Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 04. Mai 2011 - 11 S 207/11

bei uns veröffentlicht am04.05.2011

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27. Oktober 2010 - 1 K 1516/08 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
Er wurde 1974 im heutigen Kirgisistan geboren und ist kirgisischer Staatsangehöriger. In seinem Heimatland besuchte er acht Jahre lang die Schule, absolvierte eine Ausbildung zum Traktoristen und Maschinenführer und arbeitete anschließend in einer Kolchose und in verschiedenen anderen landwirtschaftlichen Betrieben. Dort leistete er auch Wehrdienst. Im Oktober 2000 heiratete er die damals sechzehnjährige deutschstämmige L. D., die einen 1998 geborenen Sohn mit in die Ehe brachte, den er später adoptierte. Im April 2001 kam der gemeinsame Sohn A. zur Welt. Im Juli 2001 übersiedelte seine Ehefrau mit den Kindern, ihrer Mutter und ihrer Schwester, die mit einem Bruder des Klägers verheiratet ist, in die Bundesrepublik Deutschland. Im Januar 2002 reiste auch der Kläger zusammen mit seinem Bruder nach Deutschland ein und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis, die regelmäßig verlängert wurde. Zuletzt war er im Besitz einer bis Januar 2007 gültigen Aufenthaltserlaubnis. Die Entscheidung über seinen Verlängerungsantrag wurde wegen des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens ausgesetzt. Die Familie lebte zunächst zwei Jahre in Sachsen, wo der Kläger einen Sprachkurs besuchte und den Gabelstaplerführerschein machte. Nachdem der Kläger 2004 eine Arbeitsstelle in S. gefunden hatte, zog er zunächst alleine dort hin. Kurze Zeit danach folgte ihm seine Familie. In der Nähe von S. wohnen auch sein Bruder und seine Schwägerin.
Mit Urteil des Landgerichts Rottweil vom 03.08.2007, rechtskräftig seit 28.02.2008, wurde der Kläger wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. In den Gründen dieses Urteils heißt es: Der Kläger habe am 22.10.2006 erstmals erfahren, dass seine Ehefrau eine Liebesbeziehung zu M. B. unterhalte. Sie sei nicht bereit gewesen, diese zu beenden. Der Kläger habe sich am 30.10.2006 in die Nähe des Wohnhauses des M.B. in T. begeben. Als M.B. dort eingetroffen und auf seine Haustüre zugegangen sei, habe sich der Kläger an diesen herangeschlichen und habe ihn mit einer mitgeführten Eisenstange von ca. 50 bis 60 cm Länge von hinten mit Wucht auf den Kopf geschlagen. Anschließend habe er den Fliehenden verfolgt und ihm auf der Straße mindestens 13mal mit der Eisenstange auf den Kopf geschlagen, bis dieser regungslos liegen geblieben sei. Einige Personen aus der Nachbarschaft hätten diesen Vorgang beobachtet, den Kläger aber nicht von den Schlägen durch Zurufen abbringen können. Der Kläger habe mit absolutem Vernichtungswillen gehandelt. Der Anblick des „Nebenbuhlers“ habe bei ihm eine heftige Gemütswallung ausgelöst, die zu einer rechtserheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt habe. Der Kläger habe sich zwar dahingehend eingelassen, M.B. sei, nachdem er mit dem Auto angekommen sei, ausgestiegen und ihm direkt entgegengegangen. Er sei gar nicht dazu gekommen, etwas zu sagen, schon habe M.B. nach der Polizei geschrien und ihn irgendwie getroffen. M.B. haben ihm etwas auf den Kopf geschlagen, wobei er nicht wisse womit. Ansonsten habe er keine Erinnerung mehr. Auch daran, dass er selbst geschlagen habe, könne er sich nicht erinnern. Eine Eisenstange habe er nicht dabei gehabt; woher diese gekommen sei, wisse er nicht. Diese Einlassungen seien durch die Beweisaufnahme widerlegt. Die Kammer gehe allerdings zugunsten des Klägers davon aus, dass er den endgültigen Tötungsvorsatz erst unmittelbar vor der Tatausführung gefasst habe. M.B. habe schwere Schädel- und Gesichtsverletzungen erlitten, die mehrere Operationen nötig gemacht hätten. Auf dem rechten Auge habe er die Sehkraft vollständig und irreparabel verloren. Auch seinen Geruchssinn habe er vollständig und seinen Geschmackssinn weitgehend verloren. Wegen der Folgen der Verletzungen sei er mit 50 % GdB als Schwerbehinderter eingestuft worden. Abgesehen von der vorgenommenen Verschiebung des Strafrahmens wegen der Minderung der Steuerungsfähigkeit, habe die Kammer von einer weiteren Milderung wegen des nur vorliegenden Totschlagversuchs abgesehen. Gegen eine weitere Milderung habe vor allem gesprochen, dass dieser ganz in der Nähe zur Vollendung gelegen habe. M.B habe nur wegen der sofort eingeleiteten intensiv-medizinischen Rettungsmaßnahmen überleben können und während des einwöchigen künstlichen Komas zwischen Leben und Tod geschwebt. Weiter seien die ganz erheblichen, lebenslang bleibenden und teilweise in ihrem Ausmaß noch gar nicht absehbaren Folgen der Verletzungen zu berücksichtigen gewesen. Wegen der besonderen schulderhöhenden Merkmale sei bei der Gesamtwürdigung ein minderschwerer Fall auszuschließen.
Am 31.10.2006 war der Kläger verhaftet worden. Er verbüßt derzeit seine Freiheitsstrafe.
Nach vorheriger Anhörung wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger mit Bescheid vom 14.07.2008 aus der Bundesrepublik aus, drohte ihm die Abschiebung nach Kirgisistan nach der Unanfechtbarkeit dieser Verfügung an und ordnete die Abschiebung aus der Haft heraus an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Es lägen die Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG vor. Der Kläger genieße jedoch besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG. Deshalb könne er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden; außerdem werde die zwingende Ausweisung zur Ausweisung im Regelfall herabgestuft. Mit der abgeurteilten Tat habe er die öffentliche Sicherheit und Ordnung in besonders schwerwiegendem Maße beeinträchtigt. Zugunsten des Klägers gehe das Regierungspräsidium davon aus, dass wegen der familiären Verhältnisse ein atypischer Ausnahmefall vorliege, weshalb über die Ausweisung nach Ermessen entschieden werde. Gleichfalls sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er bis zu seiner Verhaftung mit seiner deutschen Ehefrau und seinen zwei deutschen Kindern zusammengelebt habe, dass er während seines gesamten Aufenthalts im Bundesgebiet gearbeitet und für den Unterhalt seiner Familie gesorgt habe, dass Deutschland nach der Übersiedlung aus Kirgisistan zum Mittelpunkt seines Lebens geworden und er bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei. Das öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor weiteren von ihm begangenen Straftaten überwiege aber die privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet. Vom Kläger gehe eine konkrete Gefahr weiterer schwerer Rechtsverletzungen aus. Die Begehung der abgeurteilten Tat zeige eine latente Gewaltbereitschaft, die eine gewaltfreie Problemlösung verhindert habe. Diese Eigenschaften könnten auch in Zukunft sein Verhalten in Konfliktsituationen bestimmen. Auch generalpräventive Gründe sprächen für die Ausweisung.
Am 11.08.2008 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg. Zur Begründung trug er vor: Er werde von seinen beiden Kindern monatlich in der Haftanstalt besucht. Auf den Fortbestand dieser Vater-Kind-Beziehung seien seine beiden Söhne angewiesen. Auch für ihn sei es sehr wichtig, für seine beiden Kinder da zu sein. Er wisse, dass er einen großen Fehler gemacht habe und bereue seine Tat. In Kirgisistan habe er keine Existenz und keine Familie. Deutschland sei für ihn seine neue Heimat geworden.
Der Beklagte trat der Klage aus den Gründen des angefochtenen Bescheids entgegen.
Das Gericht erhob Beweis durch Einholung eines kriminalprognostischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. K. (vom 16.06.2010) und hörte diesen in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung des Gutachtens an.
Durch Urteil vom 27.10.2010 hob das Verwaltungsgericht Freiburg den angefochtenen Bescheid auf und führte zur Begründung aus: Der dem Kläger zustehende besondere Ausweisungsschutz habe gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Solche Gründe lägen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der Regel u. a. in den Fällen des § 53 AufenthG vor. Die Regelung enthalte allerdings keine Automatik, sondern erfordere eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorlägen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen ließen. Werde die Ausweisung - wie hier - auf spezialpräventive Gründe gestützt, liege bei dem nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genießenden Personenkreis ein schwerwiegender Grund nur dann vor, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohten und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut ausgehe. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität seien diese Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung zwar grundsätzlich zu bejahen. Wegen des durch § 56 Abs. 1 AufenthG gewährleisteten besonderen Ausweisungsschutzes sei jedoch eine gesteigerte Wiederholungsgefahr im Sinne einer erhöhten Gefährdung erforderlich. Das gelte auch in Fällen schwerer Kriminalität. Gemessen hieran könne nicht angenommen werden, vom Kläger ginge eine in diesem Sinne gesteigerte Wiederholungsgefahr aus. Der Sachverständige komme in seinem schriftlichen kriminalprognostischen Gutachten zu dem Ergebnis, beim Kläger könne zwar die Begehung einer erneuten Straftat nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Die erneute Begehung einer Straftat gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit, wie sie der Verurteilung durch das Landgericht Rottweil zugrunde liege, sei jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Die Kammer folge dem Sachverständigen in seiner prognostischen Beurteilung der vom Kläger künftig ausgehenden Rückfallgefahr. Die vom Beklagten gegen das schriftliche Gutachten vorgebrachten Bedenken seien unberechtigt. Der Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens plausibel und nachvollziehbar angegeben, dass sich seine kriminalprognostische Einschätzung in erster Linie und ganz entscheidend auf die Exploration des Klägers stütze. Von entscheidender Bedeutung für die Einschätzung, beim Kläger sei mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Wiederholung einer vergleichbaren Straftat zu erwarten, sei die Annahme des Gutachters, dass die abgeurteilte Straftat eine Beziehungstat mit einer hochspezifischen Täter-Opfer-Beziehung gewesen sei. Auch die tatsächlichen Annahmen des Sachverständigen zur Biografie des Klägers seien nicht zu beanstanden. Der Sachverständige sei aufgrund des Akteninhalts, der mit dem Kläger geführten Gespräche sowie der Telefongespräche mit der Schwägerin und der Ehefrau zu der Annahme gelangt, der Kläger habe bis zu seiner Straftat einen gewaltfreien Lebenswandel geführt. Das Merkmal mangelhafte Verhaltenskontrolle erfüllten nur solche Personen, die bei geringstem Anlass und häufig sofort aggressiv reagierten. Das sei beim Kläger nicht der Fall. Dagegen wende das beklagte Land zu Unrecht ein, der Gutachter hätte sich zur Feststellung eines bisher gewaltfreien Lebenswandels nicht auf die Befragung des Klägers und naher Verwandter beschränken dürfen. Weder den vorgelegten Verwaltungsakten noch dem Strafurteil des Landgerichts Rottweil ließen sich irgendwelche Anhaltspunkte für das Gegenteil entnehmen. Dass der Kläger bei der abgeurteilten Tat gegen sein Opfer auf äußerst brutale Weise vorgegangen sei, werte der Gutachter als einen Gesichtspunkt, der zwar gegen eine günstige Prognose sprechen könne. Ein durchschlagendes Gewicht messe er diesem Gesichtspunkt jedoch nicht bei. Der Sachverständige habe zum einen darauf hingewiesen, dass der Kläger - im Gegensatz zu seiner bisherigen Lebensführung - erstmals bei der Tat ein äußerst aggressives und brutales Verhalten gezeigt habe. Vor allem aber müsse nach Auffassung des Gutachters bei der Bewertung dieses Verhaltens für die Rückfallprognose berücksichtigt werden, dass die hochspezifische Beziehungstat durch eine extreme Konfliktsituation ausgelöst worden sei, in die der Kläger durch den wenige Tage vor der Tat offenbar gewordenen Ehebruch seiner Frau gestürzt worden sei. Auch der im strafgerichtlichen Verfahren eingesetzte Sachverständige komme zu dem Ergebnis, dass die Steuerungs-, Hemmungs- und Handlungsfähigkeit des Klägers während der Tat infolge eines Affekts zum Tatzeitpunkt rechtserheblich beeinträchtigt gewesen sein könne. Dem sei das Landgericht in seinem Strafurteil gefolgt und habe einen Affektzustand mit schuldeinschränkender Wirkung im Sinne des § 21 StGB bejaht. Es spreche von einem tief greifenden Konflikt des Klägers, weil er wegen des Ehebruchs und des anschließenden Verhaltens seiner Frau damit habe rechnen müssen, dass sich diese zusammen mit den Kindern auf Dauer von ihm trennen werde. Das habe ihn in eine tiefe Krise gestürzt, die bis zur Tat angedauert habe. Für die Kammer sei es nachvollziehbar und überzeugend, wenn der Sachverständige aufgrund dieser besonderen Umstände zu dem Ergebnis gelange, beim Kläger liege keine Persönlichkeitsstruktur mit latenter Gewaltbereitschaft vor. Der Sachverständige komme zu dem Ergebnis, dass eine Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Straftat bisher kaum stattgefunden habe, was für die kriminalprognostische Beurteilung ungünstig einzuschätzen sei; denn der Kläger habe die Tat weitgehend verdrängt und stelle den Tathergang im Gegensatz zu den Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil zum Teil anders dar. Einer günstigen Kriminalprognose stehe dieser Umstand aber deshalb nicht entgegen, weil der Gutachter nach seinen sachverständigen Verhaltensbeobachtungen während der Gespräche zu dem Ergebnis gekommen sei, dass beim Kläger durchaus ein Schuldbewusstsein vorhanden sei. Der Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, bei seiner abschließenden kriminalprognostischen Beurteilung im schriftlichen Gutachten sei er davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Entlassung aus der Strafhaft trotz der Schwierigkeiten, sich auf Deutsch zu verständigen, die erforderlichen Hilfen in Form von Therapien und Gesprächen erhalte. Der Sachverständige gehe zu Recht davon aus, dass der Kläger aus der Strafhaft nicht ohne solche Behandlungsmaßnahmen entlassen werde. Denn das Strafvollzugsgesetz sehe ausdrücklich vor, dass der Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden solle, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Der Kläger habe sowohl gegenüber dem Sachverständigen als auch dem Gericht mehrfach bekundet, dass er zur Teilnahme an derartigen Hilfsmaßnahmen bereit sei. Auch soweit das Regierungspräsidium die Ausweisung auf generalpräventive Erwägungen stütze, könne dies die Maßnahme nicht rechtfertigen.
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Am 09.12.2010 wurde das Urteil dem Beklagten zugestellt.
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Auf den am 17.12.2010 vom Beklagten gestellten Antrag ließ der Senat mit Beschluss vom 25.01.2011 die Berufung zu. Der Beschluss wurde dem Beklagten am 31.01.2011 zugestellt.
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Am 04.03.2011 beantragte der Beklagte Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist und legte zugleich den Begründungsschriftsatz (vom 31.01.2011) in Kopie vor.
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Zur Begründung trägt er zunächst vor: Der Schriftsatz vom 31.01.2011 sei am 31.01.2011 zum Postversand gegeben worden. Er sei im elektronischen Verzeichnis, das vom Referat 15 geführt und in das alle Schreiben nach Abgang mit Datum des Postversands eingetragen würden, verzeichnet. Das Schreiben müsse daher auf dem Postweg verloren gegangen sein. Der Unterzeichner habe am 31.01.2011 die Berufungsbegründung verfasst und das Schreiben zum Postversand gegeben. Anschließend habe die Servicekraft Frau F. das Schreiben mit der Post versendet. Nachdem es das Haus verlassen habe, sei es in das elektronische Verzeichnis als Postausgang für den 31.01.2011 aufgenommen worden. In einem weiteren Schriftsatz (vom 28.03.2011) wird vorgetragen: Nachdem der Unterzeichner die Berufungsbegründung am 31.01.2011 verfasst und ausgedruckt gehabt habe, habe er das Schreiben in einer Umlaufmappe in das Postausgangsfach des Referats 15 gelegt. Frau F. habe diese Mappe am 31.01.2011 aus dem Postausgangsfach entnommen, habe die Entwurfsfassung im Feld für den Postausgangsvermerk abgezeichnet und das Entwurfsschreiben in der Postumlaufmappe dem Sachbearbeiter des Falles, Herrn K. in dessen Fach gelegt. Anschließend habe sie das Originalschreiben der Sekretärin, Frau R. vorgelegt. Diese habe sich das Schreiben angeschaut und es im elektronischen Postausgangsverzeichnis mit den Bemerkungen „K.“, „VGH Mannheim“, „L., S. und „AU Verwaltungsrechtssache“ eingetragen. Sodann habe sie das Originalschreiben in einen Briefumschlag gesteckt, habe diesen verschlossen und den Brief in die gelbe Postausgangskiste des Regierungspräsidiums gelegt. Am 01.02.2011 habe der Hausmeister des Dienstgebäudes Schwendistraße 12, Herr B., die Postausgangskiste zur Hauptpoststelle des Regierungspräsidiums gebracht. Dort würden täglich alle für den Postversand bestimmten Schreiben frankiert und auf den Postweg gegeben. Der im vorliegenden Fall gewählte Weg für den Versand entspreche der seit Jahren praktizierten Verfahrensweise. Der ordnungsgemäße Ablauf werde dabei fortlaufend kontrolliert und überwacht. Im Übrigen legt der Beklagte schriftliche Erklärungen von Frau F., Frau R. und Herrn B. vor. In einem weiteren Schriftsatz vom 13.04.2011 wird ausgeführt: Die Tatsache, dass Frau F. den Schriftsatz anschließend Frau R. vorgelegt habe, werde durch die Tatsache dokumentiert, dass Frau F. das Schreiben in das elektronische Postausgangsverzeichnis eingetragen habe. Hätte Frau F. das Schreiben nicht in Händen gehalten und dafür gesorgt, dass es auf den Postweg gegeben werde, so würde sich auf dem Schreiben nicht ihr handschriftlicher Vermerk befinden und Frau R. hätte das Schreiben nicht in das Verzeichnis eintragen können. Deshalb könnten Frau F. und Frau R. heute auch noch sichere Angaben machen. Der Eintrag in das Ausgangsverzeichnis, das Verpacken und Zukleben des Briefs sowie das Legen in die gelbe Postausgangskiste stellten einen einheitlichen Vorgang dar. Zunächst schaue sich Frau R. dabei den jeweiligen Schriftsatz an, um zu erkennen, wer den Brief verfasst habe und welche Sache das Schreiben betreffe. Sodann trage sie diese Daten in das Postverzeichnis ein, stecke den Brief dann in einen Umschlag und verschließe diesen. In unmittelbarem Anschluss hieran lege sie den Brief dann in die neben ihrem Schreibtisch stehende Postausgangskiste. Dies entspreche ständiger Praxis, ohne dass es bislang in einem einzigen Fall zu Problemen gekommen sei.
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In der Sache trägt er vor: Entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Freiburg habe der Gutachter seine Feststellung, dass die erneute Begehung einer Straftat gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit, wie sie der Verurteilung durch das Landgericht Rottweil zugrunde liege, mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, nicht uneingeschränkt aufrecht erhalten. Diese Einschätzung gelte nur dann, wenn der Kläger eine Therapie erhalte und auch nach der Haftentlassung begleitet werde. Weiter habe der Gutachter eingeschränkt, dass der Kläger die deutsche Sprache nicht in einem für eine Therapie in erforderlichen Maße beherrsche. Grundvoraussetzung für seine Annahme sei es daher, dass der Kläger Deutsch lerne, zu einer Therapie bereit sei und diese dann während der Haftzeit erfolgreich durchgeführt werde. Dass der Kläger eine fortlaufende Therapie auf Russisch während der Haftzeit erhalten könne, sei unwahrscheinlich, weil für eine solche Therapie nicht genug Therapeuten in der Justizvollzugsanstalt zur Verfügung stehen würden. Erhalte der Kläger jedoch während der Haftzeit keine Therapie, steige die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Begehung schwerer Straftaten. Das Verwaltungsgericht habe sich darauf beschränkt, den vom Gesetzgeber des Strafvollzugsgesetzes gewünschten Idealzustand in Bezug zu nehmen. Der Gutachter gehe davon aus, dass der Kläger über schlechte Konfliktverarbeitungsmechanismen verfüge. Weiterhin habe sich das Verwaltungsgericht nicht in ausreichendem Maße mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Kläger wirklich ernsthaft an einer Therapie interessiert sei. So habe er in der mündlichen Verhandlung am 24.03.2010 auf Frage, ob es Gespräche mit einem Psychologen gegeben habe, geantwortet: „Ich brauche doch keinen Psychologen. Ich bin doch nicht verrückt.“ Diese Einstellung werde auch durch die Ausführungen im Gutachten bestätigt. Dort werde festgestellt, dass der Kläger nicht an therapeutischen Gesprächen interessiert sei. Zu diesem Ergebnis sei auch ein weiterer Facharzt gekommen, welcher im Strafverfahren den Kläger begutachtet habe. Unberücksichtigt habe das Verwaltungsgericht auch die Frage eines Misserfolgs einer eventuellen Therapie gelassen. Das Verwaltungsgericht habe nur darauf abgestellt, dass der Kläger nach den gesetzlichen Vorgaben des Strafvollzugsgesetzes nicht ohne Behandlungsmaßnahmen entlassen werde. Seine Entlassung werde jedoch völlig unabhängig von einer Therapiebereitschaft oder der Durchführung einer Therapie nach Ende der Strafhaft erfolgen. Das Verwaltungsgericht sei auch von einem falschen Maßstab hinsichtlich der Wiederholungsgefahr ausgegangen. Nach der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung sei es für die Frage der Wiederholungsgefahr lediglich maßgeblich, ob vom Kläger die Gefahr der Begehung eines weiteren (versuchten) Totschlagsdelikt oder einer „gleichartigen Tat“ ausgehe. Hiernach sei die Verwirklichung einer Vielzahl anderer Straftaten, beispielsweise eine Vergewaltigung, ein Raub oder Diebstahl oder auch Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, für die Frage einer beim Kläger bestehenden Wiederholungsgefahr ohne Bedeutung. Demgegenüber sei es ausreichend, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen ernsthaft drohe und damit eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut bestehe. Wenn man jedoch mit dem Verwaltungsgericht lediglich auf die Gefahr der Begehung eines erneuten Totschlagsdelikts abstellen wollte, hätte es sich umso mehr aufdrängen müssen, auf die Relativität des Gefahrenbegriffs einzugehen. Zu seiner brutalen und menschenverachtenden Tat stehe der Kläger im Übrigen bis heute nicht. So habe der Kläger auch in den der Begutachtung zu Grunde liegenden persönlichen Gesprächen am 20. und 23. April 2010 behauptet, das Tatopfer habe ihn zuerst angegriffen und sei auf ihn losgegangen, so dass es zu einem Gerangel gekommen sei. Der Kläger habe bekräftigt, dass er die Eisenstange nicht zum Tatort mitgenommen habe, vielmehr habe das Tatopfer angefangen, ihn anzugreifen, so dass er eine Verletzung an Hand und Kopf erlitten habe.
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Ferner lasse das Verwaltungsgericht die Tatsache unberücksichtigt, dass die familiäre Situation des Klägers ungeklärt sei. Während der bisherigen Haftzeit von über vier Jahren habe der Kläger lediglich ein einziges Mal Besuch von seiner Ehefrau erhalten. In Briefen, die sie an ihn geschrieben habe, sei es allein um Unterlagen, die sie für Ansprüche der Kinder gegenüber Behörden benötigt habe, gegangen. Vor diesem Hintergrund sei es völlig offen, ob nach einer Haftentlassung in Deutschland die Ehe fortgesetzt werde. Ebenfalls unklar sei, wie sich der Umgang des Klägers bei einer Haftentlassung in Deutschland zu seinen Kindern gestalten werde. Der Kläger habe klar zum Ausdruck gebracht, dass es seine oberste Priorität sei, Umgang und Kontakt zu seinen Kindern zu haben. Sollte es hierbei - auch aufgrund des Verhaltens seiner Ehefrau in einem Scheidungsverfahren - zu Problemen kommen, sei nicht absehbar, wie er reagieren werde. Prof. Dr. K. habe ein Gefahr- und Konfliktpotential erkannt, falls es zu Problemen bei dem Umgang mit den Kindern kommen werde. Grundsätzlich sei er bei Erstellung seines Gutachtens jedoch davon ausgegangen, dass das familiäre Zusammenleben wieder aufgenommen werden könne und der Kläger im Laufe seines weiteren Lebens mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in eine ähnliche Situation geraten werde.
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Obwohl auch das Verwaltungsgericht erkannt habe, dass es dem Kläger aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur extrem schwer falle, seine Empfindungen - wie etwa Gefühle des Mitleids für sein Opfer - in Worten auszudrücken, sei es nicht darauf eingegangen, welche Folgen dies für die Frage einer Wiederholungsgefahr habe. Auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den selbständig tragenden generalpräventiven Gründen der Ausweisung gingen fehl.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27. Oktober 2010 - 1 K 1516/08 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Seiner Ansicht nach habe der Beklagte nicht unverschuldet die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Das Vorbringen sei widersprüchlich. Abgesehen davon müsse es überraschen, dass sich alle Beteiligten im Detail gerade an diesen bestimmten Brief und die konkrete Verfahrensweise noch erinnern könnten. Auch habe Frau R. zuerst den Eintrag in das elektronische Verzeichnis und erst anschließend die Sendung überhaupt versandfertig gemacht. Der weitere Transport der Schriftstücke zur zentralen Hauptpoststelle sei nicht hinreichend sicher gestellt; es sei offen, welche Mitarbeiter hierfür zuständig und ob diese ausreichend zuverlässig seien. Auch wichen die vorgelegten persönlichen Erklärungen vom Vortrag im Schriftsatz vom 28.03.2011 ab. So werde dort vorgetragen, Frau F. habe das Schreiben an Frau R. übergeben. Frau F. und Frau R. hätten hingegen angegeben, dass das Schreiben von Frau F. auf den Schreibtisch von Frau R. gelegt worden sei, wo diese es vorgefunden habe. Im Übrigen mache er sich die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen.
22 
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. K. eingeholt, die dieser unter dem 21.03.2011 abgegeben hat.
23 
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
24 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Freiburg, die Strafakten des Landgerichts Rottweil sowie Gefangenenpersonalakten des Klägers vor.

Entscheidungsgründe

 
A.
25 
Die Berufung ist zulässig. Zwar hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) versäumt. Er hat jedoch fristgemäß die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt (§ 60 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO). Die Tatsache, dass in dem innerhalb der Frist vorgelegten Schriftsatz vom 04.03.2011 der maßgebliche Sachverhalt bzw. Geschehensablauf nur in den Grundzügen vorgetragen und erst später präzisiert wurde, insbesondere auch hinsichtlich der getroffenen organisatorischen Vorkehrungen, ist unschädlich. Er hat auch glaubhaft gemacht, ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sei, weshalb ihm Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
26 
Es bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die fragliche Postsendung im Machtbereich des Regierungspräsidiums auf eine zurechenbare Art und Weise verloren gegangen sein könnte. Dabei gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe und Anforderungen wie sie auch auf die Tätigkeit von Rechtsanwälten angewandt werden. Auch hier wird nur unmittelbares Verschulden des Behördenleiters oder des selbstständig mit der Organisation der Fristüberwachung betrauten Beamten zugerechnet, nicht jedoch das Verschulden anderer Bediensteter (von Albedyll, in: Bader u.a., VwGO, 5. Aufl., § 60 Rdn. 13 m.w.N.). Ein derartiges originäres Verschulden ist nicht erkennbar. Insbesondere ist die Organisation und Überwachung der Versendung fristwahrender Schriftsätze ausreichend zuverlässig. Der vom Kläger beanstandete Umstand, dass Frau R. bereits, nachdem sie sich des Inhalts des Schriftstücks vergewissert hat, die Eintragung in das elektronische Register vornimmt, ist unschädlich, wenn, wie hier, sichergestellt ist, dass sie dieses sowie das Eintüten und Einlegen in die Postausgangskiste in einem Arbeitsgang vornimmt. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn sich etwa aufgrund der Verhältnisse am Arbeitsplatz von Frau R., etwa wegen häufiger Ablenkungen durch Telefonanrufe etc., hier Unzuträglichkeiten ergeben können bzw. schon tatsächlich ergeben hätten, was jedoch nicht ersichtlich ist. Einen weitergehenden Nachweis, dass der Schriftsatz dann auch tatsächlich zur Post gelangt ist, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht verlangt, ebenso wenig wie eine genaue Darlegung, wann und wo er verloren gegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16.02.2010 – VIII ZB 76/09 – NJW 2010, 1378). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der weitere Postlauf zur Hauptpoststelle und von dort zur Post selbst mangelhaft organisiert gewesen sein könnte, zumal es sich hierbei um einfach strukturierte Routineabläufe handelt. Eine andere Frage ist, ob bei dieser Sachlage ausreichende Vorsorge getroffen wurde, dass die Schriftsätze unverzüglich und auch rechtzeitig das Haus verlassen und zur Post gelangen, um dann entsprechende Fristen zu wahren. Darum geht es hier jedoch nicht. Denn der fragliche Schriftsatz ist vermutlich gar nicht beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Er ist bei einer Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 31.01.2011 jedenfalls so rechtzeitig vom Referat 15 in den Postlauf gegeben worden, dass der Verlust des Schriftsatzes kausal für die Fristversäumung gewesen sein muss.
27 
Die schriftsätzlichen Ausführungen sowie die hierzu vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen von Frau F. und Frau R. sind auch im Wesentlichen nicht unauflösbar widersprüchlich. Zwar klingen die ursprünglichen Ausführungen im Schriftsatz vom 04.03.2011 sowie vom 21.03.2011 zunächst so, als ob Frau F. die Sendung zum Postversand gebracht hätte. Der folgende Schriftsatz vom 28.03.2011 schildert die Abläufe hingegen zulässigerweise differenzierter und gibt die arbeitsteilige Handlungsweisen genauer wieder, ohne dass hieraus geschlossen werden kann, es würden unwahre Angaben gemacht. Kein Widerspruch besteht auch zwischen den Angaben im Schriftsatz vom 28.03.2011, wonach Frau F. das Schreiben Frau R. „vorgelegt“ habe, während in deren persönlichen Erklärungen ausgeführt wurde, Frau F. habe es auf den Schreibtisch von Frau R. gelegt. Widersprüchlich erscheinen zunächst die Angaben nur insofern, als es im Schriftsatz vom 21.03.2011 heißt, Frau F. habe, nachdem das Schriftstück das Haus verlassen habe, dieses in das elektronische Verzeichnis für den 31.01.2011 aufgenommen. Denn unter dem 28.03.2011 wurde vorgetragen, Frau R. habe den Eintrag gemacht, bevor das Schriftstück das Haus verlassen habe. Der Beklagtenvertreter hat jedoch nochmals in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er ursprünglich der Auffassung gewesen sei, der knappe Vortrag würde ausreichen. Er habe dann aber als Reaktion auf das Vorbringen des Klägers und die Anforderungen des Gerichts weitere Gespräche mit den Mitarbeiterinnen geführt und daher den Vortrag präzisieren und genauer darlegen müssen, weshalb es auch - wegen früherer Verkürzungen - zu gewissen Unterschieden in der Darstellung gekommen sei. Der Umstand, dass nunmehr ausgeführt wird, die Postausgangskiste sei erst am 01.02.2011 zur zentralen Poststelle gebracht worden, stellt nach Überzeugung des Senats eine solche zulässige Präzisierung dar, da auch in den früheren Erklärungen nicht explizit davon die Rede gewesen war, der Schriftsatz sei schon am 31.01.2011 bei der Deutschen Post AG eingegangen.

B.
28 
Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Auch nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - NVwZ 2008, 434) ergibt sich nichts anderes.
29 
I. Der Kläger hat, indem er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt wurde, den zwingenden Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht.
30 
1. Da er mit seiner deutschen Ehefrau und seinen beiden deutschen Kindern bis zum Zeitpunkt der Verhaftung in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hatte, genießt er nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz und darf nur ausgewiesen werden, wenn schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen.
31 
Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - NVwZ 2009, 727 m.w.N.) liegt ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nur dann vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz mit den Regelungen des § 56 AufenthG bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung streng einzelfallbezogen ein deutliches Übergewicht hat. Ein solches Übergewicht kann aus den besonderen Umständen der jeweils die Ausweisung auslösenden Verhaltensweisen des Ausländers folgen. Danach können Fälle mittlerer und schwerer Kriminalität, namentlich schwere Gewaltdelikte, einen solchen schwerwiegenden Grund ausmachen, wobei als kumulativ festzustellende Voraussetzung die Ausweisung zur Unterbindung erneuter vom Ausländer ausgehender Gefahren geboten sein muss (vgl. auch Senatsurteil vom 09.07.2003 - 11 S 420/03 -EzAR 033 Nr. 8).
32 
Stützt die Ausländerbehörde ihre Ausweisungsverfügung auf spezialpräventive Gründe, so ist diese (im Sinne eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes) nur dann gerechtfertigt, wenn für die Gefahr erneuter Rechtsgutsverletzungen konkrete Anhaltspunkte bestehen. Der Ausweisungsgrund ist nicht schwerwiegend mit der zwingenden Rechtsfolge, dass eine Abschiebung unzulässig ist, wenn allein eine entfernte Möglichkeit weiterer Störungen der öffentlichen Sicherheit besteht, weil nicht hinreichend ausgeschlossen werden kann, dass der Ausländer sein schwerwiegendes früheres Fehlverhalten wiederholen oder andere Taten von vergleichbarem Gewicht begehen wird. Es sind somit qualifizierte Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen, weshalb konkrete Anhaltspunkte dafür ausgemacht werden müssen, dass auch in Zukunft bedeutsame Gefahren für ein wichtiges Schutzgut ernsthaft zu besorgen sind (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.05.2003 - 1 S 254/03 - VBlBW 2003, 474). Mit anderen Worten: Eine grenzenlose Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach Maßgabe der Schwere der Rechtsgutsverletzung (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61.84 - InfAuslR 1985, 33) ist nicht statthaft. Allerdings ordnet für die hier zu beurteilende Fallkonstellation § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausdrücklich an, dass im Falle des § 53 AufenthG in der Regel schwerwiegende Gründe vorliegen, weshalb es hier keiner konkreten positiven Feststellungen bedarf, sondern lediglich Umstände festgestellt werden müssen, die eine Atypik begründen. Solche Umstände sind hier nicht gegeben.
33 
Im Falle des Klägers bestehen – ungeachtet der gesetzlichen Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG – im Übrigen auch die für die Annahme eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes gebotenen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wieder in schwerwiegender Weise gegen die Strafrechtsordnung verstoßen könnte. Die ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. K. (vgl. S. 1 und 5) macht unmissverständlich deutlich, dass beim Kläger ein nicht vollständig zu vernachlässigendes Potential unzureichend entwickelter Konfliktvermeidungs- und Konfliktbewältigungsstrategien vorhanden ist, das einer therapeutischen Aufarbeitung bedarf, um eine ausreichend verantwortliche Verhaltenssteuerung einigermaßen zuverlässig zu gewährleisten. Allerdings geht der Gutachter davon aus, dass eine eigentliche Therapie nicht unbedingt erforderlich ist, sondern dass auch umfassende und eingehende therapeutische bzw. psychologische Gespräche und ein Resozialisierungsprogramm sowie ein Anti-Gewalt-Training ausreichen; er stellt beides prinzipiell als gleichwertig nebeneinander (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 30; Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 27.10.2010, S. 3 und 5; ergänzende Stellungnahme S. 1). Diese Voraussetzung kommt nicht nur deutlich in seinen grundsätzlichen Ausführungen zu den zwingenden Erfordernissen einer Vorbereitung in der Haft zum Ausdruck, sondern liegt ersichtlich auch seinen abschließenden Bemerkungen über die unerlässlichen Anforderungen an die Gestaltung der Bewährungszeit zugrunde. Nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht hinreichend prognostiziert werden, dass mit der erforderlichen Verlässlichkeit bis zur Haftentlassung eine Therapie erfolgreich abgeschlossen sein wird, oder jedenfalls die therapeutischen bzw. psychologischen Gespräche mit dem erforderlichen Ergebnis durchgeführt sein werden. Im Gegenteil: Es spricht alles dafür, dass dieses nicht der Fall sein wird. Zwar hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27.10.2010 ausweislich der Niederschrift behauptet, er habe mit dem russischsprechenden Psychotherapeuten bzw. Psychologen W. in der Vollzugsanstalt drei therapeutische Gespräche geführt, wovon eines einen halben Tag und die anderen beiden jeweils etwa eine Stunde gedauert hätten. Auf diesbezügliche Fragen des Senats in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger schon von sich aus nicht mehr davon gesprochen, dass er Gespräche von einer solchen Dauer geführt habe, woraus unübersehbar deutlich wird, dass er insoweit beim Verwaltungsgericht die Unwahrheit gesagt hat, um sich in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Er hat gegenüber dem Senat lediglich ganz allgemein behauptet, in zwei Gesprächen, die aber nach den eigenen Angaben wesentlich kürzer gewesen waren (eine Stunde oder auch nur eine halbe Stunde), sei auch über die Tat gesprochen worden. Der Senat kann unterstellen, dass auch die Tat erwähnt worden sein wird, jede andere Annahme wäre lebensfremd. Entscheidend ist vielmehr allein die Dauer bzw. Häufigkeit der Gespräche und deren Qualität. Zu seiner Überzeugung steht nach der eingeholten schriftlichen Erklärung von Herrn W. vom 03.05.2011 aber fest, dass eine erforderliche intensive Befassung mit und Aufarbeitung der Tat nicht erfolgt ist. Dies wäre angesichts der vom Kläger selbst zugestandenen Kürze und der Zahl der Treffen mit Herrn W. auch gar nicht möglich. Auch muss der Senat davon ausgehen, dass der Kläger kein wirkliches Interesse daran hat, obwohl ihm in der Justizvollzugsanstalt die Chance von Gesprächen in seiner Muttersprache geboten wird. Eine gegenteilige Überzeugung hat der Kläger mit seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung beim Senat nicht herbeiführen können. Abgesehen davon hat Herr W. dieses in seiner Stellungnahme auch klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Der Senat sieht in diesem Zusammenhang keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, wie der Prozessbevollmächtigte vermutet, dass Herr W. aus auch bei diesem liegenden Gründen keine Gesprächsbasis gefunden hatte, weshalb ein beim Kläger an sich bestehender ernsthafter Wunsch und Wille zu einer intensiven Aufarbeitung der Tat nicht erfüllt werden konnte, ohne dass er dieses zu vertreten hätte. Dies ganz losgelöst von der Frage, ob dieses unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr überhaupt erheblich sein kann. Für den Senat ist insgesamt nicht ersichtlich, weshalb Herr W. in seiner Stellungnahme vom 03.05.2011 unwahre Angaben gemacht haben sollte. Demgegenüber liegt es auf der Hand, dass der Kläger ein erhebliches Interesse hat, wahrheitswidrig ein Interesse an einer Therapie zu behaupten, nachdem ihm nunmehr nach der gesamten Vorgeschichte klar geworden sein muss, dass er nur auf diese Weise eine Chance haben kann, die Ausweisung noch abwenden zu können. Diese ist auch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zweifelsfrei unwahren Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu sehen. Jedenfalls kann, nachdem nunmehr 3 ½ Jahre seit der Verurteilung verstrichen sind, ohne dass der Kläger diesbezüglich irgendetwas auf den Weg gebracht hat, die bloße verbale Behauptung, an einer Therapie interessiert zu sein, ein positive Einschätzung nicht begründen.
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Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine völlig ungeklärte eheliche und familiäre Situation ein vom Senat zu seinen Lasten zu berücksichtigender gefahrerhöhender Umstand, der keineswegs nur abstrakt ist und damit unerheblich wäre. Der Kläger hält zwar nach seinen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung formal an seiner Ehe fest und will sich nicht scheiden lassen, was insoweit nachvollziehbar ist, weil er andernfalls den mit der Ehe verbundenen erhöhten Ausweisungsschutz verlieren würde. Andererseits will er mit seiner Ehefrau gegenwärtig nichts zu tun haben und hat diese seit seiner Inhaftierung vor 4 ½ Jahren allenfalls ein Mal gesehen; er will sie nach seinen eindeutigen und kategorischen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch zukünftig nicht sehen und hat mit ihr auch keinen nennenswerten, ihre Beziehung betreffenden brieflichen Kontakt. Es ist für den Senat nicht nachzuvollziehen, weshalb der Kläger nur für den Fall, dass er hier bleiben dürfe, seine Beziehung zu der Ehefrau „ankurbeln“ wolle, was er auch immer darunter verstehen mag. Denn wenn ihm wirklich etwas an der Beziehung zu seiner Ehefrau liegen würde, müsste er sich in jedem Fall und bedingungslos um die Beziehung bemühen. Nach alledem muss sich aufdrängen, dass spätestens im Falle der Haftentlassung ein ernst zu nehmendes Risiko besteht, dass sich die Ehefrau endgültig von ihm trennt oder bereits getrennt hat. Dann jedoch steht die Frage an, was mit den Kindern geschehen wird. Diese Fragestellung beinhaltet ein erhebliches Konfliktpotential, das auch mit schweren Kränkungen verbunden sein kann, zumal dann, wenn die Ehefrau den Kläger nicht oder jedenfalls wenig an dem Leben der Kinder teilhaben lassen will. Auch der Gutachter sieht dieses ebenso (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 2 und 5). Dass der Kläger mit tiefer gehenden persönlichen Konflikten und Kränkungen nicht umgehen kann, hat er in der Vergangenheit eindrücklich gezeigt, wie er ebenso - zuletzt in der mündlichen Verhandlung - deutlich gemacht hat, dass er nicht ernsthaft bereit ist, hieran zu arbeiten.
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Gegen den Kläger spricht – jedenfalls in einer Gesamtschau – nach Überzeugung des Senats auch, dass er nach der Tat und insbesondere nach der strafgerichtlichen Verurteilung bis heute die Tat, jedenfalls wesentliche Tatbeiträge seinerseits, im Grunde leugnet und sich nicht vorbehaltlos seiner Schuld stellt. Zwar übersieht der Senat nicht, dass nach der fachlichen Einschätzung des Gutachters (vgl. S. 3 der ergänzenden Stellungnahme) nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger, wie auch viele andere vergleichbar strukturierte Täter, an seine Grenzen stößt und eine möglicherweise zusätzlich vorhandene Störung der Wahrnehmung offenbar auch dem Schutz der eigenen psychischen Stabilität dient. Immerhin weist der Gutachter darauf hin, dass es tatsächlich zu erheblichen Erinnerungsausfällen gekommen sein kann. All das mag das Verhalten zunächst nachvollziehbar erscheinen lassen. Gleichwohl spricht gegen eine - wie auch oben in anderem Zusammenhang erörterte - Auseinandersetzungsbereitschaft mit der Tat, dass der Kläger über ein Leugnen hinaus im Grunde wesentliche, wenn nicht überwiegende Tatbeiträge bzw. Verschuldensanteile auf das Opfer verschiebt. Dies gilt jedenfalls, wenn man sein gesamtes Verhalten im Zusammenhang betrachtet und die bereits oben gewürdigten Angaben zur Therapiebereitschaft und den mit Herrn W. geführten Gesprächen angemessen berücksichtigt.
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Anders als der Beklagte dies sieht, können allerdings bei der Beurteilung des Maßes der Wiederholungsgefahr nicht andere Deliktsgruppen wie Vergewaltigung, Raub, Diebstahl oder Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz einbezogen werden. Auch wenn es sich – wie der Gutachter richtigerweise ausführt – hier nicht um eine klassische Affekttat gehandelt hat, so war es doch gewissermaßen eine Beziehungstat. Hinzukommt, dass der Gutachter keine besondere, mit erhöhter Aggressivität einhergehende Persönlichkeitsstörung festgestellt hat; der Gutachter verneint ausdrücklich eine allgemeine Gewaltbereitschaft (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 21, 26 und 29), was der Beklagte offenbar aus dem Auge verloren hat. Ausgehend von den Ausführungen des Gutachters besteht kein Ansatz dafür, dass die Begehung solcher Taten auch angedacht werden müsste.
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Der weitere tatsächliche Ausgangspunkt des Gutachters wie auch des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei Ersttäter, wird zwar von der Beklagten in Frage gestellt, weil diese Annahme nur auf den Angaben des Klägers im Strafverfahren wie auch gegenüber dem Verwaltungsgericht sowie telefonischen Auskünften der Ehefrau und der Schwägerin beruht. Eine weitere, in erster Linie nur in Kirgisistan mögliche Ermittlung ist jedoch nach Auffassung des Senats nicht geboten, zumal der Beklagte sich auch nicht zu solchen im Verwaltungsverfahren veranlasst sah. Es besteht kein Anlass, dem Kläger zu misstrauen, auch nicht deshalb, weil er behauptet hat, angegriffen worden zu sein, weil er unzutreffende Angaben über die Gespräche mit Herrn W. gemacht hat. Wenn der Kläger im Bundesgebiet nicht weiter strafrechtlich und polizeilich in Erscheinung getreten ist, was im Strafverfahren zu Tage getreten wäre, bestand für den Gutachter kein ausreichender Ermittlungsansatz für weitere Nachforschungen im sozialen Umfeld des Klägers.
38 
Auch wenn der Gutachter eine infolge der Hafterfahrung eingetretene Nachreifung festgestellt haben will (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 4 f.), so verbleibt namentlich auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung gewonnen Überzeugung des Senats ein rechtlich erhebliches Risiko der Begehung einer vergleichbaren Gewalttat.
39 
Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die vom Beklagten betonte Feststellung der formellen Voraussetzungen des § 66 b a.F. StGB durch die Staatsanwaltschaft nichts besagt, weil hier gerade keinerlei Aussage zu den materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung („wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“) gemacht wurde.
40 
Nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung wiederum über bestimmte Prozentränge für eine Eintrittswahrscheinlichkeit diskutiert haben und sie das auch schon in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 getan hatten, möchte der Senat - wie auch schon das Verwaltungsgericht - abschließend eine wichtige Aussage des Gutachters in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 hervorheben, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt. Er hatte dort ausdrücklich betont, dass sich die benannten Prozentränge nur aus einzelnen Checklisten und Tests ergäben und allein dienenden und ergänzenden Charakter haben können. Sie dürften in keinem Fall die auf der Exploration beruhende endgültige kriminalprognostische Beurteilung ersetzen oder maßgeblich mitbestimmen.
41 
2. Ist der die Ausweisung tragende Grund schwerwiegend, so ist an sich der Kläger gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat den Kläger, insbesondere wegen der vorhandenen minderjährigen Kinder deutscher Staatsangehörigkeit, entsprechend den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - VwZ 2008, 326) allerdings zutreffend nur im Ermessenswege ausgewiesen. Es ist damit von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall ausgegangen, denn allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG wird dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300). Der Senat geht in diesem Zusammenhang zugunsten des Klägers davon aus, dass die Ehefrau des Klägers und auch er weiter an der Ehe festhalten, weshalb diesem Umstand aufenthaltsrechtlich eine erhebliche und weit reichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, zumal da die Ehefrau deutsche Staatsangehörige ist (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133; vom 27.09.1978 - 1 C 79.76 - BVerwGE 56, 246; vom 17.1.1989 - 1 C 46.86 - NVwZ 1989, 770; auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschluss vom 15.6.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311). Weiter wird der Schutz erheblich verstärkt durch den Umstand, dass der Kläger nach wie vor das Sorgerecht hinsichtlich seiner deutschen Kinder hat und auch während der Haft mit diesen regelmäßig Kontakt pflegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.1980 - I 55.75 - BVerwGE 60, 126; vom 19.10.1982 - 1 C 100.78 - EzAR 124 Nr. 6). Die Frage des konkreten Schutzes wird nicht allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG erschöpfend beantwortet, ihr ist vielmehr im Rahmen der Ermessensausübung nochmals umfassend und differenziert nachzugehen. Der Schutz der deutsch/ausländischen Familie wird dabei nicht durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau und die Kinder selbst aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388).
42 
Der Beklagte hat im Rahmen der von ihm angestellten und in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet. Der Beklagte hat zwar erwogen, dass die Ehefrau und seine Kinder wegen ihrer Herkunft mit dem Kläger nach Kirgisistan zurückkehren und ihnen dieses vorübergehend zuzumuten sein könnte, hat aber bei seiner Ermessenentscheidung die endgültige Trennung letztlich unterstellt. Was das Gewicht der Folgen der Trennung betrifft, kann der Senat nicht unberücksichtigt lassen, dass gegenwärtig keinerlei persönliche Beziehung zur Ehefrau besteht und der Kläger eine Wiederaufnahme strikt abgelehnt hat und weiter ablehnt. Der Kläger konnte dem Senat auch in der mündlichen Verhandlung nicht plausibel machen, dass er ernsthaft an einer Klärung der Beziehung mit dem Ziel einer Wiederaufnahme zu arbeiten gewillt ist. Auch die Beziehung zu seinen beiden Kindern ist nach den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben auch unter angemessener Berücksichtigung der haftbedingten Erschwernisse eher lose und lässt eine intensive Teilhabe am Leben der Kinder vermissen. Es wurde auch nicht geltend gemacht, dass aus der ebenfalls maßgeblichen Sicht der Kinder eine besonders enge Bindung an den Vater besteht. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob in der Justizvollzugsanstalt F. häufigere persönliche Besuche möglich wären. Immerhin hat sich der Kläger gar nicht darauf berufen, dass diese nicht möglich wären, sondern ausschließlich geltend gemacht, der Bruder habe nicht mehr Zeit bzw. den Kindern werde bei der Autofahrt leicht schlecht. Der letztgenannte Grund leuchtet dem Senat nicht ein, wenn ein tiefer gehendes Interesse der Kinder bzw. des Klägers an einem unmittelbaren persönlichen Kontakt bestehen würde. Für diese Bewertung ist für den Senat maßgeblich, dass der Kläger beispielsweise keine genaueren Angaben über die Art der vom älteren Sohn besuchte Schule machen konnte, sondern erst auf entsprechende Nachfrage sagte, dass er nicht wisse, wie man die Schule bezeichne, und pauschal von „Mittelschule“ sprach. Dieser Umstand wie auch die Tatsache, dass er nur sehr allgemeine Angaben über den schulischen Werdegang der Kinder und deren sonstige Aktivitäten machen konnte, zeigen deutlich, dass das Interesse an seinen Kindern nicht besonders entwickelt ist. Beispielsweise konnte der Kläger nicht einmal präzise Angaben darüber machen, wo der ältere Sohn Taekwon-Do trainiere, ob etwa im Rahmen des Sportunterrichts oder außerhalb des schulischen Rahmens. Auch seine Schilderungen über den Ablauf der Besuchsaufenthalte in der Haft blieben sehr an der Oberfläche und blass. Vor dem Hintergrund der eher größeren Abstände der Besuche in der Haft konnte der Senat nicht nachvollziehen, dass er in 4 ½ Jahren seine Kinder nur 1 bis 2 Mal angerufen hat. Die Erklärung, dass er aus der Justizvollzugsanstalt auf deren Mobiltelefone nicht anrufen dürfe, wertet der Senat als Ausflucht. Denn es fehlt jeder Anhalt dafür, dass die Kinder nicht auch über einen Festnetzanschluss erreichbar sein könnten, auch wenn die Mutter über einen solchen nicht verfügen sollte. Wenn schon ein telefonischer Kontakt praktisch nicht stattfindet, so wäre bei einer wirklich gelebten intensiven persönlichen Beziehung wenigstens ein intensiver schriftlicher Kontakt zu erwarten gewesen, den der Senat aber auch nicht feststellen konnte. Nach den Angaben des Klägers schickt er lediglich Postkarten, und dann auch nur an Geburtstagen und etwa an Weihnachten. Angesichts dieser persönlichen und familiären Verhältnisse und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger erst im Alter von knapp 28 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist und nur 4 ½ Jahre straffrei im Bundesgebiet gelebt hat, erweist sich die Ausweisung in Ansehung der nicht von der Hand zu weisenden Besorgnis der Begehung vergleichbarer Gewalttaten und insbesondere unter Berücksichtigung der außerordentlich gravierenden Folgen der Tat auch nicht als unverhältnismäßig (vgl. auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif/Schweiz -InfAuslR 2001, 476; vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279; vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04, Maslov/Deutschland II - InfAuslR 2008, 333).
43 
Der Senat kann daher offen lassen, ob die Ausweisung auch allein durch generalpräventive Erwägungen getragen wäre (vgl. hierzu Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris).
44 
II. Für den Kläger ergeben sich auch aus Europarecht keine weitergehende Rechte, die seiner Ausweisung entgegenstehen.
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1. a) Der Europäische Gerichtshof hat zwar mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache C-34/09 (Ruiz Zambrano) in einem familiär ähnlich gelagerten Fall u.a. entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann.
46 
Ob damit, insbesondere was die Beurteilung der Rechte drittstaatsangehöriger Familienmitglieder betrifft, eine generelle Gleichstellung mit solchen Unionsbürgern verbunden ist, die bereits einmal von ihrer mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, und ob etwa die Bestimmungen der Unionsbürger-RL 2004/38/EG (namentlich dessen Art. 28) entsprechend anzuwenden sind (vgl. zum Anwendungsbereich deren Art. 3 Abs. 1 und nunmehr auch EuGH, Urteil vom 05.05.2011, Rs C-434/09, McCarthy), kann der Senat offenlassen (vgl. zu dieser Frage auch das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 20.01.2011 - 11 S 1069/10 - InfAuslR 2011, 133). Denn Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG stünde einer Ausweisung nicht entgegen (vgl. hierzu unten) und Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG wäre ohnehin im Falle des Klägers nicht anwendbar, da er sich noch nicht 10 Jahre im Bundesgebiet aufhält.
47 
Folge der nicht möglichen unmittelbaren Anwendbarkeit der Unionsbürger-RL 2004/38/EG ist dann auch, dass das FreizügigkeitsG/EU hier ebenfalls nicht unmittelbar anzuwenden ist, es vielmehr bei der Geltung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regeln zu verbleiben hat. Diese sind allerdings unionsrechtskonform zu handhaben.
48 
b) Auch wenn infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon am 01.12.2009 in Art. 24 der Grundrechtecharta (GRCh) die Kinderrechte gestärkt und bekräftigt werden, gilt der nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „Ruiz Zambrano“ aus der Unionsbürgerschaft nach Art. 20 AEUV folgende Aufenthaltsanspruch der drittstaatsangehörigen Eltern - ungeachtet einer möglichen entsprechenden Anwendbarkeit des Art. 28 RL 2004/38/EG -nicht unbeschränkt. Wie für den Fortbestand der Unionsbürgerschaft selbst (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-135/08, Rottmann, Rn. 55), muss auch für deren Reichweite der primärrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fruchtbar gemacht werden (vgl. Art. 5 Abs. 4 EUV). Hiernach gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Um hierbei die von Art. 6 Abs. 2 EUV sowie Art. 52 Abs. 3 und 7 GRCh angestrebte Einheitlichkeit des europäischen Menschenrechtsschutzes, d.h. den angestrebten materiell-rechtlichen Gleichlauf zwischen EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) des Europarates zu erreichen, sind bei straffällig gewordenen Eltern die vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zu Art. 8 EMRK entwickelten sog. Boultif/Üner-Kriterien heranzuziehen (EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476; Urteil vom 05.07.2005 - 46410/99 <Üner> - InfAuslR 2005, 450), die der Gerichtshof etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) zusammengefasst hat.
49 
Ob der Eingriff in das unionsbürgerliche Aufenthaltsrecht des Elternteils nach Art. 20 AEUV sowie das geschützte Familien- und Privatleben im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, entscheidet sich mithin immer im konkreten Einzelfall unter Abwägung der aufgeführten verschiedenen Belange. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, führt jedoch auch die Anwendung der Boultif/Üner-Kriterien im konkreten Einzelfall des Klägers nicht zu einem ihm günstigen Ergebnis.
50 
c) Die Ausweisung des Klägers, dem grundsätzlich der unionsbürgerrechtliche Schutz nach Art. 20 AEUV zukommt, erweist sich auch nicht bei Berücksichtigung der sonstigen Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs zu Ausweisungen als rechtswidrig. Zwar ist die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG (in entsprechender Anwendung) und der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann eröffnet, wenn in restriktiver Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Ausnahmebestimmungen unter Ausschluss generalpräventiver Überlegungen aufgrund eines persönlichen Verhaltens des Betroffenen eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung von diesem ausgeht, die darüber hinaus ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren muss (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs 67/74, Bonsignore - Slg. 1975, 297; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - Slg. 1975, 1219; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - Slg. 1977, 1999; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81, Adoui und Cornuaille - Slg. 1982, 1665; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86, Kommission/Bundesrepublik - Slg. 1989, 2363; vom 19.01.1999 - C-348/96, Calfa - Slg 1999, I-11). Dieser Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich im Verständnis des Gerichtshofs auf ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann ausreichen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erkennen lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01, Orfanopoulus und Oliveri - Slg. 2004, I-5257). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - a.a.O.). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet ist. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59).
51 
aa) Der Europäische Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes „gesellschaftliches Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - a.a.O.). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
52 
bb) Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Diese Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartig weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in den dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Europäischen Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit nur die „ultima ratio“ sein darf, stehen einem solchen Verständnis entgegen; es ist auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unionsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet.
53 
Das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung ist nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit, jedenfalls aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats immer dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise gewichtige Gründe dafür sprechen, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, ist dieses im Falle des Klägers anzunehmen.
54 
cc) Der Senat geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass die vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Schutzes vorliegen, auch wenn der Kläger aktuell seinen Kindern – abgesehen von gelegentlichen kleineren Geschenken – keinen Unterhalt leistet. Denn die Tatsache, dass er dies bis zu seiner Inhaftierung regelmäßig getan hat und er nunmehr aus objektiven Gründen daran gehindert ist, muss genügen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass er nach seiner Entlassung, so er über Erwerbseinkommen verfügt, weiter Unterhalt leisten wird.
55 
Angesichts der weiter bestehenden relevanten und nicht zu vernachlässigenden Wiederholungsgefahr erweist sich jedoch auch in Anwendung der unionsrechtlichen und menschenrechtlichen Maßstäbe die Ausweisung als ermessensfehlerfrei sowie als verhältnismäßig und durch ein Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz der körperlichen Integrität ihrer Bewohner gerechtfertigt. Insbesondere hat der Beklagte sich nach der Erörterung möglicher unionsrechtlicher Vorgaben in der mündlichen Verhandlung dieser vergewissert und seine Ermessenserwägungen überprüft sowie seine unionsrechtlich tragfähigen Überlegungen, weshalb an der Ausweisungsverfügung festgehalten werden soll, nachvollziehbar dargelegt (vgl. Seite 3 der Niederschrift vom 04.05.2011).
56 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung aus der Haft finden ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG. Der Senat kann offen lassen, ob sich für die Ausgestaltung einer Abschiebungsandrohung nunmehr besondere Vorgaben aus der Rückführungs-RL 2008/115/EG ergeben. Denn die Richtlinie gilt nach deren Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Nr. 4 nur für Rückkehrentscheidungen (vgl. auch deren Art. 6), die gegenüber illegal aufhältigen Ausländern ergehen. Der Kläger ist jedoch erst mit Wirksamwerden der Ausweisungsverfügung, die in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG zum Erlöschen gebracht hat, zum illegal aufhältigen Ausländer geworden.
57 
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Zulassung der Revision auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
58 
Beschluss
59 
vom 4. Mai 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.
61 
Der Beschluss ist unanfechtbar.
62 
Funke-Kaiser Prof. Dr. Bergmann Dr. Bauer

Gründe

 
A.
25 
Die Berufung ist zulässig. Zwar hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) versäumt. Er hat jedoch fristgemäß die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt (§ 60 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO). Die Tatsache, dass in dem innerhalb der Frist vorgelegten Schriftsatz vom 04.03.2011 der maßgebliche Sachverhalt bzw. Geschehensablauf nur in den Grundzügen vorgetragen und erst später präzisiert wurde, insbesondere auch hinsichtlich der getroffenen organisatorischen Vorkehrungen, ist unschädlich. Er hat auch glaubhaft gemacht, ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sei, weshalb ihm Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
26 
Es bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die fragliche Postsendung im Machtbereich des Regierungspräsidiums auf eine zurechenbare Art und Weise verloren gegangen sein könnte. Dabei gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe und Anforderungen wie sie auch auf die Tätigkeit von Rechtsanwälten angewandt werden. Auch hier wird nur unmittelbares Verschulden des Behördenleiters oder des selbstständig mit der Organisation der Fristüberwachung betrauten Beamten zugerechnet, nicht jedoch das Verschulden anderer Bediensteter (von Albedyll, in: Bader u.a., VwGO, 5. Aufl., § 60 Rdn. 13 m.w.N.). Ein derartiges originäres Verschulden ist nicht erkennbar. Insbesondere ist die Organisation und Überwachung der Versendung fristwahrender Schriftsätze ausreichend zuverlässig. Der vom Kläger beanstandete Umstand, dass Frau R. bereits, nachdem sie sich des Inhalts des Schriftstücks vergewissert hat, die Eintragung in das elektronische Register vornimmt, ist unschädlich, wenn, wie hier, sichergestellt ist, dass sie dieses sowie das Eintüten und Einlegen in die Postausgangskiste in einem Arbeitsgang vornimmt. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn sich etwa aufgrund der Verhältnisse am Arbeitsplatz von Frau R., etwa wegen häufiger Ablenkungen durch Telefonanrufe etc., hier Unzuträglichkeiten ergeben können bzw. schon tatsächlich ergeben hätten, was jedoch nicht ersichtlich ist. Einen weitergehenden Nachweis, dass der Schriftsatz dann auch tatsächlich zur Post gelangt ist, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht verlangt, ebenso wenig wie eine genaue Darlegung, wann und wo er verloren gegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16.02.2010 – VIII ZB 76/09 – NJW 2010, 1378). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der weitere Postlauf zur Hauptpoststelle und von dort zur Post selbst mangelhaft organisiert gewesen sein könnte, zumal es sich hierbei um einfach strukturierte Routineabläufe handelt. Eine andere Frage ist, ob bei dieser Sachlage ausreichende Vorsorge getroffen wurde, dass die Schriftsätze unverzüglich und auch rechtzeitig das Haus verlassen und zur Post gelangen, um dann entsprechende Fristen zu wahren. Darum geht es hier jedoch nicht. Denn der fragliche Schriftsatz ist vermutlich gar nicht beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Er ist bei einer Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 31.01.2011 jedenfalls so rechtzeitig vom Referat 15 in den Postlauf gegeben worden, dass der Verlust des Schriftsatzes kausal für die Fristversäumung gewesen sein muss.
27 
Die schriftsätzlichen Ausführungen sowie die hierzu vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen von Frau F. und Frau R. sind auch im Wesentlichen nicht unauflösbar widersprüchlich. Zwar klingen die ursprünglichen Ausführungen im Schriftsatz vom 04.03.2011 sowie vom 21.03.2011 zunächst so, als ob Frau F. die Sendung zum Postversand gebracht hätte. Der folgende Schriftsatz vom 28.03.2011 schildert die Abläufe hingegen zulässigerweise differenzierter und gibt die arbeitsteilige Handlungsweisen genauer wieder, ohne dass hieraus geschlossen werden kann, es würden unwahre Angaben gemacht. Kein Widerspruch besteht auch zwischen den Angaben im Schriftsatz vom 28.03.2011, wonach Frau F. das Schreiben Frau R. „vorgelegt“ habe, während in deren persönlichen Erklärungen ausgeführt wurde, Frau F. habe es auf den Schreibtisch von Frau R. gelegt. Widersprüchlich erscheinen zunächst die Angaben nur insofern, als es im Schriftsatz vom 21.03.2011 heißt, Frau F. habe, nachdem das Schriftstück das Haus verlassen habe, dieses in das elektronische Verzeichnis für den 31.01.2011 aufgenommen. Denn unter dem 28.03.2011 wurde vorgetragen, Frau R. habe den Eintrag gemacht, bevor das Schriftstück das Haus verlassen habe. Der Beklagtenvertreter hat jedoch nochmals in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er ursprünglich der Auffassung gewesen sei, der knappe Vortrag würde ausreichen. Er habe dann aber als Reaktion auf das Vorbringen des Klägers und die Anforderungen des Gerichts weitere Gespräche mit den Mitarbeiterinnen geführt und daher den Vortrag präzisieren und genauer darlegen müssen, weshalb es auch - wegen früherer Verkürzungen - zu gewissen Unterschieden in der Darstellung gekommen sei. Der Umstand, dass nunmehr ausgeführt wird, die Postausgangskiste sei erst am 01.02.2011 zur zentralen Poststelle gebracht worden, stellt nach Überzeugung des Senats eine solche zulässige Präzisierung dar, da auch in den früheren Erklärungen nicht explizit davon die Rede gewesen war, der Schriftsatz sei schon am 31.01.2011 bei der Deutschen Post AG eingegangen.

B.
28 
Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Auch nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - NVwZ 2008, 434) ergibt sich nichts anderes.
29 
I. Der Kläger hat, indem er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt wurde, den zwingenden Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht.
30 
1. Da er mit seiner deutschen Ehefrau und seinen beiden deutschen Kindern bis zum Zeitpunkt der Verhaftung in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hatte, genießt er nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz und darf nur ausgewiesen werden, wenn schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen.
31 
Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - NVwZ 2009, 727 m.w.N.) liegt ein schwerwiegender Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nur dann vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz mit den Regelungen des § 56 AufenthG bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung streng einzelfallbezogen ein deutliches Übergewicht hat. Ein solches Übergewicht kann aus den besonderen Umständen der jeweils die Ausweisung auslösenden Verhaltensweisen des Ausländers folgen. Danach können Fälle mittlerer und schwerer Kriminalität, namentlich schwere Gewaltdelikte, einen solchen schwerwiegenden Grund ausmachen, wobei als kumulativ festzustellende Voraussetzung die Ausweisung zur Unterbindung erneuter vom Ausländer ausgehender Gefahren geboten sein muss (vgl. auch Senatsurteil vom 09.07.2003 - 11 S 420/03 -EzAR 033 Nr. 8).
32 
Stützt die Ausländerbehörde ihre Ausweisungsverfügung auf spezialpräventive Gründe, so ist diese (im Sinne eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes) nur dann gerechtfertigt, wenn für die Gefahr erneuter Rechtsgutsverletzungen konkrete Anhaltspunkte bestehen. Der Ausweisungsgrund ist nicht schwerwiegend mit der zwingenden Rechtsfolge, dass eine Abschiebung unzulässig ist, wenn allein eine entfernte Möglichkeit weiterer Störungen der öffentlichen Sicherheit besteht, weil nicht hinreichend ausgeschlossen werden kann, dass der Ausländer sein schwerwiegendes früheres Fehlverhalten wiederholen oder andere Taten von vergleichbarem Gewicht begehen wird. Es sind somit qualifizierte Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen, weshalb konkrete Anhaltspunkte dafür ausgemacht werden müssen, dass auch in Zukunft bedeutsame Gefahren für ein wichtiges Schutzgut ernsthaft zu besorgen sind (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.05.2003 - 1 S 254/03 - VBlBW 2003, 474). Mit anderen Worten: Eine grenzenlose Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs nach Maßgabe der Schwere der Rechtsgutsverletzung (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61.84 - InfAuslR 1985, 33) ist nicht statthaft. Allerdings ordnet für die hier zu beurteilende Fallkonstellation § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausdrücklich an, dass im Falle des § 53 AufenthG in der Regel schwerwiegende Gründe vorliegen, weshalb es hier keiner konkreten positiven Feststellungen bedarf, sondern lediglich Umstände festgestellt werden müssen, die eine Atypik begründen. Solche Umstände sind hier nicht gegeben.
33 
Im Falle des Klägers bestehen – ungeachtet der gesetzlichen Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG – im Übrigen auch die für die Annahme eines schwerwiegenden Ausweisungsgrundes gebotenen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wieder in schwerwiegender Weise gegen die Strafrechtsordnung verstoßen könnte. Die ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. K. (vgl. S. 1 und 5) macht unmissverständlich deutlich, dass beim Kläger ein nicht vollständig zu vernachlässigendes Potential unzureichend entwickelter Konfliktvermeidungs- und Konfliktbewältigungsstrategien vorhanden ist, das einer therapeutischen Aufarbeitung bedarf, um eine ausreichend verantwortliche Verhaltenssteuerung einigermaßen zuverlässig zu gewährleisten. Allerdings geht der Gutachter davon aus, dass eine eigentliche Therapie nicht unbedingt erforderlich ist, sondern dass auch umfassende und eingehende therapeutische bzw. psychologische Gespräche und ein Resozialisierungsprogramm sowie ein Anti-Gewalt-Training ausreichen; er stellt beides prinzipiell als gleichwertig nebeneinander (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 30; Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 27.10.2010, S. 3 und 5; ergänzende Stellungnahme S. 1). Diese Voraussetzung kommt nicht nur deutlich in seinen grundsätzlichen Ausführungen zu den zwingenden Erfordernissen einer Vorbereitung in der Haft zum Ausdruck, sondern liegt ersichtlich auch seinen abschließenden Bemerkungen über die unerlässlichen Anforderungen an die Gestaltung der Bewährungszeit zugrunde. Nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht hinreichend prognostiziert werden, dass mit der erforderlichen Verlässlichkeit bis zur Haftentlassung eine Therapie erfolgreich abgeschlossen sein wird, oder jedenfalls die therapeutischen bzw. psychologischen Gespräche mit dem erforderlichen Ergebnis durchgeführt sein werden. Im Gegenteil: Es spricht alles dafür, dass dieses nicht der Fall sein wird. Zwar hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27.10.2010 ausweislich der Niederschrift behauptet, er habe mit dem russischsprechenden Psychotherapeuten bzw. Psychologen W. in der Vollzugsanstalt drei therapeutische Gespräche geführt, wovon eines einen halben Tag und die anderen beiden jeweils etwa eine Stunde gedauert hätten. Auf diesbezügliche Fragen des Senats in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger schon von sich aus nicht mehr davon gesprochen, dass er Gespräche von einer solchen Dauer geführt habe, woraus unübersehbar deutlich wird, dass er insoweit beim Verwaltungsgericht die Unwahrheit gesagt hat, um sich in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Er hat gegenüber dem Senat lediglich ganz allgemein behauptet, in zwei Gesprächen, die aber nach den eigenen Angaben wesentlich kürzer gewesen waren (eine Stunde oder auch nur eine halbe Stunde), sei auch über die Tat gesprochen worden. Der Senat kann unterstellen, dass auch die Tat erwähnt worden sein wird, jede andere Annahme wäre lebensfremd. Entscheidend ist vielmehr allein die Dauer bzw. Häufigkeit der Gespräche und deren Qualität. Zu seiner Überzeugung steht nach der eingeholten schriftlichen Erklärung von Herrn W. vom 03.05.2011 aber fest, dass eine erforderliche intensive Befassung mit und Aufarbeitung der Tat nicht erfolgt ist. Dies wäre angesichts der vom Kläger selbst zugestandenen Kürze und der Zahl der Treffen mit Herrn W. auch gar nicht möglich. Auch muss der Senat davon ausgehen, dass der Kläger kein wirkliches Interesse daran hat, obwohl ihm in der Justizvollzugsanstalt die Chance von Gesprächen in seiner Muttersprache geboten wird. Eine gegenteilige Überzeugung hat der Kläger mit seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung beim Senat nicht herbeiführen können. Abgesehen davon hat Herr W. dieses in seiner Stellungnahme auch klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Der Senat sieht in diesem Zusammenhang keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, wie der Prozessbevollmächtigte vermutet, dass Herr W. aus auch bei diesem liegenden Gründen keine Gesprächsbasis gefunden hatte, weshalb ein beim Kläger an sich bestehender ernsthafter Wunsch und Wille zu einer intensiven Aufarbeitung der Tat nicht erfüllt werden konnte, ohne dass er dieses zu vertreten hätte. Dies ganz losgelöst von der Frage, ob dieses unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr überhaupt erheblich sein kann. Für den Senat ist insgesamt nicht ersichtlich, weshalb Herr W. in seiner Stellungnahme vom 03.05.2011 unwahre Angaben gemacht haben sollte. Demgegenüber liegt es auf der Hand, dass der Kläger ein erhebliches Interesse hat, wahrheitswidrig ein Interesse an einer Therapie zu behaupten, nachdem ihm nunmehr nach der gesamten Vorgeschichte klar geworden sein muss, dass er nur auf diese Weise eine Chance haben kann, die Ausweisung noch abwenden zu können. Diese ist auch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zweifelsfrei unwahren Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu sehen. Jedenfalls kann, nachdem nunmehr 3 ½ Jahre seit der Verurteilung verstrichen sind, ohne dass der Kläger diesbezüglich irgendetwas auf den Weg gebracht hat, die bloße verbale Behauptung, an einer Therapie interessiert zu sein, ein positive Einschätzung nicht begründen.
34 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine völlig ungeklärte eheliche und familiäre Situation ein vom Senat zu seinen Lasten zu berücksichtigender gefahrerhöhender Umstand, der keineswegs nur abstrakt ist und damit unerheblich wäre. Der Kläger hält zwar nach seinen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung formal an seiner Ehe fest und will sich nicht scheiden lassen, was insoweit nachvollziehbar ist, weil er andernfalls den mit der Ehe verbundenen erhöhten Ausweisungsschutz verlieren würde. Andererseits will er mit seiner Ehefrau gegenwärtig nichts zu tun haben und hat diese seit seiner Inhaftierung vor 4 ½ Jahren allenfalls ein Mal gesehen; er will sie nach seinen eindeutigen und kategorischen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch zukünftig nicht sehen und hat mit ihr auch keinen nennenswerten, ihre Beziehung betreffenden brieflichen Kontakt. Es ist für den Senat nicht nachzuvollziehen, weshalb der Kläger nur für den Fall, dass er hier bleiben dürfe, seine Beziehung zu der Ehefrau „ankurbeln“ wolle, was er auch immer darunter verstehen mag. Denn wenn ihm wirklich etwas an der Beziehung zu seiner Ehefrau liegen würde, müsste er sich in jedem Fall und bedingungslos um die Beziehung bemühen. Nach alledem muss sich aufdrängen, dass spätestens im Falle der Haftentlassung ein ernst zu nehmendes Risiko besteht, dass sich die Ehefrau endgültig von ihm trennt oder bereits getrennt hat. Dann jedoch steht die Frage an, was mit den Kindern geschehen wird. Diese Fragestellung beinhaltet ein erhebliches Konfliktpotential, das auch mit schweren Kränkungen verbunden sein kann, zumal dann, wenn die Ehefrau den Kläger nicht oder jedenfalls wenig an dem Leben der Kinder teilhaben lassen will. Auch der Gutachter sieht dieses ebenso (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 2 und 5). Dass der Kläger mit tiefer gehenden persönlichen Konflikten und Kränkungen nicht umgehen kann, hat er in der Vergangenheit eindrücklich gezeigt, wie er ebenso - zuletzt in der mündlichen Verhandlung - deutlich gemacht hat, dass er nicht ernsthaft bereit ist, hieran zu arbeiten.
35 
Gegen den Kläger spricht – jedenfalls in einer Gesamtschau – nach Überzeugung des Senats auch, dass er nach der Tat und insbesondere nach der strafgerichtlichen Verurteilung bis heute die Tat, jedenfalls wesentliche Tatbeiträge seinerseits, im Grunde leugnet und sich nicht vorbehaltlos seiner Schuld stellt. Zwar übersieht der Senat nicht, dass nach der fachlichen Einschätzung des Gutachters (vgl. S. 3 der ergänzenden Stellungnahme) nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger, wie auch viele andere vergleichbar strukturierte Täter, an seine Grenzen stößt und eine möglicherweise zusätzlich vorhandene Störung der Wahrnehmung offenbar auch dem Schutz der eigenen psychischen Stabilität dient. Immerhin weist der Gutachter darauf hin, dass es tatsächlich zu erheblichen Erinnerungsausfällen gekommen sein kann. All das mag das Verhalten zunächst nachvollziehbar erscheinen lassen. Gleichwohl spricht gegen eine - wie auch oben in anderem Zusammenhang erörterte - Auseinandersetzungsbereitschaft mit der Tat, dass der Kläger über ein Leugnen hinaus im Grunde wesentliche, wenn nicht überwiegende Tatbeiträge bzw. Verschuldensanteile auf das Opfer verschiebt. Dies gilt jedenfalls, wenn man sein gesamtes Verhalten im Zusammenhang betrachtet und die bereits oben gewürdigten Angaben zur Therapiebereitschaft und den mit Herrn W. geführten Gesprächen angemessen berücksichtigt.
36 
Anders als der Beklagte dies sieht, können allerdings bei der Beurteilung des Maßes der Wiederholungsgefahr nicht andere Deliktsgruppen wie Vergewaltigung, Raub, Diebstahl oder Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz einbezogen werden. Auch wenn es sich – wie der Gutachter richtigerweise ausführt – hier nicht um eine klassische Affekttat gehandelt hat, so war es doch gewissermaßen eine Beziehungstat. Hinzukommt, dass der Gutachter keine besondere, mit erhöhter Aggressivität einhergehende Persönlichkeitsstörung festgestellt hat; der Gutachter verneint ausdrücklich eine allgemeine Gewaltbereitschaft (vgl. Gutachten vom 16.06.2010, S. 21, 26 und 29), was der Beklagte offenbar aus dem Auge verloren hat. Ausgehend von den Ausführungen des Gutachters besteht kein Ansatz dafür, dass die Begehung solcher Taten auch angedacht werden müsste.
37 
Der weitere tatsächliche Ausgangspunkt des Gutachters wie auch des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei Ersttäter, wird zwar von der Beklagten in Frage gestellt, weil diese Annahme nur auf den Angaben des Klägers im Strafverfahren wie auch gegenüber dem Verwaltungsgericht sowie telefonischen Auskünften der Ehefrau und der Schwägerin beruht. Eine weitere, in erster Linie nur in Kirgisistan mögliche Ermittlung ist jedoch nach Auffassung des Senats nicht geboten, zumal der Beklagte sich auch nicht zu solchen im Verwaltungsverfahren veranlasst sah. Es besteht kein Anlass, dem Kläger zu misstrauen, auch nicht deshalb, weil er behauptet hat, angegriffen worden zu sein, weil er unzutreffende Angaben über die Gespräche mit Herrn W. gemacht hat. Wenn der Kläger im Bundesgebiet nicht weiter strafrechtlich und polizeilich in Erscheinung getreten ist, was im Strafverfahren zu Tage getreten wäre, bestand für den Gutachter kein ausreichender Ermittlungsansatz für weitere Nachforschungen im sozialen Umfeld des Klägers.
38 
Auch wenn der Gutachter eine infolge der Hafterfahrung eingetretene Nachreifung festgestellt haben will (vgl. die ergänzende Stellungnahme, S. 4 f.), so verbleibt namentlich auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung gewonnen Überzeugung des Senats ein rechtlich erhebliches Risiko der Begehung einer vergleichbaren Gewalttat.
39 
Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die vom Beklagten betonte Feststellung der formellen Voraussetzungen des § 66 b a.F. StGB durch die Staatsanwaltschaft nichts besagt, weil hier gerade keinerlei Aussage zu den materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung („wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“) gemacht wurde.
40 
Nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung wiederum über bestimmte Prozentränge für eine Eintrittswahrscheinlichkeit diskutiert haben und sie das auch schon in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 getan hatten, möchte der Senat - wie auch schon das Verwaltungsgericht - abschließend eine wichtige Aussage des Gutachters in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2010 hervorheben, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt. Er hatte dort ausdrücklich betont, dass sich die benannten Prozentränge nur aus einzelnen Checklisten und Tests ergäben und allein dienenden und ergänzenden Charakter haben können. Sie dürften in keinem Fall die auf der Exploration beruhende endgültige kriminalprognostische Beurteilung ersetzen oder maßgeblich mitbestimmen.
41 
2. Ist der die Ausweisung tragende Grund schwerwiegend, so ist an sich der Kläger gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen, weil er den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat. Das Regierungspräsidium hat den Kläger, insbesondere wegen der vorhandenen minderjährigen Kinder deutscher Staatsangehörigkeit, entsprechend den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - VwZ 2008, 326) allerdings zutreffend nur im Ermessenswege ausgewiesen. Es ist damit von einem die Regel durchbrechenden Ausnahmefall ausgegangen, denn allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG wird dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK noch nicht hinreichend einzelfallbezogen Rechnung getragen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind dann wesentlich konkreter und einzelfallbezogener neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen und eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. zu alledem auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300). Der Senat geht in diesem Zusammenhang zugunsten des Klägers davon aus, dass die Ehefrau des Klägers und auch er weiter an der Ehe festhalten, weshalb diesem Umstand aufenthaltsrechtlich eine erhebliche und weit reichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, zumal da die Ehefrau deutsche Staatsangehörige ist (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 03.05.1973 - I C 33.72 - BVerwGE 42, 133; vom 27.09.1978 - 1 C 79.76 - BVerwGE 56, 246; vom 17.1.1989 - 1 C 46.86 - NVwZ 1989, 770; auch BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386; Kammerbeschluss vom 15.6.1993 - 2 BvR 900/93 - InfAuslR 1994, 311). Weiter wird der Schutz erheblich verstärkt durch den Umstand, dass der Kläger nach wie vor das Sorgerecht hinsichtlich seiner deutschen Kinder hat und auch während der Haft mit diesen regelmäßig Kontakt pflegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.1980 - I 55.75 - BVerwGE 60, 126; vom 19.10.1982 - 1 C 100.78 - EzAR 124 Nr. 6). Die Frage des konkreten Schutzes wird nicht allein durch die Herabstufung im Rahmen des § 56 Abs. 1 AufenthG erschöpfend beantwortet, ihr ist vielmehr im Rahmen der Ermessensausübung nochmals umfassend und differenziert nachzugehen. Der Schutz der deutsch/ausländischen Familie wird dabei nicht durch den Umstand relativiert, dass die Ehefrau und die Kinder selbst aus dem Heimatland des Klägers stammen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.09.2009 - 13 S 440/09 -; HessVGH, Beschluss vom 15.07.2003 - 12 TG 1484/03 - InfAuslR 2003, 388).
42 
Der Beklagte hat im Rahmen der von ihm angestellten und in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen alle relevanten Belange eingestellt und auch zutreffend gewichtet. Der Beklagte hat zwar erwogen, dass die Ehefrau und seine Kinder wegen ihrer Herkunft mit dem Kläger nach Kirgisistan zurückkehren und ihnen dieses vorübergehend zuzumuten sein könnte, hat aber bei seiner Ermessenentscheidung die endgültige Trennung letztlich unterstellt. Was das Gewicht der Folgen der Trennung betrifft, kann der Senat nicht unberücksichtigt lassen, dass gegenwärtig keinerlei persönliche Beziehung zur Ehefrau besteht und der Kläger eine Wiederaufnahme strikt abgelehnt hat und weiter ablehnt. Der Kläger konnte dem Senat auch in der mündlichen Verhandlung nicht plausibel machen, dass er ernsthaft an einer Klärung der Beziehung mit dem Ziel einer Wiederaufnahme zu arbeiten gewillt ist. Auch die Beziehung zu seinen beiden Kindern ist nach den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben auch unter angemessener Berücksichtigung der haftbedingten Erschwernisse eher lose und lässt eine intensive Teilhabe am Leben der Kinder vermissen. Es wurde auch nicht geltend gemacht, dass aus der ebenfalls maßgeblichen Sicht der Kinder eine besonders enge Bindung an den Vater besteht. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob in der Justizvollzugsanstalt F. häufigere persönliche Besuche möglich wären. Immerhin hat sich der Kläger gar nicht darauf berufen, dass diese nicht möglich wären, sondern ausschließlich geltend gemacht, der Bruder habe nicht mehr Zeit bzw. den Kindern werde bei der Autofahrt leicht schlecht. Der letztgenannte Grund leuchtet dem Senat nicht ein, wenn ein tiefer gehendes Interesse der Kinder bzw. des Klägers an einem unmittelbaren persönlichen Kontakt bestehen würde. Für diese Bewertung ist für den Senat maßgeblich, dass der Kläger beispielsweise keine genaueren Angaben über die Art der vom älteren Sohn besuchte Schule machen konnte, sondern erst auf entsprechende Nachfrage sagte, dass er nicht wisse, wie man die Schule bezeichne, und pauschal von „Mittelschule“ sprach. Dieser Umstand wie auch die Tatsache, dass er nur sehr allgemeine Angaben über den schulischen Werdegang der Kinder und deren sonstige Aktivitäten machen konnte, zeigen deutlich, dass das Interesse an seinen Kindern nicht besonders entwickelt ist. Beispielsweise konnte der Kläger nicht einmal präzise Angaben darüber machen, wo der ältere Sohn Taekwon-Do trainiere, ob etwa im Rahmen des Sportunterrichts oder außerhalb des schulischen Rahmens. Auch seine Schilderungen über den Ablauf der Besuchsaufenthalte in der Haft blieben sehr an der Oberfläche und blass. Vor dem Hintergrund der eher größeren Abstände der Besuche in der Haft konnte der Senat nicht nachvollziehen, dass er in 4 ½ Jahren seine Kinder nur 1 bis 2 Mal angerufen hat. Die Erklärung, dass er aus der Justizvollzugsanstalt auf deren Mobiltelefone nicht anrufen dürfe, wertet der Senat als Ausflucht. Denn es fehlt jeder Anhalt dafür, dass die Kinder nicht auch über einen Festnetzanschluss erreichbar sein könnten, auch wenn die Mutter über einen solchen nicht verfügen sollte. Wenn schon ein telefonischer Kontakt praktisch nicht stattfindet, so wäre bei einer wirklich gelebten intensiven persönlichen Beziehung wenigstens ein intensiver schriftlicher Kontakt zu erwarten gewesen, den der Senat aber auch nicht feststellen konnte. Nach den Angaben des Klägers schickt er lediglich Postkarten, und dann auch nur an Geburtstagen und etwa an Weihnachten. Angesichts dieser persönlichen und familiären Verhältnisse und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger erst im Alter von knapp 28 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist und nur 4 ½ Jahre straffrei im Bundesgebiet gelebt hat, erweist sich die Ausweisung in Ansehung der nicht von der Hand zu weisenden Besorgnis der Begehung vergleichbarer Gewalttaten und insbesondere unter Berücksichtigung der außerordentlich gravierenden Folgen der Tat auch nicht als unverhältnismäßig (vgl. auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00, Boultif/Schweiz -InfAuslR 2001, 476; vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279; vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04, Maslov/Deutschland II - InfAuslR 2008, 333).
43 
Der Senat kann daher offen lassen, ob die Ausweisung auch allein durch generalpräventive Erwägungen getragen wäre (vgl. hierzu Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris).
44 
II. Für den Kläger ergeben sich auch aus Europarecht keine weitergehende Rechte, die seiner Ausweisung entgegenstehen.
45 
1. a) Der Europäische Gerichtshof hat zwar mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache C-34/09 (Ruiz Zambrano) in einem familiär ähnlich gelagerten Fall u.a. entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann.
46 
Ob damit, insbesondere was die Beurteilung der Rechte drittstaatsangehöriger Familienmitglieder betrifft, eine generelle Gleichstellung mit solchen Unionsbürgern verbunden ist, die bereits einmal von ihrer mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, und ob etwa die Bestimmungen der Unionsbürger-RL 2004/38/EG (namentlich dessen Art. 28) entsprechend anzuwenden sind (vgl. zum Anwendungsbereich deren Art. 3 Abs. 1 und nunmehr auch EuGH, Urteil vom 05.05.2011, Rs C-434/09, McCarthy), kann der Senat offenlassen (vgl. zu dieser Frage auch das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 20.01.2011 - 11 S 1069/10 - InfAuslR 2011, 133). Denn Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG stünde einer Ausweisung nicht entgegen (vgl. hierzu unten) und Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG wäre ohnehin im Falle des Klägers nicht anwendbar, da er sich noch nicht 10 Jahre im Bundesgebiet aufhält.
47 
Folge der nicht möglichen unmittelbaren Anwendbarkeit der Unionsbürger-RL 2004/38/EG ist dann auch, dass das FreizügigkeitsG/EU hier ebenfalls nicht unmittelbar anzuwenden ist, es vielmehr bei der Geltung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regeln zu verbleiben hat. Diese sind allerdings unionsrechtskonform zu handhaben.
48 
b) Auch wenn infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon am 01.12.2009 in Art. 24 der Grundrechtecharta (GRCh) die Kinderrechte gestärkt und bekräftigt werden, gilt der nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „Ruiz Zambrano“ aus der Unionsbürgerschaft nach Art. 20 AEUV folgende Aufenthaltsanspruch der drittstaatsangehörigen Eltern - ungeachtet einer möglichen entsprechenden Anwendbarkeit des Art. 28 RL 2004/38/EG -nicht unbeschränkt. Wie für den Fortbestand der Unionsbürgerschaft selbst (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-135/08, Rottmann, Rn. 55), muss auch für deren Reichweite der primärrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fruchtbar gemacht werden (vgl. Art. 5 Abs. 4 EUV). Hiernach gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Um hierbei die von Art. 6 Abs. 2 EUV sowie Art. 52 Abs. 3 und 7 GRCh angestrebte Einheitlichkeit des europäischen Menschenrechtsschutzes, d.h. den angestrebten materiell-rechtlichen Gleichlauf zwischen EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) des Europarates zu erreichen, sind bei straffällig gewordenen Eltern die vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zu Art. 8 EMRK entwickelten sog. Boultif/Üner-Kriterien heranzuziehen (EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476; Urteil vom 05.07.2005 - 46410/99 <Üner> - InfAuslR 2005, 450), die der Gerichtshof etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) zusammengefasst hat.
49 
Ob der Eingriff in das unionsbürgerliche Aufenthaltsrecht des Elternteils nach Art. 20 AEUV sowie das geschützte Familien- und Privatleben im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, entscheidet sich mithin immer im konkreten Einzelfall unter Abwägung der aufgeführten verschiedenen Belange. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, führt jedoch auch die Anwendung der Boultif/Üner-Kriterien im konkreten Einzelfall des Klägers nicht zu einem ihm günstigen Ergebnis.
50 
c) Die Ausweisung des Klägers, dem grundsätzlich der unionsbürgerrechtliche Schutz nach Art. 20 AEUV zukommt, erweist sich auch nicht bei Berücksichtigung der sonstigen Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs zu Ausweisungen als rechtswidrig. Zwar ist die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG (in entsprechender Anwendung) und der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann eröffnet, wenn in restriktiver Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Ausnahmebestimmungen unter Ausschluss generalpräventiver Überlegungen aufgrund eines persönlichen Verhaltens des Betroffenen eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung von diesem ausgeht, die darüber hinaus ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren muss (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs 67/74, Bonsignore - Slg. 1975, 297; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - Slg. 1975, 1219; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - Slg. 1977, 1999; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81, Adoui und Cornuaille - Slg. 1982, 1665; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86, Kommission/Bundesrepublik - Slg. 1989, 2363; vom 19.01.1999 - C-348/96, Calfa - Slg 1999, I-11). Dieser Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich im Verständnis des Gerichtshofs auf ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann ausreichen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erkennen lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01, Orfanopoulus und Oliveri - Slg. 2004, I-5257). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77, Bouchereau - a.a.O.). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet ist. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59).
51 
aa) Der Europäische Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes „gesellschaftliches Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75, Rutili - a.a.O.). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
52 
bb) Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Diese Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartig weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in den dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Europäischen Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit nur die „ultima ratio“ sein darf, stehen einem solchen Verständnis entgegen; es ist auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unionsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet.
53 
Das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung ist nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit, jedenfalls aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats immer dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise gewichtige Gründe dafür sprechen, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird. Wie der Senat unter I. ausgeführt hat, ist dieses im Falle des Klägers anzunehmen.
54 
cc) Der Senat geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass die vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Schutzes vorliegen, auch wenn der Kläger aktuell seinen Kindern – abgesehen von gelegentlichen kleineren Geschenken – keinen Unterhalt leistet. Denn die Tatsache, dass er dies bis zu seiner Inhaftierung regelmäßig getan hat und er nunmehr aus objektiven Gründen daran gehindert ist, muss genügen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass er nach seiner Entlassung, so er über Erwerbseinkommen verfügt, weiter Unterhalt leisten wird.
55 
Angesichts der weiter bestehenden relevanten und nicht zu vernachlässigenden Wiederholungsgefahr erweist sich jedoch auch in Anwendung der unionsrechtlichen und menschenrechtlichen Maßstäbe die Ausweisung als ermessensfehlerfrei sowie als verhältnismäßig und durch ein Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz der körperlichen Integrität ihrer Bewohner gerechtfertigt. Insbesondere hat der Beklagte sich nach der Erörterung möglicher unionsrechtlicher Vorgaben in der mündlichen Verhandlung dieser vergewissert und seine Ermessenserwägungen überprüft sowie seine unionsrechtlich tragfähigen Überlegungen, weshalb an der Ausweisungsverfügung festgehalten werden soll, nachvollziehbar dargelegt (vgl. Seite 3 der Niederschrift vom 04.05.2011).
56 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung aus der Haft finden ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG. Der Senat kann offen lassen, ob sich für die Ausgestaltung einer Abschiebungsandrohung nunmehr besondere Vorgaben aus der Rückführungs-RL 2008/115/EG ergeben. Denn die Richtlinie gilt nach deren Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Nr. 4 nur für Rückkehrentscheidungen (vgl. auch deren Art. 6), die gegenüber illegal aufhältigen Ausländern ergehen. Der Kläger ist jedoch erst mit Wirksamwerden der Ausweisungsverfügung, die in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG zum Erlöschen gebracht hat, zum illegal aufhältigen Ausländer geworden.
57 
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Zulassung der Revision auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
58 
Beschluss
59 
vom 4. Mai 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.
61 
Der Beschluss ist unanfechtbar.
62 
Funke-Kaiser Prof. Dr. Bergmann Dr. Bauer

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 125


(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung. (2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 81 Beantragung des Aufenthaltstitels


(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist u

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 39 Grundsatz


(1) In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Der Streitwert beträgt höchstens 30 Millionen Euro, soweit kein niedrigerer Höchstwert be

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 56 Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit


(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei de

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 51 Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts; Fortgeltung von Beschränkungen


(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen: 1. Ablauf seiner Geltungsdauer,2. Eintritt einer auflösenden Bedingung,3. Rücknahme des Aufenthaltstitels,4. Widerruf des Aufenthaltstitels,5. Ausweisung des Ausländers,5a. Bekanntgabe einer Absc

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Tatbestand 1 Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

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Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 21.10.2009 - 8 K 2123/09 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.Die Revision wird zugelassen. Tatbestand  1 Der 1988 in Stuttga

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(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung.

(2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 76/09
vom
16. Februar 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 85; 233 D, Fc, Fd

a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist
bei fehlender Ursächlichkeit eines möglichen Organisationsverschuldens
des Prozessbevollmächtigten.

b) Zu den Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht hinsichtlich der
Postausgangskontrolle bei fristgebundenen Schriftsätzen.
BGH, Beschluss vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09 - LG Hamburg
AG Hamburg
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Februar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Milger
sowie die Richter Dr. Achilles und Dr. Bünger

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer 7 des Landgerichts Hamburg vom 14. Juli 2009 aufgehoben. Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 10. Februar 2009 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. März 2009 gewährt. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 6.648,48 € festgesetzt.

Gründe:

I.

1
Die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung der Klägerin in H. . Die Klägerin begehrt nach erfolgter Kündigung die Herausgabe dieser Wohnung.
2
Das Amtsgericht hat der Klage durch Urteil vom 10. Februar 2009 stattgegeben und die Beklagte zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verur- teilt. Gegen dieses ihr am 12. Februar 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Mit bei dem Berufungsgericht am 15. April 2009 eingegangenem Schriftsatz vom 8. April 2009 hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt. Nach einem Hinweis des Berufungsgerichts darauf, dass der Verlängerungsantrag erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei, hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit am 5. Mai 2009 eingegangenem Schriftsatz die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. Mai 2009 beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, sie habe den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 8. April 2009, dem Mittwoch vor Ostern, vormittags unterschrieben. Die Mappe mit den unterschriebenen Schriftstücken sei sodann postfertig gemacht, noch einmal auf Vollständigkeit und das Vorhandensein der Unterschriften kontrolliert und in das Postausgangsfach gelegt worden. Der in der Kanzlei beschäftigte Bürobote Ho. hole regelmäßig am Montag, Mittwoch und Freitag die Post aus dem Gerichtsfach in der gemeinsamen Annahmestelle bei dem Amtsgericht Hamburg ab und bringe die Gerichtspost der Kanzlei zur Gemeinsamen Annahmestelle. Auf dem Rückweg von der Arbeit gehe er am selben Tag noch einmal zur gemeinsamen Annahmestelle, um insbesondere Fristsachen dort abzuliefern. Seien in der Kanzlei Schriftstücke postfertig gemacht, werde eine grüne Durchschrift des jeweiligen Schriftstücks in die Akte geheftet. Da die Prozessbevollmächtigte der Beklagten am Dienstag, den 14. April 2009, einen Tag Urlaub gehabt habe, habe sie bereits am 9. April 2009 die an diesem Tag und am 14. April 2009 ablaufenden Fristen überprüft und kontrolliert, ob sich der Fristverlängerungsschriftsatz vom 8. April 2009 noch im Postausgangsfach befinde, was nicht der Fall gewesen sei. Da sich außerdem die grüne Durchschrift dieses Schriftsatzes in der Akte befunden habe, habe sie im Fristenkalender bei dieser Frist in Klammern einen Zusatz angebracht, dass die Verlängerung beantragt worden sei. Dabei sei sie davon ausgegangen, dass der bisher stets zuverlässige Bürobote Ho. die Schriftstücke am 8. April 2009 aus dem Postausgangsfach mitgenommen und entsprechend seiner Arbeitsanweisung vollständig bei Gericht abgegeben habe. Der gleichwohl verspätete Eingang des Verlängerungsantrags bei Gericht könne damit erklärt werden, dass der Bürobote, der an den konkreten Vorgang keine Erinnerung mehr habe, den Schriftsatz versehentlich in seiner Aktentasche belassen und erst im Rahmen des nächsten Botengangs am Mittwoch nach Ostern, also am 15. April 2009, bei Gericht abgegeben habe. Zur Glaubhaftmachung hat die Beklagte eidesstattliche Versicherungen ihrer Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwältin N., deren in derselben Kanzlei tätigen Urlaubsvertreters, Rechtsanwalt V., und des Büroboten Ho. vorgelegt.
3
Mit am 12. Mai 2009 eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte die Berufung begründet. Das Berufungsgericht hat durch Beschluss vom 14. Juli 2009 nach vorherigem Hinweis den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verworfen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt , es sei nach der Rechtsprechung zwar davon auszugehen, dass ein Organisationsverschulden des Rechtsanwalts nicht anzunehmen sei, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht werde. In der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten würden die im Postausgangsfach befindlichen Schriftstücke jedoch nicht täglich, wie in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Mai 2003 (I ZB 32/02, NJW-RR 2003, 1004) zugrunde liegenden Fall, sondern nur an drei Wochentagen durch den Büroboten befördert. Erschwerend komme hinzu, dass wegen der Osterfeiertage sowohl der auf den 8. April 2009 folgende Karfreitag als auch der Ostermontag als Postbeförderungstermine des Büroboten ausgefallen seien und der nächste planmäßige Botengang erst am Mittwoch, den 15. April 2009, und damit einen Tag nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erfolgt sei. Die Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, dass der unterzeichnete Schriftsatz am 8. April 2009 noch rechtzeitig vor der Leerung durch den Büroboten in das Postausgangsfach der Kanzlei gelegt worden sei. Auch sei nicht glaubhaft gemacht, zu welcher Tageszeit der Bürobote das Postausgangsfach regelmäßig zu leeren gehabt habe. Dass in der Akte eine grüne Kopie des Schriftsatzes eingeheftet gewesen sei, reiche für sich genommen nicht aus, um hieraus hinreichend sicher auf die Einlegung des Schriftsatzes in das Postausgangsfach vor dessen Leerung durch den Büroboten schließen zu können. Der vom Bundesgerichtshof in dem oben genannten Beschluss vom 22. Mai 2003 herangezogene Umstand, dass das Postfach gewissermaßen die letzte Station auf dem Weg zum Adressaten sei, mache eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuches, nur dann entbehrlich, wenn durch organisatorische Maßnahmen der Ausgangskontrolle hinreichend nachvollziehbar sei, wann ein fristgebundener Schriftsatz tatsächlich in das Postausgangsfach eingelegt worden sei. Dies lasse sich bei der von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten praktizierten Büroorganisation jedoch nicht nachvollziehen. In der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei überdies auch insoweit keine verlässliche Ausgangskontrolle gewährleistet, als die Erledigung des Verlängerungsantrags nicht, wie von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt werde, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einlegung des Schriftsatzes in das Postausgangsfach, sondern erst am nächsten Tag kontrolliert und durch einen Erledigungshinweis gekennzeichnet worden sei.
4
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

5
1. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Gesetzes statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und im Übrigen auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 575 ZPO). Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschluss verletzt das Verfahrensgrundrecht der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfGE 77, 275, 284; 74, 228, 234; BVerfG, NJW 2005, 814, 815; BVerfG, NJW 2003, 281; BVerfG NJW 1991, 3140; Senatsbeschluss vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775, unter II 1; BGHZ 151, 221, 227; BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, unter II 1 bb; BGH, Beschluss vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02, NJW 2003, 437, unter II 3 b). Indem das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2) davon ausgegangen ist, dass der Beklagten keine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren ist, und die Berufung daher als unzulässig verworfen hat, hat es der Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt verwehrt.
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat bei der Anwendung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, überspannt. Auf der Grundlage dieser Würdigung hat es rechtsfehlerhaft die Berufung nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
7
a) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die versäumte Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Dabei steht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der im Ansatz auch das Berufungsgericht ausgeht, gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss jedoch nur gewährleisten, dass der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station” auf dem Weg zum Adressaten ist. Eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs, ist unter diesen Umständen nicht erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Juni 1980 - VIII ZB 20/08, VersR 1980, 973, unter 2 a; BGH, Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00, NJW 2001, 1577, unter II 1 m.w.N.; Beschlüsse vom 22. Mai 2003 - I ZB 32/02, NJWRR 2003, 1004, unter II 2; vom 5. Februar 2003 - IV ZB 34/02, NJW-RR 2003, 862, unter II 1). Die Erledigung fristgebundener Sachen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders zu überprüfen (BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2003, aaO, unter II 2 d; vom 23. Mai 2006 - VI ZB 77/05, NJW 2006, 2638, Tz. 5; vom 22. April 2009 - XII ZB 167/08, NJW-RR 2009, 937, Tz. 15). Eine bloße Prüfung, ob der in der Anwaltskanzlei für die Gerichtspost bestimmte Ausgangskorb leer ist, reicht für eine wirksame Ausgangskontrolle nicht aus (BGH, Urteil vom 22. September 1992 - VI ZB 11/92, VersR 1993, 207). Einen Nachweis dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, hat der Bundesgerichtshof ebenso wenig gefordert wie eine - meist nicht mögliche - Darlegung, wann und wie genau ein Schriftstück verloren gegangen ist; vielmehr genügt die Glaubhaftmachung, dass der Verlust mit großer Wahrscheinlichkeit nicht im Bereich, für den die Partei - auch über § 85 Abs. 2 ZPO - verantwortlich ist, eingetreten ist (BGHZ 23, 291, 292 f.; BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003, aaO).
8
b) Gemessen an diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht zwar nicht die grundsätzlichen Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts für die Kontrolle ausgehender fristgebundener Schriftsätze überspannt. Dabei bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob die im Wiedereinsetzungsantrag dargelegte Postausgangskontrolle in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, was das Berufungsgericht wegen der nur an drei Wochentagen erfolgenden Beförderung der im Postausgangsfach befindlichen Schriftstücke durch den Büroboten verneint hat, insgesamt den oben genannten strengen Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt. Denn das Berufungsgericht hat bei seiner Würdigung einem entscheidenden Punkt des glaubhaft gemachten Vorbringens der Beklagten zur Wiedereinsetzung kein ausreichendes Gewicht beigemessen.
9
Die Beklagte hat in ihrem Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen, ihre Prozessbevollmächtigte habe sich wegen eines für den 14. April 2009 (Dienstag nach Ostern) vorgesehenen Urlaubstages am 9. April 2009 (dem Tag nach der vorgetragenen Einlegung des Verlängerungsantrags in das Postausgangsfach) die Erledigung der Fristen geprüft und hierbei auch kontrolliert, ob sich der Schriftsatz noch im Postausgangsfach befinde. Da dies nicht der Fall gewesen und in der Akte zudem eine grüne Durchschrift des Verlängerungsantrags vorhanden gewesen sei, sei sie davon ausgegangen, dass der bisher stets zuverlässige Bürobote den Schriftsatz am Vortag aus dem Postausgangsfach mitgenommen und im Rahmen seines - wie stets am Ende des Arbeitstages auch am 8. April 2009 durchgeführten - Botengangs ordnungsgemäß zu Gericht gebracht habe. Daraufhin habe sie im Fristenkalender die erfolgte Antragstellung notiert.
10
Das Berufungsgericht hat insoweit zwar Vortrag zu den Zeitpunkten der Einlegung des Schriftsatzes in das Postausgangsfach und der Leerung dieses Fachs durch den Büroboten vermisst, aber keine Bedenken gegen die Glaubhaftmachung der geschilderten Vorgänge geäußert. Sie drängen sich auch nicht auf. Gleichwohl hat das Berufungsgericht dieses Vorbringen lediglich in seinem durch den angegriffenen Beschluss in Bezug genommenen Hinweisbeschluss vom 2. Juni 2009 im Zusammenhang mit der Argumentation angesprochen , es habe an einer verlässlichen Ausgangskontrolle gefehlt, weil die Frist nicht am Abend des 8. April 2009, sondern erst am folgenden Tag durch die Prozessbevollmächtigte der Beklagten gelöscht worden sei. Hierdurch wird der Vortrag der Beklagten zur Wiedereinsetzung indessen nicht ausgeschöpft. Denn wenn der Schriftsatz am 8. April 2009 in das Postausgangsfach gelegt und das Postausgangsfach noch an diesem Tage durch den ansonsten zuverlässigen Büroboten zwecks Transports der Post zu Gericht geleert worden ist und sich der Schriftsatz demgemäß am nächsten Tag nicht mehr im Postausgangsfach befand, dann ist ein mögliches Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten hinsichtlich der Postausgangskontrolle im konkreten Fall jedenfalls nicht ursächlich für den verspäteten Eingang des Schriftsatzes bei Gericht gewesen.
11
Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten ist der Schriftsatz rechtzeitig hergestellt, postfertig gemacht und noch am 8. April 2009, einem Tag, an dem der Transport ausgehender Schriftsätze zur gemeinsamen Annahmestelle des Amtsgerichts vorgesehen war und auch tatsächlich erfolgte, in das Postausgangsfach eingelegt worden. Da die am nächsten Tag erfolgte Nachprüfung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten ergab, dass sich der Schriftsatz nicht mehr im Postausgangsfach befand, ist davon auszugehen, dass dieser am 8. April 2009 durch den Büroboten aus dem Postausgangsfach entnommen wurde. Dass der ansonsten stets zuverlässige Bürobote entgegen seinen Anweisungen den Schriftsatz gleichwohl nicht im Rahmen seines noch am selben Tag erfolgten Gangs zur Annahmestelle des Gerichts dort abgab, stellt ein gegenüber einem möglichen anwaltlichen Organisationsverschulden späteres und nicht vorhersehbares Fehlverhalten dar, für das die Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht verantwortlich gemacht werden kann.
12
Der Beklagten ist demgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO).
13
3. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Er ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Ball Dr. Frellesen Dr. Milger Dr. Achilles Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 10.02.2009 - 49 C 414/08 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 14.07.2009 - 307 S 37/09 -

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 2010 - 5 K 1778/09 - insoweit geändert, als es die Klage als unbegründet abgewiesen hat.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 23. Juni 2009 wird (mit Ausnahme der in Ziffer 2 verfügten Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus) aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten der Verfahren in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1978 in Gornje (Kosovo) geborene Kläger ist kosovarischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 07.08.1996 in die Bundesrepublik ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 13.08.1996 abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage (Az.: A 14 K 30993/96). 1998 lernte er seine erste Ehefrau, die deutsche Staatsangehörige D. S. kennen, und heiratete sie am 22.06.1999. Am 24.09.1999 nahm er Asylantrag und Klage zurück. Er reiste am 18.05.2000 in sein Heimatland aus und am 11.06.2000 mit einem Visum zum Familiennachzug wieder in die Bundesrepublik ein.
Am 26.06.2000 wurde dem Kläger eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die anschließend mehrfach - zuletzt bis 24.06.2005 - verlängert wurde. Am 21.05.2004 beantragte der Kläger die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Mit Bescheid vom 14.07.2004 lehnte das Ausländeramt der Stadt W... diesen Antrag ab, weil beim Kläger Ausweisungsgründe vorlägen. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den er damit begründete, dass frühere Eintragungen im Zentralregister getilgt seien. Mit Bescheid vom 28.10.2004 half die Stadt Wiesloch dem Widerspruch ab und erteilte dem Kläger die begehrte unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Am 27.04.2006 wurde die erste Ehe des Klägers geschieden. Die im Jahr 2007 geschlossene zweite Ehe des Klägers mit einer Kosovarin, die im Kosovo lebte, hielt nur vier Monate. Im Januar 2008 heiratete der Kläger Frau G. D., die gleichfalls kosovarische Staatsangehörige ist. Aufgrund seiner Inhaftierung am 24.06.2008 kam es nicht zum Ehegattennachzug.
Der Kläger übte in der Bundesrepublik zunächst verschiedene kurzfristige Gelegenheitsjobs aus. Ab 2002 arbeitete er als Staplerfahrer bei der Firma R. in W... Bis zu seiner Inhaftierung hatte er dort eine feste Arbeitsstelle, bei der er ein Nettoeinkommen zwischen 1.800 EUR und 1.900 EUR erzielte.
Am 18.02.2009 verurteilte das Landgericht ... den Kläger wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl in zwölf Fällen, darunter in zwei tateinheitlichen Fällen, und wegen Beihilfe zum versuchten schweren Bandendiebstahl in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten (Az.: 1 KLs 45 Js 6611/08; rechtskräftig). Im Strafurteil wird ausgeführt, der Kläger habe sich im Mai 2008 mit drei anderen Mittätern zusammengeschlossen, um zwischen dem 24.05.2008 und dem 23.06.2008 nach gleich bleibender Methode Einbrüche in Gewerbebetriebe zu begehen. Die Bande habe in aller Regel Geld gesucht, wenngleich vereinzelt auch Kraftfahrzeuge und sonstige Wertgegenstände im Gesamtwert von fast 80.000 EUR erbeutet worden seien. Der Kläger habe an den insgesamt 21 Taten gelegentlich mitgewirkt. Er sei zwar von Anfang an in die Tatvorbereitung eingebunden gewesen. Planung und Auswahl des Einbruchsobjekts hätten ihm aber nicht oblegen. Bei der Tatausführung habe er lediglich als Fahrer agiert. An den eigentlichen Taten sei er nicht unmittelbar beteiligt gewesen und habe nicht gewusst, in welches Objekt seine Komplizen eingebrochen seien, weshalb er den Tatablauf in keiner Weise habe beeinflussen können. Er habe auch keinen gleichen Beuteanteil erhalten, sondern eine Belohnung, die regelmäßig deutlich hinter einem rechnerischen Anteil von einem Viertel bzw. später einem Fünftel zurückgeblieben sei. Zur Strafzumessung führte das Landgericht aus: Zwar sei ein minderschwerer Fall bei keiner Tat in Frage gekommen. Denn die rechtliche als Beihilfe zu qualifizierende Tat habe sich an der Grenze zur Mittäterschaft bewegt. Andererseits habe der Kläger als einziger Tatbeteiligter frühzeitig im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt, durch das auch die übrigen Beteiligten hätten namhaft gemacht werden können. Dies habe einerseits die Ermittlungen erheblich erleichtert, andererseits zu erheblichen Anfeindungen durch die anderen Beteiligten geführt. Zu Gunsten des Klägers sei zu berücksichtigen gewesen, dass er nicht vorbestraft und erstmals in Haft und seine Frau im Kosovo schwer erkrankt gewesen sei. Demgegenüber sei zu seinen Lasten zu berücksichtigen gewesen, dass er in einer gut bezahlten Arbeit gestanden und nicht aus einer finanziellen Notlage heraus gehandelt habe.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger mit Bescheid vom 23.06.2009 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1) und drohte ihm die Abschiebung in das Kosovo oder einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist. Für den Fall der Haftentlassung vor einer Abschiebung wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines Monat zu verlassen (Ziffer 2). Zur Begründung stützte sich das Regierungspräsidium primär auf spezialpräventive Gründe. Bei den von dem Kläger verwirklichten Delikten handele es sich um schwere Eigentumsdelikte, die in einer außerordentlichen Häufigkeit begangen worden seien. Die erforderliche Wiederholungsgefahr sei gegeben. Die Ausweisung des Klägers sei aber auch aus generalpräventiven Gründen geboten. Es sei unstreitig, dass Eigentumsdelikte, die in einer solch hohen Zahl und über einen relativ langen Zeitraum hinweg begangen würden, geeignet seien, eine generalpräventiv motivierte Ausweisung zu begründen. Innerhalb des Strafrahmens habe sein Strafmaß letztlich deutlich über der unteren Grenze von drei Monaten gelegen und in keinem Fall sei ein minderschwerer Fall angenommen worden. Deshalb sei es hier unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich, den Kläger zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auszuweisen. Seine privaten Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet müssten hinter dem öffentlichen Interesse zurückstehen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 29.06.2009 zugestellt.
Am 29.07.2009 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, die Straftaten gehörten zwar auf den ersten Blick zur mittleren bzw. schweren Kriminalität. Bei individueller Prüfung des Falles seien jedoch Besonderheiten gegeben, die den Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen ließen. Zu seiner Beteiligung an den Straftaten sei es gekommen, als ihn im Mai 2008 der Mitangeklagte G. - der Cousin seiner Ehefrau - gebeten habe, zwei Landsleute für eine gewisse Zeit in der Wohnung aufzunehmen. Er habe eingewilligt, weil es die Bitte eines Familienangehörigen gewesen sei. Kurze Zeit später sei er von G. gebeten worden, ihn und seine Freunde nachts irgendwo hinzufahren und sie gegebenenfalls auch wieder abzuholen. Da man ihm hierfür eine Belohnung versprochen habe, habe er seine anfänglichen Bedenken beiseite gewischt und eingewilligt. Grund hierfür sei gewesen, dass er seine im Kosovo lebende, an Krebs erkrankte Ehefrau mit Medikamenten versorgt und er deshalb, trotz regelmäßigen Einkommens, einen finanziellen Engpass gehabt habe. Wegen seiner späten aktiven Kooperation mit den Strafverfolgungsorganen sei er während der mehrtägigen Hauptverhandlung von den Mitangeklagten als „Verräter“ angefeindet worden. Berücksichtige man weiter den Umstand, dass er Ersttäter gewesen sei, sei bei individueller Prüfung nicht von einem schwerwiegenden Ausweisungsanlass auszugehen. Jedenfalls sei seine Ausweisung rechtswidrig, weil keine Wiederholungsgefahr angenommen werden könne. Er sei nicht vorbestraft und lebe seit über 13 Jahren in Deutschland. Er habe immer gearbeitet. Sein letztes Arbeitszeugnis belege, dass er „ein zuverlässiger, gewissenhafter und ehrlicher Mitarbeiter“ sei, der „seine Aufgaben immer selbstständig und termingerecht erledigt“ habe. Er sei in Deutschland nicht nur beruflich, sondern auch sozial integriert. Deutsch beherrsche er gut in Wort und Schrift. Sein Vollzug sei beanstandungsfrei. Bereits vier Monate nach seiner Inhaftierung habe er in der Gefängnisküche arbeiten dürfen. Auch der erstmalige Freiheitsentzug, der ihn nachhaltig beeindrucke, werde ihn davon abhalten, erneut straffällig zu werden. Eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen sei in seinem Fall nicht geboten, weil bereits der Ausweisungsgrund nicht hinreichend schwer wiege. Hinzu komme, dass sich sein besonders gelagerter Einzelfall nicht dazu eigne, andere Ausländer von der Begehung von Straftaten abzuhalten. Der Beklagte trat dem entgegen und führte aus, dass generalpräventiv motivierte Ausweisungen durchaus geeignet seien, entsprechende Wirkung zu erzeugen. In der Bundesrepublik würde eine Vielzahl von Landsleuten leben, die gerade auch im abgeurteilten Deliktsbereich delinquent würden. Im vorliegenden Falle sei es nach Abwägung aller Umstände ermessensgerecht, den Kläger jedenfalls generalpräventiv motiviert auszuweisen.
Mit Beschluss vom 07.05.2010 hat die Strafvollstreckungskammer am Landgericht ... die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung ausgesetzt. Der Kläger ist am 12.05.2010 aus der Haft entlassen worden. Er ist seit 01.06.2010 erneut in Vollzeit beschäftigt.
Mit Urteil vom 21.07.2010 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei unzulässig, soweit sie sich gegen die inzwischen erledigte Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus richte. Im Übrigen sei die Klage zulässig, jedoch nicht begründet. Zwar bestehe nach Überzeugung der Kammer im maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die für eine spezialpräventiv begründete Ausweisung erforderliche Wiederholungsgefahr nicht mehr. In generalpräventiver Hinsicht jedoch seien bei dem Kläger schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne eine Ausweisung grundsätzlich auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, also zu dem Zweck erfolgen, andere Ausländer zu einem ordnungsgemäßen Verhalten in der Bundesrepublik zu veranlassen und von der Begehung von Straftaten abzuschrecken. Dies gelte gerade auch für den Bereich des Bandendiebstahls als einer Art des organisierten Verbrechens. Dessen Bekämpfung habe wegen der großen Gefahren, die von ihm ausgingen, einen hohen Rang und erfordere in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein möglichst kontinuierliches Vorgehen auch der Ordnungsbehörden. Mit Rücksicht auf die hohe Gefährlichkeit der hier zu beurteilenden Kriminalität sei ein dringendes Bedürfnis gegeben, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung des Klägers andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Der Kläger halte sich zwar seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland auf und besitze seit 2000 einen Aufenthaltstitel, er sei aber erst als Erwachsener in das Bundesgebiet eingereist. Auch lebten seine Schwester und sein Bruder im Bundesgebiet; er habe aber noch starke Kontakte zum Kosovo. Schließlich erweise sich die Ausweisung nicht deswegen als unverhältnismäßig, weil der Kläger aufgrund seines Aussageverhaltens zur Aufklärung der Straftaten beigetragen und deshalb im Kosovo mit „erheblichen Repressalien" zu rechnen habe. Auch Art. 8 EMRK führe im konkreten Einzelfall nicht dazu, die Ausweisung des Klägers als unverhältnismäßig zu bewerten. Die Wirkungen der Ausweisung müssten auch nicht schon jetzt befristet werden.
10 
Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung führt der Kläger insbesondere aus, die Ausweisung verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Seine persönlichen Umstände würden nicht hinreichend gewichtet. Bereits 14 von 32 Lebensjahren habe er mit rechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet verbracht. Neben seiner persönlichen Prägung sei die gesamte berufliche Integration hier erfolgt. Sein Lebensmittelpunkt sei trotz bestehender Kontakte auch zu Kosovaren eindeutig in Deutschland. Sein Verhalten sei situationsbedingt und nicht in seiner Persönlichkeit begründet gewesen. Ein Vergleich seiner Biografie etwa mit den Biographien der Mittäter zeige, dass diese eine längere kriminelle Vergangenheit gehabt und für bandenmäßige Strukturen typische Verhaltenstendenzen aufgewiesen hätten. Er hingegen weise eine stabile Persönlichkeit auf und habe sich hier eine Existenz aufgebaut. Aus den besonderen Umständen des Einzelfalls folge, dass seine Ausweisung nicht geeignet sei, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuschrecken.
11 
Der Kläger beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 2010 – 5 K 1778/09 – insoweit zu ändern, als es die Klage als unbegründet abgewiesen hat und den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 23. Juni 2009 (mit Ausnahme der in Ziffer 2 verfügten Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus) aufzuheben.
13 
Das beklagte Land beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Es tritt dem Vortrag des Klägers entgegen und hält eine Ausweisung allein aus generalpräventiven Gründen im konkreten Einzelfall für möglich und gerechtfertigt.
16 
In der mündlichen Verhandlung erläuterte der Kläger, dass er einen guten Arbeitsplatz innehabe, bei dem er monatlich ca. 1.250 EUR (netto) verdiene. Sein Chef sei sehr zufrieden mit ihm und wolle ihn demnächst auf eine Schulung für Trocknungstechnik nach Stuttgart schicken. Er gehe fest davon aus, dass er „unbefristet“ weiterarbeiten könne. Bis auf Weiteres wohne er kostenfrei und könne deshalb auch etwas sparen. Er habe jedoch noch ca. 12.000 EUR Altschulden und ca. 23.000 EUR Schulden im Zusammenhang mit dem Strafverfahren; mit Hilfe der Schuldnerberatung der Diakonie W. suche er nach einer Lösung, wie er diese Schulden bewältigen könne. Die Ehe mit Frau G. D. sei seit 22.11.2010 geschieden. Er habe inzwischen eine deutsche Freundin, wolle sich mit dem Heiraten diesmal aber Zeit lassen.
17 
Im Rahmen der Erörterung der Rechtsfrage der fortdauernden Zulässigkeit einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung vertrat auch die Beklagten-Vertreterin den Standpunkt, vom Kläger ginge keine Wiederholungsgefahr aus, sodass eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen ausscheide.
18 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe, die Strafakten des Landgerichts ... und die Gefangenenpersonalakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist ebenso begründet wie seine Anfechtungsklage (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
20 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angefochtenen Androhung der Abschiebung in das Kosovo vor allem die Ausweisung des Klägers. Mit dem Verwaltungsgericht und den Beteiligten ist auch der Senat (nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung sowie insbesondere dem schlüssigen Strafaussetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 07.05.2010 und den positiven Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt in den Gefangenen-Personalakten) der Überzeugung, dass von dem Kläger heute keine gesteigerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden. Die Ausweisung wird von dem Beklagten deshalb allein tragend zur - generalpräventiven - Abschreckung anderer Ausländer aufrechterhalten. Damit verstößt sie hier im Lichte des gemäß Art. 8 EMRK qualifiziert geschützten Privatlebens gegen § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
21 
1. Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Verurteilung durch das Landgericht Heidelberg am 18.02.2009 zu zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe den Regel-Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG. Er genießt jedoch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthalts, jedenfalls seit 2000, und der am 28.10.2004 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis besonderen Ausweisungsschutz, weswegen er nach Satz 2 der Norm nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ausgewiesen werden darf. Maßgebend für die Frage, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, also des Senats. Ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, ist voll gerichtlich überprüfbar; es besteht für die Ausländerbehörde kein Beurteilungsspielraum.
22 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356).
23 
Erfüllt ein Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, - wie der Kläger - keinen der in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aufgeführten Ist- oder Regelausweisungsgründe, steht dies einer Ausweisung im Ermessenswege nicht entgegen (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). In diesem Fall fehlt es aber an einer gesetzlichen Vermutung für die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dennoch können solche schwerwiegenden Gründe auch bei Vorliegen eines sonstigen (Regel- oder Ermessens-)Ausweisungsanlasses gegeben sein. Erforderlich ist dann jedoch, dass dem Ausweisungsgrund ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - ZAR 2009, 145).
24 
2. Bei einer durch eine Straftat veranlassten Ausweisung, die tragend zur generalpräventiven Abschreckung anderer Ausländer verfügt oder aufrechterhalten wird, fehlt es im Lichte von Art. 8 EMRK in der Regel an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wenn hierdurch ein in Deutschland nachhaltig „verwurzelter“ Ausländer betroffen wird. Die regelmäßige Unzulässigkeit von tragend generalpräventiv motivierten Ausweisungen bei dieser Personengruppe folgert der Senat in einer Gesamtschau aus den neueren Rechtsprechungslinien sowohl des Bundesverfassungsgerichts (a) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - (b) und im Übrigen auch aus der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - bezüglich Unionsbürgern (c) sowie des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen (d). Dies gilt jedenfalls seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 (e).
25 
a) Im Beschluss der Zweiten Kammer des Zweiten Senats vom 10.08.2007 (- 2 BvR 535/06, Rn. 24 f. - NVwZ 2007, 1300) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
26 
„Eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Entscheidung über die Zulässigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung setzt … voraus, dass die Ausländerbehörde die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen sorgfältig ermittelt und eingehend würdigt. Ohne die Kenntnis von Einzelheiten der Tatbegehung und der persönlichen Situation des Betroffenen können in der Regel die Auswirkungen der Ausweisung auf die Individualinteressen nicht hinreichend sicher festgestellt und in einer einzelfallbezogenen Abwägung den die Ausweisung verlangenden Interessen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden. … Im Grundsatz nicht anders als bei der Würdigung der von dem Ausländer künftig ausgehenden Gefahren im Rahmen spezialpräventiv motivierter Ausweisungen genügt es insbesondere nicht, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen.“
27 
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, mit dieser inhaltlich teilweisen Neukonturierung des Anforderungsprofils habe das Bundesverfassungsgericht der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen „nicht nur die Zähne gezogen, sondern ihr - jedenfalls was eine praktische Anwendung betrifft - gleichsam auf kaltem Wege den (endgültigen) Todesstoß versetzt“ (Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht, VerwArch 2010, 507). Denn eine generalpräventive Ausweisung, die im Grundsatz nicht anders als bei einer spezialpräventiven Ausweisung auch eine Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der Umstände der begangenen Straftat verlangt und daran anschließend eine einzelfallbezogene Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit erfordert, sei in Wahrheit nichts anderes als eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen. Da das Wesen der generalpräventiven Ausweisung vor allem darin bestehe, eine Ausweisung ohne das Abstellen auf die individuelle Gefährlichkeit des Ausländers zu ermöglichen (so schon Pagenkopf, DVBl. 1975, S. 766), könne es allenfalls noch eine „generalpräventiv motivierte“ Ausweisung geben, die jedoch zugleich auch spezialpräventiv gerechtfertigt sein müsse. Ohnehin wäre eine selbständig rechtfertigende Wirkung generalpräventiver Erwägungen mit dem Garantiegehalt der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn diese schließe es aus, den Ausgewiesenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu denaturieren und ihn als Vehikel zu benutzen, um auf andere abschreckend und damit verhaltenssteuernd einzuwirken (Mayer, a.a.O., m.w.N.). Ob dies in dieser Allgemeinheit zutrifft, kann hier offen bleiben. Jedenfalls bei nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern, die sich auf den qualifizierten Schutz von Art. 8 EMRK berufen können - was nicht notwendig zugleich eine tiefgreifende „Entwurzelung“ voraussetzt -, steht der vom Bundesverfassungsgericht besonders betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvR 241/77 - BVerfGE 50, 166) einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aber in der Regel entgegen. Eine tragend generalpräventiv motivierte Ausweisung stellt sich bei nachhaltig „Verwurzelten“ auch im Lichte der Ausführungen des BVerfG mithin regelmäßig als unverhältnismäßig dar, sodass es an hierfür rechtfertigenden schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fehlt.
28 
b) Auch der Straßburger EGMR steht der Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich skeptisch gegenüber. Dies ergibt sich aus seiner Rechtsprechung zu Ausweisungen, die er an Art. 8 EMRK misst. Seine sogenannten Boultif/Üner-Kriterien hat er etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) wie folgt zusammengefasst:
29 
„Der Gerichtshof hat bekräftigt, dass in allen Rechtssachen, die niedergelassene Zuwanderer betreffen, bei der Prüfung der Frage, ob eine Ausweisungsmaßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stand, die folgenden Kriterien heranzuziehen sind:
30 
- Die Art und Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat;
- die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll;
- die seit der Tat verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit;
- die Staatsangehörigkeit der verschiedenen Betroffenen;
- die familiäre Situation des Beschwerdeführers, wie z.B. die Dauer der Ehe, und andere Faktoren, die erkennen lassen, wie intakt das Familienleben eines Ehepaars ist;
- ob der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin von der Straftat wusste, als er bzw. sie eine familiäre Beziehung einging;
- ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und gegebenenfalls deren Alter und
- das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin in dem Land, in das der Beschwerdeführer bzw. die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen wird.
31 
Im Urteil Üner hat der Gerichtshof außerdem ausdrücklich die beiden folgenden Kriterien genannt:
32 
- Die Belange und das Wohl der Kinder, insbesondere das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen Kinder des Beschwerdeführers in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen werden, und
- die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland.“
33 
Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht verlangt mithin auch der Menschenrechtsgerichtshof (angesiedelt auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung), dass für eine konventionsgemäße Ausweisung zwingend eine genaue und auf den Einzelfall bezogene Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der konkreten Umstände der begangenen Straftat getroffen und daran anschließend eine Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit durchgeführt wird (vgl. auch EGMR, Urteil vom 23.06.2008 - 1638/03 - Maslov). Auch dies läuft jedenfalls in rechtstatsächlicher Hinsicht sehr stark auf eine Ausweisung (nur oder nur auch) aus spezialpräventiven Gründen zu.
34 
c) Der Luxemburger EuGH hält hinsichtlich Unionsbürgern eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen schon seit 1975 für rechtswidrig, wie er erstmals im Urteil Bonsignore (Urteil vom 26.02.1975, Rs. 67/74, Rn. 7) klarstellte:
35 
„Auf die gestellten Fragen ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie Nr. 64/221 der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates entgegensteht, wenn diese zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird, das heißt, wenn sie - in der Formulierung des innerstaatlichen Gerichts - auf ‚generalpräventive‘ Gesichtspunkte gestützt wird.“
36 
Im Urteil Orfanopoulos und Oliveri (Urteil vom 29.04.2004, Rs. C-482/01 u. 493/01, Rn. 66-68) hat er dies 2004 nochmals ausführlicher dargelegt:
37 
„Maßnahmen der öffentlichen Ordnung sind nach Art. 3 der Richtlinie 64/221 nur dann gerechtfertigt, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen gestützt sind. In dieser Bestimmung heißt es, dass strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres diese Maßnahmen nicht rechtfertigen können. Wie der Gerichtshof u. a. im Urteil vom 27.10.1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 35) festgestellt hat, setzt die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
38 
Zwar kann ein Mitgliedstaat die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen, doch ist die Ausnahme der öffentlichen Ordnung eng auszulegen, so dass eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur insoweit rechtfertigen kann, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. u. a. Urteil vom 19.01.1999, Rs. C-348/96, Calfa, Rn. 22-24).
39 
Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass das Gemeinschaftsrecht der Ausweisung eines Angehörigen eines Mitgliedstaats entgegensteht, die auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt, d. h. zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird (vgl. u.a. Urteil Bonsignore, Rn. 7), insbesondere, wenn die Ausweisung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (vgl. Urteile Calfa, Rn. 27, und Nazli, Rn. 59).“
40 
d) Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Impulse aus Luxemburg aufgegriffen und seine diesbezügliche Rechtsprechung mit Urteil vom 03.08.2004 -1 C 30.02 - auch hinsichtlich der generalpräventiv begründeten Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern geändert (BVerwGE 121, 297, Rn. 24):
41 
„Die Gefährdung kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens ergeben. Es besteht aber keine dahin gehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet. Eine vom Einzelfall losgelöste oder auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützte Begründung der Ausweisung ist in jedem Fall unzulässig.“
42 
Im Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (BVerwGE 124, 243) wurde dies nochmals bekräftigt:
43 
„Das Gemeinschaftsrecht lässt eine Ausweisung ausnahmslos nur aus spezialpräventiven Gründen zu, d.h. zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von dem einzelnen Ausländer persönlich ausgehen, nicht aber - tragend oder auch nur mittragend - zur (generalpräventiven) Abschreckung anderer Ausländer.“
44 
Mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - (BVerwGE 121, 315, Rn. 17) hat das Bundesverwaltungsgericht diese Grundsätze des unionsrechtlichen Ausweisungsschutzes auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige erstreckt, d.h. deren Ausweisungsschutz in gleicher Weise materiellrechtlich begründet und ausgestaltet wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger:
45 
„Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Übertragung der nach dem Urteil des Senats im Verfahren BVerwG 1 C 30.02 anzuwendenden Maßstäbe entgegenstehen.“
46 
Der EuGH hat die Richtigkeit dieser Entscheidung mit Urteil vom 11.11.2004 (Rs. C-467/02 - Cetinkaya) bestätigt.
47 
Seither können freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur noch ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen darf eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt und auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet; aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfen daher nicht mehr aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zwecke der Generalprävention angeordnet werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - ZAR 2010, 284). Hier kann mithin kein „dringendes Bedürfnis“ mehr angenommen werden, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus „durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten“ (so noch: BVerwG, Beschluss vom 08.05.1996 - 1 B 136.95 - InfAuslR 1996, 299).
48 
Seit der 2. EU-Osterweiterung am 01.01.2007 kommen zunächst alle Staatsangehörigen der anderen 26 Mitgliedstaaten in den Genuss dieses europarechtlichen Ausweisungsschutzes. Das sind rund 35 % aller in Deutschland lebenden Ausländer (Stand: 31.12.2009; zit. nach BAMF, Ausländerzahlen 2009, S. 12). Hinzu kommen des Weiteren wohl rund 23 % türkische Staatsangehörige (vgl. BAMF, a.a.O., S. 11), weil nur ca. 5 % der in Deutschland lebenden Türken (ca. 25 % der ausländischen Bevölkerung von insgesamt 6,7 Mio. Menschen) kürzer als sechs Jahre hier leben; über 86 % der türkischen Staatsangehörigen leben sogar länger als 10 Jahre in Deutschland (vgl. BAMF, a.a.O. S. 14). Dies bedeutet ausländerrechtlich, dass sich möglicherweise rund 95 % der hier lebenden türkischen Staatsangehörigen auf Art. 6 oder 7 ARB 1/80 berufen können (vgl. Günes, Europäischer Ausweisungsschutz, 2009, S. 49 ff.). Geht man davon aus, dass zudem ein Teil sowohl der Unionsbürger als auch der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit ebenfalls aufenthaltsrechtlich besonders geschützten Drittstaatern (vgl. Art. 27 Abs. 2 Unionsbürger-RL 2004/38/EG, Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthalts-RL 2003/109/EG und Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 FreizügG/EU, Rn. 20 ff.) familiär verbunden ist, dürfte aufgrund insbesondere der Rechtsprechung des EuGH zwischenzeitlich möglicherweise für rund zwei Drittel aller in Deutschland lebenden Ausländer ein absolutes Verbot der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen bestehen. Dies würde deren - nach Auskunft des Beklagten und Erfahrung des Senats - heute nur noch sehr geringe Praxisrelevanz schlüssig erklären. Die Frage, ob vor diesem empirisch-europarechtlichen Hintergrund auch mangels „kontinuierlicher Verwaltungspraxis“ eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen überhaupt noch abschreckende Wirkung im Sinne einer „Verhaltenssteuerung“ entfalten kann - wofür im Übrigen die Ausländerbehörde darlegungs- und beweispflichtig wäre -, sei nur am Rande gestellt. Neuere empirische Studien hierzu hat der Senat jedenfalls nicht auffinden können.
49 
e) Die Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen beruht bis heute auf richterlicher Schöpfung, nicht aber auf einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers (vgl. GK-AufenthG, 6/2009, Vor §§ 53 ff., Rn. 1300.1, m.w.N.). Nach Überzeugung des Senats hat sie nunmehr auch bezüglich der in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländer ihre Berechtigung grundsätzlich verloren. Eine Anpassung ist erforderlich, um im Wege einer Gesamtschau insbesondere dem Schutz von Art. 8 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR noch besser gerecht zu werden und insoweit eine Angleichung mit der Rechtsprechung des EuGH zu erzielen. Die Personengruppe der nachhaltig „Verwurzelten“ steht Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen in mancherlei Hinsicht gleich. Da jedoch nach wie vor keine vollständige Identität der Rechtsstellung besteht, kann der Schutz vor einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung nur eine Grundregel darstellen.
50 
Anders als bei Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen kann bei „Verwurzelten“ demnach eine generalpräventiv begründete Ausweisung weiterhin ausnahmsweise zulässig sein, wenn ganz besonders schwerwiegende Delikte verwirklicht wurden, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährden. Als Maßstab aus anderen Regelungszusammenhängen kann sich - zur Fallgruppenbildung im Europäischen Rechtsraum - insoweit zum einen Art. 12 Abs. 2 der Qualifikations-RL 2004/83/EG anbieten (insbesondere „Terrorismusdelikte“; vgl. Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 AsylVfG Rn. 8 f.). Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es auch im europäischen Flüchtlingsrecht hier nicht auf eine gegenwärtige Wiederholungsgefahr an (EuGH, Urteil vom 09.11.2010, Rs. C-101/09 - Deutschland vs. D). Zum anderen kann der Rechtsgedanke von Art. 28 Abs. 3 Unionsbürger-RL 2004/38/EG herangezogen werden („staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte“), weil auch Unionsbürger insoweit selbst nach 10-jährigem Aufenthalt im Aufnahmestaat nur einen eingeschränkten Schutz gegen (weiterhin ausschließlich spezialpräventiv begründete) Ausweisungen genießen (EuGH, Urteil vom 23.11.2010, Rs. C-145/09 - Tsakouridis). Liegen jedoch keine vergleichbar schwerwiegenden Delikte vor, verdient derjenige, der sich in qualifizierter Weise auf Art. 8 EMRK berufen kann, insbesondere weil er in Deutschland ein nach der Rechtsprechung des EGMR nachhaltig zu schützendes Privatleben entfaltet hat, menschenrechtlich einen mit Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen vergleichbaren Ausweisungsschutz. Die weitgehende Vereinheitlichung des bisweilen nur noch schlecht überschaubaren Ausländerrechts liegt insoweit nahe.
51 
Als Stichtag bietet sich das Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon an, d.h. der 01.12.2009. Denn der Lissabon-Vertrag hebt den Prozess der europäischen Integration „auf eine neue Stufe“ (Abs. 1 EUV-Präambel) und strebt mit der Vergemeinschaftung, heute genauer „Verunionung“ (vgl. Art. 1 Abs. 3 Satz 3 EUV) der vormaligen 3. EU-Säule die Schaffung eines europaweiten „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ an, in dem - gerade auch für die Bereiche Asyl, Einwanderung und Freizügigkeit - im Wesentlichen einheitliche Standards gelten sollen (vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 ff. AEUV und das Stockholmer Programm vom 11.12.2010 - ABlEU Nr. C 115/1). Auch wird mit dem gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV angestrebten Beitritt der neu verfassten EU zur EMRK diese Konvention normhierarchisch gewissermaßen auf die höchste Stufe gestellt. Selbst das bezüglich allen nationalen Rechts anwendungsvorrangige Unionsrecht wird künftig vom EGMR am Maßstab der EMRK gemessen und, trotz EU-Grundrechtecharta, gegebenenfalls als menschenrechtswidrig eingestuft. Damit wird durch den Lissabon-Vertrag klargestellt - und mit dessen Ratifikation auch von der Bundesrepublik angestrebt -, dass in Sachen Menschenrechtsschutz der Straßburger EGMR europaweit „das letzte Wort“ haben soll (ausführlich: Bergmann, Diener dreier Herren? - Der Instanzrichter zwischen BVerfG, EuGH und EGMR, EuR 2006, S. 101). Der Straßburger Rechtsprechung ist deshalb seit 01.12.2009 noch größeres Gewicht beizumessen. Seit 01.12.2009 muss bei der dogmatischen Durchdringung und Fortbildung des mitgliedstaatlichen Rechts vom „Europäischen Rechtsraum“ her gedacht werden (v. Bogdandy, Perspektiven einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Handlexikon der EU, 4. Aufl., Baden-Baden, sowie JZ 2011, S. 4).
52 
Als diesbezügliches Vorbild für die Erstreckung des grundsätzlichen Verbots der generalpräventiven Ausweisung auf nachhaltig „verwurzelte“ Ausländer ab 01.12.2009 sieht der Senat die rechtspolitisch in gleiche Richtung weisende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur allgemeinen Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung. Mit Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28.08.2007 – nach der Geltung für Unionsbürger und sodann für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige – nunmehr bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist, was insoweit zu einer Rechtsvereinheitlichung in dem durch EGMR- und EuGH-Rechtsprechung geprägten Europäischen Rechtsraum geführt hat.
53 
3. Der Kläger ist ein in Deutschland „verwurzelter“ Ausländer und kann sich auf den Schutz von Art. 8 EMRK berufen. Der EGMR geht von einem weiten Begriff des Privatlebens aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“ sowie das „Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln“ und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - „gewachsenen Bindungen“ umfasst. Maßgebend ist, ob der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum Aufnahmestaat verfügt (vgl. die im Senatsurteil vom 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - referierte EGMR-Rechtsprechung). Im konkreten Einzelfall des Klägers ist dies nach Auffassung des Senats gegeben. Der Kläger lebt nunmehr bereits seit 14 Jahren im Bundesgebiet. Seine gesamte berufliche Entwicklung ist hier erfolgt. Hier leben enge Familienangehörige und sein Freundeskreis. Hier hat er einen Arbeitsplatz, der ihn ohne ergänzenden Sozialleistungsbezug unterhält. Hier verlebt der Kläger sein Privatleben mit seiner deutschen Partnerin.
54 
Auf die Frage der zugleich tiefgreifenden „Entwurzelung“ kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Denn auch der diesbezügliche Ausweisungsschutz von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen besteht unabhängig davon, ob die Sprache der früheren Heimat beherrscht wird oder ob dort etwa noch Verwandte bzw. Bekannte leben. Solche Umstände können allerdings (insbesondere auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung) einen noch weitergehenden Schutz gegenüber einer ausnahmsweise generalpräventiv oder aber spezialpräventiv motivierten Ausweisung begründen.
55 
Damit greift bezüglich des Klägers die oben dargelegte Regel des Verbots der tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser Regel vorliegen (Terrorismus, staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte), ist seine Ausweisung gesperrt. Anders formuliert fehlt es damit im konkreten Einzelfall an den für die Ausweisung erforderlichen „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Sinne von § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Die allein auf generalpräventive Motive gestützte Ausweisung des Klägers ist also im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat rechtswidrig.
II.
56 
Ist die angefochtene Ausweisung aufzuheben, entfällt die nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 50 Abs. 1 AufenthG entstandene Ausreisepflicht und die dem Kläger am 28.10.2004 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgilt, lebt wieder auf. Demgemäß ist auch die im Bescheid vom 23.06.2009 verfügte unselbständige Abschiebungsandrohung aufzuheben, soweit sie sich nach der Haftentlassung nicht erledigt hat. Denn Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist eine bestehende Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG (ebenso: Nds. OVG, Urteil vom 10.03.2011 - 8 LB 153/09 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2009 - 18 A 2620/08 - juris).
57 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
58 
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat und die Frage der Möglichkeit einer Ausweisung bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Gründen zur Herstellung einer bundeseinheitlichen Rechtslage vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden sollte. Das Bundesverwaltungsgericht ging bisher in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Straftat als Ausweisungsgrund im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG regelmäßig auch bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Erwägungen als besonders schwerwiegend bewertet werden und ein öffentliches Interesse an der Ausweisung des Ausländers begründen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25/03 - BVerwGE 121, 356; hierauf sich berufend etwa Bay. VGH, Beschluss vom 31.01.2011 - 10 ZB 10.2868 - juris).
59 
Beschluss vom 18. März 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
61 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
19 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist ebenso begründet wie seine Anfechtungsklage (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
20 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angefochtenen Androhung der Abschiebung in das Kosovo vor allem die Ausweisung des Klägers. Mit dem Verwaltungsgericht und den Beteiligten ist auch der Senat (nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung sowie insbesondere dem schlüssigen Strafaussetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 07.05.2010 und den positiven Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt in den Gefangenen-Personalakten) der Überzeugung, dass von dem Kläger heute keine gesteigerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden. Die Ausweisung wird von dem Beklagten deshalb allein tragend zur - generalpräventiven - Abschreckung anderer Ausländer aufrechterhalten. Damit verstößt sie hier im Lichte des gemäß Art. 8 EMRK qualifiziert geschützten Privatlebens gegen § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
21 
1. Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Verurteilung durch das Landgericht Heidelberg am 18.02.2009 zu zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe den Regel-Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG. Er genießt jedoch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthalts, jedenfalls seit 2000, und der am 28.10.2004 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis besonderen Ausweisungsschutz, weswegen er nach Satz 2 der Norm nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ausgewiesen werden darf. Maßgebend für die Frage, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, also des Senats. Ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, ist voll gerichtlich überprüfbar; es besteht für die Ausländerbehörde kein Beurteilungsspielraum.
22 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356).
23 
Erfüllt ein Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, - wie der Kläger - keinen der in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aufgeführten Ist- oder Regelausweisungsgründe, steht dies einer Ausweisung im Ermessenswege nicht entgegen (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). In diesem Fall fehlt es aber an einer gesetzlichen Vermutung für die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dennoch können solche schwerwiegenden Gründe auch bei Vorliegen eines sonstigen (Regel- oder Ermessens-)Ausweisungsanlasses gegeben sein. Erforderlich ist dann jedoch, dass dem Ausweisungsgrund ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - ZAR 2009, 145).
24 
2. Bei einer durch eine Straftat veranlassten Ausweisung, die tragend zur generalpräventiven Abschreckung anderer Ausländer verfügt oder aufrechterhalten wird, fehlt es im Lichte von Art. 8 EMRK in der Regel an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wenn hierdurch ein in Deutschland nachhaltig „verwurzelter“ Ausländer betroffen wird. Die regelmäßige Unzulässigkeit von tragend generalpräventiv motivierten Ausweisungen bei dieser Personengruppe folgert der Senat in einer Gesamtschau aus den neueren Rechtsprechungslinien sowohl des Bundesverfassungsgerichts (a) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - (b) und im Übrigen auch aus der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - bezüglich Unionsbürgern (c) sowie des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen (d). Dies gilt jedenfalls seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 (e).
25 
a) Im Beschluss der Zweiten Kammer des Zweiten Senats vom 10.08.2007 (- 2 BvR 535/06, Rn. 24 f. - NVwZ 2007, 1300) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
26 
„Eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Entscheidung über die Zulässigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung setzt … voraus, dass die Ausländerbehörde die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen sorgfältig ermittelt und eingehend würdigt. Ohne die Kenntnis von Einzelheiten der Tatbegehung und der persönlichen Situation des Betroffenen können in der Regel die Auswirkungen der Ausweisung auf die Individualinteressen nicht hinreichend sicher festgestellt und in einer einzelfallbezogenen Abwägung den die Ausweisung verlangenden Interessen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden. … Im Grundsatz nicht anders als bei der Würdigung der von dem Ausländer künftig ausgehenden Gefahren im Rahmen spezialpräventiv motivierter Ausweisungen genügt es insbesondere nicht, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen.“
27 
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, mit dieser inhaltlich teilweisen Neukonturierung des Anforderungsprofils habe das Bundesverfassungsgericht der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen „nicht nur die Zähne gezogen, sondern ihr - jedenfalls was eine praktische Anwendung betrifft - gleichsam auf kaltem Wege den (endgültigen) Todesstoß versetzt“ (Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht, VerwArch 2010, 507). Denn eine generalpräventive Ausweisung, die im Grundsatz nicht anders als bei einer spezialpräventiven Ausweisung auch eine Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der Umstände der begangenen Straftat verlangt und daran anschließend eine einzelfallbezogene Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit erfordert, sei in Wahrheit nichts anderes als eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen. Da das Wesen der generalpräventiven Ausweisung vor allem darin bestehe, eine Ausweisung ohne das Abstellen auf die individuelle Gefährlichkeit des Ausländers zu ermöglichen (so schon Pagenkopf, DVBl. 1975, S. 766), könne es allenfalls noch eine „generalpräventiv motivierte“ Ausweisung geben, die jedoch zugleich auch spezialpräventiv gerechtfertigt sein müsse. Ohnehin wäre eine selbständig rechtfertigende Wirkung generalpräventiver Erwägungen mit dem Garantiegehalt der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn diese schließe es aus, den Ausgewiesenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu denaturieren und ihn als Vehikel zu benutzen, um auf andere abschreckend und damit verhaltenssteuernd einzuwirken (Mayer, a.a.O., m.w.N.). Ob dies in dieser Allgemeinheit zutrifft, kann hier offen bleiben. Jedenfalls bei nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern, die sich auf den qualifizierten Schutz von Art. 8 EMRK berufen können - was nicht notwendig zugleich eine tiefgreifende „Entwurzelung“ voraussetzt -, steht der vom Bundesverfassungsgericht besonders betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvR 241/77 - BVerfGE 50, 166) einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aber in der Regel entgegen. Eine tragend generalpräventiv motivierte Ausweisung stellt sich bei nachhaltig „Verwurzelten“ auch im Lichte der Ausführungen des BVerfG mithin regelmäßig als unverhältnismäßig dar, sodass es an hierfür rechtfertigenden schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fehlt.
28 
b) Auch der Straßburger EGMR steht der Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich skeptisch gegenüber. Dies ergibt sich aus seiner Rechtsprechung zu Ausweisungen, die er an Art. 8 EMRK misst. Seine sogenannten Boultif/Üner-Kriterien hat er etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) wie folgt zusammengefasst:
29 
„Der Gerichtshof hat bekräftigt, dass in allen Rechtssachen, die niedergelassene Zuwanderer betreffen, bei der Prüfung der Frage, ob eine Ausweisungsmaßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stand, die folgenden Kriterien heranzuziehen sind:
30 
- Die Art und Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat;
- die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll;
- die seit der Tat verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit;
- die Staatsangehörigkeit der verschiedenen Betroffenen;
- die familiäre Situation des Beschwerdeführers, wie z.B. die Dauer der Ehe, und andere Faktoren, die erkennen lassen, wie intakt das Familienleben eines Ehepaars ist;
- ob der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin von der Straftat wusste, als er bzw. sie eine familiäre Beziehung einging;
- ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und gegebenenfalls deren Alter und
- das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin in dem Land, in das der Beschwerdeführer bzw. die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen wird.
31 
Im Urteil Üner hat der Gerichtshof außerdem ausdrücklich die beiden folgenden Kriterien genannt:
32 
- Die Belange und das Wohl der Kinder, insbesondere das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen Kinder des Beschwerdeführers in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen werden, und
- die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland.“
33 
Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht verlangt mithin auch der Menschenrechtsgerichtshof (angesiedelt auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung), dass für eine konventionsgemäße Ausweisung zwingend eine genaue und auf den Einzelfall bezogene Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der konkreten Umstände der begangenen Straftat getroffen und daran anschließend eine Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit durchgeführt wird (vgl. auch EGMR, Urteil vom 23.06.2008 - 1638/03 - Maslov). Auch dies läuft jedenfalls in rechtstatsächlicher Hinsicht sehr stark auf eine Ausweisung (nur oder nur auch) aus spezialpräventiven Gründen zu.
34 
c) Der Luxemburger EuGH hält hinsichtlich Unionsbürgern eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen schon seit 1975 für rechtswidrig, wie er erstmals im Urteil Bonsignore (Urteil vom 26.02.1975, Rs. 67/74, Rn. 7) klarstellte:
35 
„Auf die gestellten Fragen ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie Nr. 64/221 der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates entgegensteht, wenn diese zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird, das heißt, wenn sie - in der Formulierung des innerstaatlichen Gerichts - auf ‚generalpräventive‘ Gesichtspunkte gestützt wird.“
36 
Im Urteil Orfanopoulos und Oliveri (Urteil vom 29.04.2004, Rs. C-482/01 u. 493/01, Rn. 66-68) hat er dies 2004 nochmals ausführlicher dargelegt:
37 
„Maßnahmen der öffentlichen Ordnung sind nach Art. 3 der Richtlinie 64/221 nur dann gerechtfertigt, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen gestützt sind. In dieser Bestimmung heißt es, dass strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres diese Maßnahmen nicht rechtfertigen können. Wie der Gerichtshof u. a. im Urteil vom 27.10.1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 35) festgestellt hat, setzt die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
38 
Zwar kann ein Mitgliedstaat die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen, doch ist die Ausnahme der öffentlichen Ordnung eng auszulegen, so dass eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur insoweit rechtfertigen kann, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. u. a. Urteil vom 19.01.1999, Rs. C-348/96, Calfa, Rn. 22-24).
39 
Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass das Gemeinschaftsrecht der Ausweisung eines Angehörigen eines Mitgliedstaats entgegensteht, die auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt, d. h. zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird (vgl. u.a. Urteil Bonsignore, Rn. 7), insbesondere, wenn die Ausweisung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (vgl. Urteile Calfa, Rn. 27, und Nazli, Rn. 59).“
40 
d) Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Impulse aus Luxemburg aufgegriffen und seine diesbezügliche Rechtsprechung mit Urteil vom 03.08.2004 -1 C 30.02 - auch hinsichtlich der generalpräventiv begründeten Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern geändert (BVerwGE 121, 297, Rn. 24):
41 
„Die Gefährdung kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens ergeben. Es besteht aber keine dahin gehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet. Eine vom Einzelfall losgelöste oder auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützte Begründung der Ausweisung ist in jedem Fall unzulässig.“
42 
Im Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (BVerwGE 124, 243) wurde dies nochmals bekräftigt:
43 
„Das Gemeinschaftsrecht lässt eine Ausweisung ausnahmslos nur aus spezialpräventiven Gründen zu, d.h. zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von dem einzelnen Ausländer persönlich ausgehen, nicht aber - tragend oder auch nur mittragend - zur (generalpräventiven) Abschreckung anderer Ausländer.“
44 
Mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - (BVerwGE 121, 315, Rn. 17) hat das Bundesverwaltungsgericht diese Grundsätze des unionsrechtlichen Ausweisungsschutzes auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige erstreckt, d.h. deren Ausweisungsschutz in gleicher Weise materiellrechtlich begründet und ausgestaltet wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger:
45 
„Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Übertragung der nach dem Urteil des Senats im Verfahren BVerwG 1 C 30.02 anzuwendenden Maßstäbe entgegenstehen.“
46 
Der EuGH hat die Richtigkeit dieser Entscheidung mit Urteil vom 11.11.2004 (Rs. C-467/02 - Cetinkaya) bestätigt.
47 
Seither können freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur noch ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen darf eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt und auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet; aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfen daher nicht mehr aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zwecke der Generalprävention angeordnet werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - ZAR 2010, 284). Hier kann mithin kein „dringendes Bedürfnis“ mehr angenommen werden, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus „durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten“ (so noch: BVerwG, Beschluss vom 08.05.1996 - 1 B 136.95 - InfAuslR 1996, 299).
48 
Seit der 2. EU-Osterweiterung am 01.01.2007 kommen zunächst alle Staatsangehörigen der anderen 26 Mitgliedstaaten in den Genuss dieses europarechtlichen Ausweisungsschutzes. Das sind rund 35 % aller in Deutschland lebenden Ausländer (Stand: 31.12.2009; zit. nach BAMF, Ausländerzahlen 2009, S. 12). Hinzu kommen des Weiteren wohl rund 23 % türkische Staatsangehörige (vgl. BAMF, a.a.O., S. 11), weil nur ca. 5 % der in Deutschland lebenden Türken (ca. 25 % der ausländischen Bevölkerung von insgesamt 6,7 Mio. Menschen) kürzer als sechs Jahre hier leben; über 86 % der türkischen Staatsangehörigen leben sogar länger als 10 Jahre in Deutschland (vgl. BAMF, a.a.O. S. 14). Dies bedeutet ausländerrechtlich, dass sich möglicherweise rund 95 % der hier lebenden türkischen Staatsangehörigen auf Art. 6 oder 7 ARB 1/80 berufen können (vgl. Günes, Europäischer Ausweisungsschutz, 2009, S. 49 ff.). Geht man davon aus, dass zudem ein Teil sowohl der Unionsbürger als auch der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit ebenfalls aufenthaltsrechtlich besonders geschützten Drittstaatern (vgl. Art. 27 Abs. 2 Unionsbürger-RL 2004/38/EG, Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthalts-RL 2003/109/EG und Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 FreizügG/EU, Rn. 20 ff.) familiär verbunden ist, dürfte aufgrund insbesondere der Rechtsprechung des EuGH zwischenzeitlich möglicherweise für rund zwei Drittel aller in Deutschland lebenden Ausländer ein absolutes Verbot der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen bestehen. Dies würde deren - nach Auskunft des Beklagten und Erfahrung des Senats - heute nur noch sehr geringe Praxisrelevanz schlüssig erklären. Die Frage, ob vor diesem empirisch-europarechtlichen Hintergrund auch mangels „kontinuierlicher Verwaltungspraxis“ eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen überhaupt noch abschreckende Wirkung im Sinne einer „Verhaltenssteuerung“ entfalten kann - wofür im Übrigen die Ausländerbehörde darlegungs- und beweispflichtig wäre -, sei nur am Rande gestellt. Neuere empirische Studien hierzu hat der Senat jedenfalls nicht auffinden können.
49 
e) Die Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen beruht bis heute auf richterlicher Schöpfung, nicht aber auf einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers (vgl. GK-AufenthG, 6/2009, Vor §§ 53 ff., Rn. 1300.1, m.w.N.). Nach Überzeugung des Senats hat sie nunmehr auch bezüglich der in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländer ihre Berechtigung grundsätzlich verloren. Eine Anpassung ist erforderlich, um im Wege einer Gesamtschau insbesondere dem Schutz von Art. 8 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR noch besser gerecht zu werden und insoweit eine Angleichung mit der Rechtsprechung des EuGH zu erzielen. Die Personengruppe der nachhaltig „Verwurzelten“ steht Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen in mancherlei Hinsicht gleich. Da jedoch nach wie vor keine vollständige Identität der Rechtsstellung besteht, kann der Schutz vor einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung nur eine Grundregel darstellen.
50 
Anders als bei Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen kann bei „Verwurzelten“ demnach eine generalpräventiv begründete Ausweisung weiterhin ausnahmsweise zulässig sein, wenn ganz besonders schwerwiegende Delikte verwirklicht wurden, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährden. Als Maßstab aus anderen Regelungszusammenhängen kann sich - zur Fallgruppenbildung im Europäischen Rechtsraum - insoweit zum einen Art. 12 Abs. 2 der Qualifikations-RL 2004/83/EG anbieten (insbesondere „Terrorismusdelikte“; vgl. Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 AsylVfG Rn. 8 f.). Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es auch im europäischen Flüchtlingsrecht hier nicht auf eine gegenwärtige Wiederholungsgefahr an (EuGH, Urteil vom 09.11.2010, Rs. C-101/09 - Deutschland vs. D). Zum anderen kann der Rechtsgedanke von Art. 28 Abs. 3 Unionsbürger-RL 2004/38/EG herangezogen werden („staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte“), weil auch Unionsbürger insoweit selbst nach 10-jährigem Aufenthalt im Aufnahmestaat nur einen eingeschränkten Schutz gegen (weiterhin ausschließlich spezialpräventiv begründete) Ausweisungen genießen (EuGH, Urteil vom 23.11.2010, Rs. C-145/09 - Tsakouridis). Liegen jedoch keine vergleichbar schwerwiegenden Delikte vor, verdient derjenige, der sich in qualifizierter Weise auf Art. 8 EMRK berufen kann, insbesondere weil er in Deutschland ein nach der Rechtsprechung des EGMR nachhaltig zu schützendes Privatleben entfaltet hat, menschenrechtlich einen mit Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen vergleichbaren Ausweisungsschutz. Die weitgehende Vereinheitlichung des bisweilen nur noch schlecht überschaubaren Ausländerrechts liegt insoweit nahe.
51 
Als Stichtag bietet sich das Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon an, d.h. der 01.12.2009. Denn der Lissabon-Vertrag hebt den Prozess der europäischen Integration „auf eine neue Stufe“ (Abs. 1 EUV-Präambel) und strebt mit der Vergemeinschaftung, heute genauer „Verunionung“ (vgl. Art. 1 Abs. 3 Satz 3 EUV) der vormaligen 3. EU-Säule die Schaffung eines europaweiten „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ an, in dem - gerade auch für die Bereiche Asyl, Einwanderung und Freizügigkeit - im Wesentlichen einheitliche Standards gelten sollen (vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 ff. AEUV und das Stockholmer Programm vom 11.12.2010 - ABlEU Nr. C 115/1). Auch wird mit dem gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV angestrebten Beitritt der neu verfassten EU zur EMRK diese Konvention normhierarchisch gewissermaßen auf die höchste Stufe gestellt. Selbst das bezüglich allen nationalen Rechts anwendungsvorrangige Unionsrecht wird künftig vom EGMR am Maßstab der EMRK gemessen und, trotz EU-Grundrechtecharta, gegebenenfalls als menschenrechtswidrig eingestuft. Damit wird durch den Lissabon-Vertrag klargestellt - und mit dessen Ratifikation auch von der Bundesrepublik angestrebt -, dass in Sachen Menschenrechtsschutz der Straßburger EGMR europaweit „das letzte Wort“ haben soll (ausführlich: Bergmann, Diener dreier Herren? - Der Instanzrichter zwischen BVerfG, EuGH und EGMR, EuR 2006, S. 101). Der Straßburger Rechtsprechung ist deshalb seit 01.12.2009 noch größeres Gewicht beizumessen. Seit 01.12.2009 muss bei der dogmatischen Durchdringung und Fortbildung des mitgliedstaatlichen Rechts vom „Europäischen Rechtsraum“ her gedacht werden (v. Bogdandy, Perspektiven einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Handlexikon der EU, 4. Aufl., Baden-Baden, sowie JZ 2011, S. 4).
52 
Als diesbezügliches Vorbild für die Erstreckung des grundsätzlichen Verbots der generalpräventiven Ausweisung auf nachhaltig „verwurzelte“ Ausländer ab 01.12.2009 sieht der Senat die rechtspolitisch in gleiche Richtung weisende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur allgemeinen Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung. Mit Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28.08.2007 – nach der Geltung für Unionsbürger und sodann für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige – nunmehr bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist, was insoweit zu einer Rechtsvereinheitlichung in dem durch EGMR- und EuGH-Rechtsprechung geprägten Europäischen Rechtsraum geführt hat.
53 
3. Der Kläger ist ein in Deutschland „verwurzelter“ Ausländer und kann sich auf den Schutz von Art. 8 EMRK berufen. Der EGMR geht von einem weiten Begriff des Privatlebens aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“ sowie das „Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln“ und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - „gewachsenen Bindungen“ umfasst. Maßgebend ist, ob der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum Aufnahmestaat verfügt (vgl. die im Senatsurteil vom 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - referierte EGMR-Rechtsprechung). Im konkreten Einzelfall des Klägers ist dies nach Auffassung des Senats gegeben. Der Kläger lebt nunmehr bereits seit 14 Jahren im Bundesgebiet. Seine gesamte berufliche Entwicklung ist hier erfolgt. Hier leben enge Familienangehörige und sein Freundeskreis. Hier hat er einen Arbeitsplatz, der ihn ohne ergänzenden Sozialleistungsbezug unterhält. Hier verlebt der Kläger sein Privatleben mit seiner deutschen Partnerin.
54 
Auf die Frage der zugleich tiefgreifenden „Entwurzelung“ kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Denn auch der diesbezügliche Ausweisungsschutz von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen besteht unabhängig davon, ob die Sprache der früheren Heimat beherrscht wird oder ob dort etwa noch Verwandte bzw. Bekannte leben. Solche Umstände können allerdings (insbesondere auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung) einen noch weitergehenden Schutz gegenüber einer ausnahmsweise generalpräventiv oder aber spezialpräventiv motivierten Ausweisung begründen.
55 
Damit greift bezüglich des Klägers die oben dargelegte Regel des Verbots der tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser Regel vorliegen (Terrorismus, staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte), ist seine Ausweisung gesperrt. Anders formuliert fehlt es damit im konkreten Einzelfall an den für die Ausweisung erforderlichen „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Sinne von § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Die allein auf generalpräventive Motive gestützte Ausweisung des Klägers ist also im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat rechtswidrig.
II.
56 
Ist die angefochtene Ausweisung aufzuheben, entfällt die nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 50 Abs. 1 AufenthG entstandene Ausreisepflicht und die dem Kläger am 28.10.2004 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgilt, lebt wieder auf. Demgemäß ist auch die im Bescheid vom 23.06.2009 verfügte unselbständige Abschiebungsandrohung aufzuheben, soweit sie sich nach der Haftentlassung nicht erledigt hat. Denn Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist eine bestehende Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG (ebenso: Nds. OVG, Urteil vom 10.03.2011 - 8 LB 153/09 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2009 - 18 A 2620/08 - juris).
57 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
58 
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat und die Frage der Möglichkeit einer Ausweisung bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Gründen zur Herstellung einer bundeseinheitlichen Rechtslage vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden sollte. Das Bundesverwaltungsgericht ging bisher in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Straftat als Ausweisungsgrund im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG regelmäßig auch bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Erwägungen als besonders schwerwiegend bewertet werden und ein öffentliches Interesse an der Ausweisung des Ausländers begründen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25/03 - BVerwGE 121, 356; hierauf sich berufend etwa Bay. VGH, Beschluss vom 31.01.2011 - 10 ZB 10.2868 - juris).
59 
Beschluss vom 18. März 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
61 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Streitwert beträgt höchstens 30 Millionen Euro, soweit kein niedrigerer Höchstwert bestimmt ist.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung.

(2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 76/09
vom
16. Februar 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 85; 233 D, Fc, Fd

a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist
bei fehlender Ursächlichkeit eines möglichen Organisationsverschuldens
des Prozessbevollmächtigten.

b) Zu den Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht hinsichtlich der
Postausgangskontrolle bei fristgebundenen Schriftsätzen.
BGH, Beschluss vom 16. Februar 2010 - VIII ZB 76/09 - LG Hamburg
AG Hamburg
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Februar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Milger
sowie die Richter Dr. Achilles und Dr. Bünger

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der Zivilkammer 7 des Landgerichts Hamburg vom 14. Juli 2009 aufgehoben. Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 10. Februar 2009 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. März 2009 gewährt. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 6.648,48 € festgesetzt.

Gründe:

I.

1
Die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung der Klägerin in H. . Die Klägerin begehrt nach erfolgter Kündigung die Herausgabe dieser Wohnung.
2
Das Amtsgericht hat der Klage durch Urteil vom 10. Februar 2009 stattgegeben und die Beklagte zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verur- teilt. Gegen dieses ihr am 12. Februar 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Mit bei dem Berufungsgericht am 15. April 2009 eingegangenem Schriftsatz vom 8. April 2009 hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt. Nach einem Hinweis des Berufungsgerichts darauf, dass der Verlängerungsantrag erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei, hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit am 5. Mai 2009 eingegangenem Schriftsatz die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. Mai 2009 beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, sie habe den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 8. April 2009, dem Mittwoch vor Ostern, vormittags unterschrieben. Die Mappe mit den unterschriebenen Schriftstücken sei sodann postfertig gemacht, noch einmal auf Vollständigkeit und das Vorhandensein der Unterschriften kontrolliert und in das Postausgangsfach gelegt worden. Der in der Kanzlei beschäftigte Bürobote Ho. hole regelmäßig am Montag, Mittwoch und Freitag die Post aus dem Gerichtsfach in der gemeinsamen Annahmestelle bei dem Amtsgericht Hamburg ab und bringe die Gerichtspost der Kanzlei zur Gemeinsamen Annahmestelle. Auf dem Rückweg von der Arbeit gehe er am selben Tag noch einmal zur gemeinsamen Annahmestelle, um insbesondere Fristsachen dort abzuliefern. Seien in der Kanzlei Schriftstücke postfertig gemacht, werde eine grüne Durchschrift des jeweiligen Schriftstücks in die Akte geheftet. Da die Prozessbevollmächtigte der Beklagten am Dienstag, den 14. April 2009, einen Tag Urlaub gehabt habe, habe sie bereits am 9. April 2009 die an diesem Tag und am 14. April 2009 ablaufenden Fristen überprüft und kontrolliert, ob sich der Fristverlängerungsschriftsatz vom 8. April 2009 noch im Postausgangsfach befinde, was nicht der Fall gewesen sei. Da sich außerdem die grüne Durchschrift dieses Schriftsatzes in der Akte befunden habe, habe sie im Fristenkalender bei dieser Frist in Klammern einen Zusatz angebracht, dass die Verlängerung beantragt worden sei. Dabei sei sie davon ausgegangen, dass der bisher stets zuverlässige Bürobote Ho. die Schriftstücke am 8. April 2009 aus dem Postausgangsfach mitgenommen und entsprechend seiner Arbeitsanweisung vollständig bei Gericht abgegeben habe. Der gleichwohl verspätete Eingang des Verlängerungsantrags bei Gericht könne damit erklärt werden, dass der Bürobote, der an den konkreten Vorgang keine Erinnerung mehr habe, den Schriftsatz versehentlich in seiner Aktentasche belassen und erst im Rahmen des nächsten Botengangs am Mittwoch nach Ostern, also am 15. April 2009, bei Gericht abgegeben habe. Zur Glaubhaftmachung hat die Beklagte eidesstattliche Versicherungen ihrer Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwältin N., deren in derselben Kanzlei tätigen Urlaubsvertreters, Rechtsanwalt V., und des Büroboten Ho. vorgelegt.
3
Mit am 12. Mai 2009 eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte die Berufung begründet. Das Berufungsgericht hat durch Beschluss vom 14. Juli 2009 nach vorherigem Hinweis den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verworfen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt , es sei nach der Rechtsprechung zwar davon auszugehen, dass ein Organisationsverschulden des Rechtsanwalts nicht anzunehmen sei, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht werde. In der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten würden die im Postausgangsfach befindlichen Schriftstücke jedoch nicht täglich, wie in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Mai 2003 (I ZB 32/02, NJW-RR 2003, 1004) zugrunde liegenden Fall, sondern nur an drei Wochentagen durch den Büroboten befördert. Erschwerend komme hinzu, dass wegen der Osterfeiertage sowohl der auf den 8. April 2009 folgende Karfreitag als auch der Ostermontag als Postbeförderungstermine des Büroboten ausgefallen seien und der nächste planmäßige Botengang erst am Mittwoch, den 15. April 2009, und damit einen Tag nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erfolgt sei. Die Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, dass der unterzeichnete Schriftsatz am 8. April 2009 noch rechtzeitig vor der Leerung durch den Büroboten in das Postausgangsfach der Kanzlei gelegt worden sei. Auch sei nicht glaubhaft gemacht, zu welcher Tageszeit der Bürobote das Postausgangsfach regelmäßig zu leeren gehabt habe. Dass in der Akte eine grüne Kopie des Schriftsatzes eingeheftet gewesen sei, reiche für sich genommen nicht aus, um hieraus hinreichend sicher auf die Einlegung des Schriftsatzes in das Postausgangsfach vor dessen Leerung durch den Büroboten schließen zu können. Der vom Bundesgerichtshof in dem oben genannten Beschluss vom 22. Mai 2003 herangezogene Umstand, dass das Postfach gewissermaßen die letzte Station auf dem Weg zum Adressaten sei, mache eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuches, nur dann entbehrlich, wenn durch organisatorische Maßnahmen der Ausgangskontrolle hinreichend nachvollziehbar sei, wann ein fristgebundener Schriftsatz tatsächlich in das Postausgangsfach eingelegt worden sei. Dies lasse sich bei der von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten praktizierten Büroorganisation jedoch nicht nachvollziehen. In der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei überdies auch insoweit keine verlässliche Ausgangskontrolle gewährleistet, als die Erledigung des Verlängerungsantrags nicht, wie von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt werde, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einlegung des Schriftsatzes in das Postausgangsfach, sondern erst am nächsten Tag kontrolliert und durch einen Erledigungshinweis gekennzeichnet worden sei.
4
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

5
1. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Gesetzes statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und im Übrigen auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 575 ZPO). Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschluss verletzt das Verfahrensgrundrecht der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfGE 77, 275, 284; 74, 228, 234; BVerfG, NJW 2005, 814, 815; BVerfG, NJW 2003, 281; BVerfG NJW 1991, 3140; Senatsbeschluss vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775, unter II 1; BGHZ 151, 221, 227; BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, unter II 1 bb; BGH, Beschluss vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02, NJW 2003, 437, unter II 3 b). Indem das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2) davon ausgegangen ist, dass der Beklagten keine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren ist, und die Berufung daher als unzulässig verworfen hat, hat es der Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt verwehrt.
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat bei der Anwendung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, überspannt. Auf der Grundlage dieser Würdigung hat es rechtsfehlerhaft die Berufung nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
7
a) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die versäumte Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Dabei steht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der im Ansatz auch das Berufungsgericht ausgeht, gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss jedoch nur gewährleisten, dass der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station” auf dem Weg zum Adressaten ist. Eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs, ist unter diesen Umständen nicht erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Juni 1980 - VIII ZB 20/08, VersR 1980, 973, unter 2 a; BGH, Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00, NJW 2001, 1577, unter II 1 m.w.N.; Beschlüsse vom 22. Mai 2003 - I ZB 32/02, NJWRR 2003, 1004, unter II 2; vom 5. Februar 2003 - IV ZB 34/02, NJW-RR 2003, 862, unter II 1). Die Erledigung fristgebundener Sachen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders zu überprüfen (BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2003, aaO, unter II 2 d; vom 23. Mai 2006 - VI ZB 77/05, NJW 2006, 2638, Tz. 5; vom 22. April 2009 - XII ZB 167/08, NJW-RR 2009, 937, Tz. 15). Eine bloße Prüfung, ob der in der Anwaltskanzlei für die Gerichtspost bestimmte Ausgangskorb leer ist, reicht für eine wirksame Ausgangskontrolle nicht aus (BGH, Urteil vom 22. September 1992 - VI ZB 11/92, VersR 1993, 207). Einen Nachweis dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, hat der Bundesgerichtshof ebenso wenig gefordert wie eine - meist nicht mögliche - Darlegung, wann und wie genau ein Schriftstück verloren gegangen ist; vielmehr genügt die Glaubhaftmachung, dass der Verlust mit großer Wahrscheinlichkeit nicht im Bereich, für den die Partei - auch über § 85 Abs. 2 ZPO - verantwortlich ist, eingetreten ist (BGHZ 23, 291, 292 f.; BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003, aaO).
8
b) Gemessen an diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht zwar nicht die grundsätzlichen Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts für die Kontrolle ausgehender fristgebundener Schriftsätze überspannt. Dabei bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob die im Wiedereinsetzungsantrag dargelegte Postausgangskontrolle in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, was das Berufungsgericht wegen der nur an drei Wochentagen erfolgenden Beförderung der im Postausgangsfach befindlichen Schriftstücke durch den Büroboten verneint hat, insgesamt den oben genannten strengen Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt. Denn das Berufungsgericht hat bei seiner Würdigung einem entscheidenden Punkt des glaubhaft gemachten Vorbringens der Beklagten zur Wiedereinsetzung kein ausreichendes Gewicht beigemessen.
9
Die Beklagte hat in ihrem Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen, ihre Prozessbevollmächtigte habe sich wegen eines für den 14. April 2009 (Dienstag nach Ostern) vorgesehenen Urlaubstages am 9. April 2009 (dem Tag nach der vorgetragenen Einlegung des Verlängerungsantrags in das Postausgangsfach) die Erledigung der Fristen geprüft und hierbei auch kontrolliert, ob sich der Schriftsatz noch im Postausgangsfach befinde. Da dies nicht der Fall gewesen und in der Akte zudem eine grüne Durchschrift des Verlängerungsantrags vorhanden gewesen sei, sei sie davon ausgegangen, dass der bisher stets zuverlässige Bürobote den Schriftsatz am Vortag aus dem Postausgangsfach mitgenommen und im Rahmen seines - wie stets am Ende des Arbeitstages auch am 8. April 2009 durchgeführten - Botengangs ordnungsgemäß zu Gericht gebracht habe. Daraufhin habe sie im Fristenkalender die erfolgte Antragstellung notiert.
10
Das Berufungsgericht hat insoweit zwar Vortrag zu den Zeitpunkten der Einlegung des Schriftsatzes in das Postausgangsfach und der Leerung dieses Fachs durch den Büroboten vermisst, aber keine Bedenken gegen die Glaubhaftmachung der geschilderten Vorgänge geäußert. Sie drängen sich auch nicht auf. Gleichwohl hat das Berufungsgericht dieses Vorbringen lediglich in seinem durch den angegriffenen Beschluss in Bezug genommenen Hinweisbeschluss vom 2. Juni 2009 im Zusammenhang mit der Argumentation angesprochen , es habe an einer verlässlichen Ausgangskontrolle gefehlt, weil die Frist nicht am Abend des 8. April 2009, sondern erst am folgenden Tag durch die Prozessbevollmächtigte der Beklagten gelöscht worden sei. Hierdurch wird der Vortrag der Beklagten zur Wiedereinsetzung indessen nicht ausgeschöpft. Denn wenn der Schriftsatz am 8. April 2009 in das Postausgangsfach gelegt und das Postausgangsfach noch an diesem Tage durch den ansonsten zuverlässigen Büroboten zwecks Transports der Post zu Gericht geleert worden ist und sich der Schriftsatz demgemäß am nächsten Tag nicht mehr im Postausgangsfach befand, dann ist ein mögliches Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten hinsichtlich der Postausgangskontrolle im konkreten Fall jedenfalls nicht ursächlich für den verspäteten Eingang des Schriftsatzes bei Gericht gewesen.
11
Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten ist der Schriftsatz rechtzeitig hergestellt, postfertig gemacht und noch am 8. April 2009, einem Tag, an dem der Transport ausgehender Schriftsätze zur gemeinsamen Annahmestelle des Amtsgerichts vorgesehen war und auch tatsächlich erfolgte, in das Postausgangsfach eingelegt worden. Da die am nächsten Tag erfolgte Nachprüfung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten ergab, dass sich der Schriftsatz nicht mehr im Postausgangsfach befand, ist davon auszugehen, dass dieser am 8. April 2009 durch den Büroboten aus dem Postausgangsfach entnommen wurde. Dass der ansonsten stets zuverlässige Bürobote entgegen seinen Anweisungen den Schriftsatz gleichwohl nicht im Rahmen seines noch am selben Tag erfolgten Gangs zur Annahmestelle des Gerichts dort abgab, stellt ein gegenüber einem möglichen anwaltlichen Organisationsverschulden späteres und nicht vorhersehbares Fehlverhalten dar, für das die Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht verantwortlich gemacht werden kann.
12
Der Beklagten ist demgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO).
13
3. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Er ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Ball Dr. Frellesen Dr. Milger Dr. Achilles Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 10.02.2009 - 49 C 414/08 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 14.07.2009 - 307 S 37/09 -

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 2010 - 5 K 1778/09 - insoweit geändert, als es die Klage als unbegründet abgewiesen hat.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 23. Juni 2009 wird (mit Ausnahme der in Ziffer 2 verfügten Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus) aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten der Verfahren in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am ...1978 in Gornje (Kosovo) geborene Kläger ist kosovarischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 07.08.1996 in die Bundesrepublik ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 13.08.1996 abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage (Az.: A 14 K 30993/96). 1998 lernte er seine erste Ehefrau, die deutsche Staatsangehörige D. S. kennen, und heiratete sie am 22.06.1999. Am 24.09.1999 nahm er Asylantrag und Klage zurück. Er reiste am 18.05.2000 in sein Heimatland aus und am 11.06.2000 mit einem Visum zum Familiennachzug wieder in die Bundesrepublik ein.
Am 26.06.2000 wurde dem Kläger eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die anschließend mehrfach - zuletzt bis 24.06.2005 - verlängert wurde. Am 21.05.2004 beantragte der Kläger die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Mit Bescheid vom 14.07.2004 lehnte das Ausländeramt der Stadt W... diesen Antrag ab, weil beim Kläger Ausweisungsgründe vorlägen. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den er damit begründete, dass frühere Eintragungen im Zentralregister getilgt seien. Mit Bescheid vom 28.10.2004 half die Stadt Wiesloch dem Widerspruch ab und erteilte dem Kläger die begehrte unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Am 27.04.2006 wurde die erste Ehe des Klägers geschieden. Die im Jahr 2007 geschlossene zweite Ehe des Klägers mit einer Kosovarin, die im Kosovo lebte, hielt nur vier Monate. Im Januar 2008 heiratete der Kläger Frau G. D., die gleichfalls kosovarische Staatsangehörige ist. Aufgrund seiner Inhaftierung am 24.06.2008 kam es nicht zum Ehegattennachzug.
Der Kläger übte in der Bundesrepublik zunächst verschiedene kurzfristige Gelegenheitsjobs aus. Ab 2002 arbeitete er als Staplerfahrer bei der Firma R. in W... Bis zu seiner Inhaftierung hatte er dort eine feste Arbeitsstelle, bei der er ein Nettoeinkommen zwischen 1.800 EUR und 1.900 EUR erzielte.
Am 18.02.2009 verurteilte das Landgericht ... den Kläger wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl in zwölf Fällen, darunter in zwei tateinheitlichen Fällen, und wegen Beihilfe zum versuchten schweren Bandendiebstahl in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten (Az.: 1 KLs 45 Js 6611/08; rechtskräftig). Im Strafurteil wird ausgeführt, der Kläger habe sich im Mai 2008 mit drei anderen Mittätern zusammengeschlossen, um zwischen dem 24.05.2008 und dem 23.06.2008 nach gleich bleibender Methode Einbrüche in Gewerbebetriebe zu begehen. Die Bande habe in aller Regel Geld gesucht, wenngleich vereinzelt auch Kraftfahrzeuge und sonstige Wertgegenstände im Gesamtwert von fast 80.000 EUR erbeutet worden seien. Der Kläger habe an den insgesamt 21 Taten gelegentlich mitgewirkt. Er sei zwar von Anfang an in die Tatvorbereitung eingebunden gewesen. Planung und Auswahl des Einbruchsobjekts hätten ihm aber nicht oblegen. Bei der Tatausführung habe er lediglich als Fahrer agiert. An den eigentlichen Taten sei er nicht unmittelbar beteiligt gewesen und habe nicht gewusst, in welches Objekt seine Komplizen eingebrochen seien, weshalb er den Tatablauf in keiner Weise habe beeinflussen können. Er habe auch keinen gleichen Beuteanteil erhalten, sondern eine Belohnung, die regelmäßig deutlich hinter einem rechnerischen Anteil von einem Viertel bzw. später einem Fünftel zurückgeblieben sei. Zur Strafzumessung führte das Landgericht aus: Zwar sei ein minderschwerer Fall bei keiner Tat in Frage gekommen. Denn die rechtliche als Beihilfe zu qualifizierende Tat habe sich an der Grenze zur Mittäterschaft bewegt. Andererseits habe der Kläger als einziger Tatbeteiligter frühzeitig im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt, durch das auch die übrigen Beteiligten hätten namhaft gemacht werden können. Dies habe einerseits die Ermittlungen erheblich erleichtert, andererseits zu erheblichen Anfeindungen durch die anderen Beteiligten geführt. Zu Gunsten des Klägers sei zu berücksichtigen gewesen, dass er nicht vorbestraft und erstmals in Haft und seine Frau im Kosovo schwer erkrankt gewesen sei. Demgegenüber sei zu seinen Lasten zu berücksichtigen gewesen, dass er in einer gut bezahlten Arbeit gestanden und nicht aus einer finanziellen Notlage heraus gehandelt habe.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Kläger mit Bescheid vom 23.06.2009 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1) und drohte ihm die Abschiebung in das Kosovo oder einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist. Für den Fall der Haftentlassung vor einer Abschiebung wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines Monat zu verlassen (Ziffer 2). Zur Begründung stützte sich das Regierungspräsidium primär auf spezialpräventive Gründe. Bei den von dem Kläger verwirklichten Delikten handele es sich um schwere Eigentumsdelikte, die in einer außerordentlichen Häufigkeit begangen worden seien. Die erforderliche Wiederholungsgefahr sei gegeben. Die Ausweisung des Klägers sei aber auch aus generalpräventiven Gründen geboten. Es sei unstreitig, dass Eigentumsdelikte, die in einer solch hohen Zahl und über einen relativ langen Zeitraum hinweg begangen würden, geeignet seien, eine generalpräventiv motivierte Ausweisung zu begründen. Innerhalb des Strafrahmens habe sein Strafmaß letztlich deutlich über der unteren Grenze von drei Monaten gelegen und in keinem Fall sei ein minderschwerer Fall angenommen worden. Deshalb sei es hier unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich, den Kläger zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auszuweisen. Seine privaten Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet müssten hinter dem öffentlichen Interesse zurückstehen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 29.06.2009 zugestellt.
Am 29.07.2009 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, die Straftaten gehörten zwar auf den ersten Blick zur mittleren bzw. schweren Kriminalität. Bei individueller Prüfung des Falles seien jedoch Besonderheiten gegeben, die den Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen ließen. Zu seiner Beteiligung an den Straftaten sei es gekommen, als ihn im Mai 2008 der Mitangeklagte G. - der Cousin seiner Ehefrau - gebeten habe, zwei Landsleute für eine gewisse Zeit in der Wohnung aufzunehmen. Er habe eingewilligt, weil es die Bitte eines Familienangehörigen gewesen sei. Kurze Zeit später sei er von G. gebeten worden, ihn und seine Freunde nachts irgendwo hinzufahren und sie gegebenenfalls auch wieder abzuholen. Da man ihm hierfür eine Belohnung versprochen habe, habe er seine anfänglichen Bedenken beiseite gewischt und eingewilligt. Grund hierfür sei gewesen, dass er seine im Kosovo lebende, an Krebs erkrankte Ehefrau mit Medikamenten versorgt und er deshalb, trotz regelmäßigen Einkommens, einen finanziellen Engpass gehabt habe. Wegen seiner späten aktiven Kooperation mit den Strafverfolgungsorganen sei er während der mehrtägigen Hauptverhandlung von den Mitangeklagten als „Verräter“ angefeindet worden. Berücksichtige man weiter den Umstand, dass er Ersttäter gewesen sei, sei bei individueller Prüfung nicht von einem schwerwiegenden Ausweisungsanlass auszugehen. Jedenfalls sei seine Ausweisung rechtswidrig, weil keine Wiederholungsgefahr angenommen werden könne. Er sei nicht vorbestraft und lebe seit über 13 Jahren in Deutschland. Er habe immer gearbeitet. Sein letztes Arbeitszeugnis belege, dass er „ein zuverlässiger, gewissenhafter und ehrlicher Mitarbeiter“ sei, der „seine Aufgaben immer selbstständig und termingerecht erledigt“ habe. Er sei in Deutschland nicht nur beruflich, sondern auch sozial integriert. Deutsch beherrsche er gut in Wort und Schrift. Sein Vollzug sei beanstandungsfrei. Bereits vier Monate nach seiner Inhaftierung habe er in der Gefängnisküche arbeiten dürfen. Auch der erstmalige Freiheitsentzug, der ihn nachhaltig beeindrucke, werde ihn davon abhalten, erneut straffällig zu werden. Eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen sei in seinem Fall nicht geboten, weil bereits der Ausweisungsgrund nicht hinreichend schwer wiege. Hinzu komme, dass sich sein besonders gelagerter Einzelfall nicht dazu eigne, andere Ausländer von der Begehung von Straftaten abzuhalten. Der Beklagte trat dem entgegen und führte aus, dass generalpräventiv motivierte Ausweisungen durchaus geeignet seien, entsprechende Wirkung zu erzeugen. In der Bundesrepublik würde eine Vielzahl von Landsleuten leben, die gerade auch im abgeurteilten Deliktsbereich delinquent würden. Im vorliegenden Falle sei es nach Abwägung aller Umstände ermessensgerecht, den Kläger jedenfalls generalpräventiv motiviert auszuweisen.
Mit Beschluss vom 07.05.2010 hat die Strafvollstreckungskammer am Landgericht ... die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung ausgesetzt. Der Kläger ist am 12.05.2010 aus der Haft entlassen worden. Er ist seit 01.06.2010 erneut in Vollzeit beschäftigt.
Mit Urteil vom 21.07.2010 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei unzulässig, soweit sie sich gegen die inzwischen erledigte Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus richte. Im Übrigen sei die Klage zulässig, jedoch nicht begründet. Zwar bestehe nach Überzeugung der Kammer im maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die für eine spezialpräventiv begründete Ausweisung erforderliche Wiederholungsgefahr nicht mehr. In generalpräventiver Hinsicht jedoch seien bei dem Kläger schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne eine Ausweisung grundsätzlich auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, also zu dem Zweck erfolgen, andere Ausländer zu einem ordnungsgemäßen Verhalten in der Bundesrepublik zu veranlassen und von der Begehung von Straftaten abzuschrecken. Dies gelte gerade auch für den Bereich des Bandendiebstahls als einer Art des organisierten Verbrechens. Dessen Bekämpfung habe wegen der großen Gefahren, die von ihm ausgingen, einen hohen Rang und erfordere in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein möglichst kontinuierliches Vorgehen auch der Ordnungsbehörden. Mit Rücksicht auf die hohe Gefährlichkeit der hier zu beurteilenden Kriminalität sei ein dringendes Bedürfnis gegeben, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung des Klägers andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Der Kläger halte sich zwar seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland auf und besitze seit 2000 einen Aufenthaltstitel, er sei aber erst als Erwachsener in das Bundesgebiet eingereist. Auch lebten seine Schwester und sein Bruder im Bundesgebiet; er habe aber noch starke Kontakte zum Kosovo. Schließlich erweise sich die Ausweisung nicht deswegen als unverhältnismäßig, weil der Kläger aufgrund seines Aussageverhaltens zur Aufklärung der Straftaten beigetragen und deshalb im Kosovo mit „erheblichen Repressalien" zu rechnen habe. Auch Art. 8 EMRK führe im konkreten Einzelfall nicht dazu, die Ausweisung des Klägers als unverhältnismäßig zu bewerten. Die Wirkungen der Ausweisung müssten auch nicht schon jetzt befristet werden.
10 
Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung führt der Kläger insbesondere aus, die Ausweisung verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Seine persönlichen Umstände würden nicht hinreichend gewichtet. Bereits 14 von 32 Lebensjahren habe er mit rechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet verbracht. Neben seiner persönlichen Prägung sei die gesamte berufliche Integration hier erfolgt. Sein Lebensmittelpunkt sei trotz bestehender Kontakte auch zu Kosovaren eindeutig in Deutschland. Sein Verhalten sei situationsbedingt und nicht in seiner Persönlichkeit begründet gewesen. Ein Vergleich seiner Biografie etwa mit den Biographien der Mittäter zeige, dass diese eine längere kriminelle Vergangenheit gehabt und für bandenmäßige Strukturen typische Verhaltenstendenzen aufgewiesen hätten. Er hingegen weise eine stabile Persönlichkeit auf und habe sich hier eine Existenz aufgebaut. Aus den besonderen Umständen des Einzelfalls folge, dass seine Ausweisung nicht geeignet sei, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuschrecken.
11 
Der Kläger beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 2010 – 5 K 1778/09 – insoweit zu ändern, als es die Klage als unbegründet abgewiesen hat und den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 23. Juni 2009 (mit Ausnahme der in Ziffer 2 verfügten Abschiebungsandrohung aus der Haft heraus) aufzuheben.
13 
Das beklagte Land beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Es tritt dem Vortrag des Klägers entgegen und hält eine Ausweisung allein aus generalpräventiven Gründen im konkreten Einzelfall für möglich und gerechtfertigt.
16 
In der mündlichen Verhandlung erläuterte der Kläger, dass er einen guten Arbeitsplatz innehabe, bei dem er monatlich ca. 1.250 EUR (netto) verdiene. Sein Chef sei sehr zufrieden mit ihm und wolle ihn demnächst auf eine Schulung für Trocknungstechnik nach Stuttgart schicken. Er gehe fest davon aus, dass er „unbefristet“ weiterarbeiten könne. Bis auf Weiteres wohne er kostenfrei und könne deshalb auch etwas sparen. Er habe jedoch noch ca. 12.000 EUR Altschulden und ca. 23.000 EUR Schulden im Zusammenhang mit dem Strafverfahren; mit Hilfe der Schuldnerberatung der Diakonie W. suche er nach einer Lösung, wie er diese Schulden bewältigen könne. Die Ehe mit Frau G. D. sei seit 22.11.2010 geschieden. Er habe inzwischen eine deutsche Freundin, wolle sich mit dem Heiraten diesmal aber Zeit lassen.
17 
Im Rahmen der Erörterung der Rechtsfrage der fortdauernden Zulässigkeit einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung vertrat auch die Beklagten-Vertreterin den Standpunkt, vom Kläger ginge keine Wiederholungsgefahr aus, sodass eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen ausscheide.
18 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe, die Strafakten des Landgerichts ... und die Gefangenenpersonalakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf sowie auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist ebenso begründet wie seine Anfechtungsklage (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
20 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angefochtenen Androhung der Abschiebung in das Kosovo vor allem die Ausweisung des Klägers. Mit dem Verwaltungsgericht und den Beteiligten ist auch der Senat (nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung sowie insbesondere dem schlüssigen Strafaussetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 07.05.2010 und den positiven Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt in den Gefangenen-Personalakten) der Überzeugung, dass von dem Kläger heute keine gesteigerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden. Die Ausweisung wird von dem Beklagten deshalb allein tragend zur - generalpräventiven - Abschreckung anderer Ausländer aufrechterhalten. Damit verstößt sie hier im Lichte des gemäß Art. 8 EMRK qualifiziert geschützten Privatlebens gegen § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
21 
1. Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Verurteilung durch das Landgericht Heidelberg am 18.02.2009 zu zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe den Regel-Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG. Er genießt jedoch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthalts, jedenfalls seit 2000, und der am 28.10.2004 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis besonderen Ausweisungsschutz, weswegen er nach Satz 2 der Norm nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ausgewiesen werden darf. Maßgebend für die Frage, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, also des Senats. Ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, ist voll gerichtlich überprüfbar; es besteht für die Ausländerbehörde kein Beurteilungsspielraum.
22 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356).
23 
Erfüllt ein Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, - wie der Kläger - keinen der in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aufgeführten Ist- oder Regelausweisungsgründe, steht dies einer Ausweisung im Ermessenswege nicht entgegen (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). In diesem Fall fehlt es aber an einer gesetzlichen Vermutung für die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dennoch können solche schwerwiegenden Gründe auch bei Vorliegen eines sonstigen (Regel- oder Ermessens-)Ausweisungsanlasses gegeben sein. Erforderlich ist dann jedoch, dass dem Ausweisungsgrund ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - ZAR 2009, 145).
24 
2. Bei einer durch eine Straftat veranlassten Ausweisung, die tragend zur generalpräventiven Abschreckung anderer Ausländer verfügt oder aufrechterhalten wird, fehlt es im Lichte von Art. 8 EMRK in der Regel an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wenn hierdurch ein in Deutschland nachhaltig „verwurzelter“ Ausländer betroffen wird. Die regelmäßige Unzulässigkeit von tragend generalpräventiv motivierten Ausweisungen bei dieser Personengruppe folgert der Senat in einer Gesamtschau aus den neueren Rechtsprechungslinien sowohl des Bundesverfassungsgerichts (a) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - (b) und im Übrigen auch aus der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - bezüglich Unionsbürgern (c) sowie des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen (d). Dies gilt jedenfalls seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 (e).
25 
a) Im Beschluss der Zweiten Kammer des Zweiten Senats vom 10.08.2007 (- 2 BvR 535/06, Rn. 24 f. - NVwZ 2007, 1300) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
26 
„Eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Entscheidung über die Zulässigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung setzt … voraus, dass die Ausländerbehörde die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen sorgfältig ermittelt und eingehend würdigt. Ohne die Kenntnis von Einzelheiten der Tatbegehung und der persönlichen Situation des Betroffenen können in der Regel die Auswirkungen der Ausweisung auf die Individualinteressen nicht hinreichend sicher festgestellt und in einer einzelfallbezogenen Abwägung den die Ausweisung verlangenden Interessen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden. … Im Grundsatz nicht anders als bei der Würdigung der von dem Ausländer künftig ausgehenden Gefahren im Rahmen spezialpräventiv motivierter Ausweisungen genügt es insbesondere nicht, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen.“
27 
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, mit dieser inhaltlich teilweisen Neukonturierung des Anforderungsprofils habe das Bundesverfassungsgericht der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen „nicht nur die Zähne gezogen, sondern ihr - jedenfalls was eine praktische Anwendung betrifft - gleichsam auf kaltem Wege den (endgültigen) Todesstoß versetzt“ (Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht, VerwArch 2010, 507). Denn eine generalpräventive Ausweisung, die im Grundsatz nicht anders als bei einer spezialpräventiven Ausweisung auch eine Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der Umstände der begangenen Straftat verlangt und daran anschließend eine einzelfallbezogene Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit erfordert, sei in Wahrheit nichts anderes als eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen. Da das Wesen der generalpräventiven Ausweisung vor allem darin bestehe, eine Ausweisung ohne das Abstellen auf die individuelle Gefährlichkeit des Ausländers zu ermöglichen (so schon Pagenkopf, DVBl. 1975, S. 766), könne es allenfalls noch eine „generalpräventiv motivierte“ Ausweisung geben, die jedoch zugleich auch spezialpräventiv gerechtfertigt sein müsse. Ohnehin wäre eine selbständig rechtfertigende Wirkung generalpräventiver Erwägungen mit dem Garantiegehalt der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn diese schließe es aus, den Ausgewiesenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu denaturieren und ihn als Vehikel zu benutzen, um auf andere abschreckend und damit verhaltenssteuernd einzuwirken (Mayer, a.a.O., m.w.N.). Ob dies in dieser Allgemeinheit zutrifft, kann hier offen bleiben. Jedenfalls bei nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern, die sich auf den qualifizierten Schutz von Art. 8 EMRK berufen können - was nicht notwendig zugleich eine tiefgreifende „Entwurzelung“ voraussetzt -, steht der vom Bundesverfassungsgericht besonders betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvR 241/77 - BVerfGE 50, 166) einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aber in der Regel entgegen. Eine tragend generalpräventiv motivierte Ausweisung stellt sich bei nachhaltig „Verwurzelten“ auch im Lichte der Ausführungen des BVerfG mithin regelmäßig als unverhältnismäßig dar, sodass es an hierfür rechtfertigenden schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fehlt.
28 
b) Auch der Straßburger EGMR steht der Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich skeptisch gegenüber. Dies ergibt sich aus seiner Rechtsprechung zu Ausweisungen, die er an Art. 8 EMRK misst. Seine sogenannten Boultif/Üner-Kriterien hat er etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) wie folgt zusammengefasst:
29 
„Der Gerichtshof hat bekräftigt, dass in allen Rechtssachen, die niedergelassene Zuwanderer betreffen, bei der Prüfung der Frage, ob eine Ausweisungsmaßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stand, die folgenden Kriterien heranzuziehen sind:
30 
- Die Art und Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat;
- die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll;
- die seit der Tat verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit;
- die Staatsangehörigkeit der verschiedenen Betroffenen;
- die familiäre Situation des Beschwerdeführers, wie z.B. die Dauer der Ehe, und andere Faktoren, die erkennen lassen, wie intakt das Familienleben eines Ehepaars ist;
- ob der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin von der Straftat wusste, als er bzw. sie eine familiäre Beziehung einging;
- ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und gegebenenfalls deren Alter und
- das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin in dem Land, in das der Beschwerdeführer bzw. die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen wird.
31 
Im Urteil Üner hat der Gerichtshof außerdem ausdrücklich die beiden folgenden Kriterien genannt:
32 
- Die Belange und das Wohl der Kinder, insbesondere das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen Kinder des Beschwerdeführers in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen werden, und
- die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland.“
33 
Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht verlangt mithin auch der Menschenrechtsgerichtshof (angesiedelt auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung), dass für eine konventionsgemäße Ausweisung zwingend eine genaue und auf den Einzelfall bezogene Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der konkreten Umstände der begangenen Straftat getroffen und daran anschließend eine Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit durchgeführt wird (vgl. auch EGMR, Urteil vom 23.06.2008 - 1638/03 - Maslov). Auch dies läuft jedenfalls in rechtstatsächlicher Hinsicht sehr stark auf eine Ausweisung (nur oder nur auch) aus spezialpräventiven Gründen zu.
34 
c) Der Luxemburger EuGH hält hinsichtlich Unionsbürgern eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen schon seit 1975 für rechtswidrig, wie er erstmals im Urteil Bonsignore (Urteil vom 26.02.1975, Rs. 67/74, Rn. 7) klarstellte:
35 
„Auf die gestellten Fragen ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie Nr. 64/221 der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates entgegensteht, wenn diese zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird, das heißt, wenn sie - in der Formulierung des innerstaatlichen Gerichts - auf ‚generalpräventive‘ Gesichtspunkte gestützt wird.“
36 
Im Urteil Orfanopoulos und Oliveri (Urteil vom 29.04.2004, Rs. C-482/01 u. 493/01, Rn. 66-68) hat er dies 2004 nochmals ausführlicher dargelegt:
37 
„Maßnahmen der öffentlichen Ordnung sind nach Art. 3 der Richtlinie 64/221 nur dann gerechtfertigt, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen gestützt sind. In dieser Bestimmung heißt es, dass strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres diese Maßnahmen nicht rechtfertigen können. Wie der Gerichtshof u. a. im Urteil vom 27.10.1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 35) festgestellt hat, setzt die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
38 
Zwar kann ein Mitgliedstaat die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen, doch ist die Ausnahme der öffentlichen Ordnung eng auszulegen, so dass eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur insoweit rechtfertigen kann, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. u. a. Urteil vom 19.01.1999, Rs. C-348/96, Calfa, Rn. 22-24).
39 
Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass das Gemeinschaftsrecht der Ausweisung eines Angehörigen eines Mitgliedstaats entgegensteht, die auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt, d. h. zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird (vgl. u.a. Urteil Bonsignore, Rn. 7), insbesondere, wenn die Ausweisung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (vgl. Urteile Calfa, Rn. 27, und Nazli, Rn. 59).“
40 
d) Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Impulse aus Luxemburg aufgegriffen und seine diesbezügliche Rechtsprechung mit Urteil vom 03.08.2004 -1 C 30.02 - auch hinsichtlich der generalpräventiv begründeten Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern geändert (BVerwGE 121, 297, Rn. 24):
41 
„Die Gefährdung kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens ergeben. Es besteht aber keine dahin gehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet. Eine vom Einzelfall losgelöste oder auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützte Begründung der Ausweisung ist in jedem Fall unzulässig.“
42 
Im Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (BVerwGE 124, 243) wurde dies nochmals bekräftigt:
43 
„Das Gemeinschaftsrecht lässt eine Ausweisung ausnahmslos nur aus spezialpräventiven Gründen zu, d.h. zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von dem einzelnen Ausländer persönlich ausgehen, nicht aber - tragend oder auch nur mittragend - zur (generalpräventiven) Abschreckung anderer Ausländer.“
44 
Mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - (BVerwGE 121, 315, Rn. 17) hat das Bundesverwaltungsgericht diese Grundsätze des unionsrechtlichen Ausweisungsschutzes auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige erstreckt, d.h. deren Ausweisungsschutz in gleicher Weise materiellrechtlich begründet und ausgestaltet wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger:
45 
„Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Übertragung der nach dem Urteil des Senats im Verfahren BVerwG 1 C 30.02 anzuwendenden Maßstäbe entgegenstehen.“
46 
Der EuGH hat die Richtigkeit dieser Entscheidung mit Urteil vom 11.11.2004 (Rs. C-467/02 - Cetinkaya) bestätigt.
47 
Seither können freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur noch ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen darf eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt und auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet; aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfen daher nicht mehr aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zwecke der Generalprävention angeordnet werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - ZAR 2010, 284). Hier kann mithin kein „dringendes Bedürfnis“ mehr angenommen werden, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus „durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten“ (so noch: BVerwG, Beschluss vom 08.05.1996 - 1 B 136.95 - InfAuslR 1996, 299).
48 
Seit der 2. EU-Osterweiterung am 01.01.2007 kommen zunächst alle Staatsangehörigen der anderen 26 Mitgliedstaaten in den Genuss dieses europarechtlichen Ausweisungsschutzes. Das sind rund 35 % aller in Deutschland lebenden Ausländer (Stand: 31.12.2009; zit. nach BAMF, Ausländerzahlen 2009, S. 12). Hinzu kommen des Weiteren wohl rund 23 % türkische Staatsangehörige (vgl. BAMF, a.a.O., S. 11), weil nur ca. 5 % der in Deutschland lebenden Türken (ca. 25 % der ausländischen Bevölkerung von insgesamt 6,7 Mio. Menschen) kürzer als sechs Jahre hier leben; über 86 % der türkischen Staatsangehörigen leben sogar länger als 10 Jahre in Deutschland (vgl. BAMF, a.a.O. S. 14). Dies bedeutet ausländerrechtlich, dass sich möglicherweise rund 95 % der hier lebenden türkischen Staatsangehörigen auf Art. 6 oder 7 ARB 1/80 berufen können (vgl. Günes, Europäischer Ausweisungsschutz, 2009, S. 49 ff.). Geht man davon aus, dass zudem ein Teil sowohl der Unionsbürger als auch der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit ebenfalls aufenthaltsrechtlich besonders geschützten Drittstaatern (vgl. Art. 27 Abs. 2 Unionsbürger-RL 2004/38/EG, Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthalts-RL 2003/109/EG und Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 FreizügG/EU, Rn. 20 ff.) familiär verbunden ist, dürfte aufgrund insbesondere der Rechtsprechung des EuGH zwischenzeitlich möglicherweise für rund zwei Drittel aller in Deutschland lebenden Ausländer ein absolutes Verbot der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen bestehen. Dies würde deren - nach Auskunft des Beklagten und Erfahrung des Senats - heute nur noch sehr geringe Praxisrelevanz schlüssig erklären. Die Frage, ob vor diesem empirisch-europarechtlichen Hintergrund auch mangels „kontinuierlicher Verwaltungspraxis“ eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen überhaupt noch abschreckende Wirkung im Sinne einer „Verhaltenssteuerung“ entfalten kann - wofür im Übrigen die Ausländerbehörde darlegungs- und beweispflichtig wäre -, sei nur am Rande gestellt. Neuere empirische Studien hierzu hat der Senat jedenfalls nicht auffinden können.
49 
e) Die Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen beruht bis heute auf richterlicher Schöpfung, nicht aber auf einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers (vgl. GK-AufenthG, 6/2009, Vor §§ 53 ff., Rn. 1300.1, m.w.N.). Nach Überzeugung des Senats hat sie nunmehr auch bezüglich der in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländer ihre Berechtigung grundsätzlich verloren. Eine Anpassung ist erforderlich, um im Wege einer Gesamtschau insbesondere dem Schutz von Art. 8 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR noch besser gerecht zu werden und insoweit eine Angleichung mit der Rechtsprechung des EuGH zu erzielen. Die Personengruppe der nachhaltig „Verwurzelten“ steht Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen in mancherlei Hinsicht gleich. Da jedoch nach wie vor keine vollständige Identität der Rechtsstellung besteht, kann der Schutz vor einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung nur eine Grundregel darstellen.
50 
Anders als bei Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen kann bei „Verwurzelten“ demnach eine generalpräventiv begründete Ausweisung weiterhin ausnahmsweise zulässig sein, wenn ganz besonders schwerwiegende Delikte verwirklicht wurden, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährden. Als Maßstab aus anderen Regelungszusammenhängen kann sich - zur Fallgruppenbildung im Europäischen Rechtsraum - insoweit zum einen Art. 12 Abs. 2 der Qualifikations-RL 2004/83/EG anbieten (insbesondere „Terrorismusdelikte“; vgl. Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 AsylVfG Rn. 8 f.). Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es auch im europäischen Flüchtlingsrecht hier nicht auf eine gegenwärtige Wiederholungsgefahr an (EuGH, Urteil vom 09.11.2010, Rs. C-101/09 - Deutschland vs. D). Zum anderen kann der Rechtsgedanke von Art. 28 Abs. 3 Unionsbürger-RL 2004/38/EG herangezogen werden („staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte“), weil auch Unionsbürger insoweit selbst nach 10-jährigem Aufenthalt im Aufnahmestaat nur einen eingeschränkten Schutz gegen (weiterhin ausschließlich spezialpräventiv begründete) Ausweisungen genießen (EuGH, Urteil vom 23.11.2010, Rs. C-145/09 - Tsakouridis). Liegen jedoch keine vergleichbar schwerwiegenden Delikte vor, verdient derjenige, der sich in qualifizierter Weise auf Art. 8 EMRK berufen kann, insbesondere weil er in Deutschland ein nach der Rechtsprechung des EGMR nachhaltig zu schützendes Privatleben entfaltet hat, menschenrechtlich einen mit Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen vergleichbaren Ausweisungsschutz. Die weitgehende Vereinheitlichung des bisweilen nur noch schlecht überschaubaren Ausländerrechts liegt insoweit nahe.
51 
Als Stichtag bietet sich das Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon an, d.h. der 01.12.2009. Denn der Lissabon-Vertrag hebt den Prozess der europäischen Integration „auf eine neue Stufe“ (Abs. 1 EUV-Präambel) und strebt mit der Vergemeinschaftung, heute genauer „Verunionung“ (vgl. Art. 1 Abs. 3 Satz 3 EUV) der vormaligen 3. EU-Säule die Schaffung eines europaweiten „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ an, in dem - gerade auch für die Bereiche Asyl, Einwanderung und Freizügigkeit - im Wesentlichen einheitliche Standards gelten sollen (vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 ff. AEUV und das Stockholmer Programm vom 11.12.2010 - ABlEU Nr. C 115/1). Auch wird mit dem gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV angestrebten Beitritt der neu verfassten EU zur EMRK diese Konvention normhierarchisch gewissermaßen auf die höchste Stufe gestellt. Selbst das bezüglich allen nationalen Rechts anwendungsvorrangige Unionsrecht wird künftig vom EGMR am Maßstab der EMRK gemessen und, trotz EU-Grundrechtecharta, gegebenenfalls als menschenrechtswidrig eingestuft. Damit wird durch den Lissabon-Vertrag klargestellt - und mit dessen Ratifikation auch von der Bundesrepublik angestrebt -, dass in Sachen Menschenrechtsschutz der Straßburger EGMR europaweit „das letzte Wort“ haben soll (ausführlich: Bergmann, Diener dreier Herren? - Der Instanzrichter zwischen BVerfG, EuGH und EGMR, EuR 2006, S. 101). Der Straßburger Rechtsprechung ist deshalb seit 01.12.2009 noch größeres Gewicht beizumessen. Seit 01.12.2009 muss bei der dogmatischen Durchdringung und Fortbildung des mitgliedstaatlichen Rechts vom „Europäischen Rechtsraum“ her gedacht werden (v. Bogdandy, Perspektiven einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Handlexikon der EU, 4. Aufl., Baden-Baden, sowie JZ 2011, S. 4).
52 
Als diesbezügliches Vorbild für die Erstreckung des grundsätzlichen Verbots der generalpräventiven Ausweisung auf nachhaltig „verwurzelte“ Ausländer ab 01.12.2009 sieht der Senat die rechtspolitisch in gleiche Richtung weisende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur allgemeinen Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung. Mit Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28.08.2007 – nach der Geltung für Unionsbürger und sodann für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige – nunmehr bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist, was insoweit zu einer Rechtsvereinheitlichung in dem durch EGMR- und EuGH-Rechtsprechung geprägten Europäischen Rechtsraum geführt hat.
53 
3. Der Kläger ist ein in Deutschland „verwurzelter“ Ausländer und kann sich auf den Schutz von Art. 8 EMRK berufen. Der EGMR geht von einem weiten Begriff des Privatlebens aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“ sowie das „Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln“ und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - „gewachsenen Bindungen“ umfasst. Maßgebend ist, ob der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum Aufnahmestaat verfügt (vgl. die im Senatsurteil vom 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - referierte EGMR-Rechtsprechung). Im konkreten Einzelfall des Klägers ist dies nach Auffassung des Senats gegeben. Der Kläger lebt nunmehr bereits seit 14 Jahren im Bundesgebiet. Seine gesamte berufliche Entwicklung ist hier erfolgt. Hier leben enge Familienangehörige und sein Freundeskreis. Hier hat er einen Arbeitsplatz, der ihn ohne ergänzenden Sozialleistungsbezug unterhält. Hier verlebt der Kläger sein Privatleben mit seiner deutschen Partnerin.
54 
Auf die Frage der zugleich tiefgreifenden „Entwurzelung“ kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Denn auch der diesbezügliche Ausweisungsschutz von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen besteht unabhängig davon, ob die Sprache der früheren Heimat beherrscht wird oder ob dort etwa noch Verwandte bzw. Bekannte leben. Solche Umstände können allerdings (insbesondere auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung) einen noch weitergehenden Schutz gegenüber einer ausnahmsweise generalpräventiv oder aber spezialpräventiv motivierten Ausweisung begründen.
55 
Damit greift bezüglich des Klägers die oben dargelegte Regel des Verbots der tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser Regel vorliegen (Terrorismus, staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte), ist seine Ausweisung gesperrt. Anders formuliert fehlt es damit im konkreten Einzelfall an den für die Ausweisung erforderlichen „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Sinne von § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Die allein auf generalpräventive Motive gestützte Ausweisung des Klägers ist also im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat rechtswidrig.
II.
56 
Ist die angefochtene Ausweisung aufzuheben, entfällt die nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 50 Abs. 1 AufenthG entstandene Ausreisepflicht und die dem Kläger am 28.10.2004 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgilt, lebt wieder auf. Demgemäß ist auch die im Bescheid vom 23.06.2009 verfügte unselbständige Abschiebungsandrohung aufzuheben, soweit sie sich nach der Haftentlassung nicht erledigt hat. Denn Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist eine bestehende Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG (ebenso: Nds. OVG, Urteil vom 10.03.2011 - 8 LB 153/09 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2009 - 18 A 2620/08 - juris).
57 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
58 
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat und die Frage der Möglichkeit einer Ausweisung bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Gründen zur Herstellung einer bundeseinheitlichen Rechtslage vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden sollte. Das Bundesverwaltungsgericht ging bisher in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Straftat als Ausweisungsgrund im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG regelmäßig auch bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Erwägungen als besonders schwerwiegend bewertet werden und ein öffentliches Interesse an der Ausweisung des Ausländers begründen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25/03 - BVerwGE 121, 356; hierauf sich berufend etwa Bay. VGH, Beschluss vom 31.01.2011 - 10 ZB 10.2868 - juris).
59 
Beschluss vom 18. März 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
61 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
19 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist ebenso begründet wie seine Anfechtungsklage (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
20 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der angefochtenen Androhung der Abschiebung in das Kosovo vor allem die Ausweisung des Klägers. Mit dem Verwaltungsgericht und den Beteiligten ist auch der Senat (nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung sowie insbesondere dem schlüssigen Strafaussetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 07.05.2010 und den positiven Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt in den Gefangenen-Personalakten) der Überzeugung, dass von dem Kläger heute keine gesteigerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden. Die Ausweisung wird von dem Beklagten deshalb allein tragend zur - generalpräventiven - Abschreckung anderer Ausländer aufrechterhalten. Damit verstößt sie hier im Lichte des gemäß Art. 8 EMRK qualifiziert geschützten Privatlebens gegen § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.
21 
1. Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Verurteilung durch das Landgericht Heidelberg am 18.02.2009 zu zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe den Regel-Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG. Er genießt jedoch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthalts, jedenfalls seit 2000, und der am 28.10.2004 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis besonderen Ausweisungsschutz, weswegen er nach Satz 2 der Norm nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ausgewiesen werden darf. Maßgebend für die Frage, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, also des Senats. Ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, ist voll gerichtlich überprüfbar; es besteht für die Ausländerbehörde kein Beurteilungsspielraum.
22 
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG vor. Diese gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zurückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356).
23 
Erfüllt ein Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, - wie der Kläger - keinen der in § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aufgeführten Ist- oder Regelausweisungsgründe, steht dies einer Ausweisung im Ermessenswege nicht entgegen (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). In diesem Fall fehlt es aber an einer gesetzlichen Vermutung für die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dennoch können solche schwerwiegenden Gründe auch bei Vorliegen eines sonstigen (Regel- oder Ermessens-)Ausweisungsanlasses gegeben sein. Erforderlich ist dann jedoch, dass dem Ausweisungsgrund ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.01.2009 - 1 C 2.08 - ZAR 2009, 145).
24 
2. Bei einer durch eine Straftat veranlassten Ausweisung, die tragend zur generalpräventiven Abschreckung anderer Ausländer verfügt oder aufrechterhalten wird, fehlt es im Lichte von Art. 8 EMRK in der Regel an schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wenn hierdurch ein in Deutschland nachhaltig „verwurzelter“ Ausländer betroffen wird. Die regelmäßige Unzulässigkeit von tragend generalpräventiv motivierten Ausweisungen bei dieser Personengruppe folgert der Senat in einer Gesamtschau aus den neueren Rechtsprechungslinien sowohl des Bundesverfassungsgerichts (a) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - (b) und im Übrigen auch aus der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - bezüglich Unionsbürgern (c) sowie des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen (d). Dies gilt jedenfalls seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 (e).
25 
a) Im Beschluss der Zweiten Kammer des Zweiten Senats vom 10.08.2007 (- 2 BvR 535/06, Rn. 24 f. - NVwZ 2007, 1300) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
26 
„Eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Entscheidung über die Zulässigkeit einer generalpräventiv motivierten Ausweisung setzt … voraus, dass die Ausländerbehörde die Umstände der Straftat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen sorgfältig ermittelt und eingehend würdigt. Ohne die Kenntnis von Einzelheiten der Tatbegehung und der persönlichen Situation des Betroffenen können in der Regel die Auswirkungen der Ausweisung auf die Individualinteressen nicht hinreichend sicher festgestellt und in einer einzelfallbezogenen Abwägung den die Ausweisung verlangenden Interessen der Allgemeinheit gegenübergestellt werden. … Im Grundsatz nicht anders als bei der Würdigung der von dem Ausländer künftig ausgehenden Gefahren im Rahmen spezialpräventiv motivierter Ausweisungen genügt es insbesondere nicht, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten in den Ausweisungsvorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu bestimmen.“
27 
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, mit dieser inhaltlich teilweisen Neukonturierung des Anforderungsprofils habe das Bundesverfassungsgericht der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen „nicht nur die Zähne gezogen, sondern ihr - jedenfalls was eine praktische Anwendung betrifft - gleichsam auf kaltem Wege den (endgültigen) Todesstoß versetzt“ (Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht, VerwArch 2010, 507). Denn eine generalpräventive Ausweisung, die im Grundsatz nicht anders als bei einer spezialpräventiven Ausweisung auch eine Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der Umstände der begangenen Straftat verlangt und daran anschließend eine einzelfallbezogene Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit erfordert, sei in Wahrheit nichts anderes als eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen. Da das Wesen der generalpräventiven Ausweisung vor allem darin bestehe, eine Ausweisung ohne das Abstellen auf die individuelle Gefährlichkeit des Ausländers zu ermöglichen (so schon Pagenkopf, DVBl. 1975, S. 766), könne es allenfalls noch eine „generalpräventiv motivierte“ Ausweisung geben, die jedoch zugleich auch spezialpräventiv gerechtfertigt sein müsse. Ohnehin wäre eine selbständig rechtfertigende Wirkung generalpräventiver Erwägungen mit dem Garantiegehalt der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn diese schließe es aus, den Ausgewiesenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu denaturieren und ihn als Vehikel zu benutzen, um auf andere abschreckend und damit verhaltenssteuernd einzuwirken (Mayer, a.a.O., m.w.N.). Ob dies in dieser Allgemeinheit zutrifft, kann hier offen bleiben. Jedenfalls bei nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern, die sich auf den qualifizierten Schutz von Art. 8 EMRK berufen können - was nicht notwendig zugleich eine tiefgreifende „Entwurzelung“ voraussetzt -, steht der vom Bundesverfassungsgericht besonders betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 - 1 BvR 241/77 - BVerfGE 50, 166) einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aber in der Regel entgegen. Eine tragend generalpräventiv motivierte Ausweisung stellt sich bei nachhaltig „Verwurzelten“ auch im Lichte der Ausführungen des BVerfG mithin regelmäßig als unverhältnismäßig dar, sodass es an hierfür rechtfertigenden schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung fehlt.
28 
b) Auch der Straßburger EGMR steht der Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen grundsätzlich skeptisch gegenüber. Dies ergibt sich aus seiner Rechtsprechung zu Ausweisungen, die er an Art. 8 EMRK misst. Seine sogenannten Boultif/Üner-Kriterien hat er etwa im Urteil Chair vom 06.12.2007 - 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 (Rn. 58 ff.) wie folgt zusammengefasst:
29 
„Der Gerichtshof hat bekräftigt, dass in allen Rechtssachen, die niedergelassene Zuwanderer betreffen, bei der Prüfung der Frage, ob eine Ausweisungsmaßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stand, die folgenden Kriterien heranzuziehen sind:
30 
- Die Art und Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat;
- die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll;
- die seit der Tat verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit;
- die Staatsangehörigkeit der verschiedenen Betroffenen;
- die familiäre Situation des Beschwerdeführers, wie z.B. die Dauer der Ehe, und andere Faktoren, die erkennen lassen, wie intakt das Familienleben eines Ehepaars ist;
- ob der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin von der Straftat wusste, als er bzw. sie eine familiäre Beziehung einging;
- ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und gegebenenfalls deren Alter und
- das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin in dem Land, in das der Beschwerdeführer bzw. die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen wird.
31 
Im Urteil Üner hat der Gerichtshof außerdem ausdrücklich die beiden folgenden Kriterien genannt:
32 
- Die Belange und das Wohl der Kinder, insbesondere das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen Kinder des Beschwerdeführers in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, voraussichtlich begegnen werden, und
- die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland.“
33 
Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht verlangt mithin auch der Menschenrechtsgerichtshof (angesiedelt auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung), dass für eine konventionsgemäße Ausweisung zwingend eine genaue und auf den Einzelfall bezogene Feststellung der persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen einschließlich der konkreten Umstände der begangenen Straftat getroffen und daran anschließend eine Abwägung der Individualinteressen des Ausländers mit den für die Ausweisung ins Feld geführten öffentlichen Belangen der Allgemeinheit durchgeführt wird (vgl. auch EGMR, Urteil vom 23.06.2008 - 1638/03 - Maslov). Auch dies läuft jedenfalls in rechtstatsächlicher Hinsicht sehr stark auf eine Ausweisung (nur oder nur auch) aus spezialpräventiven Gründen zu.
34 
c) Der Luxemburger EuGH hält hinsichtlich Unionsbürgern eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen schon seit 1975 für rechtswidrig, wie er erstmals im Urteil Bonsignore (Urteil vom 26.02.1975, Rs. 67/74, Rn. 7) klarstellte:
35 
„Auf die gestellten Fragen ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie Nr. 64/221 der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates entgegensteht, wenn diese zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird, das heißt, wenn sie - in der Formulierung des innerstaatlichen Gerichts - auf ‚generalpräventive‘ Gesichtspunkte gestützt wird.“
36 
Im Urteil Orfanopoulos und Oliveri (Urteil vom 29.04.2004, Rs. C-482/01 u. 493/01, Rn. 66-68) hat er dies 2004 nochmals ausführlicher dargelegt:
37 
„Maßnahmen der öffentlichen Ordnung sind nach Art. 3 der Richtlinie 64/221 nur dann gerechtfertigt, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen gestützt sind. In dieser Bestimmung heißt es, dass strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres diese Maßnahmen nicht rechtfertigen können. Wie der Gerichtshof u. a. im Urteil vom 27.10.1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 35) festgestellt hat, setzt die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
38 
Zwar kann ein Mitgliedstaat die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen, doch ist die Ausnahme der öffentlichen Ordnung eng auszulegen, so dass eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur insoweit rechtfertigen kann, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. u. a. Urteil vom 19.01.1999, Rs. C-348/96, Calfa, Rn. 22-24).
39 
Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass das Gemeinschaftsrecht der Ausweisung eines Angehörigen eines Mitgliedstaats entgegensteht, die auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt, d. h. zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer verfügt wird (vgl. u.a. Urteil Bonsignore, Rn. 7), insbesondere, wenn die Ausweisung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung automatisch verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (vgl. Urteile Calfa, Rn. 27, und Nazli, Rn. 59).“
40 
d) Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Impulse aus Luxemburg aufgegriffen und seine diesbezügliche Rechtsprechung mit Urteil vom 03.08.2004 -1 C 30.02 - auch hinsichtlich der generalpräventiv begründeten Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern geändert (BVerwGE 121, 297, Rn. 24):
41 
„Die Gefährdung kann sich im Einzelfall auch allein aufgrund des abgeurteilten Verhaltens ergeben. Es besteht aber keine dahin gehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet. Eine vom Einzelfall losgelöste oder auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützte Begründung der Ausweisung ist in jedem Fall unzulässig.“
42 
Im Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - (BVerwGE 124, 243) wurde dies nochmals bekräftigt:
43 
„Das Gemeinschaftsrecht lässt eine Ausweisung ausnahmslos nur aus spezialpräventiven Gründen zu, d.h. zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, die von dem einzelnen Ausländer persönlich ausgehen, nicht aber - tragend oder auch nur mittragend - zur (generalpräventiven) Abschreckung anderer Ausländer.“
44 
Mit Urteil vom 03.08.2004 - 1 C 29.02 - (BVerwGE 121, 315, Rn. 17) hat das Bundesverwaltungsgericht diese Grundsätze des unionsrechtlichen Ausweisungsschutzes auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige erstreckt, d.h. deren Ausweisungsschutz in gleicher Weise materiellrechtlich begründet und ausgestaltet wie für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger:
45 
„Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Übertragung der nach dem Urteil des Senats im Verfahren BVerwG 1 C 30.02 anzuwendenden Maßstäbe entgegenstehen.“
46 
Der EuGH hat die Richtigkeit dieser Entscheidung mit Urteil vom 11.11.2004 (Rs. C-467/02 - Cetinkaya) bestätigt.
47 
Seither können freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur noch ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen darf eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt und auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet; aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfen daher nicht mehr aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zwecke der Generalprävention angeordnet werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - ZAR 2010, 284). Hier kann mithin kein „dringendes Bedürfnis“ mehr angenommen werden, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus „durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten“ (so noch: BVerwG, Beschluss vom 08.05.1996 - 1 B 136.95 - InfAuslR 1996, 299).
48 
Seit der 2. EU-Osterweiterung am 01.01.2007 kommen zunächst alle Staatsangehörigen der anderen 26 Mitgliedstaaten in den Genuss dieses europarechtlichen Ausweisungsschutzes. Das sind rund 35 % aller in Deutschland lebenden Ausländer (Stand: 31.12.2009; zit. nach BAMF, Ausländerzahlen 2009, S. 12). Hinzu kommen des Weiteren wohl rund 23 % türkische Staatsangehörige (vgl. BAMF, a.a.O., S. 11), weil nur ca. 5 % der in Deutschland lebenden Türken (ca. 25 % der ausländischen Bevölkerung von insgesamt 6,7 Mio. Menschen) kürzer als sechs Jahre hier leben; über 86 % der türkischen Staatsangehörigen leben sogar länger als 10 Jahre in Deutschland (vgl. BAMF, a.a.O. S. 14). Dies bedeutet ausländerrechtlich, dass sich möglicherweise rund 95 % der hier lebenden türkischen Staatsangehörigen auf Art. 6 oder 7 ARB 1/80 berufen können (vgl. Günes, Europäischer Ausweisungsschutz, 2009, S. 49 ff.). Geht man davon aus, dass zudem ein Teil sowohl der Unionsbürger als auch der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit ebenfalls aufenthaltsrechtlich besonders geschützten Drittstaatern (vgl. Art. 27 Abs. 2 Unionsbürger-RL 2004/38/EG, Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthalts-RL 2003/109/EG und Renner/Dienelt, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 FreizügG/EU, Rn. 20 ff.) familiär verbunden ist, dürfte aufgrund insbesondere der Rechtsprechung des EuGH zwischenzeitlich möglicherweise für rund zwei Drittel aller in Deutschland lebenden Ausländer ein absolutes Verbot der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen bestehen. Dies würde deren - nach Auskunft des Beklagten und Erfahrung des Senats - heute nur noch sehr geringe Praxisrelevanz schlüssig erklären. Die Frage, ob vor diesem empirisch-europarechtlichen Hintergrund auch mangels „kontinuierlicher Verwaltungspraxis“ eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen überhaupt noch abschreckende Wirkung im Sinne einer „Verhaltenssteuerung“ entfalten kann - wofür im Übrigen die Ausländerbehörde darlegungs- und beweispflichtig wäre -, sei nur am Rande gestellt. Neuere empirische Studien hierzu hat der Senat jedenfalls nicht auffinden können.
49 
e) Die Rechtsfigur der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen beruht bis heute auf richterlicher Schöpfung, nicht aber auf einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers (vgl. GK-AufenthG, 6/2009, Vor §§ 53 ff., Rn. 1300.1, m.w.N.). Nach Überzeugung des Senats hat sie nunmehr auch bezüglich der in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländer ihre Berechtigung grundsätzlich verloren. Eine Anpassung ist erforderlich, um im Wege einer Gesamtschau insbesondere dem Schutz von Art. 8 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR noch besser gerecht zu werden und insoweit eine Angleichung mit der Rechtsprechung des EuGH zu erzielen. Die Personengruppe der nachhaltig „Verwurzelten“ steht Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen in mancherlei Hinsicht gleich. Da jedoch nach wie vor keine vollständige Identität der Rechtsstellung besteht, kann der Schutz vor einer tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung nur eine Grundregel darstellen.
50 
Anders als bei Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen kann bei „Verwurzelten“ demnach eine generalpräventiv begründete Ausweisung weiterhin ausnahmsweise zulässig sein, wenn ganz besonders schwerwiegende Delikte verwirklicht wurden, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährden. Als Maßstab aus anderen Regelungszusammenhängen kann sich - zur Fallgruppenbildung im Europäischen Rechtsraum - insoweit zum einen Art. 12 Abs. 2 der Qualifikations-RL 2004/83/EG anbieten (insbesondere „Terrorismusdelikte“; vgl. Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 3 AsylVfG Rn. 8 f.). Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es auch im europäischen Flüchtlingsrecht hier nicht auf eine gegenwärtige Wiederholungsgefahr an (EuGH, Urteil vom 09.11.2010, Rs. C-101/09 - Deutschland vs. D). Zum anderen kann der Rechtsgedanke von Art. 28 Abs. 3 Unionsbürger-RL 2004/38/EG herangezogen werden („staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte“), weil auch Unionsbürger insoweit selbst nach 10-jährigem Aufenthalt im Aufnahmestaat nur einen eingeschränkten Schutz gegen (weiterhin ausschließlich spezialpräventiv begründete) Ausweisungen genießen (EuGH, Urteil vom 23.11.2010, Rs. C-145/09 - Tsakouridis). Liegen jedoch keine vergleichbar schwerwiegenden Delikte vor, verdient derjenige, der sich in qualifizierter Weise auf Art. 8 EMRK berufen kann, insbesondere weil er in Deutschland ein nach der Rechtsprechung des EGMR nachhaltig zu schützendes Privatleben entfaltet hat, menschenrechtlich einen mit Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen vergleichbaren Ausweisungsschutz. Die weitgehende Vereinheitlichung des bisweilen nur noch schlecht überschaubaren Ausländerrechts liegt insoweit nahe.
51 
Als Stichtag bietet sich das Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon an, d.h. der 01.12.2009. Denn der Lissabon-Vertrag hebt den Prozess der europäischen Integration „auf eine neue Stufe“ (Abs. 1 EUV-Präambel) und strebt mit der Vergemeinschaftung, heute genauer „Verunionung“ (vgl. Art. 1 Abs. 3 Satz 3 EUV) der vormaligen 3. EU-Säule die Schaffung eines europaweiten „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ an, in dem - gerade auch für die Bereiche Asyl, Einwanderung und Freizügigkeit - im Wesentlichen einheitliche Standards gelten sollen (vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 ff. AEUV und das Stockholmer Programm vom 11.12.2010 - ABlEU Nr. C 115/1). Auch wird mit dem gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV angestrebten Beitritt der neu verfassten EU zur EMRK diese Konvention normhierarchisch gewissermaßen auf die höchste Stufe gestellt. Selbst das bezüglich allen nationalen Rechts anwendungsvorrangige Unionsrecht wird künftig vom EGMR am Maßstab der EMRK gemessen und, trotz EU-Grundrechtecharta, gegebenenfalls als menschenrechtswidrig eingestuft. Damit wird durch den Lissabon-Vertrag klargestellt - und mit dessen Ratifikation auch von der Bundesrepublik angestrebt -, dass in Sachen Menschenrechtsschutz der Straßburger EGMR europaweit „das letzte Wort“ haben soll (ausführlich: Bergmann, Diener dreier Herren? - Der Instanzrichter zwischen BVerfG, EuGH und EGMR, EuR 2006, S. 101). Der Straßburger Rechtsprechung ist deshalb seit 01.12.2009 noch größeres Gewicht beizumessen. Seit 01.12.2009 muss bei der dogmatischen Durchdringung und Fortbildung des mitgliedstaatlichen Rechts vom „Europäischen Rechtsraum“ her gedacht werden (v. Bogdandy, Perspektiven einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Handlexikon der EU, 4. Aufl., Baden-Baden, sowie JZ 2011, S. 4).
52 
Als diesbezügliches Vorbild für die Erstreckung des grundsätzlichen Verbots der generalpräventiven Ausweisung auf nachhaltig „verwurzelte“ Ausländer ab 01.12.2009 sieht der Senat die rechtspolitisch in gleiche Richtung weisende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur allgemeinen Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung. Mit Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28.08.2007 – nach der Geltung für Unionsbürger und sodann für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige – nunmehr bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist, was insoweit zu einer Rechtsvereinheitlichung in dem durch EGMR- und EuGH-Rechtsprechung geprägten Europäischen Rechtsraum geführt hat.
53 
3. Der Kläger ist ein in Deutschland „verwurzelter“ Ausländer und kann sich auf den Schutz von Art. 8 EMRK berufen. Der EGMR geht von einem weiten Begriff des Privatlebens aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“ sowie das „Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln“ und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts - hier Deutschland - „gewachsenen Bindungen“ umfasst. Maßgebend ist, ob der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum Aufnahmestaat verfügt (vgl. die im Senatsurteil vom 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - referierte EGMR-Rechtsprechung). Im konkreten Einzelfall des Klägers ist dies nach Auffassung des Senats gegeben. Der Kläger lebt nunmehr bereits seit 14 Jahren im Bundesgebiet. Seine gesamte berufliche Entwicklung ist hier erfolgt. Hier leben enge Familienangehörige und sein Freundeskreis. Hier hat er einen Arbeitsplatz, der ihn ohne ergänzenden Sozialleistungsbezug unterhält. Hier verlebt der Kläger sein Privatleben mit seiner deutschen Partnerin.
54 
Auf die Frage der zugleich tiefgreifenden „Entwurzelung“ kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Denn auch der diesbezügliche Ausweisungsschutz von Unionsbürgern und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen besteht unabhängig davon, ob die Sprache der früheren Heimat beherrscht wird oder ob dort etwa noch Verwandte bzw. Bekannte leben. Solche Umstände können allerdings (insbesondere auf der Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung) einen noch weitergehenden Schutz gegenüber einer ausnahmsweise generalpräventiv oder aber spezialpräventiv motivierten Ausweisung begründen.
55 
Damit greift bezüglich des Klägers die oben dargelegte Regel des Verbots der tragend auf generalpräventive Gründe gestützten Ausweisung. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dieser Regel vorliegen (Terrorismus, staats- oder gesellschaftsgefährdende Delikte), ist seine Ausweisung gesperrt. Anders formuliert fehlt es damit im konkreten Einzelfall an den für die Ausweisung erforderlichen „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Sinne von § 54 Nr. 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Die allein auf generalpräventive Motive gestützte Ausweisung des Klägers ist also im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat rechtswidrig.
II.
56 
Ist die angefochtene Ausweisung aufzuheben, entfällt die nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 50 Abs. 1 AufenthG entstandene Ausreisepflicht und die dem Kläger am 28.10.2004 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgilt, lebt wieder auf. Demgemäß ist auch die im Bescheid vom 23.06.2009 verfügte unselbständige Abschiebungsandrohung aufzuheben, soweit sie sich nach der Haftentlassung nicht erledigt hat. Denn Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist eine bestehende Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG (ebenso: Nds. OVG, Urteil vom 10.03.2011 - 8 LB 153/09 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 20.02.2009 - 18 A 2620/08 - juris).
57 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
58 
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat und die Frage der Möglichkeit einer Ausweisung bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Gründen zur Herstellung einer bundeseinheitlichen Rechtslage vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden sollte. Das Bundesverwaltungsgericht ging bisher in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Straftat als Ausweisungsgrund im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG regelmäßig auch bei „verwurzelten“ Ausländern aus generalpräventiven Erwägungen als besonders schwerwiegend bewertet werden und ein öffentliches Interesse an der Ausweisung des Ausländers begründen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25/03 - BVerwGE 121, 356; hierauf sich berufend etwa Bay. VGH, Beschluss vom 31.01.2011 - 10 ZB 10.2868 - juris).
59 
Beschluss vom 18. März 2011
60 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
61 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Streitwert beträgt höchstens 30 Millionen Euro, soweit kein niedrigerer Höchstwert bestimmt ist.