Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung mit fünfjähriger Wiedereinreisesperre und die Versagung eines Aufenthaltstitels durch Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2014.

Der Kläger ist ein am … Juli 1995 in … geborener afghanischer Staatsangehöriger. Im September 2002 reiste der Kläger als Siebenjähriger gemeinsam mit seiner Mutter und vier älteren Geschwistern in die Bundesrepublik ein. Die Feststellung durch das Bundesamt für ... (Bundesamt) vom 4. Januar 2007, dass beim Kläger ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 28. Juli 2014 rechtskräftig widerrufen (BayVGH, B.v. 29. 6.2015 - 13a ZB 15.30030).

Am 1. März 2007 erhielt der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, die verlängert wurde. Seine letzte Aufenthaltserlaubnis galt bis zum 3. Juni 2012, die Verlängerung wurde am 5. Juni 2012 beantragt; dem Kläger wurde eine Erlaubnisfiktion gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG ausgestellt, die in der Folge verlängert wurde.

Der Kläger verfügt über keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung, unklar ist, ob er einen in der Justizvollzugsanstalt im Rahmen der ersten Inhaftierung begonnenen Grundlehrgang zum Bau- und Gebäudereiniger abgeschlossen oder abgebrochen hat (einerseits Bl. 451 Rückseite Strafakte, andererseits Führungsbericht v. 22. Juli 2015, S. 2).

In Kabul besuchte der Kläger den Kindergarten und die beiden ersten Klassen der Schule, in Deutschland die Grundschule von der 1. bis zur 3. Klasse, danach wegen Auffälligkeiten die 4. Klasse einer Förderschule. In der Hauptschule wechselte er in der 7. Klasse für ein halbes Jahr in den M-Zweig, in dem er Schwierigkeiten - auch mit einer Lehrerin - hatte. Zur 8. Klasse musste er die Hauptschule wechseln, weil er negativ durch sein Verhalten auffiel. Nach zwei Monaten verließ der Kläger die Hauptschule ohne Abschluss. Eine Beschulung über das Projekt Picassio brach der Kläger ab (AG München, U.v. 8.2.2012, Bl. 541 Strafakte).

Bereits im Jahr 2003 berichtete die Fritz-Beck-Hauptschule dem Ausländeramt, dass der Kläger und seine Schwester wiederholt verhaltensauffällig waren und das „erziehliche“ Wirken der Mutter äußerst zurückhaltend erscheine (Bl. 50 Behördenakte). Von Februar 2005 bis Juli 2008 wurde die Familie über eine ambulante Erziehungshilfe betreut (Bl. 594 Behördenakte). Nach vermehrtem auffälligem Verhalten des Klägers, u.a. Ankündigung eines Amoklaufs in der Schule, klärte eine Task Force im November 2009 die Frage einer erneuten Jugendhilfe. Im Mai 2010 wurde eine auf ein Jahr angelegte intensiv-pädagogische Betreuung installiert, die von zwei Betreuern geleistet wurde (Bl. 594 Behördenakte, Auszug aus Urteil des AG München v. 24.2.2014).

In der Bundesrepublik Deutschland ist der Kläger strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Vier Wochen Dauerarrest und eine Weisungsbetreuung für ein Jahr (AG München, U.v. 20.1.2010, Bl. 458 ff. Strafakte) wegen Raub, versuchter räuberischer Erpressung in Mittäterschaft, Sachbeschädigung, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten und Bedrohung.

2. Weisungsbetreuung für ein Jahr und 40 Stunden gemeinnützige Arbeit (AG München, U.v. 10.8.2010, Bl. 511 ff Strafakte) wegen Hehlerei.

3. Weisungsbetreuung für 12 Monate, 48 Stunden gemeinnützige Arbeit und Anweisung, im Rahmen der intensiv-pädagogischen Jugendhilfemaßnahme zuverlässig mitzuarbeiten (AG München, U.v. 16.11.2010, Bl. 526 ff. Strafakte) wegen Diebstahls; in diesem Zusammenhang wurde wegen Nichtableistung der gemeinnützigen Arbeit ein Ungehorsamsarrest von vier Wochen Dauerarrest verhängt (Bl. 565 Strafakte).

4. Zwei Wochen Dauerarrest (AG München, U.v. 19.9.2011, Bl. 556 Strafakte) wegen Diebstahls in zwei Fällen. Im Rahmen der Strafzumessung wies das Gericht darauf hin, dass der Kläger erheblich vorbelastet sei und immer versucht wurde, durch Arrest und andere Maßnahmen wie Weisungsbetreuung und Erziehungsbeistandschaft auf ihn einzuwirken. Früchte hätten diese Bemühungen nicht getragen, der Kläger scheine weiter schulduneinsichtig und nicht gewillt zu sein, sein Verhalten zu ändern. Die bereits angeordnete Weisungsbetreuung laufe wohl nicht sehr erfolgreich. Schädliche Neigungen seien bereits zu erkennen (Bl. 582 Strafakte).

5. Ein Jahr und drei Monate Jugendstrafe (AG München, U.v. 21.11.2011, Bl. 587 Strafakte) wegen Diebstahl, versuchten Diebstahls im besonders schwerem Fall, Sachbeschädigung, Beleidigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, vorsätzliche Körperverletzung und Beleidigung unter Einbeziehung der Urteile des AG München vom 20.1.2010, vom 10.8.2010 und vom 19.9.2011.

Der Kläger befand sich im Zeitpunkt der Verurteilung seit ... August 2011 in Haft.

Der Tat lagen Einbrüche in eine Metzgerei im Juli und August 2011 und ein Vorfall am … Juli 2011 zugrunde. Dabei waren der Kläger, sein Mittäter und ein unbekannter Dritter der Aufforderung eines Polizisten mit gezogener Dienstwaffe, sich auf den Boden zu legen, zunächst nur widerwillig nachgekommen, dann gleichzeitig aufgestanden und stießen den Polizisten, der Unterstützung angefordert hatte, trotz Pfeffersprayeinsatz gegen einen Bistrotisch.

Im Rahmen der Strafzumessung führte das Gericht u.a. aus, dass der Angeklagte zwar Recht von Unrecht zu unterscheiden wisse, ihn dies aber nicht interessiere. Diesen Eindruck habe die in der JVA beschäftigte Sozialpädagogin bestätigt, die den Angeklagten im größten Teil der Untersuchungshaft als renitent und störrisch beschrieben habe. Einer stationären Jugendhilfemaßnahme habe er sich massiv widersetzt, da er nicht einsehen würde, sich sein Leben von Erwachsenen vorschreiben zu lassen (Bl. 622 Strafakte). Zu Gunsten des Klägers ging das Strafgericht von einer von ihm behaupteten Spielsucht aus. Verkannt werden dürfe nicht, dass es sich um jugendtypisches Trotzverhalten handele und ein gesteigertes männliches Imponiergehabe bestehe. Zahlreiche Maßnahmen (Jugendarreste, Weisungsbetreuungen und Ungehorsamsarreste) hätten keine Verhaltensänderung bewirkt, Hilfsangebote seien nicht angenommen worden. Auch intensiv-pädagogische Maßnahmen hätten zu keinerlei Veränderung der kriminellen Veranlagung führen können, so dass der Angeklagte in seiner jetzigen psychischen Verfassung eine große Gefahr für den Rest der Bevölkerung darstelle. Die hohe Rückfallgeschwindigkeit gehe zwar nicht einher mit einer Intensivierung der Rechtsgutsverletzung, doch zeigten die einzubeziehenden Verurteilungen, welch hohes kriminelles Potenzial beim Angeklagten vorhanden sei (Bl. 623 Strafakte). Irgendeine Bereitschaft des Angeklagten, an sich selbst zu arbeiten, bestehe in keiner Hinsicht. Sein Verhalten sei von einer maßlosen Selbstüberschätzung getragen. Das Gericht sei überzeugt, dass der Angeklagte auf freiem Fuß sofort wieder neue Straftaten begehen werde.

6. Zwei Jahre und sechs Monate Einheitsjugendstrafe (AG München, U.v. 8.2.2012, Bl. 537 ff. Strafakten) unter Einbeziehung des Urteils des AG München vom 21.11.2011 wegen dreier Diebstähle in besonders schwerem Fall und zweier versuchter Diebstähle in besonders schwerem Fall. Dieser Verurteilung lagen im Juli 2011 verübte Kioskdiebstähle zu Grunde. Im Rahmen der Strafzumessung wertete das Gericht das Geschehen vom … Juli 2011, das der einbezogenen Verurteilung vom … November 2011 zu Grunde lag, zu Lasten des Klägers und seines Mittäters. Der Kläger und sein Mittäter seien mit hoher krimineller Energie vorgegangen, es fehle ihnen die nötige Einsicht. Erzieherisch sei bei beiden Angeklagten alles versucht, sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich (Bl. 553 Strafakte).

Gegen den Kläger wurden im Verlauf der Haft in der JVA … sieben Disziplinarmaßnahmen verhängt (Vollzugsplans der JVA … v. …7.2015).

Am … Februar 2013 wurde der Kläger unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus der Haft entlassen, die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt und der Kläger der Bewährungsaufsicht für die Dauer von zwei Jahren unterstellt (Bl. 719 Behördenakte). Die nach der Haftentlassung installierte Jugendhilfemaßnahme wurde erfolglos nach einem Monat beendet.

7. Im Juni 2013 und Oktober 2013 wurde der Kläger in offener Bewährung wieder straffällig, am 1. Oktober 2013 inhaftiert und mit Urteil des AG München vom 24. Februar 2014 (Bl. 424 ff. Strafakte) zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen fünffachen Diebstahls in besonders schwerem Fall, einmal in Mittäterschaft und einem versuchten Diebstahl in besonders schwerem Fall in Mittäterschaft unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts München vom 21.11.2011, vom 20.1.2010, vom 10.8.2010, vom 16.11.2010, vom 19.9.2011 und vom 8.2.2012 verurteilt. Der Verurteilung lagen vollendete und versuchte Diebstähle in Mittäterschaft in besonders schweren Fällen von Mobiltelefonen am Feldmochinger See im Juni 2013 und auf dem Oktoberfest im Oktober 2013 zu Grunde. Im Rahmen der Strafzumessung wirkte sich zu Gunsten des Klägers aus, dass er geständig war und einem Täter-Opfer-Ausgleich durch einen unwiderruflichen Vergleich nähergetreten war. Zu seinen Lasten wurde seine massive Vorbelastung gesehen und dass zwischen seiner Haftentlassung und den Straftaten nur ca. ein halbes Jahr gelegen habe. Anders als sein Mitangeklagter habe der Kläger nach der Haftentlassung keine großen Anstrengungen unternommen, sich zu stabilisieren oder eine Arbeit anzutreten. Offensichtlich habe ihn die letzte Strafhaft nicht im Geringsten beeindruckt, schwere schädliche Neigungen bestünden auf jeden Fall fort. Es bestehe die Hoffnung, dass der Angeklagte in der JVA … an sich arbeiten könne und ein sich andeutender Gesinnungswandel endlich „Fuß fassen“ könne. Das Gericht verspreche sich in der Haft eine Stabilisierung des Angeklagten.

Die Beklagte nahm diese Verurteilung des Klägers zum Anlass, nach Anhörung die streitgegenständliche Ausweisung vom 8. Dezember 2014 zu verfügen (Nr. 1), den Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abzulehnen (Nr. 2), die Wiedereinreise für fünf Jahre zu untersagen (Nr. 3) und die Abschiebung nach Afghanistan bzw. in einen anderen aufnahmebereiten bzw. zur Rückübernahme verpflichteten Staat aus der Haft für den Fall, dass der Widerruf des Bundesamts Rechtskraft erlangen sollte, anzuordnen bzw. anzudrohen (Nr. 4) (Bescheid v. 8.12.2014).

Die Beklagte stützt die Ausweisung auf den zwingenden Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG und verneinte das Vorliegen besonderen Ausweisungsschutzes. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AufenthG abgelehnt, weil der Kläger eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen habe und außerdem der absolute Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AufenthG erfüllt sei.

Mit Bericht vom … November 2014 sprach sich die Justizvollzugsanstalt … gegen die beantragte vorzeitige Haftentlassung des Klägers zum … Dezember 2014 aus und teilte mit, dass er die am 7. August 2014 aufgenommene Beschäftigung in der Anstaltsküche am … August 2014 verloren habe, weil er zu langsam gearbeitet habe. Der Kläger sei überheblich und beratungsresistent.

Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2015, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigen Klage erheben und beantragen,

den Bescheid vom 8. Dezember 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG auszustellen.

In der Folge wurde die Klage damit begründet, dass im Zeitpunkt der Entscheidung noch kein bestandskräftiger Widerruf des Bundesamts vorgelegen habe und schon deshalb davon ausgegangen werden könne, dass die Beklagte im Rahmen der Abwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK die falsche Gewichtung gesetzt habe. Fehlerhaft werde davon ausgegangen, dass der Kläger seine Muttersprache beherrsche; ein beeidigter Dolmetscher habe in einem gerichtlichen Verfahren festgestellt, dass der Kläger seine Muttersprache nur unzureichend beherrsche. Der Kläger spreche mit seiner Mutter zwar Dari, zu einer ordentlichen Artikulation in Dari sei er aber nicht in der Lage. Einen aufnahmebereiten Familienverband besitze der Kläger in Afghanistan nicht. Deshalb sei der Bescheid auf Seite 7 fehlerhaft.

Mit Beschluss vom … Januar 2015 setzte das Amtsgericht Bamberg die Vollstreckung der Reststrafe des Klägers zum … Februar 2015 auf Bewährung aus, setzte die Bewährungszeit auf drei Jahre fest und unterstellte den Kläger für zwei Jahre der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers. Der Beschluss wurde nicht begründet. Der Kläger hat Wohnsitz bei seiner Mutter genommen. Bei der Bewährungshilfe kümmert man sich auf Vorschlag der Jugendgerichtshilfe innerhalb der Intensivbetreuung „…“ engmaschig um den Kläger. In seinem Bericht vom … Juli 2015 schildert der Bewährungshelfer, dass mehrere Probearbeiten des Klägers noch zu keiner Beschäftigung geführt hätten, er allerdings in Gesprächen mittlerweile sehr respektvoll sei und sich auf Gespräche einlasse. Die neue Wohnsituation scheine sich positiv auszuwirken. Der Kläger scheine bemüht, einer regelmäßigen Tagesstruktur nachzugehen.

Die Beklagte legte mit Schreiben vom 2. März 2015 die Behördenakte vor und beantragte,

die Klage abzuweisen.

Am 26. März 2015 wurden dem Gericht die Akten der Staatsanwaltschaft München I im Verfahren … vorgelegt.

Im Nachgang legte die Beklagte mit Schreiben vom 28. Juli 2015 und vom 3. August 2015 Ergänzungen der Ausländerakte vor.

Die Kammer hat am 5. August 2015 mündlich in der Sache verhandelt. Der Kläger gab an, auf Arbeitssuche zu sein und den Hauptschulabschluss nachholen zu wollen. Warum er im Gefängnis die angebotenen Tätigkeiten immer wieder hingeschmissen habe, wisse er nicht, aber er habe sich jetzt geändert. Einen von der Mutter im Asylverfahren angegebenen zehn Jahre älteren Bruder, der in Afghanistan geblieben sei, kenne er nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung, die Gerichtsakten, die vorgelegte Behördenakte sowie die beigezogene Strafakte zum Aktenzeichen 462 Js 193344/13 1011 Ls.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) (1.). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und ist daher durch die Ablehnung seines Antrags vom 5. Juni 2012 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) (2.). Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung erweist sich nicht als rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) (3.).

1. Die zwingende Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Nr. 1 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung des Aufenthaltsgesetzes (Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015, BGBl. I, Bl. 1386 ff.), die Ausweisungsvoraussetzungen sind erfüllt und die Ausweisung ist auch nicht mit Blick auf höherrangiges Recht als unverhältnismäßig anzusehen.

1.1. Der Kläger hat den zwingenden Ausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht, weil er mit Urteil des Amtsgerichts München vom 24. Februar 2014 wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Die Einbeziehung früherer Verurteilungen ist unschädlich (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 5.1.1998 - 18 B 450/96 - NVwZ 1998, Beil. Nr. 9, 92 f., juris Ls 2 und Rn. 5, Discher in: GK-AufenthG, Aktualisierung: Juli 2014, Stand: Januar 2007, § 53 Rn. 137).

1.2. Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, weil er im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Aufenthaltserlaubnis mehr besitzt. Der Besitz einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG genügt nicht (BayVGH, U.v. 4.7.2011 - 19 B 10.1631 - juris Ls 1, Rn. 41, VGH Baden-Württemberg, U.v. 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris Rn. 23). Gleiches gilt für den Besitz einer Duldung.

1.3. Die Ausweisung ist verhältnismäßig.

1.3.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Obergerichte (vgl. BVerfG, B.v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 - juris Rn. 18 ff., OVG Hamburg, U.v. 24.3.2009 - 3 Bf 166/04 - juris Rn. 80, OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 26.5.2009 - 18 E 1230/08 - juris Ls. 1, Rn. 11, VGH Baden-Württemberg, U.v. 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris Rn. 25 m.w.N., OVG Lüneburg, B.v. 12.12.2013 - 8 ME 162/13 - juris Rn. 31) ist auch eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG grundsätzlich einzelfallbezogen auf ihre Vereinbarkeit mit dem in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens hin zu überprüfen. Diese Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles findet bei der zwingenden Ausweisung allein im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung statt (BayVGH, B.v. 19.1.2015 - 10 CS 14.2656, 10 C10 C 14.2657 - Rn. 26). Das Gericht prüft in vollem Umfang, ob die Ausweisung verhältnismäßig ist oder nicht.

1.3.2. Die einfachgesetzlich zwingende Ausweisung des Klägers ist auch mit Blick auf die Bestimmungen des Völkervertragsrechts in Art. 8 Abs. 1 EMRK und auf höherrangiges Verfassungsrechts wie Art. 6 GG und Art. 2 Abs. 1 GG verhältnismäßig. Der Maßstab für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung ist der gleiche wie er für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 EMRK gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gilt (vgl. BVerfG, B.v. 10.8.2007, a.a.O., juris Rn. 19, OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 26.5.2009, a.a.O., juris Rn. 11).

1.3.2.1. Der Eingriff in das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens ist vorliegend gerechtfertigt i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK, weil er sowohl gesetzlich vorgesehen als auch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Notwendigkeit ergibt sich aus einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. U.v. 2.8.2001 - 54273/00 - [Boultif], InfAuslR 2001, 476, U.v. 18.10.2006 - 46410/99 - [Üner], NVwZ 2007, 1279, U.v. 23.6.2008 - 1683/04 - [Maslov II], InfAuslR 2008, 333, U.v. 25.3.2010 - 40601/05 - [Mutlag], InfAuslR 2010, 325) ist bei dieser Abwägung von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien.

Danach sind (insbesondere) folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat, Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten, Charakter und Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll, die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug, Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, familiäre Situation des Ausländers und ggf. Dauer einer Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen, Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggf. abgeschoben werden soll, ob der Partner bei der Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter, das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.

1.3.2.1.1. Nach diesen Grundsätzen ist hier zu berücksichtigen, dass der 20jährige Kläger zwar seit seinem siebten Lebensjahr in Deutschland lebt, bislang aber nur befristete Aufenthaltserlaubnisse innehatte, seit Juni 2012 über keinen Aufenthaltstitel mehr verfügt und nach dem Widerruf des nationalen Abschiebungshindernisses zudem keine Aussicht hat, auch unabhängig von der streitgegenständlichen Ausweisung, ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik Deutschland zu erhalten (s.u. 2.).

1.3.2.1.2. Die Mutter des Klägers, vier ältere Geschwister und die Familie mütterlicherseits (Onkel und Tanten) leben nach Angaben des Klägers in Deutschland. Auf richterliche Weisung im Reststrafenvollstreckungsaussetzungsbeschluss vom … Januar 2015 hat der Kläger zwar Wohnsitz bei seiner Mutter zu nehmen und genommen. Das bedeutet aber nicht, dass er als volljähriger junger Mann auf den Beistand seiner Mutter oder Familie angewiesen wäre. Vielmehr erfolgte diese Weisung unter Resozialisierungs- und Gefahrenabwehraspekten. Mutter und Geschwister besitzen nach Aktenlage wie der Kläger die afghanische Staatsangehörigkeit.

1.3.2.1.3. Eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse ist dem Kläger - trotz des langen Aufenthalts und obwohl er deutsch spricht - bislang weder in wirtschaftlicher noch in sozialer Hinsicht (vgl. OVG Saarland, B.v. 24.6.2009 - 2 B 348/09 - juris Rn. 20 und B.v. 18.5.2011 - 2 A 314/10 - juris Rn. 28 ff.) gelungen und wird ihm in Zukunft mangels Aufenthaltsrechts (s.u. 2.) nicht mehr ermöglicht werden.

Gegen eine gelungene soziale Integration des 20jährigen Klägers sprechen die Anzahl an Straftaten, Verurteilungen und Inhaftierungen; gegen eine gelungene wirtschaftliche Integration, dass der Kläger offenbar bis heute nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt selbst durch legale Betätigung sicherzustellen; er lebt derzeit von der Unterstützung seiner Familie bzw. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, jedenfalls nicht von eigenem Erwerbseinkommen; an Erwerbstätigkeit ist er nicht aufgrund Schulbesuchs oder Ausbildung gehindert. Der Kläger verfügt über keinen Schulabschluss, keine Berufsausbildung und hat keine Aussicht auf Arbeit. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung angekündigt, dass dem Kläger in Zukunft eine Erwerbstätigkeit auch nicht mehr gestattet wird. Dies war dem Kläger anlässlich einer Vorsprache bereits in der Vergangenheit so mitgeteilt worden.

1.3.2.1.4. Der Kläger ist seit seinem vierzehnten Lebensjahr vielfach und mit unterschiedlichen Straftatbeständen straffällig geworden und hat - obwohl gerade erst 20 Jahre alt - bereits fast drei Jahre seiner Jugend in Untersuchungs- und Strafhaft verbracht. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass der Kläger den weit überwiegenden Teil seiner Straftaten als Jugendlicher begangen hat. Indes darf dabei ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger nach seiner ersten Haftentlassung im Februar 2013 sein Verhalten auch als Volljähriger nicht geändert hat und zuletzt am 1. Oktober 2013 straffällig wurde, was zu seiner erneuten Inhaftierung bis zum Februar 2015 führte.

Laufende Reststrafenvollstreckungsaussetzungen zur Bewährung haben den Kläger in der Vergangenheit bereits mehrfach nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten können. Der Kläger war durch vorausgegangene erlittene Strafhaft und strafrechtliche Verurteilungen zwar hinreichend gewarnt und auf die Folgen seines Verhaltens hingewiesen worden. Gleichwohl hat er hieraus bislang offenbar für sich noch keine Konsequenzen dahingehend gezogen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und ein straffreies Leben zu führen.

Dass der Kläger zuletzt überwiegend wegen Eigentumsdelikten auffällig geworden und nicht in erster Linie ein Gewaltstraftäter ist, wird gesehen; hierauf ist auch das Strafgericht in seiner letzten Entscheidung eingegangen, als es darauf hinwies, dass der inzwischen zum jungen Mann gereifte Kläger eigentlich langsam bemerken sollte, dass eine glückliche Jugend kaum geprägt sein könne von langen Gefängnisaufenthalten wegen eigentlich minderwertiger Diebstähle. Indes lag bereits der ersten Verurteilung als Vierzehnjähriger ein Raub und eine versuchte räuberische Erpressung zu Grunde, und am 21. November 2011 wurde der Kläger u.a. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Somit wird zwar gesehen, dass keine Steigerung hinsichtlich der Intensität der Rechtsgutsverletzungen zu erkennen ist, andererseits hat der Kläger in der Vergangenheit ebenfalls mehrfach Gewalt angewendet. Gewaltanwendung prägt sein kriminelles Verhalten somit nicht primär, wird vom Kläger aber ersichtlich auch nicht völlig ausgeschlossen.

Das Gericht sieht trotz der Jugend des Klägers keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den den Verurteilungen zu Grunde liegenden Straftaten um bloße vorübergehende Jugenddelinquenz handeln könnte. Zwar hat das Amtsgericht im Urteil vom 21. November 2011 Ausführungen zu jugendtypischem Trotzverhalten gemacht. Diese sind aber nicht als Hinweis auf vorübergehende Jugenddelinquenz zu sehen, weil sie sich darauf beziehen, dass der Kläger mangelnde Reue, insbesondere hinsichtlich seines Widerstands gegen Vollstreckungsbeamten, gezeigt habe. Gegen eine vorübergehende jugendtypische Delinquenz spricht, dass das Strafgericht schädliche Neigungen des Klägers bereits mehrfach bejaht hat. Auch die Art und Anzahl der letzten Straftaten, Diebstähle, um sich eine Einnahmequelle von gewisser Dauer und Umfang zu verschaffen, können nicht darunter gefasst werden. Weiter sieht auch die Jugendgerichtshilfe die engmaschige Betreuung des Klägers im Rahmen der Bewährungshilfe als erforderlich an.

1.3.2.1.5. Das Verhalten des Klägers in der Strafhaft war charakterisiert durch Arbeitsunwilligkeit, Überheblichkeit und Beratungsresistenz. Während der ersten Inhaftierung - noch als Jugendlicher - wurde der Kläger sieben Mal disziplinarisch belangt. Aber auch im November 2014 befürwortete die Justizvollzugsanstalt im Rahmen der zweiten Inhaftierung die vorzeitige Entlassung des mittlerweile volljährigen Klägers zum Dezember 2014 nicht. Arbeitsgelegenheiten in Haft hat der Kläger in kürzester Zeit aufgrund seines Verhaltens verloren. In Anbetracht der vom Kläger bereits früh gezeigten sozialen Auffälligkeit und seiner kriminellen Karriere fällt die seit der Haftentlassung verstrichene Zeitspanne von etwa einem halben Jahr, in der zumindest keine Straftaten bekannt wurden, nicht erheblich zu Gunsten des Klägers ins Gewicht. Auch der vom Kläger geschlossene Vergleich im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs wird zwar gesehen, fällt aber ebenfalls nicht erheblich ins Gewicht.

Nach dem Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnen hat, hat er immer noch nicht erkannt, dass er aktiv Maßnahmen ergreifen muss, um sein Leben in den Griff zu bekommen. Die gesamte Entwicklung des Klägers bis zum jetzigen Zeitpunkt lässt keinen positiven Aspekt erkennen, der Anlass geben könnte, Hoffnung in den Kläger zu setzen. Selbst die im Vergleich zum Lebensalter vergleichsweise langen Inhaftierungen haben beim Kläger offensichtlich keinerlei Einsicht und eine Verhaltensänderung bewirkt. Bloße Beteuerungen oder Absichtserklärungen überzeugen und genügen in Anbetracht des Vorlebens des Klägers nicht.

1.3.2.1.6. Dem Gericht ist bewusst, dass die Rückkehr nach Afghanistan für den Kläger mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, wertet sie aber dennoch als möglich und zumutbar. Auf nationalen Abschiebungsschutz kann sich der Kläger nicht (mehr) berufen, ob ein aufnahmebereiter Familienverband zur Verfügung steht oder nicht, ist nicht relevant, Sprachkenntnisse sind vorhanden.

Es steht rechtskräftig fest, dass § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan nicht entgegensteht. Die Versorgungslage in Afghanistan ist zwar schlecht, aber dem Kläger droht in Kabul keine extreme Gefahrensituation, weil er als volljähriger, gesunder, vielleicht arbeitsunwilliger, aber -fähiger Mann unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe und durch Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten zumindest ein kümmerliches Einkommen erzielen kann, um sein Überleben zu sichern, ggf. durch Übernahme körperlich anstrengender Hilfsarbeiten (stRspr des BayVGH, vgl. B.v. 18.9.2014 - 13a ZB 14.30002 - juris). In diesem Zusammenhang spielt es deshalb keine Rolle, ob eine unterstützungsbereite und -willige Familie vor Ort ist.

Im Hinblick auf den Aspekt der Entwurzelung des Klägers geht das Gericht im Übrigen davon aus, dass sich weiterhin Verwandte des Klägers in Afghanistan befinden. So hatte die Mutter des Klägers im Asylverfahren angegeben, dass der Vater des Klägers und ein zehn Jahre älterer Bruder des Klägers, ihre Schwester sowie die gesamte Familie ihres Mannes in Afghanistan verblieben seien (Bl. 21 Behördenakte). Auf Vorhalt äußerte sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung dahingehend, diesen Bruder nicht zu kennen und mit seinem Vater abgeschlossen zu haben. Dieses Vorbringen hält das Gericht für unglaubhaft und den Kläger für unglaubwürdig. Unabhängig davon, obliegt es dem Kläger, in seinem eigenen Interesse, Kontakt zu seiner in Afghanistan verbliebenen Familie aufzunehmen. Falls er - wie er vorträgt - tatsächlich kein Interesse an in Afghanistan verbliebenen engeren und entfernteren Verwandten hat, tut er dies aus eigenem Antrieb, setzt sich aber damit der Wertung aus, dass eine eventuelle Entwurzelung selbst verursacht ist.

Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass der Kläger im Heimatland über keine verwandtschaftlichen Beziehungen mehr verfügt, wäre dies zwar ein wesentlicher, im Hinblick auf die Gesamtumstände des Falles aber für das Abwägungsergebnis letztlich nicht ausschlaggebender Gesichtspunkt.

Auch der Hinweis auf die schlechten Sprachkenntnisse des Klägers macht eine Rückkehr nach Afghanistan nicht unverhältnismäßig. Das Gericht verkennt nicht, dass die Rückkehr nicht einfach wird. Allerdings spricht der Kläger Dari nach eigenen Angaben zumindest gebrochen. Er hat in Afghanistan nach dem Kindergarten zwei Jahre die Schule besucht und spricht mit seiner Mutter, bei der er lebt, Dari. Darauf kann er einen weiteren Spracherwerb aufbauen. Der Kläger befindet sich in einem Alter, in dem ihm die Erweiterung seiner unstreitig vorhandenen Sprachkenntnisse ohne weiteres zuzumuten ist. Der Kläger hat es in der Hand, mit Anstrengungsbereitschaft die Voraussetzungen für seine Eingewöhnung in Afghanistan selbst zu verbessern.

1.3.2.1.7. Dass die Vollstreckung der Reststrafe beim Kläger durch Beschluss vom 29. Januar 2015 nachträglich zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist zwar positiv für den Kläger, im Ergebnis aber nicht entscheidend. Sie steht der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung nicht entgegen.

Zunächst ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine nachträgliche Reststrafenaussetzung die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei der ausländerrechtlichen Gefahrenprognose anlässlich des Erlasses bzw. der Überprüfung einer spezialpräventiven Ausweisung zwar nicht bindet, aber ein tatsächliches Gewicht hat und bei der ausländerrechtlichen Gefahrenprognose ein wesentliches Indiz darstellt (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10/22 - juris, Ls 1 und Rn. 18), vorliegend nicht einschlägig, weil weder die Ausländerbehörde noch das Gericht eine Gefahrenprognose anzustellen haben.

Der Kläger wird nämlich - nach dem im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung anwendbaren Recht der gestuften Ausweisungstatbestände - zwingend ausgewiesen. Die zwingende Ausweisung lässt aber keinen Raum für eine eigene Gefahrenprognose oder Ermessenerwägungen der Behörde (vgl. Dienelt in: Renner, AuslR, 9. Aufl., 2011, § 53 Rn. 2), weil bereits der Gesetzgeber die Gefahrenprognose und Interessenabwägung vorgenommen und sie nicht den Behörden überlassen hat (Dienelt, a.a.O., Rn. 3).

Aus diesem Grund kommt dem Umstand, dass die Vollstreckung der Reststrafe des Klägers zur Bewährung ausgesetzt wurde - ganz abgesehen davon, dass der Beschluss nicht begründet wurde und unter Resozialisierungsgesichtspunkten ergangen ist - vorliegend im Hinblick auf die Beurteilung einer Wiederholungsgefahr keine das Gericht bindende Bedeutung zu.

Aber auch eine individuelle Gefahrenprognose ergibt beim Kläger, dass eine relevante Wiederholungsgefahr gegeben ist. Nach der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich in den Verhältnissen des Klägers bislang nichts zum Positiven geändert hat. Er hat in der Vergangenheit auch in Haft keinerlei Leistungsbereitschaft gezeigt, wie seine Beurteilungen im Führungsbericht zeigen. Auch nach mittlerweile sechs Monaten in Freiheit hat der Kläger nichts aufzuweisen: Von ihm nach kurzer Zeit abgebrochene Probearbeitsverhältnisse lassen nicht den Schluss zu, dass der Kläger willens ist, seinen Lebensunterhalt künftig durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Dass ihm dies mangels Schulabschluss und Ausbildung schwerer fallen dürfte als anderen, hat er sich selbst zuzuschreiben. Die letzte Verurteilung wegen Diebstählen erfolgte, weil sich der Kläger mittels dieser Diebstähle eine dauerhafte Einnahmequelle von gewissem Umfang und Dauer eröffnen wollte. Es steht somit zumindest zu befürchten, dass der Kläger sich auch in Zukunft auf diese oder ähnliche Weise ein kriminelle Einnahmequelle wieder erschließen wird.

Die Stabilisierung, die sich das Strafgericht zuletzt erhofft hat, ist nach Auffassung des Gerichts nicht eingetreten. Auch der jüngste Bericht des Bewährungshelfers attestiert dem Kläger eine solche nicht; formuliert vielmehr vorsichtig, dass eine tragfähige Arbeitsbeziehung bestehe und der Kläger sich mittlerweile auf Gespräche einlasse und sehr respektvoll sei. Hierbei handelt es sich nach Auffassung des Gerichts nur um die Einhaltung von Mindeststandards im sozialen Miteinander. Der Kläger scheine auch bemüht, einer regelmäßigen Tagesstruktur nachzugehen; dies lässt offen, wie ausgeprägt diese Bemühungen überhaupt sind. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Eindruck vermittelt, dass ihn Ratschläge und Hilfsangebote weder erreichen noch interessieren.

Inwiefern eine Drogensucht (Alkohol, Cannabis, Spielsucht) die Delinquenz des Klägers verursacht hat, ist letztlich unklar. Das Strafgericht ist z.T. von einer Spielsucht zu Gunsten des Klägers ausgegangen. Im Rahmen der letzten Verurteilung wurde dies offen gelassen, der Kläger hat eine Spielsucht jedenfalls verneint. Ginge man im vorliegenden Verfahren von einer Spielsucht aus, wäre diese als unbehandelt zu betrachten, und würde eine Wiederholungsgefahr wahrscheinlicher machen. Das Gericht geht deshalb zu Gunsten des Klägers davon aus, dass seine Straftaten nicht suchtinduziert sind.

In der Gesamtschau der Entwicklung des Klägers bis zum heutigen Tag scheint es nach alledem sehr wahrscheinlich, dass der Kläger - schon mangels Alternativen und Einsicht - auch weiterhin straffällig werden wird. Eine Vielzahl an Hilfsmaßnahmen und Betreuungen, die dem Kläger und seiner Familie seit nahezu zehn Jahren in z.T. sehr intensivem Umfang zu Teil werden, haben keine Erfolge gezeitigt. Bei der Historie des Klägers bedürfte es positiver Ansätze, um eine Wiederholungsgefahr zu verneinen. Diese sind leider bislang nicht zu erkennen.

1.3.2.1.8. Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger derzeit Heranwachsender und somit grundsätzlich eigentlich entwicklungsfähig ist. Auch der Umstand, dass der Kläger zuletzt wegen relativ minderwertiger Diebstähle verurteilt wurde und - soweit ersichtlich - kein notorischer Gewaltstraftäter ist, wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung beachtet: Allerdings hat das Jugendgericht den Kläger in der Vergangenheit nicht ohne Grund schon dreimal zu Jugendstrafen verurteilt und zuletzt in einer Höhe, die eine zwingende Ausweisung nach sich zieht. Nicht nur bei sehr gewalttätigen Jugendlichen, die sich zudem schon lange im Bundesgebiet aufhalten, kommt nach der gesetzgeberischen Wertung eine Ausweisung in Betracht.

Die desolaten Zustände im Heimatland des Klägers sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von beachtlichem Gewicht. Es macht nach Auffassung des Gerichts - unabhängig von der asylrechtlichen Beurteilung - einen Unterschied, ob in ein Land wie Afghanistan oder einen anderen nicht vergleichbaren Drittstaat ausgewiesen wird.

Letztlich fällt dies bei der Abwägung aber nicht ausschlaggebend ins Gewicht, weil das Interesse des Klägers am Verbleib im Bundesgebiet unter Berücksichtigung der gesamten Umstände trotzdem nicht überwiegt. Der vergleichsweise lange Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet streitet mangels Integration ins Gastland nicht entscheidend für den Kläger. Er hat sich letztlich selbst zuzuschreiben, dass er die mannigfachen und wiederholten Chancen, die man ihm in der Bundesrepublik Deutschland seit seiner Einreise unter Einsatz großer Ressourcen geboten hat, nicht genutzt hat.

Dagegen steht das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr. Dass dieses schwer wiegt, ergibt sich daraus, dass es sich um eine zwingende Ausweisung handelt. Unabhängig davon sieht das Gericht aber aufgrund der Entwicklung des Klägers und seines Verhaltens bis zum heutigen Tag auch bei einer konkreten Betrachtung des Einzelfalls im Rahmen der Notwendigkeit i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK eine weiterhin vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der mit einer Ausweisung unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten entgegen zu wirken ist.

Angesichts dieser gesamten Umstände, der Gewichtung der jeweiligen Interessen und ihrer Abwägung unter- und gegeneinander kommt das Gericht somit zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers sein privates Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt. Damit ist der Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK notwendig i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK und die Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK verhältnismäßig.

1.3.3. Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers nach Art. 2 Abs. 1 GG ist ebenso als verhältnismäßig zu beurteilen, weil hierfür keine anderen Maßstäbe als für die Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 EMRK gelten (VGH Baden-Württemberg, U.v. 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris Rn. 26).

Gleiches gilt auch, wenn man zu Gunsten des Klägers von einem Eingriff in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG ausgeht. Nach Angaben des Klägers lebt er mit seiner Mutter, einer in Ausbildung befindlichen Schwester, einem im Einzelhandel beschäftigten Bruder und einer geistig behinderten Schwester zusammen. Diese Schwester befindet sich tagsüber in einer Werkstätte für Behinderte. Es ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass ein Familienmitglied auf den Beistand des Klägers angewiesen wäre. Gleiches gilt für weitere im Bundesgebiet lebende Verwandte (ein Bruder, ein Onkel väterlicherseits, vier Onkel und drei Tanten mütterlicherseits in München, eine weitere Tante mütterlicherseits in Frankfurt), die - abgesehen vom Bruder des Klägers mit eigener Familie - keine ausschlaggebende Bedeutung haben. Der Kläger kann den Kontakt zu seinen Verwandten auch von Afghanistan aus durch Briefe, Telefonate und via Skype sowie ggf. im Rahmen von Betretenserlaubnissen aufrecht erhalten.

2. Die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Erteilung, weil dem die absolute Sperre des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.F.d. Gessetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 entgegensteht.

Danach darf einem Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Für die Auslösung dieser Sperrwirkung genügt die Wirksamkeit der Ausweisung, Bestandskraft oder Vollziehbarkeit sind nicht erforderlich (vgl. schon BVerfG, B.v. 29.3.2007 - 2 BvR 1977/06 - juris Rn. 26, HessVGH, B.v. 17.8.1995 - 13 TH 3304/94 - noch zu den entsprechenden Vorschriften des AuslG, juris Ls 1, BayVGH, B.v. 19.1.2015 - 10 CS 14.2656, 10 C10 CS 14.2657 - Rn. 22).

Unabhängig davon kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach dem rechtskräftigen Widerruf durch das Bundesamt mangels Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen schon nicht mehr in Betracht.

3. Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre ist rechtmäßig (§ 11 Abs. 3 AufenthG). Der Kläger ist durch ihre Festsetzung nicht in seinen Rechten verletzt und hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist.

Bei der Bemessung der Frist sind zunächst das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf dann der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20/11 - juris Rn. 40). Die Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Diese sich an der Erreichung des Zwecks der Aufenthaltsbeendigung orientierende Höchstfrist muss sich dann in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), den Vorgaben von Art. 7 der EU-Grundrechte-Charta (EU-GRCharta) und Art. 8 EMRK messen und u.U. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BVerwG, U.v. 13.12.2012, a.a.O., Rn, 41).

Nach dieser Maßgabe erweist sich die auf fünf Jahre festgesetzte Wiedereinreisesperre für den Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als rechtmäßig. Der vergleichsweise junge Kläger hat in dem Zeitraum, in dem er einerseits bereits strafmündig und zugleich auf freiem Fuß war, eine Vielzahl von Straftaten begangen und sich von allen, sowohl repressiven als auch präventiven, Maßnahmen unbeeindruckt gezeigt. Angesichts der weiterhin bejahten Wiederholungsgefahr der Begehung erheblicher Straftaten, ist die Überlegung, dass ein Beurteilungszeitraum von fünf Jahren für eine Prognose hinsichtlich der von dem Kläger für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehenden Gefahr erforderlich ist, zutreffend. Auch unter Berücksichtigung der privaten Beziehungen des Klägers zum Bundesgebiet erscheint die Frist angemessen. Dem Kläger können ggf. bereits vor Ablauf der Sperrfrist Betretenserlaubnisse gemäß § 11 Abs. 8 AufenhtG erteilt werden. Es bleibt ihm auch unbenommen, einen Antrag auf Festsetzung einer kürzeren Frist zu stellen (§ 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG).

4. Die Abschiebungsanordnung bzw. -androhung begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die Abschiebungsanordnung findet ihre gesetzliche Grundlage in § 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, § 51 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 1 und 5 AufenhtG, die Abschiebungsandrohung in § 59 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 1 AufenthG und § 51 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 1 und 5 AufenhtG.

5. Der Kläger hat als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Urteil, 05. Aug. 2015 - M 25 K 15.106

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht München Urteil, 05. Aug. 2015 - M 25 K 15.106

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht München Urteil, 05. Aug. 2015 - M 25 K 15.106 zitiert 17 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 25 Aufenthalt aus humanitären Gründen


(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlau

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 81 Beantragung des Aufenthaltstitels


(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist u

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 58 Abschiebung


(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Si

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 56 Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit


(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei de

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 51 Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts; Fortgeltung von Beschränkungen


(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen: 1. Ablauf seiner Geltungsdauer,2. Eintritt einer auflösenden Bedingung,3. Rücknahme des Aufenthaltstitels,4. Widerruf des Aufenthaltstitels,5. Ausweisung des Ausländers,5a. Bekanntgabe einer Absc

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht München Urteil, 05. Aug. 2015 - M 25 K 15.106 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Verwaltungsgericht München Urteil, 05. Aug. 2015 - M 25 K 15.106 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 18. Sept. 2014 - 13a ZB 14.30002

bei uns veröffentlicht am 18.09.2014

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung g

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 19. Jan. 2015 - 10 CS 14.2656

bei uns veröffentlicht am 19.01.2015

Tenor I. Die Verfahren 10 CS 14.2656 und 10 C 14.2657 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen. III. Die Kosten der Beschwerdeverfahren trägt der Antragsteller. IV. Der Streitwe

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 13. Dez. 2012 - 1 C 20/11

bei uns veröffentlicht am 13.12.2012

Tatbestand 1 Der im Jahr 1981 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2011 - 11 S 1929/11

bei uns veröffentlicht am 20.10.2011

Tenor Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2011 - 12 K 1301/10 - geändert.Die Klage wird insgesamt abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.Die Rev

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 18. Mai 2011 - 2 A 314/10

bei uns veröffentlicht am 18.05.2011

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 28. September 2010 – 10 K 923/09 - wird zurückgewiesen.Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.Der Streitwert wird für d

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 24. Juni 2009 - 2 B 348/09

bei uns veröffentlicht am 24.06.2009

Tenor Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 3. April 2009 – 10 L 188/09 – wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller. Der Streitwert
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht München Urteil, 05. Aug. 2015 - M 25 K 15.106.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 18. Apr. 2016 - 10 AS 15.2116

bei uns veröffentlicht am 18.04.2016

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt. Gründe Der Antrag, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO

Referenzen

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2011 - 12 K 1301/10 - geändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
Der am ...1986 in St. James/Montego Bay/Jamaika geborene ledige Kläger ist jamaikanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 23.03.1993 gemeinsam mit seinem älteren Bruder nach Deutschland ein, wo beide bei ihrer bereits 1991 von Jamaika zugezogenen Mutter, deren deutschen Ehemann und dem am 18.06.1992 geborenen Halbbruder des Klägers, welcher deutscher Staatsangehörigkeit ist, lebten. Im Jahre 2000 wurde die Ehe der Mutter geschieden. Diese ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, der ältere Bruder des Klägers hatte befristete Aufenthaltstitel und ist nach einem Verlängerungsantrag derzeit im Besitz einer Fiktionsbescheinigung.
In der Zeit vom 09.02.1995 bis zum 22.10.2004 war der Kläger im Besitz von befristeten Aufenthaltserlaubnissen. Mit einem am 28.10.2004 beim Landratsamt Hohenlohekreis eingegangen Schreiben beantragte er die Verlängerung der ihm zuletzt ausgestellten Aufenthaltserlaubnis. Auf einen erneuten Antrag vom 12.02.2008 hin verlängerte zwar das Landratsamt am 01.09.2008 seine Aufenthaltserlaubnis bis 28.02.2009. Diese Verlängerung wurde dem Kläger jedoch nicht bekanntgegeben; er war trotz Benachrichtigung nicht zur Abholung erschienen.
Der Kläger besuchte zunächst die Grundschule, wechselte dann aber zur 4. Klasse auf eine Förderschule. Wegen familiärer Probleme lebte er ab August 2002 in einer Pflegefamilie. Im Jahr 2003 erreichte er den Hauptschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 3,4. Diesen verbesserte er im daran anschließenden Berufsvorbereitungsjahr auf 2,5. Unter anderem wegen Drogenproblemen musste er 2004 die Pflegefamilie verlassen. Eine 2004 begonnene Ausbildung zum Kraftfahrzeug-Mechatroniker brach er 2005 ab.
Mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 - 2 KLs 32 Js 32158/05 Hw. - wurden der Kläger und weitere fünf Mitangeklagte des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger, welcher sich wegen der in der Nacht vom 10. auf den 11.09.2005 begangenen Straftat seit dem 07.03.2006 in Haft befunden hatte, wurde zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Adelsheim vom 09.01.2008 - 1 VRJs 563/06 -wurde die Vollstreckung der Restjugendstrafe (447 Tage) – mit einer Bewährungszeit von drei Jahren – zur Bewährung ausgesetzt. Nach seiner Haftentlassung am 12.02.2008 zog der Kläger wieder zu seiner Mutter und deren damaligen Lebensgefährten und später nach S., wo er einer befristeten Arbeit nachging und sodann arbeitslos war.
Wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung wurde gegen den Kläger mit Strafbefehl des Amtsgerichts Wertheim vom 01.09.2008 - 2 Cs 26 Js 6005/08 - eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 25,-- EUR verhängt. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung von zehn Monaten festgesetzt.
Mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 - 3 Ks 43 Js 1806/09 - wurde er wegen versuchten Totschlags und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt; die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, ihm nicht vor Ablauf von zwei Jahren eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. In dem Urteil wird zum Tatgeschehen festgestellt: Am Abend des 20.01.2009 gegen 18.00 Uhr seien der Kläger und das Ehepaar Mi.G und Ma.G. mit einem geliehenen Fahrzeug zu dem Haus des Geschädigten K. gefahren. Der Kläger, der an diesem Tag weder Alkohol noch Drogen zu sich genommen gehabt habe, habe das Fahrzeug gelenkt, obwohl er nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen sei. Bei der Fahrt habe er zwei mit einer Kette verbundene Metallrohre, ein so genanntes Nunchaku, bei sich gehabt, was zumindest dem Angeklagten Mi.G. bekannt gewesen sei. Nachdem Ma.G. von K. aus der Wohnung verwiesen worden sei, ohne dass es ihr gelungen wäre, Marihuana zu erhalten, seien sie zurück in Richtung I. gefahren. Auf der Fahrt hätten sich Mi.G. und der Kläger dazu entschlossen, zum Haus des K. zurückzukehren, um sich notfalls mit Gewalt und unter Einsatz des mitgeführten Nunchakus Marihuana zu verschaffen. Dabei habe der Angeklagte Mi.G. auch vorgehabt, die Gelegenheit zu nutzen und K. wegen vorausgegangener Kontakte mit seiner Ehefrau „eine Abreibung“ zu verpassen. Nachdem Ma.G. den K. unter einem Vorwand überredet habe, sie nochmals ins Haus zu lassen, seien Mi.G. und der Kläger hereingestürmt und hätten gemeinsam und ohne Vorwarnung auf K. eingeschlagen. Der Kläger habe zudem mehrfach gegen dessen Unterschenkel getreten und versucht, ihn so zu Boden zu bringen. Im Verlauf des gesamten Angriffs hätten sowohl Mi.G. als auch der Kläger mindestens jeweils einmal mit dem mitgeführten Nunchaku mit Wucht auf den Kopf des K. eingeschlagen, wodurch dieses in zwei Teile gerissen sei. Dies habe zur Folge gehabt, dass K. mit stark blutenden Kopfverletzungen zu Boden gesunken sei. Nachdem K. blutüberströmt auf dem Boden gelegen habe, hätten beide weiter auf ihn eingetreten, bis einer sinngemäß geäußert habe, dass man ihn nun liegenlassen könne, da dieser „verrecke“, woraufhin alle Angeklagten fluchtartig das Haus verlassen hätten. Dabei seien zumindest Mi.G. und der Kläger davon ausgegangen, dass K. ohne ärztliche Hilfe an den erlittenen Verletzungen sterben würde. Tatsächlich sei es ihm jedoch gelungen, telefonisch Hilfe zu holen. Während Platzwunden, Prellungen und Hämatome inzwischen ausgeheilt seien, könne K. infolge einer Glaskörperblutung am linken Auge nur noch eingeschränkt sehen. Hinsichtlich der Strafzumessung beim Kläger wird in dem Urteil unter anderem dargelegt, Anhaltspunkte für das Vorliegen eines besonders schweren Falles gemäß § 212 Abs. 2 StGB oder eines minder schweren Falles gemäß § 213 StGB seien nach der Gesamtschau der Tatumstände nicht zu erkennen. Von der Möglichkeit einer Milderung des Strafrahmens nach §§ 22, 23 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB sei – im Hinblick darauf, dass es bei dem Geschädigten letztlich zu keinen lebensgefährlichen Verletzungen gekommen sei – Gebrauch gemacht worden. Bei der Strafzumessung sei zugunsten des Klägers zu werten, dass dieser geständig und reuig gewesen sei und sich in der Hauptverhandlung bei K. entschuldigt habe. Weiter sei berücksichtigt worden, dass er im Verhältnis zum Mitangeklagten Mi.G. einen geringen Tatbeitrag geleistet habe. Strafmildernd wirke sich zudem aus, dass K. auch hinsichtlich des Klägers kein erhöhtes Verfolgungsinteresse habe und dem Kläger der Widerruf der Strafaussetzung hinsichtlich einer zur Bewährung ausgesetzten Restjugendstrafe drohe. Zu Lasten des Klägers seien die erheblichen körperlichen Verletzungsfolgen und die andauernde psychische Beeinträchtigung des Geschädigten zu werten. Er sei zudem vor Begehung der Taten in drei Fällen, in einem Fall einschlägig wegen eines Gewaltdeliktes und in zwei Fällen einschlägig wegen Straßenverkehrsdelikten, strafrechtlich in Erscheinung getreten und während der laufenden Bewährungszeit bereits einmal straffällig geworden.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 15.02.2010 - 1 BWL 8/08 -wurde die durch Beschluss vom 09.01.2008 bezüglich des Urteils des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen und bestimmt, dass die restliche Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene zu vollziehen sei.
Nach Anhörung des Klägers wies das Regierungspräsidium Stuttgart diesen mit Bescheid vom 09.03.2010 aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1). Außerdem wurde sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Ziffer 2). Ihm wurde – ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise – die Abschiebung nach Jamaika oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Ziffer 3). Zur Begründung wurde ausgeführt: Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine so genannte Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 1 AufenthG lägen unzweifelhaft vor. Besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sei nicht gegeben, insbesondere sei der Kläger nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Im Übrigen sei die Rechtsschranke des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG überwunden, weil schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben seien. Solche lägen nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen des § 53 AufenthG vor. Besondere Umstände, die einen Ausnahmefall begründen könnten, seien nicht gegeben. Unabhängig davon erfolge die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, weil der Ausweisungsanlass gravierend sei und zudem eine hohe und konkrete Wiederholungsgefahr bestehe. Der besondere Ausweisungsschutz erschöpfe sich allerdings nicht in der Beschränkung der Zulässigkeit der Ausweisung auf schwerwiegende Gründe. Daneben sei die Ist-Ausweisung zur Regel-Ausweisung herabgestuft. Der Kläger lebe seit 1993 und damit seit mittlerweile nahezu 17 Jahren im Bundesgebiet; zudem hielten sich seine Mutter und seine Geschwister hier auf. Die Ausweisung greife in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG – freie Entfaltung der Persönlichkeit – und in das Achtungsgebot aus Art. 8 EMRK – Schutz des Privat- und Familienlebens – ein. Das Regierungspräsidium gehe davon aus, dass deswegen eine umfassende und alle denkbaren Gesichtspunkte in den Blick zu nehmende Ermessensentscheidung zu treffen sei. Nach § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG seien dabei die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Der Kläger habe mehrfach und zuletzt sehr schwerwiegend gegen die bestehende Rechtsordnung verstoßen. Es sei mit weiteren erheblichen rechtswidrigen Straftaten gleicher Schwere zu rechnen. Die Wiederholungsgefahr sei außerordentlich hoch. Damit habe das herausragende öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zur Dauer seines Aufenthalts und dem damit verbundenen Integrationsgrad ein deutliches Übergewicht. Dies gelte auch deshalb, weil eine abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse nicht vorliege. Er habe keine Berufsausbildung und sei lediglich in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt gewesen. Zuletzt sei er arbeitslos und auf Unterstützungsleistungen seiner Familienangehörigen angewiesen gewesen. Auch seine häufigen Straftaten sprächen gegen eine erfolgreiche Integration. Es werde nicht übersehen, dass der Kläger in Jamaika zunächst Schwierigkeiten haben werde, sich an die dortigen Lebensverhältnisse zu gewöhnen, doch seien diese nicht unüberwindbar. Die Ausweisung stelle damit auch einen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässigen Eingriff dar, der gesetzlich vorgesehen und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der öffentlichen Ordnung notwendig und insbesondere nicht unverhältnismäßig sei. Da dem Kläger die verwaltungsinterne Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 01.09.2008 bis zum 26.02.2009 nicht habe bekanntgegeben werden können, sei über seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis noch nicht entschieden worden. Einer entsprechenden Verlängerung stehe die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 AufenthG.
10 
Am 09.04.2010 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage. Zu deren Begründung wurde darauf verwiesen, dass in Deutschland aufgewachsenen Ausländern eine besondere persönliche Prägung zukomme. Sie betrachteten das Land, dessen Staatsangehörigkeit sie innehätten, regelmäßig gerade noch als Urlaubsland. Es stelle sich die Frage, ob eine Ausweisung und Abschiebung des Betroffenen wirklich die der Sache nach angemessene Reaktion auf eine möglicherweise misslungene Integration eines jungen Ausländers darstelle. In der Sache sei zu berücksichtigen, dass er seinen leiblichen Vater tatsächlich nie kennengelernt habe, weil sich seine Mutter noch in der Schwangerschaft von diesem getrennt habe. Andere nähere Verwandte lebten in Jamaika nicht mehr. Seine Großmutter mütterlicherseits lebe bei einer Tante in den USA. Einen Großvater gebe es nicht. Der Vater seiner Mutter sei verstorben. Ein Onkel, der in Jamaika gewohnt habe, sei Anfang der 1990er Jahre gestorben, ein zweiter Onkel, der aber im Ausland gelebt habe, sei im Jahr 2009 in Jamaika getötet worden, als er seine Tochter besucht habe. Zwei weitere Onkel hielten sich in Costa Rica auf. Die Englischkenntnisse des Klägers seien schlecht. Die von Zuhause erworbenen Kennnisse der Muttersprache seien nahezu vollständig verlorengegangen. Seine Mutter habe Wert darauf gelegt, dass zu Hause Deutsch gesprochen worden sei. Jamaika habe er nie mehr besucht, und zwar auch deshalb, weil Ausländer und Exiljamaikaner in gleicher Weise gefährdet seien, überfallen und ausgeraubt zu werden. Er sei außerdem in rechtlicher Hinsicht so zu stellen, wie er stünde, wenn ihm die letzte befristete Aufenthaltserlaubnis vom 01.09.2008 tatsächlich ausgehändigt worden wäre. Denn die Behörde hätte nachfragen oder ihm diese zustellen müssen. Damit genieße er besonderen Ausweisungsschutz im Sinne des § 56 AufenthG. Zudem sei zu berücksichtigen, dass in keiner der abgeurteilten Straftaten die Initiative von ihm selbst ausgegangen sei. Er sei vielmehr jedes Mal „mitgegangen“.
11 
Durch Urteil vom 15.02.2011 hob Verwaltungsgericht Stuttgart Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 auf, wies die Klage im Übrigen ab und legte Kläger und beklagtem Land je die Hälfte der Kosten des Verfahrens auf. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt: Die im angefochtenen Bescheid verfügte Ausweisung sei rechtswidrig und aufzuheben. Das Regierungspräsidium habe allerdings zu Recht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG bejaht. Auch komme dem Kläger die Privilegierung des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht zu. Ungeachtet dessen habe das Regierungspräsidium den Kläger zu seinen Gunsten so gestellt, als ob ihm besonderer Ausweisungsschutz zustünde. In diesem Zusammenhang habe es zu Recht bejaht, dass im Hinblick auf die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung des § 53 AufenthG schwerwiegende Ausweisungsgründe nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vorlägen und kein Ausnahmefall erkennbar sei. Dies sei vom Kläger auch nicht in Frage gestellt worden. Weiter habe das Regierungspräsidium zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass seine Ausweisung höherrangiges Recht, wie die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK tangiere, und habe sodann anstelle der Regelausweisung geprüft, ob die Ausweisung unter Ermessensgesichtspunkten nach § 55 AufenthG gerechtfertigt sei. Bei der gebotenen Ermessensbetätigung habe es allerdings nicht alle abwägungsrelevanten Umstände gewürdigt, die im Rahmen der persönlichen Interessen des Klägers zu berücksichtigen seien. So teile das Gericht nicht die Auffassung des Regierungspräsidiums, wonach der Kläger sich nicht vollständig in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe. Sein Werdegang belege, dass er keineswegs integrationsunwillig oder -unfähig gewesen sei. Außer Acht gelassen habe das Regierungspräsidium auch, dass er einwandfrei Deutsch spreche. Die Begehung von Straftaten allein sei jedenfalls vor diesem Hintergrund kein Indiz gegen eine Integration. Der Kläger habe des Weiteren unbestritten persönliche Bindungen zum Bundesgebiet, zumindest zu seiner Mutter und seinem Bruder. Er wolle gerne in der Haft eine Drogentherapie machen, die allerdings angesichts der verfügten Ausweisung nicht bewilligt worden sei. Hinzukomme, dass der Kläger seit seiner Einreise in das Bundesgebiet nicht mehr in Jamaika gewesen sei. Es sei glaubhaft, dass er dieses Land nicht als sein Heimatland ansehe, zumal er dort keine Bezugsperson mehr habe. Nach Berichten des Auswärtigen Amtes und des Außenministeriums Österreich zur Sicherheitslage in Jamaika sei dort außerdem eine erhöhte Sicherheitsgefährdung zu verzeichnen, welche sich nicht nur auf die Hauptstadt Kingston beziehe, sondern auch für Touristengebiete gelte bzw. für diese nicht ausgeschlossen werden könne. Der Alltag in den Städten sei von Gewaltverbrechen geprägt. Insgesamt überwögen nach Auffassung des Gerichts die privaten Interessen des Klägers das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung mit der Folge, dass die Ausweisungsverfügung rechtswidrig und daher aufzuheben sei. Hingegen begegne die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bzw. der Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis keinen rechtlichen Bedenken. Auch die Abschiebungsandrohung sei danach rechtlich nicht zu beanstanden.
12 
Auf Antrag des beklagten Landes hat der Senat mit Beschluss vom 30.06.2011 - 11 S 989/11 - die Berufung zugelassen. Diese wird im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Verwaltungsgericht gehe in seiner Entscheidung zunächst zu Unrecht davon aus, dass das Regierungspräsidium in der Ausweisungsverfügung das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben des Klägers nicht ausreichend beachtet hätte. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei dieser nicht vollständig in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik integriert. Abgesehen davon habe das Regierungspräsidium zugunsten des Klägers gleichwohl unterstellt, dass der Schutzbereich des Art. 8 EMRK eröffnet sei. Es sei allerdings davon ausgegangen, dass der Eingriff in das Schutzgebot verhältnismäßig und damit zulässig sei. Auch die vom Verwaltungsgericht angenommenen Verstöße gegen Ermessensgrundsätze lägen nicht vor. Letztlich ersetze es das Ermessen des Regierungspräsidiums durch eigenes Ermessen und überschreite damit die durch § 114 VwGO gezogenen Grenzen der gerichtlichen Überprüfung des Ermessens.
13 
Das beklagte Land beantragt,
14 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2011 - 12 K 1301/10 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
15 
Der Kläger beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Zur Begründung wird ergänzend zum bisherigen Vorbringen unter anderem dargelegt: Art. 8 EMRK stehe einer Ausweisung des Klägers entgegen. Soweit von Seiten des beklagten Landes beanstandet werde, dass das Verwaltungsgericht bei der Frage der Integration des Klägers von falschen Maßstäben ausgehe, so erliege es selbst einem Fehlschluss. Ein junger Deutscher, der sich nach problematischer Adoleszenz mit Abbruch der Schulausbildung zu einem notorischen Schläger entwickelt habe, wäre natürlich nach wie vor in Deutschland integriert. Dasselbe gelte für einen jungen Jamaikaner, der den größten Teil seines bisherigen Lebens (einschließlich der gesamten Phase des Schulbesuchs) in Deutschland verbracht habe und während dieser Zeit mehrfach straffällig geworden sei. Ein straffreies Leben könne kein taugliches Kriterium für die Frage der Integration des Betroffenen sein.
18 
Der Kläger, welcher sich seit 01.02.2009 wieder in Haft befindet, hat inzwischen auch die gegen ihn – wegen Uneinbringlichkeit der im Strafbefehl des Amtsgerichts Wertheim vom 01.09.2008 verhängten Geldstrafe – angeordnete Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen verbüßt. Die mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten und die Restfreiheitstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 wäre am 09.10.2015 vollstreckt. Mit Verfügung vom 12.03.2010 hat die Staatsanwaltschaft Heilbronn entschieden, dass gemäß § 456a StPO von der Vollstreckung der Reststrafe von dem Tage an abgesehen werde, an dem der Kläger in Vollzug der ausländerrechtlichen Verfügungen den ausländischen Grenzpolizeistellen übergeben oder wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert werde, jedoch frühestens ab 20.05.2012.
19 
Dem Senat liegen die ausländerrechtlichen Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart und des Landratsamts Hohenlohekreis (jeweils ein Heft), die Gefangenenpersonalakten der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Hall (ein Heft) sowie ein Vollstreckungsheft - 1 VRJs 536/06 - und ein Bewährungsheft - 1 BWL 8/08 - des Amtsgerichts Adelsheim bezüglich des Urteils des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 - 2 KLs 32 Js 32158/05 - vor. Der Inhalt dieser Akten ist ebenso wie der Inhalt der Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart - 12 K 1301/10 - sowie des Verwaltungsgerichtshofs zum vorliegenden Verfahren Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des beklagten Landes ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage insgesamt, also auch hinsichtlich der Ausweisung, abweisen müssen. Denn die unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 verfügte Ausweisung ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
21 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Stuttgart steht die Ausweisung des Klägers nicht im Ermessen des beklagten Landes und ist daher schon deshalb nicht wegen Ermessensfehlern aufzuheben. Vielmehr handelt es sich vorliegend um eine so genannte „Ist-Ausweisung“ bzw. „zwingende Ausweisung“ nach § 53 AufenthG. Da die Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG vorliegen (dazu unter 1.) und der Kläger weder besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG genießt (2.) noch seine Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK oder Art. 2 GG als unverhältnismäßig anzusehen ist (3.), ist sie rechtmäßig.
22 
1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Nr. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet worden ist. Die Tatbestandvoraussetzungen dieser Regelung sind schon allein aufgrund der letzten Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Heilbronn vom 20.10.2009 wegen versuchten Totschlags und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten gegeben.
23 
2. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu. Er kann sich insbesondere nicht auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG berufen. Danach genießt ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, besonderen Ausweisungsschutz. Der Kläger ist jedoch bereits seit Ablauf der Geltungsdauer der am 23.10.2002 ausgestellten Aufenthaltserlaubnis zum 22.10.2004 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels. Die am 01.09.2008 durch das Landratsamt Hohenlohekreis erfolgte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit bis zum 28.02.2009 ist mangels Bekanntgabe an den Kläger nie wirksam geworden. Soweit der Kläger vorträgt, er müsste so gestellt werden, als ob ihm der Aufenthaltstitel ausgehändigt worden wäre, verkennt er, dass dieser lediglich bis 28.02.2009 gegolten hätte. Die Anträge des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 28.10.2004 und vom 12.02.2008 sind unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 abgelehnt worden. Selbst wenn durch die Anträge – trotz verspäteter Antragstellung – eine Fiktionswirkung (vgl. § 81 Abs. 4 AufenthG 2007, § 81 Abs. 4 AufenthG 2005, § 69 Abs. 3 AuslG 1965 i.d.F. vom 09.01.2002) eingetreten wäre, wäre diese damit jedenfalls beendet gewesen. Abgesehen davon hat das Regierungspräsidium zu Recht ausgeführt, dass Zeiten der Fiktionswirkung nicht dem (tatsächlichen) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gleichgestellt werden können (vgl. ausführlich Bay. VGH, Urteil vom 04.07.2011 - 19 B 10.1631 -juris, m.w.N.), wenn später die Erteilung des Titels unanfechtbar abgelehnt wurde.
24 
3. Die danach einfachgesetzlich zwingende Ausweisung des Klägers ist nicht mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK oder auf höherrangiges Recht wie Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig anzusehen.
25 
a) Auch eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG ist auf ihre Vereinbarkeit mit dem in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens hin zu überprüfen (vgl.VGH Bad.-Württ., Urteile vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 - und vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - juris; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.07.2003 - 1 B 252.02 - Buchholz 140 Art. 8 EMRK Nr. 14). Dies folgt nach Auffassung des Senats aus § 1 Abs. 1 Satz 5 AufenthG (noch mit anderer Begründung: VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 23.10.2002 - 11 S 1410/02 - NVwZ-RR 2003, 304, und vom 14.02.2001 - 13 S 2501/00 - NVwZ-Beil. 2001, 81). Danach bleiben die Regelungen in anderen Gesetzen „unberührt“. Diese „Unberührtheitsklausel“ gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zu den völkervertraglichen Regelungen, die – wie die Europäische Menschenrechtskonvention – durch Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) den Rang eines Bundesgesetzes erhalten haben und nicht nur die Vertragsparteien binden, sondern unmittelbar Rechte und Pflichten der betreffenden Staatsangehörigen begründen können, und zwar selbst wenn diese älter sind und deshalb nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ nicht vorrangig anwendbar wären (ausführlich dazu Fritzsch, VBlBW 2005, 378; GK-AufenthG, Stand: August 2011, § 1 AufenthG Rn. 23. ff.; Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 1 AufenthG Rn. 21).
26 
Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, ist im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung eine umfassende Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Offenbleiben kann daher, ob in diesen Fällen bei einer zwingenden Ausweisung zudem mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG – oder gegebenenfalls Art. 6 GG, welcher hier nicht einschlägig ist – i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen wäre (so OVG NRW, Beschluss vom 25.05.2009 - 18 E 1230/08 - AuAS 2009, 184; HambOVG, Urteil vom 24.03.2009 - 3 Bf 166/04 - InfAuslR 2009, 279), obwohl es sich um eine gebundene Entscheidung handelt und die Tatbestandsmerkmale des § 53 AufenthG – anders etwa als die der §§ 54 und 56 AufenthG – keinen Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Auslegung bieten (insoweit zu Recht kritisch Naumann, DÖV 2011, 96; vgl. zu Regel- und Ermessensausweisungen sowie zu § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG: BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443, und vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275; BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367). Denn insoweit wären dieselben Maßstäbe anzuwenden, die bei der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 EMRK zur Anwendung kommen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007- 2 BvR 535/06 - a.a.O.). In jedem Fall wäre der Ausländerbehörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. Senatsurteil vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O.; Bay.VGH, Beschluss vom 27.09.2010 - 19 ZB 09.715 - juris; vgl. auch Hailbronner, AuslR, Stand: September 2010, vor § 53 AufenthG Rn. 10 ff., m.w.N.; a.A. Thym, DVBl. 2008, 1346, 1351 f.; Huber, AuslR, 2010, § 53 AufenthG Rn. 5).
27 
b) Die Ausweisung des Klägers stellt zwar einen Eingriff in das in Art. 8 Abs. 1 EMRK verbürgte Recht auf Achtung seines Privatlebens dar; dieser ist jedoch gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.
28 
aa) Das Recht auf Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 - [Slivenko] EuGRZ 2005, 560). Über entsprechende Beziehungen verfügt der Kläger. Dies folgt bereits daraus, dass er seit seinem sechsten Lebensjahr und damit inzwischen seit mehr als 18 Jahren und 6 Monaten in Deutschland lebt, davon die meiste Zeit – jedenfalls bis zum 22.10.2004 – im Besitz von Aufenthaltstiteln war, hier zur Schule gegangen ist und den Hauptschulabschluss gemacht hat und zudem in Deutschland seine Mutter, sein älterer Bruder und sein jüngerer – deutscher – Halbbruder sowie seine langjährige Freundin leben. Selbst wenn ihm die Bescheinigungen über eine aufgrund seiner Verlängerungsanträge eingetretene Erlaubnisfiktion zu Unrecht ausgestellt worden und sein Aufenthalt bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr als rechtmäßig anzusehen gewesen wäre, könnte er sich weiter auf Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen. Ein Verständnis dahingehend, dass ein Privatleben, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine „Verwurzelung“ begründet, nur auf der Grundlage eines weiterhin fortdauernden rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt, ist angesichts der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK weder erforderlich noch sinnvoll (Senatsurteil vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -). Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK bei einer bereits erfolgten und weiter bestehenden „Verwurzelung“ immer schon dann nicht mehr eröffnet wäre, wenn es dem Betreffenden in der Folge nicht gelungen ist, im Erwerbsleben Fuß zu fassen und sich eine eigene Existenz zu schaffen oder aber wenn er Straftaten begangen hat. Auch diese Punkte sind vielmehr gegebenenfalls bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung aller Umstände entsprechend zu gewichten. Davon ist das Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid vom 09.03.2010 auch ausgegangen. Zwar wird darin mehrmals eine „nicht abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse“ angeführt und zur Begründung unter anderem auf eine fehlende Berufsausbildung und die Straftaten verwiesen. Diese Argumentation erfolgt jedoch im Rahmen der Ermessensausübung und bei der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Die Frage, ob der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK überhaupt eröffnet ist, wird hingegen ausdrücklich bejaht; die Ausweisung sei als ein Eingriff in das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK anzusehen (S. 11 des Bescheids).
29 
Hingegen ist das in Art. 8 Abs. 1 EMRK ebenfalls geschützte Familienleben hier schon deshalb nicht betroffen, weil der volljährige Kläger bereits vor seiner erneuten Inhaftierung nicht mehr mit seiner Mutter und seinem jüngsten Halbbruder in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat und auch nicht etwa aus besonderen Gründen auf ein Zusammenleben mit seiner Familie und auf deren Beistand angewiesen wäre bzw. seine Brüder oder seine Mutter seine Hilfe und Unterstützung benötigen würden (vgl. zu diesen Anforderungen: Senatsbeschluss des Senats vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - InfAuslR 2009, 178, m.w.N).
30 
bb) Die danach vorzunehmende Abwägung aller Umstände führt zum Ergebnis, dass die Ausweisung des Klägers trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein im Bundesgebiet geführtes Privatleben nach Art. 8 EMRK als gerechtfertigt anzusehen ist – und damit auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG als verhältnismäßig zu beurteilen wäre.
31 
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 - [Trabelsi]) ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien. Danach sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das gegebenenfalls abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
32 
Nach diesen Grundsätzen ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Kläger innerhalb weniger Jahre bereits mehrmals strafbar gemacht hat und dass es sich bei dem in der Nacht vom 10. auf den 11.09.2005 verübten schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und dem am 20.01.2009 begangenen Versuch eines Totschlags um gravierende Straftaten handelt. Bereits mit der Verurteilung wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch das Landgericht Heilbronn vom 15.08.2006 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten war der Regelausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Das Regierungspräsidium sah damals wegen des langjährigen Aufenthalts des Klägers in Deutschland, der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Mutter und seinem deutschen Halbbruder, der vom Kläger geäußerten Reue und vor allem wegen des Berichts der Justizvollzugsanstalt Adelsheim vom 19.01.2007, nach welchem von einer günstigen Sozial und Kriminalprognose auszugehen sei, von einer Ausweisung ab. Es machte dem Kläger in einem Schreiben vom 07.02.2007 aber deutlich, dass eine erneute Straftat zu seiner Ausweisung führen könne. Dies hielt den Kläger ebenso wenig von weiteren Straftaten ab wie die Tatsache, dass die Vollstreckung der Reststrafe mit Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 09.01.2008 lediglich auf Bewährung ausgesetzt worden war. Er machte sich vielmehr nicht nur im Juli 2008 – wenige Monate nach seiner Haftentlassung am 12.02.2008 – wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung strafbar, sondern nur einige Monate später, am 20.01.2009, auch wegen versuchten Totschlags und Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
33 
Schon aus diesen Umständen ist zu folgern, dass im Falle des Klägers von einer sehr hohen Gefahr der Wiederholung schwerer Straftaten auszugehen ist. Dies wird noch verdeutlicht durch die innere Einstellung des Klägers zu Leib und Leben anderer, die er bei den Taten gezeigt hat. Bei der Rücksichtslosigkeit und Brutalität, mit der er vorgegangen ist, sind weitere ähnliche Taten konkret zu befürchten. Zwar war er nach den Feststellungen des Landgerichts Heilbronn im Urteil vom 15.08.2006 bei dem Überfall auf eine Autofirma am 10. bzw. 11.09.2005, bei welchem er und weitere fünf Täter zwei neuwertige Fahrzeuge entwendeten, weder Initiator noch Organisator des Geschehens, sondern wurde „angeworben“. Auch hat er den Wachmann, der den Raub entdeckt hatte und erheblich verletzt worden war, nicht selbst geschlagen. Er hat aber den zuvor gefassten Plan mitgetragen, diesen unter Anwendung erheblicher körperlicher Gewalt „auszuschalten“ und zu fesseln, war dabei zugegen und hat das brutale Vorgehen seiner Mittäter gebilligt sowie ihnen beim Anlegen der Fesseln durch Leuchten mit der Taschenlampe geholfen. Schließlich hat auch er den Wachmann, der gefesselt, schwer verletzt und blutend eine 10 m hohe Böschung hinuntergestoßen worden war, seinem Schicksal überlassen. Dabei hätten er und seine Mittäter zwar darauf vertraut, dass der Tod nicht eintreten würde, weil sie davon ausgegangen seien, dass der Wachmann noch lebend gefunden würde. Sie hätten aber erkannt, dass dieser sich aufgrund seiner wegen der Fesselung eingeschränkten Bewegungs- und Atmungsfähigkeit sowie der Witterungsverhältnisse in Todesgefahr befunden habe. Tatsächlich wurde er erst um 06.30 Uhr in lebensbedrohlichem Zustand gefunden und hat erhebliche physische und psychische Verletzungen erlitten. Bei der am 20.01.2009 begangenen Straftat des versuchten Totschlags ging offenbar die Initiative vom Mitangeklagten Mi.G aus. Nach den Feststellungen im Strafurteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 haben aber sowohl Mi.G als auch der Kläger – jeder mindestens einmal – mit dem vom Kläger mitgeführten Nunchaku mit Wucht auf den Kopf des Geschädigten K. eingeschlagen, so dass dieses in zwei Teile zerriss. Nachdem K. dann mit blutenden Kopfwunden auf dem Boden gelegen hat, haben beide auf ihn eingetreten, bis einer der beiden geäußert habe, man könne ihn nun liegenlassen, weil er „verrecke“. Beim Verlassen des Hauses seien beide davon ausgegangen, dass K. ohne ärztliche Hilfe versterben würde.
34 
Hinzu kommt, dass auch dieser zweite Angriff des Klägers auf Leib und Leben einer Person nicht etwa in einer besonderen Ausnahmesituation oder aufgrund einer gravierenden emotionalen Belastung erfolgte. Der Mittäter Mi.G. war nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 wegen Drogenabhängigkeit vermindert steuerungsfähig und hat sich wegen der außerehelichen Beziehungen seiner Ehefrau zu dem Geschädigten in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Im Falle des Klägers fehlen entsprechende besondere Umstände. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er auf Nachfragen angegeben, er könne sich selbst nicht erklären, wieso er die Tat begangen habe.
35 
Die Wiederholungsgefahr wird zudem durch den Drogenkonsum des Klägers eher noch erhöht. Dabei kann hier offen bleiben, ob von einer Drogenabhängigkeit auszugehen ist. Jedenfalls hat der Kläger seinen eigenen Angaben in den Strafverfahren nach jahrelang regelmäßig Haschisch konsumiert und teilweise auch härtere Drogen. Er hat offensichtlich selbst nach seiner Entlassung auf Bewährung am 12.02.2008 bis zu seiner erneuten Verhaftung weiterhin regelmäßig Drogen genommen.
36 
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass sich an der danach bestehenden hohen Gefahr der Wiederholung gravierender Straftaten etwas geändert haben könnte. Bislang wurden – unter anderem wegen der ausländerrechtlichen Situation – keinerlei therapeutische Maßnahmen durchgeführt. Der Kläger hat zwar eine feste Beziehung mit einer deutschen Staatsangehörigen. Diese besteht aber schon seit vielen Jahren, ohne dass ihn das von der Begehung der Straftaten abgehalten hätte. In der Justizvollzugsanstalt zeigt der Kläger ausweislich der dem Senat vorliegenden Gefangenpersonalakten wohl einige positive Entwicklungen, etwa bei der Arbeit. Gegen ihn mussten aber auch mehrfach Sicherungsmaßnahmen verhängt werden. Eine Urinkontrolle – von mehreren – wurde positiv auf THC getestet. Nach dem Vollzugsplan vom 15.03.2011 wird weiter von einer behandlungsbedürftigen Gewalt- und Suchtproblematik ausgegangen. Aufgrund seiner Anlasstat und der daraus ersichtlichen Persönlichkeitsstörung sei bei ihm eine Sozialtherapie grundsätzlich indiziert und weiterhin erforderlich. Im Hinblick darauf hatte die Justizvollzugsanstalt bei einer anderen Anstalt mit einer Sozialtherapeutischen Abteilung um Aufnahme des Klägers zur Durchführung einer Sozialtherapie gebeten. In den beigefügten Unterlagen wird von der Psychotherapeutin der Justizvollzugsanstalt dargelegt, dass die zutage getretene Gewaltneigung das zentrale Problem sei. Ohne erfolgreiche Sozialtherapie sei zu befürchten, dass der Kläger weitere Gewaltdelikte begehen werde.
37 
Zugunsten des Klägers ist unter anderem zu berücksichtigen, dass er sich seit seinem sechsten Lebensjahr in Deutschland aufhält, hier aufgewachsen ist, trotz offensichtlich problematischer Familienverhältnisse, die die Aufnahme durch eine Pflegefamilie erforderlich machten, den Hauptschulabschluss absolviert und seine Abschlussnote in dem anschließenden Berufsvorbereitungsjahr auf 2,5 verbessert hat. Danach hat er eine Lehre begonnen, welche er allerdings nicht abgeschlossen hat. Er hat eine feste Beziehung zu einer deutschen Staatsangehörigen, mit welcher er nach seiner Haftentlassung zusammenziehen will. Seine Mutter ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, sein älterer Bruder lebt ebenfalls in Deutschland, sein jüngerer Halbbruder ist deutscher Staatsangehörigkeit. Er spricht fließend Deutsch und wohl nur schlecht Englisch. Aktuelle Beziehungen zu seiner Heimat Jamaika hat der Kläger seinen Angaben nach nicht. Seine Großmutter und viele der näheren Verwandten seien in andere Länder ausgereist. In der mündlichen Verhandlung hat er erläutert, dass er nicht wisse, welche Bekannten und welche Verwandten noch in Jamaika lebten.
38 
Trotzdem ist dem Kläger eine Rückkehr nach Jamaika nicht unzumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er fast 25 Jahre alt ist, also grundsätzlich auch ohne die Unterstützung von Bekannten und Verwandten zurechtkommen kann. Dass es für ihn nicht einfach sein wird, sich in Jamaika ein neues Leben aufzubauen, liegt auf der Hand. Abgesehen davon, dass er wohl nicht fließend Englisch spricht, ist die allgemeine wirtschaftliche und politische Situation in Jamaika nicht günstig. Insbesondere ist von einer hohen Kriminalitätsrate auszugehen. Dies belegen die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Hinweise des österreichischen Außenministeriums zu Jamaika vom 31.08.2010 sowie die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts vom 31.08.2010 (ebenso neuere Hinweise, Stand 21.09.2011, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/JamaikaSicherheit.html). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Kriminalitätsrate so hoch bzw. oder die allgemeinen Verhältnisse derart schlecht wären, dass dem Kläger ein Leben in Jamaika nicht zugemutet werden könnte. Schließlich müsste er nicht in die offenbar besonders problematische Hauptstadt Kingston ziehen. In Anbetracht seiner Deutschkenntnisse hat er ohnehin wohl in den Touristenzentren bessere Chancen, Arbeit zu finden. Außerdem könnte er in der Anfangszeit gegebenenfalls durch seine Mutter oder seine Brüder unterstützt werden. Der Senat geht im Übrigen davon aus, dass der Kläger zumindest über ausreichende Grundkenntnisse des Englischen verfügt, die ihm ein Einleben möglich machen und auf die er für einen schnellen Spracherwerb aufbauen kann. Schließlich ist er erst in seinem sechsten Lebensjahr nach Deutschland eingereist und hat bis zu diesem Zeitpunkt nur Englisch gesprochen. Es ist anzunehmen, dass er sich danach zumindest mit seinem älteren Bruder noch einige Zeit weiter in seiner Muttersprache unterhalten hat. Dafür spricht, dass er in der vierten Grundschulklasse wegen Sprachproblemen auf die Förderschule wechseln musste. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung berichtet, dass er ab und zu mit seiner inzwischen in den USA lebenden Großmutter telefoniert habe. Er hat zwar dazu erläutert, dass sein Englisch nicht mehr so gut sei, so dass er teilweise Übersetzungshilfen durch seine Mutter benötigt habe. Danach ist ihm aber die englische Sprache jedenfalls nicht völlig fremd geworden.
39 
Insgesamt ist die Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der angeführten Bindungen in Deutschland und der zu erwartenden Schwierigkeiten in Jamaika wegen der Schwere der begangenen Straftaten und der besonders hohen Wiederholungsgefahr als verhältnismäßig anzusehen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung muss sie nicht etwa im Hinblick auf Art. 8 EMRK sogleich befristet werden.
40 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Ausweisung auch nicht aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff. - Rückführungsrichtlinie) bereits jetzt befristet werden muss (vgl. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Diese Richtlinie ist zwar zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (noch) unmittelbar anwendbar, weil die Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen und das „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ (vgl. Entwurf, BT-Drucks. 17/5470 vom 12.04.2011) noch nicht in Kraft getreten ist. Die Ausweisung selbst stellt jedoch keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie dar (vgl. Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291).
41 
Da die Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG mithin schon allein aufgrund spezialpräventiver Gründe als verhältnismäßig anzusehen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob sie auch selbstständig tragend generalpräventiv begründet werden könnte (vgl. dazu Senatsurteile vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 -AuAS 2011, 136, vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O., und vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -).
II.
42 
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Ausweisung selbst dann als rechtmäßig anzusehen wäre, wenn davon ausgegangen würde, dass Ermessen auszuüben ist. Denn die vom Verwaltungsgericht angeführten Ermessensfehler liegen nicht vor.
43 
Das beklagte Land hat im Rahmen der von ihm angestellten und durch seinen Vertreter in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet.
44 
Zunächst ist nicht ersichtlich, dass – bezogen auf den Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung – ein wesentlicher Umstand nicht berücksichtigt worden wäre. Abgesehen davon sind die Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren noch entsprechend ergänzt bzw. klargestellt worden. Die Tatsache, dass der Kläger fließend Deutsch spricht, ist schon wegen seines Hauptschulabschlusses selbstverständlich und musste im angefochtenen Bescheid nicht explizit erwähnt werden.
45 
Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat auch in den Ausführungen des Regierungspräsidiums im angefochtenen Bescheid zur Frage des Grades der Integration keinen Ermessensfehler zu erkennen. Zwar wird darin dargelegt, dass sich der Kläger „nicht vollständig“ in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe und zur Begründung auf die nicht abgeschlossene Berufsausbildung bzw. den fehlenden festen Arbeitsplatz und die begangenen Straftaten abgestellt. Wie ausgeführt, ist aber zunächst betont worden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK eröffnet ist. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass durchaus von einer Integration in dem Sinne ausgegangen worden ist, dass das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK greift. Dies hat der Vertreter des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung bekräftigt. Die weiteren Erwägungen zur Frage, ob die Integration abgeschlossen ist, erfolgen im Rahmen der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. des Ermessens. In diesem Zusammenhang aber können die angeführten Umstände wie Berufsausbildung, Berufstätigkeit, u.a. selbstverständlich berücksichtigt und die Straftaten als gewichtige Integrationsdefizite gewertet werden.
46 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Gewaltdelikte auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten. Aus den oben zu § 8 Abs. 2 EMRK angeführten Gründen lässt es sich rechtlich nicht beanstanden, dass das Regierungspräsidium das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers höher bewertet hat als sein erhebliches privates Interesse, von einer Ausweisung verschont zu bleiben.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
49 
Beschluss
50 
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Beschluss vom 15. Februar 2011 (12 K 1301/10) – auf 10.000,-- EUR, der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
51 
Gründe
52 
Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruhen auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage war nicht nur auf Aufhebung der unter Ziffer 1 des Bescheids vom 09.03.2010 verfügten Ausweisung gerichtet, sondern auch auf Verpflichtung der in diesem Bescheid ebenfalls erfolgten Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Während es sich bei den ersten beiden Begehren um zwei selbstständige prozessuale Ansprüche handelt, für die jeweils der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (vgl. Ziffern 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327), kommt der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 - InfAuslR 1982, 167). Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ist demnach auf 10.000,-- EUR festzusetzen, der für das Berufungsverfahren, in welchem es nur noch um die Ausweisung ging, auf 5.000,-- EUR.
53 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
20 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des beklagten Landes ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage insgesamt, also auch hinsichtlich der Ausweisung, abweisen müssen. Denn die unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 verfügte Ausweisung ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
21 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Stuttgart steht die Ausweisung des Klägers nicht im Ermessen des beklagten Landes und ist daher schon deshalb nicht wegen Ermessensfehlern aufzuheben. Vielmehr handelt es sich vorliegend um eine so genannte „Ist-Ausweisung“ bzw. „zwingende Ausweisung“ nach § 53 AufenthG. Da die Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG vorliegen (dazu unter 1.) und der Kläger weder besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG genießt (2.) noch seine Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK oder Art. 2 GG als unverhältnismäßig anzusehen ist (3.), ist sie rechtmäßig.
22 
1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Nr. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet worden ist. Die Tatbestandvoraussetzungen dieser Regelung sind schon allein aufgrund der letzten Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Heilbronn vom 20.10.2009 wegen versuchten Totschlags und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten gegeben.
23 
2. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu. Er kann sich insbesondere nicht auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG berufen. Danach genießt ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, besonderen Ausweisungsschutz. Der Kläger ist jedoch bereits seit Ablauf der Geltungsdauer der am 23.10.2002 ausgestellten Aufenthaltserlaubnis zum 22.10.2004 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels. Die am 01.09.2008 durch das Landratsamt Hohenlohekreis erfolgte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit bis zum 28.02.2009 ist mangels Bekanntgabe an den Kläger nie wirksam geworden. Soweit der Kläger vorträgt, er müsste so gestellt werden, als ob ihm der Aufenthaltstitel ausgehändigt worden wäre, verkennt er, dass dieser lediglich bis 28.02.2009 gegolten hätte. Die Anträge des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 28.10.2004 und vom 12.02.2008 sind unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 abgelehnt worden. Selbst wenn durch die Anträge – trotz verspäteter Antragstellung – eine Fiktionswirkung (vgl. § 81 Abs. 4 AufenthG 2007, § 81 Abs. 4 AufenthG 2005, § 69 Abs. 3 AuslG 1965 i.d.F. vom 09.01.2002) eingetreten wäre, wäre diese damit jedenfalls beendet gewesen. Abgesehen davon hat das Regierungspräsidium zu Recht ausgeführt, dass Zeiten der Fiktionswirkung nicht dem (tatsächlichen) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gleichgestellt werden können (vgl. ausführlich Bay. VGH, Urteil vom 04.07.2011 - 19 B 10.1631 -juris, m.w.N.), wenn später die Erteilung des Titels unanfechtbar abgelehnt wurde.
24 
3. Die danach einfachgesetzlich zwingende Ausweisung des Klägers ist nicht mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK oder auf höherrangiges Recht wie Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig anzusehen.
25 
a) Auch eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG ist auf ihre Vereinbarkeit mit dem in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens hin zu überprüfen (vgl.VGH Bad.-Württ., Urteile vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 - und vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - juris; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.07.2003 - 1 B 252.02 - Buchholz 140 Art. 8 EMRK Nr. 14). Dies folgt nach Auffassung des Senats aus § 1 Abs. 1 Satz 5 AufenthG (noch mit anderer Begründung: VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 23.10.2002 - 11 S 1410/02 - NVwZ-RR 2003, 304, und vom 14.02.2001 - 13 S 2501/00 - NVwZ-Beil. 2001, 81). Danach bleiben die Regelungen in anderen Gesetzen „unberührt“. Diese „Unberührtheitsklausel“ gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zu den völkervertraglichen Regelungen, die – wie die Europäische Menschenrechtskonvention – durch Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) den Rang eines Bundesgesetzes erhalten haben und nicht nur die Vertragsparteien binden, sondern unmittelbar Rechte und Pflichten der betreffenden Staatsangehörigen begründen können, und zwar selbst wenn diese älter sind und deshalb nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ nicht vorrangig anwendbar wären (ausführlich dazu Fritzsch, VBlBW 2005, 378; GK-AufenthG, Stand: August 2011, § 1 AufenthG Rn. 23. ff.; Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 1 AufenthG Rn. 21).
26 
Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, ist im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung eine umfassende Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Offenbleiben kann daher, ob in diesen Fällen bei einer zwingenden Ausweisung zudem mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG – oder gegebenenfalls Art. 6 GG, welcher hier nicht einschlägig ist – i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen wäre (so OVG NRW, Beschluss vom 25.05.2009 - 18 E 1230/08 - AuAS 2009, 184; HambOVG, Urteil vom 24.03.2009 - 3 Bf 166/04 - InfAuslR 2009, 279), obwohl es sich um eine gebundene Entscheidung handelt und die Tatbestandsmerkmale des § 53 AufenthG – anders etwa als die der §§ 54 und 56 AufenthG – keinen Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Auslegung bieten (insoweit zu Recht kritisch Naumann, DÖV 2011, 96; vgl. zu Regel- und Ermessensausweisungen sowie zu § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG: BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443, und vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275; BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367). Denn insoweit wären dieselben Maßstäbe anzuwenden, die bei der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 EMRK zur Anwendung kommen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007- 2 BvR 535/06 - a.a.O.). In jedem Fall wäre der Ausländerbehörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. Senatsurteil vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O.; Bay.VGH, Beschluss vom 27.09.2010 - 19 ZB 09.715 - juris; vgl. auch Hailbronner, AuslR, Stand: September 2010, vor § 53 AufenthG Rn. 10 ff., m.w.N.; a.A. Thym, DVBl. 2008, 1346, 1351 f.; Huber, AuslR, 2010, § 53 AufenthG Rn. 5).
27 
b) Die Ausweisung des Klägers stellt zwar einen Eingriff in das in Art. 8 Abs. 1 EMRK verbürgte Recht auf Achtung seines Privatlebens dar; dieser ist jedoch gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.
28 
aa) Das Recht auf Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 - [Slivenko] EuGRZ 2005, 560). Über entsprechende Beziehungen verfügt der Kläger. Dies folgt bereits daraus, dass er seit seinem sechsten Lebensjahr und damit inzwischen seit mehr als 18 Jahren und 6 Monaten in Deutschland lebt, davon die meiste Zeit – jedenfalls bis zum 22.10.2004 – im Besitz von Aufenthaltstiteln war, hier zur Schule gegangen ist und den Hauptschulabschluss gemacht hat und zudem in Deutschland seine Mutter, sein älterer Bruder und sein jüngerer – deutscher – Halbbruder sowie seine langjährige Freundin leben. Selbst wenn ihm die Bescheinigungen über eine aufgrund seiner Verlängerungsanträge eingetretene Erlaubnisfiktion zu Unrecht ausgestellt worden und sein Aufenthalt bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr als rechtmäßig anzusehen gewesen wäre, könnte er sich weiter auf Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen. Ein Verständnis dahingehend, dass ein Privatleben, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine „Verwurzelung“ begründet, nur auf der Grundlage eines weiterhin fortdauernden rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt, ist angesichts der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK weder erforderlich noch sinnvoll (Senatsurteil vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -). Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK bei einer bereits erfolgten und weiter bestehenden „Verwurzelung“ immer schon dann nicht mehr eröffnet wäre, wenn es dem Betreffenden in der Folge nicht gelungen ist, im Erwerbsleben Fuß zu fassen und sich eine eigene Existenz zu schaffen oder aber wenn er Straftaten begangen hat. Auch diese Punkte sind vielmehr gegebenenfalls bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung aller Umstände entsprechend zu gewichten. Davon ist das Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid vom 09.03.2010 auch ausgegangen. Zwar wird darin mehrmals eine „nicht abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse“ angeführt und zur Begründung unter anderem auf eine fehlende Berufsausbildung und die Straftaten verwiesen. Diese Argumentation erfolgt jedoch im Rahmen der Ermessensausübung und bei der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Die Frage, ob der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK überhaupt eröffnet ist, wird hingegen ausdrücklich bejaht; die Ausweisung sei als ein Eingriff in das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK anzusehen (S. 11 des Bescheids).
29 
Hingegen ist das in Art. 8 Abs. 1 EMRK ebenfalls geschützte Familienleben hier schon deshalb nicht betroffen, weil der volljährige Kläger bereits vor seiner erneuten Inhaftierung nicht mehr mit seiner Mutter und seinem jüngsten Halbbruder in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat und auch nicht etwa aus besonderen Gründen auf ein Zusammenleben mit seiner Familie und auf deren Beistand angewiesen wäre bzw. seine Brüder oder seine Mutter seine Hilfe und Unterstützung benötigen würden (vgl. zu diesen Anforderungen: Senatsbeschluss des Senats vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - InfAuslR 2009, 178, m.w.N).
30 
bb) Die danach vorzunehmende Abwägung aller Umstände führt zum Ergebnis, dass die Ausweisung des Klägers trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein im Bundesgebiet geführtes Privatleben nach Art. 8 EMRK als gerechtfertigt anzusehen ist – und damit auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG als verhältnismäßig zu beurteilen wäre.
31 
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 - [Trabelsi]) ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien. Danach sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das gegebenenfalls abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
32 
Nach diesen Grundsätzen ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Kläger innerhalb weniger Jahre bereits mehrmals strafbar gemacht hat und dass es sich bei dem in der Nacht vom 10. auf den 11.09.2005 verübten schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und dem am 20.01.2009 begangenen Versuch eines Totschlags um gravierende Straftaten handelt. Bereits mit der Verurteilung wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch das Landgericht Heilbronn vom 15.08.2006 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten war der Regelausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Das Regierungspräsidium sah damals wegen des langjährigen Aufenthalts des Klägers in Deutschland, der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Mutter und seinem deutschen Halbbruder, der vom Kläger geäußerten Reue und vor allem wegen des Berichts der Justizvollzugsanstalt Adelsheim vom 19.01.2007, nach welchem von einer günstigen Sozial und Kriminalprognose auszugehen sei, von einer Ausweisung ab. Es machte dem Kläger in einem Schreiben vom 07.02.2007 aber deutlich, dass eine erneute Straftat zu seiner Ausweisung führen könne. Dies hielt den Kläger ebenso wenig von weiteren Straftaten ab wie die Tatsache, dass die Vollstreckung der Reststrafe mit Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 09.01.2008 lediglich auf Bewährung ausgesetzt worden war. Er machte sich vielmehr nicht nur im Juli 2008 – wenige Monate nach seiner Haftentlassung am 12.02.2008 – wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung strafbar, sondern nur einige Monate später, am 20.01.2009, auch wegen versuchten Totschlags und Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
33 
Schon aus diesen Umständen ist zu folgern, dass im Falle des Klägers von einer sehr hohen Gefahr der Wiederholung schwerer Straftaten auszugehen ist. Dies wird noch verdeutlicht durch die innere Einstellung des Klägers zu Leib und Leben anderer, die er bei den Taten gezeigt hat. Bei der Rücksichtslosigkeit und Brutalität, mit der er vorgegangen ist, sind weitere ähnliche Taten konkret zu befürchten. Zwar war er nach den Feststellungen des Landgerichts Heilbronn im Urteil vom 15.08.2006 bei dem Überfall auf eine Autofirma am 10. bzw. 11.09.2005, bei welchem er und weitere fünf Täter zwei neuwertige Fahrzeuge entwendeten, weder Initiator noch Organisator des Geschehens, sondern wurde „angeworben“. Auch hat er den Wachmann, der den Raub entdeckt hatte und erheblich verletzt worden war, nicht selbst geschlagen. Er hat aber den zuvor gefassten Plan mitgetragen, diesen unter Anwendung erheblicher körperlicher Gewalt „auszuschalten“ und zu fesseln, war dabei zugegen und hat das brutale Vorgehen seiner Mittäter gebilligt sowie ihnen beim Anlegen der Fesseln durch Leuchten mit der Taschenlampe geholfen. Schließlich hat auch er den Wachmann, der gefesselt, schwer verletzt und blutend eine 10 m hohe Böschung hinuntergestoßen worden war, seinem Schicksal überlassen. Dabei hätten er und seine Mittäter zwar darauf vertraut, dass der Tod nicht eintreten würde, weil sie davon ausgegangen seien, dass der Wachmann noch lebend gefunden würde. Sie hätten aber erkannt, dass dieser sich aufgrund seiner wegen der Fesselung eingeschränkten Bewegungs- und Atmungsfähigkeit sowie der Witterungsverhältnisse in Todesgefahr befunden habe. Tatsächlich wurde er erst um 06.30 Uhr in lebensbedrohlichem Zustand gefunden und hat erhebliche physische und psychische Verletzungen erlitten. Bei der am 20.01.2009 begangenen Straftat des versuchten Totschlags ging offenbar die Initiative vom Mitangeklagten Mi.G aus. Nach den Feststellungen im Strafurteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 haben aber sowohl Mi.G als auch der Kläger – jeder mindestens einmal – mit dem vom Kläger mitgeführten Nunchaku mit Wucht auf den Kopf des Geschädigten K. eingeschlagen, so dass dieses in zwei Teile zerriss. Nachdem K. dann mit blutenden Kopfwunden auf dem Boden gelegen hat, haben beide auf ihn eingetreten, bis einer der beiden geäußert habe, man könne ihn nun liegenlassen, weil er „verrecke“. Beim Verlassen des Hauses seien beide davon ausgegangen, dass K. ohne ärztliche Hilfe versterben würde.
34 
Hinzu kommt, dass auch dieser zweite Angriff des Klägers auf Leib und Leben einer Person nicht etwa in einer besonderen Ausnahmesituation oder aufgrund einer gravierenden emotionalen Belastung erfolgte. Der Mittäter Mi.G. war nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 wegen Drogenabhängigkeit vermindert steuerungsfähig und hat sich wegen der außerehelichen Beziehungen seiner Ehefrau zu dem Geschädigten in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Im Falle des Klägers fehlen entsprechende besondere Umstände. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er auf Nachfragen angegeben, er könne sich selbst nicht erklären, wieso er die Tat begangen habe.
35 
Die Wiederholungsgefahr wird zudem durch den Drogenkonsum des Klägers eher noch erhöht. Dabei kann hier offen bleiben, ob von einer Drogenabhängigkeit auszugehen ist. Jedenfalls hat der Kläger seinen eigenen Angaben in den Strafverfahren nach jahrelang regelmäßig Haschisch konsumiert und teilweise auch härtere Drogen. Er hat offensichtlich selbst nach seiner Entlassung auf Bewährung am 12.02.2008 bis zu seiner erneuten Verhaftung weiterhin regelmäßig Drogen genommen.
36 
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass sich an der danach bestehenden hohen Gefahr der Wiederholung gravierender Straftaten etwas geändert haben könnte. Bislang wurden – unter anderem wegen der ausländerrechtlichen Situation – keinerlei therapeutische Maßnahmen durchgeführt. Der Kläger hat zwar eine feste Beziehung mit einer deutschen Staatsangehörigen. Diese besteht aber schon seit vielen Jahren, ohne dass ihn das von der Begehung der Straftaten abgehalten hätte. In der Justizvollzugsanstalt zeigt der Kläger ausweislich der dem Senat vorliegenden Gefangenpersonalakten wohl einige positive Entwicklungen, etwa bei der Arbeit. Gegen ihn mussten aber auch mehrfach Sicherungsmaßnahmen verhängt werden. Eine Urinkontrolle – von mehreren – wurde positiv auf THC getestet. Nach dem Vollzugsplan vom 15.03.2011 wird weiter von einer behandlungsbedürftigen Gewalt- und Suchtproblematik ausgegangen. Aufgrund seiner Anlasstat und der daraus ersichtlichen Persönlichkeitsstörung sei bei ihm eine Sozialtherapie grundsätzlich indiziert und weiterhin erforderlich. Im Hinblick darauf hatte die Justizvollzugsanstalt bei einer anderen Anstalt mit einer Sozialtherapeutischen Abteilung um Aufnahme des Klägers zur Durchführung einer Sozialtherapie gebeten. In den beigefügten Unterlagen wird von der Psychotherapeutin der Justizvollzugsanstalt dargelegt, dass die zutage getretene Gewaltneigung das zentrale Problem sei. Ohne erfolgreiche Sozialtherapie sei zu befürchten, dass der Kläger weitere Gewaltdelikte begehen werde.
37 
Zugunsten des Klägers ist unter anderem zu berücksichtigen, dass er sich seit seinem sechsten Lebensjahr in Deutschland aufhält, hier aufgewachsen ist, trotz offensichtlich problematischer Familienverhältnisse, die die Aufnahme durch eine Pflegefamilie erforderlich machten, den Hauptschulabschluss absolviert und seine Abschlussnote in dem anschließenden Berufsvorbereitungsjahr auf 2,5 verbessert hat. Danach hat er eine Lehre begonnen, welche er allerdings nicht abgeschlossen hat. Er hat eine feste Beziehung zu einer deutschen Staatsangehörigen, mit welcher er nach seiner Haftentlassung zusammenziehen will. Seine Mutter ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, sein älterer Bruder lebt ebenfalls in Deutschland, sein jüngerer Halbbruder ist deutscher Staatsangehörigkeit. Er spricht fließend Deutsch und wohl nur schlecht Englisch. Aktuelle Beziehungen zu seiner Heimat Jamaika hat der Kläger seinen Angaben nach nicht. Seine Großmutter und viele der näheren Verwandten seien in andere Länder ausgereist. In der mündlichen Verhandlung hat er erläutert, dass er nicht wisse, welche Bekannten und welche Verwandten noch in Jamaika lebten.
38 
Trotzdem ist dem Kläger eine Rückkehr nach Jamaika nicht unzumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er fast 25 Jahre alt ist, also grundsätzlich auch ohne die Unterstützung von Bekannten und Verwandten zurechtkommen kann. Dass es für ihn nicht einfach sein wird, sich in Jamaika ein neues Leben aufzubauen, liegt auf der Hand. Abgesehen davon, dass er wohl nicht fließend Englisch spricht, ist die allgemeine wirtschaftliche und politische Situation in Jamaika nicht günstig. Insbesondere ist von einer hohen Kriminalitätsrate auszugehen. Dies belegen die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Hinweise des österreichischen Außenministeriums zu Jamaika vom 31.08.2010 sowie die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts vom 31.08.2010 (ebenso neuere Hinweise, Stand 21.09.2011, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/JamaikaSicherheit.html). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Kriminalitätsrate so hoch bzw. oder die allgemeinen Verhältnisse derart schlecht wären, dass dem Kläger ein Leben in Jamaika nicht zugemutet werden könnte. Schließlich müsste er nicht in die offenbar besonders problematische Hauptstadt Kingston ziehen. In Anbetracht seiner Deutschkenntnisse hat er ohnehin wohl in den Touristenzentren bessere Chancen, Arbeit zu finden. Außerdem könnte er in der Anfangszeit gegebenenfalls durch seine Mutter oder seine Brüder unterstützt werden. Der Senat geht im Übrigen davon aus, dass der Kläger zumindest über ausreichende Grundkenntnisse des Englischen verfügt, die ihm ein Einleben möglich machen und auf die er für einen schnellen Spracherwerb aufbauen kann. Schließlich ist er erst in seinem sechsten Lebensjahr nach Deutschland eingereist und hat bis zu diesem Zeitpunkt nur Englisch gesprochen. Es ist anzunehmen, dass er sich danach zumindest mit seinem älteren Bruder noch einige Zeit weiter in seiner Muttersprache unterhalten hat. Dafür spricht, dass er in der vierten Grundschulklasse wegen Sprachproblemen auf die Förderschule wechseln musste. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung berichtet, dass er ab und zu mit seiner inzwischen in den USA lebenden Großmutter telefoniert habe. Er hat zwar dazu erläutert, dass sein Englisch nicht mehr so gut sei, so dass er teilweise Übersetzungshilfen durch seine Mutter benötigt habe. Danach ist ihm aber die englische Sprache jedenfalls nicht völlig fremd geworden.
39 
Insgesamt ist die Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der angeführten Bindungen in Deutschland und der zu erwartenden Schwierigkeiten in Jamaika wegen der Schwere der begangenen Straftaten und der besonders hohen Wiederholungsgefahr als verhältnismäßig anzusehen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung muss sie nicht etwa im Hinblick auf Art. 8 EMRK sogleich befristet werden.
40 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Ausweisung auch nicht aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff. - Rückführungsrichtlinie) bereits jetzt befristet werden muss (vgl. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Diese Richtlinie ist zwar zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (noch) unmittelbar anwendbar, weil die Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen und das „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ (vgl. Entwurf, BT-Drucks. 17/5470 vom 12.04.2011) noch nicht in Kraft getreten ist. Die Ausweisung selbst stellt jedoch keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie dar (vgl. Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291).
41 
Da die Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG mithin schon allein aufgrund spezialpräventiver Gründe als verhältnismäßig anzusehen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob sie auch selbstständig tragend generalpräventiv begründet werden könnte (vgl. dazu Senatsurteile vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 -AuAS 2011, 136, vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O., und vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -).
II.
42 
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Ausweisung selbst dann als rechtmäßig anzusehen wäre, wenn davon ausgegangen würde, dass Ermessen auszuüben ist. Denn die vom Verwaltungsgericht angeführten Ermessensfehler liegen nicht vor.
43 
Das beklagte Land hat im Rahmen der von ihm angestellten und durch seinen Vertreter in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet.
44 
Zunächst ist nicht ersichtlich, dass – bezogen auf den Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung – ein wesentlicher Umstand nicht berücksichtigt worden wäre. Abgesehen davon sind die Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren noch entsprechend ergänzt bzw. klargestellt worden. Die Tatsache, dass der Kläger fließend Deutsch spricht, ist schon wegen seines Hauptschulabschlusses selbstverständlich und musste im angefochtenen Bescheid nicht explizit erwähnt werden.
45 
Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat auch in den Ausführungen des Regierungspräsidiums im angefochtenen Bescheid zur Frage des Grades der Integration keinen Ermessensfehler zu erkennen. Zwar wird darin dargelegt, dass sich der Kläger „nicht vollständig“ in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe und zur Begründung auf die nicht abgeschlossene Berufsausbildung bzw. den fehlenden festen Arbeitsplatz und die begangenen Straftaten abgestellt. Wie ausgeführt, ist aber zunächst betont worden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK eröffnet ist. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass durchaus von einer Integration in dem Sinne ausgegangen worden ist, dass das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK greift. Dies hat der Vertreter des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung bekräftigt. Die weiteren Erwägungen zur Frage, ob die Integration abgeschlossen ist, erfolgen im Rahmen der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. des Ermessens. In diesem Zusammenhang aber können die angeführten Umstände wie Berufsausbildung, Berufstätigkeit, u.a. selbstverständlich berücksichtigt und die Straftaten als gewichtige Integrationsdefizite gewertet werden.
46 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Gewaltdelikte auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten. Aus den oben zu § 8 Abs. 2 EMRK angeführten Gründen lässt es sich rechtlich nicht beanstanden, dass das Regierungspräsidium das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers höher bewertet hat als sein erhebliches privates Interesse, von einer Ausweisung verschont zu bleiben.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
49 
Beschluss
50 
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Beschluss vom 15. Februar 2011 (12 K 1301/10) – auf 10.000,-- EUR, der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
51 
Gründe
52 
Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruhen auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage war nicht nur auf Aufhebung der unter Ziffer 1 des Bescheids vom 09.03.2010 verfügten Ausweisung gerichtet, sondern auch auf Verpflichtung der in diesem Bescheid ebenfalls erfolgten Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Während es sich bei den ersten beiden Begehren um zwei selbstständige prozessuale Ansprüche handelt, für die jeweils der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (vgl. Ziffern 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327), kommt der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 - InfAuslR 1982, 167). Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ist demnach auf 10.000,-- EUR festzusetzen, der für das Berufungsverfahren, in welchem es nur noch um die Ausweisung ging, auf 5.000,-- EUR.
53 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 3. April 2009 – 10 L 188/09 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1976 geborene Antragsteller, der sich derzeit in Strafhaft befindet, wendet sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und die gleichzeitig von dem Antragsgegner verfügte Ausweisung. Er ist Roma, stammt aus Gjakove im Kosovo, reiste im September 1991 mit den Eltern S und A. sowie mehreren Geschwistern in die Bundesrepublik ein und suchte im Ergebnis erfolglos um seine Anerkennung als Asylberechtigter nach. (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 22.8.1997 – 3 R 114/95 –)

Im September 1996 heiratete er in Mettlach die aus Russland stammende deutsche Staatsangehörige K. (vgl. die Heiratsurkunde des Standesamts in Mettlach vom 13.9.1996, Blatt 38 der Ausländerakte (Band I)) Am 8.2.1997 wurde der gemeinsame Sohn S in Merzig geboren. Im Oktober 1997 wurde dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die anschließend mehrfach, zuletzt bis zum 29.3.2004, verlängert wurde. Seither ist er im Besitz einer so genannten Fiktionsbescheinigung. Inzwischen hat der Antragsteller mit der Ehefrau vier weitere Kinder, und zwar den am 4.5.1998 geborenen Sohn G, die am 15.10.2000 beziehungsweise am 12.11.2004 geborenen Töchter V und M sowie den Sohn K, der am 19.12.2006 geboren wurde.

Seit seiner Einreise ist der Antragsteller wiederholt, zum Teil gravierend strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im August 2003 wurde er vom Amtsgericht in Saarlouis wegen räuberischer Erpressung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung in 6 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. (vgl. AG Saarlouis, Urteil vom 28.8.2003 – 6 Ls 51/03 –, Blätter 243 ff. der Ausländerakte (AA, Band II)) Auf seine Berufung wurde die Freiheitsstrafe auf 2 Jahre reduziert und zur Bewährung ausgesetzt. (vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 2.12.2003 – 6–143/03 –, Blätter 165 ff. AA (Band I)) Sämtliche Taten hat der damals nach eigenen Angaben spielsüchtige Antragsteller nach dem Urteil an einer jungen Frau, L, begangen, mit der er eine „Liebesbeziehung“ unterhielt und die über drei Jahre bei ihm, seiner Ehefrau und seinen Kindern gelebt hat. Unter Einbeziehung dieser Strafe wurde der Antragsteller im Januar 2006 wegen Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt, (vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 25.1.2006 –14(1)–40/05–, Blätter 263 ff. AA (Band II); dazu auch BGH, Beschluss vom 13.6.2006 – 4 StR 176/06 –, Blatt 413 AA (Band III) – Verwerfung der Revision) die er seit August 2006 in der Justizvollzugsanstalt A-Stadt (JVA) verbüßt.

Im April 2008 teilte das Kreisjugendamt in Merzig dem Antragsgegner mit, dass die Ehefrau, die ebenfalls Zuflucht in einem Frauenhaus gesucht hatte, im Oktober 2007 die Scheidung eingereicht habe (vgl. dazu die Mitteilung des Amtsgerichts Merzig – Familiengericht – vom 12.8.2008, worin auf ein dort unter der Geschäftsnummer 27 F 220/07 anhängiges Scheidungs- und Sorgerechtsverfahren hingewiesen wurde (Blatt 367 AA, Band II) und die Ablichtungen aus dieser Akte, Blätter 376 ff. AA, Band III, wonach die Ehefrau die Übertragung des alleinigen Sorgerechts für alle Kinder auf sie beantragt, der Antragsteller der Scheidung zugestimmt, der beantragten Sorgerechtsregelung aber widersprochen hatte) und im Februar 2008 mit den Kindern unbekannt verzogen sei.

In einem Bericht der Leiterin der JVA vom April 2008 heißt es, der Antragsteller sei nicht bereit, sich aufgrund der Spielsucht und seiner „Persönlichkeitsproblematik“ in die sozialtherapeutische Abteilung verlegen zu lassen, mache aber eine Einzeltherapie. Im Jahr 2007 habe er 18 Mal Besuch von der Ehefrau erhalten. Anfang 2008 seien Besuche, Telefonate und Schriftverkehr überwacht worden, da die Ehefrau sich durch den Antragsteller und seine Familie bedroht gefühlt habe. Inzwischen erhalte dieser wieder Besuch von der Ehefrau und auch von seiner Freundin M; zu beiden bestehe auch Briefkontakt. Der Antragsteller wolle nach der Entlassung mit der Freundin zusammen leben und sich um seine Kinder kümmern.

In einem auf einen Hausbesuch bei der Ehefrau und den Kindern in Völklingen Bezug nehmenden Schreiben des Jugendamts des Regionalverbands A-Stadt vom August 2008 heißt es, die Ehefrau habe angegeben, sie habe seit Februar des Jahres in Limburg in einem Frauenhaus gelebt, sei auf Drängen der Kinder mit diesen ins Saarland zurückgekehrt und habe den Scheidungsantrag zurückgenommen. Sie sei bereit, dem Antragsteller eine „letzte Chance“ einzuräumen. Die drei älteren Kinder hätten den Wunsch nach einem Zusammenleben mit dem Vater geäußert. Seine ehemalige Freundin lebe wieder in Polen.

Im Rahmen einer persönlichen Anhörung durch den Antragsgegner am 26.11.2008 erklärte die Ehefrau, eine Abschiebung des Antragstellers sei „sehr schlimm“ für die Kinder, da diese ihren Vater liebten. Sie selbst wolle nach der Haftentlassung wegen der Kinder wieder mit diesem zusammenleben. Ob sie bei ihm bleibe, wolle sie vom Verlauf einer Therapie abhängig machen.

In einem im Rahmen der Strafvollstreckung angefertigten umfangreichen psychologischen Gutachten vom November 2008 (vgl. das Gutachten der Universität des Saarlandes – Neurozentrum –, Institut für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie, Prof. Dr. M. Rösler vom 17.11.2008, Blätter 431 ff. AA (Band III)) heißt es abschließend, dem Antragsteller könne gegenwärtig „weder eine positive noch eine neutrale Prognose attestiert werden“.

Mit Bescheid vom 9.2.2009 lehnte der Beklagte einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers ab, wies diesen unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit aus der Bundesrepublik aus und drohte ihm die Abschiebung in den Kosovo an. In der Begründung heißt es, aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung lägen die Voraussetzungen für eine zwingende Ausweisung vor. Ein besonderer Ausweisungsschutz stehe dem Antragsteller nicht zu. Er lebe seit geraumer Zeit nicht mehr mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Gemeinschaft. Bereits vor der Inhaftierung sei es zum Zerwürfnis mit der Ehefrau gekommen, die vor seiner Gewalttätigkeit mit den Kindern in ein Frauenhaus geflüchtet sei. Dem Scheidungsantrag der Ehefrau habe der Antragsteller zugestimmt und nach Entlassung er mit seiner polnischen Freundin zusammenleben wollen. Dem stehe nicht entgegen, dass der Antragsteller und die Ehefrau zwischenzeitlich einen Sinneswandel durchlaufen und sich ausgesöhnt hätten. Gelegentliche Besuche von Frau und Kindern während der Haft begründeten keinen Ausweisungsschutz. Schon wegen der Haftsituation sei es dem Antragsteller gegenwärtig nicht möglich, die notwendigen familiären Beistandsleistungen zu erbringen. Der Ausweisung stünden auch die Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht entgegen. Selbst gewichtige familiäre Belange setzten sich nicht stets gegenüber den gegen einen weiteren Aufenthalt in Deutschland sprechenden öffentlichen Interessen durch. Eine Aufarbeitung und Zäsur im Verhalten des Antragstellers sei nach den eingeholten Stellungnahmen der JVA und nach dem psychologischen Gutachten nicht festzustellen. Bei dem Antragsteller bestehe eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit auf dem Gebiet von Gewaltstraftaten und ein nicht zu unterschätzendes Risiko weiterer Sexualstraftaten. Nach dem Gutachten lege der Antragsteller egozentrische Verhaltensweisen und eine weitgehende Geringschätzung von Frauen an den Tag und sei es gewohnt, seinen Willen und „Besitzansprüche“ gegenüber seinen Freundinnen rücksichtslos durchzusetzen. Angesichts der verübten Straftaten und anhaltender Gewalttätigkeiten sowohl gegenüber der Ehefrau als auch der Lebensgefährtin, die sich teilweise vor den Augen der Kinder zugetragen hätten, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder genommen habe und dass sein Verbleib in Deutschland für deren Wohl unabdingbar sei. Da mit beträchtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Begehung weiterer, ähnlich gelagerter Straftaten zu rechnen sei, habe das Interesse des Antragstellers an einem Verbleib in Deutschland zur Wiederaufnahme einer familiären Lebensgemeinschaft hinter dem öffentlichen Interesse an einem wirksamen Schutz der Allgemeinheit zurückzustehen. Eine Integration des Antragstellers in Deutschland sei nicht gelungen. Er sei ohne Schul- und Berufsausbildung geblieben, habe seinen Lebensunterhalt überwiegend aus Mitteln der Sozialhilfe bestritten und sei wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, wobei dem Verlauf hinsichtlich Art und Schwere der Straftaten eine Steigerung zu entnehmen sei. Weder die Ehe noch die Geburt der Kinder hätten den Antragsteller von der Begehung der Taten abzuhalten vermocht. Wollte man demgegenüber von einem besonderen Ausweisungsschutz und demgemäß vom Vorliegen eines Falls der Regelausweisung ausgehen, ergäbe sich nichts anderes. Aus den zuvor genannten Gründen könnte nicht von einem derart atypischen Sachverhalt ausgegangen werden, der die Begehung gleich gelagerter Straftaten und somit eine weitere Gefährdung der Allgemeinheit ausschließen würde. Die Legalprognose des ausführlichen psychologischen Gutachtens lasse vielmehr Gegenteiliges erwarten. Die Beeinträchtigung familiärer Belange durch die Aufenthaltsbeendigung gehe nicht über das regelmäßig Übliche hinaus. Es sei vorliegend nicht erkennbar, dass Ehefrau und Kinder mehr als üblich auf den Beistand des Antragstellers angewiesen wären. Aufgrund der von ihm in der Vergangenheit ausgeübten Gewalttätigkeit innerhalb der Familie stehe auch hier zu erwarten, dass das Wohl der Kinder im Falle der Abschiebung des Antragstellers nicht in einem nicht zu verantwortenden Maß beeinträchtigt würde. Die sofortige Vollziehbarkeit sei anzuordnen gewesen, weil die ungünstige Prognose angesichts der Gewaltbereitschaft des Antragstellers befürchten lasse, dass sich die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten nach Haftentlassung vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren bereits realisieren werde. Vor dem familiären Hintergrund werde darauf hingewiesen, dass die Folgen einer Ausweisung auf Antrag des Ausländers regelmäßig befristet würden.

Zur Begründung des Antrags auf Aussetzung hat der Antragsteller auf seinen langjährigen Aufenthalt in Deutschland verwiesen und geltend gemacht, er habe keinerlei Bezug mehr zu seinem Herkunftsland. Fast alle Verwandten lebten in Deutschland. Das Haus der Familie im Kosovo sei zerstört worden. Aussicht, dort eine Arbeit zu finden, habe er als Rom nicht. Die Roma vegetierten im Kosovo unter lebensunwürdigen Verhältnissen in Slums. Mit seiner Familie habe er auch in der Haft Kontakt, wie häufige Besuche und Telefonate zeigten. Bei den Besuchen bespreche er mit seiner Frau Erziehungsfragen und gebe den Kindern emotionalen Beistand. Es sei weiter vom Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft und deswegen von einem besonderen Ausweisungsschutz auszugehen. Ferner nehme er in der JVA regelmäßig an einer Therapie teil. Die familiäre Verbundenheit rechtfertige die Annahme eines Ausnahmefalls. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass nach der Abschiebung die fünf deutschen Kinder ohne Vater wären. Er hänge sehr an den Kindern und das sei auch umgekehrt der Fall. Nach dem Bericht des Jugendamts stritten sich insbesondere die Tochter V. und der Sohn G. darum, wer den Papa im Gefängnis besuchen dürfe. Die drei älteren Kinder hätten den Wunsch geäußert, wieder mit ihm zusammen leben zu können. Das belege, dass er sich auch zuvor um seine Kinder gekümmert habe. Die Ehefrau sei „äußerst labil“ und ändere ständig ihre Meinung. Ihr Verhalten sei allenfalls schwer einzuschätzen. Nachdem die nach eigenen Angaben therapiebedürftige Ehefrau den Scheidungsantrag zurückgenommen habe, sei es für ihn – den Antragsteller – klar gewesen, dass er zum Wohle der Kinder wieder mit ihr zusammenleben wolle. Da er mehr als die Hälfte seines Lebens in Deutschland verbracht habe, sei er ein „de-facto-Inländer“. Dabei seien die Gründe für das Fehlen eines Schul- und Ausbildungsabschlusses zu berücksichtigen, insbesondere, dass er mit 14 Jahren aus dem Kosovo habe fliehen müssen. Im Übrigen sei bei der Ausweisung vom Antragsgegner der Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigen. Auch wenn er Deutschland nur kurz verlassen müsse, verliere er unabhängig von einer möglichen Befristung von Ausweisungsfolgen unwiederbringlich die für sein Privatleben konstitutiven Beziehungen. Seine Ausweisung sei vor dem Hintergrund unverhältnismäßig. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit lasse es nicht zu, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung und der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten zu bestimmen. Dabei und bei den gegenüber Ehefrau und Lebensgefährtin verübten Gewalttätigkeiten handele es sich „letztlich lediglich um einen Teilaspekt“ in seinem Leben und in der Beziehung zu seinen Kindern.

Das Verwaltungsgericht hat das Aussetzungsbegehren zurückgewiesen. In den Gründen ist ausgeführt, der Bescheid des Antragsgegners sei offensichtlich rechtmäßig. Der Antragsteller erfülle die Voraussetzungen für eine zwingende Ausweisung. Selbst wenn man einen vom Antragsgegner ergänzend berücksichtigten besonderen Ausweisungsschutz unterstelle, sei die Ausweisung des Antragstellers gerechtfertigt. Auch bei der Regelausweisung solle im Normalfall die Ausweisung unter Inkaufnahme der damit regelmäßig verbundenen Härten erfolgen. Insoweit rechtfertigten weder die Rücknahme des Scheidungsantrags durch die Ehefrau noch die regelmäßigen Besuche von Frau und Kindern in der JVA die Annahme eines atypischen Sachverhalts. Den Belangen des Familienschutzes könne nach den Vorgaben des Gesetzgebers in diesen Fällen nur durch eine angemessene Befristung der Ausweisung Rechnung getragen werden. Anhaltspunkte dafür, dass Frau und Kinder des Antragstellers in besonderer Weise auf den erzieherischen und emotionalen Beistand des Antragstellers angewiesen wären, seien nicht zu erkennen und ließen sich auch dem Bericht des Jugendamts nicht entnehmen, zumal sich seine Straftaten großteils im familiären Bereich abgespielt hätten und ersichtlich auch einen wesentlichen Grund für die Therapiebedürftigkeit der Ehefrau darstellten. Die Kinder stellten sich ein künftig gewaltfreies Zusammenleben vor. Angesichts der strafrechtlich relevanten Übergriffe im familiären Bereich und der nicht therapierten beziehungsweise nicht austherapierten Gewalt- und Spielsuchtproblematik des Antragstellers, der von seiner Ehefrau die Bildung finanzieller Rücklagen für die Zeit nach seiner Entlassung gefordert habe, sei darauf zu schließen, dass er sich durch die Einflussnahme auf die Ehefrau aus der Haft heraus zweckgerichtet verhalte, um den ausländerrechtlichen Folgen seiner Taten zu entgehen. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Nach der letztgenannten Bestimmung sei im Einzelfall zu prüfen, ob die Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, das heißt durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und insbesondere verhältnismäßig sei. Davon sei bei Berücksichtigung der Gesamtumstände, insbesondere der hohen Rückfallwahrscheinlichkeit hinsichtlich Gewalt- und Sexualstraftaten gerade im häuslichen Bereich gegenüber der Ehefrau hier auszugehen. Aus den Stellungnahmen der JVA und aus dem psychologischen Gutachten vom November 2008 ergebe sich, dass der Antragsteller sich nicht scheue, Nebenfrauen in das familiäre Leben einzubeziehen, und dazu neige, gegenüber Ehefrau und Freundinnen Besitzansprüche in brutaler Weise geltend zu machen und durchzusetzen. Eine Zäsur in seinem Verhaltensmuster sei über den zögerlichen Beginn einer einzeltherapeutischen Maßnahme hinsichtlich seiner Spielsucht während der Strafhaft nicht erkennbar. Bezogen auf die geltend gemachte „Entwurzelung“ bei Rückkehr in den Kosovo habe der Antragsgegner zutreffend darauf hingewiesen, dass es dem Antragsteller trotz langjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht gelungen sei, sich hier zu integrieren. Insgesamt erscheine die Ausweisung auch bei Berücksichtigung des Kindeswohls gerechtfertigt. Bei der Abschiebungsandrohung solle der vorgesehene Zielstaat der Abschiebung angegeben werden. Ob der Ausländer dessen Staatsangehörigkeit besitze oder gar staatenlos sei, sei unerheblich.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der nun insbesondere geltend macht, die „äußerst labile“ und ständig ihre Meinung und ihr Verhalten ändernde Ehefrau habe ihm am 10.3.2009 bei einem Besuch in der Haftanstalt mitgeteilt, dass sie einen anderen Mann kennen gelernt und erneut einen Scheidungsantrag gestellt habe. Dieser Mann sei inzwischen aber vor seiner Ehefrau „geflüchtet“. Außerdem habe er in Erfahrung gebracht, dass diese den ältesten Sohn S aus Anlass von Fahrten nach Mettlach und München, dort zu einem Mann, mit dem sie inzwischen intime Beziehungen eingeräumt habe, beim Bruder des Antragstellers und dessen Frau „regelrecht deponiert“ habe, dass sie diesen Sohn aus Anlass von ihm geäußerter Kritik an ihrem Lebensstil „gewürgt“ habe, woraufhin er vom Jugendamt in einer Wohngruppe des ...heims untergebracht worden sei, und dass eine Unterbringung in einem Heim oder einem „Internat“ seitens der Ehefrau mündlich auch für die anderen Kinder angekündigt worden sei.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 3.4.2009 – 10 L 188/09 – muss erfolglos bleiben. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Wiederherstellung beziehungsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung der anhängigen Klage gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 9.2.2009 zu Recht nicht entsprochen. Mit der Verfügung wurde ein Antrag des Antragstellers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, dieser mit sofortiger Wirkung aus der Bundesrepublik ausgewiesen und ihm die Abschiebung aus der gegenwärtig verbüßten Strafhaft heraus in den Kosovo angedroht. Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Beschluss zutreffend herausgestellt, dass diese Verwaltungsentscheidungen hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit keinen durchgreifenden Bedenken unterliegen und dass daher die hiergegen gerichteten Rechtsbehelfe des Antragstellers aller Voraussicht nach erfolglos bleiben werden. Es hat zu Recht und in der Sache ohne weiteres nachzuvollziehen entschieden, dass selbst für den Fall, dass man dem aufgrund seiner erheblichen Kriminalität, von der ihn in der Vergangenheit auch die Ehe und die Geburt seiner fünf Kinder nicht abbringen konnten, (Der Antragsteller wurde verurteilt wegen versuchter Nötigung (2000, Amtsgericht Merzig), wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz (2003, Amtsgericht Merzig), wegen mehrfacher räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung (2003, Amtsgericht Saarlouis, Landgericht Saarbrücken), wegen Zuwiderhandlung gegen das Gewaltschutzgesetz (2004, Amtsgericht Saarlouis), wegen Vergewaltigung (2006, Landgericht Saarbrücken).) die Voraussetzungen für eine zwingende Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllenden Antragsteller einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zuerkennt, die Entscheidung des Antragsgegners den sich in dem Fall aus § 54 AufenthG ergebenden rechtlichen Vorgaben an seine Ausweisung genügt und dass diese Entscheidung angesichts und in Würdigung der Gesamtumstände, insbesondere bei Berücksichtigung des Wohles der genannten Kinder auch den sich insoweit aus höherrangigem Recht (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK) ergebenden Anforderungen entspricht.

Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den gerichtlichen Prüfungsumfang abschließend bestimmende, durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen des Bruders V und der Schwägerin M A. vom 1.6.2009 bekräftigte Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 14.5.2009 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

Der Sachvortrag bezieht sich auf die psychische Situation der Ehefrau, die als „äußerst labil“ beschrieben wird und die deswegen ständig ihr Verhalten wechsele, eine sich daraus ergebende “äußerst angespannte Beziehung der Ehefrau zu ihren Kindern“, die ihm – dem Antragsteller – Veranlassung gebe, das alleinige Sorgerecht zu beantragen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Kinder „auf seinen Beistand angewiesen“ seien, was die Annahme eines Ausnahmefalles im Rahmen der Vorschriften über die Regelausweisung gebiete und die Ausweisung unverhältnismäßig im Verständnis der Art. 6 GG, Art. 8 EMRK mache. Den deutschstämmigen Kindern sei es keineswegs zuzumuten, ihren Vater „in die Ungewissheit des Kosovo zu begleiten“.

Dieses Vorbringen ist schon in der Sache wenig überzeugend und rechtfertigt im Ergebnis keine abweichende rechtliche Bewertung der Entscheidung des Antragsgegners und damit der Erfolgsaussichten seines Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Dabei soll hier nicht darauf eingegangen werden, inwieweit eine gewisse „Labilität“ und in „Verhaltenswechseln“ zum Ausdruck kommende Unsicherheiten der Ehefrau angesichts eines nach eigenen Angaben ganz vordringlich (nur) wegen der Kinder ins Auge gefassten erneuten künftigen Zusammenlebens mit dem Antragsteller wegen seiner in den Akten dokumentierten Gewalttätigkeiten, die sich – einschließlich der Vergewaltigung seiner damaligen „Freundin“ L – ganz überwiegend in der gemeinsamen Wohnung abgespielt haben, und des im psychologischen Gutachten von Dr. Rösler herausgestellten, diesen Ereignissen zugrunde liegenden „Verhaltensmusters“ nicht ohne weiteres nachzuvollziehen wäre. (vgl. hierzu die Feststellung auf Seite 18 des Gutachtens von Prof. Dr. Rösler vom 17.11.2008 – 2 StVK 621/08 –, Blätter 431 ff., 448 der AA, wonach das „zaudernde Verhalten der Ehefrau“ beim Betreiben der Scheidung den Verdacht begründe, dass sie Angst vor dem Antragsteller habe)

Die Glaubhaftigkeit der Geltendmachung erheblicher „Labilität“ der Ehefrau unterliegt schon deswegen erheblichen Zweifeln, wenn der Antragsteller in dem Zusammenhang zum Beleg darauf verweist, dass er die Ehefrau 1996 letztlich auf Druck seiner Eltern und der Schwiegereltern nur geheiratet habe, weil er von dieser dazu „genötigt“ worden sei. Sie habe angekündigt sich andernfalls „in der Saar zu ertränken“. Demgegenüber hatte der Antragsteller im Rahmen der Exploration durch den Gutachter Anfang Oktober 2008 zu persönlichen Bindungen unter anderem ausgeführt, die Ehefrau („“) sei für ihn „die Frau seines Lebens“ und er sei „super glücklich“ gewesen, als sie geheiratet hätten, zusammengezogen seien und als das erste Kind geboren worden sei. (vgl. hierzu im Einzelnen die Ausführungen auf Seite 4 des Gutachtens von Prof. Dr. Rösler vom 17.11.2008 – 2 StVK 621/08 –, Blätter 431 ff., 434 der AA) Dass er mit der „Nancy“, die damals noch jung gewesen sei und die er auf der Kirmes kennen gelernt habe, zusammen gekommen sei, sei nicht gewollt gewesen, da er ja seinerzeit schon zwei Kinder gehabt habe und „glücklich verheiratet“ gewesen sei. Dies belegt eindeutig, dass der Antragsteller bemüht ist, seine Sachdarstellung zumindest in diesem Punkt der jeweiligen Situation „anzupassen“, um die Voraussetzungen für eine aus seiner Sicht möglichst günstige Beurteilung zu schaffen.

Darüber hinaus ist nach dem erwähnten Gutachten im Falle seiner Entlassung aus der Haft aufgrund einer „Nähe zu dem Bild einer antisozialen Persönlichkeitsstörung“ von einer „ernst zu nehmenden Gefahr weiterer Gewaltstraftaten“ (vgl. hierzu im Einzelnen die Ausführungen auf Seiten 8/9 des Gutachtens von Prof. Dr. Rösler vom 17.11.2008 – 2 StVK 621/08 –, Blätter 431 ff., 438/439 der AA unter Hinweis auf das für diese Prognose zugrunde gelegte Verfahren HCR20) und von der „nicht zu unterschätzenden Gefahr weiterer Sexualstraftaten“ auszugehen. (vgl. hierzu im Einzelnen die Ausführungen auf Seiten 9/10 des Gutachtens von Prof. Dr. Rösler vom 17.11.2008 – 2 StVK 621/08 –, Blätter 431 ff., 439/440 der AA, unter Hinweis auf das für diese Prognose zugrunde gelegte Verfahren SVR-20 (Sexual Violence Risk 20)) Aufgrund einer narzisstischen Komponente seines Verhaltens werde er schnell ungeduldig und könne nur schwer verstehen, wenn sich der Lauf der Dinge für ihn „nicht wunschgemäß“ entwickle. Besitzansprüche gegenüber seinen Freundinnen und Geldforderungen habe er „mit rücksichtsloser Gewalt durchzusetzen“ versucht. Aufgrund geringer taktischer und kreativer Fähigkeiten neige er dazu, „mehr oder weniger Nachdruck und am Ende reine Gewalt zum Einsatz zu bringen“, um seinen Vorstellungen gerecht zu werden. Im Kontakt mit Schwächeren – dazu gehören im Verhältnis zu Erwachsenen beispielsweise Kinder – würden seine Reaktionen „zusätzlich zugespitzt“, wobei sein negatives Frauenbild eine noch zusätzlich verschärfende Rolle spiele. Bei der vom Antragsteller als Grund für seine Taten angeführten „Spielleidenschaft“ könne man nicht von einer krankhaften seelischen Störung reden, da sich der Antragsteller „stets bei der Beschaffung von Geld so verhielt, als stehe ihm das zu, was er verlangte“. Das Bestreben, seinen Willen – koste es, was es wolle – durchzusetzen, bildet nach den Feststellungen des Gutachters „einen Grundzug der Persönlichkeit“ des Antragstellers. Nach eigener Angabe habe er die Frau schlagen müssen, wenn diese ihm zu vehement Vorwürfe gemacht habe. Das „angepasste“ Verhalten des Antragstellers in der Haft sei „deutlich mit vollzugstaktischen Bestrebungen, die keine kriminoresistenten, sondern eher kriminogene Valenzen besitzen“, vermischt. Das führt dann zu der abschließenden, nach dem Gesagten ohne weiteres schlüssigen Feststellung des Gutachters, dass dem Antragsteller „weder eine positive noch eine neutrale Prognose“, im Klartext also, weil sonst nichts bleibt, nur eine negative Prognose für ein Verhalten nach der Haftentlassung attestiert werden könne.

Mit Blick auf die damit „greifbaren“ ganz erheblichen öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung und angesichts der auch vom Verwaltungsgericht angesprochenen Tendenz des Antragstellers, dem Drang nach derart gewalttätigen Verhaltensweisen gerade und insbesondere im familiären Umfeld nachzugeben, spricht auch der nunmehrige Vortrag, im Ergebnis falle die Ehefrau und Mutter seiner Kinder als Erziehungsbeistand aus, so dass er diese Funktion selbst übernehmen müsse und wolle, nicht durchgreifend dafür, dass der Antragsgegner im Rahmen des § 54 AufenthG einen Ausnahmefall hätte annehmen und von einer Ausweisung absehen müssen. Bei der notwendigen Gesamtschau kann die Maßnahme auch mit Blick auf Art. 6 GG und insbesondere Art. 8 EMRK entgegen der Ansicht des Antragstellers auch nicht als „unverhältnismäßig“ angesehen werden.

Da dies in der Beschwerde nicht thematisiert wird, bedarf es mit Blick auf § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vorliegend keines (erneuten) Eingehens auf die sonstigen im Zusammenhang mit der Gewährleistung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) früher vom Antragsteller, der sich für einen „de-facto-Inländer“ hält, eingewandten Umstände des Falles. Soweit mit Blick auf Art. 8 EMRK in der Rechtsprechung selbst für die Fälle des Vorliegens schwerster strafrechtlicher Verfehlungen im Sinne des § 53 AufenthG ein Erfordernis gesonderter Prüfung der Verhältnismäßigkeit angenommen wird, ergibt hier nichts anderes. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kommt eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines im Kindesalter eingereisten und in Deutschland aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter „faktischer Inländer“ allenfalls dann in Betracht, wenn von seiner abgeschlossenen „gelungenen“ Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, ausgegangen werden kann, wobei es nicht ausreichend ist, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat. Von einer solchen „gelungenen“ Integration kann hier in keiner Beziehung gesprochen werden. Eine Aufenthaltsbeendigung kann nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das „Privatleben“ im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum „Aufnahmestaat“ verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem Inländer“ geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann. Das ist hier auch bei Berücksichtigung der Bindungen in Deutschland nicht der Fall. Der Antragsteller, dessen Haupteinnahmequellen in der Vergangenheit Sozialhilfeleistungen und gegenüber der Freundin „Nancy“ verübte räuberische Erpressungen waren, ist bisher unstreitig weder wirtschaftlich noch – wie die gravierenden zu seiner Ausweisung Anlass gebenden strafrechtlichen Verfehlungen belegen – sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert.

Das zuvor Gesagte gilt uneingeschränkt auch hinsichtlich der nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sofort vollziehbaren Ablehnung der Erteilung/Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

Aus den genannten Gründen ist die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu bestätigen und die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 2, 47 GKG 2004, wobei eine Halbierung der Auffangstreitwerte gerechtfertigt erscheint.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 28. September 2010 – 10 K 923/09 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger, wurde 1970 in Tiko in Kamerun geboren und ist nach eigenen Angaben im August 1993 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Im März 1998 wurde sein Asylantrag, bei dem er angegeben hatte, erst einen Monat zuvor eingereist zu sein, als offensichtlich unbegründet abgelehnt.(vgl. den Bescheid des  Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26.3.1998 – 2318862-232 –, und den einen Aussetzungsantrag des Klägers ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Gera vom 15.4.1998 – 4 E 20400/98 GE) Ein vom Kläger eingeleitetes Klageverfahren wurde nicht betrieben und eingestellt.(vgl. Verwaltungsgericht Gera, Beschluss vom 27.7.1998 – 4 K 20399/98 GE –)

Im April 1998 erklärte der Kläger gegenüber dem Jugendamt in A-Stadt, er sei der Vater des im August 1996 geborenen deutschen Kindes B.(vgl. die Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft vom 8.4.1998 und die Zustimmungserklärung der Mutter vom selben Tag) Mit der Mutter des Kindes, C, lebte der Kläger in der Folge in eheähnlicher Gemeinschaft zusammen.

Nachdem der Aufenthalt des Klägers bis dahin lediglich geduldet worden war, wurde ihm im Januar 2000 eine Arbeitserlaubnis und im Januar 2001 eine Aufenthaltsbefugnis erteilt, die später mehrfach, zuletzt als Aufenthaltserlaubnis bis Januar 2008 verlängert wurde.

Im Oktober 2001 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung verurteilt.(vgl. AG Saarbrücken, Urteil vom 29.10.2001 – 35-430/01 –)

Im Januar 2003 wurde die Tochter D geboren. Im September 2005 beantragte Frau C beim zuständigen Jugendamt Unterhaltsvorschussleistungen und teilte mit, dass sie von dem Kläger getrennt lebe, seinen Aufenthaltsort nicht kenne und dass dieser für die Tochter keinen Unterhalt leiste.

Im April 2006 wurde der Kläger wegen Handels mit und Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 11 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wurde wieder zur Bewährung ausgesetzt.(vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 11.4.2006 – 5-4/06 –)

Nachdem der Kläger im Mai 2007, während der Bewährungsfrist, den Sohn B mit einem Holzkochlöffel verprügelt hatte, so dass dieser wegen der dabei erlittenen Verletzungen, unter anderem einer Platzwunde am Kopf und Hämatomen am Oberkörper, ärztlich versorgt werden musste, wurde er im Februar 2008 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wurde erneut zur Bewährung ausgesetzt.(vgl. AG Saarbrücken, Urteil vom 18.2.2008 – 117 Ls 22 Js 923/07 (1/08))

Im April 2008 erklärte Frau C gegenüber dem Beklagten, sie lebe seit April 2005 nicht mehr mit dem Kläger zusammen. Dieser habe seither nur noch sporadisch Kontakt mit den Kindern. Seit dem Übergriff gegen den Sohn B gebe es „fast keine Kontakte“ mehr.

Im Februar 2009 wurde der Kläger wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen in 19 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit der Einfuhr unter Einbeziehung der Verurteilung vom Februar 2008 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten und zusätzlich wegen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen in 5 Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verurteilt.(vgl. LG Saarbrücken vom 4.2.2009 – 4 Kls 69/08 –)

Im Mai 2009 wies der Beklagte den Kläger dauerhaft aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm eine gegebenenfalls erforderliche Abschiebung an.(vgl. den Bescheid des Beklagten vom 12.5.2009 – 2.4.3 – Bgh. – 89.898 –) In der Begründung wurde auf seine die Voraussetzungen des § 53 AufenthG erfüllenden strafrechtlichen Verurteilungen verwiesen. Besonderen Ausweisungsschutz genieße der Kläger nicht, da er bereits 2005 seine Familie verlassen habe und von ihr getrennt lebe. Seither gebe es nur noch sporadische Kontakte zu den Kindern. Während des mittlerweile 16 Jahre dauernden Aufenthalts in Deutschland sei dem Kläger, der von Sozialleistungen lebe, eine wirtschaftliche oder soziale Integration nicht gelungen. Da sich auch aus Art. 8 EMRK nichts anderes ergebe, könne mit Blick auf die Ausweisung hier nicht von einem „besonders gelagerten Ausnahmefall“ ausgegangen werden. Unter generalpräventiven Gesichtspunkten sei der dem Bereich der Rauschgiftkriminalität zuzuordnende besondere Charakter der begangenen Straftaten zu berücksichtigen.

Der dagegen erhobene Widerspruch des Klägers wurde im August 2009 vom Beklagten zurückgewiesen.(vgl. den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 7.8.2009 – 98.898 –) Auf diese ausführlich begründete Entscheidung wird Bezug genommen.

Zur Begründung seiner im September 2009 erhobenen Klage hat der Kläger einen Verstoß gegen die Art. 6 GG und 8 EMRK gerügt und geltend gemacht, er lebe seit 1993 in Deutschland und habe auch nach der Trennung von der Lebensgefährtin im Jahre 2005 nicht nur sporadische Kontakte zu seinen beiden Kindern. Solange er auf freiem Fuß gewesen sei, habe er vielmehr ein „sehr inniges und liebevolles Verhältnis“ zu diesen gepflegt. Er habe seine Kinder regelmäßig besucht und auch beaufsichtigt, wenn die Mutter, zu der er nach wie vor einen guten Kontakt habe und die keine Verwandten mehr besitze, nicht zu Hause gewesen sei. Durch gemeinsame „Interaktionen“, unter anderem einen Aufenthalt von zweieinhalb Monaten mit dem Sohn in der Heimat Nigeria habe er wesentlich zur Erziehung der Kinder beigetragen. Der Sohn habe auch nach der Misshandlung durch ihn – den Kläger – die Beziehung nicht abgebrochen, ihm vielmehr die Tat verziehen. Eine Lebensgemeinschaft mit den Kindern könne nur in Deutschland geführt werden und werde durch seine Ausweisung vereitelt. Für seine Kinder sei er als Vater nicht zu ersetzen. Das habe der Beklagte verkannt. Die Kinder liebten ihn so sehr, dass die Mutter es nicht übers Herz gebracht habe, ihnen zu sagen, dass er sich in Haft befinde. Bereits vor seiner Inhaftierung habe er in Frau E eine neue deutsche Lebensgefährtin gefunden, die er nach seiner Entlassung heiraten wolle. Er werde also über einen „gefestigten familiären Halt“ verfügen, so dass keine weiteren Straftaten zu erwarten seien. Aufgrund der Haft habe er viel über seinen früheren Lebenswandel nachgedacht und sich davon „deutlich distanziert“. Er wolle sich einer Drogentherapie unterziehen, so dass die „Chance einer positiven Sozialprognose durchaus möglich“ sei. Das wolle der Beklagte aber offensichtlich nicht abwarten. Er wünsche sich nichts sehnlicher, als seine Kinder auf deren weiterem Werdegang zu begleiten. Nach der Haftentlassung wolle er sich diesen wieder „angemessen widmen“.

In der mündlichen Verhandlung im September 2010 vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger beantragt, seine beiden Kinder und deren Mutter, die frühere Lebensgefährtin, als Zeugen für seine Behauptung zu vernehmen, dass zwischen ihm und den Kindern eine enge persönliche Verbundenheit bestehe und beide Kinder zu ihrem Wohl auf die Aufrechterhaltung dieser Verbundenheit angewiesen seien. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag förmlich zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass es sich zum einen wegen Fehlens konkreter Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Behauptung um einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag handele und dass zum anderen die vom Kläger behauptete enge Verbundenheit mit seinen Kindern als wahr unterstellt werden könne, weil diese der Ausweisung nicht entgegenstehe. Ebenfalls als auf eine unzulässige Beweisermittlung gerichtet zurückgewiesen wurde ferner ein Antrag des Klägers auf Einholung eines „fachärztlichen Gutachtens“ zum Beweis, dass von ihm keine Gefahr weiterer Straftaten ausgehe. Die Beurteilung einer Wiederholungsgefahr sei der zuständigen Ausländerbehörde beziehungsweise den Gerichten überantwortet. Der Einholung von Sachverständigengutachten bedürfe es in dem Zusammenhang grundsätzlich nicht.

Anschließend hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es, die Ausweisung des Klägers sei rechtmäßig. Er erfülle mit Blick auf die strafrechtlichen Verurteilungen die Voraussetzungen des § 53 AufenthG und genieße keinen besonderen Ausweisungsschutz. Das gelte sowohl für eine beabsichtigte Heirat mit einer Deutschen nach der Entlassung als auch im Hinblick auf die beiden deutschen Kinder. Mit diesen lebe er nach der Trennung von ihrer Mutter im Jahr 2005 nicht mehr in familiärer Lebensgemeinschaft. Zwar sei insoweit nicht zwingend eine häusliche Gemeinschaft erforderlich. Fehle diese aber, so bedürfe es besonderer Anhaltspunkte in Form etwa intensiver Kontakte oder einer Übernahme eines erheblichen Anteils an Betreuung und Erziehung der Kinder oder sonstiger vergleichbarer Beistandsleistungen, um gleichwohl eine familiäre Lebensgemeinschaft von Kindern mit dem nichtehelichen Vater annehmen zu können. Dies sei weder im Zeitpunkt der Ausweisung noch gegenwärtig festzustellen. Letzteres ergebe sich bereits aus dem Umstand der Inhaftierung des Klägers. Auch wenn man auf die Zeit vor der Inhaftierung abstellen wollte, sei nicht zuletzt mit Blick auf die Misshandlung des Sohnes zumindest zweifelhaft, dass zwischen dem Kläger und seinen Kindern eine über die bloße Begegnungsgemeinschaft hinausgehende Verbundenheit bestanden habe. Selbst bei der Bejahung eines besonderen Ausweisungsschutzes auf dieser Grundlage bestünden keine durchgreifenden Bedenken gegen die Ausweisung des Klägers. Die in diesem Fall einer dann zulässigen Regelausweisung entgegenstehende Ausnahmesituation liege nicht vor. Vielmehr ergäben sich schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bereits aus der erheblichen Wiederholungsgefahr bei dem mehrfach gravierend wegen Betäubungsmitteldelikten strafrechtlich in Erscheinung getretenen Kläger. Der regelmäßig mit hoher krimineller Energie verbundene Rauschgifthandel sei typischerweise mit hohem Rückfallrisiko verknüpft. Dieses entfalle nicht wegen der Wirkungen seiner Inhaftierung, zumal der Kläger bereits von November 2005 bis April 2006 in Untersuchungshaft gewesen sei, ohne dass dies eine Änderung des Verhaltens bewirkt habe. Das gelte auch für die mehrfachen Verurteilungen, teilweise wegen Taten innerhalb der Bewährungszeit. Auch sein familiäres Umfeld habe den Kläger damals nicht von der Begehung der Taten abhalten können. Hinreichende von der aufenthaltsrechtlichen Regelung nicht abgedeckte Belange des Klägers im Sinne der Art. 6 GG und 8 EMRK, die unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles die Annahme eines Ausnahmefalls geböten, lägen nicht vor. Zwar dränge Art. 6 GG in Fällen, in denen eine nur in Deutschland zu verwirklichende Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind bestehe, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück, zumal der spezifische Erziehungsbeitrag eines Vaters nicht durch Beistandsleistungen der Mutter oder Dritter entbehrlich gemacht werden könne. Solche gewichtigen familiären Belange setzten sich indes gegenüber den öffentlichen Interessen an der Ausweisung des Ausländers nicht zwangsläufig durch. Eine über den Regelfall hinausgehende besondere Schutzwürdigkeit der Beziehung des Klägers zu seinen beiden deutschen Kindern sei nach den Fallumständen nicht anzunehmen. Der Kläger lebe seit 2005 nicht mehr mit diesen zusammen und habe jedenfalls seit der erneuten Inhaftierung im März 2008 nur noch brieflichen und telefonischen Kontakt. Von einer besonderen Verbundenheit mit den Kindern könne daher nicht die Rede sein. Zwar würden künftige Kontakte durch die Aufenthaltsbeendigung deutlich erschwert. Allerdings müssten die Kinder schon wegen der von ihm zu verantwortenden Inhaftierung des Klägers langjährig ohne diesen auskommen. Von daher stelle seine Ausweisung keine derart schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls dar, die Veranlassung geben könnte, eine vom Regelfall eines vergleichbaren Straftäters abweichende Ausnahmekonstellation anzunehmen. Die Ausweisung sei auch am Maßstab des Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Von einer gelungenen sozialen Integration des Klägers in Deutschland könne keine Rede sein. Er verfüge zudem weder über einen Arbeitsplatz noch über ausreichende Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dem Kläger sei auch ein Leben in Nigeria zuzumuten. Er sei 1993 als Erwachsener nach Deutschland gekommen und habe den Großteil seines Lebens, insbesondere die prägenden Jahre seiner Kindheit und Jugend, im Heimatland verbracht. Selbst wenn die Art. 6 GG und 8 EMRK die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigen könnten, erwiese sich die Ausweisung des Klägers zumindest nicht als ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe seine familiäre und persönliche Situation im Rahmen einer hilfsweise vorgenommenen Einzelfallbeurteilung ausreichend gewürdigt. Dass er das öffentliche Interesse an der Vermeidung weiterer schwerer Rauschgiftstraftaten höher gewichtet habe, entspreche eindeutig ordnungsgemäßer Ermessensausübung.

Der Kläger begehrt die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil.

II.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung (§§ 124a Abs. 4, 124 Abs. 1 VwGO) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28.9.2010 – 10 K 923/09 – muss erfolglos bleiben. Der nach § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO den gerichtlichen Prüfungsumfang bestimmenden Antragsbegründung kann das Vorliegen eines der in § 124 Abs. 2 VwGO abschließend aufgeführten Zulassungsgründe nicht entnommen werden.

1. Das gilt zunächst, soweit sich der Kläger unter Bezugnahme auf den § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO gegen die förmliche Zurückweisung (§ 86 Abs. 2 VwGO) der beiden von ihm in der mündlichen Verhandlung am 28.9.2010 gestellten Beweisanträge wendet.

a. Insoweit macht der Kläger zu Unrecht geltend, das Verwaltungsgericht sei verpflichtet gewesen, entsprechend seinem Beweisantrag die beiden Kinder B und D sowie deren Mutter B zum Bestehen und der Qualität einer persönlichen Verbundenheit mit ihm als Zeugen zu vernehmen. Die Ablehnung dieses Beweisantrags ist entgegen der Ansicht des Klägers verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Hierin liegt weder ein prozessrechtlich zu beanstandender Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) beziehungsweise eine Verletzung des dem Kläger zustehenden Prozessgrundrechts auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG). Letzteres gewährleistet nicht, dass die angegriffene Entscheidung in jeder Hinsicht frei von materiellen Rechtsfehlern ergeht. Ob die dem Gericht obliegende rechtliche Würdigung des Sachvortrags des Beteiligten im Einzelfall im Ergebnis richtig ist oder nicht, ist keine Frage des Verfahrensrechts. Verfahrensmängel liegen vielmehr nur vor, wenn das Verwaltungsgericht gegen eine Vorschrift verstoßen hat, die den äußeren Ablauf des Verfahrens regelt, nicht aber wenn eine Vorschrift missachtet wurde, die den inneren Vorgang richterlicher Rechtsfindung bestimmt.

Das Gehörsgebot schützt einen Verfahrensbeteiligten auch nicht vor jeder nach seiner Meinung unrichtigen Ablehnung eines von ihm in mündlicher Verhandlung gestellten Beweisantrags. Vielmehr kann eine Verletzung des Gehörsgebots erst dann angenommen werden, wenn die Ablehnung des Antrags unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Stütze im Prozessrecht findet, sich das Gericht mit dem Vorbringen eines Beteiligten in völlig unzulänglicher Form auseinandergesetzt hat und die Ablehnung des Beweisersuchens daher erkennbar willkürlich erscheint. Das war hier nicht der Fall. Entscheidend für die im konkreten Fall vom Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Möglichkeit der „Wahrunterstellung“ hinsichtlich der vom Kläger vorgetragenen Beweistatsache ist seine materielle Rechtsauffassung. Aus dem angegriffenen Urteil ergibt sich eindeutig, dass das Verwaltungsgericht selbst bei unterstellter Zubilligung eines besonderen Ausweisungsschutzes für den Kläger auf der Grundlage des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG wegen einer von ihm behaupteten besonderen persönlichen Verbundenheit mit den Kindern keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ausweisungsverfügung des Beklagten hatte und dass sogar nichts anderes zu gelten hätte, wenn zusätzlich – im Sinne des Klägers – unterstellt würde, dass der von ihm vorgetragene Sachverhalt darüber hinaus sogar („selbst wenn…“) die Annahme eines atypischen Ausnahmefalles im Sinne der §§ 56 Abs. 1 Satz 4, 54 AufenthG (Regelausweisung) rechtfertigte. Da die unter Beweis gestellten Tatsachen daher von dem dabei maßgeblichen rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts für die Beurteilung des Anfechtungsbegehrens des Klägers im Ergebnis nicht entscheidungserheblich waren, kann in der Ablehnung des Beweisantrags keine Verletzung des Gehörsgebots und erst Recht keine Verletzung des im Verwaltungsstreitverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) gesehen werden.

Unabhängig davon muss einem Beweisantrag auch dann nicht entsprochen werden, wenn das ihm zugrunde liegende Vorbringen nach Überzeugung des Gerichts in wesentlichen Punkten offensichtlich unzutreffend oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich oder wenn dieses gänzlich unsubstantiiert ist.(vgl. dazu etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.3.2009 – 2 A 471/08 –, SKZ 2009, 254, Leitsatz Nr. 74) Auch diese vom Verwaltungsgericht mit dem Hinweis auf ein aus seiner Sicht vorliegendes (unbeachtliches) Beweisermittlungsersuchen zusätzlich angesprochenen Voraussetzungen sind hier erfüllt. Mit Blick auf das zuvor Gesagte, bedarf das indes bezogen auf die Verfahrensrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) des Klägers keiner Vertiefung. Insoweit kann vielmehr in der Sache auf die folgenden Ausführungen zur Sachrüge (2.) verwiesen werden.

b. Soweit der Kläger darüber hinaus als im Verständnis des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO verfahrensfehlerhaft beanstandet, dass das Verwaltungsgericht seinen Antrag abgelehnt hat, ein „fachärztliches Gutachten“ zum Beweis dafür einzuholen, dass von ihm keine Gefahr der Begehung weiterer Straftaten mehr ausgehe, so dass ihm eine „positive Sozialprognose auszustellen“ sei, wird ebenfalls kein durchgreifender Verfahrensfehler aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil zutreffend darauf hingewiesen, dass die Ausländerbehörden beziehungsweise gegebenenfalls die Verwaltungsgerichte bei der Beurteilung der von einem Straftäter – hier einem Intensivtäter mit mehrfachen Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelrecht – nach einer Entlassung ausgehenden Wiederholungsgefahr gehalten sind, eine eigene Beurteilung in umfassender Würdigung des gesamten Akteninhalts und der vorliegenden Erkenntnismöglichkeiten anzustellen.(vgl. dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschluss vom 4.2.2011 – 2 A 227/10 –) Das hat das Verwaltungsgericht getan. Das Ergebnis ist schlüssig begründet und ohne weiteres nachvollziehbar. Der Kläger hat sich in der Vergangenheit weder durch die langjährige, im April 2005 durch seinen Auszug beendete Beziehung mit seiner früheren Lebensgefährtin, noch durch die Existenz seiner minderjährigen Kinder von der Begehung schwerwiegender Straftaten abhalten lassen. Gleiches gilt für die mehrfach gegen ihn verhängten Bewährungsstrafen und für seine erste Inhaftierung von November 2005 bis zum 11.4.2006. Nachdem er an diesem Tag vom Landgericht A-Stadt wegen Handels und Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 11 Monaten verurteilt, er aber sofort wieder entlassen worden war, weil auch diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist er vielmehr spätestens im Jahr 2007 „in großem Stil“ in den Handel mit Kokain und anderen Drogen eingestiegen. Insofern ist auf die tatsächlichen Feststellungen in dem seiner aktuellen Inhaftierung zugrunde liegenden Urteil des Landgerichts A-Stadt vom Februar 2009 zu verweisen.(vgl. LG Saarbrücken vom 4.2.2009 – 4 Kls 69/08 –) Im Ergebnis konnten daher weder die Bindungen zu seinen Kindern noch die gegen ihn verhängten strafrechtlichen Sanktionen oder eine Inhaftierung den Kläger auch nur ansatzweise zu einer Veränderung seines kriminellen Verhaltens veranlassen. Von daher ist es völlig nachvollziehbar, dass das Verwaltungsgericht abweichenden Verbalbehauptungen des Klägers, etwa dass er sich in der jetzigen Haft von seinem früheren Verhalten „deutlich distanziert“ habe, im Rahmen der Prognose keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat und keine Veranlassung gesehen hat, seinem Antrag auf Einholung eines „fachärztlichen Gutachtens“ – was auch immer damit konkret gemeint sein sollte – zu entsprechen. Aus dem Sachverhalt ergeben sich überhaupt keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger künftig nicht mehr straffällig werden wird. Zumindest eine im eingangs genannten Verständnis willkürliche Ablehnung dieses Beweisantrags lässt sich daher auch insoweit nicht feststellen. Im Zusammenhang mit der Behauptung, er wolle sich einer Drogentherapie unterziehen, um eine „günstige Sozialprognose möglich“ zu machen, bleibt ergänzend darauf hinzuweisen, dass ein Ausländer, der so erheblich kriminell in Erscheinung getreten ist, dass er – wie der Kläger – die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 AufenthG erfüllt, offensichtlich keinen Anspruch darauf hat, im Rahmen seines Strafvollzugs so lange therapiert zu werden, bis ihm „möglicherweise“ eine günstige Sozialprognose gestellt werden kann. Daher kommt dem Einwand, die Strafvollstreckungsbehörden hätten durch die Vorenthaltung von Therapiemaßnahmen bisher eine günstige Sozialprognose vereitelt, keine Bedeutung zu.(vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 9.4.2009 – 2 B 318/09 –, SKZ 2009, 255, Leitsatz Nr. 75, und vom 4.5.2011 – 2 D 210/11 –)

2. Der Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren rechtfertigt ferner nicht die Annahme der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Beklagten und damit der Richtigkeit der erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), mit der seine Klage gegen die mit Bescheid vom 12.5.2009 verfügte dauerhafte Ausweisung aus der Bundesrepublik abgewiesen worden ist. Der allgemein gehaltene Sachvortrag des Klägers, der durch sein Verhalten die tatbestandlichen Voraussetzungen für seine zwingende Ausweisung nach dem § 53 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität erfüllt hat, im Zulassungsverfahren rechtfertigt keine abweichende rechtliche Beurteilung. Das gilt insbesondere, soweit das Verwaltungsgericht unter Würdigung der konkreten Fallumstände eine gelebte familiäre Gemeinschaft zwischen dem Kläger und seinen beiden Kindern verneint und ihm daher keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG zugebilligt hat.

Eine solche Lebensgemeinschaft fordert zwar nicht unbedingt das Vorliegen einer ständigen häuslichen Gemeinschaft, allerdings im Falle einer dauerhaften räumlichen Trennung die Feststellung zusätzlicher Anhaltspunkte, um das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunkts weitgehend auszugleichen, insbesondere dass die Betroffenen regelmäßigen Kontakt zueinander pflegen, der über bloße Besuche hinausgeht und in dem die besondere persönliche und emotionale Verbundenheit im Sinne einer Beistandsgemeinschaft zum Ausdruck kommt.(vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.8.2010 – 2 B 235/10 –, SKZ 2011, 67, Leitsatz Nr. 52)

Der Kläger, der übrigens für beide Kinder kein eigenes Sorgerecht vorträgt und ein solches nach Aktenlage auch nicht besitzt befindet sich nunmehr seit Anfang 2008, also seit über drei Jahren, in Haft und hat eingestandenermaßen seither überhaupt keinen unmittelbaren persönlichen Kontakt zu den Kindern. Diese wissen – nach seinem eigenen Vortrag – nicht einmal, dass er im Gefängnis ist, sondern gehen davon aus, dass er sich zu Besuchszwecken in seiner Heimat aufhält. Vor dem Hintergrund kommt es letztlich auch nicht darauf an, ob die Kinder und deren Mutter, die den Kläger seit Jahren nicht mehr gesehen und aus welchen Gründen auch immer keinen Kontakt zu ihm gesucht haben, bei einer Zeugenvernehmung bekunden, dass sie sich ihm in besonderer Weise „verbunden“ fühlten oder gar ob es ihnen „lieber“ ist, dass der Kläger in Deutschland bleibt oder auch nicht. Maßgeblich ist eine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse und insoweit spricht der Akteninhalt eine eindeutige Sprache.

Nach Aktenlage spricht – außer pauschalen gegenteiligen Behauptungen des Klägers – im Übrigen auch nichts dafür, dass der Kläger zuvor, insbesondere zwischen seiner Haftentlassung im April 2006 und der erneuten Inhaftierung im März 2008 einen engeren persönlichen Kontakt zu seinen beiden Kindern hatte. Die frühere Lebensgefährtin hat – bezogen (auch) auf diesen Zeitraum im April 2008 gegenüber dem Beklagten erklärt, dass der Kläger sogar seit seinem Auszug im April 2005 nur noch „sporadische“ Kontakte zu den gemeinsamen Kindern habe und dass es nach der Misshandlung des Sohnes B im Mai 2007 „fast gar keine Kontakte“ mehr gegeben habe.(vgl. dazu die Aktenniederschrift vom 15.4.2008, Blatt 245 der Ausländerakte) Die Folgen des die Darstellung des Klägers über das Verhältnis zu seinen Kindern konterkarierenden „sporadischen Kontakts“ mit dem Sohn und des dabei geleisteten „Erziehungsbeitrags“ sind aktenkundig, wurden vom Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung bereits angeführt und bedürfen daher hier keiner Wiederholung. Die Anwesenheit des Klägers in der Wohnung war damals übrigens nach Aktenlage darauf zurückzuführen, dass die Mutter den Kläger telefonisch gebeten hatte, vorbeizukommen und den Sohn wegen seines Verhaltens zur Rede zu stellen. Der in der Klageschrift vom September 2009 angesprochene längere Besuch mit dem Sohn in seiner Heimat fand übrigens nach der Widerspruchsbegründung vom 8.7.2009 bereits im Jahr 2003 statt und damit lange vor der Trennung des Klägers von Lebensgefährtin und Kindern im April 2005. Zumindest ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des dauerhaften Nichtbestehens eines in den Schutzbereich des Art. 6 GG fallenden und damit einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG begründenden familiären Zusammenlebens begründet der Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren vor dem Hintergrund nicht.

Wie bereits im Zusammenhang mit der Verfahrensrüge des Klägers ausgeführt, hat das Verwaltungsgericht zudem einen – nach dem Gesagten zu Recht verneinten – Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG im Ergebnis für die Beurteilung des Anfechtungsbegehrens des Klägers als nicht entscheidend angesehen und zusätzlich sogar noch einen Ausnahmefall bei Anwendung der Vorschriften über die Regelausweisung unterstellt (§ 54 AufenthG). Letzteres erscheint allerdings, wie das Verwaltungsgericht selbst herausgestellt hat,(vgl. dazu die Ausführungen auf Seiten 21 unten und 23 des angegriffenen Urteils) sehr fernliegend, da nicht ansatzweise erkennbar ist, inwiefern sich die Situation des Klägers im Vergleich mit der anderer langjährig inhaftierter Straftäter mit deutschen Kindern als „atypisch“ kennzeichnen lassen sollte.

Das Verwaltungsgericht hat auch berücksichtigt, dass der Kläger seit seiner Inhaftierung Anfang 2008 (nur) „noch in telefonischem bzw. brieflichem Kontakt“ mit den Kindern steht. Auch im Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 7.8.2009 ist übrigens ausdrücklich von einem brieflichen Kontakt des Klägers mit den Kindern die Rede (Seite 4 oben). Von daher trifft die Behauptung des Klägers nicht zu, dass der Beklagte bei seinen Erwägungen davon ausgegangen sei, dass der Kläger „keinerlei Kontakt“ mit den Kindern habe. Auch in der Klageerwiderung vom 7.10.2009 ist der Beklagte ausdrücklich auf diesen Vortrag des Klägers eingegangen, indem er – in der Sache zutreffend – darauf hingewiesen hat, dass allein ein brieflicher und telefonischer Kontakt mit den Kindern sich gegebenenfalls auch vom Heimatland aus aufrechterhalten lasse.(vgl. dazu etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 28.2.2008 – 2 B 158/08 –, SKZ 2008, 228, Leitsatz Nr. 57, wonach eine auf gelegentlichen Besuchen und ansonsten auf  einem täglichen Kontakt über das Internet („Webcam“) beruhende Beziehung zwischen einem Ausländer und seinen in Deutschland lebenden Kindern keine tatsächlich gelebte und dem Schutzbereich des Art. 6 GG unterfallende Beziehung darstellt; dazu auch EGMR, Urteil vom 8.1.2009 – 10606/07 –, InfAuslR 2010, 89, zur Zulässigkeit der Verweisung eines nicht mit seinen minderjährigen Kindern zusammenlebenden ausländischen Mehrfachtäters auf Kontakte per Telefon oder per E-Mail von seinem Heimatland aus und Besuche des Kindes in seinem Heimatland) Nicht nachzuvollziehen ist angesichts der haftbedingten jahrelangen Trennung von den Kindern und dem Unterbleiben jeglicher Besuche durch die Kinder während der Haft die Darstellung des Klägers, dass er durch seine Ausweisung „aus seinem familiären Umfeld herausgerissen“ werde. Das Verwaltungsgericht hat ferner überzeugend ausgeführt, dass selbst für den Fall, dass man die Ausweisungsentscheidung des Beklagten ungeachtet der Wertungsvorgaben durch die §§ 53 oder 54 AufenthG an den allgemeinen Anforderungen für behördliche Ermessensentscheidungen messen wollte, diese im Ergebnis vorliegend einer gerichtlichen Überprüfung im Rahmen des § 114 VwGO standhielte. Der Vorwurf des Klägers, der Beklagte habe nicht die gebotene „wirkliche Verhältnismäßigkeitsprüfung“ vorgenommen, trifft nach dem Inhalt der Entscheidungen nicht zu. In dem für die Prüfung der Ermessensentscheidung maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 7.8.2009 wird die persönliche Situation des Klägers auch hinsichtlich des Umgangs mit seinen Kindern beschrieben und in die Bewertung eingestellt. Dass dem Kläger eine andere Gewichtung der beteiligten Belange, insbesondere seiner eigenen, lieber gewesen wäre, ist nachvollziehbar, rechtfertigt aber nicht die Annahme einer Rechtsfehlerhaftigkeit der Entscheidung des Beklagten.

Eine schützenswerte Rechtsposition ergibt sich im Falle des Klägers auch nicht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, so dass es hier keiner Vertiefung bedarf, in welcher Form dessen Vorgaben im Rahmen der einzelnen Kategorien der aufenthaltsrechtlichen Ausweisungstatbestände (§§ 53 ff. AufenthG) dogmatisch Rechnung getragen werden muss. Unter dem Aspekt des „Familienlebens“ ergeben sich dabei keine über das zu Art. 6 GG hinaus Gesagte hinausgehenden Rechte.

Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines in Deutschland geborenen und hier aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des durch Art. 8 Abs. 1 EMRK ebenfalls geschützten „Privatlebens“ kommt allenfalls ausnahmsweise in Betracht, wenn von einer abgeschlossenen „gelungenen“ Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Ausreisehindernisses auf dieser Grundlage ist, ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist hingegen, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat. Eine Aufenthaltsbeendigung kann vielmehr nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das „Privatleben“ im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum „Aufnahmestaat“ verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem Inländer“ geworden ist, dem ein Leben in dem Staat seiner Herkunft, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht zugemutet werden kann.(vgl. dazu zuletzt etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 18.1.2011 – 2 A 293/10 –, vom 15.4.2011 – 2 B 195/11 – und vom 20.4.2011 – 2 B 208/11 –, st. Rspr.)

Nach diesen Grundsätzen kommt dem in der Begründung des Zulassungsantrags enthaltenen Hinweis des Klägers, der – wie bereits das Verwaltungsgericht festgestellt hat – erst im Erwachsenenalter eingereist ist, er lebe bereits seit 17 Jahren in Deutschland keine entscheidende Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, dass in seinem Fall von einer gelungenen Integration nicht ansatzweise die Rede sein kann. Das gilt in sozialer Hinsicht mit Blick auf die über einen langen Zeitraum hin begangenen schweren Straftaten des Klägers, aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht, da er offenbar bis heute nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus legaler Betätigung sicherzustellen.

Da Zulassungsgründe nicht gegeben sind, ist der Antrag zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 52, 47 GKG, wobei der so genannte Auffangwert in Ansatz zu bringen war.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 15. November 2013 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob für die Gruppe der Personen, die wie der Kläger aus der Provinz Herat stammen, deren Familien über einen gewissen Besitz verfügen und als wohlhabend gelten, in der Provinz Herat entführt und gefangen gehalten wurden und deren Familie aufgrund von geleisteten Lösegeldzahlungen nicht mehr wohlhabend sind oder nicht mehr den Anschein erwecken, über Vermögen zu verfügen, bei einer Rückkehr keine konkrete Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung besteht bzw. von keiner ernsthaften individuellen Bedrohung ausgegangen werden kann“.

Es bestehe ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe angenommen, dass er in Herat von Kriminellen zwecks Lösegelderpressung entführt und gefangen gehalten worden sei, dass aber nicht die Gefahr einer erneuten Entführung bestehe, weil seine Familie aufgrund der Lösegeldzahlung nicht mehr wohlhabend sei und (aufgrund des Verkaufs des Geschäfts) auch nicht mehr den Anschein erwecke, über Vermögen zu verfügen. Hierbei habe das Verwaltungsgericht aber außer Acht gelassen, dass er als Rückkehrer aus einem westlichen Land als wohlhabend gelte und damit Gefahr liefe, erneut Opfer einer Entführung zu werden. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht werde, sei somit nicht widerlegt.

Soweit sich die Frage auf die Vermögensverhältnisse der gesamten Familie bezieht, bedarf es zu ihrer Klärung nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Aus den vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof laufend ausgewerteten aktuellen Erkenntnismitteln zur Sicherheitslage in Afghanistan geht übereinstimmend hervor, dass wohlhabende Afghanen potentiell gefährdet sind, gegen Lösegeld entführt zu werden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 4. Juni 2013, S. 14; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, 30.9.2013, S. 19: „Afghanen, die über einen gewissen Besitz verfügen, sind gefährdet, gegen Lösegeld entführt zu werden.“; Update 11.8.2010, S. 16: „Entführungen reicher Afghanen bleiben ein ernsthaftes Problem.“). Hieraus lässt sich der Umkehrschluss ziehen, dass bei Familien, die offensichtlich vermögenslos sind, nicht davon auszugehen ist, dass eine erhebliche Entführungsgefahr besteht.

Die in den Darlegungen enthaltene weitergehende Frage, ob die aus westlichen Ländern zurückkehrenden Afghanen allgemein als wohlhabend gelten und deshalb eine erhebliche Entführungsgefahr besteht, vermag die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Dieser Gesichtspunkt war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht von Bedeutung. Er war weder in der schriftlichen Klagebegründung noch in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen. Im Zusammenhang mit der Entführung ging es vielmehr um die finanziellen Verhältnisse der Familie nach der Lösegeldzahlung. Im Übrigen ergeben sich aus den vom Kläger zitierten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine solche Gefährdung. Die vom Kläger angeführten Berichte (Auswärtiges Amt, D-A-CH, Schweizerische Flüchtlingshilfe) enthalten keinen Hinweis darauf, dass Rückkehrer aus Europa generell potentielle Entführungsopfer sind. Insbesondere in der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5. Mai 2010 betreffend die Sicherheitssituation in Herat, der Herkunftsregion des Klägers, wird lediglich allgemein auf die Zunahme von Entführungen und Überfällen im Zusammenhang mit der dortigen Verschlechterung der Sicherheitssituation hingewiesen (S. 3). Das Auswärtige Amt stellte in einem früheren Lagebericht (Stand Januar 2012, S. 27) lediglich fest, dass Afghanen, die aus dem westlich geprägten Ausland zurückkehren, in ihrer Umgebung auf übersteigerte Erwartungen bezüglich der finanziellen Möglichkeiten treffen könnten, so dass von ihnen für alle Leistungen überhöhte Preise gefordert würden. Diese Bedenken sind allerdings in den aktuelleren Lageberichten von 2013 und 2014 nicht mehr enthalten.

Auch die übrigen (konkludent aufgeworfenen) Fragen verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.

Ob für Rückkehrer in der Westregion Afghanistans eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts besteht (§ 60 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG), bedarf keiner grundsätzlichen Klärung durch ein Berufungsverfahren. Der Hinweis des Klägers auf den Fortschrittsbericht der Bundesregierung vom Juni 2013 bietet keinen Anlass, erneut in eine Risikobewertung einzutreten. Der Verwaltungsgerichtshof ist im Urteil vom 1. März 2013 (13a B 12.30205) davon ausgegangen, dass das Risiko für Zivilpersonen, in der Westregion (mit Provinz Herat) infolge militanter Gewalt Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, im Jahr 2010 ca. 0,01% betrug (UA Rn. 21). Aus den aktuellen Berichten, insbesondere dem zweimal im Jahr herausgegebenen Afghanistan Report der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) ergibt sich einerseits, dass das Gewaltniveau in ganz Afghanistan ansteigt, und andererseits, dass das Risiko in der Westregion nach wie vor unter 1:1.000 liegt und somit weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist (vgl. Beschluss des Senats vom 23.4.2014 - 13a ZB 14.30095 - juris). Der Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung vom Juni 2013 ist für die Frage, ob für die dortigen Zivilpersonen eine ernsthafte individuelle Bedrohung besteht, nicht hinreichend aussagekräftig. Dieser „Zwischenbericht“ berücksichtigt bei den Zahlen der Anschlagsopfer lediglich einen Zeitraum von vier Monaten, enthält keine Erkenntnisse bezüglich der Westregion im Ganzen und lässt auch keine Rückschlüsse auf die Größenordnung des dortigen Schadensrisikos zu.

In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist ferner geklärt‚ dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH‚ U. v. 3.2.2011 - 13a B 10.30394 - juris; U. v. 8.12.2011 - 13a B 11.30276 - EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012‚ 35 -LS-; U. v. 20.1.2012 - 13a B 11.30425 - juris; U. v. 22.3.2013 - 13a B 12.30044 - juris; U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris). Der Verwaltungsgerichtshof geht‚ worauf sich auch das Verwaltungsgericht bezieht (UA S. 19)‚ davon aus‚ das ein arbeitsfähiger‚ gesunder Mann‚ der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten zu tragen hat‚ regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre‚ durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Die Unterstützung durch Familien- oder Stammesangehörige wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. auch VGH BW‚ U. v. 27.4.2012 - A 11 S 3079/11 - juris = DÖV 2012‚ 651 -LS-; OVG RhPf‚ U. v. 21.3.2012 - 8 A 11050/10.OVG - juris; SächsOVG‚ U. v. 10.10.2013 - A 1 A 474/09 - juris; HessVGH‚ U. v. 30.1.2014 - 8 A 119/12.A - juris). Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen‚ dass der Kläger aufgrund seiner höheren Schulbildung‚ seiner kaufmännischen Berufserfahrung und der zu erwartenden familiären Unterstützung ohnehin nicht extrem gefährdet wäre (UA S. 20).

Der im nachträglichen Schriftsatz vom 16. Juni 2014 enthaltene Hinweis auf eine fachärztlich attestierte schwere depressive Episode führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits grundsätzlich geklärt, dass bei einer schweren depressiven Symptomatik ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sein kann, wenn sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatland verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort faktisch unzureichend sind (BVerwG, B. v. 24.5.2006 - 1 B 118.05 - NVwZ 2007, 345).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2011 - 12 K 1301/10 - geändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
Der am ...1986 in St. James/Montego Bay/Jamaika geborene ledige Kläger ist jamaikanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 23.03.1993 gemeinsam mit seinem älteren Bruder nach Deutschland ein, wo beide bei ihrer bereits 1991 von Jamaika zugezogenen Mutter, deren deutschen Ehemann und dem am 18.06.1992 geborenen Halbbruder des Klägers, welcher deutscher Staatsangehörigkeit ist, lebten. Im Jahre 2000 wurde die Ehe der Mutter geschieden. Diese ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, der ältere Bruder des Klägers hatte befristete Aufenthaltstitel und ist nach einem Verlängerungsantrag derzeit im Besitz einer Fiktionsbescheinigung.
In der Zeit vom 09.02.1995 bis zum 22.10.2004 war der Kläger im Besitz von befristeten Aufenthaltserlaubnissen. Mit einem am 28.10.2004 beim Landratsamt Hohenlohekreis eingegangen Schreiben beantragte er die Verlängerung der ihm zuletzt ausgestellten Aufenthaltserlaubnis. Auf einen erneuten Antrag vom 12.02.2008 hin verlängerte zwar das Landratsamt am 01.09.2008 seine Aufenthaltserlaubnis bis 28.02.2009. Diese Verlängerung wurde dem Kläger jedoch nicht bekanntgegeben; er war trotz Benachrichtigung nicht zur Abholung erschienen.
Der Kläger besuchte zunächst die Grundschule, wechselte dann aber zur 4. Klasse auf eine Förderschule. Wegen familiärer Probleme lebte er ab August 2002 in einer Pflegefamilie. Im Jahr 2003 erreichte er den Hauptschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 3,4. Diesen verbesserte er im daran anschließenden Berufsvorbereitungsjahr auf 2,5. Unter anderem wegen Drogenproblemen musste er 2004 die Pflegefamilie verlassen. Eine 2004 begonnene Ausbildung zum Kraftfahrzeug-Mechatroniker brach er 2005 ab.
Mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 - 2 KLs 32 Js 32158/05 Hw. - wurden der Kläger und weitere fünf Mitangeklagte des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Der Kläger, welcher sich wegen der in der Nacht vom 10. auf den 11.09.2005 begangenen Straftat seit dem 07.03.2006 in Haft befunden hatte, wurde zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Adelsheim vom 09.01.2008 - 1 VRJs 563/06 -wurde die Vollstreckung der Restjugendstrafe (447 Tage) – mit einer Bewährungszeit von drei Jahren – zur Bewährung ausgesetzt. Nach seiner Haftentlassung am 12.02.2008 zog der Kläger wieder zu seiner Mutter und deren damaligen Lebensgefährten und später nach S., wo er einer befristeten Arbeit nachging und sodann arbeitslos war.
Wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung wurde gegen den Kläger mit Strafbefehl des Amtsgerichts Wertheim vom 01.09.2008 - 2 Cs 26 Js 6005/08 - eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 25,-- EUR verhängt. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung von zehn Monaten festgesetzt.
Mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 - 3 Ks 43 Js 1806/09 - wurde er wegen versuchten Totschlags und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt; die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, ihm nicht vor Ablauf von zwei Jahren eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. In dem Urteil wird zum Tatgeschehen festgestellt: Am Abend des 20.01.2009 gegen 18.00 Uhr seien der Kläger und das Ehepaar Mi.G und Ma.G. mit einem geliehenen Fahrzeug zu dem Haus des Geschädigten K. gefahren. Der Kläger, der an diesem Tag weder Alkohol noch Drogen zu sich genommen gehabt habe, habe das Fahrzeug gelenkt, obwohl er nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen sei. Bei der Fahrt habe er zwei mit einer Kette verbundene Metallrohre, ein so genanntes Nunchaku, bei sich gehabt, was zumindest dem Angeklagten Mi.G. bekannt gewesen sei. Nachdem Ma.G. von K. aus der Wohnung verwiesen worden sei, ohne dass es ihr gelungen wäre, Marihuana zu erhalten, seien sie zurück in Richtung I. gefahren. Auf der Fahrt hätten sich Mi.G. und der Kläger dazu entschlossen, zum Haus des K. zurückzukehren, um sich notfalls mit Gewalt und unter Einsatz des mitgeführten Nunchakus Marihuana zu verschaffen. Dabei habe der Angeklagte Mi.G. auch vorgehabt, die Gelegenheit zu nutzen und K. wegen vorausgegangener Kontakte mit seiner Ehefrau „eine Abreibung“ zu verpassen. Nachdem Ma.G. den K. unter einem Vorwand überredet habe, sie nochmals ins Haus zu lassen, seien Mi.G. und der Kläger hereingestürmt und hätten gemeinsam und ohne Vorwarnung auf K. eingeschlagen. Der Kläger habe zudem mehrfach gegen dessen Unterschenkel getreten und versucht, ihn so zu Boden zu bringen. Im Verlauf des gesamten Angriffs hätten sowohl Mi.G. als auch der Kläger mindestens jeweils einmal mit dem mitgeführten Nunchaku mit Wucht auf den Kopf des K. eingeschlagen, wodurch dieses in zwei Teile gerissen sei. Dies habe zur Folge gehabt, dass K. mit stark blutenden Kopfverletzungen zu Boden gesunken sei. Nachdem K. blutüberströmt auf dem Boden gelegen habe, hätten beide weiter auf ihn eingetreten, bis einer sinngemäß geäußert habe, dass man ihn nun liegenlassen könne, da dieser „verrecke“, woraufhin alle Angeklagten fluchtartig das Haus verlassen hätten. Dabei seien zumindest Mi.G. und der Kläger davon ausgegangen, dass K. ohne ärztliche Hilfe an den erlittenen Verletzungen sterben würde. Tatsächlich sei es ihm jedoch gelungen, telefonisch Hilfe zu holen. Während Platzwunden, Prellungen und Hämatome inzwischen ausgeheilt seien, könne K. infolge einer Glaskörperblutung am linken Auge nur noch eingeschränkt sehen. Hinsichtlich der Strafzumessung beim Kläger wird in dem Urteil unter anderem dargelegt, Anhaltspunkte für das Vorliegen eines besonders schweren Falles gemäß § 212 Abs. 2 StGB oder eines minder schweren Falles gemäß § 213 StGB seien nach der Gesamtschau der Tatumstände nicht zu erkennen. Von der Möglichkeit einer Milderung des Strafrahmens nach §§ 22, 23 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB sei – im Hinblick darauf, dass es bei dem Geschädigten letztlich zu keinen lebensgefährlichen Verletzungen gekommen sei – Gebrauch gemacht worden. Bei der Strafzumessung sei zugunsten des Klägers zu werten, dass dieser geständig und reuig gewesen sei und sich in der Hauptverhandlung bei K. entschuldigt habe. Weiter sei berücksichtigt worden, dass er im Verhältnis zum Mitangeklagten Mi.G. einen geringen Tatbeitrag geleistet habe. Strafmildernd wirke sich zudem aus, dass K. auch hinsichtlich des Klägers kein erhöhtes Verfolgungsinteresse habe und dem Kläger der Widerruf der Strafaussetzung hinsichtlich einer zur Bewährung ausgesetzten Restjugendstrafe drohe. Zu Lasten des Klägers seien die erheblichen körperlichen Verletzungsfolgen und die andauernde psychische Beeinträchtigung des Geschädigten zu werten. Er sei zudem vor Begehung der Taten in drei Fällen, in einem Fall einschlägig wegen eines Gewaltdeliktes und in zwei Fällen einschlägig wegen Straßenverkehrsdelikten, strafrechtlich in Erscheinung getreten und während der laufenden Bewährungszeit bereits einmal straffällig geworden.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 15.02.2010 - 1 BWL 8/08 -wurde die durch Beschluss vom 09.01.2008 bezüglich des Urteils des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen und bestimmt, dass die restliche Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene zu vollziehen sei.
Nach Anhörung des Klägers wies das Regierungspräsidium Stuttgart diesen mit Bescheid vom 09.03.2010 aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1). Außerdem wurde sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Ziffer 2). Ihm wurde – ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise – die Abschiebung nach Jamaika oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Ziffer 3). Zur Begründung wurde ausgeführt: Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine so genannte Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 1 AufenthG lägen unzweifelhaft vor. Besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sei nicht gegeben, insbesondere sei der Kläger nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Im Übrigen sei die Rechtsschranke des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG überwunden, weil schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben seien. Solche lägen nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel in den Fällen des § 53 AufenthG vor. Besondere Umstände, die einen Ausnahmefall begründen könnten, seien nicht gegeben. Unabhängig davon erfolge die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, weil der Ausweisungsanlass gravierend sei und zudem eine hohe und konkrete Wiederholungsgefahr bestehe. Der besondere Ausweisungsschutz erschöpfe sich allerdings nicht in der Beschränkung der Zulässigkeit der Ausweisung auf schwerwiegende Gründe. Daneben sei die Ist-Ausweisung zur Regel-Ausweisung herabgestuft. Der Kläger lebe seit 1993 und damit seit mittlerweile nahezu 17 Jahren im Bundesgebiet; zudem hielten sich seine Mutter und seine Geschwister hier auf. Die Ausweisung greife in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG – freie Entfaltung der Persönlichkeit – und in das Achtungsgebot aus Art. 8 EMRK – Schutz des Privat- und Familienlebens – ein. Das Regierungspräsidium gehe davon aus, dass deswegen eine umfassende und alle denkbaren Gesichtspunkte in den Blick zu nehmende Ermessensentscheidung zu treffen sei. Nach § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG seien dabei die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Der Kläger habe mehrfach und zuletzt sehr schwerwiegend gegen die bestehende Rechtsordnung verstoßen. Es sei mit weiteren erheblichen rechtswidrigen Straftaten gleicher Schwere zu rechnen. Die Wiederholungsgefahr sei außerordentlich hoch. Damit habe das herausragende öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zur Dauer seines Aufenthalts und dem damit verbundenen Integrationsgrad ein deutliches Übergewicht. Dies gelte auch deshalb, weil eine abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse nicht vorliege. Er habe keine Berufsausbildung und sei lediglich in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt gewesen. Zuletzt sei er arbeitslos und auf Unterstützungsleistungen seiner Familienangehörigen angewiesen gewesen. Auch seine häufigen Straftaten sprächen gegen eine erfolgreiche Integration. Es werde nicht übersehen, dass der Kläger in Jamaika zunächst Schwierigkeiten haben werde, sich an die dortigen Lebensverhältnisse zu gewöhnen, doch seien diese nicht unüberwindbar. Die Ausweisung stelle damit auch einen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässigen Eingriff dar, der gesetzlich vorgesehen und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der öffentlichen Ordnung notwendig und insbesondere nicht unverhältnismäßig sei. Da dem Kläger die verwaltungsinterne Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 01.09.2008 bis zum 26.02.2009 nicht habe bekanntgegeben werden können, sei über seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis noch nicht entschieden worden. Einer entsprechenden Verlängerung stehe die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen. Die Abschiebungsandrohung beruhe auf § 59 AufenthG.
10 
Am 09.04.2010 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage. Zu deren Begründung wurde darauf verwiesen, dass in Deutschland aufgewachsenen Ausländern eine besondere persönliche Prägung zukomme. Sie betrachteten das Land, dessen Staatsangehörigkeit sie innehätten, regelmäßig gerade noch als Urlaubsland. Es stelle sich die Frage, ob eine Ausweisung und Abschiebung des Betroffenen wirklich die der Sache nach angemessene Reaktion auf eine möglicherweise misslungene Integration eines jungen Ausländers darstelle. In der Sache sei zu berücksichtigen, dass er seinen leiblichen Vater tatsächlich nie kennengelernt habe, weil sich seine Mutter noch in der Schwangerschaft von diesem getrennt habe. Andere nähere Verwandte lebten in Jamaika nicht mehr. Seine Großmutter mütterlicherseits lebe bei einer Tante in den USA. Einen Großvater gebe es nicht. Der Vater seiner Mutter sei verstorben. Ein Onkel, der in Jamaika gewohnt habe, sei Anfang der 1990er Jahre gestorben, ein zweiter Onkel, der aber im Ausland gelebt habe, sei im Jahr 2009 in Jamaika getötet worden, als er seine Tochter besucht habe. Zwei weitere Onkel hielten sich in Costa Rica auf. Die Englischkenntnisse des Klägers seien schlecht. Die von Zuhause erworbenen Kennnisse der Muttersprache seien nahezu vollständig verlorengegangen. Seine Mutter habe Wert darauf gelegt, dass zu Hause Deutsch gesprochen worden sei. Jamaika habe er nie mehr besucht, und zwar auch deshalb, weil Ausländer und Exiljamaikaner in gleicher Weise gefährdet seien, überfallen und ausgeraubt zu werden. Er sei außerdem in rechtlicher Hinsicht so zu stellen, wie er stünde, wenn ihm die letzte befristete Aufenthaltserlaubnis vom 01.09.2008 tatsächlich ausgehändigt worden wäre. Denn die Behörde hätte nachfragen oder ihm diese zustellen müssen. Damit genieße er besonderen Ausweisungsschutz im Sinne des § 56 AufenthG. Zudem sei zu berücksichtigen, dass in keiner der abgeurteilten Straftaten die Initiative von ihm selbst ausgegangen sei. Er sei vielmehr jedes Mal „mitgegangen“.
11 
Durch Urteil vom 15.02.2011 hob Verwaltungsgericht Stuttgart Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 auf, wies die Klage im Übrigen ab und legte Kläger und beklagtem Land je die Hälfte der Kosten des Verfahrens auf. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt: Die im angefochtenen Bescheid verfügte Ausweisung sei rechtswidrig und aufzuheben. Das Regierungspräsidium habe allerdings zu Recht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG bejaht. Auch komme dem Kläger die Privilegierung des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht zu. Ungeachtet dessen habe das Regierungspräsidium den Kläger zu seinen Gunsten so gestellt, als ob ihm besonderer Ausweisungsschutz zustünde. In diesem Zusammenhang habe es zu Recht bejaht, dass im Hinblick auf die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung des § 53 AufenthG schwerwiegende Ausweisungsgründe nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vorlägen und kein Ausnahmefall erkennbar sei. Dies sei vom Kläger auch nicht in Frage gestellt worden. Weiter habe das Regierungspräsidium zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass seine Ausweisung höherrangiges Recht, wie die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK tangiere, und habe sodann anstelle der Regelausweisung geprüft, ob die Ausweisung unter Ermessensgesichtspunkten nach § 55 AufenthG gerechtfertigt sei. Bei der gebotenen Ermessensbetätigung habe es allerdings nicht alle abwägungsrelevanten Umstände gewürdigt, die im Rahmen der persönlichen Interessen des Klägers zu berücksichtigen seien. So teile das Gericht nicht die Auffassung des Regierungspräsidiums, wonach der Kläger sich nicht vollständig in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe. Sein Werdegang belege, dass er keineswegs integrationsunwillig oder -unfähig gewesen sei. Außer Acht gelassen habe das Regierungspräsidium auch, dass er einwandfrei Deutsch spreche. Die Begehung von Straftaten allein sei jedenfalls vor diesem Hintergrund kein Indiz gegen eine Integration. Der Kläger habe des Weiteren unbestritten persönliche Bindungen zum Bundesgebiet, zumindest zu seiner Mutter und seinem Bruder. Er wolle gerne in der Haft eine Drogentherapie machen, die allerdings angesichts der verfügten Ausweisung nicht bewilligt worden sei. Hinzukomme, dass der Kläger seit seiner Einreise in das Bundesgebiet nicht mehr in Jamaika gewesen sei. Es sei glaubhaft, dass er dieses Land nicht als sein Heimatland ansehe, zumal er dort keine Bezugsperson mehr habe. Nach Berichten des Auswärtigen Amtes und des Außenministeriums Österreich zur Sicherheitslage in Jamaika sei dort außerdem eine erhöhte Sicherheitsgefährdung zu verzeichnen, welche sich nicht nur auf die Hauptstadt Kingston beziehe, sondern auch für Touristengebiete gelte bzw. für diese nicht ausgeschlossen werden könne. Der Alltag in den Städten sei von Gewaltverbrechen geprägt. Insgesamt überwögen nach Auffassung des Gerichts die privaten Interessen des Klägers das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung mit der Folge, dass die Ausweisungsverfügung rechtswidrig und daher aufzuheben sei. Hingegen begegne die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bzw. der Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis keinen rechtlichen Bedenken. Auch die Abschiebungsandrohung sei danach rechtlich nicht zu beanstanden.
12 
Auf Antrag des beklagten Landes hat der Senat mit Beschluss vom 30.06.2011 - 11 S 989/11 - die Berufung zugelassen. Diese wird im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Verwaltungsgericht gehe in seiner Entscheidung zunächst zu Unrecht davon aus, dass das Regierungspräsidium in der Ausweisungsverfügung das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben des Klägers nicht ausreichend beachtet hätte. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei dieser nicht vollständig in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik integriert. Abgesehen davon habe das Regierungspräsidium zugunsten des Klägers gleichwohl unterstellt, dass der Schutzbereich des Art. 8 EMRK eröffnet sei. Es sei allerdings davon ausgegangen, dass der Eingriff in das Schutzgebot verhältnismäßig und damit zulässig sei. Auch die vom Verwaltungsgericht angenommenen Verstöße gegen Ermessensgrundsätze lägen nicht vor. Letztlich ersetze es das Ermessen des Regierungspräsidiums durch eigenes Ermessen und überschreite damit die durch § 114 VwGO gezogenen Grenzen der gerichtlichen Überprüfung des Ermessens.
13 
Das beklagte Land beantragt,
14 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2011 - 12 K 1301/10 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
15 
Der Kläger beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Zur Begründung wird ergänzend zum bisherigen Vorbringen unter anderem dargelegt: Art. 8 EMRK stehe einer Ausweisung des Klägers entgegen. Soweit von Seiten des beklagten Landes beanstandet werde, dass das Verwaltungsgericht bei der Frage der Integration des Klägers von falschen Maßstäben ausgehe, so erliege es selbst einem Fehlschluss. Ein junger Deutscher, der sich nach problematischer Adoleszenz mit Abbruch der Schulausbildung zu einem notorischen Schläger entwickelt habe, wäre natürlich nach wie vor in Deutschland integriert. Dasselbe gelte für einen jungen Jamaikaner, der den größten Teil seines bisherigen Lebens (einschließlich der gesamten Phase des Schulbesuchs) in Deutschland verbracht habe und während dieser Zeit mehrfach straffällig geworden sei. Ein straffreies Leben könne kein taugliches Kriterium für die Frage der Integration des Betroffenen sein.
18 
Der Kläger, welcher sich seit 01.02.2009 wieder in Haft befindet, hat inzwischen auch die gegen ihn – wegen Uneinbringlichkeit der im Strafbefehl des Amtsgerichts Wertheim vom 01.09.2008 verhängten Geldstrafe – angeordnete Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen verbüßt. Die mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten und die Restfreiheitstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 wäre am 09.10.2015 vollstreckt. Mit Verfügung vom 12.03.2010 hat die Staatsanwaltschaft Heilbronn entschieden, dass gemäß § 456a StPO von der Vollstreckung der Reststrafe von dem Tage an abgesehen werde, an dem der Kläger in Vollzug der ausländerrechtlichen Verfügungen den ausländischen Grenzpolizeistellen übergeben oder wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert werde, jedoch frühestens ab 20.05.2012.
19 
Dem Senat liegen die ausländerrechtlichen Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart und des Landratsamts Hohenlohekreis (jeweils ein Heft), die Gefangenenpersonalakten der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Hall (ein Heft) sowie ein Vollstreckungsheft - 1 VRJs 536/06 - und ein Bewährungsheft - 1 BWL 8/08 - des Amtsgerichts Adelsheim bezüglich des Urteils des Landgerichts Heilbronn vom 15.08.2006 - 2 KLs 32 Js 32158/05 - vor. Der Inhalt dieser Akten ist ebenso wie der Inhalt der Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart - 12 K 1301/10 - sowie des Verwaltungsgerichtshofs zum vorliegenden Verfahren Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des beklagten Landes ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage insgesamt, also auch hinsichtlich der Ausweisung, abweisen müssen. Denn die unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 verfügte Ausweisung ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
21 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Stuttgart steht die Ausweisung des Klägers nicht im Ermessen des beklagten Landes und ist daher schon deshalb nicht wegen Ermessensfehlern aufzuheben. Vielmehr handelt es sich vorliegend um eine so genannte „Ist-Ausweisung“ bzw. „zwingende Ausweisung“ nach § 53 AufenthG. Da die Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG vorliegen (dazu unter 1.) und der Kläger weder besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG genießt (2.) noch seine Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK oder Art. 2 GG als unverhältnismäßig anzusehen ist (3.), ist sie rechtmäßig.
22 
1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Nr. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet worden ist. Die Tatbestandvoraussetzungen dieser Regelung sind schon allein aufgrund der letzten Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Heilbronn vom 20.10.2009 wegen versuchten Totschlags und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten gegeben.
23 
2. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu. Er kann sich insbesondere nicht auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG berufen. Danach genießt ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, besonderen Ausweisungsschutz. Der Kläger ist jedoch bereits seit Ablauf der Geltungsdauer der am 23.10.2002 ausgestellten Aufenthaltserlaubnis zum 22.10.2004 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels. Die am 01.09.2008 durch das Landratsamt Hohenlohekreis erfolgte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit bis zum 28.02.2009 ist mangels Bekanntgabe an den Kläger nie wirksam geworden. Soweit der Kläger vorträgt, er müsste so gestellt werden, als ob ihm der Aufenthaltstitel ausgehändigt worden wäre, verkennt er, dass dieser lediglich bis 28.02.2009 gegolten hätte. Die Anträge des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 28.10.2004 und vom 12.02.2008 sind unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 abgelehnt worden. Selbst wenn durch die Anträge – trotz verspäteter Antragstellung – eine Fiktionswirkung (vgl. § 81 Abs. 4 AufenthG 2007, § 81 Abs. 4 AufenthG 2005, § 69 Abs. 3 AuslG 1965 i.d.F. vom 09.01.2002) eingetreten wäre, wäre diese damit jedenfalls beendet gewesen. Abgesehen davon hat das Regierungspräsidium zu Recht ausgeführt, dass Zeiten der Fiktionswirkung nicht dem (tatsächlichen) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gleichgestellt werden können (vgl. ausführlich Bay. VGH, Urteil vom 04.07.2011 - 19 B 10.1631 -juris, m.w.N.), wenn später die Erteilung des Titels unanfechtbar abgelehnt wurde.
24 
3. Die danach einfachgesetzlich zwingende Ausweisung des Klägers ist nicht mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK oder auf höherrangiges Recht wie Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig anzusehen.
25 
a) Auch eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG ist auf ihre Vereinbarkeit mit dem in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens hin zu überprüfen (vgl.VGH Bad.-Württ., Urteile vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 - und vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - juris; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.07.2003 - 1 B 252.02 - Buchholz 140 Art. 8 EMRK Nr. 14). Dies folgt nach Auffassung des Senats aus § 1 Abs. 1 Satz 5 AufenthG (noch mit anderer Begründung: VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 23.10.2002 - 11 S 1410/02 - NVwZ-RR 2003, 304, und vom 14.02.2001 - 13 S 2501/00 - NVwZ-Beil. 2001, 81). Danach bleiben die Regelungen in anderen Gesetzen „unberührt“. Diese „Unberührtheitsklausel“ gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zu den völkervertraglichen Regelungen, die – wie die Europäische Menschenrechtskonvention – durch Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) den Rang eines Bundesgesetzes erhalten haben und nicht nur die Vertragsparteien binden, sondern unmittelbar Rechte und Pflichten der betreffenden Staatsangehörigen begründen können, und zwar selbst wenn diese älter sind und deshalb nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ nicht vorrangig anwendbar wären (ausführlich dazu Fritzsch, VBlBW 2005, 378; GK-AufenthG, Stand: August 2011, § 1 AufenthG Rn. 23. ff.; Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 1 AufenthG Rn. 21).
26 
Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, ist im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung eine umfassende Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Offenbleiben kann daher, ob in diesen Fällen bei einer zwingenden Ausweisung zudem mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG – oder gegebenenfalls Art. 6 GG, welcher hier nicht einschlägig ist – i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen wäre (so OVG NRW, Beschluss vom 25.05.2009 - 18 E 1230/08 - AuAS 2009, 184; HambOVG, Urteil vom 24.03.2009 - 3 Bf 166/04 - InfAuslR 2009, 279), obwohl es sich um eine gebundene Entscheidung handelt und die Tatbestandsmerkmale des § 53 AufenthG – anders etwa als die der §§ 54 und 56 AufenthG – keinen Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Auslegung bieten (insoweit zu Recht kritisch Naumann, DÖV 2011, 96; vgl. zu Regel- und Ermessensausweisungen sowie zu § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG: BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443, und vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275; BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367). Denn insoweit wären dieselben Maßstäbe anzuwenden, die bei der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 EMRK zur Anwendung kommen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007- 2 BvR 535/06 - a.a.O.). In jedem Fall wäre der Ausländerbehörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. Senatsurteil vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O.; Bay.VGH, Beschluss vom 27.09.2010 - 19 ZB 09.715 - juris; vgl. auch Hailbronner, AuslR, Stand: September 2010, vor § 53 AufenthG Rn. 10 ff., m.w.N.; a.A. Thym, DVBl. 2008, 1346, 1351 f.; Huber, AuslR, 2010, § 53 AufenthG Rn. 5).
27 
b) Die Ausweisung des Klägers stellt zwar einen Eingriff in das in Art. 8 Abs. 1 EMRK verbürgte Recht auf Achtung seines Privatlebens dar; dieser ist jedoch gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.
28 
aa) Das Recht auf Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 - [Slivenko] EuGRZ 2005, 560). Über entsprechende Beziehungen verfügt der Kläger. Dies folgt bereits daraus, dass er seit seinem sechsten Lebensjahr und damit inzwischen seit mehr als 18 Jahren und 6 Monaten in Deutschland lebt, davon die meiste Zeit – jedenfalls bis zum 22.10.2004 – im Besitz von Aufenthaltstiteln war, hier zur Schule gegangen ist und den Hauptschulabschluss gemacht hat und zudem in Deutschland seine Mutter, sein älterer Bruder und sein jüngerer – deutscher – Halbbruder sowie seine langjährige Freundin leben. Selbst wenn ihm die Bescheinigungen über eine aufgrund seiner Verlängerungsanträge eingetretene Erlaubnisfiktion zu Unrecht ausgestellt worden und sein Aufenthalt bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr als rechtmäßig anzusehen gewesen wäre, könnte er sich weiter auf Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen. Ein Verständnis dahingehend, dass ein Privatleben, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine „Verwurzelung“ begründet, nur auf der Grundlage eines weiterhin fortdauernden rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt, ist angesichts der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK weder erforderlich noch sinnvoll (Senatsurteil vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -). Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK bei einer bereits erfolgten und weiter bestehenden „Verwurzelung“ immer schon dann nicht mehr eröffnet wäre, wenn es dem Betreffenden in der Folge nicht gelungen ist, im Erwerbsleben Fuß zu fassen und sich eine eigene Existenz zu schaffen oder aber wenn er Straftaten begangen hat. Auch diese Punkte sind vielmehr gegebenenfalls bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung aller Umstände entsprechend zu gewichten. Davon ist das Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid vom 09.03.2010 auch ausgegangen. Zwar wird darin mehrmals eine „nicht abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse“ angeführt und zur Begründung unter anderem auf eine fehlende Berufsausbildung und die Straftaten verwiesen. Diese Argumentation erfolgt jedoch im Rahmen der Ermessensausübung und bei der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Die Frage, ob der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK überhaupt eröffnet ist, wird hingegen ausdrücklich bejaht; die Ausweisung sei als ein Eingriff in das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK anzusehen (S. 11 des Bescheids).
29 
Hingegen ist das in Art. 8 Abs. 1 EMRK ebenfalls geschützte Familienleben hier schon deshalb nicht betroffen, weil der volljährige Kläger bereits vor seiner erneuten Inhaftierung nicht mehr mit seiner Mutter und seinem jüngsten Halbbruder in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat und auch nicht etwa aus besonderen Gründen auf ein Zusammenleben mit seiner Familie und auf deren Beistand angewiesen wäre bzw. seine Brüder oder seine Mutter seine Hilfe und Unterstützung benötigen würden (vgl. zu diesen Anforderungen: Senatsbeschluss des Senats vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - InfAuslR 2009, 178, m.w.N).
30 
bb) Die danach vorzunehmende Abwägung aller Umstände führt zum Ergebnis, dass die Ausweisung des Klägers trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein im Bundesgebiet geführtes Privatleben nach Art. 8 EMRK als gerechtfertigt anzusehen ist – und damit auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG als verhältnismäßig zu beurteilen wäre.
31 
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 - [Trabelsi]) ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien. Danach sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das gegebenenfalls abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
32 
Nach diesen Grundsätzen ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Kläger innerhalb weniger Jahre bereits mehrmals strafbar gemacht hat und dass es sich bei dem in der Nacht vom 10. auf den 11.09.2005 verübten schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und dem am 20.01.2009 begangenen Versuch eines Totschlags um gravierende Straftaten handelt. Bereits mit der Verurteilung wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch das Landgericht Heilbronn vom 15.08.2006 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten war der Regelausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Das Regierungspräsidium sah damals wegen des langjährigen Aufenthalts des Klägers in Deutschland, der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Mutter und seinem deutschen Halbbruder, der vom Kläger geäußerten Reue und vor allem wegen des Berichts der Justizvollzugsanstalt Adelsheim vom 19.01.2007, nach welchem von einer günstigen Sozial und Kriminalprognose auszugehen sei, von einer Ausweisung ab. Es machte dem Kläger in einem Schreiben vom 07.02.2007 aber deutlich, dass eine erneute Straftat zu seiner Ausweisung führen könne. Dies hielt den Kläger ebenso wenig von weiteren Straftaten ab wie die Tatsache, dass die Vollstreckung der Reststrafe mit Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 09.01.2008 lediglich auf Bewährung ausgesetzt worden war. Er machte sich vielmehr nicht nur im Juli 2008 – wenige Monate nach seiner Haftentlassung am 12.02.2008 – wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung strafbar, sondern nur einige Monate später, am 20.01.2009, auch wegen versuchten Totschlags und Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
33 
Schon aus diesen Umständen ist zu folgern, dass im Falle des Klägers von einer sehr hohen Gefahr der Wiederholung schwerer Straftaten auszugehen ist. Dies wird noch verdeutlicht durch die innere Einstellung des Klägers zu Leib und Leben anderer, die er bei den Taten gezeigt hat. Bei der Rücksichtslosigkeit und Brutalität, mit der er vorgegangen ist, sind weitere ähnliche Taten konkret zu befürchten. Zwar war er nach den Feststellungen des Landgerichts Heilbronn im Urteil vom 15.08.2006 bei dem Überfall auf eine Autofirma am 10. bzw. 11.09.2005, bei welchem er und weitere fünf Täter zwei neuwertige Fahrzeuge entwendeten, weder Initiator noch Organisator des Geschehens, sondern wurde „angeworben“. Auch hat er den Wachmann, der den Raub entdeckt hatte und erheblich verletzt worden war, nicht selbst geschlagen. Er hat aber den zuvor gefassten Plan mitgetragen, diesen unter Anwendung erheblicher körperlicher Gewalt „auszuschalten“ und zu fesseln, war dabei zugegen und hat das brutale Vorgehen seiner Mittäter gebilligt sowie ihnen beim Anlegen der Fesseln durch Leuchten mit der Taschenlampe geholfen. Schließlich hat auch er den Wachmann, der gefesselt, schwer verletzt und blutend eine 10 m hohe Böschung hinuntergestoßen worden war, seinem Schicksal überlassen. Dabei hätten er und seine Mittäter zwar darauf vertraut, dass der Tod nicht eintreten würde, weil sie davon ausgegangen seien, dass der Wachmann noch lebend gefunden würde. Sie hätten aber erkannt, dass dieser sich aufgrund seiner wegen der Fesselung eingeschränkten Bewegungs- und Atmungsfähigkeit sowie der Witterungsverhältnisse in Todesgefahr befunden habe. Tatsächlich wurde er erst um 06.30 Uhr in lebensbedrohlichem Zustand gefunden und hat erhebliche physische und psychische Verletzungen erlitten. Bei der am 20.01.2009 begangenen Straftat des versuchten Totschlags ging offenbar die Initiative vom Mitangeklagten Mi.G aus. Nach den Feststellungen im Strafurteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 haben aber sowohl Mi.G als auch der Kläger – jeder mindestens einmal – mit dem vom Kläger mitgeführten Nunchaku mit Wucht auf den Kopf des Geschädigten K. eingeschlagen, so dass dieses in zwei Teile zerriss. Nachdem K. dann mit blutenden Kopfwunden auf dem Boden gelegen hat, haben beide auf ihn eingetreten, bis einer der beiden geäußert habe, man könne ihn nun liegenlassen, weil er „verrecke“. Beim Verlassen des Hauses seien beide davon ausgegangen, dass K. ohne ärztliche Hilfe versterben würde.
34 
Hinzu kommt, dass auch dieser zweite Angriff des Klägers auf Leib und Leben einer Person nicht etwa in einer besonderen Ausnahmesituation oder aufgrund einer gravierenden emotionalen Belastung erfolgte. Der Mittäter Mi.G. war nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 wegen Drogenabhängigkeit vermindert steuerungsfähig und hat sich wegen der außerehelichen Beziehungen seiner Ehefrau zu dem Geschädigten in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Im Falle des Klägers fehlen entsprechende besondere Umstände. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er auf Nachfragen angegeben, er könne sich selbst nicht erklären, wieso er die Tat begangen habe.
35 
Die Wiederholungsgefahr wird zudem durch den Drogenkonsum des Klägers eher noch erhöht. Dabei kann hier offen bleiben, ob von einer Drogenabhängigkeit auszugehen ist. Jedenfalls hat der Kläger seinen eigenen Angaben in den Strafverfahren nach jahrelang regelmäßig Haschisch konsumiert und teilweise auch härtere Drogen. Er hat offensichtlich selbst nach seiner Entlassung auf Bewährung am 12.02.2008 bis zu seiner erneuten Verhaftung weiterhin regelmäßig Drogen genommen.
36 
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass sich an der danach bestehenden hohen Gefahr der Wiederholung gravierender Straftaten etwas geändert haben könnte. Bislang wurden – unter anderem wegen der ausländerrechtlichen Situation – keinerlei therapeutische Maßnahmen durchgeführt. Der Kläger hat zwar eine feste Beziehung mit einer deutschen Staatsangehörigen. Diese besteht aber schon seit vielen Jahren, ohne dass ihn das von der Begehung der Straftaten abgehalten hätte. In der Justizvollzugsanstalt zeigt der Kläger ausweislich der dem Senat vorliegenden Gefangenpersonalakten wohl einige positive Entwicklungen, etwa bei der Arbeit. Gegen ihn mussten aber auch mehrfach Sicherungsmaßnahmen verhängt werden. Eine Urinkontrolle – von mehreren – wurde positiv auf THC getestet. Nach dem Vollzugsplan vom 15.03.2011 wird weiter von einer behandlungsbedürftigen Gewalt- und Suchtproblematik ausgegangen. Aufgrund seiner Anlasstat und der daraus ersichtlichen Persönlichkeitsstörung sei bei ihm eine Sozialtherapie grundsätzlich indiziert und weiterhin erforderlich. Im Hinblick darauf hatte die Justizvollzugsanstalt bei einer anderen Anstalt mit einer Sozialtherapeutischen Abteilung um Aufnahme des Klägers zur Durchführung einer Sozialtherapie gebeten. In den beigefügten Unterlagen wird von der Psychotherapeutin der Justizvollzugsanstalt dargelegt, dass die zutage getretene Gewaltneigung das zentrale Problem sei. Ohne erfolgreiche Sozialtherapie sei zu befürchten, dass der Kläger weitere Gewaltdelikte begehen werde.
37 
Zugunsten des Klägers ist unter anderem zu berücksichtigen, dass er sich seit seinem sechsten Lebensjahr in Deutschland aufhält, hier aufgewachsen ist, trotz offensichtlich problematischer Familienverhältnisse, die die Aufnahme durch eine Pflegefamilie erforderlich machten, den Hauptschulabschluss absolviert und seine Abschlussnote in dem anschließenden Berufsvorbereitungsjahr auf 2,5 verbessert hat. Danach hat er eine Lehre begonnen, welche er allerdings nicht abgeschlossen hat. Er hat eine feste Beziehung zu einer deutschen Staatsangehörigen, mit welcher er nach seiner Haftentlassung zusammenziehen will. Seine Mutter ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, sein älterer Bruder lebt ebenfalls in Deutschland, sein jüngerer Halbbruder ist deutscher Staatsangehörigkeit. Er spricht fließend Deutsch und wohl nur schlecht Englisch. Aktuelle Beziehungen zu seiner Heimat Jamaika hat der Kläger seinen Angaben nach nicht. Seine Großmutter und viele der näheren Verwandten seien in andere Länder ausgereist. In der mündlichen Verhandlung hat er erläutert, dass er nicht wisse, welche Bekannten und welche Verwandten noch in Jamaika lebten.
38 
Trotzdem ist dem Kläger eine Rückkehr nach Jamaika nicht unzumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er fast 25 Jahre alt ist, also grundsätzlich auch ohne die Unterstützung von Bekannten und Verwandten zurechtkommen kann. Dass es für ihn nicht einfach sein wird, sich in Jamaika ein neues Leben aufzubauen, liegt auf der Hand. Abgesehen davon, dass er wohl nicht fließend Englisch spricht, ist die allgemeine wirtschaftliche und politische Situation in Jamaika nicht günstig. Insbesondere ist von einer hohen Kriminalitätsrate auszugehen. Dies belegen die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Hinweise des österreichischen Außenministeriums zu Jamaika vom 31.08.2010 sowie die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts vom 31.08.2010 (ebenso neuere Hinweise, Stand 21.09.2011, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/JamaikaSicherheit.html). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Kriminalitätsrate so hoch bzw. oder die allgemeinen Verhältnisse derart schlecht wären, dass dem Kläger ein Leben in Jamaika nicht zugemutet werden könnte. Schließlich müsste er nicht in die offenbar besonders problematische Hauptstadt Kingston ziehen. In Anbetracht seiner Deutschkenntnisse hat er ohnehin wohl in den Touristenzentren bessere Chancen, Arbeit zu finden. Außerdem könnte er in der Anfangszeit gegebenenfalls durch seine Mutter oder seine Brüder unterstützt werden. Der Senat geht im Übrigen davon aus, dass der Kläger zumindest über ausreichende Grundkenntnisse des Englischen verfügt, die ihm ein Einleben möglich machen und auf die er für einen schnellen Spracherwerb aufbauen kann. Schließlich ist er erst in seinem sechsten Lebensjahr nach Deutschland eingereist und hat bis zu diesem Zeitpunkt nur Englisch gesprochen. Es ist anzunehmen, dass er sich danach zumindest mit seinem älteren Bruder noch einige Zeit weiter in seiner Muttersprache unterhalten hat. Dafür spricht, dass er in der vierten Grundschulklasse wegen Sprachproblemen auf die Förderschule wechseln musste. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung berichtet, dass er ab und zu mit seiner inzwischen in den USA lebenden Großmutter telefoniert habe. Er hat zwar dazu erläutert, dass sein Englisch nicht mehr so gut sei, so dass er teilweise Übersetzungshilfen durch seine Mutter benötigt habe. Danach ist ihm aber die englische Sprache jedenfalls nicht völlig fremd geworden.
39 
Insgesamt ist die Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der angeführten Bindungen in Deutschland und der zu erwartenden Schwierigkeiten in Jamaika wegen der Schwere der begangenen Straftaten und der besonders hohen Wiederholungsgefahr als verhältnismäßig anzusehen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung muss sie nicht etwa im Hinblick auf Art. 8 EMRK sogleich befristet werden.
40 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Ausweisung auch nicht aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff. - Rückführungsrichtlinie) bereits jetzt befristet werden muss (vgl. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Diese Richtlinie ist zwar zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (noch) unmittelbar anwendbar, weil die Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen und das „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ (vgl. Entwurf, BT-Drucks. 17/5470 vom 12.04.2011) noch nicht in Kraft getreten ist. Die Ausweisung selbst stellt jedoch keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie dar (vgl. Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291).
41 
Da die Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG mithin schon allein aufgrund spezialpräventiver Gründe als verhältnismäßig anzusehen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob sie auch selbstständig tragend generalpräventiv begründet werden könnte (vgl. dazu Senatsurteile vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 -AuAS 2011, 136, vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O., und vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -).
II.
42 
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Ausweisung selbst dann als rechtmäßig anzusehen wäre, wenn davon ausgegangen würde, dass Ermessen auszuüben ist. Denn die vom Verwaltungsgericht angeführten Ermessensfehler liegen nicht vor.
43 
Das beklagte Land hat im Rahmen der von ihm angestellten und durch seinen Vertreter in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet.
44 
Zunächst ist nicht ersichtlich, dass – bezogen auf den Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung – ein wesentlicher Umstand nicht berücksichtigt worden wäre. Abgesehen davon sind die Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren noch entsprechend ergänzt bzw. klargestellt worden. Die Tatsache, dass der Kläger fließend Deutsch spricht, ist schon wegen seines Hauptschulabschlusses selbstverständlich und musste im angefochtenen Bescheid nicht explizit erwähnt werden.
45 
Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat auch in den Ausführungen des Regierungspräsidiums im angefochtenen Bescheid zur Frage des Grades der Integration keinen Ermessensfehler zu erkennen. Zwar wird darin dargelegt, dass sich der Kläger „nicht vollständig“ in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe und zur Begründung auf die nicht abgeschlossene Berufsausbildung bzw. den fehlenden festen Arbeitsplatz und die begangenen Straftaten abgestellt. Wie ausgeführt, ist aber zunächst betont worden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK eröffnet ist. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass durchaus von einer Integration in dem Sinne ausgegangen worden ist, dass das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK greift. Dies hat der Vertreter des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung bekräftigt. Die weiteren Erwägungen zur Frage, ob die Integration abgeschlossen ist, erfolgen im Rahmen der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. des Ermessens. In diesem Zusammenhang aber können die angeführten Umstände wie Berufsausbildung, Berufstätigkeit, u.a. selbstverständlich berücksichtigt und die Straftaten als gewichtige Integrationsdefizite gewertet werden.
46 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Gewaltdelikte auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten. Aus den oben zu § 8 Abs. 2 EMRK angeführten Gründen lässt es sich rechtlich nicht beanstanden, dass das Regierungspräsidium das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers höher bewertet hat als sein erhebliches privates Interesse, von einer Ausweisung verschont zu bleiben.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
49 
Beschluss
50 
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Beschluss vom 15. Februar 2011 (12 K 1301/10) – auf 10.000,-- EUR, der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
51 
Gründe
52 
Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruhen auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage war nicht nur auf Aufhebung der unter Ziffer 1 des Bescheids vom 09.03.2010 verfügten Ausweisung gerichtet, sondern auch auf Verpflichtung der in diesem Bescheid ebenfalls erfolgten Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Während es sich bei den ersten beiden Begehren um zwei selbstständige prozessuale Ansprüche handelt, für die jeweils der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (vgl. Ziffern 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327), kommt der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 - InfAuslR 1982, 167). Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ist demnach auf 10.000,-- EUR festzusetzen, der für das Berufungsverfahren, in welchem es nur noch um die Ausweisung ging, auf 5.000,-- EUR.
53 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
20 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des beklagten Landes ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage insgesamt, also auch hinsichtlich der Ausweisung, abweisen müssen. Denn die unter Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 verfügte Ausweisung ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
21 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Stuttgart steht die Ausweisung des Klägers nicht im Ermessen des beklagten Landes und ist daher schon deshalb nicht wegen Ermessensfehlern aufzuheben. Vielmehr handelt es sich vorliegend um eine so genannte „Ist-Ausweisung“ bzw. „zwingende Ausweisung“ nach § 53 AufenthG. Da die Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG vorliegen (dazu unter 1.) und der Kläger weder besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG genießt (2.) noch seine Ausweisung mit Blick auf Art. 8 EMRK oder Art. 2 GG als unverhältnismäßig anzusehen ist (3.), ist sie rechtmäßig.
22 
1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Nr. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet worden ist. Die Tatbestandvoraussetzungen dieser Regelung sind schon allein aufgrund der letzten Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Heilbronn vom 20.10.2009 wegen versuchten Totschlags und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten gegeben.
23 
2. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG zu. Er kann sich insbesondere nicht auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG berufen. Danach genießt ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, besonderen Ausweisungsschutz. Der Kläger ist jedoch bereits seit Ablauf der Geltungsdauer der am 23.10.2002 ausgestellten Aufenthaltserlaubnis zum 22.10.2004 nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltstitels. Die am 01.09.2008 durch das Landratsamt Hohenlohekreis erfolgte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit bis zum 28.02.2009 ist mangels Bekanntgabe an den Kläger nie wirksam geworden. Soweit der Kläger vorträgt, er müsste so gestellt werden, als ob ihm der Aufenthaltstitel ausgehändigt worden wäre, verkennt er, dass dieser lediglich bis 28.02.2009 gegolten hätte. Die Anträge des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 28.10.2004 und vom 12.02.2008 sind unter Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 09.03.2010 abgelehnt worden. Selbst wenn durch die Anträge – trotz verspäteter Antragstellung – eine Fiktionswirkung (vgl. § 81 Abs. 4 AufenthG 2007, § 81 Abs. 4 AufenthG 2005, § 69 Abs. 3 AuslG 1965 i.d.F. vom 09.01.2002) eingetreten wäre, wäre diese damit jedenfalls beendet gewesen. Abgesehen davon hat das Regierungspräsidium zu Recht ausgeführt, dass Zeiten der Fiktionswirkung nicht dem (tatsächlichen) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gleichgestellt werden können (vgl. ausführlich Bay. VGH, Urteil vom 04.07.2011 - 19 B 10.1631 -juris, m.w.N.), wenn später die Erteilung des Titels unanfechtbar abgelehnt wurde.
24 
3. Die danach einfachgesetzlich zwingende Ausweisung des Klägers ist nicht mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK oder auf höherrangiges Recht wie Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig anzusehen.
25 
a) Auch eine zwingende Ausweisung nach § 53 AufenthG ist auf ihre Vereinbarkeit mit dem in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens hin zu überprüfen (vgl.VGH Bad.-Württ., Urteile vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 - und vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - juris; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.07.2003 - 1 B 252.02 - Buchholz 140 Art. 8 EMRK Nr. 14). Dies folgt nach Auffassung des Senats aus § 1 Abs. 1 Satz 5 AufenthG (noch mit anderer Begründung: VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 23.10.2002 - 11 S 1410/02 - NVwZ-RR 2003, 304, und vom 14.02.2001 - 13 S 2501/00 - NVwZ-Beil. 2001, 81). Danach bleiben die Regelungen in anderen Gesetzen „unberührt“. Diese „Unberührtheitsklausel“ gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zu den völkervertraglichen Regelungen, die – wie die Europäische Menschenrechtskonvention – durch Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) den Rang eines Bundesgesetzes erhalten haben und nicht nur die Vertragsparteien binden, sondern unmittelbar Rechte und Pflichten der betreffenden Staatsangehörigen begründen können, und zwar selbst wenn diese älter sind und deshalb nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ nicht vorrangig anwendbar wären (ausführlich dazu Fritzsch, VBlBW 2005, 378; GK-AufenthG, Stand: August 2011, § 1 AufenthG Rn. 23. ff.; Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 1 AufenthG Rn. 21).
26 
Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, ist im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung eine umfassende Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Offenbleiben kann daher, ob in diesen Fällen bei einer zwingenden Ausweisung zudem mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG – oder gegebenenfalls Art. 6 GG, welcher hier nicht einschlägig ist – i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen wäre (so OVG NRW, Beschluss vom 25.05.2009 - 18 E 1230/08 - AuAS 2009, 184; HambOVG, Urteil vom 24.03.2009 - 3 Bf 166/04 - InfAuslR 2009, 279), obwohl es sich um eine gebundene Entscheidung handelt und die Tatbestandsmerkmale des § 53 AufenthG – anders etwa als die der §§ 54 und 56 AufenthG – keinen Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Auslegung bieten (insoweit zu Recht kritisch Naumann, DÖV 2011, 96; vgl. zu Regel- und Ermessensausweisungen sowie zu § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG: BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443, und vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275; BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367). Denn insoweit wären dieselben Maßstäbe anzuwenden, die bei der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 EMRK zur Anwendung kommen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007- 2 BvR 535/06 - a.a.O.). In jedem Fall wäre der Ausländerbehörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. Senatsurteil vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O.; Bay.VGH, Beschluss vom 27.09.2010 - 19 ZB 09.715 - juris; vgl. auch Hailbronner, AuslR, Stand: September 2010, vor § 53 AufenthG Rn. 10 ff., m.w.N.; a.A. Thym, DVBl. 2008, 1346, 1351 f.; Huber, AuslR, 2010, § 53 AufenthG Rn. 5).
27 
b) Die Ausweisung des Klägers stellt zwar einen Eingriff in das in Art. 8 Abs. 1 EMRK verbürgte Recht auf Achtung seines Privatlebens dar; dieser ist jedoch gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.
28 
aa) Das Recht auf Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 - [Slivenko] EuGRZ 2005, 560). Über entsprechende Beziehungen verfügt der Kläger. Dies folgt bereits daraus, dass er seit seinem sechsten Lebensjahr und damit inzwischen seit mehr als 18 Jahren und 6 Monaten in Deutschland lebt, davon die meiste Zeit – jedenfalls bis zum 22.10.2004 – im Besitz von Aufenthaltstiteln war, hier zur Schule gegangen ist und den Hauptschulabschluss gemacht hat und zudem in Deutschland seine Mutter, sein älterer Bruder und sein jüngerer – deutscher – Halbbruder sowie seine langjährige Freundin leben. Selbst wenn ihm die Bescheinigungen über eine aufgrund seiner Verlängerungsanträge eingetretene Erlaubnisfiktion zu Unrecht ausgestellt worden und sein Aufenthalt bereits zum Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr als rechtmäßig anzusehen gewesen wäre, könnte er sich weiter auf Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen. Ein Verständnis dahingehend, dass ein Privatleben, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine „Verwurzelung“ begründet, nur auf der Grundlage eines weiterhin fortdauernden rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt, ist angesichts der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK weder erforderlich noch sinnvoll (Senatsurteil vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -). Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK bei einer bereits erfolgten und weiter bestehenden „Verwurzelung“ immer schon dann nicht mehr eröffnet wäre, wenn es dem Betreffenden in der Folge nicht gelungen ist, im Erwerbsleben Fuß zu fassen und sich eine eigene Existenz zu schaffen oder aber wenn er Straftaten begangen hat. Auch diese Punkte sind vielmehr gegebenenfalls bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung aller Umstände entsprechend zu gewichten. Davon ist das Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid vom 09.03.2010 auch ausgegangen. Zwar wird darin mehrmals eine „nicht abgeschlossene Integration in deutsche Lebensverhältnisse“ angeführt und zur Begründung unter anderem auf eine fehlende Berufsausbildung und die Straftaten verwiesen. Diese Argumentation erfolgt jedoch im Rahmen der Ermessensausübung und bei der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Die Frage, ob der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK überhaupt eröffnet ist, wird hingegen ausdrücklich bejaht; die Ausweisung sei als ein Eingriff in das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK anzusehen (S. 11 des Bescheids).
29 
Hingegen ist das in Art. 8 Abs. 1 EMRK ebenfalls geschützte Familienleben hier schon deshalb nicht betroffen, weil der volljährige Kläger bereits vor seiner erneuten Inhaftierung nicht mehr mit seiner Mutter und seinem jüngsten Halbbruder in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat und auch nicht etwa aus besonderen Gründen auf ein Zusammenleben mit seiner Familie und auf deren Beistand angewiesen wäre bzw. seine Brüder oder seine Mutter seine Hilfe und Unterstützung benötigen würden (vgl. zu diesen Anforderungen: Senatsbeschluss des Senats vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - InfAuslR 2009, 178, m.w.N).
30 
bb) Die danach vorzunehmende Abwägung aller Umstände führt zum Ergebnis, dass die Ausweisung des Klägers trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein im Bundesgebiet geführtes Privatleben nach Art. 8 EMRK als gerechtfertigt anzusehen ist – und damit auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG als verhältnismäßig zu beurteilen wäre.
31 
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - Nr. 41548/06 - [Trabelsi]) ist dabei von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien. Danach sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das gegebenenfalls abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
32 
Nach diesen Grundsätzen ist hier zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Kläger innerhalb weniger Jahre bereits mehrmals strafbar gemacht hat und dass es sich bei dem in der Nacht vom 10. auf den 11.09.2005 verübten schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und dem am 20.01.2009 begangenen Versuch eines Totschlags um gravierende Straftaten handelt. Bereits mit der Verurteilung wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch das Landgericht Heilbronn vom 15.08.2006 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten war der Regelausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Das Regierungspräsidium sah damals wegen des langjährigen Aufenthalts des Klägers in Deutschland, der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Mutter und seinem deutschen Halbbruder, der vom Kläger geäußerten Reue und vor allem wegen des Berichts der Justizvollzugsanstalt Adelsheim vom 19.01.2007, nach welchem von einer günstigen Sozial und Kriminalprognose auszugehen sei, von einer Ausweisung ab. Es machte dem Kläger in einem Schreiben vom 07.02.2007 aber deutlich, dass eine erneute Straftat zu seiner Ausweisung führen könne. Dies hielt den Kläger ebenso wenig von weiteren Straftaten ab wie die Tatsache, dass die Vollstreckung der Reststrafe mit Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 09.01.2008 lediglich auf Bewährung ausgesetzt worden war. Er machte sich vielmehr nicht nur im Juli 2008 – wenige Monate nach seiner Haftentlassung am 12.02.2008 – wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung strafbar, sondern nur einige Monate später, am 20.01.2009, auch wegen versuchten Totschlags und Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
33 
Schon aus diesen Umständen ist zu folgern, dass im Falle des Klägers von einer sehr hohen Gefahr der Wiederholung schwerer Straftaten auszugehen ist. Dies wird noch verdeutlicht durch die innere Einstellung des Klägers zu Leib und Leben anderer, die er bei den Taten gezeigt hat. Bei der Rücksichtslosigkeit und Brutalität, mit der er vorgegangen ist, sind weitere ähnliche Taten konkret zu befürchten. Zwar war er nach den Feststellungen des Landgerichts Heilbronn im Urteil vom 15.08.2006 bei dem Überfall auf eine Autofirma am 10. bzw. 11.09.2005, bei welchem er und weitere fünf Täter zwei neuwertige Fahrzeuge entwendeten, weder Initiator noch Organisator des Geschehens, sondern wurde „angeworben“. Auch hat er den Wachmann, der den Raub entdeckt hatte und erheblich verletzt worden war, nicht selbst geschlagen. Er hat aber den zuvor gefassten Plan mitgetragen, diesen unter Anwendung erheblicher körperlicher Gewalt „auszuschalten“ und zu fesseln, war dabei zugegen und hat das brutale Vorgehen seiner Mittäter gebilligt sowie ihnen beim Anlegen der Fesseln durch Leuchten mit der Taschenlampe geholfen. Schließlich hat auch er den Wachmann, der gefesselt, schwer verletzt und blutend eine 10 m hohe Böschung hinuntergestoßen worden war, seinem Schicksal überlassen. Dabei hätten er und seine Mittäter zwar darauf vertraut, dass der Tod nicht eintreten würde, weil sie davon ausgegangen seien, dass der Wachmann noch lebend gefunden würde. Sie hätten aber erkannt, dass dieser sich aufgrund seiner wegen der Fesselung eingeschränkten Bewegungs- und Atmungsfähigkeit sowie der Witterungsverhältnisse in Todesgefahr befunden habe. Tatsächlich wurde er erst um 06.30 Uhr in lebensbedrohlichem Zustand gefunden und hat erhebliche physische und psychische Verletzungen erlitten. Bei der am 20.01.2009 begangenen Straftat des versuchten Totschlags ging offenbar die Initiative vom Mitangeklagten Mi.G aus. Nach den Feststellungen im Strafurteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 haben aber sowohl Mi.G als auch der Kläger – jeder mindestens einmal – mit dem vom Kläger mitgeführten Nunchaku mit Wucht auf den Kopf des Geschädigten K. eingeschlagen, so dass dieses in zwei Teile zerriss. Nachdem K. dann mit blutenden Kopfwunden auf dem Boden gelegen hat, haben beide auf ihn eingetreten, bis einer der beiden geäußert habe, man könne ihn nun liegenlassen, weil er „verrecke“. Beim Verlassen des Hauses seien beide davon ausgegangen, dass K. ohne ärztliche Hilfe versterben würde.
34 
Hinzu kommt, dass auch dieser zweite Angriff des Klägers auf Leib und Leben einer Person nicht etwa in einer besonderen Ausnahmesituation oder aufgrund einer gravierenden emotionalen Belastung erfolgte. Der Mittäter Mi.G. war nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 20.10.2009 wegen Drogenabhängigkeit vermindert steuerungsfähig und hat sich wegen der außerehelichen Beziehungen seiner Ehefrau zu dem Geschädigten in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Im Falle des Klägers fehlen entsprechende besondere Umstände. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er auf Nachfragen angegeben, er könne sich selbst nicht erklären, wieso er die Tat begangen habe.
35 
Die Wiederholungsgefahr wird zudem durch den Drogenkonsum des Klägers eher noch erhöht. Dabei kann hier offen bleiben, ob von einer Drogenabhängigkeit auszugehen ist. Jedenfalls hat der Kläger seinen eigenen Angaben in den Strafverfahren nach jahrelang regelmäßig Haschisch konsumiert und teilweise auch härtere Drogen. Er hat offensichtlich selbst nach seiner Entlassung auf Bewährung am 12.02.2008 bis zu seiner erneuten Verhaftung weiterhin regelmäßig Drogen genommen.
36 
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass sich an der danach bestehenden hohen Gefahr der Wiederholung gravierender Straftaten etwas geändert haben könnte. Bislang wurden – unter anderem wegen der ausländerrechtlichen Situation – keinerlei therapeutische Maßnahmen durchgeführt. Der Kläger hat zwar eine feste Beziehung mit einer deutschen Staatsangehörigen. Diese besteht aber schon seit vielen Jahren, ohne dass ihn das von der Begehung der Straftaten abgehalten hätte. In der Justizvollzugsanstalt zeigt der Kläger ausweislich der dem Senat vorliegenden Gefangenpersonalakten wohl einige positive Entwicklungen, etwa bei der Arbeit. Gegen ihn mussten aber auch mehrfach Sicherungsmaßnahmen verhängt werden. Eine Urinkontrolle – von mehreren – wurde positiv auf THC getestet. Nach dem Vollzugsplan vom 15.03.2011 wird weiter von einer behandlungsbedürftigen Gewalt- und Suchtproblematik ausgegangen. Aufgrund seiner Anlasstat und der daraus ersichtlichen Persönlichkeitsstörung sei bei ihm eine Sozialtherapie grundsätzlich indiziert und weiterhin erforderlich. Im Hinblick darauf hatte die Justizvollzugsanstalt bei einer anderen Anstalt mit einer Sozialtherapeutischen Abteilung um Aufnahme des Klägers zur Durchführung einer Sozialtherapie gebeten. In den beigefügten Unterlagen wird von der Psychotherapeutin der Justizvollzugsanstalt dargelegt, dass die zutage getretene Gewaltneigung das zentrale Problem sei. Ohne erfolgreiche Sozialtherapie sei zu befürchten, dass der Kläger weitere Gewaltdelikte begehen werde.
37 
Zugunsten des Klägers ist unter anderem zu berücksichtigen, dass er sich seit seinem sechsten Lebensjahr in Deutschland aufhält, hier aufgewachsen ist, trotz offensichtlich problematischer Familienverhältnisse, die die Aufnahme durch eine Pflegefamilie erforderlich machten, den Hauptschulabschluss absolviert und seine Abschlussnote in dem anschließenden Berufsvorbereitungsjahr auf 2,5 verbessert hat. Danach hat er eine Lehre begonnen, welche er allerdings nicht abgeschlossen hat. Er hat eine feste Beziehung zu einer deutschen Staatsangehörigen, mit welcher er nach seiner Haftentlassung zusammenziehen will. Seine Mutter ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, sein älterer Bruder lebt ebenfalls in Deutschland, sein jüngerer Halbbruder ist deutscher Staatsangehörigkeit. Er spricht fließend Deutsch und wohl nur schlecht Englisch. Aktuelle Beziehungen zu seiner Heimat Jamaika hat der Kläger seinen Angaben nach nicht. Seine Großmutter und viele der näheren Verwandten seien in andere Länder ausgereist. In der mündlichen Verhandlung hat er erläutert, dass er nicht wisse, welche Bekannten und welche Verwandten noch in Jamaika lebten.
38 
Trotzdem ist dem Kläger eine Rückkehr nach Jamaika nicht unzumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er fast 25 Jahre alt ist, also grundsätzlich auch ohne die Unterstützung von Bekannten und Verwandten zurechtkommen kann. Dass es für ihn nicht einfach sein wird, sich in Jamaika ein neues Leben aufzubauen, liegt auf der Hand. Abgesehen davon, dass er wohl nicht fließend Englisch spricht, ist die allgemeine wirtschaftliche und politische Situation in Jamaika nicht günstig. Insbesondere ist von einer hohen Kriminalitätsrate auszugehen. Dies belegen die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Hinweise des österreichischen Außenministeriums zu Jamaika vom 31.08.2010 sowie die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts vom 31.08.2010 (ebenso neuere Hinweise, Stand 21.09.2011, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/JamaikaSicherheit.html). Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Kriminalitätsrate so hoch bzw. oder die allgemeinen Verhältnisse derart schlecht wären, dass dem Kläger ein Leben in Jamaika nicht zugemutet werden könnte. Schließlich müsste er nicht in die offenbar besonders problematische Hauptstadt Kingston ziehen. In Anbetracht seiner Deutschkenntnisse hat er ohnehin wohl in den Touristenzentren bessere Chancen, Arbeit zu finden. Außerdem könnte er in der Anfangszeit gegebenenfalls durch seine Mutter oder seine Brüder unterstützt werden. Der Senat geht im Übrigen davon aus, dass der Kläger zumindest über ausreichende Grundkenntnisse des Englischen verfügt, die ihm ein Einleben möglich machen und auf die er für einen schnellen Spracherwerb aufbauen kann. Schließlich ist er erst in seinem sechsten Lebensjahr nach Deutschland eingereist und hat bis zu diesem Zeitpunkt nur Englisch gesprochen. Es ist anzunehmen, dass er sich danach zumindest mit seinem älteren Bruder noch einige Zeit weiter in seiner Muttersprache unterhalten hat. Dafür spricht, dass er in der vierten Grundschulklasse wegen Sprachproblemen auf die Förderschule wechseln musste. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung berichtet, dass er ab und zu mit seiner inzwischen in den USA lebenden Großmutter telefoniert habe. Er hat zwar dazu erläutert, dass sein Englisch nicht mehr so gut sei, so dass er teilweise Übersetzungshilfen durch seine Mutter benötigt habe. Danach ist ihm aber die englische Sprache jedenfalls nicht völlig fremd geworden.
39 
Insgesamt ist die Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der angeführten Bindungen in Deutschland und der zu erwartenden Schwierigkeiten in Jamaika wegen der Schwere der begangenen Straftaten und der besonders hohen Wiederholungsgefahr als verhältnismäßig anzusehen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung muss sie nicht etwa im Hinblick auf Art. 8 EMRK sogleich befristet werden.
40 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Ausweisung auch nicht aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff. - Rückführungsrichtlinie) bereits jetzt befristet werden muss (vgl. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Diese Richtlinie ist zwar zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (noch) unmittelbar anwendbar, weil die Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen und das „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ (vgl. Entwurf, BT-Drucks. 17/5470 vom 12.04.2011) noch nicht in Kraft getreten ist. Die Ausweisung selbst stellt jedoch keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie dar (vgl. Senatsurteil vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291).
41 
Da die Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG mithin schon allein aufgrund spezialpräventiver Gründe als verhältnismäßig anzusehen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob sie auch selbstständig tragend generalpräventiv begründet werden könnte (vgl. dazu Senatsurteile vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 -AuAS 2011, 136, vom 15.04.2011 - 11 S 189/11 - a.a.O., und vom 14.09.2011 - 11 S 2811/10 -).
II.
42 
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Ausweisung selbst dann als rechtmäßig anzusehen wäre, wenn davon ausgegangen würde, dass Ermessen auszuüben ist. Denn die vom Verwaltungsgericht angeführten Ermessensfehler liegen nicht vor.
43 
Das beklagte Land hat im Rahmen der von ihm angestellten und durch seinen Vertreter in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet.
44 
Zunächst ist nicht ersichtlich, dass – bezogen auf den Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung – ein wesentlicher Umstand nicht berücksichtigt worden wäre. Abgesehen davon sind die Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren noch entsprechend ergänzt bzw. klargestellt worden. Die Tatsache, dass der Kläger fließend Deutsch spricht, ist schon wegen seines Hauptschulabschlusses selbstverständlich und musste im angefochtenen Bescheid nicht explizit erwähnt werden.
45 
Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat auch in den Ausführungen des Regierungspräsidiums im angefochtenen Bescheid zur Frage des Grades der Integration keinen Ermessensfehler zu erkennen. Zwar wird darin dargelegt, dass sich der Kläger „nicht vollständig“ in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe und zur Begründung auf die nicht abgeschlossene Berufsausbildung bzw. den fehlenden festen Arbeitsplatz und die begangenen Straftaten abgestellt. Wie ausgeführt, ist aber zunächst betont worden, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK eröffnet ist. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass durchaus von einer Integration in dem Sinne ausgegangen worden ist, dass das Achtungsgebot des Art. 8 Abs. 1 EMRK greift. Dies hat der Vertreter des beklagten Landes in der mündlichen Verhandlung bekräftigt. Die weiteren Erwägungen zur Frage, ob die Integration abgeschlossen ist, erfolgen im Rahmen der Prüfung von Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. des Ermessens. In diesem Zusammenhang aber können die angeführten Umstände wie Berufsausbildung, Berufstätigkeit, u.a. selbstverständlich berücksichtigt und die Straftaten als gewichtige Integrationsdefizite gewertet werden.
46 
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Gewaltdelikte auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten. Aus den oben zu § 8 Abs. 2 EMRK angeführten Gründen lässt es sich rechtlich nicht beanstanden, dass das Regierungspräsidium das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers höher bewertet hat als sein erhebliches privates Interesse, von einer Ausweisung verschont zu bleiben.
47 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
49 
Beschluss
50 
Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird – unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Beschluss vom 15. Februar 2011 (12 K 1301/10) – auf 10.000,-- EUR, der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
51 
Gründe
52 
Die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen sowie die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruhen auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG. Die beim Verwaltungsgericht erhobene Klage war nicht nur auf Aufhebung der unter Ziffer 1 des Bescheids vom 09.03.2010 verfügten Ausweisung gerichtet, sondern auch auf Verpflichtung der in diesem Bescheid ebenfalls erfolgten Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Während es sich bei den ersten beiden Begehren um zwei selbstständige prozessuale Ansprüche handelt, für die jeweils der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,-- EUR anzusetzen ist (vgl. Ziffern 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327), kommt der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung hier keine streitwerterhöhende Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.04.1982 - 1 B 38.82 - InfAuslR 1982, 167). Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren ist demnach auf 10.000,-- EUR festzusetzen, der für das Berufungsverfahren, in welchem es nur noch um die Ausweisung ging, auf 5.000,-- EUR.
53 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1981 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Vater des Klägers war 1973 in das Bundesgebiet eingereist und hier als Arbeitnehmer tätig. Er ist mittlerweile verstorben. Der Kläger hat vier ältere Brüder, die alle in Deutschland leben. Auch seine pflegebedürftige Mutter lebt hier. Der Kläger wuchs bei seinen Eltern auf und war seit Oktober 1997 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. 1998 schloss er die Hauptschule und 2001 eine Lehre als Verpackungsmittelmechaniker ab.

3

Am 8. April 2004 ordnete das Amtsgericht S. gegen den Kläger Untersuchungshaft an, weil er dringend verdächtig war, als Mitglied einer Bande mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Der Aufenthalt des Klägers war zum damaligen Zeitpunkt unbekannt. Tatsächlich war er in die Niederlande geflohen. Dort hielt er sich 14 Monate auf, bis er am 2. Juni 2005 verhaftet und am 12. August 2005 an die Bundesrepublik Deutschland überstellt wurde.

4

Mit Urteil des Landgerichts S. vom 24. November 2005 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 12 tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857 300 € wurde angeordnet. Der Verurteilung lag ein Handeltreiben mit etwas mehr als 200 kg Marihuana sowie 500 g Kokain zugrunde. Tatsächlich war jedoch unter führender Beteiligung des Klägers nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs von Januar 2002 bis zu seiner Verhaftung im Juni 2005 mit insgesamt 2 Tonnen Marihuana, mindestens 5 kg Kokain und mit Ecstasy-Tabletten gehandelt worden (UA S. 33), davon 1,5 Tonnen Marihuana vor seiner Flucht in die Niederlande (UA S. 20) und 500 kg nach der Flucht. Das war der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung nicht bekannt.

5

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 4. Oktober 2006 aus, ohne die Wirkungen der Ausweisung zu befristen, und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung der Ausweisung stützte sich der Beklagte darauf, dass der Kläger trotz der von ihm erworbenen assoziationsrechtlichen Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 im Ermessenswege ausgewiesen werden könne, weil die Voraussetzungen des Art. 14 ARB 1/80 erfüllt seien. Mit den Drogenstraftaten habe der Kläger ein persönliches Verhalten an den Tag gelegt, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Zudem liege eine konkrete Wiederholungsgefahr vor. Der Kläger sei wegen zahlreicher Einzeltaten verurteilt worden, die sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt hätten. Auch wenn er seit seiner Geburt in Deutschland lebe, sei er doch nicht ohne Bindungen in die Türkei. Das Interesse der Gesellschaft an der Verhinderung weiterer Straftaten sei aber höher zu bewerten als das Interesse des Klägers am Zusammenleben mit seinen Eltern und seinen Brüdern. Die Ausweisung wurde ohne Beteiligung einer weiteren Verwaltungsbehörde erlassen.

6

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. März 2008 ab. Während des Berufungsverfahrens ordnete die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 26. Oktober 2010 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe an und setzte eine Bewährungszeit von drei Jahren fest. Die bedingte Entlassung erfolgte etwa ein halbes Jahr vor der Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe. Zur Begründung der Entscheidung stützte sich die Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen auf ein kriminalprognostisches Gutachten und eine eigene Anhörung des Klägers.

7

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Kläger eingehend zu den Tathintergründen und seinem Verhalten nach der Tat befragt worden. Weiter wurde Kriminalhauptkommissar K., der die Ermittlungen gegen den Kläger und die Drogenbande geleitet hatte, als Zeuge vernommen. Schließlich wurde die Gutachterin aus dem Strafvollstreckungsverfahren zur Erläuterung ihres Gutachtens angehört.

8

Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 4. Oktober 2006 aufgehoben. Der Rechtsstreit wurde insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.

9

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. April 2011 die Berufung hinsichtlich der Ausweisung zurückgewiesen: Der Kläger habe nur bis zum April 2004 ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 besessen. Er sei als Sohn eines in der Vergangenheit dem deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers geboren, was nach fünf Jahren zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 geführt habe. Mit dem Abschluss seiner Lehre habe er auch eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 erworben. Diese Rechte habe er aber durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm drohenden Strafverfolgung verloren, weil er sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands habe aufhalten wollen. Insbesondere die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses und die Fortsetzung der Betäubungsmittelkriminalität von den Niederlanden aus verdeutlichten, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt gehabt habe.

10

Damit sei § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG Rechtsgrundlage für die Ausweisung. Besonderen Ausweisungsschutz genieße der Kläger nicht, weil seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen sei, als er mit seiner Flucht in die Niederlande aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausgereist sei. Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers erweise sich aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch nach Art. 8 EMRK als verhältnismäßig. Der Kläger habe als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme Straftaten verübt, die ihn als Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität auswiesen. Er habe ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt. Auch aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Kläger sei der Senat davon überzeugt, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgehe. Dem kriminalprognostischen Gutachten werde keine entscheidungserhebliche Bedeutung zugemessen, weil es auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruhe und in zentralen Punkten nicht schlüssig sei. Diese Mängel hätten nicht ausgeräumt werden können. Die Gutachterin habe u.a. nicht in den Blick genommen, dass der Kläger mehr als 800 000 € Schulden habe.

11

Die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung noch vor Ablauf des Zweidritteltermins führe nicht dazu, dass die Frage der Wiederholungsgefahr günstiger zu sehen sei. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sei auf das mangelhafte Gutachten gestützt. Auch sei der Senat aufgrund des gewonnenen Eindrucks vom Kläger überzeugt, dass dieser keine nachhaltige Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen habe. Die beanstandungsfreie Führung und Weiterbildung des Klägers im Vollzug lasse nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Gleiches gelte dafür, dass er in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen sei. Die Lebensumstände unterschieden sich nach der Haftentlassung nicht grundlegend von denen, die vor dem Einstieg in die Kriminalität vorgelegen hätten; die immense Schuldenbelastung sei sogar ein zusätzlicher negativer Faktor. Die Ausweisung sei auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verhältnismäßig.

12

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung der Ausweisung. Hilfsweise erstrebt er ihre sofortige Befristung. Er rügt, er habe seine Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 mit der Flucht in die Niederlande entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht verloren. Insoweit komme es nicht auf den subjektiven Willen an, sondern auf das objektive Geschehen. Ein Auslandsaufenthalt von etwas mehr als einem Jahr genüge nicht, um die Rechtsposition zum Erlöschen zu bringen. Einer zwingenden Ausweisung stehe weiter entgegen, dass der Kläger im Februar 2011 eine kosovarische Staatsangehörige nach islamischem Ritus geheiratet habe und mit ihr und ihren Kindern nunmehr in familiärer Gemeinschaft zusammenlebe. Die Ausweisung sei darüber hinaus verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das Gebot zur Einschaltung einer unabhängigen Stelle im einstufigen Verwaltungsverfahren aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG verletzt worden sei. Im Übrigen müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger nach Abschluss des Berufungsverfahrens seine Lebensgefährtin standesamtlich geheiratet habe. Diese sei im November 2012 eingebürgert worden. Die Eheleute seien seit dem 5. Januar 2012 auch Eltern einer deutschen Tochter. Diese neuen Tatsachen seien im Revisionsverfahren jedenfalls insoweit zu berücksichtigen, als sie sich aus Urkunden ergäben.

13

Der Beklagte tritt der Revision entgegen. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des Klägers hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht die Ausweisung als rechtmäßig angesehen (1.). Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von neun Jahren zu befristen (2.).

15

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung und des Befristungsbegehrens ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 15. April 2011 (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl. u. Asylrecht Nr. 47 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl I S. 1224). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

16

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Dabei kann offenbleiben, ob der Kläger in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt eine Rechtsstellung nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) - ARB 1/80 - besaß oder ob - wovon das Berufungsgericht ausgeht - diese Rechtsstellung erloschen ist und sich die Ausweisung daher allein nach nationalem Aufenthaltsrecht beurteilt. Für den Fall des Erlöschens des assoziationsrechtlich begründeten Aufenthaltsrechts ist das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die verfügte Ausweisung den Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Aber selbst wenn die Ausweisung an den Maßstäben des ARB 1/80 zu messen ist, erweist sie sich als rechtmäßig.

17

1.1 Der Kläger hat eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 erworben. Er ist in Deutschland als Sohn eines nach Deutschland gezogenen türkischen Arbeitnehmers geboren und aufgewachsen. Damit erfüllt er - ungeachtet des Umstands, dass er nicht zu seinem Vater nachgezogen ist - die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 (vgl. Urteil vom 6. Oktober 2005 - BVerwG 1 C 5.04 - BVerwGE 124, 243 <246> = Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 45). Er hat im Bundesgebiet zudem eine Berufsausbildung abgeschlossen, so dass er auch nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 privilegiert ist.

18

Geht man davon aus, dass der Kläger seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren hat, bestimmt sich die Rechtmäßigkeit der gegen ihn verfügten Ausweisung nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besitzt der Kläger nicht, da sein nationaler Aufenthaltstitel infolge der Ausreise in die Niederlande im April 2004 erloschen ist (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990). Gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 kann der Kläger nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422 Rn. 86). Das ist hier der Fall.

19

1.2 Die Gefahren, die vom gewerbsmäßigen illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - Rs. C-145/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Er verweist auf die "verheerenden Folgen" gerade des bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln für die Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten (a.a.O. Rn. 46). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen (a.a.O. Rn. 54). Im Übrigen zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - Rs. C-348/09, P.I. - NVwZ 2012, 1095 Rn. 28). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln, selbst wenn er nicht bandenmäßig begangen wird, als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, Arvelo Aponte/Niederlande - Rn. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, Khan/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 2010, 369 Rn. 40 m.w.N.).

20

Nach diesen Maßstäben stellt das persönliche Verhalten des Klägers eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Er hat aus reinem Gewinnstreben bandenmäßig mit Betäubungsmitteln gehandelt, und zwar in führender Position innerhalb der Bande. Der illegale Handel erfolgte über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren und bezog sich auf eine sehr große Menge Marihuana (2 Tonnen) sowie eine erhebliche Menge Kokain (mindestens 5 kg). Der Kläger hat den Drogenhandel auch nach Aufdeckung seines strafbaren Verhaltens vom Ausland aus fortgesetzt.

21

1.3 Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens im Bereich der Drogenkriminalität bejaht. Es hat die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei dem die gebotene Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, seine hohe Schuldenbelastung, aber auch seine beanstandungsfreie Führung im Strafvollzug sowie in der anschließenden Bewährungszeit und die vom Kläger im Vollzug genutzte Möglichkeit zur Weiterbildung umfassend gewürdigt. Nach der Überzeugung des Gerichts lässt sich eine erhebliche Wiederholungsgefahr vor allem aus dem Ausmaß der vom Kläger begangenen Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation ableiten. Das Berufungsgericht kam nach ausführlicher Anhörung des Klägers in der mehrstündigen mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis, dass der Kläger in den Jahren nach Beendigung seiner Taten keinen grundlegenden Persönlichkeitswandel vollzogen hat, der verlässlich den Schluss auf ein zukünftig straffreies Leben zulässt.

22

Dabei hat sich das Gericht eingehend mit dem kriminalprognostischen Gutachten vom September 2010 auseinandergesetzt, das zur Aussetzung der Restfreiheitsstrafe durch die Strafvollstreckungskammer führte. Darin ist die Gutachterin zu dem Ergebnis gekommen, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht. Das Berufungsgericht ist dem Gutachten nicht gefolgt, weil es nach seiner Auffassung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruht, in zentralen Punkten nicht schlüssig ist und die Mängel auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt werden konnten. So hat sich die Gutachterin als Beleg dafür, dass der Kläger nunmehr andere Ziele im Leben verfolge, auf seine enge Beziehung zu einer türkischstämmigen Frau bezogen, mit der er sich verloben wolle. Tatsächlich hatte er zum Zeitpunkt der Begutachtung schon Kontakt zu seiner heutigen Ehefrau aufgenommen, was er der Gutachterin verschwiegen hatte. Ferner hatte der Kläger gegenüber der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben. Tatsächlich war aber sein langjähriger Freund M., der ebenfalls der Drogenbande angehörte, Trauzeuge bei der Heirat nach islamischem Ritus mit seiner heutigen Ehefrau, und zwar wenige Monate nach der Begutachtung. Ferner ist die Gutachterin davon ausgegangen, dass der Kläger mit Marihuana im Kilogrammbereich gehandelt habe, während sich das Volumen des Handels mit diesem Betäubungsmittel auf 2 Tonnen bezog und dazu noch der Handel mit mindestens 5 kg Kokain und mit Ecstasy-Tabletten kam. Schließlich hatte die Gutachterin die hohe verbliebene Schuldenbelastung des Klägers von mehr als 800 000 € nicht berücksichtigt. Die Einschätzung, dass die Inhaftierung beim Kläger offenkundig zu einem Gesinnungswandel geführt habe, hatte die Gutachterin nach einer lediglich eineinhalbstündigen Exploration gewonnen, während das Berufungsgericht aufgrund seiner mehrstündigen Verhandlung, in der auch der Kläger eingehend angehört und befragt wurde, zu dem gegenteiligen Ergebnis kam.

23

Das Berufungsgericht war bei seiner Gefahrenprognose nicht an die Einschätzung der Strafvollstreckungskammer bei deren Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gebunden. Zwar sind die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der Prognose ein wesentliches Indiz dar. Eine Bindungswirkung geht von den strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidungen jedoch nicht aus. Die sich nach Unionsrecht bestimmende Prognose, ob der Ausländer eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt, bestimmt sich nämlich nicht nach strafrechtlichen Gesichtspunkten, auch nicht nach dem Gedanken der Resozialisierung. Vielmehr haben die zuständigen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. Urteile vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 C 17.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 = NVwZ 1997, 1119<1120> und vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 <193> = Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 40; Discher, in: GK-AufenthG, Stand: Juni 2009, vor §§ 53 ff. Rn. 1241 ff.). Dabei haben sie auch sonstige, den Strafgerichten möglicherweise nicht bekannte oder von ihnen nicht beachtete Umstände des Einzelfalles heranzuziehen. Sie können deshalb sowohl aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage als auch aufgrund einer anderen Würdigung zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen. Im vorliegenden Fall erscheint ein Abweichen des Berufungsgerichts von der positiven Sozialprognose der Strafvollstreckungskammer schon deshalb nachvollziehbar, weil die strafrichterliche Entscheidung auf einem als mangelhaft bewerteten kriminalprognostischen Gutachten beruhte und sich das Berufungsgericht zudem auf neuere Erkenntnisse aus der Zeit nach Haftentlassung (z.B. erneuter Kontakt zu einem Mitglied der früheren Drogenbande) und insbesondere auf eine aktuelle ausführliche Befragung des Klägers, der Gutachterin und des ermittelnden Polizeibeamten stützen konnte. Damit ergibt sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, dass das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Art. 14 ARB 1/80 darstellt. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht seine Gefahrenprognose im Rahmen der Prüfung von § 53 AufenthG getroffen hat. Denn die getroffenen Feststellungen und deren tatrichterliche Würdigung ermöglichen dem Revisionsgericht die rechtliche Beurteilung, dass die Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 überschritten ist.

24

1.4 Die Ausweisung des Klägers erweist sich auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Das Berufungsgericht hat die schützenswerten Belange des Klägers, die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien umfassend gewürdigt (vgl. Urteile vom 2. August 2001 - Nr. 54273/00, Boultif/Schweiz - InfAuslR 2001, 476 und vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279). Es hat in den Blick genommen, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die deutsche Sprache beherrscht und seine gesamte Erziehung und Sozialisation in Deutschland erfahren hat. Das Gericht hat auch die familiären Bindungen des Klägers an seine in Deutschland lebende Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien berücksichtigt. Die zunächst erfolgreiche Integration in den deutschen Arbeitsmarkt hat der Kläger allerdings von sich aus gelöst, indem er sich nur noch im illegalen Drogenhandel betätigte. Zugleich hat das Berufungsgericht die in der Haftzeit begonnene und zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits weit fortgeschrittene berufliche Weiterbildung des Klägers zum Mediengestalter positiv gewürdigt. In die Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das Gericht auch die Tatsache einbezogen, dass der Kläger nunmehr in einer Lebensgemeinschaft mit Frau D. und deren minderjährigen Kindern lebt, die Eheschließung mit Frau D. anstrebt und mit ihr einen Kinderwunsch verwirklichen möchte. Die Ausweisung des Klägers ist aber auch unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei verhältnismäßig; sie ist im Hinblick auf die Vorgaben des Unionsrechts und der EMRK nicht zu beanstanden.

25

Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Tatsache, dass der Kläger im Verlauf des Revisionsverfahrens standesamtlich geheiratet hat, seine Ehefrau und deren Kinder deutsche Staatsangehörige geworden sind und der Kläger Vater eines eigenen Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit geworden ist, der Entscheidung des Senats nicht zugrunde gelegt werden. Das Bundesverwaltungsgericht ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt. Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Revisionsinstanz wird durch das Unionsrecht nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem Unionsrecht erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll (vgl. hierzu im Einzelnen: Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Aufnahme in die Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 19). Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) und Art. 13 EMRK. Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - Rs. C-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69; EGMR, Urteil vom 17. Januar 1970 - Nr. 2689/65, Delcourt - EGMR-E 1, 100 Rn. 25). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Vielmehr hängt die Anwendung der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes von den ersichtlichen Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens - hier des Revisionsverfahrens - ab (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Januar 1970 a.a.O. Rn. 26). Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei der Überprüfung von Ausweisungsentscheidungen Tatsachen berücksichtigt, die nach der abschließenden nationalen Entscheidung eingetreten sind, ergibt sich daraus keine entsprechende Verpflichtung für die nationalen Gerichte in einem Revisionsverfahren (vgl. Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi/Deutschland - EUGRZ 2012, 11 Rn. 60 f.). Nach nationalem Recht verbleibt die Möglichkeit, nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände zugunsten des Ausländers zu berücksichtigen, indem dieser eine Verkürzung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG beantragt (dazu unter 2.).

26

1.5 Besitzt der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (EuGH, Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 84; so bereits BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet. Zugunsten des Ausländers sind die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und seine schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 20).

27

Mit Blick auf diese Vorgaben ist die Ermessensausübung des Beklagten im Ausweisungsbescheid vom 4. Oktober 2006 nicht zu beanstanden. Der Beklagte geht von einem aus dem Assoziationsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 aus und misst die Rechtmäßigkeit der Ausweisung am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80. Er erkennt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung und beachtet deren gesetzliche Grenzen. In die Ermessensentscheidung sind alle relevanten Gesichtspunkte eingestellt worden. Die erfolgte Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Abwehr der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit im Fall der Fortsetzung des illegalen Drogenhandels gegen das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland ist rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Begründung des öffentlichen Interesses stützt sich der Beklagte ausschließlich auf Gefahren, die vom Kläger selbst ausgehen und nicht auf generalpräventive Gründe. Ausführungen, die der Beklagte schriftsätzlich im Berufungsverfahren zu Fragen der Generalprävention gemacht hat, sind nicht Bestandteil der behördlichen Ermessensentscheidung geworden. Denn für eine Ergänzung von Ermessensentscheidungen gelten nach der Rechtsprechung des Senats strenge Maßstäbe an Form und Handhabung, damit der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 1 C 14.10 - BVerwGE 141, 253 Rn. 18). Diese sind hier nicht erfüllt. Denn der Beklagte hat in seinen Schriftsätzen vom 12. Januar 2011, 16. März 2011 und 7. April 2011 jedenfalls nicht hinreichend deutlich getrennt zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt seiner Entscheidung betreffen, und Ausführungen, mit denen er lediglich als Prozesspartei seine Entscheidung verteidigt. Etwaige Zweifel und Unklarheiten über Inhalt und Umfang nachträglicher Ergänzungen gehen aber zulasten der Behörde (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 18). Die behördliche Entscheidung verstößt auch nicht gegen das Gebot der Aktualität der Ermessenserwägungen. Denn der Beklagte hat ausweislich seines Schriftsatzes vom 7. April 2011 die neue Entwicklung in den persönlichen Verhältnissen des Klägers erkannt und gewürdigt, insbesondere seine Haftentlassung, seine Heirat von Frau D. nach islamischem Ritus und die Betreuungsbedürftigkeit seiner Mutter. Er hat dies aber nicht zum Anlass für eine Ergänzung seiner Ermessensentscheidung genommen. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, da die Änderungen in dem vorliegenden Fall (noch) kein solches Gewicht hatten, dass sie angesichts der Größe der vom Kläger weiterhin ausgehenden Gefahr einen Anlass für eine Ermessensergänzung gaben. Anders hätte sich die Lage dargestellt, wenn der Kläger im April 2011 bereits mit einer Deutschen verheiratet gewesen und mit ihr ein deutsches Kind gehabt hätte, wie das heute der Fall ist. Dann hätte die Änderung der persönlichen Verhältnisse des Klägers eine Qualität erreicht, die eine Ergänzung der Ermessensentscheidung erfordert hätte, ohne dass deshalb von einer Ausweisung hätte abgesehen werden müssen.

28

1.6 Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.> im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs. C-136/03, Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 4. Oktober 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr.

29

Es kann offenbleiben, ob sich für assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige die unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen nunmehr nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG (betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigte) oder nach Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (betreffend Unionsbürger) bestimmen. Denn in keiner dieser Vorschriften ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme vorgeschrieben. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 8. Dezember 2011 für die Auslegung von Art. 14 ARB 1/80 als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG herangezogen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 74 und 78 f.). Nach Absatz 4 dieser Vorschrift steht langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen. Noch nicht ausdrücklich entschieden wurde, ob die maßgebliche Vorschrift der Richtlinie 2004/38/EG für den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen (Art. 31) auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige entsprechend angewendet werden kann. Selbst wenn das geboten wäre, ergäbe sich daraus nicht die Verpflichtung zur Beteiligung einer unabhängigen Stelle, denn Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG sieht eine solche Beteiligung nicht vor. Vielmehr bestimmt Art. 31 Abs. 1, dass gegen Ausweisungsentscheidungen ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Im Rechtsbehelfsverfahren sind gemäß Art. 31 Abs. 3 die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Das Rechtsbehelfsverfahren gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf den in Art. 28 geregelten Schutz vor Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist (Art. 31 Abs. 3 Satz 2). Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG kompensiert den Wegfall der Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Verwaltungsverfahren, wie sie noch in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vorgeschrieben war, durch einen erhöhten Rechtsschutz im gerichtlichen Verfahren. Die angefochtene Entscheidung unterliegt nunmehr nicht nur einer Rechtskontrolle, sondern das Gericht hat auch die der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen zu überprüfen.

30

Nicht gefolgt werden kann der Auffassung, Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG sehe weiter die Beteiligung einer unabhängigen Stelle vor, was sich zum einen daraus ergebe, dass der Rechtsbehelf nach Art. 31 Abs. 1 "gegebenenfalls" auch bei einer Behörde eingelegt werden könne und sich die Überprüfung im Rechtsbehelfsverfahren gemäß Art. 31 Abs. 3 nicht nur auf Tatsachen, sondern auch auf "Umstände" zu beziehen habe. Denn der Verweis in Art. 31 Abs. 1 auf die Möglichkeit, einen Rechtsbehelf gegebenenfalls bei einer Behörde einzulegen (englische Fassung: "where appropriate"), bezieht sich erkennbar auf die Fälle, in denen das nationale Recht das so vorsieht, etwa wenn der gerichtlichen Überprüfung noch ein behördliches Widerspruchsverfahren vorgeschaltet ist. Eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Beteiligung einer zweiten Stelle im Verwaltungsverfahren ergibt sich daraus jedoch nicht. Entsprechendes gilt für die in Art. 31 Abs. 3 vorgeschriebene Überprüfung der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht. Aus dem Begriff der "Umstände" (englische Fassung: "circumstances") lässt sich eine Zweckmäßigkeitsprüfung - wie sie in Deutschland einer Behörde vorbehalten wäre - nicht ableiten. Die Formulierung ist vielmehr im Zusammenhang mit Art. 31 Abs. 3 Satz 2 zu sehen, der die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Entscheidung im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 vorschreibt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind alle "Umstände" zu berücksichtigen, die Art. 28 bezeichnet.

31

Bereits in seinem Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - hat der Senat ausgeführt (juris Rn. 23), dass assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige nach der Rechtsprechung des EuGH keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen können als Unionsbürger. Für Unionsbürger wurde die behördliche Kontrolle von Ausweisungsentscheidungen nach dem "Vier-Augen-Prinzip", wie sie Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vorsah, abgeschafft. Dann steht aber auch den Inhabern eines aus dem ARB 1/80 abgeleiteten Aufenthaltsrechts kein solcher erweiterter behördlicher Rechtsschutz mehr zu.

32

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

33

Wie bereits im Urteil vom 10. Juli 2012 ausgeführt (a.a.O. Rn. 25), spricht gegen die Auffassung des Klägers bereits die Tatsache, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG oder Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG eine Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall.

34

Ohne Erfolg rügt der Kläger einen nationalen Verstoß gegen die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 durch das Entfallen des Widerspruchsverfahrens für Ausweisungsentscheidungen in Baden-Württemberg seit 1. Juli 1999. Zum einen stellte die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern - anders als Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - lediglich eine Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen betrifft der Wegfall des Widerspruchsverfahrens türkische Assoziationsberechtigte und Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP (vgl. Urteile vom 19. Februar 2009 - Rs. C-228/06, Soysal u.a. - InfAuslR 2009, 135 Rn. 61 zu Art. 41 ZP und vom 17. September 2009 - Rs. C-242/06, Sahin - Rn. 67 zu Art. 13 ARB 1/80). Demzufolge kann die generelle Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Baden-Württemberg nicht gegen Art. 13 ARB 1/80 verstoßen, da sie auch in Fällen der Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt von Unionsbürgern (§ 6 FreizügG/EU) gilt. Im Übrigen wäre die Aufrechterhaltung des Widerspruchsverfahrens nur für türkische Staatsangehörige nicht mit dem Besserstellungsverbot des Art. 59 ZP vereinbar.

35

2. Auf den Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von neun Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

36

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung hat (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 28). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung.

37

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

38

2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet. Das hat der Senat mit Urteil vom 10. Juli 2012 entschieden (a.a.O. Rn. 30 ff.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest; zur Begründung wird auf das vorgenannte Urteil verwiesen. Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 39 f.). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

39

2.2.2 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von neun Jahren für angemessen.

40

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Zunächst bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorliegen, geht der Senat davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Leitet sich diese regelmäßige Höchstdauer für die Befristung von zehn Jahren aus dem Umstand ab, dass mit zunehmender Zeit die Fähigkeit zur Vorhersage zukünftiger persönlicher Entwicklungen abnimmt, bedeutet ihr Ablauf nicht, dass bei einem Fortbestehen des Ausweisungsgrundes oder der Verwirklichung neuer Ausweisungsgründe eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsste (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG).

41

Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen und ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie gegebenenfalls seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts vollumfänglich zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

42

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Bei der Bemessung der Frist hatte der Senat in einem ersten Schritt zu berücksichtigen, dass beim Kläger die Gefahr der Wiederholung schwerwiegender Drogenstraftaten besteht. Trotz seiner erfolgreichen Fortbildungsanstrengungen im Strafvollzug und in den Folgemonaten sowie erster Ansätze für eine erfolgreiche Integrationsprognose wäre wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr unter Berücksichtigung der fortbestehenden Verbindungen des Klägers zu einzelnen Mitgliedern seiner früheren Drogenbande sowie seines Alters eine Befristung für einen Zeitraum von zehn Jahren erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in seiner Person Rechnung zu tragen. Diese Frist hat der Senat um ein Jahr reduziert und damit den persönlichen Bindungen des Klägers an Deutschland als Land, in dem er geboren und aufgewachsen ist und in dem seine Familie lebt, Rechnung zu tragen. Zu den vom Senat berücksichtigten Bindungen zählen auch die an Frau D. und deren minderjährige Kinder, wobei die Lebensgemeinschaft allerdings zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung erst wenige Monate bestand und in Kenntnis der ergangenen Ausweisungsverfügung eingegangen worden war.

43

Der Senat hat bereits in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Verkürzung der Frist stellen kann. Bei der Bescheidung dieses Antrags sind von der Beklagten dann die Änderungen in den persönlichen Verhältnissen des Klägers zu berücksichtigen, die seit dem Berufungsurteil vom April 2011 eingetreten sind, insbesondere seine standesamtliche Eheschließung mit Frau D., die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit hat, sowie die Geburt einer gemeinsamen Tochter, die ebenfalls deutsche Staatsbürgerin ist. Weiter wird die Beklagte im Fall eines Verkürzungsantrags des Klägers zu prüfen haben, ob auch solche neuen Tatsachen vorliegen, aus denen sich eine Verminderung der Wiederholungsgefahr ableiten lässt.

44

3. Die Frage, ob die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offenbleiben (vgl. dazu Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 45). Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.