkreten Einzelfall an den für die Ausweisung erforderlichen „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Sinne von § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Die allein auf generalpräventive Motive gestützte Ausweisung des Klägers ist also im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat rechtswidrig.
II.
56 
Ist die angefochtene Ausweisung aufzuheben, entfällt die nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 50 Abs. 1 AufenthG entstandene Ausreisepflicht und die dem Kläger am 28.10.2004 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgilt, lebt wieder auf. Demgemäß ist auch die im Bescheid vom 23.06.2009 verfügte unselbständige Abschiebungsandrohung aufzuheben, soweit sie sich nach der Haftentlassung nicht erledigt hat. Denn Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist eine bestehende Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG (ebenso: Nds. OVG, Urteil vom 10.03.2011 - 8 LB 153/09 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2009 - 18 A 2620/08 - juris).
57 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
58 
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat und die Frage der Möglichkeit einer Ausweisung bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Gründen zur Herstellung einer bundeseinheitlichen Rechtslage vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden sollte. Das Bundesverwaltungsgericht ging bisher in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Straftat als Ausweisungsgrund im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG regelmäßig auch bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Erwägungen als besonders schwerwiegend bewertet werden und ein öffentliches Interesse an der Ausweisung des Ausländers begründen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25/03 - BVerwGE 121, 356; hierauf sich berufend etwa Bay. VGH, Beschluss vom 31.01.2011 - 10 ZB 10.2868 - juris).
59 
Beschluss vom 18. März 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
61 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
19 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist ebenso begründet wie seine Anfechtungsklage (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
20 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angefochtenen Androhung der Abschiebung in das Kosovo vor allem die Ausweisung des Klägers. Mit dem Verwaltungsgericht und den Beteiligten ist auch der Senat (nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung sowie insbesondere dem schlüssigen Strafaussetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 07.05.2010 und den positiven Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt in den Gefangenen-Personalakten) der Überzeugung, dass von dem Kläger heute keine gesteigerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden. Die Ausweisung wird von dem Beklagten deshalb allein tragend zur - generalpräventiven - Abschreckung anderer Ausländer aufrechterhalten. Damit verstößt sie hier im Lichte des gemäß Art. 8 EMRK qualifiziert geschützten Privatlebens gegen § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
21 
1. Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Verurteilung durch das Landgericht Heidelberg am 18.02.2009 zu zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe den Regel-Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG. Er genießt jedoch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthalts, jedenfalls seit 2000, und der am 28.10.2004 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis besonderen Ausweisungsschutz, weswegen er nach Satz 2 der Norm nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ausgewiesen werden darf. Maßgebend für die Frage, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, also des Senats. Ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, ist voll gerichtlich überprüfbar; es besteht für die Ausländerbehörde kein Beurteilungsspielraum.
22 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356).
23 
Erfüllt ein Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, - wie der Kläger - keinen der in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aufgeführten Ist- oder Regelausweisungsgründe, steht dies einer Ausweisung im Ermessenswege nicht entgegen (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). In diesem Fall fehlt es aber an einer gesetzlichen Vermutung für die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dennoch können solche schwerwiegenden Gründe auch bei Vorliegen eines sonstigen (Regel- oder Ermessens-)Ausweisungsanlasses gegeben sein. Erforderlich ist dann jedoch, dass dem Ausweisungsgrund ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - ZAR 2009, 145).
24 
2. Bei einer durch eine Straftat veranlassten Ausweisung, die tragend zur generalpräventiven Abschreckung anderer Ausländer verfügt oder aufrechterhalten wird, fehlt es im Lichte von Art. 8 EMRK in der Regel an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wenn hierdurch ein in Deutschland nachhaltig „verwurzelter“ Ausländer betroffen wird. Die regelmäßige Unzulässigkeit von tragend generalpräventiv motivierten Ausweisungen bei dieser Personengruppe folgert der Senat in einer Gesamtschau aus den neueren Rechtsprechungslinien sowohl des Bundesverfassungsgerichts (a) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - (b) und im Übrigen auch aus der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - bezüglich Unionsbürgern (c) sowie des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen (d). Dies gilt jedenfalls seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 (e).
25 
a) Im Beschluss der Zweiten Kammer des Zweiten Senats vom 10.08.2007 (- 2 BvR 535/06, Rn. 24 f. - NVwZ 2007, 1300) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
26 
„Eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Entscheidung über die Zulässigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung setzt … voraus, dass die Ausländerbehörde die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen sorgfältig ermittelt und eingehend würdigt. Ohne die Kenntnis von Einzelheiten der Tatbegehung und der persönlichen Situation des Betroffenen können in der Regel die Auswirkungen der Ausweisung auf die Individualinteressen nicht hinreichend sicher festgestellt und in einer einzelfallbezogenen Abwägung den die Ausweisung verlangenden Interessen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden. … Im Grundsatz nicht anders als bei der Würdigung der von dem Ausländer künftig ausgehenden Gefahren im Rahmen spezialpräventiv motivierter Ausweisungen genügt es insbesondere nicht, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen.“
27 
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, mit dieser inhaltlich teilweisen Neukonturierung des Anforderungsprofils habe das Bundesverfassungsgericht der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen „nicht nur die Zähne gezogen, sondern ihr - jedenfalls was eine praktische Anwendung betrifft - gleichsam auf kaltem Wege den (endgültigen) Todesstoß versetzt“ (Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht, VerwArch 2010, 507). Denn eine generalpräventive Ausweisung, die im Grundsatz nicht anders als bei einer spezialpräventiven Ausweisung auch eine Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der Umstände der begangenen Straftat verlangt und daran anschließend eine einzelfallbezogene Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit erfordert, sei in Wahrheit nichts anderes als eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen. Da das Wesen der generalpräventiven Ausweisung vor allem darin bestehe, eine Ausweisung ohne das Abstellen auf die individuelle Gefährlichkeit des Ausländers zu ermöglichen (so schon Pagenkopf, DVBl. 1975, S. 766), könne es allenfalls noch eine „generalpräventiv motivierte“ Ausweisung geben, die jedoch zugleich auch spezialpräventiv gerechtfertigt sein müsse. Ohnehin wäre eine selbständig rechtfertigende Wirkung generalpräventiver Erwägungen mit dem Garantiegehalt der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn diese schließe es aus, den Ausgewiesenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu denaturieren und ihn als Vehikel zu benutzen, um auf andere abschreckend und damit verhaltenssteuernd einzuwirken (Mayer, a.a.O., m.w.N.). Ob dies in dieser Allgemeinheit zutrifft, kann hier offen bleiben. Jedenfalls bei nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern, die sich auf den qualifizierten Schutz von Art. 8 EMRK berufen können - was nicht notwendig zugleich eine tiefgreifende „Entwurzelung“ voraussetzt -, steht der vom Bundesverfassungsgericht besonders betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvR 241/77 - BVerfGE 50, 166) einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aber in der Regel entgegen. Eine tragend generalpräventiv motivierte Ausweisung stellt sich bei nachhaltig „Verwurzelten“ auch im Lichte der Ausführungen des BVerfG mithin regelmäßig als unverhältnismäßig dar, sodass es an hierfür rechtfertigenden schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fehlt.
28 
b) Auch der Straßburger EGMR steht der Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich skeptisch gegenüber. Dies ergibt sich aus seiner Rechtsprechung zu Ausweisungen, die er an Art. 8 EMRK misst. Seine sogenannten Boultif/Üner-Kriterien hat er etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) wie folgt zusammengefasst:
29 
„Der Gerichtshof hat bekräftigt, dass in allen Rechtssachen, die niedergelassene Zuwanderer betreffen, bei der Prüfung der Frage, ob eine Ausweisungsmaßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stand, die folgenden Kriterien heranzuziehen sind:
30 
- Die Art und Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat;
- die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll;
- die seit der Tat verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit;
- die Staatsangehörigkeit der verschiedenen Betroffenen;
- die familiäre Situation des Beschwerdeführers, wie z.B. die Dauer der Ehe, und andere Faktoren, die erkennen lassen, wie intakt das Familienleben eines Ehepaars ist;
- ob der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin von der Straftat wusste, als er bzw. sie eine familiäre Beziehung einging;
- ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und gegebenenfalls deren Alter und
- das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin in dem Land, in das der Beschwerdeführer bzw. die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen wird.
31 
Im Urteil Üner hat der Gerichtshof außerdem ausdrücklich die beiden folgenden Kriterien genannt:
32 
- Die Belange und das Wohl der Kinder, insbesondere das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen Kinder des Beschwerdeführers in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen werden, und
- die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland.“
33 
Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht verlangt mithin auch der Menschenrechtsgerichtshof (angesiedelt auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung), dass für eine konventionsgemäße Ausweisung zwingend eine genaue und auf den Einzelfall bezogene Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der konkreten Umstände der begangenen Straftat getroffen und daran anschließend eine Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit durchgeführt wird (vgl. auch EGMR, Urteil vom 23.06.2008 - 1638/03 - Maslov). Auch dies läuft jedenfalls in rechtstatsächlicher Hinsicht sehr stark auf eine Ausweisung (nur oder nur auch) aus spezialpräventiven Gründen zu.
34 
c) Der Luxemburger EuGH hält hinsichtlich Unionsbürgern eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen schon seit 1975 für rechtswidrig, wie er erstmals im Urteil Bonsignore (Urteil vom 26.02.1975, Rs. 67/74, Rn. 7) klarstellte:
35 
„Auf die gestellten Fragen ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie Nr. 64/221 der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates entgegensteht, wenn diese zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird, das heißt, wenn sie - in der Formulierung des innerstaatlichen Gerichts - auf ‚generalpräventive‘ Gesichtspunkte gestützt wird.“
36 
Im Urteil Orfanopoulos und Oliveri (Urteil vom 29.04.2004, Rs. C-482/01 u. 493/01, Rn. 66-68) hat er dies 2004 nochmals ausführlicher dargelegt:
37 
„Maßnahmen der öffentlichen Ordnung sind nach Art. 3 der Richtlinie 64/221 nur dann gerechtfertigt, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen gestützt sind. In dieser Bestimmung heißt es, dass strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres diese Maßnahmen nicht rechtfertigen können. Wie der Gerichtshof u. a. im Urteil vom 27.10.1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 35) festgestellt hat, setzt die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
38 
Zwar kann ein Mitgliedstaat die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen, doch ist die Ausnahme der öffentlichen Ordnung eng auszulegen, so dass eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur insoweit rechtfertigen kann, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. u. a. Urteil vom 19.01.1999, Rs. C-348/96, Calfa, Rn. 22-24).
39 
Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass das Gemeinschaftsrecht der Ausweisung eines Angehörigen eines Mitgliedstaats entgegensteht, die auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt, d. h. zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird (vgl. u.a. Urteil Bonsignore, Rn. 7), insbesondere, wenn die Ausweisung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (vgl. Urteile Calfa, Rn. 27, und Nazli, Rn. 59).“
40 
d) Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Impulse aus Luxemburg aufgegriffen und seine diesbezügliche Rechtsprechung mit Urteil vom 03.08.2004 -1 C 30.02 - auch hinsichtlich der generalpräventiv begründeten Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern geändert (BVerwGE 121, 297, Rn. 24):
41 
„Die Gefährdung kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens ergeben. Es besteht aber keine dahin gehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet. Eine vom Einzelfall losgelöste oder auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützte Begründung der Ausweisung ist in jedem Fall unzulässig.“
42 
Im Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (BVerwGE 124, 243) wurde dies nochmals bekräftigt:
43 
„Das Gemeinschaftsrecht lässt eine Ausweisung ausnahmslos nur aus spezialpräventiven Gründen zu, d.h. zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von dem einzelnen Ausländer persönlich ausgehen, nicht aber - tragend oder auch nur mittragend - zur (generalpräventiven) Abschreckung anderer Ausländer.“
44 
Mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - (BVerwGE 121, 315, Rn. 17) hat das Bundesverwaltungsgericht diese Grundsätze des unionsrechtlichen Ausweisungsschutzes auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige erstreckt, d.h. deren Ausweisungsschutz in gleicher Weise materiellrechtlich begründet und ausgestaltet wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger:
45 
„Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Übertragung der nach dem Urteil des Senats im Verfahren BVerwG 1 C 30.02 anzuwendenden Maßstäbe entgegenstehen.“
46 
Der EuGH hat die Richtigkeit dieser Entscheidung mit Urteil vom 11.11.2004 (Rs. C-467/02 - Cetinkaya) bestätigt.
47 
Seither können freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur noch ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen darf eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt und auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet; aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfen daher nicht mehr aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zwecke der Generalprävention angeordnet werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - ZAR 2010, 284). Hier kann mithin kein „dringendes Bedürfnis“ mehr angenommen werden, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus „durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten“ (so noch: BVerwG, Beschluss vom 08.05.1996 - 1 B 136.95 - InfAuslR 1996, 299).
48 
Seit der 2. EU-Osterweiterung am 01.01.2007 kommen zunächst alle Staatsangehörigen der anderen 26 Mitgliedstaaten in den Genuss dieses europarechtlichen Ausweisungsschutzes. Das sind rund 35 % aller in Deutschland lebenden Ausländer (Stand: 31.12.2009; zit. nach BAMF, Ausländerzahlen 2009, S. 12). Hinzu kommen des Weiteren wohl rund 23 % türkische Staatsangehörige (vgl. BAMF, a.a.O., S. 11), weil nur ca. 5 % der in Deutschland lebenden Türken (ca. 25 % der ausländischen Bevölkerung von insgesamt 6,7 Mio. Menschen) kürzer als sechs Jahre hier leben; über 86 % der türkischen Staatsangehörigen leben sogar länger als 10 Jahre in Deutschland (vgl. BAMF, a.a.O. S. 14). Dies bedeutet ausländerrechtlich, dass sich möglicherweise rund 95 % der hier lebenden türkischen Staatsangehörigen auf Art. 6 oder 7 ARB 1/80 berufen können (vgl. Günes, Europäischer Ausweisungsschutz, 2009, S. 49 ff.). Geht man davon aus, dass zudem ein Teil sowohl der Unionsbürger als auch der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit ebenfalls aufenthaltsrechtlich besonders geschützten Drittstaatern (vgl. Art. 27 Abs. 2 Unionsbürger-RL 2004/38/EG, Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthalts-RL 2003/109/EG und Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 FreizügG/EU, Rn. 20 ff.) familiär verbunden ist, dürfte aufgrund insbesondere der Rechtsprechung des EuGH zwischenzeitlich möglicherweise für rund zwei Drittel aller in Deutschland lebenden Ausländer ein absolutes Verbot der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen bestehen. Dies würde deren - nach Auskunft des Beklagten und Erfahrung des Senats - heute nur noch sehr geringe Praxisrelevanz schlüssig erklären. Die Frage, ob vor diesem empirisch-europarechtlichen Hintergrund auch mangels „kontinuierlicher Verwaltungspraxis“ eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen überhaupt noch abschreckende Wirkung im Sinne einer „Verhaltenssteuerung“ entfalten kann - wofür im Übrigen die Ausländerbehörde darlegungs- und beweispflichtig wäre -, sei nur am Rande gestellt. Neuere empirische Studien hierzu hat der Senat jedenfalls nicht auffinden können.
49 
e) Die Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen beruht bis heute auf richterlicher Schöpfung, nicht aber auf einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers (vgl. GK-AufenthG, 6/2009, Vor §§ 53 ff., Rn. 1300.1, m.w.N.). Nach Überzeugung des Senats hat sie nunmehr auch bezüglich der in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländer ihre Berechtigung grundsätzlich verloren. Eine Anpassung ist erforderlich, um im Wege einer Gesamtschau insbesondere dem Schutz von Art. 8 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR noch besser gerecht zu werden und insoweit eine Angleichung mit der Rechtsprechung des EuGH zu erzielen. Die Personengruppe der nachhaltig „Verwurzelten“ steht Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen in mancherlei Hinsicht gleich. Da jedoch nach wie vor keine vollständige Identität der Rechtsstellung besteht, kann der Schutz vor einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung nur eine Grundregel darstellen.
50 
Anders als bei Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen kann bei „Verwurzelten“ demnach eine generalpräventiv begründete Ausweisung weiterhin ausnahmsweise zulässig sein, wenn ganz besonders schwerwiegende Delikte verwirklicht wurden, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährden. Als Maßstab aus anderen Regelungszusammenhängen kann sich - zur Fallgruppenbildung im Europäischen Rechtsraum - insoweit zum einen Art. 12 Abs. 2 der Qualifikations-RL 2004/83/EG anbieten (insbesondere „Terrorismusdelikte“; vgl. Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 AsylVfG Rn. 8 f.). Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es auch im europäischen Flüchtlingsrecht hier nicht auf eine gegenwärtige Wiederholungsgefahr an (EuGH, Urteil vom 09.11.2010, Rs. C-101/09 - Deutschland vs. D). Zum anderen kann der Rechtsgedanke von Art. 28 Abs. 3 Unionsbürger-RL 2004/38/EG herangezogen werden („staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte“), weil auch Unionsbürger insoweit selbst nach 10-jährigem Aufenthalt im Aufnahmestaat nur einen eingeschränkten Schutz gegen (weiterhin ausschließlich spezialpräventiv begründete) Ausweisungen genießen (EuGH, Urteil vom 23.11.2010, Rs. C-145/09 - Tsakouridis). Liegen jedoch keine vergleichbar schwerwiegenden Delikte vor, verdient derjenige, der sich in qualifizierter Weise auf Art. 8 EMRK berufen kann, insbesondere weil er in Deutschland ein nach der Rechtsprechung des EGMR nachhaltig zu schützendes Privatleben entfaltet hat, menschenrechtlich einen mit Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen vergleichbaren Ausweisungsschutz. Die weitgehende Vereinheitlichung des bisweilen nur noch schlecht überschaubaren Ausländerrechts liegt insoweit nahe.
51 
Als Stichtag bietet sich das Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon an, d.h. der 01.12.2009. Denn der Lissabon-Vertrag hebt den Prozess der europäischen Integration „auf eine neue Stufe“ (Abs. 1 EUV-Präambel) und strebt mit der Vergemeinschaftung, heute genauer „Verunionung“ (vgl. Art. 1 Abs. 3 Satz 3 EUV) der vormaligen 3. EU-Säule die Schaffung eines europaweiten „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ an, in dem - gerade auch für die Bereiche Asyl, Einwanderung und Freizügigkeit - im Wesentlichen einheitliche Standards gelten sollen (vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 ff. AEUV und das Stockholmer Programm vom 11.12.2010 - ABlEU Nr. C 115/1). Auch wird mit dem gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV angestrebten Beitritt der neu verfassten EU zur EMRK diese Konvention normhierarchisch gewissermaßen auf die höchste Stufe gestellt. Selbst das bezüglich allen nationalen Rechts anwendungsvorrangige Unionsrecht wird künftig vom EGMR am Maßstab der EMRK gemessen und, trotz EU-Grundrechtecharta, gegebenenfalls als menschenrechtswidrig eingestuft. Damit wird durch den Lissabon-Vertrag klargestellt - und mit dessen Ratifikation auch von der Bundesrepublik angestrebt -, dass in Sachen Menschenrechtsschutz der Straßburger EGMR europaweit „das letzte Wort“ haben soll (ausführlich: Bergmann, Diener dreier Herren? - Der Instanzrichter zwischen BVerfG, EuGH und EGMR, EuR 2006, S. 101). Der Straßburger Rechtsprechung ist deshalb seit 01.12.2009 noch größeres Gewicht beizumessen. Seit 01.12.2009 muss bei der dogmatischen Durchdringung und Fortbildung des mitgliedstaatlichen Rechts vom „Europäischen Rechtsraum“ her gedacht werden (v. Bogdandy, Perspektiven einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Handlexikon der EU, 4. Aufl., Baden-Baden, sowie JZ 2011, S. 4).
52 
Als diesbezügliches Vorbild für die Erstreckung des grundsätzlichen Verbots der generalpräventiven Ausweisung auf nachhaltig „verwurzelte“ Ausländer ab 01.12.2009 sieht der Senat die rechtspolitisch in gleiche Richtung weisende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur allgemeinen Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung. Mit Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28.08.2007 – nach der Geltung für Unionsbürger und sodann für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige – nunmehr bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist, was insoweit zu einer Rechtsvereinheitlichung in dem durch EGMR- und EuGH-Rechtsprechung geprägten Europäischen Rechtsraum geführt hat.
53 
3. Der Kläger ist ein in Deutschland „verwurzelter“ Ausländer und kann sich auf den Schutz von Art. 8 EMRK berufen. Der EGMR geht von einem weiten Begriff des Privatlebens aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“ sowie das „Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln“ und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - „gewachsenen Bindungen“ umfasst. Maßgebend ist, ob der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum Aufnahmestaat verfügt (vgl. die im Senatsurteil vom 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - referierte EGMR-Rechtsprechung). Im konkreten Einzelfall des Klägers ist dies nach Auffassung des Senats gegeben. Der Kläger lebt nunmehr bereits seit 14 Jahren im Bundesgebiet. Seine gesamte berufliche Entwicklung ist hier erfolgt. Hier leben enge Familienangehörige und sein Freundeskreis. Hier hat er einen Arbeitsplatz, der ihn ohne ergänzenden Sozialleistungsbezug unterhält. Hier verlebt der Kläger sein Privatleben mit seiner deutschen Partnerin.
54 
Auf die Frage der zugleich tiefgreifenden „Entwurzelung“ kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Denn auch der diesbezügliche Ausweisungsschutz von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen besteht unabhängig davon, ob die Sprache der früheren Heimat beherrscht wird oder ob dort etwa noch Verwandte bzw. Bekannte leben. Solche Umstände können allerdings (insbesondere auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung) einen noch weitergehenden Schutz gegenüber einer ausnahmsweise generalpräventiv oder aber spezialpräventiv motivierten Ausweisung begründen.
55 
Damit greift bezüglich des Klägers die oben dargelegte Regel des Verbots der tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser Regel vorliegen (Terrorismus, staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte), ist seine Ausweisung gesperrt. Anders formuliert fehlt es damit im konkreten Einzelfall an den für die Ausweisung erforderlichen „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Sinne von § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Die allein auf generalpräventive Motive gestützte Ausweisung des Klägers ist also im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat rechtswidrig.
II.
56 
Ist die angefochtene Ausweisung aufzuheben, entfällt die nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 50 Abs. 1 AufenthG entstandene Ausreisepflicht und die dem Kläger am 28.10.2004 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgilt, lebt wieder auf. Demgemäß ist auch die im Bescheid vom 23.06.2009 verfügte unselbständige Abschiebungsandrohung aufzuheben, soweit sie sich nach der Haftentlassung nicht erledigt hat. Denn Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist eine bestehende Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG (ebenso: Nds. OVG, Urteil vom 10.03.2011 - 8 LB 153/09 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2009 - 18 A 2620/08 - juris).
57 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
58 
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat und die Frage der Möglichkeit einer Ausweisung bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Gründen zur Herstellung einer bundeseinheitlichen Rechtslage vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden sollte. Das Bundesverwaltungsgericht ging bisher in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Straftat als Ausweisungsgrund im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG regelmäßig auch bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Erwägungen als besonders schwerwiegend bewertet werden und ein öffentliches Interesse an der Ausweisung des Ausländers begründen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25/03 - BVerwGE 121, 356; hierauf sich berufend etwa Bay. VGH, Beschluss vom 31.01.2011 - 10 ZB 10.2868 - juris).
59 
Beschluss vom 18. März 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
61 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. In Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wendet sich gegen seine Ausweisung.
Er ist am 01.10.1981 in ... geboren und dort aufgewachsen. Sein 1947 geborener Vater war im Bundesgebiet seit 1973 erwerbstätig und verstarb 2009 an den Folgen einer 1999 diagnostizierten Krebserkrankung. Seine 1950 geborene Mutter lebt seit 1978 in Deutschland und ist nach einem Hirninfarkt mit Halbseitenlähmung und weiteren Erkrankungen hilfebedürftig. Sie wird durch Familienmitglieder unterstützt und gepflegt. Im Bundesgebiet leben die vier älteren, in den Jahren 1971, 1972, 1973 und 1979 geborenen Brüder des Klägers, die teilweise hier eigene Familien haben. Die drei ältesten Brüder wuchsen zunächst bei ihren Großeltern in der Türkei auf und kamen im Kindesalter nach Deutschland.
Am 02.10.1997 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Er erwarb 1998 den Hauptschulabschluss und schloss am 18.07.2001 eine Lehre als Verpackungsmittelmechaniker erfolgreich ab. Sein bisheriger Ausbildungsbetrieb setzte ihn in unmittelbarem Anschluss an das Ende seiner Ausbildung als Drucker ein. Nach eigenen Angaben arbeitete der Kläger wegen einer durch die andauernde Belastung mit Lösungsmitteln hervorgerufenen Erkrankung nur etwa zwei Jahre in seinem erlernten Beruf. Danach bezog er Arbeitslosengeld. Im Jahre 2003 war er kurzzeitig als Konzessionsinhaber des Pizza-Services „...“ in ... registriert, wobei die Pizzeria aufgrund einer „Verrechnung“ in einem Drogengeschäft erworben worden war.
Der Kläger wurde am 06.10.1999 in einem Zug einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen, bei der ein Gramm Marihuana und eine Haschischpfeife gefunden wurden. Von der Verfolgung wurde nach § 45 Abs. 1 JGG abgesehen. Nach einem „Tipp aus der Szene“ wurde gegen ihn ab dem Sommer 2003 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Am 08.04.2004 erließ das Amtsgericht ... deswegen einen Haftbefehl, seit 09.05.2005 bestand ein europäischer Haftbefehl. Die Verhaftung des Klägers erfolgte am 02.06.2005 in den Niederlanden. Am 12.08.2005 wurde er an die deutschen Behörden überstellt; zuvor hatte er sich in den Niederlanden erfolglos um gerichtlichen Rechtsschutz gegen seine Auslieferung bemüht.
Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Kläger mit Urteil vom 24.11.2005 - 5 KLs 221 Js 100500/04 -, das noch am gleichen Tag rechtskräftig wurde, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe. Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit dem gesondert verfolgten Mittäter ... Y., wurde angeordnet.
Das Landgericht traf ausweislich der nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründe im Wesentlichen folgende Feststellungen: Der Kläger beschloss spätestens Mitte des Jahres 2002, sich aus dem fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana eine Einnahmequelle von einem gewissen Umfang und einer gewissen Dauer zu verschaffen. Er verkaufte im Sommer 2002 zweimal jeweils mindestens ein Kilo Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10% gewinnbringend zum Grammpreis von 4,30 EUR an die gesondert verfolgten M.K. und A.Y. (Taten 1 und 2 gemäß des Strafurteils). Spätestens im Oktober 2002 beschlossen der Kläger und der gesondert verfolgte ... Y., sich in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken durch den fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana in Stuttgart eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Die Beschaffung und den Vertrieb organisierten sie arbeitsteilig, wobei ... Y. sich die Letztentscheidungskompetenz vorbehielt. Das Marihuana, dessen THC-Gehalt mindestens 15% betrug, verkauften sie an A.M. der es seinerseits an seine Abnehmer G.L. und F.M. weiterveräußerte. Gegenstand der im Strafurteil im Einzelnen aufgeführten und zwischen Oktober 2002 und April 2003 begangenen Taten 3 - 12 (UA S. 4 f.) waren insgesamt mindestens 24,5 kg Marihuana, wobei von den bei den Taten 9, 11 und 12 gehandelten Rauschgiftmengen etwa 12,8 kg sichergestellt werden konnten. Die Polizei verhaftete F.M. am 09.04.2003 und A.M. am 16.04.2003. Spätestens Anfang Dezember 2003 schlossen sich der Kläger, ... Y., M.Y. sowie die beiden Brüder des Klägers N. und M. zu einer Gruppierung zusammen mit dem Ziel, künftig in ... und Umgebung für eine gewisse Dauer erhebliche Mengen Marihuana sowie Kokain jeweils guter Qualität (Wirkstoffgehalt THC mindestens 10 % bzw. Kokainhydrochlorid mindestens 35 %) gewinnbringend weiterzuverkaufen, um sich daraus eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Entsprechend der gemeinsamen Abrede vereinbarten sie ein arbeitsteiliges Vorgehen, wobei es Aufgabe des Klägers und von ... Y. war, die Betäubungsmittelbeschaffung und deren Weiterverkauf zu organisieren. Insbesondere legten sie gemeinsam die jeweiligen Lieferzeitpunkte fest und kontrollierten den Zahlungsverkehr. Mittels sog. Palms glichen sie von Zeit zu Zeit die von ihnen arbeitsteilig erzielten Ergebnisse ab. Im Verhältnis untereinander konnte ... Y. dem Kläger Weisungen erteilen. Bei Bedarf teilten beide den anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zu. Als Umschlagplatz für die Betäubungsmittel diente die von beiden gemeinsam bewohnte Wohnung im Anwesen ..., nachdem die Kurierfahrzeuge zuvor von anderen Bandenmitgliedern in verschiedenen Tiefgaragen in ... entladen worden waren. Spätestens Ende Januar 2004 schloss sich ... F. der Gruppierung an. ... Y. bot diesem in Absprache mit dem Kläger zunächst an, als Security-Mann für ihn zu arbeiten. Nachdem F. dieses Angebot angenommen hatte, wurde ihm innerhalb kürzester Zeit klar, dass der Kläger und ... Y. ihren aufwändigen Lebensstil aus Rauschgiftgeschäften finanzierten. In der Folge erklärte er sich auf Nachfrage der beiden bereit, bei dem Rauschgifthandel mitzumachen. Da der Kläger und ... Y. aus ihrer seitherigen Lieferquelle den wachsenden Marihuana-Absatz nicht mehr vollständig bedienen konnten, beauftragte ... Y. in Absprache mit dem Kläger F., neue Lieferquellen zu erschließen. F. nahm Kontakt mit einem nicht näher identifizierten Russen namens „...“ auf und vereinbarte und organisierte mit diesem Lieferungen von Marihuana aus den Niederlanden, wobei man sich zur „Geschäftsabwicklung“ teilweise in Heinsberg traf. Im März 2004 stieß schließlich J.L. zu der Bande. Dieser hatte sich Anfang Januar 2004 vom Kläger Geld geliehen, was er jedoch nicht zurückzahlen konnte. Zur Abgeltung dieser Schulden erklärte sich L. bereit, an dem Rauschgifthandel mitzuwirken. Gegenstand der abgeurteilten 16 Taten, die im Zeitraum zwischen Dezember 2003 und 06.04.2004 begangen worden waren, waren insgesamt etwa 205 kg Marihuana sowie 500 g Kokain, wobei 15 kg Marihuana sichergestellt werden konnten. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Taten wird auf die Feststellungen des Landgerichts verwiesen (dort Taten Nrn. 13 bis 28, UA S. 7 - 15). Die Feststellungen zur Sache beruhten dem Strafurteil zufolge auf dem umfassenden, im Vorfeld der Hauptverhandlung abgelegten Geständnis des Klägers, das sich einerseits mit den vom Zeugen KHK K. glaubhaft berichteten Ermittlungsergebnissen aus dem umfassenden Gesamtermittlungskomplex und andererseits den Feststellungen in dem gegen die übrigen Bandenmitglieder ergangenen Strafurteil vom 15.03.2005 deckte.
Zur Strafzumessung führte das Landgericht unter anderem aus: Für eine Strafrahmenverschiebung nach § 31 BtMG sei kein Raum gewesen. Zwar habe der Kläger im Rahmen seiner polizeilichen Angaben - wie KHK K. berichtet habe -umfängliche, über seinen eigenen Tatbeitrag hinausgehende Aufklärungshilfe geleistet. Diese erschöpfe sich jedoch, von einem in seiner Erfolgsaussicht derzeit noch nicht abschließend zu beurteilenden Ermittlungsansatz abgesehen, maßgeblich in der Bestätigung des bereits durch die Angaben des ... Y. bekannten Ermittlungsstandes. Innerhalb des für die Taten 1 bis 12 geltenden Strafrahmens nach § 29a Abs. 1 BtMG und des für die Taten 13 bis 28 zur Anwendung kommenden Strafrahmens nach § 30a Abs. 1 BtMG sei zu Gunsten des nicht vorbestraften Klägers sein umfassendes Geständnis gewertet worden, welches zu einer nennenswerten Verfahrensabkürzung geführt habe. In diesem Zusammenhang habe die Strafkammer auch die geleistete Aufklärungshilfe strafmildernd gewertet. In gleicher Weise sei die Länge der erlittenen Auslieferungs- und Untersuchungshaft sowie der Umstand gewichtet worden, dass der Kläger als Erstverbüßer äußerst strafempfindlich sei. Auch die im Raume stehenden ausländerrechtlichen Folgen der vorliegenden Verurteilung seien strafmildernd gewertet worden. Zu Gunsten des Klägers sei bezüglich der Taten 9, 11, 12 und 28 strafmildernd berücksichtigt worden, dass Rauschgift habe sichergestellt werden können und nicht in den Verkehr gelangt sei. Zudem habe die Strafkammer strafmildernd gewertet, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt gewesen sei. Zu seinen Lasten fielen strafschärfend die jeweils erheblichen Mengen an Rauschgift sowie das Handeltreiben mit Kokain als einem der gefährlichsten Rauschgifte ins Gewicht. Bei den Taten 13 bis 28 sei zu seinen Lasten berücksichtigt worden, dass die Tatinitiative jeweils von ihm - zusammen mit ... Y. - ausgegangen sei, zu seinen Gunsten sei jedoch seine Weisungsgebundenheit gegenüber diesem einzustellen. Schließlich sei seine extrem große kriminelle Energie strafschärfend gewichtet worden, welche insbesondere in der hohen Tatfrequenz zum Ausdruck gekommen sei.
Ausweislich des Protokolls des Landgerichts über die Hauptverhandlung gab es zwischen der Strafkammer, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger Gespräche über eine einvernehmliche Verfahrensabkürzung. Die Strafkammer sagte dem Kläger für den Fall eines umfassenden Geständnisses und der Bereitschaft, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, zu, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als neun Jahren zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft sagte für diesen Fall zu, das weitere anhängige Ermittlungsverfahren im bisher bekannten Umfang einzustellen und erklärte, dass die Zusage nur für den Fall einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens neun Jahren gilt.
Die übrigen Bandenmitglieder waren bereits durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.03.2005 - 5 KLs 221 Js 95338/03 - zu Freiheitsstrafen verurteilt worden - unter anderem ... Y. zu 10 Jahren, M.Y. zu 6 Jahren, N.B. zu 6 Jahren und 2 Monaten sowie M.B. zu 6 Jahren und 6 Monaten. Nach den hinsichtlich aller Angeklagten gem. § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründen des Urteils beruhten die Feststellungen zur Sache auf den umfassenden sich wechselseitig bestätigenden und daher glaubhaften Geständnissen sämtlicher Angeklagter, die auch durch die vom Zeugen KHK K. nachvollziehbar berichteten Ermittlungsergebnisse aus den stattgefundenen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie Observationen gestützt wurden.
10 
Der Kläger selbst hatte ab dem 16.11.2005 in polizeilichen Vernehmungen Angaben gemacht. Nach seiner Verurteilung wurde der Kläger erneut in der Zeit zwischen Januar 2006 und Juni 2006 polizeilich vernommen. ... Y., der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde, hatte bereits vor den Angaben des Klägers zur Sache umfangreich über Hintermänner, Lieferanten und Abnehmer des Rauschgifthandels ausgesagt. Nach einem Schreiben von KHK K. an das Regierungspräsidium Stuttgart vom 17.03.2008 seien aufgrund der Aussagen des „Bandenkopfes“, dessen rechter Hand und weiterer Bandenmitglieder, welche zwischenzeitlich bei der Polizei Angaben gemacht hätten, etwa 90 Strafverfahren eingeleitet worden, die teilweise zu langjährigen Freiheitsstrafen geführt hätten. Das aufgrund der ab Januar 2006 erfolgten Angaben gegen den Kläger eröffnete Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Verfügung vom 16.03.2007 - 221 Js 26457/06 - nach § 154 StPO ein.
11 
Das Regierungspräsidium Stuttgart nahm die Verurteilung des Klägers zum Anlass, ihn mit Verfügung vom 04.10.2006 aus dem Bundesgebiet auszuweisen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung in die Türkei ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht und die Abschiebung auf den Zeitpunkt der Haftentlassung angekündigt. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger besitze eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80. Folglich könne er nur unter dem Vorbehalt der Beschränkungen aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und nach Ermessen ausgewiesen werden. Die von ihm vorsätzlich und tatmehrheitlich begangenen Betäubungsmittelstraftaten wögen ausgesprochen schwer, da er sich unter anderem mit anderen Personen zu einer Bande zusammen geschlossen habe, die allein aus Gewinnstreben höchst umfangreich einen schwunghaften Handel mit Marihuana in höheren Kilogrammbereich betrieben habe. Dass es sich dabei „nur“ um Marihuana gehandelt habe, ändere an der Schwere der Tat nichts, denn über diese Einstiegsdroge führe oft der Weg in eine schwere Drogenabhängigkeit. Zudem habe er in einem Fall auch die harte Droge Kokain in einer Menge von ca. 500 Gramm verkauft. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei gegeben. Diese entfalle auch nicht im Hinblick auf das Geständnis im Strafverfahren. Eine echte Einsicht und Reue lasse sich daraus nicht ableiten, zumal die Beweislage wegen der Telekommunikationsüberwachung und der polizeilichen Observation erdrückend gewesen sei. Der Ausweisung stehe Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG und der darin enthaltene besondere Ausweisungsschutz nicht entgegen. Diese gemeinschaftsrechtliche Vorschrift sei auf türkische Staatsangehörige, die sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen könnten, nicht anzuwenden. Der Kläger sei zwar im Bundesgebiet geboren und hier aufgewachsen, doch überwiege sein durchaus erhebliches Interesse, von der Ausweisung verschont zu bleiben, nicht das herausragende öffentliche Interesse an der wirksamen Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. Die Wahrscheinlichkeit, dass er im Bundesgebiet erneut straffällig werde, sei ausgesprochen hoch. Es werde nicht übersehen, dass er Schwierigkeiten haben werde, sich in der Türkei einzugewöhnen. Er könne aufgrund seines Alters jedoch ohne weiteres allein klar kommen, zumal er zumindest Grundkenntnisse der türkischen Sprache besitze. Vor dem Hintergrund des höchst kriminellen Fehlverhaltens sei es ihm zumutbar, die mit einer Abschiebung in die Türkei verbundenen Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen und dort zu überwinden - zumal die Straftaten auf eine nicht abgeschlossene Integration in die deutschen Lebensverhältnisse schließen ließen. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass er noch Bindungen in der Türkei habe. Hierauf deute auch der Kauf einer Eigentumswohnung dort durch seinen Bruder M. hin. Die familiäre Verbundenheit mit den im Bundesgebiet lebenden Angehörigen den Eltern und Brüdern stehe der Ausweisung nicht entgegen. Diese stehe mit Art. 8 EMRK in Einklang.
12 
Zur Begründung seiner fristgerecht erhobenen Klage trug der Kläger vor: Die Ausweisungsverfügung verstoße gegen nationale und internationale Vorschriften. Er könne nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Diese Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Abgesehen davon sei seine Ausweisung auch aus anderen Gründen fehlerhaft. Schon vor seiner Verurteilung habe er damit begonnen, mit seiner kriminogenen Vergangenheit abzuschließen. Seine Zeugenaussagen, die bewirkt hätten, dass er in ständiger Bedrohung lebe, hätten zu einer strafrechtlichen Verfolgung einer Vielzahl von Personen geführt. Seine Entwicklung nach der Tat und sein in jeder Hinsicht beanstandungsfreies Verhalten im Vollzug zeigten, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgehe. Seine Integration in deutsche Lebensverhältnisse sei abgeschlossen; daran ändere seine Straffälligkeit nichts. Seine Bezugspersonen lebten alle in Deutschland. Hier habe er einen festen Freundeskreis. Verbindungen in die Türkei habe er keine mehr. Auch sei sein früherer Mittäter ... Y. in den Zeugenschutz aufgenommen worden, was wiederum für diesen zumindest ein Abschiebungshindernis bedeute. Er dürfe ausländerrechtlich nicht schlechter behandelt werden als dieser und als seine eigenen Brüder, die im Bundesgebiet bleiben könnten. Auch bilde er sich weiter. Er plane und betreibe seine Schuldenregulierung, die bei einer Abschiebung in die Türkei nicht mehr erfolgen könnte. Seine Ausweisung verstoße gegen Art. 8 EMRK.
13 
Das Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte mit Urteil vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - die Ausweisungsverfügung des beklagten Landes, das der Klage entgegen getreten war.
14 
Da sowohl die angefochtene Verfügung als auch das Urteil des Verwaltungsgerichts davon ausgingen, die Ausweisung des Klägers richte sich aufgrund seiner Rechtstellung nach Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80 nach Art. 14 ARB 1/80 und offen sei, ob auch assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige sich auf den Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG berufen können, ließ der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 22.07.2008 - 13 S 1244/08 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu. Die vom Kläger unter Stellung eines Antrags fristgerecht begründete Berufung wurde mit Blick auf das durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 22.07.2008 - 13 S 1917/07 - bei Europäischen Gerichtshof zu dieser Frage bereits anhängig gemachte Vorabentscheidungsersuchen (C-371/08) ausgesetzt.
15 
Der Kläger war zunächst in der JVA ... und sodann in der JVA ... in Haft. Dort teilte er sich mit seinen zwei Brüdern - aus Sicherheitsgründen - die Zelle. In der JVA ... arbeitete er seit dem 14.03.2006 in der Druckerei und eignete sich hier die Reprofilmmontage, die Druckplattenkopie und die Filmarchivierung an. Nach der Bescheinigung der JVA - Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen - vom 09.07.2009 habe er sich im Laufe seiner Tätigkeit in der Druckerei in seinem Verhalten gegenüber Vorgesetzten und auch Mitgefangenen sehr positiv entwickelt; er zeichne sich hauptsächlich durch Zuverlässigkeit, Qualitätsbewusstsein und Loyalität aus. Betäubungsmittelkontrollen während der Haft waren negativ. Mit Wirkung zum 26.08.2009 wurde der Kläger als Freigänger zugelassen, um ab dem 30.08.2009 einen zwei Jahre dauernden Umschulungslehrgang am ... Berufskolleg beginnen zu können. Die in Vollzeit stattfindende Ausbildung „Mediengestalter Digital und Print, Schwerpunkt: Gestaltung und Technik“ endet mit einer Abschlussprüfung vor der IHK. Nach den Bescheiden der Bundesagentur für Arbeit vom 07.09.2009 werden die Kosten des Lehrgangs von insgesamt 17.518,60 EUR als Leistungen für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme von dieser getragen, darüber hinaus erhält der Kläger ein monatliches Arbeitslosengeld gemäß § 117 SGB III in Höhe von 797,40 EUR.
16 
Mit Schreiben vom 09.03.2010 beantragte der Kläger die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.11.2005 und führte hierin unter anderem aus: Er habe durch seine umfangreiche, wahrheitsgemäße Aufklärungshilfe glaubwürdig Abstand von seinen kriminellen Taten genommen. Im Strafvollzug habe er sich mit der Bedeutung und den Folgen der Rauschgiftkriminalität in Diskussionsrunden und mit dem Bewährungspersonal aktiv und kritisch auseinandergesetzt. Dabei habe er nicht nur die ihn selbst betreffenden negativen Folgen seiner Taten durch den Strafvollzug in aller Deutlichkeit an „Haut und Haaren“ durchleben müssen. Auch die Gefahren und negativen Folgen, die von Rauschgift gegenüber der Allgemeinheit ausgingen, habe er in zahlreichen Diskussionsrunden mit Mithäftlingen und Resozialisierungspersonal erstmals in seinem jungen Leben in aller Deutlichkeit aufgezeigt bekommen und bleibend aufgenommen. Aufgrund der während des Strafvollzugs gewonnenen Erkenntnisse über die vom Rauschgift ausgehende Gefährlichkeit für die Gesundheit des Einzelnen und der Allgemeinheit habe er, ohne dass dies naturgemäß in seinem eigenen Strafverfahren im Urteil des Landgerichts Stuttgart berücksichtigt worden sei, nach seiner Verurteilung weiterhin mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet und durch seine Aussage die Sprengung von zahlreichen, bandenmäßig organisierten Rauschgifthändlern herbeigeführt. Er habe Angaben zu Lieferanten und Abnehmern gemacht, von denen die Ermittlungsbehörden vor seiner Aussage keinerlei Kenntnis gehabt hätten.
17 
Die JVA ... erstellte am 10.05.2010 dem Kläger unter Hinweis auf den beanstandungsfreien Verlauf von Vollzug und Vollzugslockerungen eine positive Sozialprognose und befürwortete seine bewährungsweise Entlassung.
18 
Das Landgericht ... - Auswärtige Strafvollstreckungskammer ... - setzte nach Einholung eines kriminalprognostischen Gutachtens bei Dr. X. - Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie - mit Beschluss vom 26.10.2010 die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und der Kläger für die Dauer der ersten beiden Jahre der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt. Der Kläger wurde am 28.10.2010 - und damit etwa ein halbes Jahr vor der Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe - aus dem Strafvollzug entlassen. Am 12.02.2011 heiratete er nach islamischem Ritus ... D., die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Mit ihr und den beiden vier und acht Jahre alten Kindern von Frau D. aus einer früheren Beziehung lebt er in familiärer Lebensgemeinschaft.
19 
Nachdem der Europäische Gerichtshof die Rechtssache Tsakouridis (C-145/09) mit Urteil vom 23.11.2010 entschieden und das beklagte Land mit Schriftsatz vom 12.01.2011 auf den Umstand hingewiesen hatte, der Kläger habe anlässlich seiner kriminalprognostischen Begutachtung angegeben, er habe sich vor seiner Verhaftung 14 Monate in den Niederlanden aufgehalten, hat der Senat mit Beschluss vom 21.01.2011 den Aussetzungsbeschluss aufgehoben.
20 
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger nunmehr vor: Seine Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 seien nicht erloschen. Dies folge schon aus Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG. Die Vorschrift konkretisiere den Zeitraum, der für den Erhalt unionsrechtlich begründeter Aufenthaltsrechte bei Auslandsaufenthalten anzuwenden sei. Im Übrigen habe er sich nach seiner Flucht nicht durchgehend in den Niederlanden aufgehalten. Er habe die Aufenthalte zwischen Deutschland und den Niederladen gewechselt. In dieser Zeit habe er auch regelmäßig seine Familie getroffen. Treffpunkt sei jeweils Köln gewesen. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 23.11.2010 sei die Berufung begründet. Die Erstreckung der Kriterien für eine Aufenthaltsbeendigung nach dem Maßstab des Art. 45 Abs. 3 AEUV, der mit demjenigen des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG übereinstimme, auf Art. 14 ARB 1/80 sei ungeklärt. Der EuGH leite im Urteil Tsakouridis jedoch die Zulässigkeit der Ausweisung von Drogenhändlern aus der Gefahr her, die der Drogenhandel für die Gesellschaft darstelle. Um die Gesellschaft zu schützen und den Drogenhandel wirksam bekämpfen zu können, griffen heute die Mitgliedstaaten zu Mitteln wie der Kronzeugenregelung. Mittätern würden für den Fall der Aussage Vergünstigungen zugesagt, die von geringeren Strafen bis zur Verleihung einer anderen Identität reichen könnten. Er habe sich stets aussagebereit gezeigt und Aufklärungshilfe geleistet. Wegen seines Aussageverhaltens seien ihm Drohungen zugekommen. Von ihm gehe keine gegenwärtige Gefahr mehr aus. Seine Verfehlungen seien einmalig gewesen. Er sei Ersttäter und die Strafhaft habe ihn beeindruckt. Er habe in der JVA ... Gespräche zur Tataufbereitung mit dem Psychologen M. geführt. Eine Rückfallneigung sei zu verneinen. Das bestätige das Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das ihm einen nachhaltigen Gesinnungswandel attestiere. Er habe sich aus der Drogenszene gelöst und wolle das auch in Zukunft einhalten. Im Übrigen stünde eine Ausweisung im Widerspruch zur gezeigten Aussagebereitschaft und zur Kronzeugenregelung. Die Aussagebereitschaft würde nicht gefördert, wenn sie mit Ausweisung „belohnt“ würde. Eine Ausweisung würde ihn auch vollständig entwurzeln. Er sei im Bundesgebiet geboren, aufgewachsen und vollständig integriert. Deutsch sei seine Muttersprache. Würde er durch Ausweisung von seiner Familie und seiner Verlobten getrennt und in eine sprachfremde Umgebung verbracht, würde er in eine verzweifelte Lage gebracht werden. Allein und ohne Sprachkenntnisse käme er in der Türkei nicht zurecht. Im Übrigen seien sein Nachtatverhalten und seine Resozialisierung so außergewöhnlich, dass eine Wiederholungsgefahr unter jeder Betrachtung entfallen sei. Seine Haftverbüßung habe abschreckend gewirkt und eine starken Verhaltensänderung herbeigeführt. Er sei nicht drogenabhängig und habe jegliche Beziehungen und Strukturen zu ehemaligen kriminellen Personen für immer abgebrochen. Er habe Aussicht auf den Erlass des größten Teils der Schulden, sofern er sich weiterhin gut führe, sowie auf eine Festanstellung nach Ende seiner Ausbildung bei der Firma, bei der er derzeit sein Praktikum mache.
21 
Der Kläger beantragt zuletzt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zu ändern und Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006 aufzuheben.
23 
Das beklagte Land beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Es entgegnet: Die Rechtspositionen des Klägers aus Art. 7 ARB 1/80 seien erloschen. Mit seiner Flucht im April 2004 habe er seinen Lebensmittelpunkt in einen anderen Staat verlagert, weil er sich auf diese Weise dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden dauerhaft habe entziehen wollen. Insoweit seien Unionsrecht und damit die Frage der Anwendung des Art. 28 Abs. 3 lit. a Richtlinie 2004/38/EG nicht relevant und die Ausweisung richte sich nur nach nationalem Recht. Es bestehe ungeachtet des Nachtatverhaltens des Klägers und seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft weiterhin unter dem Gesichtspunkt der ordnungsrechtlichen Gefahrenabwehr ein Bedürfnis, den Kläger aus spezialpräventiven und daneben auch aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Art. 8 EMRK und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stünden dem nicht entgegen. Der Kläger könne aufgrund seiner beruflichen Qualifikation in der Türkei ohne weiteres eine Arbeitsmöglichkeit finden. Wenn er nunmehr aus der Haft entlassen worden sei und an seiner beruflichen Bildung arbeite, so mindere dies das ausgesprochen schwere Gewicht des spezial- und generalpräventiven Grundes nicht. Nichts anderes gelte hinsichtlich der neuen Partnerin, mit der der Kläger allerdings nicht verheiratet sei.
26 
Der Vertreter des beklagten Landes hat in der Berufungsverhandlung die Abschiebungsandrohung (Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006) aufgehoben.
27 
Der Senat hat Dr. X. zur Erläuterung ihres kriminalprognostischen Gutachtens vom 07.09.2010 angehört und KHK K. als Zeugen vernommen. Hinsichtlich ihrer Angaben wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
28 
Wegen des weiteren Vortrags und Sachverhalts wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Akten verwiesen. Der Senat hat die Strafakten des Landgerichts Stuttgart (3 Bände) und die Ermittlungsakten (25 Leitzordner) im Verfahren 5 KLs 221 Js 100500/04, die Strafvollstreckungsakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart (1 Band), das Bewährungsheft (1 Band) und die Gefangenenpersonalakten (5 Bände) sowie die Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 beigezogen. Diese sind ebenso wie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart, die Ausländerakten der Stadt Stuttgart (2 Bände) und die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (1 Band), Grundlage der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
68 
Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
76 
Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
85 
Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
86 
Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
87 
Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
88 
Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
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Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
90 
Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
92 
Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
68 
Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
76 
Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
85 
Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
86 
Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
87 
Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
88 
Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
89 
Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
90 
Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
92 
Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.