Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger ficht einen Schmutzwasseranschlussbeitragsbescheid an.

2

Er ist durch Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Wismar vom 9. Dezember 2011 Eigentümer des Gebäudeeigentums am Grundstück in der M.straße a in N. geworden. Das Grundstück besteht nunmehr aus dem 797 m² großen Flurstück d der Flur z, Gemarkung N.. Das Flurstück ist durch Verschmelzung der Flurstücke b und c entstanden, was im – 25. Juni 2014 geschlossenen - Grundbuch von N., Blatt e, im April 2012 berichtigt wurde. Zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids war der Kläger weiterhin Gebäudeeigentümer (damaliges Gebäudegrundbuch von N., Blatt f) und Inhaber des dinglichen Nutzungsrechts an diesem Grundstück. Beide Eigentumsrechte wurden am 25. Juni 2014 durch Aufhebung des gesonderten Gebäudeeigentums vereinigt und zwei andere Personen – wohl Eheleute - nach Auflassung am gleichen Tag als („normale“) Grundstückseigentümer eingetragen.

3

Mit Schreiben vom 21. August 2006 war das Amt N.-Warin für die Stadt N. als damalige Eigentümerin des Grundstücks, für das das dargestellte dingliche Nutzungsrecht des Eigentümers des Gebäudes auf dem Grundstück besteht, von der Beklagten zur beabsichtigten Erhebung von Herstellungsbeiträgen zur „Schmutzwassererschließung“ für das Grundstück angehört worden.

4

Die Beklagte erhob mit Bescheid über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 9. August 2012 vom Kläger, der darin als „Nutzungsberechtigter“ bezeichnet wird, einen solchen Beitrag in Höhe von 2.479,70 €.

5

Im gleichen Monat legte der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2013 zurückwies. Auch dort wird davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheids als Nutzungsberechtigter des veranlagten Grundstücks Beitragspflichtiger gewesen und es bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids sei.

6

Am 13. Februar 2013 hat der Kläger daraufhin Klage erhoben, mit der er vorträgt:

7

Er sei Eigentümer des Grundstücks.

8

Ein Anschluss an die öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage sei vor mehr als 20 Jahren erfolgt. Nach alledem sei zwischenzeitlich Festsetzungsverjährung eingetreten.

9

Offensichtlich sei der Verwaltungsvorgang nicht vollständig. Es gebe keine Vorgänge zwischen dem 21. August 2006 und dem 27. Januar 2012 in der Akte.

10

Die Stadt N. sei mit Schreiben vom 21. August 2006 bereits zur Zahlung der Herstellungsbeiträge zur Schmutzwassererschließung herangezogen worden.

11

An der bisher üblichen Rechtsprechung zur Festsetzungsverjährung sei nicht weiter festzuhalten. Die zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben sei ausweislich des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (1 BvR 2457/08) verfassungswidrig. Auf die weiteren Ausführungen in den Schrift-sätzen vom 22. April und 23. Mai 2013 wird verwiesen.

12

Der Kläger beantragt,

13

den Beitragsbescheid der Beklagten vom 9. August 2012 und ihren Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2013 aufzuheben.

14

Die Beklagte beantragt,

15

die Klage abzuweisen,

16

und trägt dazu vor:

17

Die Festsetzungsverjährungsfrist von vier Jahren beginne erst zu laufen, wenn die Beitragspflicht dem Grunde nach entstanden sei. Dies setze eine rechtmäßige Satzung voraus, die erst seit 2010 zur Verfügung stehe.

18

Es seien keine weiteren Unterlagen bezüglich des Grundstücks vorhanden. Es seien keine weiteren Anschlussbeitragsbescheide hinsichtlich des Grundstücks ergangen. Die Anhörung der Stadt N. habe nicht in eine Bescheidung gemündet, mutmaßlich, da sodann neuerlich Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Satzung aufgekommen seien. Der Vorgang sei vielmehr so lange nicht ergänzend bearbeitet worden, bis Satzungsklarheit bestanden habe.

19

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26. Juli 2016 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

20

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.

21

Der Schmutzwasseranschlussbeitragsbescheid der Beklagten vom 9. August 2012 ist – ebenso wie ihr Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2013 – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

22

A) Der Beitragsbescheid kann sich auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen.

23

I. Das Gericht ist seit seiner Entscheidung vom 10. Oktober 2011 (Az. 8 A 560/10, juris) der Auffassung, dass der beklagte Zweckverband mit der Satzung vom 3. März 2010 - hier in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 25. April 2012, die lediglich § 3 neu gefasst hat - über wirksames Satzungsrecht zur Erhebung von Schmutzwasseranschlussbeiträgen verfügt.

24

Die Kammer hat dazu im – wenngleich nicht rechtskräftigen - Urteil vom 11. April 2013 (4 A 1250/12) ausgeführt:

25

„Der Zweckverband, die Körperschaft des Beklagten, ist rechtlich existent. Sie (Er, Anm. des erkennenden Gerichts) verfügt über eine wirksame Satzung zur Erhebung von Beiträgen. Diese Satzung entspricht den Vorgaben des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern (KAG M-V), das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern selbst verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

26

Zur Gründung und Existenz des Beklagten (des Zweckverbands, Anm. des erkennenden Gerichts), hat das Gericht schon in seiner Entscheidung vom 15. März 2011 (siehe unten, 8 A 547/11, dokumentiert bei juris) Stellung genommen, daran hält das Gericht weiter fest. Ebenso hält das Gericht an seinen Ausführungen zur Wirksamkeit der beschlossenen Beitragssatzung fest. Es handelt sich … um die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes.

...

27

Nach § 9 Abs. 3 KAG M-V entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber in der Gesetzesnovelle von 2005 klargestellt, was zuvor seit 1999 ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Greifswald war, dass Beiträge nur erhoben werden können, wenn sie auf eine rechtswirksame Satzung verweisen können (OVG Greifswald, Besch[l]. v. 08.04.1999 – 1 M 41/99). Dies hat die Kammer seit jeher ebenso gesehen ...

28

29

3. Wie das Verwaltungsgericht Schwerin in ständiger Rechtsprechung entschieden hat,

30

- vgl. … etwa VG Schwerin, Urt. v. 10. Oktober 2011 – 8 A 560/10 – juris, Rn. 88 ff. mwN -

31

entspricht die den angegriffenen Bescheiden nunmehr zugrunde liegende Beitragssatzung Schmutzwasser (BSSW 2010) des Zweckverbandes in der Fassung vom 3. März 2010 den Vorgaben höherrangigen Rechts, insbesondere dem Kommunalabgabengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern(,) und ist damit wirksam.

32

a) Sie enthält die nach § 2 Abs. 1 KAG M-V vorgeschriebenen Mindestbestandteile. Die in den drei Urteilen des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 22. Januar 2010 - 8 A 1364/09, 1366/09 und 1369/09 - (letzteres … [ist] veröffentlicht [in] juris, Rn. 14 ff.) monierten Regelungen der Beitragssatzung Schmutzwasser in der Fassung vom 7. Mai 2009 (BSSW 2009) sind beseitigt bzw. ergänzt worden. Die Widersprüchlichkeit der Vorschriften der Satzung in § 6 Abs. 4 c) BSSW 2009 einerseits und § 6 Abs. 5 f) BSSW 2009 andererseits bezüglich der Zahl der Vollgeschosse, sofern solche nicht feststellbar sind, ist durch Streichung des § 6 Abs. 4 c) BSSW 2009 beseitigt worden. Die weiterhin beanstandete Bestimmung des § 6 Abs. 5 e) Satz 3 BSSW 2009 bezüglich von vor dem 30. April 1994 entsprechend bisherigen Rechts errichteten Gebäuden ist um folgenden Satz ergänzt worden:

33

"[...]; weisen die in einem solchen Gebäude vorhandenen Geschosse schräge Wände auf, gelten sie dann als Vollgeschoss, wenn sie über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche die lichte Höhe des darunter liegenden Geschosses aufweisen."

34

Damit hat der Satzungsgeber eine bestimmbare lichte Höhe für weitere Vollgeschosse festgelegt, die als sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung mit nach dem genannten Stichtag errichteten Gebäuden erscheint oder diese jedenfalls relativiert. Solche oder ähnliche Bestimmungen bei anderen Zweckverbänden sind von der Kammer in der Vergangenheit nicht beanstandet worden.

35

b) ... [Es] wird gegen die Bestimmung des Gegenstandes der Beitragspflicht in § 3 BSSW geltend gemacht, Absatz 2 dieser Vorschrift sei kein Auffangtatbestand, sondern die gegenüber Absatz 1 speziellere Regelung. Diese Bestimmungen lauten:

36

(1) Der Beitragspflicht zur Deckung des Aufwandes nach §§ 1 Abs. 2 und 2 Abs. 1 Satz 1 unterliegen alle Grundstücke, die an die betriebsfertige öffentliche Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung des ZvWis tatsächlich angeschlossen sind bzw. angeschlossen werden können und

37

a) für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist, sobald sie bebaut oder gewerblich genutzt werden dürfen oder

38

b) für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, wenn sie nach der Verkehrsanschauung Bauland sind und sie nach der geordneten baulichen Entwicklung der Verbandsmitgliedsgemeinde zur Bebauung oder gewerblichen Nutzung anstehen oder

39

c) wenn sie bebaut sind.

40

(2) Wird ein Grundstück an die öffentliche Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung des ZvWis tatsächlich angeschlossen, so unterliegt es der Beitragspflicht auch dann, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht erfüllt sind.

41

(3) […]

42

Das Gericht vermag die rechtliche Relevanz dieses Vortrags nicht zu erkennen. Es hat bereits im Urteil vom 10. Oktober 2011 (juris Rn. 94) entschieden, dass die genannten Bestimmungen nicht nichtig sind, weil unklar sein könnte, wie diese Vorschrift sich zu den Absätze 1 und 2 in § 3 BSSW 2010 verhalte. § 3 Abs. 2 BSSW 2010 stelle eine Auffangvorschrift für den Fall dar, dass das Grundstück eines Eigentümers tatsächlich angeschlossen ist, obgleich die Vorgaben des § 3 Abs. 1 BSSW 2010 nicht erfüllt seien. Lediglich in diesem Fall sei ein Beitrag zwingend zu erheben. Dies ist auch vor-teilsgerecht, weil das angeschlossene Grundstück von den Vorteilen der Schmutzwasseranlage des Zweckverbandes profitiert. Auch das OVG M-V hat eine solche Regelung in einer Schmutzwasserbeitragssatzung eines anderen Zweckverbandes nicht beanstandet.

43

Vgl. zur Schmutzwasserbeitragssatzung Parchim/Lübz vom 14. Dezember 2006: OVG M-V, Urt. v. 14. September 2010 – 4 K 12/07 und - 4 K 10/4 K 10/07 -, juris Rn. 33 ff. bzw. Umdruck, S. 14 (unter f)).

44

c) ... (D)ie Vollgeschossregelung in § 6 Abs. 5 BSSW 2010 (ist) nicht zu beanstanden. Die Vorschrift lautet im Kontext mit Absatz 4:

45

(4) Der Nutzungsfaktor eines Grundstückes wird anhand der Zahl der Vollgeschosse eines Gebäudes wie folgt bewertet:

46

a) das 1. Vollgeschoss mit dem Nutzungsfaktor 1,0;

47

b) jedes weitere Vollgeschoss mit dem Nutzungsfaktor 0,5;

48

c) abweichend von den Buchstaben a) und b) wird Gemeinbedarfs- bzw. Grünflächengrundstücken, für die im B-Plan oder im Vorhaben bezogenen B-Plan eine sonstige Nutzung festgesetzt ist und deren Fläche aufgrund ihrer Zweckbestimmung nur zum untergeordneten Teil mit Gebäuden bebaut sind oder bebaut werden dürfen (Friedhöfe, Freibäder, Sportplätze, Parkanlagen) ein Nutzungsfaktor von 0,3, für Campingplätze ein Nutzungsfaktor von 0,5 zugeordnet.

49

(5) Als Zahl der Vollgeschosse nach Abs. 4 gelten:

50

a) soweit ein B-Plan oder ein Vorhaben bezogener B-Plan besteht, die im B-Plan oder im Vorhaben bezogenen B-Plan festgesetzte höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse;

51

b) soweit in einem B-Plan oder Vorhaben bezogenen B-Plan die Zahl der Vollgeschosse nicht, sondern nur die höchstzulässige Höhe der baulichen Anlagen bestimmt ist, die durch 2,6 geteilte höchstzulässige Gebäudehöhe, wobei nach kaufmännischen Regeln Beitragssatzung Schmutzwasser auf ganze Zahlen auf- oder abgerundet wird. Soweit in einem B-Plan oder Vorhaben bezogenen B-Plan weder die Zahl der Vollgeschosse noch die höchstzulässige Gebäudehöhe, sondern nur eine Baumassenzahl bestimmt ist, die durch 2,6 geteilte höchstzulässige Baumassenzahl, wobei nach kaufmännischen Regeln auf ganze Zahlen auf- oder abgerundet wird. Ist in einem B-Plan oder Vorhaben bezogenen B-Plan die Zahl der Vollgeschosse nicht, jedoch sowohl die höchstzulässige Gebäudehöhe als auch die höchstzulässige Baumassenzahl bestimmt, ist die höchstzulässige Gebäudehöhe maßgeblich;

52

c) soweit kein B-Plan oder Vorhaben bezogener B-Plan besteht oder in einem solchen Plan weder die Zahl der Vollgeschosse, noch der höchstzulässigen Gebäudehöhe, noch die höchstzulässige Baumassenzahl angegeben sind

53

- bei bebauten Grundstücken die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse,

54

- bei unbebauten Grundstücken die Zahl der in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse,

55

d) […]

56

e) Als Vollgeschosse gelten alle Geschosse, deren Deckenoberkante im Mittel mehr als 1,40 m über die Geländeoberfläche hinausragt und die über mindestens zwei Drittel der Grundfläche des darunter liegenden Geschosses oder, wenn kein darunter liegendes Geschoss vorhanden ist, zwei Drittel ihrer Grundfläche eine lichte Höhe von mindestens 2,30 m haben. Zwischenböden und Zwischendecken, die unbegehbare Hohlräume von einem Geschoss abtrennen, bleiben bei der Anwendung von Satz 1 unberücksichtigt […].

57

Diese Satzungsbestimmung wird ... unter Hinweis auf unterschiedliche bauplanungsrechtliche Festsetzungen in Bebauungsplänen im Zweckverbandsgebiet insoweit beanstandet, als bei fehlenden Angaben zur Anzahl der Vollgeschosse in den Bebauungsplänen (I, II usw.) keine anderen Parameter wie First- oder Traufhöhe (FH, TH) genannt werden. Ferner bleibe unklar, was gelte, wenn in einem Bebauungsplan ohne Angabe von Vollgeschossen sowohl First- als auch Traufhöhe bezeichnet würde. Damit werde dem Beklagten ein Ermessen eingeräumt, was unzulässig sei.

58

aa) Die genannte Bestimmung ist weder zu unbestimmt noch vorteilswidrig. Fehlt es im Bebauungsplan an einer Festlegung der Vollgeschosse, gilt zunächst § 6 Abs. 5 b) BSSW 2010. Danach ist auf die bauplanungsrechtlich höchstzulässige Höhe der baulichen Anlage abzustellen. Die Anzahl der Vollgeschosse wird durch den Divisor 2,6 mit kaufmännischer Rundung ermittelt. Höchstzulässige Höhe ist jedenfalls die Firsthöhe sowie die klägerseitig genannte (ggf. maximale) Oberkante einer baulichen Anlage (OK [max]). Die festgesetzte Firsthöhe ist eine Gesamthöhe

59

- so auch Dürr/Sauthoff, Baurecht Mecklenburg-Vorpommern, 1. Aufl. 2006, Rn. 394 -

60

und damit die höchstzulässige Gebäudehöhe im satzungsrechtlichen Sinn. Danach ist es möglich, über die Traufhöhe, also dem Schnittpunkt zwischen Außenwand und Dach (vgl. Dürr/Sauthoff, aaO) hinaus noch einen First zu errichten. Zwar mag es zulässig sein, bis zur Trauf- oder Firsthöhe ein Gebäude mit einem Flachdach zu errichten, sofern weitere bauplanungsrechtliche Vorgaben (etwa hinsichtlich der Dachform) fehlen. Allerdings dürfte auch dann eine Firsthöhe vorhanden sein, weil dieses Dach leicht geneigt sein muss, damit das Regenwasser abfließen kann. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist, dass bauplanungsrechtlich die Möglichkeit besteht, bis zur Firsthöhe zu bauen. Unter Berücksichtigung der baulichen Ausnutzbarkeit der konkreten bauplanungsrechtlichen Vorgaben ist von der Firsthöhe als höchstzulässige Höhe auszugehen. Ob sich daraus ein (oder mehrere) Vollgeschoss(e) im Sinne der Satzungsdefinition des § 6 Abs. 5 e) BSSW 2010 ergeben, ist dann eine Frage der Anwendung der Satzung im Einzelfall.

61

bb) Sofern sich die Firsthöhe nicht aus dem Bebauungsplan ergibt, greift die Auffangregelung des § 6 Abs. 5 c) BSSW 2010, da sich in diesen Fällen keine höchstmögliche Gebäudehöhe ermitteln lässt. Demnach wäre nach dieser Vorschrift entweder auf bebauten Grundstücken die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse oder bei unbebauten Grundstücken die in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse maßgebend. Ein Auswahlermessen steht dem Beklagten insoweit nicht zu.

62

cc) Soweit darauf hingewiesen wird, in einem Bebauungsplan (Nr. 3 der Gemeinde G.) sei im Gewerbegebiet eine Gebäudehöhe im Höchstmaß über HN [= Höhennull] mit 101 m genannt, ist klarzustellen, dass es sich bei HN um den in der DDR gebräuchlichen Bezugspunkt für das Höhensystem gehandelt hat (dem sog. Kronstädter Pegel), der – mit späteren Änderungen – im Wesentlichen auf dem mittleren Meeresspiegel des Finnischen Meerbusens abstellte.

63

Näher: Kronstädter Pegel, in: www.wikipedia.de

64

Demnach ist von den festgesetzten 101 m über HN die jeweilige im Bebauungsplan auch mitgeteilte Geländehöhe abzuziehen. Im konkreten Bebauungsgebiet wären dies ca. 85 m, so dass Gebäude von maximal 16 m Höhe errichtet werden dürften. Dies ergäbe sechs Vollgeschosse.

65

cc) [dd, Anm. des erkennenden Gerichts] Der Bebauungsplan Nr. 5 der Gemeinde G. enthält die Festsetzung maximale Oberkante (OK max) für Windkrafträder (WEA) 100 m. Dies ist für die beitragsrechtliche Bestimmung der Vollgeschosse unerheblich. Nach § 6 Abs. 4 BSSW 2010 sind für die Berechnung des Beitrags nur die Vollgeschosse von Gebäuden maßgebend. Dies hat auch nach Inhalt, Regelungszusammenhang und Zweck der Satzungsbestimmung für die nachfolgenden Vorschriften zu gelten, selbst wenn dort von ‚baulichen Anlagen’ die Rede ist. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V sind Gebäude u. a. geeignet oder bestimmt, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen. Windkrafträder sind demnach zwar bauliche Anlagen, aber ersichtlich keine Gebäude.

66

d) Die Kalkulation des in § 7 Abs. 1 SWBS festgesetzten Beitragssatz in Höhe von 3,10 € je Quadratmeter anrechenbarer Nutzfläche begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.

67

aa) Das Gericht ist bei der Prüfung der Gültigkeit einer angegriffenen Satzung einerseits nicht auf die von Klägerseite geltend gemachten Mängel beschränkt. Sind objektiv mehrere Rechtsfehler vorhanden, so ist das Gericht insbesondere nicht verpflichtet, jeden dieser Rechtsfehler zu ermitteln und darauf seine Entscheidung zu stützen. Das gerichtliche Verfahren dient nicht - wie etwa ein behördliches Anzeige- oder Genehmigungsverfahren - einer umfassenden Prüfung der Rechtslage unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt.

68

Vgl. BVerwG, Beschl. v. 20. Februar 2001 – 4 BN 21.01 -, juris Rn. 12 für das Normenkontrollverfahren.

69

Andererseits untersucht das Gericht die Kalkulation nur insoweit auf Rechtsfehler, als solche von den Beteiligten substantiiert geltend gemacht werden. Das Gericht geht diesbezüglich nicht ‚ungefragt auf Fehlersuche’.

70

Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 17. April 2002 – 9 CN 1.01 -, juris LS 2 und 3 und Rn. 43 mwN.

71

Bei Beachtung dieser Vorgaben gilt im vorliegenden Fall Folgendes:

72

bb) Bereits im zitierten Urteil vom 22. Januar 2010 (juris Rn. 26 ff.) hat das Gericht ausführlich zur Kalkulation der Beitragsatzung Schmutzwasser 2009 Stellung genommen und keine Fehler festgestellt. Darauf wird zunächst hingewiesen. In diesem Zusammenhang sind auch die Flächenermittlungen des Zweckverbandes erörtert und nicht beanstandet worden. Daran ist festzuhalten. Einzelne Flächenermittlungen werden im vorliegenden Fall auch nicht substantiiert angegriffen.

73

cc) ... [Es] wird weiter die Auffassung vertreten, dass mit der (rechtlichen oder faktischen) Einbeziehung von aus DDR-Zeiten übernommenen Altanlagen in die Schmutzwasserbeseitigungsanlage diese Anlagen beitragsrechtlich als hergestellt gelten müsste. Diese Auffassung ist unzutreffend. Die Sanierung alter (zu DDR-Zeiten errichteter) Schmutzwasserkanäle bewirkt beitragsrechtlich keine Verbesserung im beitragsrechtlichen Sinne. Sie ist lediglich ein unselbständiger Kostenfaktor, der in die Beitragskalkulation einfließt und über den Herstellungsbeitrag bzw. über Kanalbenutzungsgebühren abgegolten wird.

74

Vgl. OVG M-V, Beschl. v. 21. April 1999 – 1 M 12/99-, juris LS 4 und Rn. 22; Urt. v. 18. Oktober 2005 – 1 L 197/05 -, juris Rn. 17 mwN.

75

Nur für Investitionen, die nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland erfolgt sind, können Herstellungsbeiträge erhoben werden.

76

Vgl. näher Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Erl. 2.5.2.2 mwN aus der Rechtsprechung des OVG M-V.

77

Durch die auf neuer Rechtsgrundlage neu geschaffene öffentliche Einrichtung ‚Schmutzwasserentsorgung’ wird allen angeschlossenen bzw. anschließbaren Grundstücken erstmals der gleiche rechtlich dauerhaft abgesicherte Vorteil verschafft. Dies gilt sowohl für ‚Altanschließer’ als auch für neu angeschlossene Grundstücke.

78

Vgl. OVG M-V, Beschl. vom 06. Februar 2007 - 1 L 295/05 -, juris, Rn. 12 mwN; Urt. v. 13. November 2001 - 4 K 16/00 - juris Rn. 58 ff. unter Hinweis auf den Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 - NordÖR 1999, 302 = juris Rn. 16 ff.

79

Diese Rechtsprechung wurde vom Landesgesetzgeber bei der Novellierung des KAG M-V 2005 unter Hinweis auf seine Bindung an den Gleichheitssatz aufgenommen und berücksichtigt (LtDrs 4/1307, S. 48). Nach allem ist auch bei einem bereits vorhandenen Anschluss an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage von einer Wertsteigerung des betroffenen Grundstücks auszugehen.

80

Da die Alt- und Neuanschließer durch den Anschluss an die Schmutzwasseranlage die gleichen Vorteile genießen, sind ... auch die Kosten der technischen Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten erstellten Schmutzwasseranlagen aus der aktuellen Beitragskalkulation einzubeziehen. In den beiden (nicht veröffentlichten) Urteilen vom 22. Januar 2010 - 8 A 1364/09 und 1366/10 - hat das Gericht diesbezüglich hinsichtlich der Beitragskalkulation ergänzend ausgeführt, dass die

81

‚nach 1990 durchgeführte (technisch betrachtet) Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten erbauten Anlageteilen beitragsrechtlich gesehen keine Erneuerung [ist], sondern erstmalige Herstellung einer Anlage im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V. Deshalb bedarf es insoweit auch keiner Beitragssatzung über Erneuerungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V. Nur wenn diese Anlagenteile danach nochmals erneuert werden, sind die dadurch verursachten Kosten Erneuerungskosten, die beitragsrechtlich nicht als Herstellungsaufwand berücksichtigt werden dürfen.’

82

Danach durfte der Zweckverband die gelegentlich... monierte Einstellung von Kosten für die die technische Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten hergestellten Kanalsystemen bei der Beitragskalkulation als Herstellungskosten berücksichtigen.

83

Der in der Schmutzwasserbeitragssatzung festgelegte einheitliche Beitragssatz für alt und neu angeschlossene Grundstücke verletzt auch nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. das Willkürverbot, sondern ist sogar geboten. Dieser Beitragssatz gilt gleichermaßen für die sogenannten Altanschließer, d.h. Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des ersten Kommunalabgabengesetzes (KAG 1991) an die Schmutzwasserentsorgung angeschlossen waren, und für danach (neu) angeschlossene Grundstücke. Dies Ergebnis entspricht sowohl der Rechtsprechung der Kammer als auch derjenigen des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern.

84

Vgl. OVG M-V, Urt. v. 6. Februar 2007 – 1 L 295/05 -, juris Rn. 7; Urt. v. 13. Dezember 2011 – 1 L 192/08 – juris LS und Rn. 16 ff. je mwN; VG Schwerin, Urteile v. 21. Mai 2008 - 8 A 2429/05 –, v. 22. Januar 2010 – 8 A 1369/09 – juris Rn. 39 mwN; v. 27. Mai 2011 – 8 A 898/10 -, juris Rn. 65 ff. und vom 10. Oktober 2011 – 8 A 560/10 – juris, Rn. 163 ff.

85

dd) Die Klägerseite beanstandet weiter, dass die mit Übernahme von Altanlagen in die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Zweckverbandes im Rahmen der Gebührenkalkulation vereinnahmten Abschreibungen bei der Beitragskalkulation keine Berücksichtigung finden. Dies sei fehlerhaft, weil der Zweckverband solche Anlagen kostenfrei übernommen habe und führe dazu, dass Beitragszahler jedenfalls zeitweise diese Anlagen doppelt bezahlten.

86

(1) Diese Auffassung ist unzutreffend. Soweit ... unter Hinweis auf Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt (OVG LSA, Beschl. v. 7. November 2001 – 1 L 152/01 – n. v.) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (Nds OVG, Urt. v. 25. September 1980 – 3 C 2/79 juris nur LS = KStZ 1981, 193 ff.) vorgetragen wird, es seien die gebührenrechtlich erwirtschafteten Abschreibungen bei der Bemessung des Beitrages abzuziehen, vermag das Gericht diesem nicht zu folgen. Dabei wird zunächst übersehen, dass abweichend von § 7 Abs. 1 KAG M-V nach § 6 Abs. 1 KAG LSA Beiträge nur erhoben werden dürfen, „soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist“. In diesem Zusammenhang mag in Betracht kommen, erwirtschaftete Abschreibungen beitragsrechtlich zu berücksichtigen. Eine solche Regelung gibt es aber nicht im Kommunalabgabenrecht Mecklenburg-Vorpommerns und stellt auch kein allgemeines kommunalabgabenrechtliches Prinzip dar. Abgesehen davon hat das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in der genannten Entscheidung einschränkend ausgeführt:

87

‚[…] Der Vorbehalt in § 6 Abs 1 S 1 KAG LSA, wonach die Erhebung von Beiträgen nur zulässig ist, soweit der Finanzbedarf durch Gebühren nicht gedeckt ist, soll nur verhindern, dass eine Gemeinde Beiträge erhebt, obwohl sie durch das Aufkommen aus einer nach dem Wiederbeschaffungszeitwert kalkulierten Abwassergebühr Rücklagen für die Finanzierung der Investitionskosten gebildet hat. Sofern der Investitionsaufwand in die Gebührenkalkulation nur über die Abschreibungssätze für die voraussichtliche (Rest-) Nutzungsdauer Eingang findet, hat er auf den festgesetzten Beitragssatz keinen Einfluss. […]’

88

OVG LSA v. 7. November 2001 – 1 L 152/01 – (n. v.), S. 5. – Hervorhebung durch das Gericht.

89

Ähnlich hat das OVG LSA im Beschluss vom 1. Juli 2003 – 1 M 492/02 -, juris LS 2 und Rn 15 dargelegt:

90

‚Neben der Sache liegt der Einwand der Antragstellerin, es sei nicht erkennbar, dass bei der Beitragsbemessung der durch Gebühren gedeckte Aufwand abgezogen worden sei. Zwar bestimmt § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, dass Beiträge nur erhoben werden dürfen, soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist. Diese Bestimmung soll verhindern, dass die Gemeinde den Aufwand, der in der Vergangenheit bereits ganz oder teilweise durch das Ansammeln von Abschreibungserlösen abgedeckt hat, nunmehr über die Erhebung von Beiträgen nochmals verteilt. Aus dieser Zweckbestimmung ergibt sich zugleich, dass diese Abschreibungserlöse jedenfalls bei der Kalkulation von Herstellungsbeiträgen, um die es im vorliegenden Fall geht, nicht abgezogen werden müssen. Es ist vielmehr sachgerecht, Abschreibungserlöse durch eine Minderung des Beitragsaufwands nur denjenigen zugute kommen zu lassen, die in der Vergangenheit durch die Zahlung der Gebühren für die Inanspruchnahme der öffentlichen leitungsgebundenen Einrichtung dazu beigetragen haben, dass das Kapital für die beitragsfähige Maßnahme in Form der Abschreibungserlöse zur Verfügung steht und nicht (gänzlich) über Beiträge beschafft werden muss.[…]’

91

Das ... Urteil des Nds. OVG enthält über die Frage der Berechnung der Abschreibung hinaus zu der Anrechnung von kalkulatorischen Abschreibungen bei der Kalkulation von Beiträgen keine Aussage. Die kostenlose Übernahme von Altanlagen lässt die gebührenrechtliche Möglichkeit der Abschreibung demnach unberührt.

92

Vgl. auch OVG Thüringen, Beschl. v. 6. April 2005 – 4 ZKO 78/02 -, juris Rn. 3 mwN.

93

(2) Auch in Mecklenburg-Vorpommern sind im Beitrag[s]recht für leitungsgebundene Anlagen in der Kalkulation keine Abschreibungen vorzunehmen. Im hier maßgebenden Anschlussbeitragsrecht ist gemäß § 9 KAG M-V bei der Kalkulation der Aufwand für die Anschaffung und Herstellung der notwendigen öffentlichen Einrichtungen zur leitungsgebunden Versorgung mit Wasser oder Abwasserentsorgung anzusetzen. Der Aufwand ist nach den Kosten zu ermitteln. Abschreibungen sind dabei nicht vorzunehmen. Dies folgt auch aus Nr. 5.1.1 des Einführungserlasses des Innenministeriums vom 14. Juni 2005 – II 330 – 179-00-06 – (abgedruckt bei Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Anhang 1).

94

Abschreibungen von Anlagewerten sind zwar nach § 6 Abs. 2 KAG M-V bei der Ermittlung der Gebührensätze u. a. nach Maßgabe des dortigen Absatz 2a zu berücksichtigen. Danach sind kalkulatorische Abschreibungen auf die um Beiträge und Zuschüsse Dritter reduzierte Anlagenwerte (Anschaffungs- und Herstellungskosten) vorzunehmen(.) Unzutreffend ist insoweit die klägerische Annahme, die über die Gebühren realisierten Abschreibungen für kostenlos übernommene Anlagen seien beim Beitragsaufwand abzuziehen. Maßgebend ist allein, dass nach den gesetzlichen Vorgaben der Aufwand in die Kalkulation einzustellen ist. Ob die Berechnung der Abschreibungen fehlerhaft ist, ist ggf. bei der Überprüfung der Gebührenkalkulation in einem Verfahren zum Gebührenrecht zu prüfen.

95

(3) Soweit ... darauf verwiesen wird, dass der Zweckverband Altanlagen kostenlos übernommen ... und trotzdem Abschreibungen in der Gebührenkalkulation eingestellt hat, weist das Gericht auf Folgendes hin:

96

Nach ständiger Rechtsprechung des OVG M-V, dem das Gericht folgt, können Anschaffungs- und Herstellungskosten übernommener Altanlagen nur dann bei der Beitragskalkulation berücksichtigt werden, wenn und soweit für die jeweiligen (konkreten) Anlagen Verbindlichkeiten übernommen worden sind. Da im Übrigen die Altanlagen kostenlos übertragen worden sind, also der Zweckverband keinen Aufwand gehabt hat, dürfen diese Anlagen bei der Beitragskalkulation nicht berücksichtigt werden.

97

Vgl. dazu OVG M-V, Urt. v. 15. November 2000 – 4 K 8/99 -, juris Rn. 51; Urt. v. 13. November 2001 – 4 K 16/00 - juris Rn. 51; Beschl. v. 2. Dezember 2003 – 1 M 72/03 -, juris Rn. 9 mwN; Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Erl. 3.5.5 f.

98

Das den §§ 7 ff. und § 6 KAG M-V zugrundeliegende Prinzip besagt, dass im Grundsatz die Anschaffungs- und Herstellungskosten zunächst beitragsrechtlich zu finanzieren sind und sodann gebührenrechtlich kalkulatorisch abgeschrieben werden können. Dieses Prinzip wird bei der kostenlosen Übernahme von Altanlagen in der oben genannten Weise ausreichend gewahrt.

99

Es ist auch nichts dafür ersichtlich oder substantiiert vorgetragen, dass der Beklagte aus DDR-Zeiten übernommene Altanlagen auch dann mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten in die Beitragskalkulation eingestellt hat, wenn der Zweckverband dadurch nicht finanziell belastet worden ist.

100

ee) Die der Schmutzwasserbeitragssatzung zugrunde liegende Globalkalkulation ist nicht deshalb zu beanstanden, weil zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Satzung das Abwasserbeseitigungskonzept noch nicht beschlossen war. Nach den dem Gericht vorliegenden Kalkulationsunterlagen sind Prognosen in der ‚Planung der Investitionskosten und Fördermittel (Zuarbeit Fr. D…)’, der ‚Kostenschätzung Baumaßnahmen 2008 bis 2014’ sowie einer Auflistung ‚Kostenschätzung B-Pläne’. Dies genügt als Schätzungsgrundlage. Es ist nichts Substantiiertes dazu vorgetragen worden und es bestehen auch derzeit sonst keine Anhaltspunkte, aus dem sich ergeben könnte, dass die Prognosen des Zweckverbandes und die ihnen zugrunde liegenden Annahmen offensichtlich unzutreffend und die zugrunde liegenden Investitionszahlen oder -vorgaben offensichtlich willkürlich oder sonst falsch sein könnten. Im Übrigen folgt aus der Aufzählung von Altanlagen im Anlagespiegel oder im Vermögensnachweis nicht, dass der Wert dieser Anlagen auch in der Beitragskalkulation berücksichtigt worden ist.

101

cc) [ff, Anm. des erkennenden Gerichts] Die Annahmen in der Kalkulation müssen ... mit den Angaben in den jeweiligen Abwasserbeseitigungskonzepten nicht übereinstimmen. Es ist weder vorgeschrieben noch sonst zwingend, dass die erforderlichen Prognosen nur auf Grund eines förmlichen Abwasserbeseitigungskonzeptes zu erstellen sind. Weder das Kommunalabgabenrecht Mecklenburg-Vorpommerns noch dessen Kommunalrecht oder das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes oder das Wassergesetz des Landes schreiben ein Abwasserbeseitigungskonzept vor, geschweige den enthalten Vorgaben aus einem Abwasserbeseitigungskonzept für die Beitragskalkulation. Das Konzept stellt als Planungsgrundlage eine Bestandsaufnahme und eine unverbindliche grobe Richtlinie dar, wie der Aufgabenträger sich die Planung und Entwicklung seiner Abwasserbeseitigungsanlagen in seinem Gebiet vorstellt. Zwar ist es dem Aufgabenträger nicht verwehrt, aus dem Abwasserbeseitigungskonzept die Beitragskalkulation zu entwickeln. Dies ist aber nicht zwingend. Wenn danach der Zweckverband die Vorgaben der Kalkulation maßgeblich seinen jährlich verabschiedeten Wirtschaftsplänen entnimmt, ist dies nicht zu beanstanden. Es ist daher grundsätzlich unerheblich, ob die Angaben der verschiedenen Abwasserbeseitigungskonzepte des Zweckverbandes nach Höhe und Umfang sowie in tatsächlicher und/oder zeitlicher Hinsicht mit den Angaben zu Anschaffungs- und Herstellungskosten in der Beitragskalkulation übereinstimmt.

102

ff) [gg, Anm. des erkennenden Gerichts] Die Kalkulation hinsichtlich der Klärablage (Kläranlage, Anm. des erkennenden Gerichts) N. hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung dahingehend erläutert, dass die Anteile der dezentralen Schmutzwasserbeseitigung und der Regenwasserentsorgung herausgerechnet worden seien ...

103

gg) [hh, Anm. des erkennenden Gerichts] Aus dem Umstand, dass in der Vergangenheit die Beitragskalkulation des Zweckverband(s) nicht allen gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat, folgt nicht, dass die nunmehr vorliegende Kalkulation fehlerhaft ist. ... [Es] ist ... gelegentlich vorgetragen worden, dass der Beitragssatz über Jahre stabil geblieben sei, was wegen der sich ändernden wirtschaftlichen Grundannahmen nicht möglich sei. Sofern damit der in der Satzung in § 7 Abs. 1 BSSW 2010 festgesetzte Beitragssatz von 3,10 €/m² gemeint sein sollte, ist darauf hinzuweisen, dass es dem Zweckverband unbenommen ist, einen Beitragssatz unterhalb des kalkulierten Höchstbeitragssatz (derzeit - nach der Erklärung gemäß § 2 Abs. 3 KAG M-V in der heutigen mündlichen Verhandlung -: 4,29 €/m²) festzusetzen. Sollte mit dem Vortrag der kalkulierte höchstmögliche Beitragssatz gemeint sein, stimmt nach den Erkenntnissen des Gerichts bereits die Annahme nicht, dass der Beitragssatz stabil gewesen ist. Nach dem Kalkulationsgutachten (einer Rechnungsperiodenkalkulation) der Fa. WIBERA vom 9. März 2001 sollte der kalkulierte Schmutzwasserbeitragssatz 6,58 DM/m² betragen, also 3,36 €/m². Im WIBERA-Gutachten (einer Globalkalkulation) vom 1. Dezember 2005 war ein Beitragssatz von 4,48 € ermittelt worden. Nach der bisher maßgebenden Kalkulation 2009 lag der höchstmögliche Beitragssatz bei 4,43 €. Daraus lässt sich nach Auffassung des Gerichts nicht herleiten, dass die heute maßgebende Kalkulation unzutreffend ist. Auch die Fehler in der Beitragssatzung 2009 sind nicht so gravierend gewesen, dass die Kalkulation grundlegend neu erarbeitet werden musste. Maßgebende Parameter mussten deshalb nicht neu definiert werden, so dass der kalkulierte Beitragssatz plausibel erscheint.

104

hh) [ii, Anm. des erkennenden Gerichts] Die Kalkulation ist nicht deshalb fehlerhaft, weil in früheren Beitragsatzungen die Hausanschlusskosten nicht im Beitrag enthalten gewesen seien. Die Kalkulation hat nach Maßgabe der jetzigen Satzungslage zu erfolgen und die Kosten des ersten Hausanschlusses zu berücksichtigen. Sollten im Einzelfall zu einem früheren Zeitpunkt Hausanschlusskosten nach damaliger Satzungslage für einen ersten Hausanschluss gezahlt worden sein, wäre dies bei der Beitragsfestsetzung zu berücksichtigen.

105

ii) [jj, Anm. des erkennenden Gerichts] Die Kalkulation ist auch noch hinreichend aktuell, obgleich für die im März 2010 beschlossene Satzung in die Kalkulation nach dem 31. Dezember 2007 nur noch prognostische Werte eingestellt worden sind. Zur Aktualität hat das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern ausgeführt, dass mit Blick auf § 6 Abs. 2d KAG M-V eine Kalkulation grundsätzlich dann noch hinreichend aktuell ist, wenn sie nicht älter als fünf Jahre ist.

106

Vgl. OVG M-V; Urt. v. 15. November 2000 – 4 K 8/99 -, juris Rn. 47; Urt. v. 14. September 2010 – 4 K 12/07-, juris Rn. 31 mwN.

107

Dieser Zeitrahmen ist im vorliegenden Fall auch deshalb gewahrt, weil für die tatsächlichen Kosten prüffähige und/oder geprüfte Rechnungen vorliegen müssen und ggf. diese Kosten noch von einem unabhängigen Prüfer zu prüfen sind. Eine Anpassung der einstellungsfähigen Kosten bzw. eine Überprüfung der Kalkulation ist zudem vor Ablauf von fünf Jahren nur erforderlich, wenn die Kosten ersichtlich von den prognostizierten Kosten abweichen. Dafür bestehen keine Anhaltspunkte, zumal flächenseitig vor der Beschlussfassung Ergänzungen vorgenommen worden sind. Abweichungen des kalkulierten Beitragssatzes dürften wegen des erheblich geringer festgesetzten Beitragssatzes auch keine unmittelbaren Auswirkungen haben.

108

4. Die Erhebung von Beiträgen ist nicht nach § 242 Abs. 9 BauGB (früher: § 246a Abs. 1 Nr. 11 BauGB a.F.) unzulässig, weil die Schmutzwasseranlage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Einigungsvertrages bereits hergestellt gewesen ist. Denn bei einer solchen Anlage handelt es sich um keine Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB. In § 127 Abs. 4 BauGB wird bezüglich (u. a.) leitungsgebundener Anlagen ausdrücklich darauf verwiesen, dass das Recht zur Erhebung von Beiträgen für diese Anlagen unberührt bleibt, sofern andere Gesetze - wie insbesondere die Kommunalabgabengesetze der Länder - dies vorsehen.

109

Dazu Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 127 Rn. 50; Kniest, in: Ferner/Kröniger/Aschke, BauGB, 2. Aufl. 2008, § 127 Rn. 27.

110

Im Umkehrschluss folgt daraus, dass der Bundesgesetzgeber in den Fällen von bereits zu "DDR-Zeiten" fertig gestellten öffentlich-rechtlichen leitungsgebundenen Anlagen gerade keine zeitliche Sperre für eine Beitragserhebung vorschreiben wollte.

111

So jetzt auch OVG M-V, Urt. v. 13. Dezember 2011 – 1 L 192/08 – juris Rn. 23 mwN.

112

5. Der Beitragsanspruch des Zweckverbandes ist auch gemäß § 12 KAG 1993 bzw. § 12 Abs. 2 KAG M-V in Verbindung mit §§ 47,169 ff. AO nicht endgültig verjährt. Danach galt bzw. gilt eine Festsetzungsfrist von vier Jahren. Die Verjährung hängt nicht allein davon ab, dass ein bestimmter Zeitraum verstrichen ist. Maßgebend ist zunächst, dass die Frist auch angelaufen ist. Das ist hier nicht der Fall:

113

a) Die Festsetzungsverjährungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres, indem die Abgabe (abstrakt) entstanden ist. Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 war dies der Zeitpunkt der Anschlussmöglichkeit des Grundstücks an die Anlage, frühestens mit Inkrafttreten der ersten Beitragssatzung. Dabei ist zunächst klarzustellen, dass ein einmal verjährter Beitragsanspruch durch eine gesetzliche Neuregelung oder eine neue Beitragssatzung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht wieder aufleben könnte (vgl. nur Steiner, LKV 2009, 254 [255 f. mwN]).

114

Im Falle der Schmutzwasserbeiträge des Zweckverbandes sind bisher keine Beitragsansprüche verjährt, weil die maßgebenden Festsetzungsfristen überhaupt noch nicht angelaufen sind.

115

Die Frist beginnt nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, welcher der Kammer folgt, erst mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung,

116

- vgl. nur OVG M-V, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 L 295/05 – juris, Rn. 21 ff.; Beschl. v. 27. Januar 2006 - 1 M 60/06 - juris Rn. 8, weitere Nachweise bei Aussprung, NordÖR 2005, 240 (246 Fn. 43) -

117

nicht hingegen mit der Veröffentlichung einer (Vorgänger-)Satzung mit formellem Geltungsanspruch. Dies entspricht nunmehr auch dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 KAG M-V 2005.

118

Vgl. dazu auch LtDrs 4/1307 S. 48 unter Hinweis auf die dazu ergangene Rechtsprechung des OVG M-V.

119

Das Gericht hat dies u. a. in seinen Urteilen vom 10. Oktober 2011 ausführlich begründet. Hierauf ist im Einzelnen zu verweisen.

120

Vgl. näher etwa VG Schwerin, Urt. v. 10. Oktober 2011 – 8 A 340/10 – juris Rn. 177 ff. mwN.

121

b) Der Beitragsanspruch konnte im vorliegenden Fall schon deshalb nicht endgültig verjähren, weil die Festsetzungsfrist mangels wirksamer Beitragssatzung nicht anlaufen konnte. Die bisherigen Beitragssatzungen des Zweckverbandes waren sämtlich rechtsunwirksam:

122

aa) Die Beitrags- und Gebühren[...]satzung des Zweckverbandes vom 1. März 1992 war nichtig, weil sie nicht im eigenen Amtsblatt des Zweckverbandes oder einer von der Verbandssatzung bestimmten Zeitung veröffentlicht worden ist, sondern im Wismarer Kreisanzeiger mit Amtsblatt für den Landkreis Wismar. Dabei handelte es sich um das amtliche Veröffentlichungsorgan (nur) für den Landkreis, in dem Satzungen anderer Träger nicht rechtswirksam veröffentlicht werden konnten. Denn nach § 5 Abs. 3 KV DDR waren Satzungen zu veröffentlichen. Wenn es dort auch an näheren Bestimmungen zur Veröffentlichung fehlt, war es dennoch ausgeschlossen in einem Amtsblatt eines fremden Hoheitsträgers Satzungen zu veröffentlichen. Es musste sich aber - nach Maßgabe der Hauptsatzung - um das eigene amtliche Veröffentlichungsorgan oder jedenfalls um eine Tages- oder Wochenzeitung handeln (vgl. auch Bretzinger/Büchner-Uhder, Kommunalverfassung, 1. Aufl. 1991, § 5 Rn. 8). Das Gericht ist der Auffassung, dass eine Veröffentlichung im Amtsblatt eines anderen Rechtsträgers nur möglich ist, wenn dies gesetzlich ausdrücklich zugelassen ist. Eine solche Bestimmung hat es zu damaliger Zeit – soweit ersichtlich – nicht gegeben. Jedenfalls hätte in dem Veröffentlichungsorgan deutlich darauf hingewiesen werden müssen, dass in ihm auch Satzungen des Zweckverbandes veröffentlicht werden, damit der rechtsuchende Bürger in zumutbarer Weise erkennt, dass im Amtsblatt des Kreises auch Satzungen des Zweckverbandes enthalten sein können. Daran fehlt es aber im vorliegenden Fall.

123

In materieller Hinsicht war die Satzung schon deshalb nichtig, weil sie entgegen § 8 Abs. 1 KAG 1991 bei der Bestimmung des Baukostenbeitrages in Teil II Nr. 1.1 nicht auf die individuellen Vorteile des jeweils bevorteilten Grundstücks abstellte, sondern als Zuschlag zu der Abwassergebühr pauschal ein jährlich neu festzusetzender Baukostenbeitrag erhoben werden sollte. Zudem sollte der Baukostenbeitrag von allen ‚Grundstücksbesitzern’ erhoben werden, also auch von Mietern oder Pächtern. Dies war mit § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG 1991 nicht zu vereinbaren, da Beiträge nur von Eigentümern und Erbbauberechtigten erhoben werden durften.

124

bb) Die Beitrags- und Gebührensatzung vom 1. Juli 1993 ist nach den obigen Vorgaben ebenfalls nichtig, weil sie im Wismarer Kreisanzeiger veröffentlicht worden ist. Der Baukostenbeitrag stellte nicht auf die Vorteile des Anschlusses des Grundstücks ab.

125

cc) Auch die Beitrags- und Gebührensatzung in der Fassung vom 22. Dezember 1993 wurde am 21. Januar 1994 im Wismarer Kreisanzeiger veröffentlicht und ist schon deshalb nichtig. Zudem begegnet sie in materieller Hinsicht durchgreifenden Bedenken, weil der in Nr. 1.3 bestimmte pauschale Anschlussbeitrag von 750,-- DM je Entsorgungseinheit unabhängig von der Größe und Art des Grundstück festgelegt wurde, also gleichfalls nicht auf die Vorteile für das jeweilige angeschlossene Grundstück abstellte.

126

dd) Auch die am 1. Januar 1996 erlassene Satzung des Zweckverbandes vom 22. Dezember 1995 war in materieller Hinsicht nichtig. Zum einen wies diese Satzung Fehler insoweit auf, als beim Beitragsmaßstab die Außenbereichsflächen mit der Grundflächenzahl (GRZ) von 0,4 vorteilswidrig zu hoch angesetzt und keine Abgeltungsfläche festgelegt war. Dies wäre aber wegen der Einmaligkeit der Beitragsveranlagung notwendig gewesen. Zum anderen lag der Verbandsversammlung seinerzeit keine ordnungsgemäße Kalkulation vor. Ihr hat nur eine Tabelle mit den maßgebenden Daten vorgelegen, nicht aber notwendige weitere Unterlagen. Zudem waren für Teilmaßnahmen Teilbeiträge ermittelt und danach addiert worden, obgleich die Satzung keine Kostenspaltung vorsah.

127

Dazu VG Schwerin, Urt. v. 28. Juni 2001 - 4 A 2239/98 - sowie im Beschl. v. 19. Oktober 1999 - 4 B 889/98 - zur Kalkulation.

128

Das Verdikt der Unwirksamkeit würde diese Satzung selbst dann treffen, wenn diese während ihrer formellen Gültigkeitsdauer unbeanstandet angewandt worden sein sollte und es auch keine entsprechenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts oder Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in einzelnen Verfahren oder im Normenkontrollverfahren gegeben haben sollte. Die Nichtigkeit der früheren Satzungen muss nicht durch Normenkontrollentscheidung gemäß § 47 VwGO in Verbindung mit § 13 des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsstrukturgesetz durch das OVG M-V festgestellt werden, um daraus Konsequenzen für die Verjährung im vorliegenden Verfahren herleiten zu können. Das Gericht hat bereits in den genannten Urteilen vom 22. Januar 2010 (u. a. juris Rn. 46) im Einzelnen dargelegt, dass die Nichtigkeit früherer Satzungen nicht allein durch eine Normenkontrollentscheidung durch das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern festgestellt werden muss, um daraus Konsequenzen für die Verjährung im Einzelfall herleiten zu können. Bei Satzungen ist zwar die formelle Verwerfungskompetenz der Gerichte mit allgemeiner Verbindlichkeit auf das abstrakte Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO beschränkt.

129

Zu den Folgerungen daraus siehe Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 141 ff.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 47 Rn. 364 ff.

130

Den Verwaltungsgerichten fehlt diese Kompetenz. Sie haben aber nach Art. 20 Abs. 3 GG mit Blick auf das zwingende Satzungserfordernis des § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V bei Überprüfung einzelner Abgabenbescheide die ihnen zugrunde liegenden Satzungen auf ihre Wirksamkeit (inzidenter) zu überprüfen, soweit hierzu Anlass besteht. Eine gültige Satzung ist Entstehungsvoraussetzung der Abgabe.

131

Vgl. dazu Quaas, Kommunales Abgabenrecht, Rn. 22 mwN; Meyer, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2002 Rn. 180a; Glaser, in: Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentierung der Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 3. Aufl. 2005, § 5 Rn. 4 aE.

132

Weist die Satzung bei dieser Prüfung Fehler auf, die sie unanwendbar machen, ist der angefochtene Bescheid in jedem Einzelfall mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig und aufzuheben, wenn die Satzung auch nicht formell vom Gericht aufgehoben werden und deren Nichtigkeit ausdrücklich (und mit Allgemeinverbindlichkeit) festgestellt werden kann. Für den jeweiligen Einzelfall wird die fehlerhafte Satzung aber so behandelt, als wäre sie nichtig.

133

Vgl. Sensburg/Maslaton, Abgabenrecht in der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, 2007, S. 25; weitergehend Hill, Soll das kommunale Satzungsrecht gegenüber staatlicher und gerichtlicher Kontrolle gestärkt werden? 1990, D 109 (Nichtigkeitserklärung durch jedes Gericht im Einzelfall.).

134

Zwar könnte der kommunale Aufgabenträger die Satzung weiter anwenden, da Urteile des Verwaltungsgerichts nur inter partes [= zwischen den Parteien, Anm. des erkennenden Gerichts] gelten (vgl. § 121 VwGO) und die inzidente Nichtigkeitsfeststellung nicht allgemein verbindlich (Umkehrschluss aus § 47 Abs. 5 VwGO) ist. Er würde dann aber jeweils ein möglicherweise kostenträchtiges Unterliegen in einem nachfolgenden Verwaltungsstreitverfahren riskieren. Auch das Verwaltungsgericht stellt im vorliegenden Fall die Unwirksamkeit der Satzung nur in diesem Einzelfall fest.

135

Diese Feststellung der Nichtigkeit kann entgegen klägerischer Ansicht auch erfolgen, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Satzung bereits nicht mehr formell in Kraft ist, es aber - etwa wie hier zur Klärung der Verjährungsfrage – auf die Gültigkeit früherer Satzungen ankommen sollte. Dem Gericht ist kein Rechtssatz bekannt, wonach eine während ihres Anwendungszeitraums gerichtlich unbeanstandet gebliebene Satzung später nicht mehr auf ihre Wirksamkeit überprüft werden darf.

136

ee) Im Übrigen sind die bisher behandelten Abgabensatzungen auch deshalb nichtig, weil der Zweckverband 1991 fehlerhaft gegründet worden ist. Die danach verkündeten Abgabensatzungen konnten somit nicht wirksam beschlossen und veröffentlicht werden. Dabei kann offenbleiben, ob – wie geschehen - das Reichszweckverbandsgesetz (RZVG) vom 7. Juni 1939 (RGBl. I S. 979) ergänzend zu § 61 KV DDR herangezogen werden konnte.

137

Zum Meinungsstand: Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 10. Dezember 1998 – LVerfG 1/98 -, Umdruck S. 15 ff.; Saugier, Der fehlerhafte Zweckverband, 2001, S. 58 ff. mwN. – Zum Verfahren bei der Gründung eines Zweckverbandes vor Inkrafttreten der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern siehe auch VG Schwerin, Urt. v. 19. Februar 1997 – 4 A 1092/95 – (n. v.), Umdruck S. 6 ff.; Beschl. v. 29. August 1997 – 4 B 431/96 -, Umdruck, S. 8 ff. (letzterer Entscheidung betr. den Zweckverband ).

138

Selbst wenn die Anwendbarkeit des Reichszweckverbandsgesetzes zu bejahen wäre, würde es bei der Gründung des Zweckverbandes an dem nach § 11 Abs. 1 RZVG erforderlichen Beschluss der zuständigen Aufsichtsbehörde fehlen. Dieser Beschluss hätte auch gemäß § 11 Abs. 2 RZVG im amtlichen Bekanntmachungsblatt des Landrates nebst der Verbandssatzung veröffentlicht werden müssen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

139

So bereits ausführlich VG Schwerin, Beschl. v. 29. August 1997 – 4 B 431/96 – Umdruck, S. 11 ff.

140

Demzufolge hätte der Zweckverband seine Satzungen nach seiner bestätigenden Neugründung im Jahr 1998 und Neukonstituierung seiner Organe erneut beschließen und veröffentlichen müssen, um ihnen Wirksamkeit zu verleihen. Da dies nicht geschehen ist, waren und blieben die genannten Satzungen nichtig.

141

ff) Auch die Satzung von 18. Oktober 2000 verstieß gegen höherrangiges Recht und war nichtig. Dem Beitragssatz lag keine ordnungsgemäße Kalkulation zu Grunde. Die Vollgeschossfaktoren in Satzung und Kalkulation wichen voneinander ab. Zudem lagen Fehler bei Flächenermittlung vor, da der Vollgeschossfaktor der Satzung nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Schließlich waren die Kläranlagen in die Kalkulation nicht einbezogen worden (vgl. VG Schwerin, Urt. v. 3. Juni 2004 - 4 A 1623/02). Die Satzung vom 20. Dezember 2005 ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 27. Juni 2008 - 8 A 1654/08 - aus materiellen, die Satzung betreffenden Gründe für nichtig erklärt worden.

142

gg) Auch die (letzte) Beitragssatzung vom 7. Mai 2009 war - wie die Kammer in den oben genannten Urteilen vom 22. Januar 2010 festgestellt hat - wegen Widersprüchlichkeit der Regelungen in § 6 Abs. 4 und 5 f) BSSW 2009 (Bestimmung der Anzahl der Vollgeschosse, wenn diese nicht feststellbar sind) bzw. wegen Unvollständigkeit der Bestimmung zur Festlegung von Vollgeschossen in vor dem 30. April 1994 errichteten Gebäuden in § 6 Abs. 5 e) Satz 3 BSSW 2009 nichtig.

143

Zur Frage der Bestimmung der Vollgeschosse bei Altbauten vgl. aber OVG M-V, Urt. v. 14. September 2010 – 4 K 12/07 -, juris Rn. 65.

144

hh) Die Festsetzungsverjährungsfrist konnte daher erst mit Bekanntgabe der letzten, jetzt maßgebenden Änderungssatzung (BSSW 2010) zu laufen beginnen. Das war im vorliegende Fall der 1. Januar 2011, da der Beitragsanspruch erst mit Inkrafttreten der Beitragssatzung vom 3. März 2010, also im Jahr 2010 entstanden ist (vgl. § 170 Abs. 1 AO).

145

6. Dem jeweiligen Beitragsschuldner steht auch kein Vertrauensschutz in die Rechtswirksamkeit der Vorgängersatzungen zur Seite. Das Ergebnis, wonach im Beitragsrecht eine spätere rechtswirksame Satzung den Zeitraum einer früheren nichtigen Satzung erfasst, steht mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG im Einklang. Insbesondere ist das Vertrauen des Beitragszahlers in die Rechtswirksamkeit der Vorgängersatzungen nicht in der Weise geschützt, dass er Anspruch hätte, auf Grundlage der zum Zeitpunkt der Anschließbarkeit des Grundstücks maßgebenden Verhältnissen nach der damals formell gültigen Satzung veranlagt zu werden. Der Bürger kann sich nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen. Dies gilt insbesondere, wenn sich eine Rechtsnorm im Nachhinein als ungültig erweist und durch eine neue rechtlich nicht zu beanstandende Bestimmung ersetzt wird.

146

Vgl. grundlegend BVerfG, Urt. v. 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 - BVerfGE 13, 261 ff., … juris Rn. 48 ff., 54 m. w. N.

147

Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht im Übrigen nicht so weit, den Bürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Schutzwürdig ist zudem nur das getätigte Vertrauen, also eine ‚Vertrauensinvestition’, die zu Erlangung einer Rechtsposition geführt hat (vgl. BVerfG, Urt. v. 2. Mai 1987 - 1 BvR 724/81 - u. a. juris Rn. 82 m. w. N.). Eine solche Rechtsposition erwächst nicht aus dem Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit einer Beitragssatzung.

148

7. Der Beitragsanspruch ist auch nicht verwirkt. Als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet Verwirkung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung).

149

Zu den Voraussetzungen der Verwirkung OVG M-V, Beschl. v. 22.9. 2004 - 1 M 166/04 - juris Rn. 24; Gersch, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 4 Rn. 21; Rüsken, ebenda, § 228 Rn. 13 je mwN. aus der Rechtspr. des Bundesfinanzhofs; vgl. auch OVG M-V, Beschl. v. 18. März 2008 - 1 M 15/08 - S. 6 mwN (n. v.]).

150

Zwar ist der Anschlussbeitrag über einen langen Zeitraum nicht geltend gemacht worden. Jedoch durfte der Beitragsschuldner regelmäßig nicht darauf vertrauen, dass der Beklagte den Beitrag nicht mehr einfordern wird. Es ist nichts ersichtlich, dass der Beklagte gegenüber Beitragsschuldner jemals zu erkennen gegeben hat, er werde den Beitrag nicht mehr geltend machen. Auch nach dem Inhalt früherer Satzungen war der Beklagte gehalten, Beiträge gegenüber Altanschließern geltend zu machen. Die Durchsetzung dieses Rechts mit einem Bescheid erscheint daher nicht als unzumutbarer Nachteil zu Lasten des Beitragsschuldners. Zudem kann eine Verwirkung bei einer laufenden Verjährungsfrist nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden (siehe Rüsken, ebenda, § 228 Rn. 13). Solche sind hier nicht ersichtlich.

8. .....

151

9. Anzumerken bleibt, dass die Beitragsschuldner auch nicht mit dem Argument durchdringen, der Beklagte habe zeitnah mit dem tatsächlichen Anschluss des Grundstücks und seiner Satzung aus dem Jahre 1992 neben den Hausanschlussbeitrag sogleich auch den Anschlussbeitrag erheben müssen, so dass sie in den ‚Genuss’ eines früheren niedrigen Beitrags von 2.000,-- DM oder 3.000,-- DM gekommen wären. Zum einen geben die Verjährungsvorschriften dem Beklagten vor, innerhalb welcher Zeiträume er Beitragsbescheide erlassen muss. Er ist weder nach Satzungsrecht noch nach sonstigen Vorschriften verpflichtet, zeitnah nach Herstellung der Anschlussfähigkeit des Grundstücks Beitragsbescheide zu erlassen. Zum anderen ist es dem Beklagten unbenommen, soweit er aufgrund früherer, nichtiger Satzungen (zu niedrige) Beiträge durch (bestandskräftige) Beitragsbescheide erhoben hat, im Rahmen pflichtmäßigen Ermessens unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu prüfen, ob er die diesbezüglichen abgeschlossenen Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 1 KAG M-V in Verbindung mit §§ 130, 131 AO wieder aufgreift (oder gar aufgreifen muss) und unter Beachtung neuer Satzungsbestimmungen und der erbrachten Beiträge neu entscheidet. Die Einmaligkeit der Beitragserhebung dürfte ihn nicht daran hindern, weil es noch immer um die erstmalige Beitragserhebung geht (vgl. jetzt auch OVG M-V, Urt. v. 15. Dezember 2009 - 1 L 323/06 – juris Rn. 52 ff. mwN) …“

152

II. An diesen rechtlichen Ausführungen hält das Gericht auch im vorliegenden Verfahren fest.

153

1. Zwar hat die Kammer nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 (veröffentlicht ist beispielhaft die Sache 9 C 19/14, NVwZ-RR 2015, 786 = juris) zwischenzeitlich die Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V in Beitragsfällen nach dem Jahr 2008 als verfassungswidrig angesehen und in einem anderen Verfahren auch ein konkretes Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet (Beschl. v. 31. März 2016 in der Sache 4 A 94/11, veröffentlicht in juris, Az. beim BVerfG 1 BvL 3/16).

154

2. Daran ist aber nicht mehr festzuhalten, nachdem der Landesgesetzgeber mit dem sog. Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juli 2016 (GVOBl. S. 584), in Kraft getreten am 30. Juli 2016, in dem geänderten § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V die verfassungsrechtlich geforderte absolute zeitliche Obergrenze für eine Beitragserhebung gesetzt hat:

Abbildung
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen

155

Die vormals bestehende verfassungswidrige Unvollständigkeit des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern ist dadurch beseitigt worden. Aus diesem Grund ist auch mit Beschluss der Kammer vom 23. August 2016 der vorstehend genannte Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 31. März 2016 aufgehoben worden.

156

3. Gegen die vom Landesgesetzgeber getroffene zeitliche Obergrenze einer Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. hat das Gericht keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (zur ähnlichen Regelung in Sachsen, § 3a Abs. 3 SächsKAG, ebenso OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016 – 5 A 493/14 -, LKV 2016, 313 ff. = juris Rn. 12).

157

a) Der Landesgesetzgeber hat insoweit einen weiten Regelungs- und Gestaltungsspielraum, um die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit bei kommunalabgabenrechtlichen Vorteilslagen durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Diesen Spielraum überschreitet der Landesgesetzgeber nicht, mag er für die seit dem 3. Oktober 1990 bzw. dem - wohl maßgeblichen - Inkrafttreten des (ersten) Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 (KAG 1991) möglichen Anschlussbeitragserhebungsfälle mit den „10+20“-Jahren auch am äußeren (aber „diesseitigen“) zeitlichen Rand der gesetzgeberischen Regelungsalternativen liegen. Hierbei sind – gerade mit Blick auf die circa ersten zehn Jahre vom 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 (Inkrafttreten des KAG 1991) bis Ende des Jahres 2000, die nach der gesetzlichen Vorschrift noch nicht den Lauf der 20jährigen Obergrenze für eine Beitragserhebung in Gang setzen sollen - die besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung zu berücksichtigen, die nicht nur durch einen vollständigen Wechsel des Rechtsregimes, sondern auf kommunaler Ebene zusätzlich durch eine Vielzahl von gleichzeitig und mit beschränkten kommunalen Ressourcen zu bewältigenden Aufgaben (grundlegender Verwaltungsumbau, Herstellung kommunaler Strukturen und dafür nötiger Rechtsgrundlagen, Instandhaltung, Sanierung und Fortentwicklung der Infrastruktur) geprägt waren (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. April 2015, a. a. O., juris Rn. 17; OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016, a. a. O., juris Rn. 13). Exemplarisch hervorzuheben sind etwa die in den Anfangsjahren des Landes Mecklenburg-Vorpommern landauf landab vielfach missglückten Versuche der Kommunen, rechtswirksam einen Zweckverband nach den §§ 150 ff. der Kommunalverfassung (KV M-V) in den Aufgabenbereichen der Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung zu gründen bzw. ihm beizutreten, die den Landesgesetzgeber veranlasst haben, die umfangreichen §§ 170a, 170b KV M-V zur Unbeachtlichkeit von dort aufgeführten Rechtsfehlern bei der Bildung von Zweckverbänden und dem Beitritt zu einem solchen einschließlich der Fiktionen bei Unvollständigkeit der Verbandssatzung zu schaffen.

158

b) Das Gericht hegt auch keine (landes- oder bundes)verfassungsrechtlichen Bedenken mit Blick auf das ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten entwickelte Rückwirkungsverbot, soweit § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. – wie vorliegend – auch Vorteilslagen vor dem 30. Juli 2016 bis zurück zum 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 betrifft.

159

aa) Die Bestimmung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V in der Fassung seit dem 30. Juli 2016 beinhaltet zwar wohl nicht nur eine Begünstigung für die seit 3. Oktober 1990 (erster Geltungstag des Grundgesetzes in dem damals zugleich neu/wieder entstandenen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern) bzw. Mitte Mai 1991 in Mecklenburg-Vorpommern Betroffenen durch Beseitigung einer bis dahin bestehenden verfassungswidrigen Rechtslage, sondern dürfte auch grundrechtsbelastend sein, soweit es den frühestmöglichen Zeitpunkt des Eintritts der zeitlichen Obergrenze einer (Anschluss-)Beitragserhebung seit dem 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 auf den Ablauf des Jahres 2020 bestimmt.

160

bb) Art. 1 Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juli 2016 stellt in diesem Fall insoweit eine sog. unechte Rückwirkung dar. Die unechte Rückwirkung eines Gesetzes ist gegeben, wenn eine tatbestandliche Rückanknüpfung stattfindet, die den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm betrifft. Hier wirkt die belastende Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein und entwertet zugleich die bisherige Rechtsposition nachträglich im Ganzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2. Mai 2012 – 2 BvL 5/10 –, BVerfGE 131, 20-47 = juris Rn. 66 m. w. N.). Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten also erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber – wie hier die seit Oktober 1990/Mai 1991 gegebenenfalls schon vorliegenden Vorteilslagen, also damals schon bestehenden Anschlüssen oder Anschlussmöglichkeiten an das faktisch vorhandene Trinkwasser- oder Abwassernetz aus DDR- oder gar noch „Reichs“-Zeiten - Sachverhalte, die bereits vor Verkündung „ins Werk gesetzt“ worden sind.

161

Ein Eingriff in einen abgeschlossenen Tatbestand und damit eine echte Rückwirkung liegt dagegen mit Blick auf das Änderungsgesetz nicht vor, auch nicht bei den selbst sich so titulierenden „Altanschließern“, deren Grundstücke also schon vor Mitte Mai 1991 oder dem 3. Oktober 1990 in Mecklenburg-Vorpommern bzw. zuvor der DDR oder dem Deutschen Reich an ein öffentliches Wasser- oder Abwassernetz angeschlossen waren. Sie sind aus den dargelegten Gründen nicht „sakrosankt“; ihre Nichteinbeziehung in die Anschlussbeitragserhebung würde sogar den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzen (dazu auch sogleich).

162

Die unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (BVerfG, Beschl. v. 16. Dez. 2015 – 2 BvR 1958/13 –, juris Rn. 43 m. w. N.). Dabei ist das durch das Rechtsstaatsprinzip gewährleistete Vertrauen auf die geltende Rechtslage nur schutzwürdig, wenn die gesetzliche Regelung generell geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen herbeizuführen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen. Ist das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig, ist ein rückwirkender belastender Eingriff ausnahmsweise zulässig. Das ist etwa dann der Fall, wenn das rückwirkend geänderte Recht unklar und verworren oder ein Zustand allgemeiner und erheblicher Rechtsunsicherheit eingetreten war und für eine Vielzahl Betroffener Unklarheit darüber herrschte, was rechtens sei (BVerfG, Beschl. v. 16. Dez. 2015, a. a. O., Rn. 44 m. w. N.).

163

So liegen die Dinge auch hier, wie weiter oben dargelegt worden ist. Auch in Anbetracht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, den das Bundesverfassungsgericht auch bei der Problematik rückwirkender Gesetze zunehmend stärker betont, ist es (noch) angemessen, die Obergrenze für eine Beitragserhebung von 20 Jahren zu normieren und zugleich diese „Frist“ in Mecklenburg-Vorpommern erst ca. zehn Jahre nach der Deutschen Einheit bzw. dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 zu laufen beginnen lassen. Insoweit kann auf die oben dargestellten besonderen Verhältnisse in den „Gründerjahren“ des neuen Bundeslands verwiesen werden (vgl. im Ergebnis ebenso OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016, a. a. O., juris Rn. 15 und 18).

164

cc) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass eine solche „Heilung“ eines verfassungswidrig unvollständigen Landesgesetzes kraft (Landes- oder Bundes-)Verfassungsrechts von vornherein („nie“) oder jedenfalls jetzt nicht mehr („zu spät“) möglich gewesen wäre. Bereits in der „Mutter“-Entscheidung – genderaalglatt wohl gleichzeitig auch als „Vater“-Entscheidung zu bezeichnen - zu dieser Problematik hat das Bundesverfassungsgericht Folgendes ausgeführt (Beschl. v. 5. März 2013, a. a. O., Rn. 49 f.):

165

„… Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

166

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ) …“

167

dd) Ebenso wenig hat der hiesige Landesgesetzgeber, soweit es einen solchen verfassungsrechtlichen Ansatz geben sollte, auch nicht das Recht verwirkt, seine bisherige Untätigkeit seit Bekanntwerden des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 nach etwas mehr als drei Jahren aufzugeben und die verfassungsrechtlich erforderliche zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme eines Beitragspflichtigen zu schaffen, zumal die zuständigen hiesigen Landesgerichte bis hin zum Oberverwaltungsgericht (Urteile vom 1. April 2014, etwa 1 L 142/13, juris) zunächst aus verschiedenen Gründen (grob vereinfacht wohl beginnend mit der sinngemäßen – nicht plattdeutschen - Erwägung „Ja, des san halt die Bayern, mia san aber mia“) eine solche legislative Obliegenheit zum Handeln für den hiesigen Landesgesetzgeber verneint hatten.

168

4. Auch die Beitragskalkulation des Zweckverbands ist jedenfalls unter Berücksichtigung der nachfolgend wiedergegebenen Erklärungen (des Funktionsvorgängers) der Beklagten nach § 2 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V nicht zu beanstanden.

169

a) Zu Fördermitteln findet sich im Protokoll der mündlichen Verhandlungen der Sachen 8 A 1839/10 u. v. m. am 15. März 2012 Folgendes (S. 23):

170

„… Die Beteiligten führen zum Baugebiet Hornstorf aus, nach Klägerauffassung seien 6 bis 7 Millionen Euro Investitionen bis zum Jahr 2012 erforderlich, war also schon bekannt. Die Beklagtenseite führt dazu aus, dass insoweit nur Kosten berücksichtigt worden seien, die durch den Bebauungsplan bereits konkretisiert seien. Der Flächennutzungsplan sieht dort mehr Fläche vor und nur insoweit als bereits dort Bebauungspläne rechtskräftig sind, würden die anfallenden Kosten auch in der Kalkulation berücksichtigt. Hinsichtlich des B-Plans der Gemeinde Hornstorf Gewerbegebiet sind bislang 4.984.429,- € veranschlagt worden in der Kalkulation minus Fördermittel in Höhe von 3.489.100,- €. Der Differenzbetrag wird in die Kalkulation als Anschaffungs- und Herstellungskosten eingestellt. Dies betrifft lediglich den bereits rechtskräftigen Bebauungsplan.

171

Die Klägerseite sagt, dass in der Kalkulation Stand 5.5.2008 das Gewerbegebiet Hornstorf (mit Kritzow Hornstorf) Gesamtbaukosten mit 16.063.000,- € veranschlagt worden seien, davon Fördermittel in Höhe von 11,244 Millionen. Dieses hätte bereits in den aktuellen Kalkulationen 2010 veranschlagt werden müssen und stimmt auch mit den Abwasserbeseitigungskonzept 2010 überein.

172

Hinsichtlich der Berücksichtigung der Kosten von Baumaßnahmen aus diesen Verträgen wird die Tabelle Schmutzwasser der Erschließungsverträge erörtert in Beiakte 1 zu 8 A 3/12. Die Beklagtenseite erläutert dazu, dass die Anschaffungs- und Herstellungskosten zunächst mal in die Anlagebuchhaltung übernommen worden sind, so wie die vom Erschließungsträger nachgewiesen wurden. Sodann sind Zuschüsse Dritter abgezogen worden sowie ein Vergleich angestrebt worden zwischen den satzungsmäßig anfallenden Beiträgen und den tatsächlich gezahlten Beiträgen, so wie die in der Ablösevereinbarung getroffen worden sind. Die Differenz zwischen den tatsächlichen und den Beiträgen und den rechtlich möglichen Beiträgen sei dann von den Anschaffungs- und Herstellungskosten als sogenannte Deckungslücke abgezogen worden. Aus der Tabelle in der Spalte reine AbschreibeAK Anlage Kosten nach Ortslagen seien die dort ausgewiesenen Beträge in die Kalkulation eingestellt worden.

173

Der Klägervertreter äußert dazu Bedenken, weil nicht die tatsächlichen anfallenden Kosten eingestellt worden seien. Vielmehr seien keine Kosten eingestellt worden, wie man auch aus der laufenden Nr. 1 Bad Kleinen EV Nr. 163/94 Koppelweg Bad Kleinen ersehen könne. Dort sei der volle Beitrag in Höhe von 126.721,98 € abgelöst worden. Tatsächlich seien als reine AK noch 17.895,22 € in der Kalkulation veranschlagt worden.

174

Die Beklagtenseite bestätigt, dass das Zahlenwerk, so wie das von Herrn Rechtsanwalt K… dargestellt worden ist, zutreffend interpretiert worden ist.“

175

Dem Protokoll kann das Gericht deshalb nicht den gelegentlichen Vortrag mancher Kläger entnehmen, dort sei von dem Funktionsvorgänger der Beklagten (zu)gestanden worden, dass im Rahmen der Kalkulation nicht alle Fördermittel ausgewiesen worden seien. Im Übrigen bleibt unklar, was diese Kläger mit „ausgewiesen“ meinen. Soweit sie damit zum Ausdruck bringen wollen, dass sämtliche erhaltenen Fördermittel (= Zuschüsse) im Zusammenhang mit der öffentlichen Einrichtung der Abwasserbeseitigung von den Herstellungskosten kalkulatorisch abzuziehen seien, ist dies unzutreffend. Vielmehr regelt das Gesetz in § 9 Abs. 2 Sätze 4 ff. KAG M-V die Problematik von Zuschüssen differenziert wie folgt:

176

„… Zuschüsse sind vorbehaltlich der Sätze 5 und 6 zur Deckung des gesamten Aufwandes zu verwenden. Zuschüsse, die nach den Rechtsvorschriften des Zuwendungsprogramms oder sonstigen Bestimmungen des Zuschussgebers zur Begünstigung bestimmter Beitragspflichtiger oder bestimmter Gruppen von Beitragspflichtigen zu verwenden sind, bleiben in der Beitragskalkulation unberücksichtigt. Diese Zuschüsse sind bei der Heranziehung zu den Beiträgen zu Gunsten der in Satz 5 genannten Beitragspflichtigen beitragsmindernd zu berücksichtigen …“

177

b) Der damalige Verbandsvorsteher des Zweckverbands Wismar hat in den mündlichen Verhandlungen der Sachen 8 A 1839/10 u. v. m. am 15. März 2012 allerdings vor dem dort näher dargestellten Hintergrund erklärt:

178

„Gemäß § 2 Abs. 3 des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern erkläre ich, dass die Kosten der Erschließungsverträge Nr. 1, 6, 9, 10, 12, 13, 17, 24, 26, 27, 30, 35, 38, 46 und 47 in einer Gesamthöhe von 862.251,57 € von den beitragsfähigen Kosten in der Kalkulation abgezogen werden. Als beitragsfähige Kosten verbleiben demnach 69.079.753,21 € …

179

Ergänzend … erkläre ich gemäß der genannten Vorschrift, dass sämtliche in der Tabelle Erschließungsverträge genannten Anschaffungskosten in einer Höhe von zusätzlich 4.999.521,91 € aus der Kalkulation herausgenommen werden, damit reduzieren sich auch die Zuschüsse Dritter um 3.646.392,20 €. Der beitragsfähige Aufwand beträgt danach insgesamt 67.726(.)*632,50 €. Der kalkulierte Beitragssatz liegt somit bei 4,29 €.“ * = Das erkennende Gericht hat den offensichtlichen Schreibfehler eines „zu frühen“ Kommas durch einen es ersetzenden Punkt berichtigt.

180

Da der damit gemeinte höchstzulässig kalkulierte Beitragssatz immer noch weit unter dem aus politischen Gründen „gedeckelten“ Beitragssatz von 3,10 €/m² anrechenbarer Nutzfläche des jeweiligen Grundstücks liegt (§ 7 Abs. 1 BSSW 2010/2012), ergeben sich auch aus diesen Erklärungen nach § 2 Abs. 3 Satz 2 KAG M-V keine Konsequenzen für den vorliegenden Fall.

181

c) Der Einwand von Klägern eines Parallelverfahrens (4 A 43/11), eine interne (= bei der Beklagten vorgenommene) Überprüfung der Beitragskalkulation im Jahre 2010 habe darüber hinaus eine grobe Falschberechnung – die im Weiteren dargelegt wird – ergeben, ist durch das weitere Geschehen überholt und veraltet. Unterlagen der Beklagten dazu haben die dortigen Kläger zwar nicht vorgelegt, die Beklagte bestreitet allerdings in den dortigen Verfahren auch weder die interne Revision der damaligen Beitragskalkulation noch deren dargestelltes Ergebnis. Jedenfalls nach den Erklärungen (des Funktionsvorgängers) der Beklagten nach § 2 Abs. 3 KAG M-V in den mündlichen Verhandlungen der Sachen 8 A 1839/10 u. v. m. am 15. März 2012 soll der beitragsfähige (Gesamt-)Aufwand danach allerdings seither („nur“ noch) insgesamt 67.726.632,50 € betragen. Selbst wenn also die Beitragskalkulation bis dahin fehlerhaft gewesen sein sollte, ist sie nunmehr durch nach § 2 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V zulässige (da nicht zu einer Anhebung des Abgabensatzes führende) Erklärungen des damaligen Verbandsvorstehers des Zweckverbands korrigiert worden, ohne dass die nachträgliche Änderung der Kalkulation zur Unwirksamkeit der Beitragssatzung führt oder einer erneuten Befassung der Zweckverbandsversammlung bedarf, § 2 Abs. 3 Satz 2 KAG M-V. Weiteren substantiierten Vortrag, dass selbst diese ca. 67 Mio. € Herstellungsaufwand aus näher dargelegten Erwägungen noch (viel) zu hoch kalkuliert worden seien, gibt es nicht, sondern nur im Parallelverfahren 4 A 43/11 Äußerungen zur Veränderung der seit 1995 kalkulierten Beitragssätze um lediglich 0,03 € trotz umfangreicher Investitionen. Damit wird aber nicht substantiiert vorgetragen, dass und aus welchen Gründen die Beitragskalkulation immer noch nicht ordnungsgemäß ist, zumal unklar bleibt, ob dabei auch der „gedeckelte“ Beitragssatz im Blick genommen worden ist, der kraft Natur der Sache solange unverändert bleibt, als der jeweils höchstzulässig kalkulierte noch darüber liegt. Ungefragt ins Blaue hinein wird das Gericht aber nicht die Beitragskalkulation näher überprüfen.

182

d) Im Übrigen neigt das erkennende Gericht dazu, die bisherige Rechtsprechung zum Vorliegen eines „methodischen“ Kalkulationsfehlers vor dem Hintergrund der mahnenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu zeitlichen Obergrenzen einer kommunalen Abgabenerhebung und der nunmehr landesrechtlich geschaffenen absoluten Obergrenze für eine Anschlussbeitragserhebung mindestens zu überdenken, wenn nicht sogar eine Korrektur hin zur von anderen Obergerichten für die Landesrechtslage in diesen Bundesländern praktizierten „Ergebnisrichtigkeitstheorie“ (vgl. dazu Aussprung, in: ders./Siemers/Holz/Seppelt, Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, Stand: Nov. 2015, § 2 Erl. 8.3.1.1 S. 57 und etwa 8.3.4.2 S. 68, je m. w. N.) vorzunehmen sein wird. Einstweilen begnügt sich das Gericht mit dem Hinweis, dass der vorliegende Beitragssatz von 3,10 €/m² anzurechnender Grundstücksfläche noch deutlich unterhalb des „höchstzulässig“ kalkulierten von zuletzt 4,29 € liegt.

183

B) Auch die konkreten Einwände des Klägers gegen seine Veranlagung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag greifen nicht durch.

184

I. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Anschlussbeitragserhebung (vgl. etwa Aussprung, a. a. O., § 2 Erl. 12.3.2 S. 105) ist hier nicht verletzt. Soweit der Kläger vorträgt, die Stadt N. sei mit Schreiben (des Funktionsvorgängers der Beklagten) vom 21. August 2006 bereits zur Zahlung der Herstellungsbeiträge zur Schmutzwasserbeseitigung herangezogen worden, ist dies unzutreffend. Das Schreiben ist lediglich die Anhörung zur damals beabsichtigten Beitragserhebung, zu der es aber gegenüber der Stadt N. nach Aktenlage nicht gekommen ist. Jedenfalls hat der Kläger auch keinen früheren (nicht von der Beklagten zwischenzeitlich aufgehobenen) Bescheid zur Erhebung eines Schmutzwasseranschlussbeitrags für sein Grundstück vorgelegt. Das Gericht sieht auch keinen Anlass, an der Vollständigkeit der von Beklagtenseite vorgelegten Verwaltungsvorgänge zu zweifeln, namentlich daran, ob es nicht doch – ungeachtet der Frage seiner Rechtmäßigkeit (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 4 KAG M-V und die entsprechende damalige Satzungsvorschrift dazu in § 5 Abs. 1 Satz 3 BSSW vom 20. Dezember 2005, die dann allerdings – [in der Sprache der heutigen Jugendlichen wohl: echt krass] rechtswidrig – in der 1. Änderungssatzung vom 21. Februar 2007 wieder gestrichen wurde) - einen zwischenzeitlichen entsprechenden Beitragsbescheid an die Voreigentümerin des Grundstücks gegeben hat.

185

II. Dem Kläger wird durch den hier (schon seit langem) bestehenden Anschluss seines Gebäudes auf dem Grundstück an die öffentliche Einrichtung der Abwasserbeseitigung auch erstmals ein rechtlicher – und nur um einen solchen geht es hier - Vorteil vermittelt. Es liegt hier im Vergleich vor und seit dem 3. Oktober 1990 kein bloßer Rechtsträgerwechsel nach dem Motto „gestern hat’s der eine öffentliche Betrieb gemacht, heute macht’s halt der andere“ vor, sondern ein sowohl politischer als auch vor allem rechtlich grundlegender Systemwechsel, nachdem die DDR seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr existent und seither die Bundesrepublik Deutschland um fünf neue Bundesländer erweitert worden ist und insoweit gesamtdeutsches Recht nach Maßgabe des Einigungsvertrags in den neuen Ländern gilt, damit erstmals auch nach (Wieder-)Einführung des föderalen Systems auf hiesigem Boden wieder Landesrecht. Diesen rechtlich-existentiellen Wandel gilt es zu beachten und nicht zu ignorieren. Die Feststellung des im heutigen Mecklenburg-Vorpommern geborenen und aufgewachsenen niederdeutschen Dichters Fritz Reuter (1810-1874) „Hier bliwt allens bi’n ollen!” gilt deshalb bei einem Rechtsvergleich vor und nach der Deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 jedenfalls im Hinblick auf das in Mecklenburg-Vorpommern (und den übrigen neuen Ländern) geltende Recht nicht (mehr). Nebenbei sei angemerkt, dass bislang noch kein einziger sog. „Altanschließer“ mit oder ohne anwaltliche(r) Vertretung den (obgleich irrelevanten) Nachweis erbracht hat, dass ein Grundstücks-/Gebäudeeigentümer zu DDR-Zeiten einen wie auch immer gearteten Obolus an den Zentralstaat und seine Organe (wohl seit 1963/1964 namentlich die VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung, die Räte der Städte und Gemeinden usw.) für den Anschluss seiner Immobilie an die damalige öffentliche Anlage zur Schmutzwasserentsorgung geleistet hat bzw. das ein solcher (neben dort wiederkehrend erhobenen Schmutzwassergebühren o. Ä.?) nach DDR-Recht überhaupt vom damaligen Grundstücks- oder Gebäudeeigentümer zu erheben war. Häufiger gehört hat das Gericht dagegen den Einwand, man habe doch jedenfalls zu DDR-Zeiten den Grundstücks- oder Hausanschluss – manchmal auch einen Teil der Kanalisation in der betreffenden Straße - „auf eigene Kosten“ gelegt; jenseits der sicherlich hineingesteckten Arbeitskraft sei dieser Aspekt hier vorsichtshalber nicht näher beleuchtet, soweit es die Frage betrifft, woher die verbauten Rohre usw. stammten und ob sie nach DDR-Recht rechtmäßig erworben wurden (die dafür z. B. verwendeten Rohre gab es jedenfalls nicht im real-nicht existierenden „VEB“ Baumarkt). Selbst wenn dies aber so wäre, hätte ein Voreigentümer (hier: des Gebäudes auf dem wohl damals volkseigenen Grundstück) nur an einem sehr kleinen Bruchteil der Gesamtanlage der Abwasserentsorgung des Zweckverbands mitgewirkt, ohne dass dem Zweckverband eigener Aufwand entstanden ist. Solange ebensolcher Aufwand aber nicht in der Beitragskalkulation als zu refinanzierender Posten des Zweckverbands auftaucht, wofür weder im vorliegenden Fall noch generell etwas ersichtlich ist, spielt dies aber von vornherein keine Rolle, zudem lediglich die Investitionen nach der deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 bis zum Ende des Kalkulationszeitraums in die Globalkalkulation einfließen (dürfen); selbst übernommene Altschulden aus DDR-Zeiten dürfen nur dann einkalkuliert werden, wenn der Zweckverband sie übernommen hat und sie tilgt.

186

III. Der hier geltend gemachte Anschlussbeitrag ist auch weder festsetzungsverjährt noch verwirkt. Wie bereits oben ausgeführt, ist die hier in Rede stehende Schmutzwasseranschlussbeitragssatzung aus dem Jahre 2010 die erste wirksame ihrer Art für den Zweckverband. Die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist wird bei der vorliegenden Beitragserhebung im Jahre 2012 nicht überschritten.

187

Entgegen der Darstellung des Klägers geht es insoweit auch nicht um „übliche“ Rechtsprechung, an der nicht mehr festzuhalten sei, sondern um schlichte Subsumtion unter die vom Landesgesetzgeber geschaffene Rechtslage im Bereich der kommunalen Abgaben. § 12 Abs. 1 KAG M-V verweist auf die bereits genannten Vorschriften zur Festsetzungsverjährung in der Abgabenordnung.

188

Die von Klägerseite aber damit angesprochene verfassungsrechtliche Problematik im Hinblick auf das aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip) vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit (erstmals im Beschl. v. 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 -, BVerfGE 133, 143 ff., dann perpetuiert vom 3. Sept. 2013 – 1 BvR 1282/13 -, juris, und jüngst wiederholt im Nichtannahmebeschluss vom 21. Juli 2016 – 1 BvR 3092/15 –, juris Rn. 6) zwingt aber nicht dazu, die Bestimmungen zur Festsetzungsverjährung als verfassungswidrig anzusehen, sondern betraf das verfassungsrechtliche Problem, dass der Landesgesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten gewesen ist, eine absolute zeitliche Obergrenze für die Erhebung von Anschlussbeiträgen usw. zu normieren. Dies ist nunmehr mit § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. geschehen (s. o.).

189

Der Landesgesetzgeber war auch nicht zwingend gehalten, diesem verfassungsrechtlichen Gebot durch eine landesgesetzliche Änderung der hier als Landesrecht geltenden Bestimmungen zur Festsetzungsverjährung in der Abgabenordnung (z. B. „gilt mit der Maßgabe, dass ...“) Rechnung zu tragen. Dies folgt etwa auch aus den bereits zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 5. März 2013 (a. a. O., Rn. 49 f.), ebenso aber aus den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 (- 9 C 19.14 -, a. a. O., Rn. 17).

190

IV. Die Heranziehung von Eigentümern sog. altangeschlossener Grundstücke bzw. Gebäude ist auch weder willkürlich noch widerspricht sie dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Umgekehrt wäre vielmehr ein solcher Verstoß festzustellen, nähme ein Beitragsgläubiger diese Gruppe aus der Beitragspflicht heraus oder setzte unterschiedliche Beitragssätze fest (vgl. aus jüngster Zeit etwa OVG Greifswald, Urt. v. 1. April 2014 – 1 L 142/13 -, a. a. O., Rn. 52 m. w. N.). Auch die sog. Altanschließer haben einen (rechtlichen) Vorteil von der öffentlichen Einrichtung. Dazu hat nicht zuletzt das Bundesverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom 15. April 2015 (9 C 19.14, a. a. O., Rn. 16) ausgeführt:

191

„... Bei dem Begriff des Vorteils handelt es sich um einen landesrechtlichen und damit - vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Bindungen - nicht revisiblen Begriff (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2012 - 9 BN 1.12 - juris Rn. 16). Hierzu hat das Berufungsgericht festgestellt, der beitragsrechtliche Vorteil sei auch Eigentümern von tatsächlich schon zu DDR-Zeiten angeschlossenen Grundstücken erst in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem ihnen mit den jeweiligen öffentlichen Entsorgungseinrichtungen erstmals und frühestens unter dem grundlegend neuen Rechtsregime nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden sei, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können. Dies begegnet angesichts der weiteren Feststellung des Berufungsgerichts, dass Herstellungsbeiträge nur für nach der Wiedervereinigung entstandene Aufwendungen - und somit nicht doppelt - erhoben werden dürfen, keinen bundesrechtlichen Bedenken. Insbesondere steht Bundesverfassungsrecht dieser Auslegung - auch unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) - nicht entgegen. Zwar schützt danach das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 41). Indes bedeutet dies nicht, dass maßgeblicher Zeitpunkt ausnahmslos bereits derjenige des tatsächlichen Anschlusses an das Abwassersystem ist. Die Bestimmung der ab dem Eintritt der Vorteilslage zu bemessenden Ausschlussfrist muss nicht nur die Erwartung des Begünstigten auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung, sondern auch das öffentliche Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Anlage berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 40). Hieraus folgt, dass es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln muss. Die Annahme des Berufungsgerichts, mit der Umgestaltung der Rechtsordnung und der Neugründung einer kommunalen - und damit erstmals kommunalabgabenrechtlich relevanten - Abwasserentsorgung im Jahr 1990 sei mit Blick auf den zukünftigen Ausbau der Einrichtung erstmalig eine Vorteilslage entstanden, stimmt damit überein.“

192

V. Zwar dürfte der anwaltlich vertretene Kläger irren, wenn er selbst vorträgt, (damals) Eigentümer des Grundstücks (gewesen) zu sein. Durch Zuschlag hatte er im Jahre 2011 vielmehr lediglich das Eigentum an dem Gebäude auf dem allerdings mit einem dinglichen Nutzungsrecht zugunsten des Gebäudeeigentümers belasteten Grundstück erworben. Diese Rechtsposition hielt er auch noch zum nach § 7 Abs. 2 Sätze 1 und 4 KAG M-V und § 5 Abs. 1 BSSW 2010/2012 maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids vom 9. August 2012 inne.

193

Seiner Heranziehung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag steht dem allerdings nicht im Wege. Denn in diesem Fall ist er als Inhaber des dinglichen Nutzungsrechts nach Art. 233 § 4 EGBGB i. V. m. § 5 Abs. 1 Satz 2 BSSW 2010/2012, der sich auf § 7 Abs. 1 Satz 4 KAG M-V stützt, zu Recht als Beitragspflichtiger in Anspruch genommen worden.

194

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

195

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 05. Sept. 2016 - 4 A 206/13

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 05. Sept. 2016 - 4 A 206/13

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 05. Sept. 2016 - 4 A 206/13 zitiert 22 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 47


(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit 1. von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 de

Abgabenordnung - AO 1977 | § 170 Beginn der Festsetzungsfrist


(1) Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist. (2) Abweichend von Absatz 1 beginnt die Festsetzungsfrist, wenn1.eine Steuererklärung od

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 95


(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 121


Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,1.die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und2.im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

Baugesetzbuch - BBauG | § 127 Erhebung des Erschließungsbeitrags


(1) Die Gemeinden erheben zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag nach Maßgabe der folgenden Vorschriften. (2) Erschließungsanlagen im Sinne dieses Abschnitts sind 1. die öffentli

Abgabenordnung - AO 1977 | § 130 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts


(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. (2) Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich er

Baugesetzbuch - BBauG | § 242 Überleitungsvorschriften für die Erschließung


(1) Für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, kann auch nach diesem Gesetzbuch kein Beitrag erhoben werden. (2) Soweit am 29. Juni 1961 zur

Abgabenordnung - AO 1977 | § 131 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts


(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste

Baugesetzbuch - BBauG | § 246a Überschwemmungsgebiete, überschwemmungsgefährdete Gebiete


Anlässlich der Neubekanntmachung eines Flächennutzungsplans nach § 6 Absatz 6 sollen die in § 5 Absatz 4a bezeichneten Gebiete nach Maßgabe dieser Bestimmung nachrichtlich übernommen und vermerkt werden.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 05. Sept. 2016 - 4 A 206/13 zitiert oder wird zitiert von 16 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 05. Sept. 2016 - 4 A 206/13 zitiert 13 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 21. Juli 2016 - 1 BvR 3092/15

bei uns veröffentlicht am 21.07.2016

Tenor Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Gründe I.

Bundesverfassungsgericht Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren, 19. Juli 2016 - 2 BvR 1958/13

bei uns veröffentlicht am 19.07.2016

Tenor Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 50.000 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 01. Apr. 2014 - 1 L 142/13

bei uns veröffentlicht am 01.04.2014

Tenor Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 16. April 2013 – 4 A 1280/12 – wird zurückgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner. Das Urteil ist im Kostenpunkt v

Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 03. Sept. 2013 - 1 BvR 1282/13

bei uns veröffentlicht am 03.09.2013

Gründe 1 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr

Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 11. Apr. 2013 - 4 A 1250/12

bei uns veröffentlicht am 11.04.2013

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Berufung wird zugelassen. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger sind befugt, die Vollst

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 05. März 2013 - 1 BvR 2457/08

bei uns veröffentlicht am 05.03.2013

Tenor 1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 02. Mai 2012 - 2 BvL 5/10

bei uns veröffentlicht am 02.05.2012

Tenor Artikel 17 Absatz 1 des Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz - DNeuG) vom 5. Februar 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 160) ist

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 13. Dez. 2011 - 1 L 192/08

bei uns veröffentlicht am 13.12.2011

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 06. August 2008 – 3 A 192/08 – wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig.

Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 10. Okt. 2011 - 8 A 560/10

bei uns veröffentlicht am 10.10.2011

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin ist befugt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe v

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 14. Sept. 2010 - 4 K 12/07

bei uns veröffentlicht am 14.09.2010

Tenor Die Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz vom 14. Dezember 2006 in der Fassung der Zweiten Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz vom 2

Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 22. Jan. 2010 - 8 A 1369/09

bei uns veröffentlicht am 22.01.2010

Tenor Der Bescheid vom 2. Juni 2009 - Az.: S [...]/09 - und der Widerspruchsbescheid vom 3. September 2009 - Az.: S [...]/09 - werden aufgehoben. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vo

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 15. Dez. 2009 - 1 L 323/06

bei uns veröffentlicht am 15.12.2009

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kostenschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleist

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 06. Feb. 2007 - 1 L 295/05

bei uns veröffentlicht am 06.02.2007

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 24. Mai 2005 - 4 A 1095/04 - wird abgelehnt. Der Kläger trägt auch die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Streitwert wird auch fü
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 05. Sept. 2016 - 4 A 206/13.

Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 30. Jan. 2017 - 4 A 1352/12

bei uns veröffentlicht am 30.01.2017

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %

Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 24. Nov. 2016 - 4 A 617/10

bei uns veröffentlicht am 24.11.2016

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibende

Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 17. Okt. 2016 - 4 A 1025/15 SN

bei uns veröffentlicht am 17.10.2016

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten über einen Anschlussbeitragsbescheid für die öffentliche Schmutzwasseranlage Hagenow. 2 Die Klägerin ist Eigentümerin des

Referenzen

Tenor

1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.

2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 - M 10 K 06.2850 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

I.

2

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs setzt das Entstehen einer Beitragspflicht für den Anschluss an leitungsgebundene Einrichtungen neben dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung (sogenannte Vorteilslage) zwingend das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. April 2011 - 20 BV 11.133 -, BayVBl 2012, S. 45 <46>; Urteil vom 29. April 2010 - 20 BV 09.2010 -, BayVBl 2011, S. 240; Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, juris). Eine wirksame Satzung ist somit Beitragsentstehungsvoraussetzung. Die Satzung muss nach Art. 5 Abs. 8 BayKAG nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein. Es genügt vielmehr, wenn sie nach deren Entstehung in Kraft tritt.

3

2. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BayKAG in Verbindung mit § 47 der Abgabenordnung (AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis. Die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf der Erlass eines Beitragsbescheids unzulässig ist, beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 AO einheitlich vier Jahre.

4

3. Durch das am 31. Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) wurde der Beginn der Festsetzungsfrist mit Wirkung zum 1. Januar 1993 neu geregelt. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc BayKAG erhielt folgende Fassung:

5

Art. 13

Anwendung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977)

(1) Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, sind in ihrer jeweils geltenden Fassung vorbehaltlich Absatz 6 folgende Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden:

(…)

4. aus dem Vierten Teil - Durchführung der Besteuerung -

(…)

b) über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren:

(…)

cc) § 170 Abs. 1 mit der Maßgabe,

- dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und

- dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist, (…).

6

Die in Bezug genommene Vorschrift des § 170 Abs. 1 AO lautet:

7

Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

8

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 1 BayKAG entspricht der bis dahin geltenden Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG vom 26. März 1974 (GVBl S. 109, ber. 252) in der Fassung vom 4. Februar 1977 (GVBl S. 82). Mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 wurde Spiegelstrich 2 neu in die gesetzliche Regelung eingefügt.

9

4. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs eine gesetzliche Klarstellung (LTDrucks 12/8082, S. 13). Bisher sei es in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs umstritten gewesen, ob in den Fällen, in denen eine nichtige Satzung rückwirkend durch eine gültige Satzung ersetzt werde, die Festsetzungsfrist mit dem Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Satzung (so BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60) oder erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginne, in dem die rückwirkende Satzung bekanntgemacht worden sei (so BayVGH 23. Senat, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Mit der Einfügung einer weiteren Maßgabe in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG werde die den Bedürfnissen der Praxis entgegen kommende Auffassung des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gesetzlich klargestellt. Nach der gegenteiligen Ansicht könne nämlich eine rückwirkend entstandene Forderung gleichzeitig festsetzungsverjährt sein, wenn sich die Rückwirkungsfrist über die Verjährungsfrist hinaus erstrecke.

II.

10

1. Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Gemeinde, in der das Grundstück gelegen ist (im Folgenden: Beklagte), fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

11

Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Beschwerdeführer erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € heran. Der Herstellungsbeitrag wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

12

Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 als unwirksam. Die Beklagte erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

13

2. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 geschaffen worden. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1. April 1995 entstanden. Der Beschwerdeführer sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

14

Der Beschwerdeführer könne hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, diese Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und müsse daher, insbesondere im Fall eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels, abweichend von ihrem Wortlaut einschränkend ausgelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestünden gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Gemeinden im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren. Im Übrigen sei keiner der jetzigen oder ehemaligen Grundstückseigentümer in seiner Erwartung geschützt, von der Nichtigkeit früheren Satzungsrechts profitieren zu können; denn ein abgeschlossener Beitragstatbestand liege nicht vor. Welchen der Eigentümer die Beitragspflicht treffe, hänge von der Bestimmung des Zeitpunkts der Rückwirkung ab. Sei dieser - wie im vorliegenden Fall - ohne Verstoß gegen das Willkürverbot gewählt, bestehe kein Grund für eine rechtliche Beanstandung.

15

3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids nicht verjährt gewesen sei. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber habe hiermit eine Regelung getroffen, die der bis dahin ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprochen habe (Hinweis auf BayVGH, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Die Norm enthalte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß eine klare Aussage über den Lauf der Festsetzungsfrist, gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb nicht vor, weil kein abgeschlossener Beitragstatbestand gegeben sei. Denn bei leitungsgebundenen Einrichtungen setze die Entstehung einer Beitragspflicht nach ständiger Rechtsprechung das Vorhandensein einer gültigen Abgabensatzung voraus. Eine wirksame Abgabensatzung habe erstmals im Jahr 2005 vorgelegen. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, die rückwirkende Inkraftsetzung einer Abgabensatzung müsse wenigstens zeitlich auf die einschlägigen Verjährungsvorschriften beschränkt werden, lasse er außer Acht, dass nur eine bereits entstandene Beitragsforderung verjähren könne. Bei fehlgeschlagenem Satzungsrecht müsse ein bisher nicht veranlagter Beitragspflichtiger damit rechnen, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen zu werden. Er könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

III.

16

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

1. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene uneingeschränkte Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG auf rückwirkend in Kraft gesetzte Satzungen verstoße wegen der damit verbundenen echten Rückwirkung gegen die aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei geboten, die Rückwirkung einer Satzung durch Festsetzungsfristen zu begrenzen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung dürfe nicht beliebig hinausgeschoben werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei im Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens einer Satzung entweder nicht anzuwenden oder verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung beginne.

18

2. Die Ausgangsgerichte hätten Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sie ihm nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt hätten. Er habe mit der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend gemacht, dass der Beitragsanspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen sei. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beginne die Festsetzungsfrist nur zu laufen, wenn eine wirksame Beitragssatzung vorliege. Die Beklagte und die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen hätten sich darauf berufen, dass sämtliche Satzungen, die der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 vorausgingen, nichtig gewesen seien, was durch diverse Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bereits geklärt worden sei. Er habe deshalb die Vorlage dieser Entscheidungen außergerichtlich und schließlich auch vor dem Verwaltungsgericht begehrt. Die maßgeblichen Entscheidungen seien ihm jedoch nicht vollständig zugänglich gemacht worden. Ihm sei es deshalb nicht möglich gewesen, zur Frage der Nichtigkeit sämtlicher Satzungen ausreichend Stellung zu nehmen.

IV.

19

Die Beklagte, die Bayerische Staatsregierung und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

20

1. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus sei der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer keine Anhörungsrüge erhoben habe.

21

Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen nicht begründet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn ein Vertrauen darauf, dass eine als nichtig erkannte Regelung aufrechterhalten bleibe und nicht durch eine neue, rückwirkende Satzung ersetzt werde, sei nicht schützenswert. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Grundstück veräußert habe, bedeute nicht, dass dadurch ein für seine Beitragspflicht maßgeblicher Tatbestand abgeschlossen sei und er in der Folge nicht mehr zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfe. Er habe vielmehr den für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Vorteil der Möglichkeit der Anschlussnahme entgegengenommen und mit dem Grundstücksverkauf nicht verloren. Dieser Vorteil habe den Wert seines Grundstücks erhöht mit der Folge, dass er für das Grundstück einen höheren Kaufpreis habe erzielen können.

22

2. Die Bayerische Staatsregierung hält Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG für verfassungsgemäß. Die Ersetzung einer als nichtig erkannten durch eine wirksame Beitragssatzung stelle keinen Fall einer echten, sondern allenfalls einer unechten Rückwirkung dar. Es sei kein abgeschlossener Lebenssachverhalt gegeben, in den nachträglich eingegriffen worden sei. Denn die Beitragsentstehung setze das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus. Ohne diese sei eine Berechnung des Beitrags in Ermangelung eines Beitragsmaßstabs nicht möglich.

23

Das Vertrauen des Beschwerdeführers wäre selbst bei Annahme einer echten Rückwirkung nicht schutzwürdig, weil er damit habe rechnen müssen, dass eine vorhandene, aber als nichtig erkannte Satzung durch eine gültige Satzung ersetzt werde, mit der die von Anfang an von der Gemeinde angestrebte Beitragspflicht herbeigeführt werde. Es seien keine Umstände erkennbar, die ein Vertrauen darauf rechtfertigten, dass die Gemeinde es bei einer nichtigen Beitragssatzung belassen und auf eine Beitragserhebung verzichten würde.

24

Eine zeitliche Beschränkung der Rückwirkung auf die Festsetzungsfristen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht geboten. Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG eine Lösung gewählt, die sowohl die Gemeinden vor Beitragsausfällen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung bewahre als auch dem Vorteilsgedanken Rechnung trage. Die Gemeinden würden nach Erlass der gültigen Satzung erstmals in die Lage versetzt, Beiträge nach den Maßstäben dieser gültigen Satzung korrekt festzusetzen und die öffentliche Einrichtung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Regelungen zu refinanzieren. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Interessen der betroffenen Beitragspflichtigen überwiege das öffentliche Interesse. Ein Grundstückseigentümer müsse damit rechnen, zu einem Beitrag herangezogen zu werden. Sein Vertrauen darauf, dass eine nichtige Satzung nicht durch eine gültige Satzung ersetzt werde, sei nicht schutzwürdig. Verjährungsvorschriften dienten der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Im vorliegenden Fall liege kein Vorgang vor, auf dessen Abschluss der Bürger sich einstellen und auf dessen Ende er vertrauen könne. Da dem Beitragspflichtigen kein schützenswertes Vertrauen zur Seite stehe, komme dem öffentlichen Interesse an der Beitragserhebung das entscheidende Gewicht zu.

25

3. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, es sei mit der Frage nach dem Lauf der Festsetzungsfrist bei der rückwirkenden "Reparatur" nichtiger Abgabennormen bisher nur am Rande befasst gewesen. Nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei es allerdings mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, kommunale Anschluss- und Erschließungsbeitragssatzungen rückwirkend in Kraft zu setzen, um früher erlassene, auf eine nichtige Vorgängersatzung gestützte Beitragsbescheide zu heilen (Hinweis auf BVerwGE 50, 2 <7 f.>; 67, 129 <130 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 - BVerwG 8 B 13.96 -, Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 <4>). Werde eine ungültige durch eine gültige Satzung ersetzt, liege darin keine echte Rückwirkung, da eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung entstehen könne und diese Satzung somit nicht in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife (Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1986 - BVerwG 8 B 123.84 -, NVwZ 1986, S. 483 <484>).

26

Die Festsetzungsverjährung sei im Abgabenrecht der Länder geregelt (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 - BVerwG IV C 84-92.74 -, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20, S. 20<25> sowie NJW 1977, S. 1740 <1741>). Die Anknüpfung der Verjährung an die rückwirkende Entstehung der Beitragspflicht stehe mit Bundesrecht in Einklang. Die Frage der bundesrechtlichen Unbedenklichkeit einer Anknüpfung an die Verkündung der neuen Satzung sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter problematisiert worden.

27

Gegen die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG getroffene Regelung bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das rückwirkende Inkrafttreten der neuen Satzung habe zwar zur Folge, dass bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt (frühestens zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens) die Beitragsvoraussetzungen erfüllt sein könnten. Es sei aber kein verfassungsrechtlicher Grundsatz ersichtlich, der dazu zwinge, die Festsetzungsverjährung in Rückwirkungsfällen an das Entstehen der Beitragsforderung anzuknüpfen. Da die Behörde erst mit der Verkündung der neuen Satzung in den Stand versetzt werde, einen rechtlich tragfähigen Beitragsbescheid zu erlassen, beziehungsweise erst mit der Verkündung ein auf die frühere nichtige Satzung gestützter Beitragsbescheid geheilt werde, sprächen Sachgründe für den im Bayerischen Kommunalabgabengesetz gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt der Festsetzungsverjährung. Die Regelung verstoße daher nicht gegen das Willkürverbot.

28

Mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dürfte die Regelung gleichfalls in Einklang stehen. Das Institut der Festsetzungsverjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Hinweis auf BFH, Urteil vom 15. Juni 1988 - I R 68/86 -, BFH/NV 1990, S. 128). Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Verkündung der neuen Satzung führe zwar dazu, dass ein sehr langer Zeitraum zwischen dem die Beitragsforderung begründenden Sachverhalt und dem Ablauf der Verjährungsfrist liegen könne. Es sei aber zu bedenken, dass die mit der Festsetzungsverjährung verfolgten Ziele in einem Spannungsverhältnis zu dem Belang materieller Gerechtigkeit und dem fiskalischen Interesse an der Durchsetzung des Abgabenanspruchs stünden. Für die Aufgabe, zwischen den Polen in diesem Spannungsverhältnis einen verhältnismäßigen Ausgleich zu schaffen, sei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Gehe man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass der Beitragspflichtige sich gegenüber dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Beitragssatzung nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, und berücksichtige man zusätzlich die besondere Fehleranfälligkeit kommunaler Beitragssatzungen und das daraus resultierende gesteigerte Interesse an einer effektiven Nutzbarkeit der Heilungsmöglichkeiten, dürfte sich die Verjährungsregelung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes innerhalb dieses Gestaltungsspielraums halten.

29

4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weist darauf hin, dass der rückwirkende Erlass einer Satzung, welche die "Reparatur" einer unwirksamen Satzung bezwecke, eine Ausnahme darstelle und im vorliegenden Fall verwaltungspraktische Gründe gehabt habe. Die auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 erlassenen Bescheide wären sonst im Fall eines Eigentümerwechsels bei einem Teil der früheren Eigentümer bestandskräftig geworden und hätten bei nicht bestandskräftigen Bescheiden aufgehoben und gegenüber dem neuen Eigentümer neu erlassen werden müssen. Dadurch wäre es zu Ungleichbehandlungen gekommen. Der rückwirkende Erlass einer Satzung sei in der Praxis auch dann erforderlich, wenn andernfalls die Einbringung von Forderungen, zum Beispiel wegen Insolvenz oder Zwangsversteigerungsverfahren, gefährdet wäre. Eine Rückwirkung erstrecke sich üblicherweise nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Dieser lange Zeitraum ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 den in der Vorgängersatzung normierten Rückwirkungszeitpunkt beibehalten habe, was einen atypischen, sozusagen "verdoppelten" Rückwirkungszeitraum zur Folge gehabt habe.

B.

30

Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Rügen sind nur teilweise zulässig.

I.

31

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat insoweit die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt (vgl. BVerfGE 7, 95 <99>; 60, 313 <318>; 86, 133 <147>).

II.

32

Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes betrifft, ist sie zulässig.

33

Der Beschwerdeführer war - trotz Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG - nicht gehalten, zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben. Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 f.>).

C.

34

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

I.

35

1. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verletzt im vorliegenden Fall nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze.

36

Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263>; 126, 369 <393>).

37

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG selbst entfaltet dem Beschwerdeführer gegenüber keine Rückwirkung. Die Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beiträgen, die auf Abgabensatzungen gestützt sind, welche eine frühere unwirksame Satzung wirksam heilen. Bei ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 1993 lag eine solche wirksam heilende Satzung im Fall des Beschwerdeführers noch nicht vor und wurde auch später nicht rückwirkend zum oder vor dem 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt, so dass die Verjährungsfrist unabhängig von der Neuregelung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Solange der Lauf der Verjährungsfrist mangels gültiger Satzung nicht begonnen hat, betrifft die gesetzliche Neuregelung des Beginns der Verjährung mit der Wirkung einer Verjährungsverlängerung jedoch noch nicht einmal einen in der Vergangenheit begonnenen und nicht abgeschlossenen Sachverhalt.

38

Die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits bestehende Vorteilslage begründet für den Beschwerdeführer ebenfalls keinen bereits begonnenen Sachverhalt, in den die Neuregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG im Wege einer Rückwirkung eingegriffen hätte. Denn die Neuregelung beschränkt sich auf das Hinausschieben des Beginns der Verjährung. Eine solche konnte ohne wirksame Satzung aber nicht zu laufen beginnen.

39

2. Sollte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die unwirksame Satzung auf den Schein eines Verjährungslaufs vertraut haben, so kann dahinstehen, ob und in welchem Zusammenhang das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verfassungsrechtlichen Schutz verdient. Nach den Feststellungen der Ausgangsgerichte hätte die Festsetzungsfrist selbst bei Wirksamkeit der unwirksamen Satzung frühestens mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes wurde aber bereits am 31. Dezember 1992 und damit sogar noch vor dem scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verkündet.

II.

40

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 30, 392 <403>; 43, 242 <286>; 60, 253 <267>). Er erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

41

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, DStR 2012, S. 2322 <2325>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten.

42

2. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

43

a) Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber.

44

Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

45

b) Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

46

c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

47

3. Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.

48

Der Beitragspflicht können die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 - BVerwG 3 B 36.11 -, BeckRS 2011, 53777; Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 314) und des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1986 - II R 167/84 -, BFHE 147, 409 <412>) erfordert Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung dürfte selbst in den Fällen der Beitragserhebung nach scheinbarem Ablauf der Festsetzungsfrist regelmäßig nicht erfüllt sein.

D.

I.

49

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

50

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ).

II.

51

Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

52

Die Aussetzung gibt dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa für den Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens heilender Satzungen BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60).

III.

53

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Berufung wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger sind befugt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen einen Beitragsbescheid für den Anschluss an die zentrale Schmutzwasserentsorgung.

2

Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks auf der A-Stadt mit einer Größe von 300 m² (Flurstücksbezeichnung Gemarkung O., Flur 2, Flurstück 177).

3

Mit Beitragsbescheid vom 06. Oktober 2010 erhob der Beklagte für das genannte Grundstück einen Herstellungsbeitrag für die zentrale Schmutzwasserentsorgungsanlage in Höhe 933,10 €. Hiergegen legten die Kläger mit Schreiben vom 12. Oktober 2010 Widerspruch ein, den sie umfangreich begründeten.

4

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, dass er nunmehr mit seiner Beitragssatzung vom 03. März 2010 über gültiges Satzungsrecht für die Erhebung von Anschlussbeiträgen verfüge. Dies sei die erste wirksame Satzung des Zweckverbandes. Seit einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald vom April 1999 sei es ständige Rechtsprechung aller Verwaltungsgerichte in Mecklenburg-Vorpommern, dass Beiträge von allen angeschlossenen Grundstücken erhoben werden, selbst wenn diese bereits „altangeschlossen“ seien. Der Verband habe in seine Anlage erhebliche Investitionen getätigt. So seien ab Januar 1997 fast alle Kläranlagen auf dem Stand der Technik umgebaut worden. Dies habe an den meisten Standorten faktisch einen Neubau bedeutet. Der Widerspruchsbescheid wurde am 17. Juli 2012 zugestellt.

5

Am 03. August 2012 haben die Kläger hiergegen Klage erhoben. Sie meinen, dem Bescheid fehle eine wirksame Rechtsgrundlage. Die maßgebliche Satzung habe keine gültige Rechtsgrundlage. Die für die Satzung herangezogene Rechtsgrundlage des § 9 Abs. 3 KAG M-V sei nichtig. Soweit das Gesetz bestimme, dass die Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung entstehe, verstoße eine derartige Regelung gegen Artikel 20 Abs. 3 GG. Auch seien das Bestimmtheitsgebot und das Transparenzgebot in nicht hinnehmbarer Weise verletzt. Die Regelung modifiziere die verfassungsrechtlichen Vorgaben über das Inkrafttreten von Gesetzen und Rechtsverordnungen. Für den Bürger sei nicht erkennbar, wann das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht sein könne.

6

Darüber hinaus gelte folgendes,

7

- durch den Beklagten sei keine öffentliche Einrichtung hergestellt worden,
- der Beklagte biete den Klägern keinen Vorteil durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung,
- eine Inanspruchnahme durch Beitragsbescheid sei verjährt/verwirkt,
- eine Inanspruchnahme der Kläger verstoße gegen das Vertrauensschutzgebot und das Gleichbehandlungsverbot.

8

Zu Zeiten der DDR habe es auf der A-Stadt eine zentrale Abwasserbeseitigungsanlage gegeben. Diese Abwasserbeseitigungsanlage sei von dem VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung E-Stadt betrieben worden. Dieser Betrieb sei den jetzigen Eigenbetrieben der Kommunen vergleichbar. Deshalb habe auch zu DDR-Zeiten eine öffentliche Einrichtung der Wasserver- und Abwasserentsorgung existiert. Die von dem VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung E-Stadt betriebene Anlage sei letztlich auf den Beklagten übergegangen. Die Kläger seien seit den Zeiten des VEB Wasserversorgung bis zum Entstehen des Beklagten unverändert mit ihrem Grundstück an die Abwasserbehandlungsanlage angeschlossen gewesen. Die Erhebung eines Herstellungsbeitrages sei daher rechtswidrig. Unter Herstellung sei begrifflich etwas Neues zu verstehen. Eine Abwasseranlage werde hergestellt, wenn zuvor keine Abwasserbehandlungsanlage gegeben habe.

9

Die Anlage böte den Klägern auch keinen Vorteil. Die Kläger hätten auch zuvor ihr Abwasser entsorgen können. Allein der Wechsel der Rechtsträgerschaft könne nicht als Vorteil im Sinne des Beitragsgesetzes angesehen werden.

10

Der Beitrag sei auch verjährt. Die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern betrage vier Jahre. Sie beriefen sich darauf, dass bereits das Kommunalabgabengesetz von 1993 eine Bestimmung über das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht enthalte. Die Regelung im KAG 1993 habe auch vorgesehen, dass eine Abgabensatzung rückwirkend erlassen werde, damit ein Beitragspflichtiger noch in Anspruch genommen werden könne. Die Inanspruchnahme eines nicht angeschlossenen Grundstücks zu einem Anschlussbeitrag könne in der Tat frühestens mit dem Inkrafttreten von entsprechenden Satzungsregelungen gerechtfertigt werden. Für bereits angeschlossene Grundstücke gelten derartige Erwägungen aber nicht. Hier sei als Entstehungszeitpunkt ausschließlich auf den Zeitpunkt der endgültigen Herstellung der Einrichtung der Anlage abzustellen. Für die endgültige Herstellung der leitungsgebundenen Anlage zur Schmutzwasserversorgung sei das Jahr 1993 zugrunde zu legen. Die Festsetzungsfrist sei daher bereits länger verstrichen. Selbst wenn man hineinlesen wolle, dass das Tatbestandmerkmal einer wirksamen Satzung habe vorliegen müssen, so hätte der Beklagte seit dem Jahr 1993 über eine entsprechende wirksame Beitragssatzung verfügt. Die am 22. Dezember 1993 erlassene Beitragssatzung sei zu keinem Zeitpunkt in einem förmlichen Verfahren für unwirksam erklärt worden. Auch die Nachfolgesatzungen seien nicht offiziell für unwirksam erklärt worden. Vor diesem Hintergrund werde es als unzulässig angesehen, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall feststelle, dass Satzungen rechtsunwirksam gewesen seien. Diese Feststellung sei vom Verwaltungsgericht quasi ungefragt erfolgt. Eine Normverwerfungskompetenz sei dem Verwaltungsgericht nicht zugewiesen.

11

Weiter verstoße die Heranziehung gegen das Gleichbehandlungsverbot. Entgegen der gefestigten Auffassung des Oberverwaltungsgerichtes Greifswald sei eine derartige Heranziehung unbillig. Denn es sei gerade keine wesentlich gleiche Ausgangssituation gegeben. Soweit das OVG Greifswald in seiner Entscheidung vom 21. April 1999 feststelle, dass erstmalig den Grundstückseigentümern ein rechtlich gesicherter Vorteil geboten worden sei, so sei diese Feststellung unhaltbar, denn auch zu DDR-Zeiten hätten die Eigentümer einen rechtlich gesicherten Vorteil gehabt.

12

Die Heranziehung mehr als zwanzig Jahre nach dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern verstoße gegen das Rechtsstaatsgebot des Artikel 19 Abs. 4, Artikel 20 GG. Danach sei die Exekutive verpflichtet, Rechtssicherheit und Vertrauensschutz zu gewährleisten. Dies gelte auch im Hinblick auf Verjährungsvorschriften. Verjährungsvorschriften stellten Rechtssicherheit her. Der hierin zum Ausdruck kommende Grundsatz der Rechtssicherheit könne nicht aushebelt werden.

13

Die Kläger beantragen,

14

den Bescheid des Beklagten vom 06.10.2010 in der Fassung des Widerspruchs-bescheides des Beklagten vom 12.07.2012 aufzuheben.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Er meint, die von den Klägern angesprochenen Fragen zum Satzungsrecht sowie zur sogenannten „Altanschließer-Rechtsprechung“ seien seit geraumer Zeit hinreichend in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Greifswald geklärt. Der Bescheid verfüge auch nach der Rechtsprechung der Kammer über wirksames Satzungsrecht. Es möge sein, dass das Grundstück der Kläger unverändert an eine zentrale Anlage angeschlossen sei. In die Beitragskalkulation seien aber nur die Investitionen eingeflossen, die seit dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern in die Anlage investiert worden seien. Dies seien die Herstellungsmaßnahmen im Sinne des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern und damit ein Herstellungsbeitrag im rechtlichen Sinne und nicht im technischen Sinne. Darüber hinaus hätten die Kläger auch nicht „denselben“ Vorteil wie zu DDR-Zeiten sondern eine nach heutigen Maßstäben technisch einwandfreie Anlage. Eine Heranziehung sei auch nie so fair wie heute gewesen, da nunmehr über den langen Zeitraum ein mit „harten“ Zahlen unterlegbares Kalkulationswerk vorliege und man nicht nur auf Prognosen angewiesen sei. Ein Vertrauensschutz oder eine Verwirkung, komme daher nicht in Betracht, da allen Beteiligten jederzeit bekannt gewesen sei, dass der Beklagte sich um eine rechtlich einwandfreie Beitragserhebung bemühe und dies nur durch eine „höchst dynamische Rechtsprechung“ im Lande verzögert worden sei. Die Investitionen seien im Sinne aller Anschlussberechtigten auch getätigt worden. Wo in abgabenrechtlich fairerweise das Geld sonst herkommen solle, lasse die Klägerseite leider unerwähnt.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge, den Inhalt der Gerichtsakte und die in dem Verfahren 8 A 3/12 vorgelegten Vorgänge zur Kalkulation des Beitragssatzes.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

20

Der Zweckverband Wismar, die Körperschaft des Beklagten, ist rechtlich existent. Sie verfügt über eine wirksame Satzung zur Erhebung von Beiträgen. Diese Satzung entspricht den Vorgaben des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern (KAG M-V), das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern selbst verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

21

Zur Gründung und Existenz des Beklagten hat das Gericht schon in seiner Entscheidung vom 15. März 2011 (siehe unten, 8 A 547/11, dokumentiert bei juris) Stellung genommen, daran hält das Gericht weiter fest. Ebenso hält das Gericht an seinen Ausführungen zur Wirksamkeit der beschlossenen Beitragssatzung fest. Es handelt sich in der Tat um die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes.

22

Die der Satzung zugrundeliegenden Normen des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht, so insbesondere nicht die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V; auch nicht vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (1 BvR 2457/08; zitiert nach juris).

23

Nach § 9 Abs. 3 KAG M-V entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber in der Gesetzesnovelle von 2005 klargestellt, was zuvor seit 1999 ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Greifswald war, dass Beiträge nur erhoben werden können, wenn sie auf eine rechtswirksame Satzung verweisen können (OVG Greifswald, Besch. v. 08.04.1999 – 1 M 41/99). Dies hat die Kammer seit jeher ebenso gesehen. Auch vor dem Hintergrund der oben genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hält die Kammer an ihrer Rechtsprechung fest.

24

Zunächst handelt es sich bei der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung des Art 13 Abs. 1 Nr. Buchst b) cc) Bayerisches Kommunalabgabengesetz (Bay-KAG vom 04. April 1993) um eine Verjährungsregelung, die in gleicher oder ähnlicher Weise im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht existent ist. Die Besonderheit der beanstandeten Regelung ist darin zu sehen, dass nach bayerischem Landesrecht augenscheinlich eine Anschlussbeitragssatzung rückwirkend in Kraft gesetzt werden muss, damit sie – bislang „in satzungsloser Zeit“ ergangene – Abgabenbescheide heilen kann. Vom Bundesverfassungsgericht ist nunmehr beanstandet worden, dass der Satzungsgeber zwar praktisch in beliebig lange Zeiträume rückwirkend eine Satzung erstmalig in Kraft setzen kann, ohne dabei gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot zu verstoßen, die Regelung des Art 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) cc) Bay-KAG, der zu Folge die Verjährungsfrist immer erst in der Zukunft nach dem Erlass der ersten wirksamen Satzung zu laufen beginnt, hingegen dazu führen kann, dass zwischen Entstehung der sachlichen Beitragspflicht und dem Eintritt der Festsetzungsverjährung ein nicht mehr mit dem Verfassungsgrundsatz der Rechtssicherheit zu vereinbarender Zeitraum liegen kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem bayerischen Landesrecht beitragspflichtig derjenige ist, der im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist oder war. Es kommt hingegen nach der dortigen Regelung nicht darauf an, ob er im Zeitpunkt des Erlasses des Anschlussbeitragsbescheides noch Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist.

25

Eine vergleichbare Verjährungsregelung gibt es im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht. § 12 Abs. 2 KAG M-V i.V.m. § 169 AO setzt die Verjährungsfrist für alle Fälle auf vier Jahre ab dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht fest. Ein beliebiges Auseinanderklaffen von Entstehung der Beitragspflicht und Eintritt der Verjährung ist damit ausgeschlossen. Wird eine Beitragssatzung rückwirkend in Kraft gesetzt, wie im Straßenbaubeitragsrecht in Mecklenburg-Vorpommern, beginnt auch die Verjährungsfrist ab dem rückwirkenden Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht zu laufen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 9.6.1999 – 1 L 307/98 -, juris). Es gelten die gewöhnlichen Regelungen über die Unterbrechung bzw. Hemmung der Verjährungsfrist.

26

Auch die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V unterliegt nach Auffassung der Kammer in Ansehung der vorgenannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

27

§ 9 Abs. 3 KAG M-V regelt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für Anschlussbeiträge in der Weise, dass die Beitragspflicht entsteht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung. Dabei stellt die Formulierung „erste(n) wirksame(n)“ eine Präzisierung gegenüber der zuvor geltenden Regelung des § 9 Abs. 7 Satz 2 KAG M-V 1993 dar, die in der Rechtsprechung des OVG Greifswald stets in gleicher Weise ausgelegt worden war.

28

Entgegen der Rechtsauffassung der Kläger widerspricht die Regelung nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtssicherheit. Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Entscheidung dazu ausgeführt: Rechtsicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug. Die Bürgerin und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können. Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtsicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischen Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und – Vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Element des Rechtsstaatsprinzip sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten (BVerfG, a. a. O., Rn. 41).

29

Das Gericht hat weiter ausgeführt, dass auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, der Gesetzgeber verpflichtet ist, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt – unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist. Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss (BVerfG, a. a. O., Rn. 45).

30

Die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern und die Regelungen im Bayerischen Kommunalabgabengesetz unterscheiden sich insofern, da das Entstehen der sachlichen und persönlichen Beitragspflicht nach Artikel 5 Abs. 6 Bay-KAG zusammenfällt. Nach dem Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern ist nach § 7 Abs. 2 KAG M-V hingegen beitragspflichtig immer derjenige, der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides die persönlichen Kriterien der Beitragspflicht als Grundstückseigentümer oder sonstiger Pflichtiger erfüllt. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayerischen Landesrecht, das unter Umständen – wie im Fall des Bundesverfassungsgerichts - an eine längst vergangene Eigentümerstellung anknüpft, ist deshalb nicht möglich.

31

Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Rechtssicherheit zuwiderlaufende Regelung ist in § 9 Abs. 3 KAG M-V ist auch insoweit nicht zu erkennen, als dort nicht das Erfordernis der rückwirkenden Inkraftsetzung der Beitragssatzung oder aber eine starre äußerste zeitliche Grenze für das zulässige Entstehen der sachlichen Beitragspflicht durch Erlass einer wirksamen Beitragssatzung geregelt ist. Eine derartige Regelung gebietet das Verfassungsrecht nicht und lässt sich aus der Entscheidung auch nicht herauslesen. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das bundesrechtlich geprägte (Straßen-) Erschließungsbeitragsrecht ebenfalls das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ggf. vom nachträglichen Erlass einer Erschließungsbeitragssatzung abhängig macht, ohne dass dort eine zeitliche Höchstgrenze festgelegt wäre. Diese durch das Richterrecht des Bundesverwaltungsgerichts geprägte Rechtslage ist bislang verfassungsrechtlich nicht beanstandet worden. Auch in der vorgenannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts finden sich keine Hinweise darauf, dass diese Rechtslage verfassungsrechtlich zu beanstanden wäre, obwohl es nahe gelegen hätte, dieses Rechtsgebiet bei der Betrachtung mit in den Blick zu nehmen.

32

Schließlich ist im Hinblick auf die „Verflüchtigung“ des Vorteils für das Anschlussbeitragsrecht nach Maßgabe des Landesrechts in Mecklenburg-Vorpommern zu berücksichtigen, dass der Anschlussvorteil ein weitaus länger währender ist als beispielsweise der Anliegervorteil aus einer Straßenbaumaßnahme. Die Konzeption und Realisierung einer Trinkwasserversorgungs- bzw. Abwasserbeseitigungsanlage ist – der Materie geschuldet – weitaus aufwändiger als z. B. die Erneuerung einer Straße. So ist im konkreten Fall noch nicht einmal der bis in das Jahr 2014 reichende Investitionszeitraum für die zentrale Abwasserbeseitigungseinrichtung abgelaufen. Unter diesen Rahmenbedingungen kann eine zeitliche Höchstgrenze in Ansehung der konkreten Planungs- und Realisierungserfordernisse nicht gezogen werden, ohne auf der anderen Seite den ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung zu verletzen. Eine Rechtssicherheit im o.g. Sinne beginnt daher, wenn die Vorteile, die die Anlage bietet, den Eigentümern vollständig zugeflossen sind. Bezug zu nehmen ist dabei auf die konkrete Anlage, für die die Vorteile abgeschöpft werden. Unerheblich ist es hingegen, ob es unter früheren Rechtsregimen ähnliche Entsorgungsmöglichkeiten gab.

33

Eine andere verfassungsrechtliche Betrachtung mag sich im Einzelfall dann ergeben, wenn lange Zeit – d.h. mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte - nach Abschluss des von der gemeindlichen Selbstverwaltung geplanten Ausbauzustandes bzw. der Investitionsmaßnahme immer noch keine wirksame Satzung als rechtliche Voraussetzung der Beitragserhebung gegeben ist. Eine starre Bestimmung dieser zeitlichen Höchstgrenze ist für das Anschlussbeitragsrecht aber verfassungsrechtlich nicht geboten.

34

Soweit die Kläger rügen, das Transparenzgebot sei verletzt worden, vermag das Gericht den Ausführungen nicht beizutreten. Bei einer Beitragssatzung handelt es sich nicht um ein formelles Gesetz, so dass die Vorschriften über Verkündung und Inkrafttreten von Gesetzen (Artikel 82 Abs. 2 GG bzw. 58 Abs. 3 Landesverfassung M-V) nicht anwendbar sind. Die für die Beitragserhebung zugrunde liegende Beitragssatzung geltenden Vorschriften sind eingehalten worden, so insbesondere die Vorschriften der Kommunalverfassung zum Erlass und Veröffentlichung von Satzungen.

35

Hinsichtlich der weiterhin gerügten Mängel verweist das Gericht auf das Urteil der Kammer vom 15. März 2012 (8 A 547/11, juris) Das Gericht hat dort ausgeführt:

36

„1. Der Zweckverband Wismar und damit seine Behörde, der Beklagte, sind jedenfalls seit dessen Nachgründung im Jahre 1998 rechtlich existent. Der Zweckverband hat insbesondere eine wirksame Verbandssatzung. Dies wird klägerseitig auch nicht in Abrede gestellt und hat das Gericht bereits mehrfach entschieden.

37

Vgl. näher etwa VG Schwerin, Urt. v. 10. Oktober 2011 – 8 A 560/10 – juris LS 3 und Rn. 76 ff.

38

Im Übrigen kommt es im vorliegenden Fall auch deshalb nicht darauf an, ob der Zweckverband mit Wirkung für die Vergangenheit rechtswirksam gegründet worden ist, weil es vorliegend um Bescheide aus dem Jahre 2011 geht. Dass der Zweckverband Wismar nach seiner Nachgründung 1998 für die Zukunft und damit heute rechtlich nicht existent ist, ist nicht ersichtlich. Einer gesonderten Veröffentlichung etwa des Gründungsvertrages oder der Gründungsverbandssatzung im Veröffentlichungsorgan der zuständigen Aufsichtsbehörde sieht § 152 KV M-V im Gegensatz zu § 11 Abs. 2 des (Reichs)Zweckverbandesgesetzes vom 7. Juni 1939 (RGBl. I. S. 979) nicht vor. Die danach beschlossene Verbandssatzung vom 26. Januar 1999 ist nach klägerseitig nicht angezweifelten Angaben des Beklagten am 10. März 1999 in der Ostsee-Zeitung (Wismarer Ausgabe) veröffentlicht worden.

39

2 a) Entgegen klägerischer Auffassung ist § 5 Abs. 5 derVerbandsatzung des Zweckverbandes Wismar (VS) mit der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern vereinbar. Diese Satzungsvorschrift lautet:

40

(5) Die Mitglieder der Verbandsversammlung entscheiden nach ihrer freien, durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung. Die Verbandsmitglieder können ihren Vertretern in der Verbandsversammlung in folgenden Angelegenheiten Weisungen erteilen:

41

1. Wahl und Abberufung des Verbandsvorstehers und der Mitglieder des Verbandsvorstandes,
2. Änderung der Verbandssatzung,
3. Beratung der Jahresrechnung und Entlastung des Verbandsvorstehers,
4. Festsetzung von Umlagen und Stammkapital,
5. Zusammenschluss von Verbänden.

42

Nach dem Inhalt der Vorschrift ist weder vorgeschrieben noch sonst möglich, den Mitgliedern der Verbandsversammlung in allen Fällen Weisungen für Abstimmungen durch die jeweilige Mitgliedsgemeinde zu erteilen. Nach §§ 23 Abs. 3, 154 Abs. 1 KV M-V üben die Mitglieder der Verbandsversammlung ihr Mandat „im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur dem Gemeinwohl verpflichteten Überzeugung aus“. Sie sind an diesen Vorgaben widerstreitende Weisungen, Aufträge oder Verpflichtungen nicht gebunden. § 156 Abs. 7 KV M-V enthält zur Frage der Weisungen an die Mitglieder der Verbandsversammlung enumerativ aufgezählte (abschließende sowie eng auszulegende) - und hier vom Zweckverband Wismar übernommene - Ausnahmen.

43

Vgl. allgemein dazu Bielenberg, in: Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentierung der Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 3. Aufl. 2005, § 156 Rn. 6.

44

Eine einheitliche Stimmabgabe, wie sie etwa Art. 51 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) für Abstimmungen im Bundesrat vorschreibt, ist im Gemeinderecht im Übrigen nicht vorgesehen. Nur in den in § 156 Abs. 7 KV M-V genannten Fällen kommt sie in Betracht, wenn und soweit die Verbandssatzung dazu eine Bestimmung enthält und wenn und soweit eine Mitgliedsgemeinde tatsächlich von ihrem Weisungsrecht Gebrauch machen sollte. Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht Schwerin im Urteil vom 21. November 2008 – 8 A 3375/04 – (n. v., Umdruck, S. 16 f.) durchgreifende Bedenken gegen eine Bestimmung in einer Verbandssatzung eines anderen Zweckverbandes geäußert hat, in welcher die einheitliche Stimmabgabe in anderen Fällen zwingend vorgeschrieben war.

45

b) Die Veröffentlichungsbestimmung des § 22 VS ist nicht rechtsfehlerhaft, weil dieOstsee-Zeitung (Lokalteil Wismarer Zeitung) nicht überall im Verbandsgebiet erhältlich ist. Entscheidend ist, dass durch die Art und Weise der Bekanntmachung jeder Bürger als Normadressaten der Regelung ermöglicht wird, sich über den Inhalt der Regelung zu informieren.

46

Vgl. BVerfG, Urt. v. 2. April 1963 – 2 BvL 22/60 – juris Rn. 36; Glaser, in: Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentierung zur Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 3. Aufl. 2005, § 5 Rn. 15.

47

Dies ist bei einer Veröffentlichung in der Ostsee-Zeitung im ausreichenden Maß gewährleistet.

48

c) Im Übrigen dürfte die Klägerseite mit dem Vortrag gegen Regelungen der Verbandssatzung schon deshalb nicht gemäß §§ 5 Abs. 5, 154 KV M-V gehört werden, weil er die Fehlerhaftigkeit der Verbandssatzung erst nach über einem Jahr nach Bekanntgabe der Verbandssatzung in einem im Februar 2012 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz geltend gemacht hat.

49

3. Wie das Verwaltungsgericht Schwerin in ständiger Rechtsprechung entschieden hat,

50

- vgl. zuletzt etwa VG Schwerin, Urt. v. 10. Oktober 2011 – 8 A 560/10 – juris, Rn. 88 ff. mwN -

51

entspricht die den angegriffenen Bescheiden nunmehr zugrunde liegende Beitragssatzung Schmutzwasser (BSSW 2010) des Zweckverbandes Wismar in der Fassung vom 3. März 2010 den Vorgaben höherrangigen Rechts, insbesondere dem Kommunalabgabengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern und ist damit wirksam.

52

a) Sie enthält die nach § 2 Abs. 1 KAG M-V vorgeschriebenen Mindestbestandteile. Die in den drei Urteilen des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 22. Januar 2010 - 8 A 1364/09, 1366/09 und 1369/09 - (letzteres in veröffentlicht juris, Rn. 14 ff.) monierten Regelungen der Beitragssatzung Schmutzwasser in der Fassung vom 7. Mai 2009 (BSSW 2009) sind beseitigt bzw. ergänzt worden. Die Widersprüchlichkeit der Vorschriften der Satzung in § 6 Abs. 4 c) BSSW 2009 einerseits und § 6 Abs. 5 f) BSSW 2009 andererseits bezüglich der Zahl der Vollgeschosse, sofern solche nicht feststellbar sind, ist durch Streichung des § 6 Abs. 4 c) BSSW 2009 beseitigt worden. Die weiterhin beanstandete Bestimmung des § 6 Abs. 5 e) Satz 3 BSSW 2009 bezüglich von vor dem 30. April 1994 entsprechend bisherigen Rechts errichteten Gebäuden ist um folgenden Satz ergänzt worden:

53

"[...]; weisen die in einem solchen Gebäude vorhandenen Geschosse schräge Wände auf, gelten sie dann als Vollgeschoss, wenn sie über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche die lichte Höhe des darunter liegenden Geschosses aufweisen."

54

Damit hat der Satzungsgeber eine bestimmbare lichte Höhe für weitere Vollgeschosse festgelegt, die als sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung mit nach dem genannten Stichtag errichteten Gebäuden erscheint oder diese jedenfalls relativiert. Solche oder ähnliche Bestimmungen bei anderen Zweckverbänden sind von der Kammer in der Vergangenheit nicht beanstandet worden.

55

b) Klägerseitig wird gegen die Bestimmung des Gegenstandes der Beitragspflicht in § 3 BSSW geltend gemacht, Absatz 2 dieser Vorschrift sei kein Auffangtatbestand, sondern die gegenüber Absatz 1 speziellere Regelung. Diese Bestimmungen lauten:

56

(1) Der Beitragspflicht zur Deckung des Aufwandes nach §§ 1 Abs. 2 und 2 Abs. 1 Satz 1 unterliegen alle Grundstücke, die an die betriebsfertige öffentliche Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung des ZvWis tatsächlich angeschlossen sind bzw. angeschlossen werden können und

57

a) für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist, sobald sie bebaut oder gewerblich genutzt werden dürfen oder

58

b) für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, wenn sie nach der Verkehrsanschauung Bauland sind und sie nach der geordneten baulichen Entwicklung der Verbandsmitgliedsgemeinde zur Bebauung oder gewerblichen Nutzung anstehen oder

59

c) wenn sie bebaut sind.

60

(2) Wird ein Grundstück an die öffentliche Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung des ZvWis tatsächlich angeschlossen, so unterliegt es der Beitragspflicht auch dann, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht erfüllt sind.

61

(3) […]

62

Das Gericht vermag die rechtliche Relevanz dieses Vortrags nicht zu erkennen. Es hat bereits im Urteil vom 10. Oktober 2011 (juris Rn. 94) entschieden, dass die genannten Bestimmungen nicht nichtig sind, weil unklar sein könnte, wie diese Vorschrift sich zu den Absätze 1 und 2 in § 3 BSSW 2010 verhalte. § 3 Abs. 2 BSSW 2010 stelle eine Auffangvorschrift für den Fall dar, dass das Grundstück eines Eigentümers tatsächlich angeschlossen ist, obgleich die Vorgaben des § 3 Abs. 1 BSSW 2010 nicht erfüllt seien. Lediglich in diesem Fall sei ein Beitrag zwingend zu erheben. Dies ist auch vorteilsgerecht, weil das angeschlossene Grundstück von den Vorteilen der Schmutzwasseranlage des Zweckverbandes profitiert. Auch das OVG M-V hat eine solche Regelung in einer Schmutzwasserbeitragssatzung eines anderen Zweckverbandes nicht beanstandet.

63

Vgl. zur Schmutzwasserbeitragssatzung Parchim/Lübz vom 14. Dezember 2006: OVG M-V, Urt. v. 14. September 2010 – 4 K 12/07 und - 4 K 10/4 K 10/07 -, juris Rn. 33 ff. bzw. Umdruck, S. 14 (unter f)).

64

c) Entgegen klägerseitiger Auffassung ist die Vollgeschossregelung in § 6 Abs. 5 BSSW 2010 nicht zu beanstanden. Die Vorschrift lautet im Kontext mit Absatz 4:

65

(4) Der Nutzungsfaktor eines Grundstückes wird anhand der Zahl der Vollgeschosse eines Gebäudes wie folgt bewertet:

66

a) das 1. Vollgeschoss mit dem Nutzungsfaktor 1,0;

67

b) jedes weitere Vollgeschoss mit dem Nutzungsfaktor 0,5;

68

c) abweichend von den Buchstaben a) und b) wird Gemeinbedarfs- bzw. Grünflächengrundstücken, für die im B-Plan oder im Vorhaben bezogenen B-Plan eine sonstige Nutzung festgesetzt ist und deren Fläche aufgrund ihrer Zweckbestimmung nur zum untergeordneten Teil mit Gebäuden bebaut sind oder bebaut werden dürfen (Friedhöfe, Freibäder, Sportplätze, Parkanlagen) ein Nutzungsfaktor von 0,3, für Campingplätze ein Nutzungsfaktor von 0,5 zugeordnet.

69

(5) Als Zahl der Vollgeschosse nach Abs. 4 gelten:

70

a) soweit ein B-Plan oder ein Vorhaben bezogener B-Plan besteht, die im B-Plan oder im Vorhaben bezogenen B-Plan festgesetzte höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse;

71

b) soweit in einem B-Plan oder Vorhaben bezogenen B-Plan die Zahl der Vollgeschosse nicht, sondern nur die höchstzulässige Höhe der baulichen Anlagen bestimmt ist, die durch 2,6 geteilte höchstzulässige Gebäudehöhe, wobei nach kaufmännischen Regeln Beitragssatzung Schmutzwasser auf ganze Zahlen auf- oder abgerundet wird. Soweit in einem B-Plan oder Vorhaben bezogenen B-Plan weder die Zahl der Vollgeschosse noch die höchstzulässige Gebäudehöhe, sondern nur eine Baumassenzahl bestimmt ist, die durch 2,6 geteilte höchstzulässige Baumassenzahl, wobei nach kaufmännischen Regeln auf ganze Zahlen auf- oder abgerundet wird. Ist in einem B-Plan oder Vorhaben bezogenen B-Plan die Zahl der Vollgeschosse nicht, jedoch sowohl die höchstzulässige Gebäudehöhe als auch die höchstzulässige Baumassenzahl bestimmt, ist die höchstzulässige Gebäudehöhe maßgeblich;

72

c) soweit kein B-Plan oder Vorhaben bezogener B-Plan besteht oder in einem solchen Plan weder die Zahl der Vollgeschosse, noch der höchstzulässigen Gebäudehöhe, noch die höchstzulässige Baumassenzahl angegeben sind

73

- bei bebauten Grundstücken die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse,
- bei unbebauten Grundstücken die Zahl der in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse,

74

d) […]

75

e) Als Vollgeschosse gelten alle Geschosse, deren Deckenoberkante im Mittel mehr als 1,40 m über die Geländeoberfläche hinausragt und die über mindestens zwei Drittel der Grundfläche des darunter liegenden Geschosses oder, wenn kein darunter liegendes Geschoss vorhanden ist, zwei Drittel ihrer Grundfläche eine lichte Höhe von mindestens 2,30 m haben. Zwischenböden und Zwischendecken, die unbegehbare Hohlräume von einem Geschoss abtrennen, bleiben bei der Anwendung von Satz 1 unberücksichtigt […].

76

Diese Satzungsbestimmung wird klägerseitig unter Hinweis auf unterschiedliche bauplanungsrechtliche Festsetzungen in Bebauungsplänen im Zweckverbandsgebiet insoweit beanstandet, als bei fehlenden Angaben zur Anzahl der Vollgeschosse in den Bebauungsplänen (I, II usw.) keine anderen Parameter wie First- oder Traufhöhe (FH, TH) genannt werden. Ferner bleibe unklar, was gelte, wenn in einem Bebauungsplan ohne Angabe von Vollgeschossen sowohl First- als auch Traufhöhe bezeichnet würde. Damit werde dem Beklagten ein Ermessen eingeräumt, was unzulässig sei.

77

aa) Die genannte Bestimmung ist weder zu unbestimmt noch vorteilswidrig. Fehlt es im Bebauungsplan an einer Festlegung der Vollgeschosse, gilt zunächst § 6 Abs. 5 b) BSSW 2010. Danach ist auf die bauplanungsrechtlich höchstzulässige Höhe der baulichen Anlage abzustellen. Die Anzahl der Vollgeschosse wird durch den Divisor 2,6 mit kaufmännischer Rundung ermittelt. Höchstzulässige Höhe ist jedenfalls die Firsthöhe sowie die klägerseitig genannte (ggf. maximale) Oberkante einer baulichen Anlage (OK [max]). Die festgesetzte Firsthöhe ist eine Gesamthöhe

78

- so auch Dürr/Sauthoff, Baurecht Mecklenburg-Vorpommern, 1. Aufl. 2006, Rn. 394 -

79

und damit die höchstzulässige Gebäudehöhe im satzungsrechtlichen Sinn. Danach ist es möglich, über die Traufhöhe, also dem Schnittpunkt zwischen Außenwand und Dach (vgl. Dürr/Sauthoff, aaO) hinaus noch einen First zu errichten. Zwar mag es zulässig sein, bis zur Trauf- oder Firsthöhe ein Gebäude mit einem Flachdach zu errichten, sofern weitere bauplanungsrechtliche Vorgaben (etwa hinsichtlich der Dachform) fehlen. Allerdings dürfte auch dann eine Firsthöhe vorhanden sein, weil dieses Dach leicht geneigt sein muss, damit das Regenwasser abfließen kann. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist, dass bauplanungsrechtlich die Möglichkeit besteht, bis zur Firsthöhe zu bauen. Unter Berücksichtigung der baulichen Ausnutzbarkeit der konkreten bauplanungsrechtlichen Vorgaben ist von der Firsthöhe als höchstzulässige Höhe auszugehen. Ob sich daraus ein (oder mehrere) Vollgeschoss(e) im Sinne der Satzungsdefinition des § 6 Abs. 5 e) BSSW 2010 ergeben, ist dann eine Frage der Anwendung der Satzung im Einzelfall.

80

bb) Sofern sich die Firsthöhe nicht aus dem Bebauungsplan ergibt, greift die Auffangregelung des § 6 Abs. 5 c) BSSW 2010, da sich in diesen Fällen keine höchstmögliche Gebäudehöhe ermitteln lässt. Demnach wäre nach dieser Vorschrift entweder auf bebauten Grundstücken die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse oder bei unbebauten Grundstücken die in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse maßgebend. Ein Auswahlermessen steht dem Beklagten insoweit nicht zu.

81

cc) Soweit darauf hingewiesen wird, in einem Bebauungsplan (Nr. 3 der Gemeinde Glasin) sei im Gewerbegebiet eine Gebäudehöhe im Höchstmaß über HN [= Höhennull] mit 101 m genannt, ist klarzustellen, dass es sich bei HN um den in der DDR gebräuchlichen Bezugspunkt für das Höhensystem gehandelt hat (dem sog. Kronstädter Pegel), der – mit späteren Änderungen – im Wesentlichen auf dem mittleren Meeresspiegel des Finnischen Meerbusens abstellte.

82

Näher: Kronstädter Pegel, in: www.wikipedia.de

83

Demnach ist von den festgesetzten 101 m über HN die jeweilige im Bebauungsplan auch mitgeteilte Geländehöhe abzuziehen. Im konkreten Bebauungsgebiet wären dies ca. 85 m, so dass Gebäude von maximal 16 m Höhe errichtet werden dürften. Dies ergäbe sechs Vollgeschosse.

84

cc) Der Bebauungsplan Nr. 5 der Gemeinde Glasin enthält die Festsetzung maximale Oberkante (OK max) für Windkrafträder (WEA) 100 m. Dies ist für die beitragsrechtliche Bestimmung der Vollgeschosse unerheblich. Nach § 6 Abs. 4 BSSW 2010 sind für die Berechnung des Beitrags nur die Vollgeschosse von Gebäuden maßgebend. Dies hat auch nach Inhalt, Regelungszusammenhang und Zweck der Satzungsbestimmung für die nachfolgenden Vorschriften zu gelten, selbst wenn dort von „baulichen Anlagen“ die Rede ist. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V sind Gebäude u. a. geeignet oder bestimmt, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen. Windkrafträder sind demnach zwar bauliche Anlagen, aber ersichtlich keine Gebäude.

85

d) Die Kalkulation des in § 7 Abs. 1 SWBS festgesetzten Beitragssatz in Höhe von 3,10 € je Quadratmeter anrechenbarer Nutzfläche begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.

86

aa) Das Gericht ist bei der Prüfung der Gültigkeit einer angegriffenen Satzung einerseits nicht auf die von Klägerseite geltend gemachten Mängel beschränkt. Sind objektiv mehrere Rechtsfehler vorhanden, so ist das Gericht insbesondere nicht verpflichtet, jeden dieser Rechtsfehler zu ermitteln und darauf seine Entscheidung zu stützen. Das gerichtliche Verfahren dient nicht - wie etwa ein behördliches Anzeige- oder Genehmigungsverfahren - einer umfassenden Prüfung der Rechtslage unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt.

87

Vgl. BVerwG, Beschl. v. 20. Februar 2001 – 4 BN 21.01 -, juris Rn. 12 für das Normenkontrollverfahren.

88

Andererseits untersucht das Gericht die Kalkulation nur insoweit auf Rechtsfehler, als solche von den Beteiligten substantiiert geltend gemacht werden. Das Gericht geht diesbezüglich nicht „ungefragt auf Fehlersuche“.

89

Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 17. April 2002 – 9 CN 1.01 -, juris LS 2 und 3 und Rn. 43 mwN.

90

Bei Beachtung dieser Vorgaben gilt im vorliegenden Fall Folgendes:

91

bb) Bereits im zitierten Urteil vom 22. Januar 2010 (juris Rn. 26 ff.) hat das Gericht ausführlich zur Kalkulation der Beitragsatzung Schmutzwasser 2009 Stellung genommen und keine Fehler festgestellt. Darauf wird zunächst hingewiesen. In diesem Zusammenhang sind auch die Flächenermittlungen des Zweckverbandes erörtert und nicht beanstandet worden. Daran ist festzuhalten. Einzelne Flächenermittlungen werden im vorliegenden Fall auch nicht substantiiert angegriffen.

92

cc) Klägerseitig wird weiter die Auffassung vertreten, dass mit der (rechtlichen oder faktischen) Einbeziehung von aus DDR-Zeiten übernommenen Altanlagen in die Schmutzwasserbeseitigungsanlage diese Anlagen beitragsrechtlich als hergestellt gelten müsste. Diese Auffassung ist unzutreffend. Die Sanierung alter (zu DDR-Zeiten errichteter) Schmutzwasserkanäle bewirkt beitragsrechtlich keine Verbesserung im beitragsrechtlichen Sinne. Sie ist lediglich ein unselbständiger Kostenfaktor, der in die Beitragskalkulation einfließt und über den Herstellungsbeitrag bzw. über Kanalbenutzungsgebühren abgegolten wird.

93

Vgl. OVG M-V, Beschl. v. 21. April 1999 – 1 M 12/99-, juris LS 4 und Rn. 22; Urt. v. 18. Oktober 2005 – 1 L 197/05 -, juris Rn. 17 mwN.

94

Nur für Investitionen, die nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland erfolgt sind, können Herstellungsbeiträge erhoben werden.

95

Vgl. näher Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Erl. 2.5.2.2 mwN aus der Rechtsprechung des OVG M-V.

96

Durch die auf neuer Rechtsgrundlage neu geschaffene öffentliche Einrichtung "Schmutzwasserentsorgung" wird allen angeschlossenen bzw. anschließbaren Grundstücken erstmals der gleiche rechtlich dauerhaft abgesicherte Vorteil verschafft. Dies gilt sowohl für "Altanschließer" als auch für neu angeschlossene Grundstücke.

97

Vgl. OVG M-V, Beschl. vom 06. Februar 2007 - 1 L 295/05 -, juris, Rn. 12 mwN; Urt. v. 13. November 2001 - 4 K 16/00 - juris Rn. 58 ff. unter Hinweis auf den Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 - NordÖR 1999, 302 = juris Rn. 16 ff.

98

Diese Rechtsprechung wurde vom Landesgesetzgeber bei der Novellierung des KAG M-V 2005 unter Hinweis auf seine Bindung an den Gleichheitssatz aufgenommen und berücksichtigt (LtDrs 4/1307, S. 48). Nach allem ist auch bei einem bereits vorhandenen Anschluss an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage von einer Wertsteigerung des betroffenen Grundstücks auszugehen.

99

Da die Alt- und Neuanschließer durch den Anschluss an die Schmutzwasseranlage die gleichen Vorteile genießen, sind entgegen klägerischer Auffassung auch die Kosten der technischen Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten erstellten Schmutzwasseranlagen aus der aktuellen Beitragskalkulation einzubeziehen. In den beiden (nicht veröffentlichten) Urteilen vom 22. Januar 2010 - 8 A 1364/09 und 1366/10 - hat das Gericht diesbezüglich hinsichtlich der Beitragskalkulation ergänzend ausgeführt, dass die

100

"nach 1990 durchgeführte (technisch betrachtet) Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten erbauten Anlageteilen beitragsrechtlich gesehen keine Erneuerung [ist], sondern erstmalige Herstellung einer Anlage im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V. Deshalb bedarf es insoweit auch keiner Beitragssatzung über Erneuerungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V. Nur wenn diese Anlagenteile danach nochmals erneuert werden, sind die dadurch verursachten Kosten Erneuerungskosten, die beitragsrechtlich nicht als Herstellungsaufwand berücksichtigt werden dürfen."

101

Danach durfte der Zweckverband Wismar die gelegentlich im Widerspruch klägerseitig monierte Einstellung von Kosten für die die technische Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten hergestellten Kanalsystemen bei der Beitragskalkulation als Herstellungskosten berücksichtigen.

102

Der in der Schmutzwasserbeitragssatzung festgelegte einheitliche Beitragssatz für alt und neu angeschlossene Grundstücke verletzt auch nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. das Willkürverbot, sondern ist sogar geboten. Dieser Beitragssatz gilt gleichermaßen für die sogenannten Altanschließer, d.h. Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des ersten Kommunalabgabengesetzes (KAG 1991) an die Schmutzwasserentsorgung angeschlossen waren, und für danach (neu) angeschlossene Grundstücke. Dies Ergebnis entspricht sowohl der Rechtsprechung der Kammer als auch derjenigen des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern.

103

Vgl. OVG M-V, Urt. v. 6. Februar 2007 – 1 L 295/05 -, juris Rn. 7; Urt. v. 13. Dezember 2011 – 1 L 192/08 – juris LS und Rn. 16 ff. je mwN; VG Schwerin, Urteile v. 21. Mai 2008 - 8 A 2429/05 –, v. 22. Januar 2010 – 8 A 1369/09 – juris Rn. 39 mwN; v. 27. Mai 2011 – 8 A 898/10 -, juris Rn. 65 ff. und vom 10. Oktober 2011 – 8 A 560/10 – juris, Rn. 163 ff.

104

dd) Die Klägerseite beanstandet weiter, dass die mit Übernahme von Altanlagen in die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Zweckverbandes im Rahmen der Gebührenkalkulation vereinnahmten Abschreibungen bei der Beitragskalkulation keine Berücksichtigung finden. Dies sei fehlerhaft, weil der Zweckverband Wismar solche Anlagen kostenfrei übernommen habe und führe dazu, dass Beitragszahler jedenfalls zeitweise diese Anlagen doppelt bezahlten.

105

(1) Diese Auffassung ist unzutreffend. Soweit klägerseitig unter Hinweis auf Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt (OVG LSA, Beschl. v. 7. November 2001 – 1 L 152/01 – n. v.) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (Nds OVG, Urt. v. 25. September 1980 – 3 C 2/79 juris nur LS = KStZ 1981, 193 ff.) vorgetragen wird, es seien die gebührenrechtlich erwirtschafteten Abschreibungen bei der Bemessung des Beitrages abzuziehen, vermag das Gericht diesem nicht zu folgen. Dabei wird zunächst übersehen, dass abweichend von § 7 Abs. 1 KAG M-V nach § 6 Abs. 1 KAG LSA Beiträge nur erhoben werden dürfen, „soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist“. In diesem Zusammenhang mag in Betracht kommen, erwirtschaftete Abschreibungen beitragsrechtlich zu berücksichtigen. Eine solche Regelung gibt es aber nicht im Kommunalabgabenrecht Mecklenburg-Vorpommerns und stellt auch kein allgemeines kommunalabgabenrechtliches Prinzip dar. Abgesehen davon hat das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in der genannten Entscheidung einschränkend ausgeführt:

106

„[…] Der Vorbehalt in § 6 Abs 1 S 1 KAG LSA, wonach die Erhebung von Beiträgen nur zulässig ist, soweit der Finanzbedarf durch Gebühren nicht gedeckt ist, soll nur verhindern, dass eine Gemeinde Beiträge erhebt, obwohl sie durch das Aufkommen aus einer nach dem Wiederbeschaffungszeitwert kalkulierten Abwassergebühr Rücklagen für die Finanzierung der Investitionskosten gebildet hat. Sofern der Investitionsaufwand in die Gebührenkalkulation nur über die Abschreibungssätze für die voraussichtliche (Rest-) Nutzungsdauer Eingang findet, hat er auf den festgesetzten Beitragssatz keinen Einfluss. […]“

107

OVG LSA v. 7. November 2001 – 1 L 152/01 – (n. v.), S. 5. – Hervorhebung durch das Gericht.

108

Ähnlich hat das OVG LSA im Beschluss vom 1. Juli 2003 – 1 M 492/02 -, juris LS 2 und Rn 15 dargelegt:

109

„Neben der Sache liegt der Einwand der Antragstellerin, es sei nicht erkennbar, dass bei der Beitragsbemessung der durch Gebühren gedeckte Aufwand abgezogen worden sei. Zwar bestimmt § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, dass Beiträge nur erhoben werden dürfen, soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist. Diese Bestimmung soll verhindern, dass die Gemeinde den Aufwand, der in der Vergangenheit bereits ganz oder teilweise durch das Ansammeln von Abschreibungserlösen abgedeckt hat, nunmehr über die Erhebung von Beiträgen nochmals verteilt. Aus dieser Zweckbestimmung ergibt sich zugleich, dass diese Abschreibungserlöse jedenfalls bei der Kalkulation von Herstellungsbeiträgen, um die es im vorliegenden Fall geht, nicht abgezogen werden müssen. Es ist vielmehr sachgerecht, Abschreibungserlöse durch eine Minderung des Beitragsaufwands nur denjenigen zugute kommen zu lassen, die in der Vergangenheit durch die Zahlung der Gebühren für die Inanspruchnahme der öffentlichen leitungsgebundenen Einrichtung dazu beigetragen haben, dass das Kapital für die beitragsfähige Maßnahme in Form der Abschreibungserlöse zur Verfügung steht und nicht (gänzlich) über Beiträge beschafft werden muss.[…]“

110

Das von Klägerseite weiter angeführte Urteil des Nds. OVG enthält über die Frage der Berechnung der Abschreibung hinaus zu der Anrechnung von kalkulatorischen Abschreibungen bei der Kalkulation von Beiträgen keine Aussage. Die kostenlose Übernahme von Altanlagen lässt die gebührenrechtliche Möglichkeit der Abschreibung demnach unberührt.

111

Vgl. auch OVG Thüringen, Beschl. v. 6. April 2005 – 4 ZKO 78/02 -, juris Rn. 3 mwN.

112

(2) Auch in Mecklenburg-Vorpommern sind im Beitragrecht für leitungsgebundene Anlagen in der Kalkulation keine Abschreibungen vorzunehmen. Im hier maßgebenden Anschlussbeitragsrecht ist gemäß § 9 KAG M-V bei der Kalkulation der Aufwand für die Anschaffung und Herstellung der notwendigen öffentlichen Einrichtungen zur leitungsgebunden Versorgung mit Wasser oder Abwasserentsorgung anzusetzen. Der Aufwand ist nach den Kosten zu ermitteln. Abschreibungen sind dabei nicht vorzunehmen. Dies folgt auch aus Nr. 5.1.1 des Einführungserlasses des Innenministeriums vom 14. Juni 2005 – II 330 – 179-00-06 – (abgedruckt bei Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Anhang 1).

113

Abschreibungen von Anlagewerten sind zwar nach § 6 Abs. 2 KAG M-V bei der Ermittlung derGebührensätze u. a. nach Maßgabe des dortigen Absatz 2a zu berücksichtigen. Danach sind kalkulatorische Abschreibungen auf die um Beiträge und Zuschüsse Dritter reduzierte Anlagenwerte (Anschaffungs- und Herstellungskosten) vorzunehmen Unzutreffend ist insoweit die klägerische Annahme, die über die Gebühren realisierten Abschreibungen für kostenlos übernommene Anlagen seien beim Beitragsaufwand abzuziehen. Maßgebend ist allein, dass nach den gesetzlichen Vorgaben der Aufwand in die Kalkulation einzustellen ist. Ob die Berechnung der Abschreibungen fehlerhaft ist, ist ggf. bei der Überprüfung der Gebührenkalkulation in einem Verfahren zum Gebührenrecht zu prüfen.

114

(3) Soweit klägerseitig darauf verwiesen wird, dass der Zweckverband Wismar Altanlagen kostenlos übernommen hat und trotzdem Abschreibungen in der Gebührenkalkulation eingestellt hat, weist das Gericht auf Folgendes hin:

115

Nach ständiger Rechtsprechung des OVG M-V, dem das Gericht folgt, können Anschaffungs- und Herstellungskosten übernommener Altanlagen nur dann bei der Beitragskalkulation berücksichtigt werden, wenn und soweit für die jeweiligen (konkreten) Anlagen Verbindlichkeiten übernommen worden sind. Da im Übrigen die Altanlagen kostenlos übertragen worden sind, also der Zweckverband keinen Aufwand gehabt hat, dürfen diese Anlagen bei der Beitragskalkulation nicht berücksichtigt werden.

116

Vgl. dazu OVG M-V, Urt. v. 15. November 2000 – 4 K 8/99 -, juris Rn. 51; Urt. v. 13. November 2001 – 4 K 16/00 - juris Rn. 51; Beschl. v. 2. Dezember 2003 – 1 M 72/03 -, juris Rn. 9 mwN; Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Erl. 3.5.5 f.

117

Das den §§ 7 ff. und § 6 KAG M-V zugrundeliegende Prinzip besagt, dass im Grundsatz die Anschaffungs- und Herstellungskosten zunächst beitragsrechtlich zu finanzieren sind und sodann gebührenrechtlich kalkulatorisch abgeschrieben werden können. Dieses Prinzip wird bei der kostenlosen Übernahme von Altanlagen in der oben genannten Weise ausreichend gewahrt.

118

Es ist auch nichts dafür ersichtlich oder substantiiert vorgetragen, dass der Beklagte aus DDR-Zeiten übernommene Altanlagen auch dann mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten in die Beitragskalkulation eingestellt hat, wenn der Zweckverband Wismar dadurch nicht finanziell belastet worden ist.

119

ee) Die der Schmutzwasserbeitragssatzung zugrunde liegende Globalkalkulation ist nicht deshalb zu beanstanden, weil zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Satzung das Abwasserbeseitigungskonzept noch nicht beschlossen war. Nach den dem Gericht vorliegenden Kalkulationsunterlagen sind Prognosen in der „Planung der Investitionskosten und Fördermittel (Zuarbeit Fr. Dick)“, der „Kostenschätzung Baumaßnahmen 2008 bis 2014“ sowie einer Auflistung „Kostenschätzung B-Pläne“. Dies genügt als Schätzungsgrundlage. Es ist nichts Substantiiertes dazu vorgetragen worden und es bestehen auch derzeit sonst keine Anhaltspunkte, aus dem sich ergeben könnte, dass die Prognosen des Zweckverbandes und die ihnen zugrunde liegenden Annahmen offensichtlich unzutreffend und die zugrunde liegenden Investitionszahlen oder -vorgaben offensichtlich willkürlich oder sonst falsch sein könnten. Im Übrigen folgt aus der Aufzählung von Altanlagen im Anlagespiegel oder im Vermögensnachweis nicht, dass der Wert dieser Anlagen auch in der Beitragskalkulation berücksichtigt worden ist.

120

cc) Die Annahmen in der Kalkulation müssen entgegen klägerischer Auffassung mit den Angaben in den jeweiligen Abwasserbeseitigungskonzepten nicht übereinstimmen. Es ist weder vorgeschrieben noch sonst zwingend, dass die erforderlichen Prognosen nur auf Grund eines förmlichen Abwasserbeseitigungskonzeptes zu erstellen sind. Weder das Kommunalabgabenrecht Mecklenburg-Vorpommerns noch dessen Kommunalrecht oder das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes oder das Wassergesetz des Landes schreiben ein Abwasserbeseitigungskonzept vor, geschweige den enthalten Vorgaben aus einem Abwasserbeseitigungskonzept für die Beitragskalkulation. Das Konzept stellt als Planungsgrundlage eine Bestandsaufnahme und eine unverbindliche grobe Richtlinie dar, wie der Aufgabenträger sich die Planung und Entwicklung seiner Abwasserbeseitigungsanlagen in seinem Gebiet vorstellt. Zwar ist es dem Aufgabenträger nicht verwehrt, aus dem Abwasserbeseitigungskonzept die Beitragskalkulation zu entwickeln. Dies ist aber nicht zwingend. Wenn danach der Zweckverband Wismar die Vorgaben der Kalkulation maßgeblich seinen jährlich verabschiedeten Wirtschaftsplänen entnimmt, ist dies nicht zu beanstanden. Es ist daher grundsätzlich unerheblich, ob die Angaben der verschiedenen Abwasserbeseitigungskonzepte des Zweckverbandes Wismar nach Höhe und Umfang sowie in tatsächlicher und/oder zeitlicher Hinsicht mit den Angaben zu Anschaffungs- und Herstellungskosten in der Beitragskalkulation übereinstimmt.

121

ff) Die Kalkulation hinsichtlich der Klärablage Neukloster hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung dahingehend erläutert, dass die Anteile der dezentralen Schmutzwasserbeseitigung und der Regenwasserentsorgung herausgerechnet worden seien. Dies ist klägerseitig nicht weiter beanstandet worden.

122

gg) Aus dem Umstand, dass in der Vergangenheit die Beitragskalkulation des Zweckverband Wismar nicht allen gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat, folgt nicht, dass die nunmehr vorliegende Kalkulation fehlerhaft ist. Klägerseitig ist in den Widerspruchsverfahren gelegentlich vorgetragen worden, dass der Beitragssatz über Jahre stabil geblieben sei, was wegen der sich ändernden wirtschaftlichen Grundannahmen nicht möglich sei. Sofern damit der in der Satzung in § 7 Abs. 1 BSSW 2010festgesetzte Beitragssatz von 3,10 €/m² gemeint sein sollte, ist darauf hinzuweisen, dass es dem Zweckverband unbenommen ist, einen Beitragssatz unterhalb des kalkulierten Höchstbeitragssatz (derzeit - nach der Erklärung gemäß § 2 Abs. 3 KAG M-V in der heutigen mündlichen Verhandlung -: 4,29 €/m²) festzusetzen. Sollte mit dem Vortrag der kalkulierte höchstmögliche Beitragssatz gemeint sein, stimmt nach den Erkenntnissen des Gerichts bereits die Annahme nicht, dass der Beitragssatz stabil gewesen ist. Nach dem Kalkulationsgutachten (einer Rechnungsperiodenkalkulation) der Fa. WIBERA vom 9. März 2001 sollte der kalkulierte Schmutzwasserbeitragssatz 6,58 DM/m² betragen, also 3,36 €/m². Im WIBERA-Gutachten (einer Globalkalkulation) vom 1. Dezember 2005 war ein Beitragssatz von 4,48 € ermittelt worden. Nach der bisher maßgebenden Kalkulation 2009 lag der höchstmögliche Beitragssatz bei 4,43 €. Daraus lässt sich nach Auffassung des Gerichts nicht herleiten, dass die heute maßgebende Kalkulation unzutreffend ist. Auch die Fehler in der Beitragssatzung 2009 sind nicht so gravierend gewesen, dass die Kalkulation grundlegend neu erarbeitet werden musste. Maßgebende Parameter mussten deshalb nicht neu definiert werden, so dass der kalkulierte Beitragssatz plausibel erscheint.

123

hh) Die Kalkulation ist nicht deshalb fehlerhaft, weil in früheren Beitragsatzungen die Hausanschlusskosten nicht im Beitrag enthalten gewesen seien. Die Kalkulation hat nach Maßgabe der jetzigen Satzungslage zu erfolgen und die Kosten des ersten Hausanschlusses zu berücksichtigen. Sollten im Einzelfall zu einem früheren Zeitpunkt Hausanschlusskosten nach damaliger Satzungslage für einen ersten Hausanschluss gezahlt worden sein, wäre dies bei der Beitragsfestsetzung zu berücksichtigen.

124

ii) Die Kalkulation ist auch noch hinreichend aktuell, obgleich für die im März 2010 beschlossene Satzung in die Kalkulation nach dem 31. Dezember 2007 nur noch prognostische Werte eingestellt worden sind. Zur Aktualität hat das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern ausgeführt, dass mit Blick auf § 6 Abs. 2d KAG M-V eine Kalkulation grundsätzlich dann noch hinreichend aktuell ist, wenn sie nicht älter als fünf Jahre ist.

125

Vgl. OVG M-V; Urt. v. 15. November 2000 – 4 K 8/99 -, juris Rn. 47; Urt. v. 14. September 2010 – 4 K 12/07-, juris Rn. 31 mwN.

126

Dieser Zeitrahmen ist im vorliegenden Fall auch deshalb gewahrt, weil für die tatsächlichen Kosten prüffähige und/oder geprüfte Rechnungen vorliegen müssen und ggf. diese Kosten noch von einem unabhängigen Prüfer zu prüfen sind. Eine Anpassung der einstellungsfähigen Kosten bzw. eine Überprüfung der Kalkulation ist zudem vor Ablauf von fünf Jahren nur erforderlich, wenn die Kosten ersichtlich von den prognostizierten Kosten abweichen. Dafür bestehen keine Anhaltspunkte, zumal flächenseitig vor der Beschlussfassung Ergänzungen vorgenommen worden sind. Abweichungen des kalkulierten Beitragssatzes dürften wegen des erheblich geringer festgesetzten Beitragssatzes auch keine unmittelbaren Auswirkungen haben.

127

4. Die Erhebung von Beiträgen ist nicht nach § 242 Abs. 9 BauGB (früher: § 246a Abs. 1 Nr. 11 BauGB a.F.) unzulässig, weil die Schmutzwasseranlage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Einigungsvertrages bereits hergestellt gewesen ist. Denn bei einer solchen Anlage handelt es sich um keine Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB. In § 127 Abs. 4 BauGB wird bezüglich (u. a.) leitungsgebundener Anlagen ausdrücklich darauf verwiesen, dass das Recht zur Erhebung von Beiträgen für diese Anlagen unberührt bleibt, sofern andere Gesetze - wie insbesondere die Kommunalabgabengesetze der Länder - dies vorsehen.

128

Dazu Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 127 Rn. 50; Kniest, in: Ferner/Kröniger/Aschke, BauGB, 2. Aufl. 2008, § 127 Rn. 27.

129

Im Umkehrschluss folgt daraus, dass der Bundesgesetzgeber in den Fällen von bereits zu "DDR-Zeiten" fertig gestellten öffentlich-rechtlichen leitungsgebundenen Anlagen gerade keine zeitliche Sperre für eine Beitragserhebung vorschreiben wollte.

130

So jetzt auch OVG M-V, Urt. v. 13. Dezember 2011 – 1 L 192/08 – juris Rn. 23 mwN.

131

5. Der Beitragsanspruch des Zweckverbandes Wismar ist auch gemäß § 12 KAG 1993 bzw. § 12 Abs. 2 KAG M-V in Verbindung mit §§ 47,169 ff. AO nicht endgültig verjährt. Danach galt bzw. gilt eine Festsetzungsfrist von vier Jahren. Die Verjährung hängt nicht allein davon ab, dass ein bestimmter Zeitraum verstrichen ist. Maßgebend ist zunächst, dass die Frist auch angelaufen ist. Das ist hier nicht der Fall:

132

a) Die Festsetzungsverjährungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres, indem die Abgabe (abstrakt) entstanden ist. Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 war dies der Zeitpunkt der Anschlussmöglichkeit des Grundstücks an die Anlage, frühestens mit Inkrafttreten der ersten Beitragssatzung. Dabei ist zunächst klarzustellen, dass ein einmal verjährter Beitragsanspruch durch eine gesetzliche Neuregelung oder eine neue Beitragssatzung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht wieder aufleben könnte (vgl. nur Steiner, LKV 2009, 254 [255 f. mwN]).

133

Im Falle der Schmutzwasserbeiträge des Zweckverbandes Wismar sind bisher keine Beitragsansprüche verjährt, weil die maßgebenden Festsetzungsfristen überhaupt noch nicht angelaufen sind.

134

Die Frist beginnt nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, welcher der Kammer folgt, erst mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung,

135

- vgl. nur OVG M-V, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 L 295/05 – juris, Rn. 21 ff.; Beschl. v. 27. Januar 2006 - 1 M 60/06 - juris Rn. 8, weitere Nachweise bei Aussprung, NordÖR 2005, 240 (246 Fn. 43) -

136

nicht hingegen mit der Veröffentlichung einer (Vorgänger-)Satzung mit formellem Geltungsanspruch. Dies entspricht nunmehr auch dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 KAG M-V 2005.

137

Vgl. dazu auch LtDrs 4/1307 S. 48 unter Hinweis auf die dazu ergangene Rechtsprechung des OVG M-V.

138

Das Gericht hat dies u. a. in seinen Urteilen vom 10. Oktober 2011 ausführlich begründet. Hierauf ist im Einzelnen zu verweisen.

139

Vgl. näher etwa VG Schwerin, Urt. v. 10. Oktober 2011 – 8 A 340/10 – juris Rn. 177 ff. mwN.

140

b) Der Beitragsanspruch konnte im vorliegenden Fall schon deshalb nicht endgültig verjähren, weil die Festsetzungsfrist mangels wirksamer Beitragssatzung nicht anlaufen konnte. Die bisherigen Beitragssatzungen des Zweckverbandes Wismar waren sämtlich rechtsunwirksam:

141

aa) Die Beitrags- und Gebührenssatzung des Zweckverbandes Wismar vom 1. März 1992 war nichtig, weil sie nicht im eigenen Amtsblatt des Zweckverbandes oder einer von der Verbandssatzung bestimmten Zeitung veröffentlicht worden ist, sondern im Wismarer Kreisanzeiger mit Amtsblatt für den Landkreis Wismar. Dabei handelte es sich um das amtliche Veröffentlichungsorgan (nur) für den Landkreis Wismar, in dem Satzungen anderer Träger nicht rechtswirksam veröffentlicht werden konnten. Denn nach § 5 Abs. 3 KV DDR waren Satzungen zu veröffentlichen. Wenn es dort auch an näheren Bestimmungen zur Veröffentlichung fehlt, war es dennoch ausgeschlossen in einem Amtsblatt eines fremden Hoheitsträgers Satzungen zu veröffentlichen. Es musste sich aber - nach Maßgabe der Hauptsatzung - um das eigene amtliche Veröffentlichungsorgan oder jedenfalls um eine Tages- oder Wochenzeitung handeln (vgl. auch Bretzinger/Büchner-Uhder, Kommunalverfassung, 1. Aufl. 1991, § 5 Rn. 8). Das Gericht ist der Auffassung, dass eine Veröffentlichung im Amtsblatt eines anderen Rechtsträgers nur möglich ist, wenn dies gesetzlich ausdrücklich zugelassen ist. Eine solche Bestimmung hat es zu damaliger Zeit – soweit ersichtlich – nicht gegeben. Jedenfalls hätte in dem Veröffentlichungsorgan deutlich darauf hingewiesen werden müssen, dass in ihm auch Satzungen des Zweckverbandes veröffentlicht werden, damit der rechtsuchende Bürger in zumutbarer Weise erkennt, dass im Amtsblatt des Kreises auch Satzungen des Zweckverbandes enthalten sein können. Daran fehlt es aber im vorliegenden Fall.

142

In materieller Hinsicht war die Satzung schon deshalb nichtig, weil sie entgegen § 8 Abs. 1 KAG 1991 bei der Bestimmung des Baukostenbeitrages in Teil II Nr. 1.1 nicht auf die individuellen Vorteile des jeweils bevorteilten Grundstücks abstellte, sondern als Zuschlag zu der Abwassergebühr pauschal ein jährlich neu festzusetzender Baukostenbeitrag erhoben werden sollte. Zudem sollte der Baukostenbeitrag von allen „Grundstücksbesitzern“ erhoben werden, also auch von Mietern oder Pächtern. Dies war mit § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG 1991 nicht zu vereinbaren, da Beiträge nur von Eigentümern und Erbbauberechtigten erhoben werden durften.

143

bb) Die Beitrags- und Gebührensatzung vom 1. Juli 1993 ist nach den obigen Vorgaben ebenfalls nichtig, weil sie im Wismarer Kreisanzeiger veröffentlicht worden ist. Der Baukostenbeitrag stellte nicht auf die Vorteile des Anschlusses des Grundstücks ab.

144

cc) Auch die Beitrags- und Gebührensatzung in der Fassung vom 22. Dezember 1993 wurde am 21. Januar 1994 im Wismarer Kreisanzeiger veröffentlicht und ist schon deshalb nichtig. Zudem begegnet sie in materieller Hinsicht durchgreifenden Bedenken, weil der in Nr. 1.3 bestimmte pauschale Anschlussbeitrag von 750,-- DM je Entsorgungseinheit unabhängig von der Größe und Art des Grundstück festgelegt wurde, also gleichfalls nicht auf die Vorteile für das jeweilige angeschlossene Grundstück abstellte.

145

dd) Auch die am 1. Januar 1996 erlassene Satzung des Zweckverbandes Wismar vom 22. Dezember 1995 war in materieller Hinsicht nichtig. Zum einen wies diese Satzung Fehler insoweit auf, als beim Beitragsmaßstab die Außenbereichsflächen mit der Grundflächenzahl (GRZ) von 0,4 vorteilswidrig zu hoch angesetzt und keine Abgeltungsfläche festgelegt war. Dies wäre aber wegen der Einmaligkeit der Beitragsveranlagung notwendig gewesen. Zum anderen lag der Verbandsversammlung seinerzeit keine ordnungsgemäße Kalkulation vor. Ihr hat nur eine Tabelle mit den maßgebenden Daten vorgelegen, nicht aber notwendige weitere Unterlagen. Zudem waren für Teilmaßnahmen Teilbeiträge ermittelt und danach addiert worden, obgleich die Satzung keine Kostenspaltung vorsah.

146

Dazu VG Schwerin, Urt. v. 28. Juni 2001 - 4 A 2239/98 - sowie im Beschl. v. 19. Oktober 1999 - 4 B 889/98 - zur Kalkulation.

147

Das Verdikt der Unwirksamkeit würde diese Satzung selbst dann treffen, wenn diese während ihrer formellen Gültigkeitsdauer unbeanstandet angewandt worden sein sollte und es auch keine entsprechenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts oder Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in einzelnen Verfahren oder im Normenkontrollverfahren gegeben haben sollte. Die Nichtigkeit der früheren Satzungen muss nicht durch Normenkontrollentscheidung gemäß § 47 VwGO in Verbindung mit § 13 des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsstrukturgesetz durch das OVG M-V festgestellt werden, um daraus Konsequenzen für die Verjährung im vorliegenden Verfahren herleiten zu können. Das Gericht hat bereits in den genannten Urteilen vom 22. Januar 2010 (u. a. juris Rn. 46) im Einzelnen dargelegt, dass die Nichtigkeit früherer Satzungen nicht allein durch eine Normenkontrollentscheidung durch das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern festgestellt werden muss, um daraus Konsequenzen für die Verjährung im Einzelfall herleiten zu können. Bei Satzungen ist zwar die formelle Verwerfungskompetenz der Gerichte mit allgemeiner Verbindlichkeit auf das abstrakte Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO beschränkt.

148

Zu den Folgerungen daraus siehe Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 141 ff.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 47 Rn. 364 ff.

149

Den Verwaltungsgerichten fehlt diese Kompetenz. Sie haben aber nach Art. 20 Abs. 3 GG mit Blick auf das zwingende Satzungserfordernis des § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V bei Überprüfung einzelner Abgabenbescheide die ihnen zugrunde liegenden Satzungen auf ihre Wirksamkeit (inzidenter) zu überprüfen, soweit hierzu Anlass besteht. Eine gültige Satzung ist Entstehungsvoraussetzung der Abgabe.

150

Vgl. dazu Quaas, Kommunales Abgabenrecht, Rn. 22 mwN; Meyer, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2002 Rn. 180a; Glaser, in: Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentierung der Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 3. Aufl. 2005, § 5 Rn. 4 aE.

151

Weist die Satzung bei dieser Prüfung Fehler auf, die sie unanwendbar machen, ist der angefochtene Bescheid in jedem Einzelfall mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig und aufzuheben, wenn die Satzung auch nicht formell vom Gericht aufgehoben werden und deren Nichtigkeit ausdrücklich (und mit Allgemeinverbindlichkeit) festgestellt werden kann. Für den jeweiligen Einzelfall wird die fehlerhafte Satzung aber so behandelt, als wäre sie nichtig.

152

Vgl. Sensburg/Maslaton, Abgabenrecht in der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, 2007, S. 25; weitergehend Hill, Soll das kommunale Satzungsrecht gegenüber staatlicher und gerichtlicher Kontrolle gestärkt werden? 1990, D 109 (Nichtigkeitserklärung durch jedes Gericht im Einzelfall.).

153

Zwar könnte der kommunale Aufgabenträger die Satzung weiter anwenden, da Urteile des Verwaltungsgerichts nur inter partes gelten (vgl. § 121 VwGO) und die inzidente Nichtigkeitsfeststellung nicht allgemein verbindlich (Umkehrschluss aus § 47 Abs. 5 VwGO) ist. Er würde dann aber jeweils ein möglicherweise kostenträchtiges Unterliegen in einem nachfolgenden Verwaltungsstreitverfahren riskieren. Auch das Verwaltungsgericht stellt im vorliegenden Fall die Unwirksamkeit der Satzung nur in diesem Einzelfall fest.

154

Diese Feststellung der Nichtigkeit kann entgegen klägerischer Ansicht auch erfolgen, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Satzung bereits nicht mehr formell in Kraft ist, es aber - etwa wie hier zur Klärung der Verjährungsfrage – auf die Gültigkeit früherer Satzungen ankommen sollte. Dem Gericht ist kein Rechtssatz bekannt, wonach eine während ihres Anwendungszeitraums gerichtlich unbeanstandet gebliebene Satzung später nicht mehr auf ihre Wirksamkeit überprüft werden darf.

155

ee) Im Übrigen sind die bisher behandelten Abgabensatzungen auch deshalb nichtig, weil der Zweckverband Wismar 1991 fehlerhaft gegründet worden ist. Die danach verkündeten Abgabensatzungen konnten somit nicht wirksam beschlossen und veröffentlicht werden. Dabei kann offenbleiben, ob – wie geschehen - das Reichszweckverbandsgesetz (RZVG) vom 7. Juni 1939 (RGBl. I S. 979) ergänzend zu § 61 KV DDR herangezogen werden konnte.

156

Zum Meinungsstand: Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 10. Dezember 1998 – LVerfG 1/98 -, Umdruck S. 15 ff.; Saugier, Der fehlerhafte Zweckverband, 2001, S. 58 ff. mwN. – Zum Verfahren bei der Gründung eines Zweckverbandes vor Inkrafttreten der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern siehe auch VG B-Stadt, Urt. v. 19. Februar 1997 – 4 A 1092/95 – (n. v.), Umdruck S. 6 ff.; Beschl. v. 29. August 1997 – 4 B 431/96 -, Umdruck, S. 8 ff. (letzterer Entscheidung betr. den Zweckverband Wismar).

157

Selbst wenn die Anwendbarkeit des Reichszweckverbandsgesetzes zu bejahen wäre, würde es bei der Gründung des Zweckverbandes Wismar an dem nach § 11 Abs. 1 RZVG erforderlichen Beschluss der zuständigen Aufsichtsbehörde (Landrat des Landkreises Wismar) fehlen. Dieser Beschluss hätte auch gemäß § 11 Abs. 2 RZVG im amtlichen Bekanntmachungsblatt des Landrates nebst der Verbandssatzung veröffentlicht werden müssen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

158

So bereits ausführlich VG Schwerin, Beschl. v. 29. August 1997 – 4 B 431/96 – Umdruck, S. 11 ff.

159

Demzufolge hätte der Zweckverband seine Satzungen nach seiner bestätigenden Neugründung im Jahr 1998 und Neukonstituierung seiner Organe erneut beschließen und veröffentlichen müssen, um ihnen Wirksamkeit zu verleihen. Da dies nicht geschehen ist, waren und blieben die genannten Satzungen nichtig.

160

ff) Auch die Satzung von 18. Oktober 2000 verstieß gegen höherrangiges Recht und war nichtig. Dem Beitragssatz lag keine ordnungsgemäße Kalkulation zu Grunde. Die Vollgeschossfaktoren in Satzung und Kalkulation wichen voneinander ab. Zudem lagen Fehler bei Flächenermittlung vor, da der Vollgeschossfaktor der Satzung nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Schließlich waren die Kläranlagen in die Kalkulation nicht einbezogen worden (vgl. VG B-Stadt, Urt. v. 3. Juni 2004 - 4 A 1623/02). Die Satzung vom 20. Dezember 2005 ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 27. Juni 2008 - 8 A 1654/08 - aus materiellen, die Satzung betreffenden Gründe für nichtig erklärt worden.

161

gg) Auch die (letzte) Beitragssatzung vom 7. Mai 2009 war - wie die Kammer in den oben genannten Urteilen vom 22. Januar 2010 festgestellt hat - wegen Widersprüchlichkeit der Regelungen in § 6 Abs. 4 und 5 f) BSSW 2009 (Bestimmung der Anzahl der Vollgeschosse, wenn diese nicht feststellbar sind) bzw. wegen Unvollständigkeit der Bestimmung zur Festlegung von Vollgeschossen in vor dem 30. April 1994 errichteten Gebäuden in § 6 Abs. 5 e) Satz 3 BSSW 2009 nichtig.

162

Zur Frage der Bestimmung der Vollgeschosse bei Altbauten vgl. aber OVG M-V, Urt. v. 14. September 2010 – 4 K 12/07 -, juris Rn. 65.

163

hh) Die Festsetzungsverjährungsfrist konnte daher erst mit Bekanntgabe der letzten, jetzt maßgebenden Änderungssatzung (BSSW 2010) zu laufen beginnen. Das war im vorliegende Fall der 1. Januar 2011, da der Beitragsanspruch erst mit Inkrafttreten der Beitragssatzung vom 3. März 2010, also im Jahr 2010 entstanden ist (vgl. § 170 Abs. 1 AO).

164

6. Dem jeweiligen Beitragsschuldner steht auch kein Vertrauensschutz in die Rechtswirksamkeit der Vorgängersatzungen zur Seite. Das Ergebnis, wonach im Beitragsrecht eine spätere rechtswirksame Satzung den Zeitraum einer früheren nichtigen Satzung erfasst, steht mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG im Einklang. Insbesondere ist das Vertrauen des Beitragszahlers in die Rechtswirksamkeit der Vorgängersatzungen nicht in der Weise geschützt, dass er Anspruch hätte, auf Grundlage der zum Zeitpunkt der Anschließbarkeit des Grundstücks maßgebenden Verhältnissen nach der damals formell gültigen Satzung veranlagt zu werden. Der Bürger kann sich nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen. Dies gilt insbesondere, wenn sich eine Rechtsnorm im Nachhinein als ungültig erweist und durch eine neue rechtlich nicht zu beanstandende Bestimmung ersetzt wird.

165

Vgl. grundlegend BVerfG, Urt. v. 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 - BVerfGE 13, 261 ff., zit. nach juris Rn. 48 ff., 54 m. w. N.

166

Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht im Übrigen nicht so weit, den Bürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Schutzwürdig ist zudem nur das getätigte Vertrauen, also eine "Vertrauensinvestition", die zu Erlangung einer Rechtsposition geführt hat (vgl. BVerfG, Urt. v. 2. Mai 1987 - 1 BvR 724/81 - u. a. juris Rn. 82 m. w. N.). Eine solche Rechtsposition erwächst nicht aus dem Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit einer Beitragssatzung.

167

7. Der Beitragsanspruch ist auch nicht verwirkt. Als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet Verwirkung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung).

168

Zu den Voraussetzungen der Verwirkung OVG M-V, Beschl. v. 22.9. 2004 - 1 M 166/04 - juris Rn. 24; Gersch, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 4 Rn. 21; Rüsken, ebenda, § 228 Rn. 13 je mwN. aus der Rechtspr. des Bundesfinanzhofs; vgl. auch OVG M-V, Beschl. v. 18. März 2008 - 1 M 15/08 - S. 6 mwN (n. v.]).

169

Zwar ist der Anschlussbeitrag über einen langen Zeitraum nicht geltend gemacht worden. Jedoch durfte der Beitragsschuldner regelmäßig nicht darauf vertrauen, dass der Beklagte den Beitrag nicht mehr einfordern wird. Es ist nichts ersichtlich, dass der Beklagte gegenüber Beitragsschuldner jemals zu erkennen gegeben hat, er werde den Beitrag nicht mehr geltend machen. Auch nach dem Inhalt früherer Satzungen war der Beklagte gehalten, Beiträge gegenüber Altanschließern geltend zu machen. Die Durchsetzung dieses Rechts mit einem Bescheid erscheint daher nicht als unzumutbarer Nachteil zu Lasten des Beitragsschuldners. Zudem kann eine Verwirkung bei einer laufenden Verjährungsfrist nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden (siehe Rüsken, ebenda, § 228 Rn. 13). Solche sind hier nicht ersichtlich.

170

8. Die nach allem rechtsgültige Beitragssatzung hat der Beklagte im vorliegenden Fall zutreffend angewandt. Soweit die Kläger geltend machen, dass ihr Grundstück zum Teil aus Gartenland bestehe, kann dies zu keiner Reduzierung des Beitrags führen. Denn beide Flurstücke sind rechtlich gesehen ein Grundstück, weil beide Flurstücke im Bestandsverzeichnis des Grundbuchs unter einer Nummer geführt werden. Sie sind daher einheitlich zu veranlagen.

171

9. Anzumerken bleibt, dass die Beitragsschuldner auch nicht mit dem Argument durchdringen, der Beklagte habe zeitnah mit dem tatsächlichen Anschluss des Grundstücks und seiner Satzung aus dem Jahre 1992 neben den Hausanschlussbeitrag sogleich auch den Anschlussbeitrag erheben müssen, so dass sie in den "Genuss" eines früheren niedrigen Beitrags von 2.000,-- DM oder 3.000,-- DM gekommen wären. Zum einen geben die Verjährungsvorschriften dem Beklagten vor, innerhalb welcher Zeiträume er Beitragsbescheide erlassen muss. Er ist weder nach Satzungsrecht noch nach sonstigen Vorschriften verpflichtet, zeitnah nach Herstellung der Anschlussfähigkeit des Grundstücks Beitragsbescheide zu erlassen. Zum anderen ist es dem Beklagten unbenommen, soweit er aufgrund früherer, nichtiger Satzungen (zu niedrige) Beiträge durch (bestandskräftige) Beitragsbescheide erhoben hat, im Rahmen pflichtmäßigen Ermessens unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu prüfen, ob er die diesbezüglichen abgeschlossenen Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 1 KAG M-V in Verbindung mit §§ 130, 131 AO wieder aufgreift (oder gar aufgreifen muss) und unter Beachtung neuer Satzungsbestimmungen und der erbrachten Beiträge neu entscheidet. Die Einmaligkeit der Beitragserhebung dürfte ihn nicht daran hindern, weil es noch immer um die erstmalige Beitragserhebung geht (vgl. jetzt auch OVG M-V, Urt. v. 15. Dezember 2009 - 1 L 323/06 – juris Rn. 52 ff. mwN).“

172

An diesen Ausführungen hält das Gericht auch im vorliegenden Verfahren fest.

173

Die Kläger haben als Unterlegene die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).

174

Die Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

175

Das Gericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VerGO zugelassen. Die von den Klägern angesprochene Rechtsfrage der Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 3 KAG M-V ist bislang – soweit ersichtlich – noch nicht vom Oberverwaltungsgericht M-V im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05.03.2013 (1 BvR 2457/08) bewertet worden.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin ist befugt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung eines Schmutzwasserbeitrags durch den Beklagten für ihr Teileigentum.

2

Die Klägerin ist zusammen mit H. mit einem Anteil von 8/1000 Wohnungs- und Teileigentümer der Wohnungseigentumsanlage „Erholungsgemeinschaft N.“. Diese Wohnungseigentumsanlage besteht aus dem Flurstück [...] der Flur 1 in der Gemarkung N., das insgesamt 64.650 m² groß ist. Das Grundstück ist mit 104 Wochenendhäusern bebaut. Am östlichen Rand befindet sich ein vom Zweckverband Wismar betriebenes Pumpspeicherwerk, dessen Aufstandsfläche einschließlich Umpflasterung 28,79 m² umfasst.

I.

3

Im Mai 1991 wurde der Zweckverband Wismar gestützt auf die DDR-Kommunalverfassung gegründet. Mit Genehmigung des Landrats des Landkreises Nordwestmecklenburg wurde im Mai 1998 eine „bestätigende Gründung“ auf der Grundlage der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der entsprechenden öffentlich-rechtlichen Gründungsverträge und aufsichtrechtlichen Genehmigungen verwiesen.

4

Die Eigentümer der „Erholungsgemeinschaft N.“ schlossen mit dem Zweckverband Wismar am 15. Juli 2004 einen notariellen Vertrag, in dem die Eintragung eines dinglichen Leitungsrechts als beschränkt persönliche Dienstbarkeit auf dem Flurstück [...] vereinbart wurde. In III. wurde dort auszugsweise bestimmt:

5

„(2) Der Berechtigte [= Zweckverband Wismar] darf in einem Grundstückstreifen von 4 m Breite einen Schmutzwassersammler einschließlich Nebenanlagen betreiben. Innerhalb des Schutzstreifens dürfen Gebäude und Anlagen nicht errichtet und sonstige Einwirkungen vorgenommen werden, die den Bestand der Leitung gefährden. Die Außengrenzen des Schutzstreifens werden dadurch bestimmt, dass man von der Leitungsachse links und rechts im Abstand von je 2 m gleichlaufende Linien zieht.

6

Der Zweckverband Wismar hat das Recht, das Grundstück […] jederzeit zu betreten. […] Im übrigen bleiben die Rechte des Grundstückseigentümers auf Benutzung unberührt.

7

[…]

8

(5) Durch die Gewährung dieses Leitungsrechts entsteht für die Wohnungseigentümer keine Pflicht zur Zahlung von Anschlusskostenbeiträgen.“

9

Die Vertreterin des Zweckverbandes Wismar handelte bei Abschluss dieses Vertrages ohne Vertretungsmacht. Soweit ersichtlich, ist der Vertrag nicht genehmigt, aber durch Eintragung des vereinbarten Leitungsrechts in das Grundbuch vollzogen worden.

II.

10

Das streitgegenständliche Flurstück [...] liegt am Westufer des N-sees im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 3 „Wochenendhaussiedlung Erholungsgemeinschaft N.“ der Gemeinde Z. vom 28. August 1997. Danach ist das gesamte Grundstück als Sondergebiet, das der Erholung dient, Wochenendhausgebiet nach § 10 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) ausgewiesen. Der mit den Wochenendhäusern bebaute Teil ist etwa 46.280 m² groß. Für die sich daran anschließende „Uferpromenade“ ist ein Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit nach § 9 Abs. 1 Nr. 21 des Baugesetzbuches (BauGB) festgesetzt. Dieses Gehrecht ist nach Nr. 2.1 der textlichen Festlegung im Bebauungsplan für die Zeit von 8.00 bis 22.00 Uhr und für die Monate Mai bis Oktober zulässig. Nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten ist das Gehrecht bisher nicht durch eine öffentlich- oder privatrechtliche Belastung der entsprechenden Grundstücksfläche umgesetzt worden. Eine vor der „Uferpromenade“ am Ufer des Sees liegende 18.370 m² große Fläche (sog. Seewiese) wird im Bebauungsplan (nachrichtlich) als Flächen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 und Abs. 6 BauGB bezeichnet. Eine weitere Fläche an der östlichen Ecke der Bebauungsplanbegrenzung ist (nachrichtlich) als gelb gekennzeichnete Fläche für Versorgungsanlagen nach § 9 Abs. 1 Nr. 12 und 14 und Abs. 6 BauGB in einer Größe von etwa 400 m² verzeichnet. Darauf befindet sich das vom Zweckverband Wismar betriebene Pumpspeicherwerk. Am Ufer des Sees entlang ist ferner (nachrichtlich) der Uferschutzstreifen verzeichnet (vgl. § 9 Abs. 6 BauGB).

III.

11

Mit Bescheid vom 28. September 2009 setzte der Beklagte unter Hinweis auf die Gesamtschuldnerschaft mit H. auf Grundlage der Schmutzwasserbeitragssatzung des Zweckverbandes Wismar vom 7. Mai 2009 (BSSW 2009) den Beitrag für den der Klägerin zugeordneten Eigentumsanteil auf 1.603,32 € fest. Zur Begründung führte der Beklagte aus: Die anrechenbare im Bereich eines Bebauungsplanes belegende Grundstücksfläche betrage für das Teil- und Sondereigentum der Klägerin 581,85 m², so dass bei einem Nutzungsfaktor von 1 und einem Beitragssatz von 3,10 € der genannte Beitrag festzusetzen sei.

12

Dagegen erhob sowohl die Klägerin als auch Frau H. Widerspruch, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen ausführten: Die berücksichtigungsfähige Fläche sei unzutreffend ermittelt worden, da die damals durchgeführte Vermessung fehlerhaft erfolgt sei. Die den Eigentümern zugeordnete Gartenfläche und Gemeinschaftsanteil seien unbebaut und dürften nach dem Bebauungsplan auch nicht bebaut werden. Die Gemeinschaftsfläche sei für die Öffentlichkeit zugänglich zu halten. Außerdem befinde sich auf dieser Fläche das Pumpspeicherwerk des Zweckverbandes. Durch den Anschluss an die Schmutzwasseranlage habe sich der Wert des Grundstücks in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert, so dass den Eigentümern kein Vorteil erwachsen sei. Der Beitragsanspruch sei zudem verjährt. Der Bescheid enthalte keine Aussagen zum Beginn der Verjährungsfrist. Insbesondere handele es sich bei der ihm zugrunde liegenden Satzung nicht um die erste wirksame Satzung des Zweckverbandes Wismar. Vielmehr sei die Satzung vom 22. Dezember 1995 die erste wirksame Satzung gewesen, die auch angewandt worden sei. Zudem seien in der Beitragskalkulation unzulässigerweise ca. 20.000.000,-- € Prognosekosten für bereits zu DDR-Zeiten erstellte Abwasseranlagen enthalten.

13

U. a. im rechtskräftigen Urteil der erkennenden Kammer vom 22. Januar 2010 – 8 A 1369/09 – (juris) beanstandete die Kammer die Beitragssatzung Schmutzwasser (BSSW 2009) des Zweckverbandes. Am 3. März 2010 verabschiedete dessen Verbandsversammlung eine neue Schmutzwasserbeitragssatzung (BSSW 2010), wobei die Kalkulationsunterlagen in der Verbandsversammlung vorgelegen haben. Die Satzung wurde anschließend in der Ostsee-Zeitung (Wismarer Zeitung) veröffentlicht.

14

Der Beklagte wies die Widersprüche der Klägerin und von Frau H. mit gesonderten Widerspruchsbescheid vom 14. April 2010 – der Klägerin und Frau H. jeweils zugestellt am 26. April 2010 – zurück. Zur Begründung führte er u. a. aus: Maßgebend sei nur der vom Grundbuchamt mitgeteilte Eigentumsanteil. Aus der Tatsache, dass ein Grundstück – wie regelmäßig – nicht voll überbaut werden dürfe, folge nicht, dass nur ein Teil des Grundstücks beitragspflichtig sei. Anders wäre es nur, wenn eine Teilfläche des Grundstücks überhaupt nicht mehr nutzbar wäre. Das ist bei dem streitgegenständlichen Grundstück aber nicht der Fall. Maßgebend sei nunmehr die zwischenzeitlich verabschiedete Schmutzwasserbeitragssatzung des Zweckverbandes Wismar vom 3. März 2010. Dabei handele es sich um die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes, da alle Vorgängersatzungen nichtig gewesen seien. Die Sanierung und Erneuerung der Schmutzwasseranlage werde seit 1997 durchgeführt und weiter fortgesetzt. Auch wenn das Grundstück bereits zu DDR-Zeiten über einen Schmutzwasseranschluss verfügt habe, seien nach der Rechtsprechung insbesondere des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern dennoch Beiträge zu erheben.

15

Frau H. hat keine Klage erhoben, so dass der an sie ergangene Beitragsbescheid bestandskräftig geworden ist.

16

Nur die Klägerin hat am 5. Mai 2010 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie ergänzend aus:

17

Das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern (KAG M-V) und - die darauf beruhende Abgabensatzung des Zweckverbandes Wismar - seien nichtig. Das Gesetz sei unter Verstoß gegen den in Art. 253 EG-Vertrag [heute: Art. 296 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV] niedergelegten allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsatz zustande gekommen, wonach es der Legislative obliege, dem jeweiligen Rechtsakt eine Begründung beizufügen. Daran fehle es hier; auch die Gesetzesbegründungen in den Landtagsdrucksachen genügten nicht diesen Anforderungen. In diesem Zusammenhang werde angeregt, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage der Anwendung der genannten Rechtsgrundsätze auf nationales Recht klären zu lassen.

18

Darüber hinaus sei das Kommunalabgabengesetz 2005 unter Verstoß gegen das verfassungsrechtlichen Gewaltenteilungsprinzips zustande gekommen. Denn an der Erarbeitung des Änderungsgesetzes 2005 sei dienstrechtswidrig das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern durch den (damaligen) Richter am Oberverwaltungsgericht A.. Dieser sei über das OVG M-V eingeladen worden und habe nicht nur an einer Sitzung des Innenausschusses, sondern auch an Ausschusssitzungen des Landtages Mecklenburg-Vorpommern teilgenommen (vgl. etwa Bericht des Innenausschusses des Landtages Mecklenburg-Vorpommern, LtDrs 4/1576, S. 34, 67 ff.). Zudem sei er Autor des - auch von zwei Mitarbeitern im Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern betreuten - maßgebenden und von den Verwaltungsgerichten verwendeten Kommentars zum KAG M-V. Wegen verfassungswidrigen bzw. rechtsstaatswidrigen Zusammenwirkens der drei Gewalten liege auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK - Recht auf faires Verfahren) und Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) vor. Da in § 9 Abs. Abs. 8 KAG M-V in bestimmten Fällen Beiträge auch dann zu erheben sind, wenn ein Aufwand nicht mehr zu decken sei, liege ein Verstoß gegen das Äquivalentsprinzip und den Gleichheitssatz vor.

19

Der Zweckverband Wismar sei nicht wirksam gegründet worden, weshalb dessen Satzungen und von dessen Behörde erlassene Bescheide nichtig seien. Seine im Mai 1991 auf Grundlage des Reichszweckverbandsgesetzes vom 7. Juni 1939 erfolgte Gründung sei fehlerhaft gewesen, da das Gesetz durch die alliierten Siegermächte aufgehoben worden sei. Durch die Heilungsvorschriften der §§ 170a und 170b der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) sei das dort für anwendbar erklärte Reichszweckverbandsgesetz nicht wieder in Kraft gesetzt worden. Außerdem sei die Bundesrepublik Deutschland das Deutsche Reich und die Weimarer Reichsverfassung sei weiter in Kraft. Zudem enthalte der erste Gründungsvertrag von 1991 keine Bestimmung über eine Veröffentlichungsregelung.

20

Die bestätigende Gründung des Zweckverbandes im Mai 1998 sei rechtsunwirksam, da die erforderliche rechtsaufsichtliche Genehmigung nicht auf das Jahr 1991 zurückwirken könne. Eine rückwirkende Übertragung hoheitlicher Aufgaben sehe die Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern nicht vor und sei auch sonst nicht möglich, wie Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs Sachsen-Anhalts und anderer Obergerichte zeigten. Aufgaben könnten allenfalls für die Zukunft übertragen werden.

21

Ungeregelt geblieben sei im Zusammenhang mit der Gründung zudem die Übertragung von Vermögenswerten auf den Zweckverband und die Durchführung von Investitionen für die Mitgliedsgemeinden. Ausgleichsverträge nach § 153 KV M-V, die den zivilrechtlichen Übergang von Vermögenswerten von einer Mitgliedsgemeinde auf den Zweckverband regeln, lägen nicht vor. Da nach § 7 des Gründungsvertrages nur das erforderliche Satzungs- und Gebührenrecht von den Gemeinden übergehen sollte, nicht aber die Durchführung von Investitionen, könne der Zweckverband insoweit keine Beiträge erheben. Auch im Beitrittsvertrag aus dem Jahr 2005 der Gemeinde Jesendorf sei nach dessen § 4 unklar, ob und welche Vermögenswerte auf den Zweckverband Wismar übertragen worden seien.

22

Die Veröffentlichungsbestimmung in § 22 der Verbandsatzung sei rechtsfehlerhaft, weil dort der erforderliche Hinweis auf die Veröffentlichung in derOstsee-Zeitung unter „Öffentliche Bekanntmachungen“ fehle. Zweifelhaft sei auch, ob in allen Mitgliedsgemeinden die Ostsee-Zeitung (Lokalteil Wismarer Zeitung) erhältlich sei. Der Verbandssatzung sei auch nicht zu entnehmen, wie schriftliche Einzelinformationen zugestellt werden sollten. Die nach § 15 Abs. 4 der Verbandsatzung erforderliche Zustimmung der Verbandsversammlung zu den Investitionsvorhaben sei nicht ausdrücklich erfolgt.

23

Die hier zugrunde liegende Beitragssatzung Schmutzwasser des Zweckverbandes Wismar sei nichtig: Die Anlage sei nicht hinreichend definiert, weil Niederschlagswasser nicht erfasst sei. § 3 Abs. 2 BSSW 2010 sei wegen fehlender Normenklarheit nichtig, weil weder rechtlich noch tatsächlich nachvollziehbar sei, wie diese Vorschrift sich zu den Abs. 1 und 2 in § 3 BSSW 2010 verhalte. § 6 Abs. 2 e) BSSW 2010 - und damit die Satzung insgesamt - sei wegen fehlender Normenklarheit nichtig, da es im Verbandsgebiet Fälle von Abrundungssatzungen im Sinne des § 34 Abs. 4 BauGB nicht gebe.

24

Die Globalkalkulation leide unter erheblichen Fehlern. Es sei nicht erkennbar, wie der Beklagte die Flächenermittlungen vorgenommen habe. Auch fehle es an einer stimmigen Ermittlung der Investitionsvorhaben sowohl hinsichtlich der Art und Weise als auch der einzelnen Gesamtbeträge. Die Verbandsversammlung habe daher nicht prüfen können, ob das Aufwandsüberschreitungsverbot eingehalten worden sei. Die Kalkulation sei auch mangelhaft erläutert. Es sei aus der Aufstellung Erneuerung KN vor 1979 (BA 55, Anl. 1) nicht ersichtlich, ob die vor 1979 erneuerten, zudem kostenfrei übertragenen Anlagen aus der Kalkulation herausgenommen worden seien. Sie seien weiterhin enthalten. Die Planung der Investitionskosten und Fördermittel (Anl. 3) enthalte keine Angaben hinsichtlich des Zeitraums der Investitionen. Die verwendeten Abkürzungen seien unüblich und würden nicht erläutert. Laut Kostenschätzung Baumaßnahmen 2008 – 2014 (Anl. 5) seien Freispiegelleitungen und Druckrohrleitungen mit ca. 11 Mio. € zu veranschlagen. Laut dem WIBERA-Gutachten von 2005 betrage der beitragsfähige Aufwand insgesamt ca. 95. Mio. €, abzüglich Fördermittel und von Dritten unentgeltlich übernommener Anlagen betrage der Aufwand ca. 61. Mio. €. Die Differenz betrage damit ca. 50 Mio. €. Der Prognosewert von 111,5 Mio. € sei nicht nachvollziehbar, da von 1991 bis 2009 im Anlagennachweis für den Bereich Schmutzwasser lediglich 80 Mio. € genannt worden seien. Im Übrigen hätten keine Prognosezahlen eingestellt werden dürfen, soweit bereits für die Jahre 2008, 2009 und 2010 konkret abgerechnet worden sei. Des Weiteren seien der Verbandsversammlung verschiedene Unterlagen über geplante Investitionen vorgelegt worden (Anl. 6 bis 8). Ein Investitionsprogramm oder ein Abwasserkonzept seien der Versammlung am 3. März 2010 nicht vorgelegt worden. Auch seien den Mitgliedern mit der Verbandsversammlung die Kalkulationsunterlagen oder ein Investitionskonzept nicht vor der Sitzung zur Verfügung gestellt worden, so dass die vorgelegte Kalkulation von ihnen nicht habe überprüft werden können. Gegenstand der den Mitgliedern zur Verfügung stehenden Beschluss-Vorlage 45/200/2010 und damit der Beschlussfassung sei keine Kalkulation gewesen, da in der Vorlage kein Beitragssatz genannt sei. Die Mitglieder der Verbandsversammlung hätten auch nur Fragmente der Unterlagen erhalten. Sie sei nach allem nicht ordnungsgemäß gewesen, nicht nachvollziehbar und habe in einer Stunde in der Sitzung nicht geprüft werden können. Dies gelte insbesondere auch hinsichtlich der auf der als Beiakte 5 zu 8 A 407/10 registrierte CD-Rom, dessen Tabellen zum Teil nicht lesbar ausgedruckt werden könne. Deshalb möge das Gericht die Sitzung unterbrechen und die Dateien ausdrucken. Eine ausreichende Befassung in der Sitzung vom 3. März 2010 sei somit nicht möglich gewesen.

25

Trotz verschiedener, wegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Schwerin erforderlich gewordener Neukalkulationen seit 1995 sei der kalkulierte Beitragssatz gleich geblieben. Dies deute auf Manipulationen hin. Zudem seien die bis 2014 geplanten Investitionen nicht mit 111 Millionen € nachweisbar. Aus einem Evaluationsgutachten zur wirtschaftlichen Lage des Zweckverbandes von August 2010 folge, dass Zuschüsse Dritter zweckwidrig zur Senkung der Gebühren verwendet worden seien.

26

Unabhängig von der Frage der Nichtigkeit der Satzung seien im vorliegenden Fall Beitragsansprüche schon deshalb erloschen, weil der Zweckverband durch III Abs. 5 der notariellen Urkunde vom 15. Juli 2004 über die Gewährung von Leitungsrechten auf „Anschlusskostenbeiträge“, mithin die hier geltend gemachten Anschlussbeiträge verzichtet habe. Für eine solche Auslegung der Vertragklausel spreche auch, dass der im Vertrag verwendete Ausdruck vom Beklagten in Umsetzung der Gebühren- und Betragssatzung aus dem Jahr 1993 verwendet worden sei. Auslegungsschwierigkeiten gingen zu Lasten des Zweckverbandes Wismar.

27

Jedenfalls seien die Beitragsansprüche verjährt. Der Lauf der Festsetzungsverjährungsfrist habe nach Maßgabe des § 8 Abs. 7 KAG M-V 1991 frühestens mit Inkrafttreten derersten Beitragssatzung zu laufen begonnen. Dies folge auch aus Nr. 5 auf Seite 8 der LtDrs 1/113 und werde durch Nr. 6.4.4 des Einführungserlasses des Innenministers M-V vom 14. Juni 2005 bestätigt. Das KAG 1991 sei durch das KAG 2005 aufgehoben worden. Da die Eigentümer zu den sog. Altanschließern gehörten, sei die Beitragspflicht zu einem sehr frühen Zeitpunkt entstanden. Im Fall nichtiger Satzungen hätte der Beklagte den Betroffenen Beiträge erstatten müssen, was nicht geschehen sei. Jedenfalls sei der Anspruch durch Verjährung erloschen, weil zumindest die Schmutzwasserbeitragssatzung vom 20. Dezember 1995 rechtswirksam gewesen sei. Diese sei innerhalb ihres Geltungszeitraums (1. Januar 1996 bis 18. Oktober 2000) vom Beklagten kontinuierlich angewandt worden und weder vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern noch vom Verwaltungsgericht für nichtig erklärt worden. Der einmal verjährte Anspruch könne nicht wieder aufleben. Auch soweit im Einzelfall ein Beitragsbescheid aufgehoben worden sei, fehle es an der gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit der Satzung. Im Übrigen könne sich der Beklagte über die gerichtliche inzidenter Feststellung der Unwirksamkeit einer Satzung hinwegsetzen.

28

Der Anspruch sei verwirkt, weil der Beklagte im Rahmen einer früheren Kalkulation (zur BSSW 2000) Flächen von Altanschließern nicht berücksichtigt, mithin nur Neuanschließer einbezogen habe. Damit habe er zu erkennen gegeben, Beiträge von Altanschließern nicht mehr verlangen zu wollen. Obwohl alle Voraussetzungen vorgelegen hätten, habe der Beklagte keine Bescheide erlassen. Er habe sich daher der Erkenntnis der Verjährung gebeugt, zumal es nach dem KAG M-V 1993 keinen rechtlichen Zwang zur Erhebung von Beiträgen gegeben habe.

29

Zudem hätten die Grundeigentümer auf Grund der Einmaligkeit der Beitragserhebung darauf vertrauen können, dass die Erstveranlagung ohne satzungsrechtliche Nachveranlagungsregelung endgültig sei. In abgeschlossene Beitragssachverhalte eingreifendes rückwirkendes Satzungsrecht sei rechtsstaatswidrig.

30

Die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Zweckverbands Wismar könne nicht im Sinne des KAG M-V erstmalig hergestellt werden, da sie nach Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten bereits aus DDR-Vermögen übernommen worden sei. Die bereits vor der Wiedervereinigung bestehenden Abwasseranlagen seien nicht eröffnet, sondern konkludent fortgeführt worden. Der Zweckverband habe auf Grundlage von § 21 Abs. 3 des Einigungsvertrages und Anl. II zum Einigungsvertrag Sachgebiet B Kap IV Abschnitt III Nr. 2 in Verb. mit dem DDR-Kommunalvermögensgesetz das Vermögen unentgeltlich übertragen erhalten. Die Verpflichtung der Kommunen zur Abwasserentsorgung habe schon (vor Inkrafttreten des KAG M-V) gemäß § 2 Abs. 2 der DDR-Kommunalverfassung bestanden, die sodann von §§ 40, 43 des Wassergesetzes M-V fortgeschrieben worden sei. Diesen Erfordernissen sei die öffentliche Hand in der Vergangenheit auch nachgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 19. Oktober 1966 IV C 99.65, juris Rn. 9) verlange, „eine[n] Vorteil, den der Beitragspflichtige aus einer der Beitragserhebung zugrunde liegenden Handlung erlangt“ habe. Der Zweckverband Wismar habe gerade keine Abwasseranlage angelegt und dennoch verlange der Beklagte einen Beitrag. Eine Erneuerung (nochmalige Herstellung) komme nur bei voller Abnutzung in Betracht, nicht aber etwa bei Erneuerung einzelner Rohre; diese seinen durch Gebühren abzurechnen.

31

Der angegriffene Bescheid sei auch deshalb rechtswidrig, weil das Kommunalabgabengesetz bei Wohnungseigentum nicht auf ganze Siedlungen abstelle, sondern auf Wohnungen unter einem Dach. Sie seien jedenfalls nicht wie normales Wohnungseigentum zu behandeln. Vielmehr müsse berücksichtigt werden, dass es sich um Ferienhäuser handele, welche nur in den Sommermonaten nutzbar seien. Deshalb seien sie im Bebauungsplan auch als Sondergebiet, das der Erholung diene, ausgewiesen. Die bauliche Nutzung beschränke sich tatsächlich auf ca. 47.000 m²; die Seewiese mit einer Fläche von ca. 18.000 m³ sei entsprechend der im Bebauungsplan festgelegten Bebauungsgrenze nicht bebaubar. Deshalb verstoße der Bescheid auch gegen § 3 Abs. 1 b) BSSW 2010, da Einigkeit in der Gemeinde bestehe, dass die Seewiese nicht bebaubar sei. Denn die Gehrechte erstreckten sich nicht nur auf die Uferpromenade, sondern auf die gesamte Seewiese, da die entsprechende Planzeichnung des Bebauungsplanes die Seewiese umgebe. Die volle Fläche habe deshalb bei der Beitragsbemessung nicht berücksichtigt werden dürfen. Entsprechend dem Gleichheitssatz habe jedenfalls ein geringerer Nutzungsfaktor angesetzt werden müssen. Insoweit sei die Satzung auch unvollständig, weil die konkrete Nutzungsart des streitbefangenen Grundstücks als Freizeitsiedlung mit der Pflege von Kleingärten und der öffentlich zugänglichen Seewiese nicht berücksichtigt worden sei. Dazu werde auf das Urteil des erkennenden Gerichts vom 5. Mai 2011 – 4 A 826/08 – (n. v., Umdruck S. 18 f.) verwiesen. Insofern fehle es gleichheitswidrig an einem speziellen Tatbestand in der Satzung der - vergleichbar zu den Campingplätzen - einen abgesenkten Nutzungsfaktor enthalte. Zudem seien die Grundsätze im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holsteins vom 2. September 1998 – 2 M 19/98 – (juris und NordÖR 1999, 166 f.) zu beachten, wonach nur im Bebauungsplan als Bauland ausgewiesene Flächen bei der Beitragsfestsetzung herangezogen werden könnten. Der Seewiese fehle die notwendige Baulandqualität. Es sei zudem unverständlich, dass der Zweckverband Wismar 2008 im Rahmen von Verhandlungen mit der WEG N. über einen Erschließungsvertrag von einer geringeren Beitragsfläche ausgegangen sei, während er nunmehr das gesamte Grundstück veranlagt habe. Selbst der Landrätin des Landkreises Nordwestmecklenburg habe in einem – bestandskräftigen – Verwaltungsakt geäußert, dass die nicht bebaubare Grünanlage etwa 15.000 m² umfasse.

32

Einschließlich Zuwegung sei die im Bebauungsplan ersichtliche Fläche der Pumpstation 2.000 m² groß und in diesem Umfang von der beitragsfähigen Fläche abzuziehen.

33

Schließlich sei die Schmutzwassersatzung des Zweckverbandes Wismar wegen Verstoßes gegen die grundgesetzliche Eigentumsgarantie nichtig, weil dort in §§ 21 und 25 von den Eigentümern die Duldung örtlicher Leitungen für die öffentliche Einrichtung verlangt werde. Es liege auch ein Eingriff in das Grundrecht auf Wohnung vor. Die Nichtigkeit dieser Satzung habe die Satzung der Beitragssatzung zur Folge.

34

Die Klägerin beantragt sinngemäß

35

den Beitragsbescheid des Beklagten vom 28. September 2009 und dessen Widerspruchsbescheid vom 24. März 2010 aufzuheben.

36

Der Beklagte beantragt,

37

die Klage abzuweisen.

38

Zur Begründung verweist er auf seine Darlegungen im Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor:

39

Es erschließe sich nicht, wie durch Mitwirkung des (heutigen) Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht A. an der Novellierung des Kommunalabgabenrechts im Jahre 2005 oder der Mitwirkung an einem Kommentar zu diesem Rechtsgebiet tragende Prinzipien des Rechtsstaats verletzt worden sein könnten. Zu der Novellierung des KAG M-V existiere eine Gesetzesbegründung.

40

In der ständigen Rechtsprechung des VG Schwerin, zuletzt in seinen Urteilen vom 27. Mai 2011 seien Zweifel an der wirksamen Gründung des Zweckverbandes Wismar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Das Reichsverbandsgesetz sei durch § 170a KV M-V ausdrücklich rückwirkend auf den 3. Oktober 1990 für anwendbar erklärt worden. Deshalb habe die (bestätigende) Gründung des Zweckverbandes auch rückwirkend genehmigt werden können. Anlagevermögen sei auf den Zweckverband wirksam übertragen worden. Ein ordnungsgemäßer Übergang von Vermögenswerten auf den Zweckverband sei durch die öffentlich-rechtlichen Gründungsverträge erfolgt; notwendiger Grundbuchvollzug sei längst durchgeführt worden. Eine Ausgleichsregelung nach § 153 KV M-V sei daneben nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen folge ein Recht auf Investitionen durch den Zweckverband aus § 151 Abs. 1 KV M-V. Die Veröffentlichungsbestimmung des § 22 der Verbandssatzung sei nicht zu beanstanden; die Ostsee-Zeitung – Wismarer Zeitung – sei weltweit erhältlich. Das Schmutzwasserentsorgungskonzept habe der Verbandsversammlung am 3. März 2010 im Entwurf vorgelegen. Im Übrigen sei ein solches Konzept nicht vorgeschrieben. Die Investitionsvorhaben seien aus den von der Verbandsversammlung gebilligten Wirtschaftsplänen bekannt gewesen.

41

Der Anlagenbegriff sei hinreichend bestimmt, da zwischen Schmutz- und Niederschlagswasser zu unterscheiden sei. § 3 Abs. 3 BSSW 2010 sei eine Auffangnorm für den Fall, dass ein Anschluss an ein Grundstück tatsächlich gegeben sei.

42

Eine Sonderregelung hinsichtlich Wochenendhäuser sei nicht erforderlich. Wochenendhäuser dürften im Gegensatz zu Kleingartengrundstücken dauerhaft zu Wohnzwecken genutzt werden (vgl. § 3 Abs. 3 BKleingG einerseits und § 10 BauNVO andererseits). Eine Gleichbehandlung mit weiteren Sondergebieten nach § 11 Abs. 1 BauNVO komme wegen deren Andersartigkeit nicht in Betracht. Im streitbefangenen Gebiet seien melderechtlich auch Dauerwohnsitze begründet worden. Im Übrigen werde auf die entsprechenden Ausführungen in den letzten Entscheidungen des erkennenden Gerichts hinsichtlich unzutreffender Rückschlüsse der Klägerin auf beitragsrechtliche Vorteile aus den bauplanungsrechtlichen Vorgaben des Bebauungsplanes verwiesen Die im Übrigen für Mecklenburg-Vorpommern nicht maßgebende Rechtsprechung des OVG für das Land Schleswig-Holstein bestätige, dass wegen des Bebauungsplanes die von der Klägerin angesprochene Fläche der „Seewiese“ von der Vorteilswirkung der Schmutzwasseranlage als Annex erfasst sei. Die Nutzung durch die Öffentlichkeit sei bauplanungsrechtlich nicht dauerhaft oder uneingeschränkt; die Privatnützigkeit der „Seewiese“ nicht ausgeschlossen.

43

Kosten für unentgeltlich übertragene Anlagen oder Teile hiervon seien in der Kalkulation nicht enthalten.

44

Der Zweckverband Wismar habe bislang noch keine Erneuerung seiner öffentlichen Einrichtung vorgenommen; dies komme auch erst nach 2014 in Betracht.

45

Wegen der Verjährungsproblematik werde auf die Rechtsprechung des erkennenden Gerichts und des OVG M-V verwiesen. Die Kalkulation zur Beitragsatzung 2000 sei eine Rechnungsperiodenkalkulation gewesen und könne keine Vertrauensgrundlage über die Frage der Beitragspflicht für einzelne Grundstücke schaffen.

46

Die Schmutzwassersatzung sei allenfalls eine verfassungsrechtlich zulässige Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 2 GG. Art. 13 GG sei nicht tangiert.

47

Nach der Bestimmung im notariellen Vertrag zur Übertragung des Leitungsrechts werde in III Abs. 5 nur klargestellt, dass die Einräumung des Leitungsrechts keine Beitragspflicht auslöse. Eine Ablösevereinbarung sei schon deshalb zu verneinen, weil diese evident rechtswidrig gewesen wäre.

48

Die Einzeichnung der Schmutzwasseranlage im Bebauungsplan auf dem Grundstück sei lediglich eine Baugrenze mit einer Fläche von ca. 440 m². Die Aufstellfläche einschließlich Umpflasterung des Pumpspeicherwerks betrage 27,86 m².

49

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und des Beklagten zum vorliegenden Verfahren, der Satzungs- und Kalkulationsunterlagen (Beiakten 8 bis 56 des Verfahrens 8 A 507/10) sowie den Beitrittsvertrag der Gemeinde Jesendorf und das Evaluationsgutachten vom August 2010 (Beiakten 3 und 4 des Verfahrens 8 A 430/10) verwiesen.

Entscheidungsgründe

50

Die Klage ist zulässig, insbesondere auch fristgerecht erhoben worden. Sie ist aber unbegründet.

I.

51

Der angegriffene Beitragsbescheid und der zugehörige Widerspruchsbescheid des Beklagten sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]). Das Kommunalabgabengesetz (KAG M-V 2005) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 2005 (GVOBl. M-V S. 146) zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2007 (GVOBl. M-V S. 410) ist europarechtskonform und verfassungsgemäß zustande gekommen (1.). Der Zweckverband Wismar ist rechtlich existent (2.). Die Verbandssatzung des Zweckverbandes ist hinsichtlich der Veröffentlichungsbestimmung nicht zu beanstanden (3.) Weder ist die den angegriffenen Beitragsbescheiden zugrunde liegende Abgabensatzung in formeller und materieller Hinsicht zu beanstanden (4.) noch haften den angegriffenen Bescheiden selbst Fehler an (5.). Der Zweckverband hat auch nicht auf Beiträge verzichtet (6.).

52

1. Das Kommunalabgabengesetz ist weder europarechtswidrig noch verfassungswidrig zustande gekommen. Auch eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention ist nicht ersichtlich.

53

a) Die klägerseits angeregte Vorlage des Verfahrens zum Gerichtshof der Europäischen Union (EUGH) kommt nicht in Betracht. Die Voraussetzungen eines Vorabentscheidungsverfahrens zum EUGH nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) liegen nicht vor. Die Frage der europäischen Begründungspflicht nationaler Rechtsvorschriften ist geklärt. Eine nationale Rechtsvorschrift bedarf keiner gesonderten europarechtlich geforderten Begründung. Der EUGH hat in seinem Urteil vom 17. Juni 1997

54

- Rechtssache C-97/95 – Sodemare -, Sammlung [Slg.] I – 3395 (3396, ferner 3430 Rn. 19 f.) = juris LS 5 sowie Rn. 19 ff. -

55

zur entsprechenden Vorgänger-Vorschrift in Art. 190 EG-Vertrag (= Art. 253 EGV; heute: Art. 296 AEUV) klargestellt:

56

„Das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 190 des Vertrages, stellt keine Anforderungen an die Begründung einer nationalen generellen Regelung, die unter das Gemeinschaftsrecht fällt.

57

Denn abgesehen davon, daß die in Artikel 190 des Vertrages verankerte Begründungspflicht nur die Handlungen der Organe betrifft, gilt die Verpflichtung zur Begründung nationaler Entscheidungen, die die Ausübung eines Grundrechts betreffen, das dem einzelnen vom Vertrag verliehen ist, in Anbetracht ihres Zweckes nur für Einzelfallentscheidungen, gegen die die einzelnen über einen gerichtlichen Rechtsbehelf verfügen müssen, jedoch nicht für nationale generelle Rechtssätze.“

58

Zum gleichen Ergebnis war bereits der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 6. Februar 1997 gelangt.

59

Vgl. Generalanwalt Fennelly, Slg. I – 3398 [3406 Rn. 20] = juris; siehe auch Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV, AEUV, 5. Aufl. 2010 Art. 296 AEUV Rn. 2 aE.

60

Dies gilt selbst dann, wenn – wie in dem vom EUGH entschiedenen Fall – die Auslegung des betreffenden Gesetzes unklar sein und eine Begründung daher sinnvoll oder wünschenswert gewesen wäre. Die nach Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgeschriebene Begründungspflicht europäischer Rechtsakte richtet sich nur an die Organe der Europäischen Union. Dies folgt bereits aus dem Zusammenhang mit den übrigen Absätzen in Art. 296 AEUV und dessen Stellung im Kapitel 2 des Vertrages („Rechtsakte der Union, Annahmevorschriften und weitere Vorschriften“).

61

b) Das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern ist nicht wegen Verstoßes gegen das Gewaltenteilungsprinzips (Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes [GG]; Art. 3 Abs. 1 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern [Verf. M-V]) verfassungswidrig und damit nichtig, weil der damalige Richter am Oberverwaltungsgericht A. an den Gesetzesberatungen zur Novelle 2005 des Kommunalabgabengesetzes mitgewirkt hat. Zwar erfordert der Grundsatz der Gewaltenteilung auch personelle Trennlinien. Danach ist es etwa unvereinbar, wenn dieselbe Person in einem bestimmten Gemeinwesen ein Amt innehat, und gleichzeitig der Vertretungskörperschaft des Gemeinwesens angehört.

62

Vgl. zu Art. 137 GG: BVerfG, Entscheidung v. 27. April 1964 – 2 BvR 319/61 – juris Rn. 35 ; Beschl. v. 4. April 1978 – 2 BvR 1108/77 -, juris Rn. 59 ff.; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 55; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 11. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 25.

63

Auch ist etwa in § 1 VwGO als Ausprägung der verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung (ferner Art. 92 und 97 GG) festgelegt, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit durch unabhängige, von den Verwaltungsbehörden getrennte Gerichte ausgeübt wird. In § 4 Abs. 1 des Deutschen Richtergesetzes ist zudem bestimmt, dass ein Richter weder Aufgaben der gesetzgebenden noch der vollziehenden Gewalt zugleich wahrnehmen könne.

64

Näher – zu § 14 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz: BVerfG, Beschl. v. 17. Dezember 1969 – 2 BvR 271/68 u. a. -, juris Rn. 32; zu § 4 DRiG: BVerwG, Urt. v. 27. Oktober 1966 – II C 103.63 -, juris Rn. 37; vgl. auch Kronisch, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl. 2010, § 1 Rn. 39 ff.; 47; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 1 Rn. 5 je mwN.

65

Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der genannte Richter bei seiner Teilnahme an einer Sitzung des Innenausschusses und möglicherweise an weiteren Ausschussberatungen Aufgabe der Legislative wahrgenommen hat. Nach der Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses vom 2. März 2005 (LtDrS 4/1576, S. 34, 67 ff.), hat er in der öffentlichen Anhörung an der Sitzung des Innenausschusses am 10. November 2004 zu den Entwürfen der KAG-Novelle teilgenommen und inhaltlich Stellung genommen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Richter als Mitglied der dritten Gewalt an den Gesetzesberatungen mitgewirkt hat oder lediglich als (sachverständige) Privatperson. Zum anderen hat der Richter allenfalls beratend an den Gesetzesvorlagen mitgewirkt, nicht entscheidend. Das Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) wird nicht dadurch verletzt, dass der Gesetzgeber sich durch Institutionen oder Angehörige der dritten Gewalt vor Erlass eines Gesetzes beraten lässt. Eine Mitwirkung ist hierin nicht zu sehen. Eine die Grenzen der drei Gewalten übersteigende Tätigkeit ist auch nicht darin zu sehen, wenn berücksichtigt wird, dass der Richter zusammen mit zwei Praktikern aus dem Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern das Kommunalabgabengesetz kommentiert und die Rechtsprechung auf den Kommentar zurückgreift. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass durch die beschriebene Mitwirkung des Richters am Gesetzgebungsverfahren gegen Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen sein könnte. Denn diese Bestimmung befasst sich mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren innerhalb eines Gerichtsverfahrens. Weshalb durch die Mitwirkung eines Richters das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK berührt sein soll, erschließt sich dem Gericht nicht. Ein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 DRiG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil kein Gutachten in einem Einzelfall erstellt worden ist, sondern es um allgemeine Fragen des kommunalen Abgabenrechts gegangen ist.

66

c) Das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern ist auch nicht wegen Verletzung des Zitiergebots nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes nichtig. Das Zitiergebot gilt zunächst nur für förmliche Gesetze,

67

- vgl. nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG,10. Aufl. 2009, Art. 19 Rn. 4 mwN –

68

so dass die Satzung als materielles Recht (vgl. dazu nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 4 Rn. 40) hiervon bereits nicht betroffen ist.

69

Zudem ist in § 19 KAG M-V ausdrücklich auf Grundrechtseinschränkungen bezüglich der Art. 2 Abs. 2 und Art. 13 GG hingewiesen. Art. 14 GG ist richtigerweise dort nicht erwähnt, weil nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 19 Abs. 1 GG nur diejenigen Grundrechte erfasst, die aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen (vgl. nur Jarass, aaO, mwN.). Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zählt nicht hierzu. Im Übrigen sind Vorschriften über die Beitragserhebung auch Ausprägung der in Art. 14 Abs. 2 GG niedergelegten Sozialbindung des Eigentums.

70

d) § 9 Abs. 8 KAG M-V ist entgegen klägerischer Auffassung nicht verfassungswidrig. Er behandelt den Sonderfall, dass Beitragsüberdeckungen bei nachträglichen Beitragserhebungen (nur) bei unbebauten Grundstücken im unbeplanten oder geplanten Innenbereichen (vgl. § 34 und § 30 BauGB) i. S. d. § 9 Abs. 6 und 7 KAG M-V („… wenn ein Aufwand […]nicht mehr zu decken ist […]“) zulässig sind (Satz 1). Solche zusätzlichen Einnahmen seien zur Minderung der Gebührenbelastung aller an die Anlage Angeschlossenen zu verwenden (Satz 2). Die Vorschrift will nach Auffassung des Gerichts nur Regelungen für den Fall treffen, dass der kommunale Hoheitsträger sich deshalb verkalkuliert hat, weil in die Kalkulation eingestellte, ursprünglich unbebaute Grundstücke unvorhergesehen nachträglich bebaut werden und deshalb als bebaute Grundstücke mit dem entsprechend höheren Beitragsmaßstab zu veranschlagen sind. Diese zusätzlichen Einnahmen sind nach Maßgabe des § 9 Abs. 8 KAG M-V zu behandeln. Dies ist aber kein Problem einer fehlerhaften Kalkulation, sondern eine Antwort auf die Frage, wie mit solchen – nicht kalkulierten (außerordentlichen) – Einnahmen umzugehen ist. Insoweit stellt eine solche Handhabung dieser Vorschrift auch keinen Verstoß gegen das Kostenüberschreitungsverbot und Äquivalenzprinzip dar, weil sich eine eventuelle Aufwandsüberschreitung allenfalls erst nachträglich herausstellen könnte. Da es sich um einen Sonderfall handelt, liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es im vorliegenden Fall insoweit zu (kalkulierten/geplanten) Überdeckungen kommen soll.

71

Vgl. dazu bereits VG Schwerin, Beschl. v. 16. März 2011 – 8 A 540/10 -, Umdruck S. 4

72

Abgesehen davon betrifft, § 9 Abs. 8 KAG M-V nur eine Einzelfrage. Die Nichtigkeit dieser Bestimmung würde daher nicht die Nichtigkeit des gesamten Kommunalabgabengesetzes zur Folge haben. Selbst wenn im Übrigen die KAG-Novelle 2005 nichtig wäre, würde dies nicht zur Nichtigkeit der hier streitgegenständlichen Satzung führen, weil dann das KAG 1993 wieder in Kraft wäre; es wäre jedenfalls übergangsweise als Rechtsgrundlage für die Satzung ausreichend.

73

2. Der Zweckverband Wismar und damit seine Behörde, der Beklagte, sind rechtlich existent. Der Zweckverband hat insbesondere eine wirksame Verbandssatzung.

74

a) Dabei lässt das Gericht nunmehr offen, ob die ursprüngliche Gründung im April und Mai 1991 deshalb fehlerhaft gewesen ist, weil der zur Gründung eines Zweckverbandes erforderliche öffentlich-rechtliche Vertrag nicht jeweils von den Stellvertretern der Bürgermeister der beteiligten Gemeinden unterzeichnet worden war. Denn weder das Reichszweckverbandsgesetz noch §§ 20 ff. oder 61 der Kommunalverfassung DDR (KV DDR) sahen die Beteiligung einer weiteren Person bei der Abgabe von Verpflichtungserklärungen vor. § 21 Abs. 1 Satz 2 KV DDR vertrat der Bürgermeister die Gemeinde allein. Es kann auch dahinstehen, ob die genannten Rechtsgrundlagen - aus welchen Gründen auch immer - für die Gründung des Zweckverbandes ausreichend gewesen sind.

75

Vgl. zur Rechtsentwicklung und Anwendbarkeit des Reichszweckverbandesgesetzes Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LVerfG M-V), Urt. v. 4. Februar 1999 – 1/98 -, LVerfGE 10, 317 (323 ff.); Pencereci/Bluhm, LKV 1998, 172 mwN; für Sachsen-Anhalt: Klügel, LKV 1998, 168 ff.

76

Jedenfalls durch die bestätigende Gründung des Zweckverbandes im öffentlich-rechtlichen Gründungsvertrag vom 11. Mai 1998 ist indessen eine ordnungsgemäße Gründung nachgeholt und eventuelle Fehler geheilt worden. Diese bestätigende Gründung stützt sich insbesondere nicht auf das Reichszweckverbandsgesetz aus dem Jahre 1939 (RGBl. I S. 979), sondern auf die bereits vor Inkrafttreten der §§ 170a und 170b KV M-V am 12. Juni 1994 in Kraft getretenen Vorschriften des 4. Teils über die Kommunale Zusammenarbeit (§§ 149 ff.) der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V). Dass die Vorschriften dieses Abschnitts (und insbesondere § 152 KV M-V) nicht beachtet worden sind, ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Es bedarf deshalb hier keiner Entscheidung, ob vor dem 12. Juni 1994 das Reichszweckverbandsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern über Art. 123 GG i. m. mit Art. 3 des Einigungsvertrages unmittelbar oder über § 170a Abs. 1 Satz 1 KV M-V rückwirkend ab dem 3. Oktober 1990 angewendet werden durfte.

77

Zu diesen Fragen - im Ergebnis offen lassend - und zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 170a KV M-V hinsichtlich der Anwendbarkeit des Reichszweckverbandesgesetzes vgl. LVerfG M-V, LVerfGE 10, 317 (322 ff., 326 ff. mwN).

78

Das Gericht folgt nicht dem klägerischen Vortrag, mit Blick auf die nachholende Gründung des Zweckverbandes sei eine auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Gründung zurückreichende Aufgabenübertragung nicht möglich. Dabei kann für den Zweckverband Wismar unabhängig von den sich stellenden Rechtsfragen der Anwendbarkeit des Reichszweckverbandesgesetzes bzw. des § 61 KV DDR zunächst festgehalten werden, dass ein fehlerhaft gegründeter Zweckverband jedenfalls alsfaktischer Zweckverband zu behandeln ist, auch wenn ihm keine hoheitlichen Aufgaben und Kompetenzen zugekommen sein sollten. Denn er ist nicht nur - wenn auch möglicherweise fehlerhaft - gegründet worden, sondern hat auf Grundlage der damaligen Gründungsverträge und –satzungen auch gearbeitet und ist Verpflichtungen eingegangen.

79

Vgl. zu weiteren Einzelheiten Pencereci/Bluhm, LKV 1998, 172 und 173 ff.; zur fehlgeschlagenen Kompetenz- und Aufgabenübertragung und zum fehlerhaften Verband auch Kollhosser, NJW 1997, 3265 f., 3267 ff.

80

Jedenfalls mit der nicht zu beanstandenden rückwirkenden Nachgründung sind die faktisch bereits früher erfolgten Aufgabenübertragungen auf eine (neue und ausreichende) rechtliche Grundlage gestellt worden. Durch der auf Grundlage der §§ 151 KV M-V erfolgten Nachgründung wurden öffentlich-rechtliche Aufgaben und Kompetenzen nachträglich und rückwirkend mit heilender Wirkung übertragen. Insoweit konnte auch die – im Übrigen unanfechtbare - aufsichtbehördliche Genehmigung rückwirkend erteilt werden.

81

Im Übrigen kommt es auch deshalb nicht darauf an, ob der Zweckverband mit Wirkung für die Vergangenheit rechtswirksam gegründet worden ist, weil es vorliegend um Bescheide aus dem Jahre 2009 und 2010 geht. Dass der Zweckverband Wismar nach seiner Nachgründung 1998 für die Zukunft und damit heute rechtlich nicht existent ist, ist nicht erkennbar. Der klägerseitig dargelegten abweichenden Rechtsprechung braucht daher nicht weiter nachgegangen zu werden. Dahinstehen kann daher auch, ob im Gründungsvertrag aus dem Jahr 1991 rechtswidrig eine Veröffentlichungsklausel gefehlt hat.

82

Die Aufnahme der Gemeinde Jesendorf in den Zweckverband im Jahr 2005 ist für die Existenz des Zweckverbandes Wismar ohne Bedeutung. Deshalb ist unerheblich, ob einzelne Bestimmungen des Vertrages unklar oder widersprüchlich sind.

83

b) Soweit klägerseitig weiter moniert wird, – privatrechtliche - Vermögensübertragungen seien fehlerhaft gewesen, hat der Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass erforderliche Eigentumsübertragungen erfolgt sind und soweit erforderlich auch im Grundbuch eingetragen wurden. Im Übrigen hätte eine fehlerhafte Übertragung von Vermögen mit der Wirksamkeit der Gründung nichts zu tun. Nach § 151 Abs. 1 KV M-V werden einem neu zu gründenden Zweckverband durch öffentlich-rechtlichen Vertrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung übertragen. Die erforderlichen Verwaltungsmittel und ggf. Anlagen können dem Zweckverband gleichfalls übertragen werden, soweit diese der Aufgabenerfüllung dienen. Es ist aber nicht zwingend und berührt die Wirksamkeit der Gründung und die Anwendbarkeit des Kommunalabgabenrechts durch den Zweckverband nicht, ob und in welchem Umfang ihm diese Anlagen von den Mitgliedsgemeinden übertragen werden. Vielmehr kann der Zweckverband sich diese Anlagen auch selbst beschaffen und/oder errichten und durch dessen Errichtung und/oder Beschaffung sowie deren Betrieb durch das Beitrags- und Gebührenaufkommen nach Maßgabe des kommunalen Abgabenrechts finanzieren. Insofern hat das Gericht keine Bedenken, dass dem Zweckverband Wismar durch dessen Mitgliedsgemeinden lediglich öffentlichen Aufgaben der u. a. Wasserbeschaffung und Abwasserentsorgung übertragen worden sind. Insofern ist es auch unerheblich, ob Ausgleichsverträge nach § 153 KV M-V abgeschlossen und ob und in welchem Umfang Vermögenswerte auf den Zweckverband übertragen worden sind.

84

3. Die Veröffentlichungsbestimmung des § 22 derVerbandsatzung des Zweckverbandes Wismar ist nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil dort ein Hinweis auf die Veröffentlichung in der Ostsee-Zeitung unter „Öffentliche Bekanntmachungen“ fehlt. § 6 der Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung (KV-DVO) vom 4. März 2008 (GVOBl. M-V, S. 85) verlangt lediglich, dass die entsprechende Zeitung einen Hinweis auf die öffentliche Bekanntmachung enthält. Die weiteren Anforderungen an eine Veröffentlichung in der Zeitung sind erfüllt. Es ist auch nicht notwendig, dass dieOstsee-Zeitung (Lokalteil Wismarer Zeitung) überall im Verbandsgebiet erhältlich ist. Entscheidend ist, dass durch die Art und Weise der Bekanntmachung jeder Bürger als Normadressaten der Regelung ermöglicht wird, sich über den Inhalt der Regelung zu informieren.

85

Vgl. BVerfG, Urt. v. 2. April 1963 – 2 BvL 22/60 – juris Rn. 36; Glaser, in: Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentierung zur Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 3. Aufl. 2005, § 5 Rn. 15.

86

Im Übrigen dürften die Kläger mit diesem Vortrag schon deshalb nicht gemäß §§ 5 Abs. 5, 154 KV M-V gehört werden, weil er die Fehlerhaftigkeit der Verbandssatzung erst nach über einem Jahr nach Bekanntgabe der Verbandssatzung in einem im August 2011 eingegangenen Schriftsatz geltend gemacht hat.

87

Es ist auch nicht vorgeschrieben, dass eine Verbandssatzung Regelungen über die Zustellung schriftlicher Einzelinformationen enthalten muss.

88

4. Wie das Verwaltungsgericht Schwerin in ständiger Rechtsprechung entschieden hat,

89

- vgl. etwa Beschl. der Kammer vom 19. Mai 2010 – 8 B 153/10 -, S. 3 sowie zuletzt etwa die Urt. der Kammer v. 27. Mai 2011 – 8 A 898/10 - und - 8 A1279/10 - jeweils S. 6 -

90

entspricht die den angegriffenen Bescheiden nunmehr zugrunde liegende Beitragssatzung Schmutzwasser (BSSW 2010) des Zweckverbandes Wismar in der Fassung vom 3. März 2010 den Vorgaben höherrangigen Rechts, insbesondere dem Kommunalabgabengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern und ist damit wirksam.

91

a) Sie enthält die nach § 2 Abs. 1 KAG M-V vorgeschriebenen Mindestbestandteile. Die in den drei Urteilen des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 22. Januar 2010 - 8 A 1364/09, 1366/09 und 1369/09 - (letzteres in veröffentlicht juris, Rn. 14 ff.) monierten Regelungen der Beitragssatzung Schmutzwasser in der Fassung vom 7. Mai 2009 (BSSW 2009) sind beseitigt bzw. ergänzt worden. Die Widersprüchlichkeit der Vorschriften der Satzung in § 6 Abs. 4 c) BSSW 2009 einerseits und § 6 Abs. 5 f) BSSW 2009 andererseits bezüglich der Zahl der Vollgeschosse, sofern solche nicht feststellbar sind, ist durch Streichung des § 6 Abs. 4 c) BSSW 2009 beseitigt worden. Die weiterhin beanstandete Bestimmung des § 6 Abs. 5 e) Satz 3 BSSW 2009 bezüglich von vor dem 30. April 1994 entsprechend bisherigen Rechts errichteten Gebäuden ist um folgenden Satz ergänzt worden:

92

"[...]; weisen die in einem solchen Gebäude vorhandenen Geschosse schräge Wände auf, gelten sie dann als Vollgeschoss, wenn sie über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche die lichte Höhe des darunter liegenden Geschosses aufweisen."

93

Damit hat der Satzungsgeber eine bestimmbare lichte Höhe für weitere Vollgeschosse festgelegt, die als sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung mit nach dem genannten Stichtag errichteten Gebäuden erscheint oder diese jedenfalls relativiert. Solche oder ähnliche Bestimmungen bei anderen Zweckverbänden sind von der Kammer in der Vergangenheit nicht beanstandet worden. Entgegen klägerischer Auffassung ist die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Zweckverbandes Wismar in § 1 Abs. 1 BSSW 2010 und §§ 1 Abs. 1 a), 2 Abs. 1 Schmutzwassersatzung hinreichend klar im Sinne des § 2 Abs. 2 KAG definiert. Soweit klägerseitig darauf verwiesen wird, dass die Entsorgung des Niederschlagswassers nicht berücksichtigt sei, wird übersehen, dass nach der Legaldefinition des Abwassers in § 2 Abs. 2 Satz 1 des Abwasserabgabengesetzes Niederschlagswasser und Schmutzwasser jeweils eine Unterkategorie darstellen (vgl. auch § 2 Abs. 3 Schmutzwassersatzung). Die Entsorgung von Niederschlagswasser ist ersichtlich nicht Aufgabe der Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Zweckverbandes, zumal der Beklagte in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, dass Schmutz- und Niederschlagswasser getrennt sind.

94

b) § 3 Abs. 2 BSSW 2010 ist nicht nichtig, weil unklar sein könnte, wie diese Vorschrift sich zu den Abs. 1 und 2 in § 3 BSSW 2010 verhalte. § 3 Abs. 2 BSSW 2010 stellt eine Auffangvorschrift für den Fall dar, dass das Grundstück eines Eigentümers entgegen den grundsätzlichen Vorgaben des § 3 Abs. 1 BSSW 2010 tatsächlich angeschlossen ist. In diesem Fall ist ein Beitrag zwingend zu erheben.

95

c) § 6 Abs. 2 e) BSSW 2010 ist nicht zu beanstanden. Es ist nicht entscheidend, ob es im Verbandsgebiet Fälle von Abrundungssatzungen im Sinne des § 34 Abs. 4 BauGB gibt. Dafür reicht aus, dass in der Zukunft Mitgliedsgemeinden jederzeit Abrundungssatzungen erlassen könnten. Im Übrigen hat der Beklagte klargestellt, dass es Abrundungssatzungen im Verbandsgebiet gibt.

96

d) Es fehlt auch nicht an einer den Fall einer Wohnungsanlage der vorliegende Art besonders erfassenden Maßstabsbestimmung. Es handelt sich bei den auf dem Grundstück errichteten Häusern um im Prinzip ganzjährig nutzbare Häuser. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, wäre dieser Gesichtspunkt unerheblich, weil der Zweckverband gehalten ist, die Abwasseranlage so zu errichten und zu betreiben, dass sie auch dann ausreichend ist, wenn – wie etwa in der warmen Jahreszeit – alle Häuser bewohnt werden. Ein geringer Maßstab wäre daher gleichheitswidrig.

97

e) Soweit in den die Beitragsbescheide des Beklagten betreffenden Eilverfahren klägerseitig die Rechtmäßigkeit der §§ 7 Abs. 2 und 8 BSSW 2010 in Frage gestellt worden, ist dies für die Entscheidung des vorliegenden Falles unerheblich. Die erstgenannte Vorschrift betrifft Erstattungsansprüche bei der Herstellung weiterer und die Verlegung von Grundstücksanschlüssen, die letztgenannte Vorschrift die hier nicht in Rede stehenden Vorausleistungen von Beiträgen. Selbst wenn die Bestimmungen nichtig wären, würde sich dies nicht auf die Wirksamkeit der gesamten Satzung auswirken, da die genannten Bestimmungen isolierte Einzelfragen betreffen.

98

f) Ob die Regelungen in §§ 21 und 25 der Schmutzwassersatzung des Zweckverbandes Wismar über die Duldung des Anschlusses eines Grundstücks an die Schmutzwasserentsorgungsanlage und dessen mögliche zwangsweise Durchsetzung im Wege der Ersatzvornahme gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG oder das Grundrecht auf Wohnung (Art. 13 GG) verstoßen und nichtig sind, bedarf hier keiner Entscheidung. Selbst wenn dies zutreffen sollte, hätte dies auf die Wirksamkeit der Beitragssatzung Schmutzwasser keine Auswirkungen, weil die Beitragssatzung insoweit nicht auf der technischen Satzung aufbaut oder auf sie verweist, sondern den Anschluss oder die Anschlussmöglichkeit vielmehr voraussetzt.

99

g) Die Kalkulation des in § 7 Abs. 1 BSSW 2010 festgesetzten Beitragssatz in Höhe von 3,10 € je Quadratmeter anrechenbarer Nutzfläche begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.

100

aa) Das Gericht ist bei der Prüfung der Gültigkeit einer angegriffenen Satzung einerseits nicht auf die von Klägerseite geltend gemachten Mängel beschränkt. Sind objektiv mehrere Rechtsfehler vorhanden, so ist das Gericht insbesondere nicht verpflichtet, jeden dieser Rechtsfehler zu ermitteln und darauf seine Entscheidung zu stützen. Das gerichtliche Verfahren dient nicht - wie etwa ein behördliches Anzeige- oder Genehmigungsverfahren - einer umfassenden Prüfung der Rechtslage unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt.

101

Vgl. BVerwG, Beschl. v. 20. Februar 2001 – 4 BN 21.01 - juris Rn. 12 für das Normenkontrollverfahren.

102

Andererseits untersucht das Gericht die Kalkulation nur insoweit auf Rechtsfehler, als solche von den Beteiligten substantiiert geltend gemacht werden. Das Gericht geht diesbezüglich nicht „ungefragt auf Fehlersuche“.

103

Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 17. April 2002 – 9 CN 1.01 -, juris LS 2 und 3 und Rn. 43 mwN.

104

Bei Beachtung dieser Vorgaben gilt im vorliegenden Fall Folgendes:

105

bb) Bereits im zitierten Urteil vom 22. Januar 2010 (juris Rn. 26 ff.) hat das Gericht ausführlich zur Kalkulation der Beitragsatzung Schmutzwasser 2009 Stellung genommen und keine Fehler festgestellt. Darauf wird zunächst hingewiesen. In diesem Zusammenhang sind auch die Flächenermittlungen des Zweckverbandes erörtert und nicht beanstandet worden. Daran ist festzuhalten. Einzelne Flächenermittlungen werden auch nicht konkret angegriffen. Ein öffentlicher Anteil des kommunalen Aufgabenträgers ist im Bereich des hier maßgeblichen Anschlussbeitragsrechts im Gegensatz zu den Erschließungsbeiträgen nach § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB bzw. Straßenausbaubeiträgen nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V nicht zu berücksichtigen. Gegenteiliges lässt sich dazu auch nicht der Rechtsprechung des OVG M-V entnehmen.

106

cc) Weiter ist zu beachten, dass mangels Klagebefugnis (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO) die Klägerseitig aufgeworfenen Frage nicht nachgegangen werden muss, ob die nach § 15 Abs. 4 der Verbandsatzung erforderliche Zustimmung der Verbandsversammlung zu den Investitionsvorhaben ausdrücklich erfolgt sind. Denn § 15 Abs. 4 der Verbandssatzung ist keine drittschützende Norm, die anderen als den Mitgliedern der Organe des Zweckverbandes insoweit Rechte einräumt.

107

dd) Im Beitragrecht für leitungsgebundene Anlagen sind in der Kalkulation keine Abschreibungen vorzunehmen. Im hier maßgebenden Anschlussbeitragsrecht ist gemäß § 9 KAG M-V bei der Kalkulation der Aufwand für die Anschaffung und Herstellung der notwendigen öffentlichen Einrichtungen zur leitungsgebunden Versorgung mit Wasser oder Abwasserentsorgung anzusetzen. Der Aufwand ist nach den Kosten zu ermitteln. Abschreibungen sind dabei nicht vorzunehmen. Dies folgt auch aus Nr. 5.1.1 des klägerseitig zitierten Einführungserlasses des Innenministeriums vom 14. Juni 2005 – II 330 – 179-00-06 – (abgedruckt bei Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Anhang 1).

108

Abschreibungen von den Anlagewerten sind zwar nach § 6 Abs. 2 KAG M-V bei der Ermittlung der Gebührensätze u. a. nach Maßgabe des dortigen Absatz 2a zu berücksichtigen. Unzutreffend ist insoweit die klägerische Annahme, die über die Gebühren realisierten Abschreibungen seien bei der Beitragskalkulation zu berücksichtigen. Maßgebend ist allein, dass nach den gesetzlichen Vorgaben der Aufwand in die Kalkulation einzustellen ist. Soweit bei der Berechnung der Abschreibungen dem Zweckverband Wismar Fehler unterlaufen sein sollten, ist dies bei der Überprüfung der Gebührenkalkulation in einem Verfahren zum Gebührenrecht zu prüfen.

109

ee) Die der Schmutzwasserbeitragssatzung zugrunde liegende Globalkalkulation ist nicht deshalb zu beanstanden, weil zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Satzung das Abwasserbeseitigungskonzept noch nicht beschlossen worden ist. Es ist weder vorgeschrieben noch sonst zwingend, dass die erforderlichen Prognosen nur auf Grund eines förmlichen Abwasserbeseitigungskonzeptes zu erstellen sind. Nach den dem Gericht vorliegenden Kalkulationsunterlagen sind Prognosen in der „Planung der Investitionskosten und Fördermittel (Zuarbeit Fr. D.)“, der „Kostenschätzung Baumaßnahmen 2008 bis 2014“ sowie einer unter der Bezeichnung „Kostenschätzung B-Pläne“ abgespeicherten Datei enthalten. Dies genügt als Schätzungsgrundlage. Es ist auch nichts Substantiiertes dazu vor worden und es bestehen auch derzeit sonst keine Anhaltspunkte, aus dem sich ergeben könnte, dass die Prognosen des Zweckverbandes und die ihnen zugrunde liegenden Annahmen offensichtlich unzutreffend und die zugrunde liegenden Investitionszahlen oder -vorgaben offensichtlich willkürlich oder sonst falsch sein könnten. Im Übrigen folgt aus der Aufzählung von Altanlagen im Anlagespiegel oder im Vermögensnachweis nicht, dass der Wert dieser Anlagen auch in der Beitragskalkulation berücksichtigt worden ist. Dass dies so sein soll, ist bislang auch nicht ansatzweise substantiiert dargelegt worden.

110

ff) Soweit klägerseitig geltend gemacht wird, aus der Aufstellung Erneuerung KN vor 1979 (Beiakte 55 Anlage 1) sei nicht zu ersehen, ob jene Anlagen herausgenommen worden seien, hat der Beklagte erläutert, dass es sich bei den in der Aufstellung genannten Beträge um nach der „Wende“ getätigte Investitionen handele. Zudem sind dort nur Anlagen der Kanalisation enthalten. Investitionen aus „DDR-Zeiten“ sind darin somit nicht erfasst. In der Aufstellung Planung der Investitionen und Fördermittel (Anlage 3) ist zwar nicht zwischen Pumpstationen und Rohrleitungen differenziert. Dies macht die Aufstellung aber nicht unverständlich. Soweit der klägerische Prozessbevollmächtigte eine Datei mit verrutschten Zahlen geöffnet bzw. ausgedruckt hat, führt auch dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Kalkulation, zumal diese der Verbandsversammlung in Papierform vorgelegen hat. Die Kalkulation ist auch nicht deshalb mangelhaft, weil einzelnen Tabellen nicht der Investitionszeitraum zu entnehmen ist. Da die Globalkalkulation bis 2014 reicht, ist davon auszugehen, dass Investitionen auf den gesamten Zeitraum verteilt werden können, ohne dass dies im Einzelnen dargelegt oder zeitlich zugeordnet werden muss. Aus dem Umstand, dass die früheren Investitionsprognosen geringer ausgefallen sind als die nunmehr zugrunde liegenden Werte, führt nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation. Insofern ist dem Zweckverband ein vom Gericht nicht voll überprüfbarer Prognosespielraum zuzugestehen. Es ist nichts Substantiiertes dazu vorgetragen oder sonst ersichtlich, woraus sich eine Überschreitung dieses Spielraums ergeben könnte.

111

gg) Die klägerische Behauptung, aus dem Evaluationsgutachten der Fa. Schultz & Partner, Hamburg/Bremen über die wirtschaftliche Entwicklung des Zweckverbandes Wismar vom August 2010 ergebe sich, dass die Verwendung von Subventionen im Rahmen der Beitragskalkulation zweckwidrig erfolgt sei, ist unzutreffend. Das Gutachten beschäftigt sich nicht mit der Beitragskalkulation, sondern mit der „ergebnis-offenen Betrachtung“ der Frage, wie sich der Zweckverband Wismar finanziell entwickelt hat bzw. sollte. Es geht unter anderem der Frage nach, ob es – wie derzeit geschehen - sinnvoll ist, Subventionen zur Minderung der Gebühren zu verwenden. Es enthält auf S. 4 und 10 keine Aussagen dazu, dass entgegen der Vorgaben des § 9 Abs. 2 Sätze 1 und 4 KAG M-V Zuschüsse Dritter in der Beitragskalkulation nicht von den tatsächlichen oder zu erwartenden Kosten der errichteten Anlagen abgezogen worden sind und so in die Höhe des Beitrags eingeflossen ist.

112

hh) Das Gericht muss auch nicht weiter aufklären, ob nach der Beschlussvorlage für die Verbandsversammlung am 3. März 2010 kein bestimmter Beitragssatz zur Abstimmung gestellt werden sollte und die Kalkulationsunterlagen der Verbandsversammlung nur unvollständig vorgelegen haben. Soweit klägerseitig dazu behauptet wird, Mitgliedern der Verbandsversammlung hätten keine entsprechenden Unterlagen zur Verfügung gestanden, ist dies nach Aktenlage unzutreffend. Unter Tagesordnungspunkt 11 der beglaubigten Niederschrift der Verbandsversammlung vom 3. März 2010 und dessen Anlagen hat der Verbandsversammlung die Kalkulation 2009 einschließlich eines Ergänzungsberichts vorgelegen. Diese Unterlagen haben, soweit sie beglaubigt sind, Beweiskraft nach § 33 Abs. 1 VwVfG M-V i. V. m. §§ 189 VwGO, 417 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) als öffentliche Urkunde. Sie erbringen den vollen Beweis der dort dokumentierten Vorgänge. In dieser Niederschrift ist auch festgehalten, dass ein bestimmter Beitragssatz nach den der Verbandsversammlung vorgelegten Unterlagen beschlossen worden ist. Es ist nichts Substantiiertes dafür dargetan, dass die im Protokoll dokumentierten Vorgänge (so) nicht stattgefunden haben. Im Protokoll ist zudem an keiner Stelle vermerkt, dass ein Mitglied die Unvollständigkeit übersandter oder zur Verfügung stehender Unterlagen moniert hat oder gar wegen der Komplexität der Kalkulation eine Unterbrechung der Sitzung zwecks ausführlicher Einsichtnahme in die genannten Unterlagen oder gar die Vertagung des Tagesordnungspunktes beantragt hat. Vielmehr hat ein Mitglied sogar den beschlossenen Beitragssatz von 3,10 € vorgeschlagen. Der klägerseitig angeregte Ausdruck der Kalkulationsdateien der CD-ROM (Beiakte 5 zu 8 A 507/10) durch das Gericht ist bereits deshalb nicht erforderlich, weil Gegenstand der Beratungen der Verbandsversammlung die Kalkulation in Papierform gewesen ist. Es ist Sache der Verbandsversammlung, ob auf Grundlage der vorhandenen und ausreichenden Unterlagen eine Entscheidung über den Beitragssatz getroffen werden kann oder ob angesichts der Komplexität der Kalkulation die Sitzung unterbrochen werden muss oder gar eine Vertagung erforderlich ist. Ob und inwieweit einzelne Mitglieder der Verbandsversammlung tatsächlich Einsicht genommen und sich mit dem Zahlenmaterial auseinandergesetzt haben, ist für die Rechtmäßigkeit der Satzung ebenso wenig von Bedeutung wie bei Bundestags- oder Landtagsabgeordneten im Zusammenhang mit der Verabschiedung von Gesetzen.

113

Nach allem bedarf auch die Frage keiner näheren Beleuchtung, ob ein verspäteter Vortrag, es haben Unterlagen der Vertretungskörperschaft nicht vorgelegen, als Geltendmachung eines (zunächst) formalen Verstoßes gegen §§ 38 Abs. 3 Satz 1, 22 Abs. 3 Nr. 11 KV M-V ggf. in Verbindung mit der Geschäftsordnung der Körperschaft der Präklusionsregelung des § 5 Abs. 5 KV M-V unterfallen könnte.

114

ii) Aus dem Umstand, dass in der Vergangenheit die Beitragskalkulation des Zweckverband Wismar nicht allen gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat, folgt nicht, dass die nunmehr vorliegende Kalkulation fehlerhaft ist. Klägerseitig ist in diesem Zusammenhang vorgetragen worden, dass der Beitragssatz über Jahre stabil geblieben sei, was wegen der sich ändernden wirtschaftlichen Grundannahmen nicht möglich sei. Sofern damit der in der Satzung in § 7 Abs. 1 BSSW 2010festgesetzte Beitragssatz von 3,10 €/m² gemeint sein sollte, ist darauf hinzuweisen, dass es dem Zweckverband unbenommen ist, einen Beitragssatz unterhalb des kalkulierten Höchstbeitragssatz festzusetzen. Sollte mit dem Vortrag der kalkulierte höchstmögliche Beitragssatz gemeint sein stimmt nach den Erkenntnissen des Gerichts bereits die Annahme nicht, dass der Beitragssatz stabil gewesen ist. Nach dem Kalkulationsgutachten (einer Rechnungsperiodenkalkulation) der Fa. WIBERA vom 9. März 2001 sollte der kalkulierte Schmutzwasserbeitragssatz 6,58 DM/m² betragen, also 3,36 €/m². Im WIBERA-Gutachten (einer Globalkalkulation) vom 1. Dezember 2005 war ein Beitragssatz von 4,48 € ermittelt worden. Nach der jetzt maßgebenden Kalkulation 2009 liegt der höchstmögliche Beitragssatz bei 4,43 €. Daraus lässt sich nach Auffassung des Gerichts nicht herleiten, dass die heute maßgebende Kalkulation unzutreffend ist. Auch die Fehler in der Beitragssatzung 2009 sind nicht so gravierend gewesen, dass die Kalkulation grundlegend neu erarbeitet werden musste. Grundlegende Parameter mussten deshalb nicht neu definiert werden, so dass der kalkulierte Beitragssatz plausibel erscheint.

115

kk) Die klägerische Behauptung, lediglich 93.000.000,-- € Investitionskosten seien sinnvoll und nachweisbar, ist unsubstantiiert. Es wurde nichts dazu vortragen und es ist auch sonst nichts dafür ersichtlich, welche veranschlagten Investitionen nicht nachweisbar sein sollen und weshalb veranschlagte Aufwendungen von insgesamt ca. 115.000.000,-- € nicht nachweisbar sind. Es ist auch nicht substantiiert dargelegt worden, weshalb die veranschlagten Prognosekosten bis 2014 um 31 Millionen € überhöht sein sollen.

116

5. Die nach allem rechtsgültige Beitragssatzung hat der Beklagte im vorliegenden Fall zutreffend angewandt.

117

a) Der Beklagte muss nach Inkrafttreten der Änderungssatzung keine neuen Beitragsbescheide erlassen. Dies gilt hier schon deshalb, weil über den klägerischen Widerspruch gegen den Beitragsbescheid erst nach Erlass der Änderungssatzung entschieden worden ist. Bei Anfechtungsklagen kommt als frühester maßgebender Zeitpunkt die Sach- und Rechtslage zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, also des Erlasses des Widerspruchsbescheides (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) in Betracht.

118

Vgl. zum Meinungsstand näher Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 31 ff.; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 113 Rn. 97 ff.

119

Zu diesem Zeitpunkt hat im vorliegenden Fall jedenfalls bereits die Beitragssatzung Schmutzwasser in der genannten Fassung vom 3. März 2010 gegolten.

120

b) Zudem hat der Beklagte im angegriffenen (Ausgangs-)Bescheid die maßgebenden Parameter zur Berechnung des Beitrags nachvollziehbar genannt. Die Angaben in den Bescheiden sind hinreichend bestimmt. Sie enthalten, wie § 157 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V vorschreibt, den festgesetzten Beitrag nach Art und Höhe. Die Eigentümer des streitbefangenen Grundstücks sind, wie auch aus dem Bescheid folgt, insbesondere gemäß § 7 Abs. 2 Satz 5 KAG M-V und § 5 Abs. 2 BSSW 2010 als Wohnungs- und Teileigentümer nur entsprechend ihrem Miteigentumsanteil beitragspflichtig. Soweit die innere Flächenaufteilung einzelner Parzellen unzutreffend sein sollte, berührt dies die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung nicht. Der Beklagte hat seiner Veranlagung allein die Grundbuch- und Katasterangaben zugrunde zu legen. Aus § 891 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergibt sich die gesetzliche Vermutung, dass eingetragene Rechte zugunsten einer bestimmten Person diesen auch zustehen. Diese Vermutung wird nicht bereits durch ihre Erschütterung widerlegt, sondern erst durch den vollen Beweis des Gegenteils.

121

Vgl. BGH, Urt. v. 2. Dezember 2005 – V ZR 11/05 -, juris Rn. 11; Bassenge, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl. 2011, § 891 Rn. 8 je mwN.

122

Dafür ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. Bei der Berechnung der beitragsfähigen Miteigentumsflächen nach § 7 Abs. 2 Satz 5 KAG M-V kommt es daher nicht auf die sich aus der im notariell beurkundeten Wohnungseigentumsvertrag ergebenden (nicht amtlichen) Flächenangaben der Parzellen, der Garten- und der Gemeinschaftsanteile an. Maßgebend ist allein die Gesamtfläche des Flurstücks [...] und der daraus jeweils resultierende Miteigentumsanteile, wie sie sich aus Angaben im Wohnungs- oder Teileigentumsgrundbuch nach § 7 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) ergeben.

123

c) Zutreffend hat der Beklagte sich hinsichtlich des Beitragsmaßstabs auf § 6 Abs. 2 a) BSSW 2010 gestützt. Denn die gesamte Fläche des Flurstücks [...] liegt im Bereich des Bebauungsplans Nr. 3 der Gemeinde Z.. Entgegen dem klägerischen Vortrag ist mit Blick auf die bauplanungsrechtliche Festsetzung als Wochenend- oder Ferienhausgebiet der Beitragsmaßstab nicht § 6 Abs. 2 f) BSSW 2010 zu entnehmen, sondern § 6 Abs. 2 a) BSSW 2010. Die in § 6 Abs. 2 f) BSSW 2010 genannte "sonstige Nutzung" meint - wie die dort genannten Beispiele ("Camping-Plätze, Schwimmbäder" ferner "Sport- und Festplätze sowie Parkanlagen") zeigen - offenbar nicht die der Erholung dienenden Sondergebiete im Sinne des § 10 Abs. 1 der Baunutzungsverordnung (BauNVO 1990), die nach § 10 Abs. 2 BauNVO 1990 im Bebauungsplan besonders festzusetzen sind. Denn ein bebautes Grundstück wird regelmäßig schmutzwassermäßig in größeren Umfang genutzt, als ein solches etwa mit Zeltplätzen oder Sportanlagen.

124

Insofern geht auch die Rüge fehl, es fehle in der Beitragssatzung gleichheitswidrig an einem entsprechenden Sondermaßstab für Wochenendhaussiedlungen mit Kleingartencharakter. Deshalb bleibt auch der klägerische Hinweis auf eine Freizeitsiedlung mit kleingärtnerische Nutzung der Anlage erfolglos. Der Beklagte weist insoweit zutreffend darauf hin, dass § 3 Abs. 2 des Kleingartengesetzes (KleingG) nur Lauben - also keine Häuser - von viel geringerer Grundfläche (24 m²) als die Wochenendhäuser (mögliche Aufstandfläche laut Bebauungsplan: 70 m²) auf dem streitbefangenen Grundstück zulässt und anordnet, dass diese – im Gegensatz zu den Wochenendhäusern (vgl. § 10 Abs. 1, Abs. 3 BauNVO) nicht zu dauernden Wohnzwecken zu dienen bestimmt sein dürfen.

125

d) Die Höhe des Beitrags bemisst sich entgegen der klägerischen Ansicht nicht nach "wirtschaftlichen und gebrauchspraktischen Vorteilen". Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V, § 6 Abs. 2 BSSW 2010 ist vielmehr der grundstücksbezogene Vorteil maßgebend, den die Eigentümer durch die Möglichkeit des Anschlusses an die nach 1990 hergestellte Schmutzwasseranlage haben. Zum Vorteilsbegriff hat das OVG M-V in seinem "Volkswerft-Urteil" vom 10. Oktober 2007 - 1 L 256/06 - (zit. nach juris Rn. 28) unter Hinweis auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein (OVG S-H) (Urt. v. 21. Dezember 1993 - 2 L 135/92 -, zit. nach juris Rn. 27 m. w. N.) ausgeführt:

126

"Der beitragsrelevante Vorteil, auf den der Maßstab der Beitragserhebung ausschließlich bezogen sein darf, besteht in der Erhöhung des Gebrauchswertes eines Grundstücks, so dass bei der Maßstabsfindung für Anschlussbeiträge von diesem Ansatz her auf den Umfang der wahrscheinlichen Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung abgestellt werden muss. Hierfür bietet die bauliche Ausnutzbarkeit eines Grundstückes einen hinreichenden und anerkannten Aussagewert. [...]"

127

Ein solcher wirtschaftlicher Vorteil, der nicht in der Erhöhung des Grundstücksverkehrswerts in Euro und Cent liegen muss,

128

- dazu ausführlich Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V [Stand: Juni 2010], § 7 Erl. 8.1.1 -

129

ist bereits bei der Möglichkeit des nach Inkrafttreten des ersten Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern erstmals rechtlich dauerhaft gesicherten Anschlusses an eine öffentliche Einrichtung anzunehmen.

130

Der in Schmutzwasserbeitragssatzung festgelegte einheitliche Beitragssatz für alt und neu angeschlossene Grundstücke verletzt nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. das Willkürverbot verletzt, sondern ist sogar geboten. In § 7 BSSW 2010 ist ein einheitlicher Beitragssatz festgesetzt worden, der gleichermaßen für die sogenannten Altanschließer, d.h. Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des ersten Kommunalabgabengesetzes (KAG 1991) an die Schmutzwasserentsorgung angeschlossen waren, als auch die neu angeschlossenen Grundstücke gilt. Dies ist nicht zu beanstanden und entspricht der sog. Altanschließer-Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (OVG M-V), der die Kammer folgt.

131

Vgl. Urteile v. 21. Mai 2008 - 8 A 2429/05 – und v. 22. Januar 2010 – 8 A 1369/09 – juris Rn. 39 mwN.

132

Durch die auf neuer Rechtsgrundlage neu geschaffene öffentliche Einrichtung "Schmutzwasserentsorgung" wird allen angeschlossenen bzw. anschließbaren Grundstücken erstmals der gleiche rechtlich dauerhaft abgesicherte Vorteil verschafft. Dies gilt sowohl für "Altanschließer" als auch für neu angeschlossene Grundstücke.

133

Vgl. OVG M-V, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 L 295/05 -, juris, Rn. 12 mwN; Urt. v. 13. November 2001 - 4 K 16/00 - juris Rn. 58 ff. unter Hinweis auf den Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 - NordÖR 1999, 302 = juris Rn. 16 ff.

134

Diese Rechtsprechung wurde vom Landesgesetzgeber bei der Novellierung des KAG M-V 2005 unter Hinweis auf seine Bindung an den Gleichheitssatz aufgenommen und berücksichtigt (LtDrs 4/1307, S. 48). Nach allem ist auch bei einem bereits vorhandenen Anschluss an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage von einer Wertsteigerung des betroffenen Grundstücks auszugehen.

135

e) Der Beklagte durfte das Grundstück innerhalb des Geltungsbereichs des genannten Bebauungsplans vollumfänglich berücksichtigten, obgleich möglicherweise ein Teilbereich der Öffentlichkeit zugänglich gehalten werden muss und auch weiteren bauplanungsrechtlichen Beschränkungen unterliegt. Dem klägerischen Vortrag, der Anteil an der gesamten Gemeinschaftsfläche (insbesondere der „Seewiese“) sei nach den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 3 der Gemeinde Z. "Wochenendhaussiedlung Erholungsgemeinschaft N." vom 28. August 1997 der Öffentlichkeit zugänglich zu halten und müsse deshalb insoweit bei der Beitragserhebung unberücksichtigt bleiben, folgt das Gericht hingegen nicht. Dabei ist vorab klarzustellen, dass ausweislich des genannten Bebauungsplans zum Ufer des N-sees hinunter lediglich Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und Entwicklung von Natur und Landschaft (vgl. auch § 9 Abs. 1 Nr. 20, Abs. 6 des Baugesetzbuchs [BauGB]) ausgewiesen sind. Lediglich für die "Uferpromenade" ist ein - tages- und jahreszeitlich beschränktes - Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit nach § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB festgesetzt. Nach dem Inhalt der Festsetzungen ist damit nicht auch die gesamte Seewiese erfasst. Vielmehr handelt es sich bei der am Ufer verlaufenden Linie um die Festlegung der Uferzone, die dem Planzeichen des Gehrechts zwar ähnelt, aber insbesondere kein „G“ enthält. In der südöstlichen Ecke des Flurstücks [...] ist darüber hinaus eine Teilfläche für Schmutzwasseranlagen vorgesehen.

136

aa) Nach ständiger Rechtsprechung führen öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen, welche die Ausschöpfung des im Bebauungsplan für ein Grundstück vorgesehenen Maßes der zulässigen baulichen Nutzung verhindern können, wie z. B. bauplanungsrechtliche Festsetzungen nach §§ 16 ff. BauNVO 1990, Nutzungsverbote im Interesse des Umweltschutzes, Anbauverbote im Interesse der Belange des Verkehrs, bauplanungsrechtliche Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO 1990 sowie Bestimmungen, die die Zerstörung erhaltenswerter Bauten untersagen, lediglich zurelativen Beschränkungen, sofern sie nicht ausnahmsweise zur völligen Unbebaubarkeit des Grundstücks führen. Baubeschränkungen, die demgegenüber das Maß der baulichen Nutzung tatsächlich so erheblich einschränken, dass nur ein Teil des Grundstücks bebaut werden kann, der wesentlich geringer als z.B. das durch die Grundflächenzahl zugelassene Nutzungsmaß ist, können nur ausnahmsweise die Bildung einer wirtschaftlichen Einheit in einen Teil erzwingen, soweit das Grundstück baulich nutzbar ist, und in einen nicht zu berücksichtigenden Grundstücksteil.

137

Vgl. dazu zum Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urt. v. 03. Februar 1989 - 8 C 66/87 -, zit. nach juris, LS 1 und 2 und Rn. 14 ff.; zu § 131 Abs. 1 BauGB; BVerwG, Beschl. v. 29. November 1994 - 8 B 171.94 -, zit. nach juris LS und Rn. 3 ff. m. w. N. sowie zum Beitragsrecht OVG NW, Urt. vom 25. September 2001 - 15 A 3850/99 -, juris Rn. 20 ff. m. w. N. und OVG NW, Urt. v. 24. Juni 2008 - 15 A 4328/05 -, juris Rn. 29; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24. November 2009 - 6 A 10866/09 - juris Rn. 22; VG Schwerin, Beschl. v. 4. Mai 2006 - 8 B 773/05 -, S. 10 f.; ferner VG Greifswald, Urt. v. 14. März 2007 - 3 A 630/06 - S. 6 ff.

138

Eine andere Betrachtungsweise ist nach der auf das Beitragsrecht übertragbaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitragsrecht nur geboten, wenn der Bebauungsplan für eine Teilfläche des Grundstücks die Bebaubarkeit infolge der Festsetzung als "öffentliche Grünfläche" ausschließt. Durch eine solche Ausweisung ist die betreffende Grundstücksfläche jeder beitragsrechtlich relevanten Nutzbarkeit entzogen. Die öffentliche Zweckbestimmung dieser Teilfläche lässt für keine Nutzung Raum, die gerechtfertigt sein könnte, weil die Anschlussmöglichkeit an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage sich zugunsten des Eigentümers vorteilhaft auswirken könnte. Vergleichbares gilt bei der Ausweisung einer Teilfläche als "private Grünfläche" aber schon deshalb nicht, weil diese Fläche - mangels Bestimmung für einen öffentlichen Zweck - weiterhin einer einheitlichen Nutzung mit der nicht von der in Rede stehenden Planfestsetzung betroffenen (Rest-)Fläche - zum Beispiel als Hausgarten - zugänglich ist und sich deshalb die von einer Anbaustraße vermittelte Erschließungswirkung auch auf die als "private Grünfläche" ausgewiesene Fläche erstreckt.

139

Dazu BVerwG, Urt. v. 25. Februar 1977 - IV C 35.74 - zit. nach juris LS und Rn. 12 sowie Beschl. v. 29. November 1994 - 8 B 171/94 - zit. nach juris Rn. 4 m. w. N..

140

Der klägerseits angeführte Beschluss des OVG S-H vom 2. September 1998 – 2 M 19/98 – (juris LS und Rn. 6 ff.) sagt nichts anderes aus. Dort heißt es:

141

„Bei der Beitragsbemessung sind Teilflächen, die kein Bauland sind und von der Vorteilswirkung der Entwässerungseinrichtung nicht erfaßt werden, nicht zu berücksichtigen. Wegen des engen Zusammenhangs zur baulichen Ausnutzbarkeit des Grundstücks erstreckt sich der (Anschluß-)Vorteil auf die Fläche, die für die Ermittlung der zulässigen baulichen Nutzung maßgeblich ist […].“

142

Der heute – anders als in § 19 Abs. 3 BauNVO 1990 - im Baugesetzbuch nicht mehr verwendete Begriff des Baulandes (vgl. demgegenüber noch § 9 Abs. 1 BBauG 1960) richtet sich insbesondere nach Art und Maß der baulichen Nutzung (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) sowie nach den Vorgaben der §§ 1 ff., 16 ff. BauNVO 1990 und den konkretisierenden Festsetzungen im maßgebenden Bebauungsplan. Als Bauland ist daher nur die (Teil-)Fläche anzusehen, die nach diesen Vorgaben maximal bebaut werden darf. Auch das OVG S-H führt in der genannten Entscheidung aus (juris Rn 6 unter Bezugnahme auf OVG S-H, Urt. v. 26. März 1992 – 2 L 167/91 -, juris Rn. 39 mwN):

143

„Zur Bemessung des durch die Inanspruchnahmemöglichkeit vermittelten Vorteils ist grundsätzlich auf die zulässige bauliche Nutzung des Grundstücks abzustellen […].“

144

Die Fläche des Grundstücks ist deshalb bei der Beitragsveranlagung in vollem Umfang zu berücksichtigen, wenn es im Rahmen der bauplanungsrechtlichen Vorgaben, hier insbesondere der festgesetzten Grundflächenzahl (zur Definition § 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) auch bei weiteren Nutzungsbeschränkungen durch andere Vorschriften baulich genutzt werden kann. Anders wäre nur zu entscheiden, wenn die bebaubare Fläche („Bauland“) bei Berücksichtigung von öffentlich-rechtlichen Beschränkungen (öffentliche Grünflächen, eventuell auch naturschutzrechtliche Beschränkungen) so klein wäre, dass im konkreten Fall für eine sinnvolle Bebauung kein Platz mehr wäre.

145

Vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 17. Januar 1986 – 9 B 37/85 – juris nur LS = KStZ 1986, 119; vgl. auch Stange, Baunutzungsverordnung 2011, § 19 Rn. 16 mwN.

146

Das wäre nur bei solchen Baubeschränkungen anzunehmen, die das Maß der baulichen Nutzung tatsächlich so erheblich einschränken, dass die bebaubare Fläche auf einen kleinen Teil des Grundstücks beschränkt wird, der wesentlich geringer als z.B. das durch die Grundflächenzahl zugelassene Nutzungsmaß ist. Dann müssten ggf. auch eine wirtschaftliche Einheit, soweit das Grundstück baulich nutzbar ist, und ein nicht zu berücksichtigender Grundstücksteil zu bilden sein.

147

Vgl. OVG NW, Urt. v. 29.November 1988 - 2 A 1678/86 - zit. nach juris Rn. 44 und v. 25. September 2001 - 15 A 3850/99 -, Rn. 20 sowie OVG NW, Beschl. v. 29. Oktober 2004 - 15 A 3608/04 - juris Rn. 3.

148

bb) Zu gesetzlichen Beschränkungen bevorteilter Grundflächen durch §§ 14 ff. des Naturschutzausführungsgesetzes (NatSchAG M-V) vom 25. Februar 2010 (GVOBl. M-V, S. 66) ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass das Gericht bereits im Beschluss vom 31. März 2008 – 8 B 79/08 - unter Bezugnahme auf den Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen (OVG NW) vom 22. März 2005 - 15 A 300/05 - (zit. nach juris Rn. 13) zur Anschlussbeitragspflicht bei Grundstücken, die in einem Landschaftsschutzgebiet liegen, ausgeführt hat:

149

"[Die Antragsteller] können auch nicht damit durchdringen, die Wasserbeitragssatzung lasse außer Acht, dass Grundstücke den Einschränkungen des § 20 Abs. 1 Nr. 2 des Landesnaturschutzgesetzes (LNatG M-V) unterliegen. Diese Einschränkung führt jedenfalls nicht dazu, dass die betroffenen Grundstücke nicht mehr bebaubar sind. Gesetzlich geschützte Biotope und Geotope unterliegen zwar gemäß § 20 LNatG M-V einem naturschutzrechtlichen Schutzregime, das die Nutzungsmöglichkeiten einschränkt, die betroffene Fläche aber nicht der privatnützigen Verwendung entzieht. Vielmehr dient die Unterschutzstellung nach der genannten Bestimmung nur bestimmten Zwecken. Danach sind Maßnahmen unzulässig, die zur Zerstörung, Beschädigung, Veränderung des Zustandes oder erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung näher beschriebener Biotope führen können. Die private Nutzung wird also naturschutzrechtlich überlagert, aber nicht verdrängt. Unerheblich ist auch, ob die Beschränkungen dem Allgemeininteresse dienen oder der Abwehr von Beeinträchtigungen, die von der baulichen Nutzung des Grundstücks selbst ausgehen wie etwa einzuhaltende Abstandsflächen."

150

Zudem lässt § 20 Abs. 3 NatSchAG M-V im Einzelfall Ausnahmen von den Beschränkungen zu.

151

cc) Die oben näher beschriebenen im Bebauungsplan Nr. 3 genannten Beschränkungen führen zu keiner solchen Differenzierung zwischen einem bebaubaren und unbebaubaren Teil des streitbefangenen Flurstücks. Es ist nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 a) BSSW 2010 im vollen Umfang zu berücksichtigen. Auch wenn die Seewiese und der mit einem Gehrecht belegte Teil des Flurstücks nicht bebaut werden dürfen, ist das durch den Bebauungsplan vorgegebene Maß der baulichen Nutzung nicht unterschritten.

152

Die Grundflächenzahl beträgt nach dem Bebauungsplan ca. 0,11. Nach dessen Festsetzungen (vgl. Nr. 1.2 und 1.3 der textlichen Festsetzungen) dürfen die - auf einer Fläche von insgesamt ca. 47.000 m² befindlichen - Wochenendhäuser eine Grundfläche von 60 m² zuzüglich eines Wintergartens von maximal 10 m² haben, also insgesamt 70 m². Dies ergibt bei 104 Wochenendhäusern eine Gesamtfläche von 7.280 m². Dies entspricht bei einer Gesamtgröße des Flurstücks von 64.650 m² einer Grundflächenzahl von etwa 0,11.

153

Selbst wenn der Bebauungsplan die höchstmögliche Grundflächenzahl bei Wochenendhausgebieten nach § 17 Abs. 1 BauNVO 1990 von 0,2 festgesetzt hätte, ergebe sich nichts anderes. Danach könnte auf dem gesamten Flurstück eine Fläche von maximal 12.930 m² bebaut werden. Die vorgesehene Fläche des Gehrechts entlang der "Uferpromenade" und die mit den naturschutzrechtlichen Beschränkungen überlagerte Fläche im Bereich der Seewiese (ca. 18.000 m²) überschreitet die danach bebaubare Fläche ersichtlich nicht. Es darf auch hierbei keiner abschließenden Klärung, welche Fläche für das Gehrecht vorgesehen ist. Die mit den Wochenendhäusern bebaute Fläche beträgt insgesamt 47.000 m². Anderes würde auch dann nicht gelten, wenn das Gehrecht die gesamte Seewiese erfassen würde.

154

dd) Die nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB - im Falle der Begründung entsprechender öffentlich-rechtlicher oder privater Nutzungsrechte - öffentlicher Nutzung zugänglich zu haltende, relativ schmale "Uferpromenade" (vgl. näher Nr. 2.1 der textlichen Festsetzungen im Bebauungsplan) entzieht den Grundstückseigentümern zudem die Nutzbarkeit der überplanten Fläche nicht vollständig. Sie schließt nur solche Nutzungen aus, welche die geplante Ausübung dieses Rechts behindern oder unmöglich machen würde. Es ist deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine mit einem Gehrecht zu belastende Fläche anderweitig genutzt werden kann. Anders wäre zu entscheiden, wenn die Nutzung der zu belastenden Fläche so intensiv wäre, dass eine andere Benutzung durch den Eigentümer so gut wie ausgeschlossen wäre.

155

Vgl. näher BVerwG, Beschl. v. 18. Dezember 1987 - 4 NB 2.87 - zit. nach juris Rn. 22; Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Urt. v. 4. Juli 1995 - 1 BA 1/95 - juris Rn. 32 f.; OVG NW, Urt. v. 30. Januar 1996 - 11a D 127/92.NE zit. nach juris Rn. 10 ff.; 15 Beschl. v. 19. Juni 2002 - 10a D 115/99.NE - juris Rn. 26 m. w. N..

156

Dafür ist aber bislang weder etwas vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Vielmehr lässt auch die nach dem Bebauungsplan tages- wie jahreszeitlich beschränkte Geltung des Gehrechts zugunsten der Allgemeinheit auf eine verbleibende private Nutzbarkeit schließen. Die in Rede stehenden Flächen können in anderer Beziehung durch die Eigentümer des Flurstücks [...] genutzt werden, soweit diese Nutzung dem Zweck des Gehrechts nicht entgegenstehen; sie dürfen in der Regel nur nicht in einer Weise bebaut werden, das die Ausübung des Gehrechts behindert (vgl. dazu OVG NW, Urt. v. 30. Januar 1996 - aaO, Rn. 10).

157

ee) Im Übrigen sind zum Seeufer hin lediglich Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und Entwicklung und Natur und Landschaft ausgewiesen (vgl. auch § 9 Abs. 1 Nr. 20, Abs. 6 BauGB). Wie dargestellt, ist die volle bauliche Ausnutzbarkeit des gesamten Grundstücks nicht erforderlich, um den Beitrag auf die gesamte Fläche zu erheben, denn der betreffende Grundstücksteil kann im Rahmen der dort genannten Festsetzungen weiterhin etwa als Liegewiese oder Gartenland genutzt werden. Darüber hinaus ist das streitgegenständliche Grundstück mit zahlreichen Wochenendhäusern bebaut, was seine prinzipielle Bebaubarkeit belegt. Es ist mithin gemäß § 6 Abs. 2 a) BSSW 2010 vom Beklagten mit der Gesamtfläche als im Geltungsgebiet eines Bebauungsplanes liegend angesehen worden. Dass die Eigentümer das Grundstück in einzelnen Beziehungen nicht voll nutzen können, führt danach nicht zur Reduzierung der bevorteilten Beitragsfläche (vgl. auch Urt. der Kammer vom 21. Mai 2008 - 8 A 2429/05 -, S. 6 f. zum Trinkwasserbeitragsrecht). Dies würde auch gelten, wenn die - zudem nicht ausnahmslos geltenden - Baubeschränkung aus dem hier allerdings wegen des Bebauungsplans nicht heranzuziehenden § 29 Abs. 1 Satz 1 NatSchAG M-V hergeleitet würde, wonach nur ausnahmsweise Bauten in einem Abstand von 50 m gewässerwärts von der Mittelwasserlinie an gerechnet nicht errichtet oder verändert werden dürfen.

158

hh) Es kommt nicht darauf an, ob im Jahre 2008 auf Seiten des Zweckverbandes Wismar im Rahmen von Verhandlungen mit der Wohnungseigentümergemeinschaft über den Abschluss eines Erschließungsvertrages von der Nichtberücksichtigung der Seewiese bei einer Beitragsveranlagung ausgegangen ist, wie klägerseitig vorgetragen wird. Dies ist im vorliegenden Rechtsstreit unerheblich. Maßgebend ist allein, ob der streitgegenständliche Beitragsbescheid die zu veranlagende Fläche (vollständig) erfasst. Ein (möglicherweise abweichender) Meinungsbildungsprozess auf Beklagtenseite hat auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides keinen Einfluss.

159

ii) Hinsichtlich der Fläche des auf der Gemeinschaftsfläche stehenden Pumpenspeicherwerks des Zweckverbandes Wismar hat das Gericht in den zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bislang Bedenken geäußert, ob diese bei der Beitragsberechnung habe berücksichtigt werden dürfen.

160

Daran hält das Gericht nach neuerlicher Prüfung nicht mehr fest.

161

Zutreffend ist zwar, dass im vorliegenden Fall die Fläche in der Größe der Umpflasterung der Pumpstation von insgesamt 27,86 m² durch die Eigentümer des Grundstücks nicht genutzt werden können. Die übrige vom Bebauungsplan festgesetzte Fläche von ca. 400 m² kann hingegen genutzt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Schmutzwasseranlage nicht beeinträchtigt wird. Diese nichtnutzbare Fläche ist aber im Verhältnis zur Gesamtfläche des Grundstücks (64.650 m²) so klein, dass sie mit 0,043 % nicht ins Gewicht fällt und die durch den Anschluss an die Schmutzwasseranlage erlangten Vorteil nicht mindern. Bei dieser „Größenordnung“ bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, wann eine nicht nutzbare Fläche bei der Beitragsberechnung unberücksichtigt bleiben muss.

162

Die klägerseitig vorgetragenen abweichenden Angaben im Liegenschaftskataster bezüglich eines Teils der Seewiese, wie sie im Schreiben der Landrätin des Landkreises Nordwestmecklenburg vom 8. September 2010 zum Ausdruck gekommen sind, braucht deshalb nicht weiter nachgegangen zu werden, weil – wie dargestellt - nach Auffassung des Gerichts die Gesamtfläche des Flurstücks bei der Veranlagung zu berücksichtigen ist.

163

f) Da die Alt- und Neuanschließer durch den Anschluss an die Schmutzwasseranlage die gleichen Vorteile genießen, sind entgegen klägerischer Auffassung auch die Kosten der technischen Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten erstellten Schmutzwasseranlagen aus der aktuellen Beitragskalkulation einzubeziehen. In den beiden (nicht veröffentlichten) Urteilen vom 22. Januar 2010 - 8 A 1364/09 und 1366/10 - hat das Gericht diesbezüglich hinsichtlich der Beitragskalkulation ergänzend ausgeführt, dass die

164

"nach 1990 durchgeführte (technisch betrachtet) Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten erbauten Anlageteilen beitragsrechtlich gesehen keine Erneuerung [ist], sondern erstmalige Herstellung einer Anlage im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V. Deshalb bedarf es insoweit auch keiner Beitragssatzung über Erneuerungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V. Nur wenn diese Anlagenteile danach nochmals erneuert werden, sind die dadurch verursachten Kosten Erneuerungskosten, die beitragsrechtlich nicht als Herstellungsaufwand berücksichtigt werden dürfen."

165

Deshalb durfte der Zweckverband Wismar die klägerseitig monierte Einstellung von 20.000.000 € Kosten für die die technische Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten hergestellten Kanalsystemen bei der Beitragskalkulation als Herstellungskosten berücksichtigen.

166

Nach dem Vorstehenden geht auch das weitere klägerische Argument fehl, wonach der Zweckverband Wismar bereits deshalb keine Abgaben erheben dürfe, weil die Eigentümer jedenfalls keinen Vorteil aus einer vom Zweckverband vorgenommenen Handlung erlangt habe. Dabei wird verkannt, dass der Zweckverband nur für solche Investitionen Beiträge erhebt, die er selbst vorgenommen hat. Investitionen aus „DDR-Zeiten“ werden damit nicht finanziert. Somit liegt eine von den Eigentümern zu finanzieren Handlung des Zweckverbandes vor.

167

g) Die Erhebung von Beiträgen ist nicht deshalb nach § 242 Abs. 9 BauGB (früher: § 246a Abs. 1 Nr. 11 BauGB a.F.) unzulässig, weil die Schmutzwasseranlage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Einigungsvertrages bereits hergestellt gewesen ist. Denn bei einer solchen Anlage handelt es sich um keine Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB. In § 127 Abs. 4 BauGB wird bezüglich (u. a.) leitungsgebundener Anlagen ausdrücklich darauf verwiesen, dass das Recht zur Erhebung von Beiträgen für diese Anlagen unberührt bleibt, sofern andere Gesetze - wie insbesondere die Kommunalabgabengesetze der Länder - dies vorsehen

168

Dazu Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 127 Rn. 50; Kniest, in: Ferner/Kröniger/Aschke, BauGB, 2. Aufl. 2008, § 127 Rn. 27.

169

Im Umkehrschluss folgt daraus, dass der Bundesgesetzgeber in den Fällen von bereits zu "DDR-Zeiten" fertig gestellten öffentlich-rechtlichen leitungsgebundenen Anlagen gerade keine zeitliche Sperre für eine Beitragserhebung vorschreiben wollte.

170

h) Der Beitragsanspruch des Zweckverbandes Wismar ist auch nicht gemäß § 12 KAG 1993 bzw. § 12 Abs. 2 KAG M-V in Verbindung mit §§ 47,169 ff. AO endgültig verjährt. Danach galt bzw. gilt eine Festsetzungsfrist von vier Jahren. Die Verjährung hängt nicht allein davon ab, dass ein bestimmter Zeitraum verstrichen ist. Maßgebend ist zunächst, dass die Frist auch angelaufen ist. Das ist hier nicht der Fall:

171

aa) Die Festsetzungsverjährungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres, indem die Abgabe (abstrakt) entstanden ist. Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 war dies der Zeitpunkt der Anschlussmöglichkeit des Grundstücks an die Anlage, frühestens mit Inkrafttreten der ersten Beitragssatzung. Dabei ist zunächst klarzustellen, dass ein einmal verjährter Beitragsanspruch durch eine gesetzliche Neuregelung oder eine neue Beitragssatzung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht wieder aufleben könnte (vgl. nur Steiner, LKV 2009, 254 [255 f. mwN]).

172

Im Falle der Schmutzwasserbeiträge des Zweckverbandes Wismar sind bisher keine Beitragsansprüche verjährt, weil die maßgebenden Festsetzungsfristen überhaupt noch nicht angelaufen sind.

173

(1) Die Frist beginnt nach Auffassung des Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, welcher der Kammer folgt, erst mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung,

174

- vgl. nur OVG M-V, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 L 295/05 – juris, Rn. 21 ff.; Beschl. v. 27. Januar 2006 - 1 M 60/06 - juris Rn. 8, weitere Nachweise bei Aussprung, NordÖR 2005, 240 (246 Fn. 43) -

175

nicht hingegen mit der Veröffentlichung einer (Vorgänger-)Satzung mit formellem Geltungsanspruch. Dies entspricht nunmehr auch dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 KAG M-V 2005.

176

Vgl. dazu auch LtDrs 4/1307 S. 48 unter Hinweis auf die dazu ergangene Rechtsprechung des OVG M-V.

177

(2) Diese Aussage war – und ist auch heute wieder - unabhängig des vom den jeweiligen Landesgesetzgebern gewählten Wortlauts in den Kommunalabgabengesetze einheitliche Rechtsprechung.

178

Vgl. etwa OVG NW, Urt v. 6. April 1976 - II A 121/76 -, OVGE 32, 41 (42); Urt. v. 31. Oktober 1984 - 2 A 1156/84 -, OVGE 37, 188 (192); Urt. v. 7.September 1993 - 2 A 169/91 -, StuGR 1994, 57 (60 f.); VGH Bad-Württ, Urt. v. 27. Februar 1992 – 2 S 1328/90 - juris LS 2 und Rn. 19; OVG M-V, Beschl. v. 22. September 2004 – 1 M 166/04 – juris Rn. 7 ff.; ferner VG Schwerin, Urt. v. 28. September 2005 - 4 A 1265/02 - juris Rn. 103; weitere Nachweise bei Driehaus, in: ders. Kommunalabgabenrecht (Stand: März 2011), § 8 Rn. 492; Birk, ebenda, § 8 Rn. 685b; Quaas, Kommunales Abgabenrecht, 1997, Rn. 136 mwN.

179

Sie gilt daher auch unabhängig davon, ob in § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht mit der Novelle von 2005 ausdrücklich von einer ersten wirksamen Satzung abhängig gemacht worden ist.

180

Der gegenteiligen - mittlerweile wieder aufgegebenen - Rechtsprechung des OVG Brandenburg ist nicht zu folgen. Danach soll für den Beginn der Festsetzungsverjährung der Erlass der ersten Abgabensatzung unabhängig von deren Wirksamkeit maßgebend sein

181

Vgl. zu der entsprechenden landesrechtlichen Bestimmung OVG Brandenburg, Urt. v. 8. Juni 2000 - 2 D 29/98 -, zit. nach juris, LS 1 und Rn. 49; ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 - zit. nach juris LS 2 und Rn. 19 unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung.

182

Diese Auffassung ist mit dem kommunalen Abgabenrecht jedenfalls Mecklenburg-Vorpommerns unvereinbar, da durch eine nichtige Satzung die Beitragspflicht nicht entstehen kann.

183

Zutreffend Becker, KStZ 2001, 161 [164]; Becker/Schiebold, LKV 2001, 94 (95).

184

Zudem widerspricht eine solche Auslegung dem Sinn und Zweck des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993. Danach entstand die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung. Die Satzung konnte einen späteren Zeitpunkt bestimmen. Die Regelungen hat der Gesetzgeber für das Anschlussbeitragsrecht für erforderlich gehalten, um das Entstehen der Beitragspflicht für leitungsgebundene Einrichtungen vorzuverlegen (vgl. LtDrs 1/113 S. 8 [Nr. 5 zu § 8]). Dies ist im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen auch sinnvoll, da - würde auf den Zeitpunkt der Fertigstellung der gesamten Entwässerungseinrichtung abgestellt - dies das Entstehen der Beitragspflicht um Jahre verzögern könnte. Zudem hat (vgl. Landtagsdrucksache, aaO.) der Landesgesetzgeber eine Sonderregelung für die Anschlussbeiträge deshalb für erforderlich gehalten, weil eventuell Anschlussmöglichkeiten bereits vor Inkrafttreten des KAG M-V gegeben und eine Beitrags- oder eine einmalige Anschlussgebührenpflicht nach altem (preußischen) Recht nicht entstanden war. Für diesen Fall sollte die Anschlusspflicht frühestens mit Inkrafttreten der ersten Satzung entstehen, die den Anschlussbeitrag nach neuem Recht regelt.

185

Vgl. auch OVG M-V, Beschl. v. 29. Juli 1997 - 6 M 93/97 - juris, Rn. 25.

186

§ 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 diente daher in gewissem Umfang auch dem Schutz des kommunalen Aufgabenträgers

187

Ebenso Becker, KStZ 2001, 161 (162 f. unter Hinweis auf die in den neuen Bundesländern bestehenden Probleme bei der Gründung von Zweckverbänden) sowie Becker/Schiebold LKV 2001, 94 (95).

188

Entgegen der Meinung des OVG Brandenburg (aaO Rn. 48 mwN) stellte § 8 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 2 KAG 1993 auch keine Ausnahmeregelung dar, da das Inkrafttreten der Satzung neben der Anschließbarkeit des Grundstücks zwingend ist.

189

Vgl. auch Becker, KStZ 2001, 161 (163); Becker/Schiebold, LKV 2001, 94 (95).

190

Das OVG Berlin-Brandenburg vertritt im Übrigen nunmehr ebenfalls (wieder) die Auffassung, dass Beginn der Verjährungsfrist neben der Herstellung der Anschlussmöglichkeit an das Grundstück das Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung ist.

191

Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12. Dezember 2007 - 8 B 44.06 - juris, LS und Rn. 50.

192

Eine solche Auslegung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. näher Steiner, LKV 2009, 254 [255 f.]).

193

Soweit klägerseitig unter Hinweis auf eine Passage in der Landtagsdrucksache 1/113 S. 8 darauf hingewiesen wird, dass neben der Anschlussmöglichkeit maßgebend nur die erste formell in Kraft getretene Satzung gewesen sei, ist dies bereits deshalb unzutreffend, weil die Drucksache keine Aussage zum Beginn der Verjährungsfrist enthält. Dazu bestand seinerzeit auch kein Anlass, weil damals die Rechtsprechung – soweit ersichtlich – diesbezüglich einheitlich war. Soweit klägerseitig unter Hinweis auf die genannte Drucksache („[…] wenn die Anschlussmöglichkeit bereits früher gegeben und Beitrags- oder eine einmalige Anschlussgebührenpflicht nach altem Recht nicht entstanden war […]“) vorgetragen wird, dass bereits vor Inkrafttreten des ersten KAG 1991 oder jedenfalls mit Erlass der ersten Satzung die Verjährungsfrist in Gang gesetzt worden sei, ist dies unzutreffend. Auch dann ist nach Auffassung des Gerichts Voraussetzung, dass diese Satzung rechtswirksam gewesen ist. Der Gesetzgeber hat das Gesetz in Kenntnis der damals noch einhelligen oben zitierten älteren Rechtsprechung verabschiedet, dass mit erster Satzung die erste wirksame Satzung gemeint ist. Es ist nicht ersichtlich, dass der Landtag insoweit von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist.

194

bb) Der Beitragsanspruch konnte im vorliegenden Fall schon deshalb nicht endgültig verjähren, weil die Festsetzungsfrist nach den vorstehenden Ausführungen nicht anlaufen konnte. Die bisherigen Beitragssatzungen des Zweckverbandes Wismar waren sämtlich rechtsunwirksam:

195

(1) Die Beitrags- und Gebührenssatzung des Zweckverbandes Wismar vom 1. März 1992 war nichtig, weil sie nicht im eigenen Amtsblatt des Zweckverbandes oder einer von der Verbandssatzung bestimmten Zeitung veröffentlicht worden ist, sondern im Wismarer Kreisanzeiger mit Amtsblatt für den Landkreis Wismar. Dabei handelte es sich um das amtliche Veröffentlichungsorgan (nur) für den Landkreis Wismar, in dem Satzungen anderer Träger nicht rechtswirksam veröffentlicht werden konnten. Denn nach § 5 Abs. 3 KV DDR waren Satzungen zu veröffentlichen. Wenn es dort auch an näheren Bestimmungen zur Veröffentlichung fehlt, war es dennoch ausgeschlossen in einem Amtsblatt eines fremden Hoheitsträgers Satzungen zu veröffentlichen. Es musste sich aber - nach Maßgabe der Hauptsatzung - um das eigene amtliche Veröffentlichungsorgan oder jedenfalls um eine Tages- oder Wochenzeitung handeln (vgl. auch Bretzinger/Büchner-Uhder, Kommunalverfassung, 1. Aufl. 1991, § 5 Rn. 8). In materieller Hinsicht war die Satzung schon deshalb nichtig, weil sie entgegen § 8 Abs. 1 KAG 1991 bei der Bestimmung des Baukostenzuschusses in Nr. 2.1 nicht auf die individuellen Vorteile des jeweils bevorteilten Grundstücks abstellten, sondern pauschal (mit hier nicht interessierenden Modalitäten) einen Baukostenzuschuss von 2.000,-- DM festsetzten.

196

(2) Die Beitrags- und Gebührensatzung vom 1. Juli 1993 ist aus den gleichen Gründen wie die Vorgängersatzung nichtig. Der pauschale Baukostenzuschuss von 3.000,-- DM stellte nicht auf die Vorteile des Anschlusses des Grundstücks ab.

197

(3) Auch die Beitrags- und Gebührensatzung in der Fassung vom 22. Dezember 1993 wurde ebenfalls fehlerhaft im Wismarer Kreisanzeiger veröffentlicht. Zudem begegnet sie in materieller Hinsicht durchgreifenden Bedenken, weil der in Nr. 1.3 bestimmte pauschale Anschlussbeitrag von 750,-- DM je Entsorgungseinheit unabhängig von der Größe und Art des Grundstück festgelegt wurde, also gleichfalls nicht auf die Vorteile für das jeweilige angeschlossene Grundstück abstellte.

198

(4) Auch die - klägerseitig in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellte - am 1. Januar 1996 erlassene Satzung des Zweckverbandes Wismar vom 22. Dezember 1995 war in materieller Hinsicht nichtig. Zum einen wies diese Satzung Fehler insoweit auf, als beim Beitragsmaßstab die Außenbereichsflächen mit der Grundflächenzahl (GRZ) von 0,4 vorteilswidrig zu hoch angesetzt und keine Abgeltungsfläche festgelegt war. Dies wäre aber wegen der Einmaligkeit der Beitragsveranlagung notwendig gewesen. Zum anderen lag der Verbandsversammlung seinerzeit keine ordnungsgemäße Kalkulation vor. Ihr hat nur eine Tabelle mit den maßgebenden Daten vorgelegen, nicht aber notwendige weitere Unterlagen. Zudem waren für Teilmaßnahmen Teilbeiträge ermittelt und danach addiert worden, obgleich die Satzung keine Kostenspaltung vorsah.

199

Dazu VG Schwerin, Urt. v. 28. Juni 2001 - 4 A 2239/01 - sowie im Beschl. v. 19. Oktober 1999 - 4 B 889/98 - zur Kalkulation.

200

Das Verdikt der Unwirksamkeit würde diese Satzung selbst dann treffen, wenn diese während ihrer formellen Gültigkeitsdauer unbeanstandet angewandt worden sein sollte und es auch keine entsprechenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts oder Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in einzelnen Verfahren oder im Normenkontrollverfahren gegeben haben sollte. Die Nichtigkeit der früheren Satzungen muss nicht durch Normenkontrollentscheidung gemäß § 47 VwGO in Verbindung mit § 13 des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsstrukturgesetz durch das OVG M-V festgestellt werden, um daraus Konsequenzen für die Verjährung im vorliegenden Verfahren herleiten zu können. Das Gericht hat bereits in den genannten Urteilen vom 22. Januar 2010 (u. a. juris Rn. 46) im Einzelnen dargelegt, dass die Nichtigkeit früherer Satzungen nicht allein durch eine Normenkontrollentscheidung durch das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern festgestellt werden muss, um daraus Konsequenzen für die Verjährung im Einzelfall herleiten zu können. Bei Satzungen ist zwar die formelle Verwerfungskompetenz der Gerichte mit allgemeiner Verbindlichkeit auf das abstrakte Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO beschränkt.

201

Zu den Folgerungen daraus siehe Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 141 ff.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, § 47 Rn. 364 ff.

202

Den Verwaltungsgerichten fehlt diese Kompetenz. Sie haben aber nach Art. 20 Abs. 3 GG mit Blick auf das zwingende Satzungserfordernis des § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V bei Überprüfung einzelner Abgabenbescheide die ihnen zugrunde liegenden Satzungen auf ihre Wirksamkeit (inzidenter) zu überprüfen, soweit hierzu Anlass besteht. Eine gültige Satzung ist Entstehungsvoraussetzung der Abgabe.

203

Vgl. dazu Quaas, Kommunales Abgabenrecht, Rn. 22 mwN; Meyer, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2002 Rn. 180a; Glaser, in: Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentierung der Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 3. Aufl. 2005, § 5 Rn. 4 aE.

204

Weist die Satzung bei dieser Prüfung Fehler auf, die sie unanwendbar machen, ist der angefochtene Bescheid in jedem Einzelfall mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig und aufzuheben, wenn die Satzung auch nicht formell vom Gericht aufgehoben werden und deren Nichtigkeit ausdrücklich (und mit Allgemeinverbindlichkeit) festgestellt werden kann. Für den jeweiligen Einzelfall wird die fehlerhafte Satzung aber so behandelt, als wäre sie nichtig.

205

Sensburg/Maslaton, Abgabenrecht in der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, 2007, S. 25; weitergehend Hill, Soll das kommunale Satzungsrecht gegenüber staatlicher und gerichtlicher Kontrolle gestärkt werden? 1990, D 109 (Nichtigkeitserklärung durch jedes Gericht im Einzelfall.).

206

Zwar könnte der kommunale Aufgabenträger die Satzung weiter anwenden, da Urteile des Verwaltungsgerichts nur inter partes gelten (vgl. § 121 VwGO) und die inzidente Nichtigkeitsfeststellung nicht allgemein verbindlich (Umkehrschluss aus § 47 Abs. 5 VwGO) ist. Er würde dann aber jeweils ein möglicherweise kostenträchtiges Unterliegen in einem nachfolgenden Verwaltungsstreitverfahren riskieren. Auch das Verwaltungsgericht stellt im vorliegenden Fall die Unwirksamkeit der Satzung nur in diesem Einzelfall fest.

207

Diese Feststellung der Nichtigkeit kann entgegen klägerischer Ansicht auch erfolgen, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Satzung bereits nicht mehr formell in Kraft ist, es aber - etwa wie hier zur Klärung der Verjährungsfrage – auf die Gültigkeit früherer Satzungen ankommen sollte. Dem Gericht ist kein Rechtssatz bekannt, wonach eine während ihres Anwendungszeitraums gerichtlich unbeanstandet gebliebene Satzung später nicht mehr auf ihre Wirksamkeit überprüft werden darf.

208

(5) Des Weiteren verstieß auch die Satzung von 18. Oktober 2000 gegen höherrangiges Recht und war nichtig. Dem Beitragssatz lag keine ordnungsgemäße Kalkulation zu Grunde. Die Vollgeschossfaktoren in Satzung und Kalkulation wichen voneinander ab. Zudem lagen Fehler bei Flächenermittlung vor, da der Vollgeschossfaktor der Satzung nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Schließlich waren die Kläranlagen in die Kalkulation nicht einbezogen worden (vgl. VG Schwerin, Urt. v. 3. Juni 2004 - 4 A 1623/02). Die Satzung vom 20. Dezember 2005 ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 27. Juni 2008 - 8 A 1654/08 - aus materiellen, die Satzung betreffenden Gründe für nichtig erklärt worden.

209

(6) Auch die (letzte) Beitragssatzung vom 7. Mai 2009 war - wie die Kammer in den oben genannten Urteilen festgestellt hat - wegen Widersprüchlichkeit der Regelungen in § 6 Abs. 4 und 5 f) BSSW 2009 (Bestimmung der Anzahl der Vollgeschosse, wenn diese nicht feststellbar sind) bzw. wegen Unvollständigkeit der Bestimmung zur Festlegung von Vollgeschossen in vor dem 30. April 1994 errichteten Gebäuden in § 6 Abs. 5 e) Satz 3 BSSW 2009 nichtig.

210

(7) Die Festsetzungsverjährungsfrist konnte daher erst mit Bekanntgabe der letzten, jetzt maßgebenden Änderungssatzung zu laufen beginnen. Das war im vorliegende Fall der 1. Januar 2011, da der Beitragsanspruch erst mit Inkrafttreten der Beitragssatzung vom 3. März 2010, also im Jahr 2010 entstanden ist (vgl. § 170 Abs. 1 AO).

211

cc) Dem jeweiligen Beitragsschuldner steht auch kein Vertrauensschutz in die Rechtswirksamkeit der Vorgängersatzungen zur Seite. Das Ergebnis, wonach im Beitragsrecht eine spätere rechtswirksame Satzung den Zeitraum einer früheren nichtigen Satzung erfasst, steht mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG im Einklang. Insbesondere ist das Vertrauen des Beitragszahlers in die Rechtswirksamkeit der Vorgängersatzungen nicht in der Weise geschützt, dass er Anspruch hätte, auf Grundlage der zum Zeitpunkt der Anschließbarkeit des Grundstücks maßgebenden Verhältnissen nach der damals formell gültigen Satzung veranlagt zu werden. Der Bürger kann sich nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen. Dies gilt insbesondere, wenn sich eine Rechtsnorm im Nachhinein als ungültig erweist und durch eine neue rechtlich nicht zu beanstandende Bestimmung ersetzt wird.

212

Vgl. grundlegend BVerfG, Urt. v. 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 - BVerfGE 13, 261 ff., zit. nach juris Rn. 48 ff., 54 m. w. N.

213

Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht im Übrigen nicht so weit, den Bürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Schutzwürdig ist zudem nur das getätigte Vertrauen, also eine "Vertrauensinvestition", die zu Erlangung einer Rechtsposition geführt hat (vgl. BVerfG, Urt. v. 2. Mai 1987 - 1 BvR 724/81 - u. a. juris Rn. 82 m. w. N.). Eine solche Rechtsposition erwächst nicht aus dem Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit einer Beitragssatzung.

214

dd) Der Beitragsanspruch ist auch nicht verwirkt. Als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet Verwirkung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung).

215

Zu den Voraussetzungen der Verwirkung OVG M-V, Beschl. v. 22.9. 2004 - 1 M 166/04 - juris Rn. 24; Gersch, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 4 Rn. 21; Rüsken, ebenda, § 228 Rn. 13 je mwN. aus der Rechtspr. des Bundesfinanzhofs; vgl. auch OVG M-V, Beschl. v. 18. März 2008 - 1 M 15/08 - S. 6 mwN (n. v.]).

216

Zwar ist der Anschlussbeitrag über einen langen Zeitraum nicht geltend gemacht worden. Jedoch durfte der Beitragsschuldner regelmäßig nicht darauf vertrauen, dass der Beklagte den Beitrag nicht mehr einfordern wird. Es ist nichts ersichtlich, dass der Beklagte gegenüber Beitragsschuldner jemals zu erkennen gegeben hat, er werde den Beitrag nicht mehr geltend machen. Auch nach dem Inhalt früherer Satzungen war der Beklagte gehalten, Beiträge gegenüber Altanschließern geltend zu machen. Die Durchsetzung dieses Rechts mit einem Bescheid erscheint daher nicht als unzumutbarer Nachteil zu Lasten des Beitragsschuldners. Zudem kann eine Verwirkung bei einer laufenden Verjährungsfrist nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden (siehe Rüsken, ebenda, § 228 Rn. 13). Solche sind hier nicht ersichtlich.

217

Der Anspruch ist auch nicht verwirkt, weil der Zweckverband im Rahmen einer früheren (Rechnungsperioden-)Kalkulation keine Altanschließer berücksichtigt hat. Es ist bereits fraglich, ob allein aus dem Umstand, dass Altanschließer in einer Rechnungsperiodenkalkulation nicht berücksichtigt werden, geschlossen werden kann, dass der Zweckverband diese nicht mehr veranlagen werde. Denn die Nichterfassung der Altanschließer kann darauf zurückzuführen sein, dass etwa wegen der Berücksichtigung neuer Baugebiete bei dem zeitlich zu berücksichtigenden Rahmen nur Neuanzuschließende erfasst werden sollten. Daraus folgt nicht, dass prinzipiell Altanschließer von Beitragslasten freigestellt werden sollten. Darüber hinaus handelt es sich bei der Kalkulation um einen behördeninternen Vorgang. Dieser lässt keine Rückschlüsse auf das Veranlagungsverhalten der Behörde im Einzelfall zumal dann nicht zu, wenn die Beitragssatzung für eine solche Differenzierung zwischen Neu- und Altanschließern keinen Anhalt bietet. Der Zweckverband hat keine Satzung erlassen, in denen auf Anschlussbeiträge von Altanschließern generell verzichtet werden sollte.

218

ee) Anzumerken bleibt, dass die Beitragsschuldner auch nicht mit dem Argument durchdringen, der Beklagte habe zeitnah mit dem tatsächlichen Anschluss des Grundstücks und seiner Satzung aus dem Jahre 1992 neben den Hausanschlussbeitrag sogleich auch den Anschlussbeitrag erheben müssen, so dass sie in den "Genuss" eines früheren niedrigen Beitrags von 2.000,-- DM oder 3.000,-- DM gekommen wären. Zum einen geben die Verjährungsvorschriften dem Beklagten vor, innerhalb welcher Zeiträume er Beitragsbescheide erlassen muss. Er ist weder nach Satzungsrecht noch nach sonstigen Vorschriften verpflichtet, zeitnah nach Herstellung der Anschlussfähigkeit des Grundstücks Beitragsbescheide zu erlassen. Zum anderen ist es dem Beklagten unbenommen, soweit er aufgrund früherer, nichtiger Satzungen (zu niedrige) Beiträge durch (bestandskräftige) Beitragsbescheide erhoben hat, im Rahmen pflichtmäßigen Ermessens unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu prüfen, ob er die diesbezüglichen abgeschlossenen Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 1 KAG M-V in Verbindung mit §§ 130, 131 AO wieder aufgreift (oder gar aufgreifen muss) und unter Beachtung neuer Satzungsbestimmungen und der erbrachten Beiträge neu entscheidet. Die Einmaligkeit der Beitragserhebung dürfte ihn nicht daran hindern, weil es noch immer um die erstmalige Beitragserhebung geht (vgl. jetzt auch OVG M-V, Urt. v. 15. Dezember 2009 - 1 L 323/06 – juris Rn. 52 ff. mwN).

219

6. Der Anspruch auf Zahlung des Beitrags ist auch nicht dadurch erloschen, weil der Zweckverband Wismar hierauf gegenüber den Eigentümern des Flurstücks [...] verzichtet hat. Zwar ist in einer notariellen Vereinbarung zu einem Leitungsrecht vom 15. Juli 2004 zwischen den Eigentümern des Flurstücks [...] und dem Zweckverband Wismar unter III. (5) vereinbart worden:

220

„Durch die Gewährung dieses Leitungsrechts entsteht für die Wohnungseigentümer keine Pflicht zur Zahlung von Anschlusskostenbeiträgen.“

221

Nach Auffassung des Gerichts enthält die Klausel bereits keine Verzichtserklärung. Dies gilt auch dann, wenn die Beteiligten übereinstimmend den dem Gesetz fremden Begriff Anschlusskostenbeitrag im Sinne von Anschlussbeiträgen verstanden haben sollten. Schon nach dem Wortlaut stellt die Vertragsbestimmung lediglich klar, dass durch das Leitungsrecht (und des Baues der Leitung) Zahlungspflichten für Anschlussbeiträge nicht entstehen. Zudem könnte der verwendete Begriff „Anschlusskostenbeitrag“ dahingehend zu verstehen sein, dass es sich um keine Vereinbarung über die Beitragsschuld handeln soll, sondern allenfalls Hausanschlusskosten gemeint sein können: Als Gegenleistung für die Einräumung des Leitungsrechtes sollte der Zweckverband auf Hausanschlusskosten verzichten.

222

Das OVG M-V hat im Übrigen in seinen ebenfalls Beitragsschuldner des Flurstücks [...] betreffenden Beschluss vom 10. August 2010 – 1 M 141/10 – (S. 7) ausgeführt, dass diese Vereinbarung die Entstehung des Beitragspflicht nicht verhindere und es insofern an einer rechtlichen Grundlage für einen Verzicht fehle. Die durch die Vereinbarung ermöglichte Herstellung von Sammelleitungen und des Pumpwerks auf dem Grundstück sei mit der Herstellung des satzungsgemäß hergestellten Anschlusses an die zentrale Abwasserversorgungsanlage nicht gleichzusetzen.

II.

223

Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als Unterliegende zu tragen. Die Entscheidung zur Gesamtschuldnerschaft folgt aus § 100 Abs. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Abwendungsbefugnis haben ihre Grundlage in § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

224

Beschluss vom 12. Oktober 2011

225

Der Streitwert des vorliegenden Verfahrens wird gemäß § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes auf 1.603,32 € festgesetzt.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 24. Mai 2005 - 4 A 1095/04 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 3.135,11 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Kläger wendet sich als Eigentümer des Grundstücks F.straße … (Gemarkung Güstrow, Flur …, Flurstück ...) in Güstrow gegen die Erhebung eines Anschlussbeitrages für die Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung in Höhe von 3.135,11 Euro durch den Beklagten. Die der Beitragserhebung zugrunde liegende Beitragssatzung bzw. die Beitragserhebung sei rechtswidrig.

2

Der nach Zustellung des angefochtenen klageabweisenden Urteils am 27. Juli 2005 fristgemäß (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) am 26. August 2005 gestellte und mit am 27. September 2005 per Telefax auch beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz ebenso fristgerecht begründete (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

3

Unabhängig von der Frage der hinreichenden Darlegung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO liegt der zunächst zur Begründung angeführte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) jedenfalls in der Sache nicht vor.

4

In der Sache sieht der Senat diesen Zulassungsgrund als gegeben an, wenn die Zulassungsschrift - gegebenenfalls i.V.m. einem weiteren innerhalb der Antragsfrist eingegangenen Schriftsatz - Anlass gibt, das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Damit ist gesagt, dass sich der Begriff der ernstlichen Zweifel nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen kann, sondern zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen hat. So liegen etwa in den Fällen, in denen zwar die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung ersichtlich unzutreffend ist, eine andere tragfähige Begründung sich dem Senat aber ohne weiteres aufdrängt, ernstliche Zweifel im Sinne des Zulassungsrechts nicht vor. Ernstliche Zweifel können schon dann vorliegen, wenn sich die Erfolgsaussichten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend überschauen lassen, die Zulassungsschrift aber dem Senat die Einsicht vermittelt, dem Rechtsmittel seien durchaus hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen (OVG Greifswald, Beschluss vom 02.06.1998 - 1 O 23/98 -, NordÖR 1998, 306; Beschluss vom 05.08.1998 - 1 L 74/97 -, NVwZ-RR 1999, 476).

5

Gemessen an dem vorstehend erläuterten Maßstab ist der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht gegeben.

6

Das zentrale Argument des Prozessbevollmächtigte des Klägers geht dahin, für sog. "altangeschlossene" Grundstücke wie das des Klägers, der bereits im Jahre 1941 einen "Anschlussbeitrag" gezahlt habe, dürfe nicht "nochmals", nunmehr gestützt auf § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. bzw. die entsprechende Anschlussbeitragssatzung der Stadt Güstrow ein Anschlussbeitrag erhoben werden, weil dies gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße.

7

Mit der Problematik der sog. "altangeschlossenen" Grundstücke hat sich das Oberverwaltungsgericht und speziell auch der Senat bereits in der Vergangenheit auseinandergesetzt; an diese Rechtsprechung knüpft das angefochtene Urteil auf dessen zutreffende Erwägungen verwiesen wird (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), an. Die dagegen vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragenen Gründe greifen nicht durch. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 18. Oktober 2005 - 1 L 197/05 - (NordÖR 2006, 160) unter Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts im Übrigen nochmals bekräftigt, dass von den altangeschlossenen Grundstücken ein Herstellungsbeitrag erhoben werden kann, insbesondere auch wenn vor 1945 bereits Abgaben für einen Anschluss des Grundstücks an die Kanalisation entrichtet worden sind. Der Senat hat u.a. ausgeführt:

8

"1. In der Rechtsprechung des OVG Greifswald ist geklärt, dass von den so genannten altangeschlossenen Grundstücken, zu denen auch das hier streitige Grundstück gehört, ein Herstellungsbeitrag erhoben werden kann.

9

Die beitragsrechtliche Frage, wie mit den Kosten einer bereits zu DDR-Zeiten entstandenen (Schmutzwasser-)Beseitigungsanlage umzugehen ist, ist zwar auch mehr als ein Jahrzehnt nach In-Kraft-Treten der Kommunalabgabengesetze der neuen Länder nach wie vor in der Diskussion (siehe z.B. Hentschke , LKV 2004, 447, für das Recht von Brandenburg; Aussprung , LKV 2005, 202, für Mecklenburg-Vorpommern; Abgeordneter Müller , SPD, bei der Schlussabstimmung über das KAG M-V 2005 im Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2984; Abgeordnete Schulz , PDS, a.a.O., S. 2987; ferner die Landtagsdrucksachen im Verfahren zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes 4/1101, 4/1106, 4/1230 und 4/1307; schließlich die öffentliche Anhörung des federführenden Innenausschusses des Landtages vom 10. November 2004).

10

Die genannte Frage ist jetzt durch den Landesgesetzgeber inzident entschieden: Der Landesgesetzgeber hat sich - in Kenntnis der oben genannten Diskussion - nicht zu einer ausdrücklichen Änderung des Kommunalabgabengesetzes im Hinblick auf die Altanschließerproblematik entschlossen. Dies ergibt sich mittelbar auch aus den Stellungnahmen des Abgeordneten Müller , SPD, bei der Schlussabstimmung über das KAG M-V 2005 im Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2984 und der Abgeordneten Schulz , PDS, a.a.O., S. 2987.

11

Auf der Grundlage der weiter geltenden Gesetzeslage ist die folgende zwischenzeitig gefestigte Rechtsprechung des OVG Greifswald entstanden, die daher nach wie vor aktuell ist:

12

Die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für altangeschlossene bzw. neu anschließbare Grundstücke ist im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar (vgl. z.B. OVG Greifswald, Urteil vom 13. November 2001 - 4 K 16/00 -, KStZ 2002, 132 = NVwZ-RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83). Da die Abgaben erhebenden Behörden nach der Wende neue öffentliche Einrichtungen geschaffen haben, darf und muss ein Herstellungsbeitrag erhoben werden. Der Begriff der öffentlichen Einrichtung ist rechtlich (d.h. im beitragsrechtlichen Sinne), nicht aber tatsächlich zu verstehen (OVG Greifswald, Urteil vom 15. November 2000 - 4 K 8/99 -, LKV 2001, 516 = VwRR MO 2001, 175 = ZKF 2001, 160 = KStZ 2001, 174 = DÖV 2001, 610 = DVBl. 2001, 1376 = Überblick 2001, 249). Es ist daher rechtlich geboten, auch so genannte altangeschlossene Grundstücke mit Herstellungsbeiträgen zu belasten (OVG Greifswald, Urteil vom 2. Juni 2004 - 4 K 38/02 -, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; vgl. auch OVG Greifswald, Beschluss vom 12. Mai 2005 - l L 477/04 -; OVG Greifswald, Beschluss vom 11. August 2004 - 1 M 181/04 -).

13

Im Urteil vom 30. 6. 2004 - 4 K 34/02 - (NJ 2004 S. 573 = LKV 2005 S. 76 = Überblick 2004 S. 623 = NordÖR 2004 S. 417 = BauR 2005 S. 150) hat das OVG Greifswald entschieden:

14

"Die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für altangeschlossene bzw. neu anschließbare Grundstücke ist im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. l GG nicht vereinbar.

15

Die an einen Mischwasserkanal altangeschlossenen Grundstückseigentümer werden im konkreten Fall ohne sachlichen Grund bevorteilt; sie haben nur einen Beitrag nach dem Beitragssatz I zu entrichten und können dafür sowohl Schmutz- als auch Niederschlagswasser entsorgen. Schlechtergestellt werden demgegenüber die Fälle der Neuanschlüsse an einen Niederschlagswasserkanal. (Nur) hier entsteht zusätzlich auch ein Beitrag nach dem Beitragssatz II."

16

Ein Herstellungsbeitrag ist auch dann zu erheben, wenn der Betreiber der Abwasserbeseitigung eine Altanlage "übernommen" hat. Die Sanierung alter (zu DDR-Zeiten errichteter) Schmutzwasserkanäle bewirkt keine Verbesserung im beitragsrechtlichen Sinne; sie ist lediglich ein unselbstständiger Kostenfaktor, der in die Beitragskalkulation einfließt und über den Herstellungsbeitrag bzw. über Kanalbenutzungsgebühren abgegolten wird (OVG Greifswald, Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 -, LKV 2000, 161 = NordÖR 1999, 302 = VwRR MO 2000, 60 = KStZ 2000, 118 = DVBl. 1999, 1669 = Überblick 1999, 471).

17

Anderer Ansicht ist z.B. das OVG Magdeburg (Urteil vom 4. Dezember 2003 - 1 L 226/03 -, DVBl. 2004, 588 = LKV 2004, 514) unter Verweise auf die besondere Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA.

18

Die geltende Rechtslage, wonach auch die so genannten "altangeschlossenen" Grundstücke zu (Herstellungs-)Beiträgen heranzuziehen sind, erscheint keineswegs unbillig. Hier tut sich keine sog. "Gerechtigkeitslücke" auf. Beitragsfähig sind nämlich nur solche Kosten, die nach der Wende entstanden sind. Damit geht der Einwand, der in zahlreichen Prozessen erhoben worden ist, die Anlage sei bereits zu DDR-Zeiten "schon einmal bezahlt worden", ins Leere. Die heute erhobenen Beiträge betreffen lediglich "Nachwendeinvestitionen" in die öffentliche Einrichtung. Dieser Gesichtspunkt geht in der (fach-)öffentlichen Diskussion zumeist unter. Er ist aber bei den Beratungen über das Kommunalabgabengesetz 2005 durchaus im Landtag auch in dieser zutreffenden Art und Weise erörtert worden (siehe den Redebeitrag der Abgeordneten Schulz , PDS, Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2987).

19

Anderer Ansicht ist z.B. das OVG Magdeburg (Urteil vom 4. Dezember 2003 - 1 L 226/03 -, DVBl. 2004, 588 = LKV 2004, 514) unter Verweise auf die besondere Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA (Stichtagsregelung). Nach § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA entsteht eine Beitragspflicht nicht für Investitionen, die vor In-Kraft-Treten des Kommunalabgabengesetzes abgeschlossen wurden. Die sich aus dieser Vorschrift ergebende Differenzierung zwischen angeschlossenen und anzuschließenden Grundstücken verstoße - so führt das OVG Magdeburg (Urt. vom 4. 12. 2003 a.a.O.) aus - nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil der Gesetzgeber habe berücksichtigen dürfen, dass der Anschluss an eine Abwasserbeseitigungseinrichtung nach den faktischen Verhältnissen auch vor In-Kraft-Treten des KAG und der Kommunalverfassung dauerhaft gesichert gewesen sei. Der sachliche Grund für die vom Gesetzgeber mit § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA vorgesehene Differenzierung liege darin, dass sich der Gesetzgeber von der Annahme habe leiten lassen dürfen, dass die Anschlussmöglichkeit für die Grundstückseigentümer, die vor In-Kraft-Treten des Kommunalabgabengesetzes an eine leitungsgebundene Einrichtung angeschlossen gewesen seien, jedenfalls faktisch dauerhaft gesichert gewesen sei, sodass den Grundstückseigentümern eine dem § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA der Sache nach gleichkommende Vorteilslage bereits vor dem In-Kraft-Treten des Kommunalabgabengesetzes geboten worden sei. Damit habe der Gesetzgeber den faktischen Verhältnissen in der ehemaligen DDR Rechnung getragen.

20

Dieser Auffassung kann so nicht gefolgt werden. Sie läuft in der Sache darauf hinaus, dass die von den heute Abgaben erhebenden Körperschaften nach der Wende, aber vor In-Kraft-Treten der Kommunalabgabengesetze getätigten Investitionen allein auf die Neuanschlussnehmer umgelegt werden müssten. Hierin ist, wie oben ausgeführt, ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen. Vom OVG Magdeburg wird in der genannten Entscheidung, in der ausdrücklich auf die gegenteilige Ansicht des OVG Greifswald hingewiesen wird (OVG Greifswald, Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 -, a.a.O.), der rechtliche Gesichtspunkt, dass Beiträge nur die nach der Wende getätigten Investitionen refinanzieren sollen, nicht hinreichend in den Blick genommen. Außerdem sind in Sachsen-Anhalt dann die nicht über Herstellungsbeiträge zu deckenden Kosten über Verbesserungsbeiträge refinanzierbar ( Klausing in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand 3/05, § 8 Rn. 1057b), was zu wirtschaftlich vergleichbaren Ergebnissen führt.

21

2. Ferner ist in der Rechtsprechung des OVG Greifswald geklärt, dass im Anschlussbeitragsrecht nach der Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. die sachliche Beitragspflicht erst im Zeitpunkt hat entstehen können, zu dem eine wirksame Beitragssatzung erlassen worden ist. Der von der Klägerseite erhobene Verjährungseinwand schlägt daher fehl.

22

Die (auch) in Mecklenburg-Vorpommern anzutreffende gesetzliche Regelung, dass im Bereich der Anschlussbeiträge die (sachliche) Beitragspflicht frühestens mit In-Kraft-Treten einer Satzung entsteht (§ 8 Abs. 7 Satz 2 KAG M-V a.F., jetzt § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V), wird in ständiger Rechtsprechung vom OVG Greifswald (so bereits Beschluss vom 8. April 1999 - 1 M 41/99 -, n.v.) dahin gehend verstanden, dass es sich hierbei um eine wirksame Satzung handeln muss. Dies entspricht auch der seit dem 31. März 2005 in Mecklenburg-Vorpommern geltenden Gesetzeslage. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V spricht von der "ersten wirksamen Satzung".

23

Diese Ansicht (zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG M-V a.F.) wurde in der Rechtsprechung zunächst nahezu einheitlich vertreten. Erst nachdem das OVG Münster (Urt. vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, 535) unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung hergeleitet hat, dass auch eine nicht wirksame (d.h. ungültige, nichtige) Satzung für den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht relevant ist, ist die Diskussion in Gang geraten. Das OVG Münster hat seine Auffassung damit begründet, der Zweck des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW erschöpfe sich darin, den Gemeinden eine ordnungsgemäße verwaltungstechnische Abwicklung der Vielzahl von Beitragsfällen zu ermöglichen, die mit dem In-Kraft-Treten des KAG NRW am 1. Januar 1970 (!) entstanden wären. Dieser Auffassung hat sich das OVG Frankfurt/Oder (Urt. vom 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE -, LKV 2001, 132 = VwRR MO 2000, 410) im Ergebnis angeschlossen. Da aus diesem Grunde die Gefahr einer Verjährung von Beitragsforderungen drohte, ist in Brandenburg der Landesgesetzgeber im Jahre 2003 tätig geworden und hat in § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG klargestellt, dass die Beitragspflicht frühestens mit In-Kraft-Treten der "rechtswirksamen" Satzung entsteht.

24

Das OVG Greifswald (zuletzt im Beschluss vom 3. Mai 2005 - 1 L 56/04 -; ferner im Beschluss vom 11. August 2004 - 1 M 181/04 -; Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 L 288/04 -; Urteil vom 2. Juni 2004 - 4 K 38/02 -, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; Beschluss vom 2. Dezember 2003 - 1 M 72/03 -; auch Urteil vom 13. November 2001 - 4 K 16/00 -, KStZ 2002, 132 = NVwZ-RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83; auch Becker , KStZ 2001, 181) ist der vom OVG Münster beziehungsweise OVG Frankfurt/Oder vertretenen Rechtsauffassung nachdrücklich entgegengetreten und hat an seiner ständigen Rechtsprechung zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F., wonach es für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht auf das In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung ankommt, festgehalten. Zudem hat der Landesgesetzgeber durch § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V eventuelle letzte Zweifel ausgeräumt.

25

Da es sich bei den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes und auch der Abgabenordnung, soweit sie über § 12 Abs. 1 KAG (a. F. bzw. M-V) Anwendung findet, um Landesrecht handelt, ist es rechtlich nicht erheblich, dass für andere Landesrechte andere Oberverwaltungsgerichte eventuell eine andere Rechtsauffassung zu ähnlichen Rechtsfragen vertreten haben bzw. vertreten.

26

3. Soweit sich die Klägerseite in der Begründungsschrift auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs beruft, weil das Verwaltungsgericht ihr Vorbringen nicht hinreichend zur Kenntnis genommen habe, verleiht dies der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Der weitere Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist von Klägerseite nicht geltend gemacht worden. Im Übrigen liegt ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann, auch in der Sache nicht vor.

27

a) Das von Klägerseite zitierte Kapitel des Einigungsvertrages (Kap. XIV Abschnitt II Zif. 11) ist dann auch in das Bundesrecht übernommen worden (heute § 242 Abs. 9 BauGB). Wie bereits dem von Klägerseite zitierten Wortlaut des Einigungsvertrages entnommen werden kann, bezieht sich diese Regelung ausschließlich auf Erschließungsbeiträge nach Bundesrecht (BauGB). Darum geht es im vorliegenden Fall indes nicht. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Erhebung eines Anschlussbeitrages nach Landesrecht.

28

b) Rechtlich nicht relevant ist, ob nach dem von Klägerseite zitierten Landesabgabengesetz vom 07. April 1934 seinerzeit hätten Abgaben welcher Art auch immer für einen Anschluss eines Grundstücks an eine Kanalisation erhoben werden können. In der Rechtsprechung des OVG Greifswald ist nämlich ferner geklärt, dass der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung sich nur auf die nach der Wende gegründeten Abgaben erhebenden Körperschaften bezieht. Das bedeutet, dass selbst in dem Falle, dass auf der Grundlage des Landesabgabengesetzes von 1934 eine einem Beitrag vergleichbare Entgeltabgabe entrichtet worden ist, das Grundstück nach der Wende zu einem Herstellungbeitrag nach dem KAG 1993 herangezogen werden kann. Der Einwand der Einmaligkeit der Beitragerhebung greift somit nicht durch. So führt auch das OVG Bautzen, Beschluss vom 24. Oktober 1996 - 2 S 175/96 -, LKV 1997, 219, zu Recht aus:

29

"Gegen eine unter dem SächsKAG entstehende Beitragspflicht bestehen auch unter dem Gesichtspunkt der Einmaligkeit der Beitragserhebung dann keine Bedenken, wenn vor 1945 schon einmal ein Beitrag erhoben wurde oder hätte erhoben werden können. Der Mangel an Rechtskontinuität der Abgaben erhebenden Behörden hat zur Folge, dass vor 1945 entrichtete Beiträge keine Sperrwirkung unter dem Gesichtspunkt der Einmaligkeit der Beitragserhebung entfalten können. Eine erneute Beitragserhebung ist also ohne Berücksichtigung und Anrechnung der vor 1945 gezahlten 'Altbeiträge' zulässig."

..."

30

Insbesondere der Umstand, dass die heute vom Beklagten erhobenen Beiträge lediglich "Nachwendeinvestitionen" in die öffentliche Einrichtung betreffen, macht deutlich, dass sich die Problematik des Rückwirkungsverbotes gar nicht stellt und auch nicht von einer "nochmaligen" Beitragserhebung in dem Sinne, dass der Kläger für dieselbe Sache/Einrichtung im Rechtssinne ein zweites Mal zahlen müsste, ausgegangen werden kann.

31

Aus den vorstehenden Gründen bzw. wegen der in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts geklärten Rechtslage ergibt sich zugleich, dass die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2 (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache) und Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) jedenfalls nicht vorliegen.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 52 Abs. 3, 47 GKG.

33

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

34

Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 24. Mai 2005 - 4 A 1095/04 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 3.135,11 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Kläger wendet sich als Eigentümer des Grundstücks F.straße … (Gemarkung Güstrow, Flur …, Flurstück ...) in Güstrow gegen die Erhebung eines Anschlussbeitrages für die Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung in Höhe von 3.135,11 Euro durch den Beklagten. Die der Beitragserhebung zugrunde liegende Beitragssatzung bzw. die Beitragserhebung sei rechtswidrig.

2

Der nach Zustellung des angefochtenen klageabweisenden Urteils am 27. Juli 2005 fristgemäß (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) am 26. August 2005 gestellte und mit am 27. September 2005 per Telefax auch beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz ebenso fristgerecht begründete (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

3

Unabhängig von der Frage der hinreichenden Darlegung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO liegt der zunächst zur Begründung angeführte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) jedenfalls in der Sache nicht vor.

4

In der Sache sieht der Senat diesen Zulassungsgrund als gegeben an, wenn die Zulassungsschrift - gegebenenfalls i.V.m. einem weiteren innerhalb der Antragsfrist eingegangenen Schriftsatz - Anlass gibt, das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Damit ist gesagt, dass sich der Begriff der ernstlichen Zweifel nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen kann, sondern zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen hat. So liegen etwa in den Fällen, in denen zwar die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung ersichtlich unzutreffend ist, eine andere tragfähige Begründung sich dem Senat aber ohne weiteres aufdrängt, ernstliche Zweifel im Sinne des Zulassungsrechts nicht vor. Ernstliche Zweifel können schon dann vorliegen, wenn sich die Erfolgsaussichten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend überschauen lassen, die Zulassungsschrift aber dem Senat die Einsicht vermittelt, dem Rechtsmittel seien durchaus hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen (OVG Greifswald, Beschluss vom 02.06.1998 - 1 O 23/98 -, NordÖR 1998, 306; Beschluss vom 05.08.1998 - 1 L 74/97 -, NVwZ-RR 1999, 476).

5

Gemessen an dem vorstehend erläuterten Maßstab ist der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht gegeben.

6

Das zentrale Argument des Prozessbevollmächtigte des Klägers geht dahin, für sog. "altangeschlossene" Grundstücke wie das des Klägers, der bereits im Jahre 1941 einen "Anschlussbeitrag" gezahlt habe, dürfe nicht "nochmals", nunmehr gestützt auf § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. bzw. die entsprechende Anschlussbeitragssatzung der Stadt Güstrow ein Anschlussbeitrag erhoben werden, weil dies gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße.

7

Mit der Problematik der sog. "altangeschlossenen" Grundstücke hat sich das Oberverwaltungsgericht und speziell auch der Senat bereits in der Vergangenheit auseinandergesetzt; an diese Rechtsprechung knüpft das angefochtene Urteil auf dessen zutreffende Erwägungen verwiesen wird (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), an. Die dagegen vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragenen Gründe greifen nicht durch. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 18. Oktober 2005 - 1 L 197/05 - (NordÖR 2006, 160) unter Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts im Übrigen nochmals bekräftigt, dass von den altangeschlossenen Grundstücken ein Herstellungsbeitrag erhoben werden kann, insbesondere auch wenn vor 1945 bereits Abgaben für einen Anschluss des Grundstücks an die Kanalisation entrichtet worden sind. Der Senat hat u.a. ausgeführt:

8

"1. In der Rechtsprechung des OVG Greifswald ist geklärt, dass von den so genannten altangeschlossenen Grundstücken, zu denen auch das hier streitige Grundstück gehört, ein Herstellungsbeitrag erhoben werden kann.

9

Die beitragsrechtliche Frage, wie mit den Kosten einer bereits zu DDR-Zeiten entstandenen (Schmutzwasser-)Beseitigungsanlage umzugehen ist, ist zwar auch mehr als ein Jahrzehnt nach In-Kraft-Treten der Kommunalabgabengesetze der neuen Länder nach wie vor in der Diskussion (siehe z.B. Hentschke , LKV 2004, 447, für das Recht von Brandenburg; Aussprung , LKV 2005, 202, für Mecklenburg-Vorpommern; Abgeordneter Müller , SPD, bei der Schlussabstimmung über das KAG M-V 2005 im Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2984; Abgeordnete Schulz , PDS, a.a.O., S. 2987; ferner die Landtagsdrucksachen im Verfahren zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes 4/1101, 4/1106, 4/1230 und 4/1307; schließlich die öffentliche Anhörung des federführenden Innenausschusses des Landtages vom 10. November 2004).

10

Die genannte Frage ist jetzt durch den Landesgesetzgeber inzident entschieden: Der Landesgesetzgeber hat sich - in Kenntnis der oben genannten Diskussion - nicht zu einer ausdrücklichen Änderung des Kommunalabgabengesetzes im Hinblick auf die Altanschließerproblematik entschlossen. Dies ergibt sich mittelbar auch aus den Stellungnahmen des Abgeordneten Müller , SPD, bei der Schlussabstimmung über das KAG M-V 2005 im Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2984 und der Abgeordneten Schulz , PDS, a.a.O., S. 2987.

11

Auf der Grundlage der weiter geltenden Gesetzeslage ist die folgende zwischenzeitig gefestigte Rechtsprechung des OVG Greifswald entstanden, die daher nach wie vor aktuell ist:

12

Die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für altangeschlossene bzw. neu anschließbare Grundstücke ist im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar (vgl. z.B. OVG Greifswald, Urteil vom 13. November 2001 - 4 K 16/00 -, KStZ 2002, 132 = NVwZ-RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83). Da die Abgaben erhebenden Behörden nach der Wende neue öffentliche Einrichtungen geschaffen haben, darf und muss ein Herstellungsbeitrag erhoben werden. Der Begriff der öffentlichen Einrichtung ist rechtlich (d.h. im beitragsrechtlichen Sinne), nicht aber tatsächlich zu verstehen (OVG Greifswald, Urteil vom 15. November 2000 - 4 K 8/99 -, LKV 2001, 516 = VwRR MO 2001, 175 = ZKF 2001, 160 = KStZ 2001, 174 = DÖV 2001, 610 = DVBl. 2001, 1376 = Überblick 2001, 249). Es ist daher rechtlich geboten, auch so genannte altangeschlossene Grundstücke mit Herstellungsbeiträgen zu belasten (OVG Greifswald, Urteil vom 2. Juni 2004 - 4 K 38/02 -, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; vgl. auch OVG Greifswald, Beschluss vom 12. Mai 2005 - l L 477/04 -; OVG Greifswald, Beschluss vom 11. August 2004 - 1 M 181/04 -).

13

Im Urteil vom 30. 6. 2004 - 4 K 34/02 - (NJ 2004 S. 573 = LKV 2005 S. 76 = Überblick 2004 S. 623 = NordÖR 2004 S. 417 = BauR 2005 S. 150) hat das OVG Greifswald entschieden:

14

"Die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für altangeschlossene bzw. neu anschließbare Grundstücke ist im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. l GG nicht vereinbar.

15

Die an einen Mischwasserkanal altangeschlossenen Grundstückseigentümer werden im konkreten Fall ohne sachlichen Grund bevorteilt; sie haben nur einen Beitrag nach dem Beitragssatz I zu entrichten und können dafür sowohl Schmutz- als auch Niederschlagswasser entsorgen. Schlechtergestellt werden demgegenüber die Fälle der Neuanschlüsse an einen Niederschlagswasserkanal. (Nur) hier entsteht zusätzlich auch ein Beitrag nach dem Beitragssatz II."

16

Ein Herstellungsbeitrag ist auch dann zu erheben, wenn der Betreiber der Abwasserbeseitigung eine Altanlage "übernommen" hat. Die Sanierung alter (zu DDR-Zeiten errichteter) Schmutzwasserkanäle bewirkt keine Verbesserung im beitragsrechtlichen Sinne; sie ist lediglich ein unselbstständiger Kostenfaktor, der in die Beitragskalkulation einfließt und über den Herstellungsbeitrag bzw. über Kanalbenutzungsgebühren abgegolten wird (OVG Greifswald, Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 -, LKV 2000, 161 = NordÖR 1999, 302 = VwRR MO 2000, 60 = KStZ 2000, 118 = DVBl. 1999, 1669 = Überblick 1999, 471).

17

Anderer Ansicht ist z.B. das OVG Magdeburg (Urteil vom 4. Dezember 2003 - 1 L 226/03 -, DVBl. 2004, 588 = LKV 2004, 514) unter Verweise auf die besondere Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA.

18

Die geltende Rechtslage, wonach auch die so genannten "altangeschlossenen" Grundstücke zu (Herstellungs-)Beiträgen heranzuziehen sind, erscheint keineswegs unbillig. Hier tut sich keine sog. "Gerechtigkeitslücke" auf. Beitragsfähig sind nämlich nur solche Kosten, die nach der Wende entstanden sind. Damit geht der Einwand, der in zahlreichen Prozessen erhoben worden ist, die Anlage sei bereits zu DDR-Zeiten "schon einmal bezahlt worden", ins Leere. Die heute erhobenen Beiträge betreffen lediglich "Nachwendeinvestitionen" in die öffentliche Einrichtung. Dieser Gesichtspunkt geht in der (fach-)öffentlichen Diskussion zumeist unter. Er ist aber bei den Beratungen über das Kommunalabgabengesetz 2005 durchaus im Landtag auch in dieser zutreffenden Art und Weise erörtert worden (siehe den Redebeitrag der Abgeordneten Schulz , PDS, Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2987).

19

Anderer Ansicht ist z.B. das OVG Magdeburg (Urteil vom 4. Dezember 2003 - 1 L 226/03 -, DVBl. 2004, 588 = LKV 2004, 514) unter Verweise auf die besondere Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA (Stichtagsregelung). Nach § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA entsteht eine Beitragspflicht nicht für Investitionen, die vor In-Kraft-Treten des Kommunalabgabengesetzes abgeschlossen wurden. Die sich aus dieser Vorschrift ergebende Differenzierung zwischen angeschlossenen und anzuschließenden Grundstücken verstoße - so führt das OVG Magdeburg (Urt. vom 4. 12. 2003 a.a.O.) aus - nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil der Gesetzgeber habe berücksichtigen dürfen, dass der Anschluss an eine Abwasserbeseitigungseinrichtung nach den faktischen Verhältnissen auch vor In-Kraft-Treten des KAG und der Kommunalverfassung dauerhaft gesichert gewesen sei. Der sachliche Grund für die vom Gesetzgeber mit § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA vorgesehene Differenzierung liege darin, dass sich der Gesetzgeber von der Annahme habe leiten lassen dürfen, dass die Anschlussmöglichkeit für die Grundstückseigentümer, die vor In-Kraft-Treten des Kommunalabgabengesetzes an eine leitungsgebundene Einrichtung angeschlossen gewesen seien, jedenfalls faktisch dauerhaft gesichert gewesen sei, sodass den Grundstückseigentümern eine dem § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA der Sache nach gleichkommende Vorteilslage bereits vor dem In-Kraft-Treten des Kommunalabgabengesetzes geboten worden sei. Damit habe der Gesetzgeber den faktischen Verhältnissen in der ehemaligen DDR Rechnung getragen.

20

Dieser Auffassung kann so nicht gefolgt werden. Sie läuft in der Sache darauf hinaus, dass die von den heute Abgaben erhebenden Körperschaften nach der Wende, aber vor In-Kraft-Treten der Kommunalabgabengesetze getätigten Investitionen allein auf die Neuanschlussnehmer umgelegt werden müssten. Hierin ist, wie oben ausgeführt, ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen. Vom OVG Magdeburg wird in der genannten Entscheidung, in der ausdrücklich auf die gegenteilige Ansicht des OVG Greifswald hingewiesen wird (OVG Greifswald, Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 -, a.a.O.), der rechtliche Gesichtspunkt, dass Beiträge nur die nach der Wende getätigten Investitionen refinanzieren sollen, nicht hinreichend in den Blick genommen. Außerdem sind in Sachsen-Anhalt dann die nicht über Herstellungsbeiträge zu deckenden Kosten über Verbesserungsbeiträge refinanzierbar ( Klausing in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand 3/05, § 8 Rn. 1057b), was zu wirtschaftlich vergleichbaren Ergebnissen führt.

21

2. Ferner ist in der Rechtsprechung des OVG Greifswald geklärt, dass im Anschlussbeitragsrecht nach der Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. die sachliche Beitragspflicht erst im Zeitpunkt hat entstehen können, zu dem eine wirksame Beitragssatzung erlassen worden ist. Der von der Klägerseite erhobene Verjährungseinwand schlägt daher fehl.

22

Die (auch) in Mecklenburg-Vorpommern anzutreffende gesetzliche Regelung, dass im Bereich der Anschlussbeiträge die (sachliche) Beitragspflicht frühestens mit In-Kraft-Treten einer Satzung entsteht (§ 8 Abs. 7 Satz 2 KAG M-V a.F., jetzt § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V), wird in ständiger Rechtsprechung vom OVG Greifswald (so bereits Beschluss vom 8. April 1999 - 1 M 41/99 -, n.v.) dahin gehend verstanden, dass es sich hierbei um eine wirksame Satzung handeln muss. Dies entspricht auch der seit dem 31. März 2005 in Mecklenburg-Vorpommern geltenden Gesetzeslage. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V spricht von der "ersten wirksamen Satzung".

23

Diese Ansicht (zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG M-V a.F.) wurde in der Rechtsprechung zunächst nahezu einheitlich vertreten. Erst nachdem das OVG Münster (Urt. vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, 535) unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung hergeleitet hat, dass auch eine nicht wirksame (d.h. ungültige, nichtige) Satzung für den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht relevant ist, ist die Diskussion in Gang geraten. Das OVG Münster hat seine Auffassung damit begründet, der Zweck des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW erschöpfe sich darin, den Gemeinden eine ordnungsgemäße verwaltungstechnische Abwicklung der Vielzahl von Beitragsfällen zu ermöglichen, die mit dem In-Kraft-Treten des KAG NRW am 1. Januar 1970 (!) entstanden wären. Dieser Auffassung hat sich das OVG Frankfurt/Oder (Urt. vom 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE -, LKV 2001, 132 = VwRR MO 2000, 410) im Ergebnis angeschlossen. Da aus diesem Grunde die Gefahr einer Verjährung von Beitragsforderungen drohte, ist in Brandenburg der Landesgesetzgeber im Jahre 2003 tätig geworden und hat in § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG klargestellt, dass die Beitragspflicht frühestens mit In-Kraft-Treten der "rechtswirksamen" Satzung entsteht.

24

Das OVG Greifswald (zuletzt im Beschluss vom 3. Mai 2005 - 1 L 56/04 -; ferner im Beschluss vom 11. August 2004 - 1 M 181/04 -; Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 L 288/04 -; Urteil vom 2. Juni 2004 - 4 K 38/02 -, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; Beschluss vom 2. Dezember 2003 - 1 M 72/03 -; auch Urteil vom 13. November 2001 - 4 K 16/00 -, KStZ 2002, 132 = NVwZ-RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83; auch Becker , KStZ 2001, 181) ist der vom OVG Münster beziehungsweise OVG Frankfurt/Oder vertretenen Rechtsauffassung nachdrücklich entgegengetreten und hat an seiner ständigen Rechtsprechung zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F., wonach es für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht auf das In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung ankommt, festgehalten. Zudem hat der Landesgesetzgeber durch § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V eventuelle letzte Zweifel ausgeräumt.

25

Da es sich bei den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes und auch der Abgabenordnung, soweit sie über § 12 Abs. 1 KAG (a. F. bzw. M-V) Anwendung findet, um Landesrecht handelt, ist es rechtlich nicht erheblich, dass für andere Landesrechte andere Oberverwaltungsgerichte eventuell eine andere Rechtsauffassung zu ähnlichen Rechtsfragen vertreten haben bzw. vertreten.

26

3. Soweit sich die Klägerseite in der Begründungsschrift auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs beruft, weil das Verwaltungsgericht ihr Vorbringen nicht hinreichend zur Kenntnis genommen habe, verleiht dies der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Der weitere Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist von Klägerseite nicht geltend gemacht worden. Im Übrigen liegt ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann, auch in der Sache nicht vor.

27

a) Das von Klägerseite zitierte Kapitel des Einigungsvertrages (Kap. XIV Abschnitt II Zif. 11) ist dann auch in das Bundesrecht übernommen worden (heute § 242 Abs. 9 BauGB). Wie bereits dem von Klägerseite zitierten Wortlaut des Einigungsvertrages entnommen werden kann, bezieht sich diese Regelung ausschließlich auf Erschließungsbeiträge nach Bundesrecht (BauGB). Darum geht es im vorliegenden Fall indes nicht. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Erhebung eines Anschlussbeitrages nach Landesrecht.

28

b) Rechtlich nicht relevant ist, ob nach dem von Klägerseite zitierten Landesabgabengesetz vom 07. April 1934 seinerzeit hätten Abgaben welcher Art auch immer für einen Anschluss eines Grundstücks an eine Kanalisation erhoben werden können. In der Rechtsprechung des OVG Greifswald ist nämlich ferner geklärt, dass der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung sich nur auf die nach der Wende gegründeten Abgaben erhebenden Körperschaften bezieht. Das bedeutet, dass selbst in dem Falle, dass auf der Grundlage des Landesabgabengesetzes von 1934 eine einem Beitrag vergleichbare Entgeltabgabe entrichtet worden ist, das Grundstück nach der Wende zu einem Herstellungbeitrag nach dem KAG 1993 herangezogen werden kann. Der Einwand der Einmaligkeit der Beitragerhebung greift somit nicht durch. So führt auch das OVG Bautzen, Beschluss vom 24. Oktober 1996 - 2 S 175/96 -, LKV 1997, 219, zu Recht aus:

29

"Gegen eine unter dem SächsKAG entstehende Beitragspflicht bestehen auch unter dem Gesichtspunkt der Einmaligkeit der Beitragserhebung dann keine Bedenken, wenn vor 1945 schon einmal ein Beitrag erhoben wurde oder hätte erhoben werden können. Der Mangel an Rechtskontinuität der Abgaben erhebenden Behörden hat zur Folge, dass vor 1945 entrichtete Beiträge keine Sperrwirkung unter dem Gesichtspunkt der Einmaligkeit der Beitragserhebung entfalten können. Eine erneute Beitragserhebung ist also ohne Berücksichtigung und Anrechnung der vor 1945 gezahlten 'Altbeiträge' zulässig."

..."

30

Insbesondere der Umstand, dass die heute vom Beklagten erhobenen Beiträge lediglich "Nachwendeinvestitionen" in die öffentliche Einrichtung betreffen, macht deutlich, dass sich die Problematik des Rückwirkungsverbotes gar nicht stellt und auch nicht von einer "nochmaligen" Beitragserhebung in dem Sinne, dass der Kläger für dieselbe Sache/Einrichtung im Rechtssinne ein zweites Mal zahlen müsste, ausgegangen werden kann.

31

Aus den vorstehenden Gründen bzw. wegen der in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts geklärten Rechtslage ergibt sich zugleich, dass die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2 (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache) und Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) jedenfalls nicht vorliegen.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 52 Abs. 3, 47 GKG.

33

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

34

Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 06. August 2008 – 3 A 192/08 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger, Eigentümer des 473 qm großen Grundstücks Flurstück …/…, Flur …, Gemarkung …., wendet sich gegen die Erhebung von Schmutz- und Niederschlagswasserbeiträgen.

2

Der Beklagte zog den Kläger mit Bescheiden vom 6. Juni 2007 zu einem Anschlussbeitrag für die Schmutzwasserbeseitigungsanlage in Höhe von 210,49 € (S 170317/016017) sowie zu einem Beitrag für die Niederschlagswasserbeseitigung (N 1170317/016422) in Höhe von 90,82 € heran. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 11. Januar 2008 (Eingangsstempel auf dem als Anlage zur Klageerhebung übersandten Bescheidexemplar: 14. Januar 2008) zurück.

3

Der Kläger erhob am 14. Februar 2008 Klage vor dem Verwaltungsgericht Greifswald (3 A 192/08). Das Verwaltungsgericht wies diese Klage mit Urteil vom 6. August 2008 – zugestellt am 14. August 2008 – ab und ließ zugleich die Berufung zu. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die angefochtenen Bescheide hätten eine ausreichende Grundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserentsorgung – Schmutzwasser und Niederschlagswasser – der Universitäts- und Hansestadt Greifswald (Beitragssatzung – BS) vom 6. Januar 2004 i.d.F. der 3. Änderungssatzung vom 10. Oktober 2007. Diese Satzung sei wirksam, insbesondere seien die Beitragssätze nicht zu beanstanden. Dies gelte auch für den verhältnismäßig niedrigen Deckungsgrad von 22,94 % bzw. 28,71 % der beitragsfähigen Herstellungskosten. Dass der jeweils offene Differenzbetrag über die Gebühren finanziert werden solle, verstoße nicht gegen die „Soll-Regelung“ des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG MV. Die Flächenseite der Kalkulation sei nicht zu beanstanden. Die Grundstücksflächen sogenannter altangeschlossener Grundstücke dürften entgegen der Auffassung des Klägers berücksichtigt werden. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte im Lande. Wollte man die Erhebung eines Herstellungsbeitrages auf die Eigentümer oder dinglich Berechtigten derjenigen Grundstücke beschränken, bei denen die Anschlussmöglichkeit erst nach dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes geschaffen wurde, hieße dies, die erheblichen Kosten im Wesentlichen vornehmlich auf den verhältnismäßig kleinen Kreis der Eigentümer von Grundstücken in den seit 1990 neu geschaffenen Eigenheim- oder Gewerbegebieten zu verteilen. Das wäre mit dem dem Beitragsrecht immanenten Solidarprinzip nicht zu vereinbaren. Die dagegen erhobenen, das Argument der rechtlichen Absicherung der Abwasserentsorgung sowie eine frühere Zahlung von Anschlussgebühren oder ähnlichen Leistungsäquivalenten bzw. Eigenleistungen betreffenden Einwände des Klägers könnten demgegenüber nicht überzeugen. Der abgestufte Vollgeschossmaßstab sei nicht zu beanstanden, ebenso wenig die Erhebung von Herstellungs- anstelle von Erneuerungsbeiträgen. Auch dass der Beklagte seit geraumer Zeit Abwassergebühren erhebe, stehe der Geltendmachung eines Herstellungsbeitrages nicht entgegen. Der Beitragsanspruch sei auch nicht wegen Festsetzungsverjährung erloschen. Verwirkung sei nicht eingetreten, Erlassgründe lägen nicht vor.

4

Am 15. September 2008 (Montag) hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Berufung eingelegt und am 14. Oktober 2008 bei dem Oberverwaltungsgericht unter Stellung eines Berufungsantrages beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 14. November 2008 zu verlängern. Nach gewährter Fristverlängerung hat er seine Berufung mit an diesem Tag bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

5

Er macht geltend, dass bereits vor der Wende eine rechtlich gesicherte Einleitungsmöglichkeit bestanden habe; § 4 Abs. 2 WassG i.V.m. den Abwassereinleitungsbedingungen v. 22. Dezember 1987 habe die rechtlich gesicherte Möglichkeit begründet, Abwässer einzuleiten. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, nach der Wende seien tatsächlich neue Anlagen errichtet worden, sei unrichtig. Der flächenmäßig überwiegende Teil der Abwasserbeseitigungsanlage habe – anders als die Auffangeinrichtungen oder die Abwasserbehandlungsanlagen, für die das gelten möge – nicht saniert werden müssen und sei alt. Es entspreche nicht dem Rechtsstaatsprinzip und dem Vertrauensschutz, Grundstückseigentümern, die schon seit Jahrzehnten an das Abwassernetz angeschlossen seien, Anschlussbeiträge für eine neue Anlage aufzuerlegen. Der Gesetzgeber habe die nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung alt- und neuangeschlossener Grundstücke erkannt und deshalb § 242 Abs. 9 BauGB geschaffen. Dass der Landesgesetzgeber eine solche Regelung unterlassen habe, sei bedenklich. Gegen den in der Satzung festgelegten Deckungsgrad von weniger als 30% wende er sich nicht.

6

Der Kläger beantragt,

7

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 06. August 2008 die Beitragsbescheide des Beklagten vom 06. Juni 2007 – S 1170317/016017 und N 1170317/016422 – in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2008 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

9

die Berufung zurückzuweisen.

10

Er vertritt den Standpunkt, die Gleichbehandlung von Alt- und Neuanschließern sei rechtlich geboten. Alle Greifswalder Grundeigentümer profitierten in gleichem Umfang von der neu hergestellten Abwasserbeseitigungsanlage. Auch wenn die zu DDR Zeiten errichtete Abwasserbeseitigungsanlage funktionsfähig gewesen sei, so hätten die technischen Einrichtungen mit ihrer allein mechanischen Klärung der Abwässer heutigen Reinigungsstandards nicht genügt. Die Millioneninvestitionen der A-Stadt seien daher großteils in das neue Klärwerk geflossen, um die gesetzlichen Reinigungsstandards erstmals zu gewährleisten. Auch für die vorhandenen Kanäle seien Verbindlichkeiten der Nordwasser i.L. zu übernehmen gewesen. Die von Klägerseite kritisierte obergerichtliche Rechtsprechung zur Heranziehung von Altanschließern sei schließlich vom Gesetzgeber bewusst nicht korrigiert worden.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakte A und B) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

13

Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers gegen die Bescheide des Beklagten vom 6. Juni 2007 zutreffend für zulässig, aber unbegründet erachtet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

14

Der Kläger ist der Ansicht des Verwaltungsgerichts, die den Bescheiden zugrundeliegende Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserentsorgung – Schmutzwasser und Niederschlagswasser – der Universitäts- und Hansestadt Greifswald vom 6. Januar 2004 i.d.F. der 3. Änderungssatzung vom 10. Oktober 2007 sei wirksam, im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten. Insbesondere hat er sich ausdrücklich nicht gegen den von dem Verwaltungsgericht angesprochenen, dem Beitragssatz für die öffentliche Schmutzwasseranlage nach § 6 Abs. 1 BS zugrundeliegenden „verhältnismäßig niedrigen“ Deckungsgrad der Refinanzierung des Herstellungsaufwandes durch Beiträge gewendet. Der Senat sieht mangels einschlägigen Berufungsvortrages keine Veranlassung, die Bemessung des Beitragssatzes aus diesem Grunde einer weiteren Prüfung zu unterziehen oder gar zu beanstanden (vgl. zur Frage der Beitragserhebungspflicht das Urteil des Senates v. 03.05.2011 - 1 L 59/10 -, NordÖR 2011, 493ff.).

15

Soweit sich der Kläger mit seiner Berufung allein gegen seine Heranziehung zu Schmutzwasser- und Niederschlagswasserbeiträgen als Eigentümer eines sogenannten „altangeschlossenen Grundstückes“ wendet, führt sein Vorbringen nicht zum Erfolg. Der Kläger benennt keine Gesichtspunkte, die nicht schon Gegenstand der zu dieser Fragestellung ergangenen Senatsrechtsprechung, an der festgehalten wird, gewesen wären.

16

Mit der Problematik der sog. "altangeschlossenen" Grundstücke haben sich die für das Abgabenrecht zuständigen Senate des Oberverwaltungsgerichts in der Vergangenheit mehrfach auseinandergesetzt. Der Senat hat in früheren Beschlüssen (vgl. nur Beschl. v. 06.02.2007 - 1 L 295/05 -, NordÖR 2007, 433 [Leitsatz], juris, Rn. 7 ff.; Beschl. vom 18.10.2005 - 1 L 197/05 -, NordÖR 2006, 160) unter Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts (vgl. nur Urt. v. 13.11.2001 - 4 K 16/00 -, NVwZ-RR 2002, 687 ff. m.w.N.) bekräftigt, dass von den Eigentümern altangeschlossener Grundstücke ein Herstellungsbeitrag erhoben werden kann und die Bestimmung unterschiedlicher Beitragssätze für sog. „altangeschlossene“ und sog. „neuangeschlossene“ Grundstücke im Grundsatz willkürlich ist. In diesem Zusammenhang hat er u.a. ausgeführt (vgl. Beschl. v. 18.10.2005, a.a.O.):

17

„Die beitragsrechtliche Frage, wie mit den Kosten einer bereits zu DDR-Zeiten entstandenen Schmutzwasserbeseitigungsanlage umzugehen ist, ist zwar auch mehr als ein Jahrzehnt nach In-Kraft-Treten der Kommunalabgabengesetze der neuen Länder nach wie vor in der Diskussion (siehe z.B. Hentschke, LKV 2004, 447; Aussprung, LKV 2005, 202). Die genannte Frage ist jetzt durch den Landesgesetzgeber inzident entschieden: Er hat sich - in Kenntnis der oben genannten Diskussion - nicht zu einer ausdrücklichen Änderung des Kommunalabgabengesetzes im Hinblick auf die Altanschließerproblematik entschlossen. Dies ergibt sich mittelbar auch aus den Stellungnahmen des Abgeordneten M… bei der Schlussabstimmung über das KAG M-V 2005 im Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2984 und der Abgeordneten S…, a.a.O., S. 2987. Auf der Grundlage der weiter geltenden Gesetzeslage ist die folgende zwischenzeitig gefestigte Rechtsprechung des OVG Greifswald entstanden, die nach wie vor aktuell ist:

18

Die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für altangeschlossene bzw. neu anschließbare Grundstücke ist im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Da die Abgaben erhebenden Behörden nach der Wende neue öffentliche Einrichtungen geschaffen haben, darf und muss ein Herstellungsbeitrag erhoben werden. Der Begriff der öffentlichen Einrichtung ist rechtlich (d.h. im beitragsrechtlichen Sinne), nicht aber tatsächlich zu verstehen. Es ist daher rechtlich geboten, auch so genannte „altangeschlossene“ Grundstücke mit Herstellungsbeiträgen zu belasten.

19

Im Urteil vom 30. Juni 2004 - 4 K 34/02 - (NJ 2004 S. 573 = LKV 2005 S. 76 = Überblick 2004 S. 623 = NordÖR 2004 S. 417 = BauR 2005 S. 150) hat das OVG Greifswald entschieden, dass die an einen Mischwasserkanal altangeschlossenen Grundstückseigentümer im konkreten Fall ohne sachlichen Grund bevorteilt werden; sie hätten nur einen Beitrag nach dem Beitragssatz I zu entrichten und könnten dafür sowohl Schmutz- als auch Niederschlagswasser entsorgen. Schlechtergestellt würden demgegenüber die Fälle der Neuanschlüsse an einen Niederschlagswasserkanal. (Nur) hier entstehe zusätzlich auch ein Beitrag nach dem Beitragssatz II.

20

Ein Herstellungsbeitrag ist auch dann zu erheben, wenn der Betreiber der Abwasserbeseitigung eine Altanlage "übernommen" hat. Die Sanierung alter (zu DDR-Zeiten errichteter) Schmutzwasserkanäle bewirkt keine Verbesserung im beitragsrechtlichen Sinne; sie ist lediglich ein unselbstständiger Kostenfaktor, der in die Beitragskalkulation einfließt und über den Herstellungsbeitrag bzw. über Kanalbenutzungsgebühren abgegolten wird (OVG Greifswald, Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 -, LKV 2000, 161 = NordÖR 1999, 302).

21

Die geltende Rechtslage, wonach auch die so genannten "altangeschlossenen" Grundstücke zu (Herstellungs-)Beiträgen heranzuziehen sind, erscheint keineswegs unbillig. Hier tut sich keine sog. "Gerechtigkeitslücke" auf. Beitragsfähig sind nämlich nur solche Kosten, die nach der Wende entstanden sind. Damit geht der Einwand, der in zahlreichen Prozessen erhoben worden ist, die Anlage sei bereits zu DDR-Zeiten "schon einmal bezahlt worden", ins Leere. Die heute erhobenen Beiträge betreffen lediglich "Nachwendeinvestitionen" in die öffentliche Einrichtung. Dieser Gesichtspunkt geht in der (fach-)öffentlichen Diskussion zumeist unter. Er ist aber bei den Beratungen über das Kommunalabgabengesetz 2005 durchaus im Landtag auch in dieser zutreffenden Art und Weise erörtert worden (siehe den Redebeitrag der Abgeordneten S…, Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2987).“

22

An all dem ist festzuhalten. Der Kläger ist insbesondere nochmals auf den zuletzt angesprochenen Aspekt hinzuweisen, wonach auch die Eigentümer von bereits vor dem Beitritt an eine Abwasseranlage angeschlossenen Grundstücken durch die nunmehrige Erhebung von Herstellungsbeiträgen – neben der Deckung von übernommenen Verbindlichkeiten – allein für die Refinanzierung von Investitionen herangezogen werden, die die Stadt nach dem Zeitpunkt des Beitritts getätigt hat („Nachwendeinvestitionen“). Es wäre nicht einzusehen – darauf hat das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen –, warum mit diesen Kosten allein der Kreis der Eigentümer von Grundstücken in den seit 1990 neu geschaffenen Eigenheim- oder Gewerbegebieten belastet werden sollte. Die Vorteile der Millioneninvestitionen in zeitgemäße technische Anlagen wie Klärwerke kommen den „alt-angeschlossenen“ Grundstücken in gleichem Maße zugute wie denjenigen, die erst nach dem Beitritt an die Anlage angeschlossen worden sind. Soweit es des Weiteren um die Finanzierung von übernommenen Verbindlichkeiten geht, die der Beklagte angesprochen hat, so ist darauf hinzuweisen, dass dafür der Kläger als Eigentümer eines bereits zu früherer Zeit angeschlossenen Grundstückes keine Entgelte gezahlt hat und auch insoweit kein Grund ersichtlich ist, mit dieser Aufwandsposition allein „neuangeschlossene“ Grundstücke zu belasten.

23

Auch der Hinweis des Klägers auf § 242 Abs. 9 BauGB führt nicht weiter. Auch dazu hat der Senat bereits entschieden, dass diese Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich sein kann, weil sie ausschließlich die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung vor allem von Straßen regelt, um die es aber hier nicht geht (vgl. Beschl. v. 06.02.2007, a.a.O.). Auch der Vorstellung des Klägers, der Landesgesetzgeber hätte für die Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen eine entsprechende Regelung treffen müssen, ist nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass der Kläger nicht aufzeigt und auch nicht ersichtlich ist, woraus sich eine Verpflichtung des Gesetzgebers zu einer solchen Bestimmung ergeben sollte, lässt sein Einwand auch die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Erschließungsbeiträgen nach den §§ 127 ff. BauGB und den Kanalanschlussbeiträgen außer acht. Erschließungsanlagen nach § 127 Abs. 2 BauGB (zumeist öffentliche Straßen und Plätze) sind einzelne technische Einrichtungen mit bis zu ihrer endgültigen Herstellung von der Errichtung weiterer technischer Anlagen unabhängiger überschaubarer Bauzeit, die naturgemäß in dem Zeitraum vor der Wende ihren Abschluss finden konnten. In diesem Falle sollen die Anliegergrundstücke nicht mit hohen Erschließungsbeiträgen, sondern wegen des dann höheren Gemeindeanteils nur mit niedrigeren Straßenbaubeiträgen belastet und insoweit privilegiert werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.07.2007 – 9 C 5.06 –, juris, Rn. 27). Eine völlige Freistellung von Beiträgen ist demzufolge nicht geregelt. Bei der Abwasserbeseitigungseinrichtung handelt es sich um eine aus verschiedenen einzelnen technischen Bestandteilen (Leitungsnetz, Klärwerke etc.) bestehende Gesamtanlage im rechtlichen Sinne, deren (erstmalige) Herstellung sich über Jahrzehnte erstrecken kann und deren Fertigstellungszeitpunkt als kommunale Anlage im Sinne des neuen Rechts nicht vor dem Zeitpunkt des Beitrittes liegen konnte. Infolgedessen waren Abwasserbeseitigungseinrichtungen vor dem Zeitpunkt des Beitritts noch nicht „bereits hergestellt“. Selbst wenn man das im Einzelfall aber annehmen wollte, müssten nach dem § 242 Abs. 9 BauGB zugrundeliegenden Gedanken (keine gänzliche Freistellung von Beiträgen) auch nunmehr Erneuerungsbeiträge für die umfangreichen Anlagenmodernisierungen erhoben werden. Weil jedoch ohnehin nur „Nachwendeinvestitionen“ als dem Betreiber der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage entstandener Aufwand umgelegt werden dürfen, wäre der danach zu erhebende Beitrag auch nicht geringer als der Beitrag für die Herstellung der Anlage (vgl. Aussprung, a.a.O., 203).

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

25

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

26

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Revisionszulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen.

Tenor

Der Bescheid vom 2. Juni 2009 - Az.: S [...]/09 - und der Widerspruchsbescheid vom 3. September 2009 - Az.: S [...]/09 - werden aufgehoben.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte ist befugt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet haben.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung eines Schmutzwasseranschlussbeitrages durch den Beklagten.

2

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks [...] (Flurstück [...] mit einer Größe von 604 m². Mit Schreiben vom 10. September 2007 hörte der Beklagte die Kläger zur Erhebung von Herstellungsbeiträgen an, wonach voraussichtlich ein Beitrag von 3.904,32 € anfallen würde.

3

Gestützt auf die Schmutzwasserbeitragssatzung des Zweckverbandes B-Stadt vom 7. Mai 2009 (im Folgenden: BSSW 2009) setzte der Beklagte den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser mit Bescheid vom 2. Juni 2009 auf 2.701,65,-- € fest. Dabei berücksichtigte er gemäß § 6 Abs. 2 d) BSSW 2009 eine Teilfläche von 581 m², einen Nutzungsfaktor von 1,5 sowie den Beitragssatz von 3,10 €/m².

4

Die Kläger erhoben gegen diesen Bescheid am 10. Juni 2009 Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2009 - zugestellt am 5. September 2009 - zurückwies. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Als Eigentümer treffe die Kläger eine Beitragspflicht nach den im Ausgangsbescheid genannten Bestimmungen des KAG M-V, da sie wegen des Anschlusses auch Vorteile hätten. Die dem Beitragssatz zugrunde liegende Kalkulation genüge den rechtlichen Anforderungen. Die Globalkalkulation enthalte die differenziert ermittelten beitragsfähigen Aufwendungen des gesamten Herstellungszeitraums. Die Kalkulation habe allen Mitgliedern der Verbandsversammlung vorgelegen.

5

Die Kläger haben am 30. September 2009 Klage erhoben und tragen ergänzend vor: Es sei ausdrücklich zu bezweifeln, dass der Verbandsversammlung bei der Beschlussfassung über die Satzung 2009 eine ordnungsgemäße Kalkulation des Beitragssatzes vorgelegen habe. Es sei den Unterlagen des Zweckverbandes B-Stadt nicht zu entnehmen, ob die Schmutzwasserbeseitigungsanlagen vom Wirkungsgrad nahezu identisch sind. Sie legen darüber hinaus im Einzelnen dar, dass und warum aus ihrer Sicht die Kalkulation des Beklagten unzutreffend sei.

6

Die Kläger beantragen,

7

den Beitragsbescheid des Beklagten - S [...]/09 - vom 2. Juni 2009 und dessen Widerspruchsbescheid vom 3. September 2009 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge einschließlich der Kalkulationsunterlagen zur Schmutzwasserbeitragssatzung 2009 und der Kalkulationsunterlagen zur Schmutzwasserbeitragssatzung 2007 [...] verwiesen.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom vom 2. Juni 2009 und dessen Widerspruchsbescheid vom 3. September 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).

13

1. Den Bescheiden fehlt es an einer wirksamen Rechtsgrundlage. Zwar hat die Verbandsversammlung des Zweckverbandes B-Stadt die u. a. im Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 27. Juni 2008 - 8 A 1654/06 - aufgezeigten Mängel hinsichtlich der Bestimmung der Abgabenschuldner, des Entstehens der Beitragspflicht, des Beitragsmaßstabs und der Regelung zur Ablösevereinbarung durch die hier maßgebliche Schmutzwasserbeitragssatzung (BSSW 2009) vom 7. Mai 2009 beanstandungsfrei berichtigt. Dies führt aus nachfolgenden Gründen dennoch nicht zur Wirksamkeit der Satzung.

14

2. Mit höherrangigem Recht unvereinbar und damit nichtig sind aber einige zentrale Regelungen zur Ermittlung und Bestimmung von Vollgeschossen in den Absätzen 4 und 5 des § 6 BSSW 2009.

15

Diese lauten auszugsweise:

16

"(4) [...]

17

c) ist eine Geschosszahl des Gebäudes nach Abs. 5 nicht feststellbar, gilt ein Nutzungsfaktor von 1,0

18

[...]

19

(5) [...]

20

e) Als Vollgeschosse gelten alle Geschosse, deren Deckenhöhe im Mittel mehr als 1,40 m über die Geländeoberfläche hinausragt und die über mindestens zwei Drittel der Grundfläche des darunter liegenden Geschosses oder, wenn kein darunter liegendes Geschoss vorhanden ist, zwei Drittel ihrer Grundfläche von mindestens 2,30 m haben. Zwischenböden und Zwischendecken, die unbegehbare Hohlräume von einem Geschoss abtrennen, bleiben bei der Anwendung von Satz 1 unberücksichtigt. Bei Gebäuden, die vor dem 30. 04. 1994 entsprechend den Anforderungen bisherigen Rechts errichtet wurden, müssen die Mindesthöhen nach [gemäß] Satz 1 nicht erreicht werden.

21

f) Ist die Zahl der Vollgeschosse wegen der Besonderheit des Bauwerkes nicht feststellbar, gilt als Zahl der Vollgeschosse die durch 2,6 geteilte Gebäudehöhe, wobei nach kaufmännischen Regeln auf ganze Zahlen auf- oder abgerundet wird."

22

a) Die Bestimmungen in § 6 Abs. 4 c) und Abs. 5 f) BSSW 2009 zur Bestimmung von Vollgeschossen widersprechen sich. Sie geben der Verwaltung des Zweckverbandes zwei unterschiedliche Handlungsanweisungen bei im wesentlichen gleichen Voraussetzungen. Können die Vollgeschosse nicht festgestellt werden, soll nämlich einerseits der Nutzungsfaktor 1,0 betragen, andererseits sich der Nutzungsfaktor nach der durch 2,6 zu teilenden Gebäudehöhe richten. Die Bestimmungen finden sich auch in keinem Spezialitätsverhältnis zueinander, da es unerheblich ist, weshalb bei dem betreffenden Gebäude keine Geschosse oder Vollgeschosse festzustellen sind. Dieser Widerspruch ist mit der Folge unauflösbar, dass diese Bestimmungen nichtig sind.

23

b) Durchgreifenden Bedenken begegnet auch die Regelung in § 6 Abs. 5 e) BSSW 2009. Die fehlende Festlegung einer bestimmten Geschosshöhe für Bauten, die vor dem 30. April 1994 errichtet worden sind, widerspricht nach Auffassung der Kammer dem Gleichheitsgrundsatz in Bezug auf die anders behandelten Bauten, die nach diesem Stichtag errichtet worden sind. Eine solche Unterscheidung kann im Hinblick auf die bauliche Nutzbarkeit des Grundstücks unter Berücksichtigung der vermittelten Vorteile nur dann als zulässig angesehen werden, wenn Altbauten auch mit geringerer Deckenhöhe als der Vollgeschossregelung für Neubauten generell weitgehender nutzbar sind. Dies ist aber in dieser Allgemeinheit nicht der Fall. Insbesondere Dachgeschosse von Neubauten mit Dachschrägen können baurechtlich durchaus ebenfalls zu Wohnzwecken und selbst zu gewerblichen Zwecken genutzt werden, ohne dass sie beitragsrechtlich als Vollgeschosse gewertet werden. Damit werden aufgrund dieser weitgehenden Regelung Geschosse in Altbauten ohne hinreichenden sachlichen Grund weitergehend als Neubauten zur Berechnung des Vorteils herangezogen. Zwar hat die Kammer bereits ähnliche Formulierungen in Beitragssatzungen als wirksam angesehen. Diese Regelungen unterscheiden sich jedoch von der des § 6 Abs. 5 e) BSSW 2009 dadurch signifikant, dass sie zumindest einige Einschränkungen bezüglich der Anrechenbarkeit bei Dachschrägen und einer geringeren Geschosshöhe des Obergeschosses gegenüber dem Untergeschoss enthalten, die die Ungleichbehandlung relativieren bzw. sachlich legitimieren.

24

c) Da es sich bei den genannten Vorschriften um Regeln zur Definition und Feststellung der maßgebenden Vollgeschosse um zentrale Bestimmungen zur Ermittlung des Beitragsmaßstabs in § 6 BSSW 2009 handelt, führt die Nichtigkeit der genannten Vorschriften zur Nichtigkeit der gesamten Satzung.

25

3. Die Zweifel der Kläger, dass der Zweckverband B-Stadt gemäß § 1 BSSW 2009 keine einheitliche zentrale öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage betreiben dürfe, weil die Anlagenteile zu unterschiedlich seien, haben sich nicht bestätigt. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt, dass die verschiedenen Kläranlagen qualitativ im Wesentlichen vergleichbar sind.

26

4. Entgegen der Ansicht der Kläger ist der in § 7 Abs. 1 BSSW festgesetzte Beitragssatz auch mit Blick auf die ihm zugrunde liegende Kalkulation aus dem Jahr 2009 nicht zu beanstanden. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte zunächst nachvollziehbar dargelegt, wie die Anschaffungs- und Herstellungskosten in der Tabelle Kostenermittlung in den Spalten zur "Schmutzwasserentsorgung Zentral" aus der Anlagenbuchhaltung ermittelt und angepasst worden sind. Da die Werte aus der Anlagenbuchhaltung 2007 übernommen worden sind, manche Anlagenwerte aber erst (bis zu) drei Jahre nach Inbetriebnahme der Anlage in die Anlagenbuchhaltung mit entsprechend abgeschriebenen Beträgen eingestellt werden, mussten sie in der Spalte "Anlagen in Bau" entsprechend den Vorgaben des § 9 Abs. 2 KAG M-V angepasst werden, da nach dieser Bestimmung nur die Anschaffungs- und Herstellungskosten, nicht aber die abgeschriebenen Werte in der Kalkulation zu berücksichtigen sind. Zudem sind die Beträge der Spalten "Anlagen in Bau" bzw. "Invest(itions)-Planung" sowie die Zuarbeiten von Herrn G. und Frau D. und deren Tabellen angepasst und fortgeführt worden. Daraus und aus gelegentlichen Fehlern in der Kalkulation 2005 ergeben sich die von den Klägern monierten Abweichungen gegenüber der Kalkulation 2005. Abweichungen ergeben sich ferner daraus, dass einige Gemeinden zwischenzeitlich umgemeindet worden sind. Weitere scheinbare Differenzen ergeben sich aus dem Umstand, dass die Tabelle "Kostenermittlung" nach Gemeinden, während Tabellen aus der vorhergehenden Kalkulation nach Klärwerken sortiert sind.

27

Die Kläranlage der Gemeinde J. ist kostenseitig in der Kalkulation nicht enthalten, da sie vom Netz genommen worden ist. Hinsichtlich der Kläranlage Neukloster sind die Kosten der Fäkalannahmestelle zutreffend herausgerechnet worden, wie Dipl. Ing. (FH) G. bereits in einem Vermerk zur vorhergehenden Kalkulation empfohlen hatte. Kosten der jeweiligen Gemeinden bei der Herstellung von Kanälen für die Niederschlagsbeseitigung brauchten schon deshalb nicht herausgerechnet zu werden, weil die Abwasserkanäle im Verbandsgebiet durchgehend im Trennsystem errichtet worden sind.

28

Die Fördermittel des Landes Mecklenburg-Vorpommern für die Gemeinde J. in Höhe von ca. 2,1 Mio € für den Beitritt der Gemeinde zum Zweckverband sind in der Kalkulation lediglich mit 395.000,-- € berücksichtigt worden. Der Restbetrag von ca. 1,4 Mio €, der dem Zweckverband offenbar von der Gemeinde geschenkt worden ist, ist in die allgemeinen Haushaltsmittel eingeflossen. Dies ist nach Auffassung der Kammer rechtmäßig. Dabei ist daran zu erinnern, dass die Fördermittel der Gemeinde zustanden und diese zum großen Teil ohne Zweckbindung gezahlt worden sind. Da der Vertrag zur Aufnahme der Gemeinde J. in den Zweckverband keinerlei Bestimmungen über die zweckgebundene Verwendung der der Gemeinde zugeflossenen Fördermittel durch den Zweckverband enthält, waren diese auch nicht notwendig in die Kalkulation einzustellen. Wenn der Zweckverband dies dennoch in Höhe der bereits genannten 395.000,-- € getan hat, weil insoweit ein konkreter Anlagenteil gleichsam mit Mitteln finanziert worden ist, die seitens der Gemeinde J. - ohne Zweckbindung - zugeflossen sind, ist diese beitragsmindernde Verfahrensweise nicht zu beanstanden, auch wenn sie nicht zwingend rechtlich geboten war.

29

Die von der Klägerseite aufgezeigten Abweichungen in den Flächen zwischen den Kalkulationen 2005 und 2009 sind darin begründet, dass neuere Planungen erfasst worden sind, ältere Planungen, sich im Kalkulationszeitraum voraussichtlich nicht realisieren lassen, in der neuen Satzung die Tiefenbegrenzung weggefallen ist und sich durch Gemeindezusammenschlüsse Abweichungen in der Zuordnung von Gemeindegebieten gegeben hat. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt, weshalb einzelne Grundstücke nicht mehr erfasst sind. Sie sind aus der Flächenerfassung herausgefallen, weil die darauf vorhandene Bebauung abgerissen worden ist und es sich künftig um Außenbereichsflächen im Sinne des § 35 BauBG handelt. Der Beklagte hatte Kommissionen bestehend aus den jeweiligen Bürgermeistern, Bauamtsmitarbeitern und Mitarbeitern des Zweckverbandes gebildet und anhand von Luftbildern und Katasterunterlagen die jeweiligen Grundstücke beitragsrechtlich bewertet. Dies war auch wegen der konkreten Ermittlung der Tiefenbegrenzung einzelner Grundstücke erforderlich

30

Hinsichtlich des Beitritts der Gemeinde J. wird - ohne dass es im vorliegenden Fall darauf ankommt - darauf hingewiesen, dass der Zweckverband nicht gehindert wäre, Beiträge auch in den Fällen zu erheben, in denen Beiträge bereits an die Gemeinde gezahlt worden sind. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragszahlung bezieht sich nur auf eine bestimmte öffentliche Einrichtung (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 26. März 1992 - 2 L 167/91 -, KStZ 1992, 157 [159 r. Sp.]). Wechselt der Aufgabenträger, kommt diesem Grundsatz nur eingeschränkte Bedeutung zu. Das VG Halle hat dazu ausgeführt:

31

"Bei einem Wechsel des Einrichtungsträgers kommt diesem Grundsatz daher nur eingeschränkte Bedeutung zu. Geht die Aufgabe der Abwasserbeseitigung von einer Gemeinde auf einen Zweckverband über, ist dieser grundsätzlich befugt, einen (weiteren) Herstellungsbeitrag zur Deckung des Aufwandes für seine öffentliche leitungsgebundene Einrichtung auch von den Eigentümern der im Gebiet der beigetretenen Gemeinde gelegenen Grundstücken zu erheben, selbst wenn diese bereits Beiträge für die öffentliche leitungsgebundene Einrichtung der Gemeinde gezahlt haben, da die öffentliche Einrichtung des Zweckverbandes mit der öffentlichen Einrichtung der Gemeinde nicht identisch ist. [...] Soweit der Zweckverband jedoch für die Übernahme der zur öffentlichen Einrichtung der Gemeinde gehörenden Anlagen ein Entgelt gezahlt hat und der von ihm erhobene Beitrag auch zur Deckung des insoweit entstandenen Aufwands dient, ist es geboten, zur Vermeidung einer Doppelbelastung den bereits von der Gemeinde zu einem Beitrag herangezogenen Grundstückseigentümern einen Nachlass zu gewähren, denn andernfalls würden diese mehrfach zur Finanzierung derselben Anlagen herangezogen. Das Verbot der Doppelbelastung folgt letztlich aus dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es bedarf hier keiner Vertiefung, in welcher Höhe ein derartiger Nachlass zu gewähren ist. Insbesondere kann hier offen bleiben, ob die von den Grundstückseigentümern an die Gemeinde gezahlten Beiträge in voller Höhe auf den nunmehr vom Zweckverband erhobenen Beitrag anzurechnen sind oder ob ein Nachlass nur gewährt werden muss, soweit der vom Zweckverband erhobene Beitrag zur Refinanzierung der von der Gemeinde entgeltlich übernommenen Anlagen dient, da nur insoweit eine 'Doppelfinanzierung' durch die Grundstückseigentümer zu besorgen ist. [...]"

32

vgl. VG Halle, Beschl. v. 26. März 2008 - 4 B 521/07 - zit. nach juris Rn. 8; ferner BayVGH, Urteil vom 31. März 1992 - 23 B 89.1906 - KStZ 1994, 55 [56 f. mwN]; VG Ansbach, Beschluss vom 15. Februar 2007 - AN 1 S 06.02269 - zit. nach juris Rn. 49.

33

5. Sog. Altanschließer können auch nicht beitragsrechtlich günstiger behandelt werden, als "Spätanschließer" (dazu nachfolgend a) und b)). Der Beitragsanspruch des Zweckverbandes B-Stadt ist auch nicht endgültig verjährt oder verwirkt (c)). Dies ergibt sich aus Folgendem:

34

a) Der in einer (rechtmäßigen) Schmutzwasserbeitragssatzung festgelegte einheitliche Beitragssatz für alt- und neuangeschlossene Grundstücke würde nicht den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG bzw. das Willkürverbot verletzen, sondern wäre sogar geboten. In der hier maßgeblichen Satzung ist in § 7 ein einheitlicher Beitragssatz festgesetzt worden, der - soweit ersichtlich - gleichermaßen für die sogenannten Altanschließer, d.h. Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetz (KAG 1993) an die Wasserversorgung angeschlossen waren, als auch die neuangeschlossenen Grundstücke gilt. Dies ist auch nach neuerlicher Prüfung nicht zu beanstanden und entspricht der sog. Altanschließer-Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (OVG M-V), der die Kammer folgt (vgl. Urt. v. 21. Mai 2008 - 8 A 2429/05 -). Durch die auf neuer Rechtsgrundlage neu geschaffene öffentliche Einrichtung "Schmutzwasserentsorgung" wird allen angeschlossenen bzw. anschließbaren Grundstücken erstmals der gleiche rechtlich dauerhaft abgesicherte Vorteil verschafft. Dies gilt sowohl für "Altanschließer" als auch für neu angeschlossene Grundstücke (vgl. OVG M-V, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 L 295/05 -, zit. nach juris, Rn. 12 mwN; Urt. v. 13. November 2001 - 4 K 16/00 - zit. nach juris Rn. 58 ff. unter Hinweis auf den Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 -, NordÖR 1999, 302 zit. nach juris Rn. 16 ff.). Diese Rechtsprechung wurde vom Landesgesetzgeber bei der Novellierung des KAG M-V 2005 unter Hinweis auf seine Bindung an den Gleichheitssatz aufgenommen und berücksichtigt (LtDrs 4/1307, S. 48).

35

b) Den Klägern kann auch nicht darin gefolgt werden, wenn sie sich in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf § 242 Abs. 9 des Baugesetzbuches (BauGB; früher: § 246a Abs. 1 Nr. 11 BauGB a.F.) darauf berufen, dass die Erhebung von Beiträgen unzulässig ist, weil die Schmutzwasseranlage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Einigungsvertrages bereits hergestellt gewesen sei. Denn bei einer solchen Anlage handelt es sich um keine Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB. In § 127 Abs. 4 BauGB wird bezüglich (u. a.) leitungsgebundener Anlagen ausdrücklich darauf verwiesen, dass das Recht zur Erhebung von Beiträgen für diese Anlagen unberührt bleibt, sofern andere Gesetze - wie insbesondere die Kommunalabgabengesetze der Länder - dies vorsehen (dazu Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 127 Rn. 50; Kniest, in: Ferner/Kröninger/Aschke, BauGB, 2. Aufl. 2008, § 127 Rn. 27). Im Umkehrschluss folgt daraus, dass der Bundesgesetzgeber in den Fällen von bereits zu "DDR-Zeiten" fertig gestellten öffentlich-rechtlichen leitungsgebundenen Anlagen gerade keine zeitliche Sperre für eine Beitragserhebung vorschreiben wollte.

36

c) Der Beitragsanspruch des Zweckverbandes B-Stadt ist auch nicht gemäß § 12 KAG 1993 bzw. § 12 Abs. 2 KAG M-V in Verbindung mit §§ 169 ff. AO endgültig verjährt. Danach galt bzw. gilt eine Festsetzungsfrist von vier Jahren. Diese Frist beginnt nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres, indem die Abgabe (abstrakt) entstanden ist. Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 war dies der Zeitpunkt der Anschlussmöglichkeit des Grundstücks an die Anlage, frühestens mit Inkrafttreten der ersten Beitragssatzung. Dabei ist zunächst klarzustellen, dass ein einmal verjährter Beitragsanspruch durch eine gesetzliche Neuregelung oder eine neue Beitragssatzung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht wieder aufleben könnte (vgl. nur Steiner, LKV 2009, 254 [255 f. mwN]).

37

aa) Allerdings sind im Falle der Schmutzwasserbeiträge des Zweckverbandes B-Stadt bisher keine Beitragsansprüche verjährt, weil die maßgebenden Festsetzungsfristen überhaupt noch nicht angelaufen sind.

38

(1) Die Frist beginnt nach Auffassung des Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, welcher der Kammer folgt, erst mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung (vgl. nur OVG M-V, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 L 295/05 - aaO, Rn. 21 ff.; Beschl. v. 27. Januar 2006 - 1 M 60/06 - zit. nach juris Rn. 8, weitere Nachweise bei Aussprung, NordÖR 2005, 240 [246 Fn. 43]), nicht hingegen mit der Veröffentlichung einer (Vorgänger-) Satzung mit formellem Geltungsanspruch. Dies entspricht nunmehr auch dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 KAG M-V 2005 (vgl. dazu auch LtDrs 4/1307 S. 48 unter Hinweis auf die dazu ergangene Rechtsprechung des OVG M-V).

39

(2) Der in diesem Zusammenhang zitierten Rechtsprechung des OVG Brandenburg ist nicht zu folgen. Danach soll für den Beginn der Festsetzungsverjährung der Erlass der ersten Abgabensatzung unabhängig von deren Wirksamkeit maßgebend sein (vgl. zu der entsprechenden landesrechtlichen Bestimmung OVG Brandenburg, Urt. v. 8. Juni 2000 - 2 D 29/98 -, zit. nach juris, LS 1 und Rn. 49; ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 - zit. nach juris LS 2 und Rn. 19 unter Aufgabe seiner gegenteiligen Rechtsprechung). Diese Auffassung ist mit dem kommunalen Abgabenrecht Mecklenburg-Vorpommerns unvereinbar, da durch eine nichtige Satzung die Beitragspflicht nicht entstehen kann (zutreffend Becker, KStZ 2001, 161 [164]; Becker/Schiebold, LKV 2001, 94 [95]). Zudem widerspricht eine solche Auslegung dem Sinn und Zweck des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993. Danach entstand die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung. Die Satzung konnte einen späteren Zeitpunkt bestimmen. Die Regelungen hat der Gesetzgeber für das Anschlussbeitragsrecht für erforderlich gehalten, um das Entstehen der Beitragspflicht für leitungsgebundene Einrichtungen vorzuverlegen (vgl. LtDrs 1/113 S. 8 [Nr. 5 zu § 8]). Dies ist im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen auch sinnvoll, da - würde auf den Zeitpunkt der Fertigstellung der gesamten Entwässerungseinrichtung abgestellt - dies das Entstehen der Beitragspflicht um Jahre verzögern könnte. Zudem hat (vgl. Landtagsdrucksache, aaO.) der Landesgesetzgeber eine Sonderregelung für die Anschlussbeiträge deshalb für erforderlich gehalten, weil eventuell Anschlussmöglichkeiten bereits vor Inkrafttreten des KAG M-V gegeben und eine Beitrags- oder eine einmalige Anschlussgebührenpflicht nach altem (preußischen) Recht nicht entstanden war. Für diesen Fall sollte die Anschlusspflicht frühestens mit Inkrafttreten der ersten Satzung entstehen, die den Anschlussbeitrag nach neuem Recht regelt. (vgl. auch OVG M-V, Beschl. v. 29. Juli 1997 - 6 M 93/97 - zit. nach juris, Rn. 25). § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 diente daher in gewissem Umfang auch dem Schutz des kommunalen Aufgabenträgers (ebenso Becker, KStZ 2001, 161 [162 f.; unter Hinweis auf die in den neuen Bundesländern bestehenden Probleme bei der Gründung von Zweckverbänden] sowie Becker/Schiebold LKV 2001, 94 [95]). Entgegen der Meinung des OVG Brandenburg (aaO Rn. 48 mwN) stellte § 8 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 2 KAG 1993 auch keine Ausnahmeregelung dar, da das Inkrafttreten der Satzung neben der Anschließbarkeit des Grundstücks zwingend ist (vgl. auch Becker, KStZ 2001, 161 [163]; Becker/Schiebold, LKV 2001, 94 [95]). Das OVG Berlin-Brandenburg vertritt im Übrigen nunmehr ebenfalls die Auffassung, dass Beginn der Verjährungsfrist neben der Herstellung der Anschlussmöglichkeit an das Grundstück das Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12. Dezember 2007 - 8 B 44.06 - zit. nach juris, LS und Rn. 50). Eine solche Auslegung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. näher Steiner, LKV 2009, 254 [255 f.]).

40

bb) Eine endgültige Verjährung des Beitragsanspruches konnte im vorliegenden Fall schon deshalb nicht eintreten, weil die Festsetzungsfrist nach den vorstehenden Ausführungen nicht anlaufen konnte. Die bisherigen Beitragssatzungen des Zweckverbandes B-Stadt waren sämtlich rechtsunwirksam:

41

(1) Die Beitrags- und Gebührenssatzung des Zweckverbandes B-Stadt vom 1. März 1992 war nichtig, weil sie nicht im eigenen Amtsblatt des Zweckverbandes oder einer von der Verbandssatzung bestimmten Zeitung veröffentlicht worden ist, sondern im Wismarer Kreisanzeiger mit Amtsblatt für den Landkreis B-Stadt. Dabei handelt es sich um das amtliche Veröffentlichungsorgan (nur) für den Landkreis B-Stadt, in dem Satzungen anderer Träger nicht rechtswirksam veröffentlicht werden können. Denn nach § 5 Abs. 3 dem Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung - KV DDR) waren Satzungen zu veröffentlichen. Wenn es dort auch an näheren Bestimmungen zur Veröffentlichung fehlt, war es dennoch ausgeschlossen in einem Amtsblatt eines fremden Hoheitsträgers Satzungen zu veröffentlichen. Es musste sich aber - nach Maßgabe der Hauptsatzung - um das eigene amtliche Veröffentlichungsorgan oder jedenfalls um eine Tages- oder Wochenzeitung handeln (vgl. auch Bretzinger/Büchner-Uhder, Kommunalverfassung, 1. Aufl. 1991, § 5 Rn. 8). In materieller Hinsicht war die Satzung schon deshalb nichtig, weil sie entgegen § 8 Abs. 1 KAG 1991 bei der Bestimmung des Baukostenzuschusses in Nr. 2.1 nicht auf die individuellen Vorteile des jeweils bevorteilten Grundstücks abstellten, sondern pauschal (mit hier nicht interessierenden Modalitäten) einen Baukostenzuschuss von 2.000,-- DM festsetzten.

42

(2) Die Beitrags- und Gebührensatzung vom 1. Juli 1993 ist aus den gleichen Gründen wie die Vorgängersatzung nichtig. Der pauschale Baukostenzuschusses von 3.000,-- DM stellte nicht auf die Vorteile des Anschlusses des Grundstücks ab.

43

(3) Auch die Beitrags- und Gebührensatzung in der Fassung vom 22. Dezember 1993 ist ebenfalls fehlerhaft im Wismarer Kreisanzeiger veröffentlicht. Zudem begegnet sie in materieller Hinsicht durchgreifenden Bedenken, weil der in Nr. 1.3 bestimmte pauschale Anschlussbeitrag von 750,-- DM je Entsorgungseinheit unabhängig von der Größe und Art des Grundstück festgelegt wurde, also gleichfalls nicht auf die Vorteile für das jeweilige angeschlossene Grundstück abstellte.

44

(4) Die am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Satzung vom 22. Dezember 1995 war gleichfalls nichtig. Zum einen bestanden materielle Fehler insoweit, als beim Beitragsmaßstab die Außenbereichsflächen mit der GRZ von 0,4 vorteilswidrig zu hoch angesetzt und keine Abgeltungsfläche festgelegt war. Dies ist aber wegen der Einmaligkeit der Beitragsveranlagung notwendig. Zum anderen lag der Verbandsversammlung keine ordnungsgemäße Kalkulation vor. Ihr hat nur eine Tabelle mit den maßgebenden Daten vorgelegen, nicht aber notwendige weitere Unterlagen. Zudem waren für Teilmaßnahmen Teilbeiträge ermittelt und danach addiert worden, obgleich die Satzung keine Kostenspaltung vorsah (dazu VG Schwerin, Urt. v. 28. Juni 2001 - 4 A 2239/01 - sowie Beschl. v. 19. Oktober 1999 - 4 B 889/98 zur Kalkulation).

45

(5) Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass auch die Satzung von 18. Oktober 2000 gegen höherrangiges Recht verstoßen hat und damit nichtig war. Dem Beitragssatz lag keine ordnungsgemäße Kalkulation zu Grunde. Die Vollgeschossfaktoren in Satzung und Kalkulation wichen voneinander ab. Zudem lagen Fehler bei Flächenermittlung vor, da der Vollgeschossfaktor der Satzung nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Schließlich waren die Kläranlagen in die Kalkulation nicht einbezogen worden (vgl. VG Schwerin, Urt. v. 3. Juni 2004 - 4 A 1623/02). Die Satzung vom 20. Dezember 2005 ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 27. Juni 2008 - 8 A 1654/08 - aus materiellen, die Satzung betreffenden Gründe für nichtig erklärt worden.

46

(6) Die Nichtigkeit der früheren Satzungen muss nicht durch Normenkontrollentscheidung gemäß § 47 VwGO in Verbindung mit § 13 des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsstrukturgesetz durch das OVG M-V festgestellt werden, um daraus Konsequenzen für die Verjährung im vorliegenden Verfahren herleiten zu können. Bei Satzungen ist die Verwerfungskompetenz der Gerichte nicht auf das abstrakte Normenkontrollverfahren beschränkt. Vielmehr können auch Verwaltungsgerichte bei Überprüfung einzelner Abgabenbescheide Satzungen im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle auf ihre Wirksamkeit (inzidenter) überprüfen, soweit hierzu Anlass besteht.

47

(7) Dem jeweiligen Beitragsschuldner steht auch kein Vertrauensschutz in die Rechtswirksamkeit der Vorgängersatzungen zur Seite. Das Ergebnis, wonach im Beitragsrecht eine spätere rechtswirksame Satzung den Zeitraum einer früheren nichtigen Satzung erfasst, steht mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG im Einklang. Insbesondere ist das Vertrauen des Beitragszahlers in die Rechtswirksamkeit der Vorgängersatzungen nicht in der Weise geschützt, dass er Anspruch hätte, auf Grundlage der zum Zeitpunkt der Anschließbarkeit des Grundstücks maßgebenden Verhältnissen nach der damals formell gültigen Satzung veranlagt zu werden. Der Bürger kann sich nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen. Dies gilt insbesondere, wenn sich eine Rechtsnorm im nachhinein als ungültig erweist und durch eine neue rechtlich nicht zu beanstandende Bestimmung ersetzt wird (vgl. grundlegend BVerfG, Urt. v. 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 - BVerfGE 13, 261 ff., zit. nach juris Rn. 48 ff., 54 m. w. N.). Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht im Übrigen nicht so weit, den Bürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Schutzwürdig ist zudem nur das getätigte Vertrauen, also eine "Vertrauensinvestition", die zu Erlangung einer Rechtsposition geführt hat (vgl. BVerfG, Urt. v. 2. Mai 1987 - 1 BvR 724/81 - u. a., BVerfGE 75, 246 ff., zit. nach juris Rn. 82 m. w. N.). Eine solche Rechtsposition erwächst nicht aus dem Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit einer Beitragssatzung.

48

(8) Der Beitragsanspruch ist auch nicht verwirkt (zu den Voraussetzungen der Verwirkung vgl. Gersch, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 4 Rn. 21; Rüsken, ebenda, § 228 Rn. 13 je m. w. N. aus der Rechtspr. des Bundesfinanzhofs; vgl. jetzt auch: OVG M-V, Beschl. v. 18. März 2008 - 1 M 15/08 - S. 6 mwN [n. v.]). Zwar ist der Anschlussbeitrag über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht worden. Jedoch durfte der Beitragsschuldner regelmäßig nicht darauf vertrauen, dass der Beklagte den Beitrag nicht mehr einfordern wird. Es ist nichts ersichtlich, dass der Beklagte jemals zu erkennen gegeben hat, er werde den Beitrag nicht mehr geltend machen. Die Durchsetzung dieses Rechts mit einem Bescheid erscheint daher nicht als unzumutbarer Nachteil zu Lasten des Beitragsschuldners. Zudem kann eine Verwirkung bei einer laufenden Verjährungsfrist nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden (siehe Rüsken, ebenda, § 228 Rn. 13). Solche sind hier nicht ersichtlich.

49

(9) Anzumerken bleibt, dass die Beitragsschuldner auch nicht mit dem Argument durchdringen, der Beklagte habe zeitnah mit dem tatsächlichen Anschluss des Grundstücks und seiner Satzung aus dem Jahre 1992 neben den Hausanschlussbeitrag sogleich auch den Anschlussbeitrag erheben müssen, so dass sie in den "Genuss" eines früheren niedrigen Beitrags von 2.000,-- DM oder 3.000,-- DM gekommen wären. Zum einen geben die Verjährungsvorschriften dem Beklagten vor, innerhalb welcher Zeiträume er Beitragsbescheide erlassen muss. Er ist weder nach Satzungsrecht noch nach sonstigen Vorschriften verpflichtet, zeitnah nach Herstellung der Anschlussfähigkeit des Grundstücks Beitragsbescheide zu erlassen. Zum anderen ist es dem Beklagten unbenommen, soweit er aufgrund früherer, nichtiger Satzungen (zu niedrige) Beiträge durch (bestandskräftige) Beitragsbescheide erhoben hat, im Rahmen pflichtmäßigen Ermessens unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu prüfen, ob er die diesbezüglichen abgeschlossenen Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 1 KAG M-V in Verbindung mit §§ 130, 131 AO wieder aufgreift (oder gar aufgreifen muss) und unter Beachtung neuer Satzungsbestimmungen und der erbrachten Beiträge neu entscheidet. Die Einmaligkeit der Beitragserhebung dürfte ihn nicht daran hindern, weil es noch immer um die erstmalige Beitragserhebung geht (vgl. jetzt auch OVG M-V, Urt. v. 15. Dezember 2009 - 1 L 323/06 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin ist befugt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung eines Schmutzwasserbeitrags durch den Beklagten für ihr Teileigentum.

2

Die Klägerin ist zusammen mit H. mit einem Anteil von 8/1000 Wohnungs- und Teileigentümer der Wohnungseigentumsanlage „Erholungsgemeinschaft N.“. Diese Wohnungseigentumsanlage besteht aus dem Flurstück [...] der Flur 1 in der Gemarkung N., das insgesamt 64.650 m² groß ist. Das Grundstück ist mit 104 Wochenendhäusern bebaut. Am östlichen Rand befindet sich ein vom Zweckverband Wismar betriebenes Pumpspeicherwerk, dessen Aufstandsfläche einschließlich Umpflasterung 28,79 m² umfasst.

I.

3

Im Mai 1991 wurde der Zweckverband Wismar gestützt auf die DDR-Kommunalverfassung gegründet. Mit Genehmigung des Landrats des Landkreises Nordwestmecklenburg wurde im Mai 1998 eine „bestätigende Gründung“ auf der Grundlage der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der entsprechenden öffentlich-rechtlichen Gründungsverträge und aufsichtrechtlichen Genehmigungen verwiesen.

4

Die Eigentümer der „Erholungsgemeinschaft N.“ schlossen mit dem Zweckverband Wismar am 15. Juli 2004 einen notariellen Vertrag, in dem die Eintragung eines dinglichen Leitungsrechts als beschränkt persönliche Dienstbarkeit auf dem Flurstück [...] vereinbart wurde. In III. wurde dort auszugsweise bestimmt:

5

„(2) Der Berechtigte [= Zweckverband Wismar] darf in einem Grundstückstreifen von 4 m Breite einen Schmutzwassersammler einschließlich Nebenanlagen betreiben. Innerhalb des Schutzstreifens dürfen Gebäude und Anlagen nicht errichtet und sonstige Einwirkungen vorgenommen werden, die den Bestand der Leitung gefährden. Die Außengrenzen des Schutzstreifens werden dadurch bestimmt, dass man von der Leitungsachse links und rechts im Abstand von je 2 m gleichlaufende Linien zieht.

6

Der Zweckverband Wismar hat das Recht, das Grundstück […] jederzeit zu betreten. […] Im übrigen bleiben die Rechte des Grundstückseigentümers auf Benutzung unberührt.

7

[…]

8

(5) Durch die Gewährung dieses Leitungsrechts entsteht für die Wohnungseigentümer keine Pflicht zur Zahlung von Anschlusskostenbeiträgen.“

9

Die Vertreterin des Zweckverbandes Wismar handelte bei Abschluss dieses Vertrages ohne Vertretungsmacht. Soweit ersichtlich, ist der Vertrag nicht genehmigt, aber durch Eintragung des vereinbarten Leitungsrechts in das Grundbuch vollzogen worden.

II.

10

Das streitgegenständliche Flurstück [...] liegt am Westufer des N-sees im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 3 „Wochenendhaussiedlung Erholungsgemeinschaft N.“ der Gemeinde Z. vom 28. August 1997. Danach ist das gesamte Grundstück als Sondergebiet, das der Erholung dient, Wochenendhausgebiet nach § 10 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) ausgewiesen. Der mit den Wochenendhäusern bebaute Teil ist etwa 46.280 m² groß. Für die sich daran anschließende „Uferpromenade“ ist ein Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit nach § 9 Abs. 1 Nr. 21 des Baugesetzbuches (BauGB) festgesetzt. Dieses Gehrecht ist nach Nr. 2.1 der textlichen Festlegung im Bebauungsplan für die Zeit von 8.00 bis 22.00 Uhr und für die Monate Mai bis Oktober zulässig. Nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten ist das Gehrecht bisher nicht durch eine öffentlich- oder privatrechtliche Belastung der entsprechenden Grundstücksfläche umgesetzt worden. Eine vor der „Uferpromenade“ am Ufer des Sees liegende 18.370 m² große Fläche (sog. Seewiese) wird im Bebauungsplan (nachrichtlich) als Flächen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 und Abs. 6 BauGB bezeichnet. Eine weitere Fläche an der östlichen Ecke der Bebauungsplanbegrenzung ist (nachrichtlich) als gelb gekennzeichnete Fläche für Versorgungsanlagen nach § 9 Abs. 1 Nr. 12 und 14 und Abs. 6 BauGB in einer Größe von etwa 400 m² verzeichnet. Darauf befindet sich das vom Zweckverband Wismar betriebene Pumpspeicherwerk. Am Ufer des Sees entlang ist ferner (nachrichtlich) der Uferschutzstreifen verzeichnet (vgl. § 9 Abs. 6 BauGB).

III.

11

Mit Bescheid vom 28. September 2009 setzte der Beklagte unter Hinweis auf die Gesamtschuldnerschaft mit H. auf Grundlage der Schmutzwasserbeitragssatzung des Zweckverbandes Wismar vom 7. Mai 2009 (BSSW 2009) den Beitrag für den der Klägerin zugeordneten Eigentumsanteil auf 1.603,32 € fest. Zur Begründung führte der Beklagte aus: Die anrechenbare im Bereich eines Bebauungsplanes belegende Grundstücksfläche betrage für das Teil- und Sondereigentum der Klägerin 581,85 m², so dass bei einem Nutzungsfaktor von 1 und einem Beitragssatz von 3,10 € der genannte Beitrag festzusetzen sei.

12

Dagegen erhob sowohl die Klägerin als auch Frau H. Widerspruch, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen ausführten: Die berücksichtigungsfähige Fläche sei unzutreffend ermittelt worden, da die damals durchgeführte Vermessung fehlerhaft erfolgt sei. Die den Eigentümern zugeordnete Gartenfläche und Gemeinschaftsanteil seien unbebaut und dürften nach dem Bebauungsplan auch nicht bebaut werden. Die Gemeinschaftsfläche sei für die Öffentlichkeit zugänglich zu halten. Außerdem befinde sich auf dieser Fläche das Pumpspeicherwerk des Zweckverbandes. Durch den Anschluss an die Schmutzwasseranlage habe sich der Wert des Grundstücks in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert, so dass den Eigentümern kein Vorteil erwachsen sei. Der Beitragsanspruch sei zudem verjährt. Der Bescheid enthalte keine Aussagen zum Beginn der Verjährungsfrist. Insbesondere handele es sich bei der ihm zugrunde liegenden Satzung nicht um die erste wirksame Satzung des Zweckverbandes Wismar. Vielmehr sei die Satzung vom 22. Dezember 1995 die erste wirksame Satzung gewesen, die auch angewandt worden sei. Zudem seien in der Beitragskalkulation unzulässigerweise ca. 20.000.000,-- € Prognosekosten für bereits zu DDR-Zeiten erstellte Abwasseranlagen enthalten.

13

U. a. im rechtskräftigen Urteil der erkennenden Kammer vom 22. Januar 2010 – 8 A 1369/09 – (juris) beanstandete die Kammer die Beitragssatzung Schmutzwasser (BSSW 2009) des Zweckverbandes. Am 3. März 2010 verabschiedete dessen Verbandsversammlung eine neue Schmutzwasserbeitragssatzung (BSSW 2010), wobei die Kalkulationsunterlagen in der Verbandsversammlung vorgelegen haben. Die Satzung wurde anschließend in der Ostsee-Zeitung (Wismarer Zeitung) veröffentlicht.

14

Der Beklagte wies die Widersprüche der Klägerin und von Frau H. mit gesonderten Widerspruchsbescheid vom 14. April 2010 – der Klägerin und Frau H. jeweils zugestellt am 26. April 2010 – zurück. Zur Begründung führte er u. a. aus: Maßgebend sei nur der vom Grundbuchamt mitgeteilte Eigentumsanteil. Aus der Tatsache, dass ein Grundstück – wie regelmäßig – nicht voll überbaut werden dürfe, folge nicht, dass nur ein Teil des Grundstücks beitragspflichtig sei. Anders wäre es nur, wenn eine Teilfläche des Grundstücks überhaupt nicht mehr nutzbar wäre. Das ist bei dem streitgegenständlichen Grundstück aber nicht der Fall. Maßgebend sei nunmehr die zwischenzeitlich verabschiedete Schmutzwasserbeitragssatzung des Zweckverbandes Wismar vom 3. März 2010. Dabei handele es sich um die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes, da alle Vorgängersatzungen nichtig gewesen seien. Die Sanierung und Erneuerung der Schmutzwasseranlage werde seit 1997 durchgeführt und weiter fortgesetzt. Auch wenn das Grundstück bereits zu DDR-Zeiten über einen Schmutzwasseranschluss verfügt habe, seien nach der Rechtsprechung insbesondere des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern dennoch Beiträge zu erheben.

15

Frau H. hat keine Klage erhoben, so dass der an sie ergangene Beitragsbescheid bestandskräftig geworden ist.

16

Nur die Klägerin hat am 5. Mai 2010 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie ergänzend aus:

17

Das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern (KAG M-V) und - die darauf beruhende Abgabensatzung des Zweckverbandes Wismar - seien nichtig. Das Gesetz sei unter Verstoß gegen den in Art. 253 EG-Vertrag [heute: Art. 296 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV] niedergelegten allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsatz zustande gekommen, wonach es der Legislative obliege, dem jeweiligen Rechtsakt eine Begründung beizufügen. Daran fehle es hier; auch die Gesetzesbegründungen in den Landtagsdrucksachen genügten nicht diesen Anforderungen. In diesem Zusammenhang werde angeregt, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage der Anwendung der genannten Rechtsgrundsätze auf nationales Recht klären zu lassen.

18

Darüber hinaus sei das Kommunalabgabengesetz 2005 unter Verstoß gegen das verfassungsrechtlichen Gewaltenteilungsprinzips zustande gekommen. Denn an der Erarbeitung des Änderungsgesetzes 2005 sei dienstrechtswidrig das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern durch den (damaligen) Richter am Oberverwaltungsgericht A.. Dieser sei über das OVG M-V eingeladen worden und habe nicht nur an einer Sitzung des Innenausschusses, sondern auch an Ausschusssitzungen des Landtages Mecklenburg-Vorpommern teilgenommen (vgl. etwa Bericht des Innenausschusses des Landtages Mecklenburg-Vorpommern, LtDrs 4/1576, S. 34, 67 ff.). Zudem sei er Autor des - auch von zwei Mitarbeitern im Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern betreuten - maßgebenden und von den Verwaltungsgerichten verwendeten Kommentars zum KAG M-V. Wegen verfassungswidrigen bzw. rechtsstaatswidrigen Zusammenwirkens der drei Gewalten liege auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK - Recht auf faires Verfahren) und Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) vor. Da in § 9 Abs. Abs. 8 KAG M-V in bestimmten Fällen Beiträge auch dann zu erheben sind, wenn ein Aufwand nicht mehr zu decken sei, liege ein Verstoß gegen das Äquivalentsprinzip und den Gleichheitssatz vor.

19

Der Zweckverband Wismar sei nicht wirksam gegründet worden, weshalb dessen Satzungen und von dessen Behörde erlassene Bescheide nichtig seien. Seine im Mai 1991 auf Grundlage des Reichszweckverbandsgesetzes vom 7. Juni 1939 erfolgte Gründung sei fehlerhaft gewesen, da das Gesetz durch die alliierten Siegermächte aufgehoben worden sei. Durch die Heilungsvorschriften der §§ 170a und 170b der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) sei das dort für anwendbar erklärte Reichszweckverbandsgesetz nicht wieder in Kraft gesetzt worden. Außerdem sei die Bundesrepublik Deutschland das Deutsche Reich und die Weimarer Reichsverfassung sei weiter in Kraft. Zudem enthalte der erste Gründungsvertrag von 1991 keine Bestimmung über eine Veröffentlichungsregelung.

20

Die bestätigende Gründung des Zweckverbandes im Mai 1998 sei rechtsunwirksam, da die erforderliche rechtsaufsichtliche Genehmigung nicht auf das Jahr 1991 zurückwirken könne. Eine rückwirkende Übertragung hoheitlicher Aufgaben sehe die Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern nicht vor und sei auch sonst nicht möglich, wie Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs Sachsen-Anhalts und anderer Obergerichte zeigten. Aufgaben könnten allenfalls für die Zukunft übertragen werden.

21

Ungeregelt geblieben sei im Zusammenhang mit der Gründung zudem die Übertragung von Vermögenswerten auf den Zweckverband und die Durchführung von Investitionen für die Mitgliedsgemeinden. Ausgleichsverträge nach § 153 KV M-V, die den zivilrechtlichen Übergang von Vermögenswerten von einer Mitgliedsgemeinde auf den Zweckverband regeln, lägen nicht vor. Da nach § 7 des Gründungsvertrages nur das erforderliche Satzungs- und Gebührenrecht von den Gemeinden übergehen sollte, nicht aber die Durchführung von Investitionen, könne der Zweckverband insoweit keine Beiträge erheben. Auch im Beitrittsvertrag aus dem Jahr 2005 der Gemeinde Jesendorf sei nach dessen § 4 unklar, ob und welche Vermögenswerte auf den Zweckverband Wismar übertragen worden seien.

22

Die Veröffentlichungsbestimmung in § 22 der Verbandsatzung sei rechtsfehlerhaft, weil dort der erforderliche Hinweis auf die Veröffentlichung in derOstsee-Zeitung unter „Öffentliche Bekanntmachungen“ fehle. Zweifelhaft sei auch, ob in allen Mitgliedsgemeinden die Ostsee-Zeitung (Lokalteil Wismarer Zeitung) erhältlich sei. Der Verbandssatzung sei auch nicht zu entnehmen, wie schriftliche Einzelinformationen zugestellt werden sollten. Die nach § 15 Abs. 4 der Verbandsatzung erforderliche Zustimmung der Verbandsversammlung zu den Investitionsvorhaben sei nicht ausdrücklich erfolgt.

23

Die hier zugrunde liegende Beitragssatzung Schmutzwasser des Zweckverbandes Wismar sei nichtig: Die Anlage sei nicht hinreichend definiert, weil Niederschlagswasser nicht erfasst sei. § 3 Abs. 2 BSSW 2010 sei wegen fehlender Normenklarheit nichtig, weil weder rechtlich noch tatsächlich nachvollziehbar sei, wie diese Vorschrift sich zu den Abs. 1 und 2 in § 3 BSSW 2010 verhalte. § 6 Abs. 2 e) BSSW 2010 - und damit die Satzung insgesamt - sei wegen fehlender Normenklarheit nichtig, da es im Verbandsgebiet Fälle von Abrundungssatzungen im Sinne des § 34 Abs. 4 BauGB nicht gebe.

24

Die Globalkalkulation leide unter erheblichen Fehlern. Es sei nicht erkennbar, wie der Beklagte die Flächenermittlungen vorgenommen habe. Auch fehle es an einer stimmigen Ermittlung der Investitionsvorhaben sowohl hinsichtlich der Art und Weise als auch der einzelnen Gesamtbeträge. Die Verbandsversammlung habe daher nicht prüfen können, ob das Aufwandsüberschreitungsverbot eingehalten worden sei. Die Kalkulation sei auch mangelhaft erläutert. Es sei aus der Aufstellung Erneuerung KN vor 1979 (BA 55, Anl. 1) nicht ersichtlich, ob die vor 1979 erneuerten, zudem kostenfrei übertragenen Anlagen aus der Kalkulation herausgenommen worden seien. Sie seien weiterhin enthalten. Die Planung der Investitionskosten und Fördermittel (Anl. 3) enthalte keine Angaben hinsichtlich des Zeitraums der Investitionen. Die verwendeten Abkürzungen seien unüblich und würden nicht erläutert. Laut Kostenschätzung Baumaßnahmen 2008 – 2014 (Anl. 5) seien Freispiegelleitungen und Druckrohrleitungen mit ca. 11 Mio. € zu veranschlagen. Laut dem WIBERA-Gutachten von 2005 betrage der beitragsfähige Aufwand insgesamt ca. 95. Mio. €, abzüglich Fördermittel und von Dritten unentgeltlich übernommener Anlagen betrage der Aufwand ca. 61. Mio. €. Die Differenz betrage damit ca. 50 Mio. €. Der Prognosewert von 111,5 Mio. € sei nicht nachvollziehbar, da von 1991 bis 2009 im Anlagennachweis für den Bereich Schmutzwasser lediglich 80 Mio. € genannt worden seien. Im Übrigen hätten keine Prognosezahlen eingestellt werden dürfen, soweit bereits für die Jahre 2008, 2009 und 2010 konkret abgerechnet worden sei. Des Weiteren seien der Verbandsversammlung verschiedene Unterlagen über geplante Investitionen vorgelegt worden (Anl. 6 bis 8). Ein Investitionsprogramm oder ein Abwasserkonzept seien der Versammlung am 3. März 2010 nicht vorgelegt worden. Auch seien den Mitgliedern mit der Verbandsversammlung die Kalkulationsunterlagen oder ein Investitionskonzept nicht vor der Sitzung zur Verfügung gestellt worden, so dass die vorgelegte Kalkulation von ihnen nicht habe überprüft werden können. Gegenstand der den Mitgliedern zur Verfügung stehenden Beschluss-Vorlage 45/200/2010 und damit der Beschlussfassung sei keine Kalkulation gewesen, da in der Vorlage kein Beitragssatz genannt sei. Die Mitglieder der Verbandsversammlung hätten auch nur Fragmente der Unterlagen erhalten. Sie sei nach allem nicht ordnungsgemäß gewesen, nicht nachvollziehbar und habe in einer Stunde in der Sitzung nicht geprüft werden können. Dies gelte insbesondere auch hinsichtlich der auf der als Beiakte 5 zu 8 A 407/10 registrierte CD-Rom, dessen Tabellen zum Teil nicht lesbar ausgedruckt werden könne. Deshalb möge das Gericht die Sitzung unterbrechen und die Dateien ausdrucken. Eine ausreichende Befassung in der Sitzung vom 3. März 2010 sei somit nicht möglich gewesen.

25

Trotz verschiedener, wegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Schwerin erforderlich gewordener Neukalkulationen seit 1995 sei der kalkulierte Beitragssatz gleich geblieben. Dies deute auf Manipulationen hin. Zudem seien die bis 2014 geplanten Investitionen nicht mit 111 Millionen € nachweisbar. Aus einem Evaluationsgutachten zur wirtschaftlichen Lage des Zweckverbandes von August 2010 folge, dass Zuschüsse Dritter zweckwidrig zur Senkung der Gebühren verwendet worden seien.

26

Unabhängig von der Frage der Nichtigkeit der Satzung seien im vorliegenden Fall Beitragsansprüche schon deshalb erloschen, weil der Zweckverband durch III Abs. 5 der notariellen Urkunde vom 15. Juli 2004 über die Gewährung von Leitungsrechten auf „Anschlusskostenbeiträge“, mithin die hier geltend gemachten Anschlussbeiträge verzichtet habe. Für eine solche Auslegung der Vertragklausel spreche auch, dass der im Vertrag verwendete Ausdruck vom Beklagten in Umsetzung der Gebühren- und Betragssatzung aus dem Jahr 1993 verwendet worden sei. Auslegungsschwierigkeiten gingen zu Lasten des Zweckverbandes Wismar.

27

Jedenfalls seien die Beitragsansprüche verjährt. Der Lauf der Festsetzungsverjährungsfrist habe nach Maßgabe des § 8 Abs. 7 KAG M-V 1991 frühestens mit Inkrafttreten derersten Beitragssatzung zu laufen begonnen. Dies folge auch aus Nr. 5 auf Seite 8 der LtDrs 1/113 und werde durch Nr. 6.4.4 des Einführungserlasses des Innenministers M-V vom 14. Juni 2005 bestätigt. Das KAG 1991 sei durch das KAG 2005 aufgehoben worden. Da die Eigentümer zu den sog. Altanschließern gehörten, sei die Beitragspflicht zu einem sehr frühen Zeitpunkt entstanden. Im Fall nichtiger Satzungen hätte der Beklagte den Betroffenen Beiträge erstatten müssen, was nicht geschehen sei. Jedenfalls sei der Anspruch durch Verjährung erloschen, weil zumindest die Schmutzwasserbeitragssatzung vom 20. Dezember 1995 rechtswirksam gewesen sei. Diese sei innerhalb ihres Geltungszeitraums (1. Januar 1996 bis 18. Oktober 2000) vom Beklagten kontinuierlich angewandt worden und weder vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern noch vom Verwaltungsgericht für nichtig erklärt worden. Der einmal verjährte Anspruch könne nicht wieder aufleben. Auch soweit im Einzelfall ein Beitragsbescheid aufgehoben worden sei, fehle es an der gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit der Satzung. Im Übrigen könne sich der Beklagte über die gerichtliche inzidenter Feststellung der Unwirksamkeit einer Satzung hinwegsetzen.

28

Der Anspruch sei verwirkt, weil der Beklagte im Rahmen einer früheren Kalkulation (zur BSSW 2000) Flächen von Altanschließern nicht berücksichtigt, mithin nur Neuanschließer einbezogen habe. Damit habe er zu erkennen gegeben, Beiträge von Altanschließern nicht mehr verlangen zu wollen. Obwohl alle Voraussetzungen vorgelegen hätten, habe der Beklagte keine Bescheide erlassen. Er habe sich daher der Erkenntnis der Verjährung gebeugt, zumal es nach dem KAG M-V 1993 keinen rechtlichen Zwang zur Erhebung von Beiträgen gegeben habe.

29

Zudem hätten die Grundeigentümer auf Grund der Einmaligkeit der Beitragserhebung darauf vertrauen können, dass die Erstveranlagung ohne satzungsrechtliche Nachveranlagungsregelung endgültig sei. In abgeschlossene Beitragssachverhalte eingreifendes rückwirkendes Satzungsrecht sei rechtsstaatswidrig.

30

Die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Zweckverbands Wismar könne nicht im Sinne des KAG M-V erstmalig hergestellt werden, da sie nach Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten bereits aus DDR-Vermögen übernommen worden sei. Die bereits vor der Wiedervereinigung bestehenden Abwasseranlagen seien nicht eröffnet, sondern konkludent fortgeführt worden. Der Zweckverband habe auf Grundlage von § 21 Abs. 3 des Einigungsvertrages und Anl. II zum Einigungsvertrag Sachgebiet B Kap IV Abschnitt III Nr. 2 in Verb. mit dem DDR-Kommunalvermögensgesetz das Vermögen unentgeltlich übertragen erhalten. Die Verpflichtung der Kommunen zur Abwasserentsorgung habe schon (vor Inkrafttreten des KAG M-V) gemäß § 2 Abs. 2 der DDR-Kommunalverfassung bestanden, die sodann von §§ 40, 43 des Wassergesetzes M-V fortgeschrieben worden sei. Diesen Erfordernissen sei die öffentliche Hand in der Vergangenheit auch nachgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 19. Oktober 1966 IV C 99.65, juris Rn. 9) verlange, „eine[n] Vorteil, den der Beitragspflichtige aus einer der Beitragserhebung zugrunde liegenden Handlung erlangt“ habe. Der Zweckverband Wismar habe gerade keine Abwasseranlage angelegt und dennoch verlange der Beklagte einen Beitrag. Eine Erneuerung (nochmalige Herstellung) komme nur bei voller Abnutzung in Betracht, nicht aber etwa bei Erneuerung einzelner Rohre; diese seinen durch Gebühren abzurechnen.

31

Der angegriffene Bescheid sei auch deshalb rechtswidrig, weil das Kommunalabgabengesetz bei Wohnungseigentum nicht auf ganze Siedlungen abstelle, sondern auf Wohnungen unter einem Dach. Sie seien jedenfalls nicht wie normales Wohnungseigentum zu behandeln. Vielmehr müsse berücksichtigt werden, dass es sich um Ferienhäuser handele, welche nur in den Sommermonaten nutzbar seien. Deshalb seien sie im Bebauungsplan auch als Sondergebiet, das der Erholung diene, ausgewiesen. Die bauliche Nutzung beschränke sich tatsächlich auf ca. 47.000 m²; die Seewiese mit einer Fläche von ca. 18.000 m³ sei entsprechend der im Bebauungsplan festgelegten Bebauungsgrenze nicht bebaubar. Deshalb verstoße der Bescheid auch gegen § 3 Abs. 1 b) BSSW 2010, da Einigkeit in der Gemeinde bestehe, dass die Seewiese nicht bebaubar sei. Denn die Gehrechte erstreckten sich nicht nur auf die Uferpromenade, sondern auf die gesamte Seewiese, da die entsprechende Planzeichnung des Bebauungsplanes die Seewiese umgebe. Die volle Fläche habe deshalb bei der Beitragsbemessung nicht berücksichtigt werden dürfen. Entsprechend dem Gleichheitssatz habe jedenfalls ein geringerer Nutzungsfaktor angesetzt werden müssen. Insoweit sei die Satzung auch unvollständig, weil die konkrete Nutzungsart des streitbefangenen Grundstücks als Freizeitsiedlung mit der Pflege von Kleingärten und der öffentlich zugänglichen Seewiese nicht berücksichtigt worden sei. Dazu werde auf das Urteil des erkennenden Gerichts vom 5. Mai 2011 – 4 A 826/08 – (n. v., Umdruck S. 18 f.) verwiesen. Insofern fehle es gleichheitswidrig an einem speziellen Tatbestand in der Satzung der - vergleichbar zu den Campingplätzen - einen abgesenkten Nutzungsfaktor enthalte. Zudem seien die Grundsätze im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holsteins vom 2. September 1998 – 2 M 19/98 – (juris und NordÖR 1999, 166 f.) zu beachten, wonach nur im Bebauungsplan als Bauland ausgewiesene Flächen bei der Beitragsfestsetzung herangezogen werden könnten. Der Seewiese fehle die notwendige Baulandqualität. Es sei zudem unverständlich, dass der Zweckverband Wismar 2008 im Rahmen von Verhandlungen mit der WEG N. über einen Erschließungsvertrag von einer geringeren Beitragsfläche ausgegangen sei, während er nunmehr das gesamte Grundstück veranlagt habe. Selbst der Landrätin des Landkreises Nordwestmecklenburg habe in einem – bestandskräftigen – Verwaltungsakt geäußert, dass die nicht bebaubare Grünanlage etwa 15.000 m² umfasse.

32

Einschließlich Zuwegung sei die im Bebauungsplan ersichtliche Fläche der Pumpstation 2.000 m² groß und in diesem Umfang von der beitragsfähigen Fläche abzuziehen.

33

Schließlich sei die Schmutzwassersatzung des Zweckverbandes Wismar wegen Verstoßes gegen die grundgesetzliche Eigentumsgarantie nichtig, weil dort in §§ 21 und 25 von den Eigentümern die Duldung örtlicher Leitungen für die öffentliche Einrichtung verlangt werde. Es liege auch ein Eingriff in das Grundrecht auf Wohnung vor. Die Nichtigkeit dieser Satzung habe die Satzung der Beitragssatzung zur Folge.

34

Die Klägerin beantragt sinngemäß

35

den Beitragsbescheid des Beklagten vom 28. September 2009 und dessen Widerspruchsbescheid vom 24. März 2010 aufzuheben.

36

Der Beklagte beantragt,

37

die Klage abzuweisen.

38

Zur Begründung verweist er auf seine Darlegungen im Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor:

39

Es erschließe sich nicht, wie durch Mitwirkung des (heutigen) Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht A. an der Novellierung des Kommunalabgabenrechts im Jahre 2005 oder der Mitwirkung an einem Kommentar zu diesem Rechtsgebiet tragende Prinzipien des Rechtsstaats verletzt worden sein könnten. Zu der Novellierung des KAG M-V existiere eine Gesetzesbegründung.

40

In der ständigen Rechtsprechung des VG Schwerin, zuletzt in seinen Urteilen vom 27. Mai 2011 seien Zweifel an der wirksamen Gründung des Zweckverbandes Wismar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Das Reichsverbandsgesetz sei durch § 170a KV M-V ausdrücklich rückwirkend auf den 3. Oktober 1990 für anwendbar erklärt worden. Deshalb habe die (bestätigende) Gründung des Zweckverbandes auch rückwirkend genehmigt werden können. Anlagevermögen sei auf den Zweckverband wirksam übertragen worden. Ein ordnungsgemäßer Übergang von Vermögenswerten auf den Zweckverband sei durch die öffentlich-rechtlichen Gründungsverträge erfolgt; notwendiger Grundbuchvollzug sei längst durchgeführt worden. Eine Ausgleichsregelung nach § 153 KV M-V sei daneben nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen folge ein Recht auf Investitionen durch den Zweckverband aus § 151 Abs. 1 KV M-V. Die Veröffentlichungsbestimmung des § 22 der Verbandssatzung sei nicht zu beanstanden; die Ostsee-Zeitung – Wismarer Zeitung – sei weltweit erhältlich. Das Schmutzwasserentsorgungskonzept habe der Verbandsversammlung am 3. März 2010 im Entwurf vorgelegen. Im Übrigen sei ein solches Konzept nicht vorgeschrieben. Die Investitionsvorhaben seien aus den von der Verbandsversammlung gebilligten Wirtschaftsplänen bekannt gewesen.

41

Der Anlagenbegriff sei hinreichend bestimmt, da zwischen Schmutz- und Niederschlagswasser zu unterscheiden sei. § 3 Abs. 3 BSSW 2010 sei eine Auffangnorm für den Fall, dass ein Anschluss an ein Grundstück tatsächlich gegeben sei.

42

Eine Sonderregelung hinsichtlich Wochenendhäuser sei nicht erforderlich. Wochenendhäuser dürften im Gegensatz zu Kleingartengrundstücken dauerhaft zu Wohnzwecken genutzt werden (vgl. § 3 Abs. 3 BKleingG einerseits und § 10 BauNVO andererseits). Eine Gleichbehandlung mit weiteren Sondergebieten nach § 11 Abs. 1 BauNVO komme wegen deren Andersartigkeit nicht in Betracht. Im streitbefangenen Gebiet seien melderechtlich auch Dauerwohnsitze begründet worden. Im Übrigen werde auf die entsprechenden Ausführungen in den letzten Entscheidungen des erkennenden Gerichts hinsichtlich unzutreffender Rückschlüsse der Klägerin auf beitragsrechtliche Vorteile aus den bauplanungsrechtlichen Vorgaben des Bebauungsplanes verwiesen Die im Übrigen für Mecklenburg-Vorpommern nicht maßgebende Rechtsprechung des OVG für das Land Schleswig-Holstein bestätige, dass wegen des Bebauungsplanes die von der Klägerin angesprochene Fläche der „Seewiese“ von der Vorteilswirkung der Schmutzwasseranlage als Annex erfasst sei. Die Nutzung durch die Öffentlichkeit sei bauplanungsrechtlich nicht dauerhaft oder uneingeschränkt; die Privatnützigkeit der „Seewiese“ nicht ausgeschlossen.

43

Kosten für unentgeltlich übertragene Anlagen oder Teile hiervon seien in der Kalkulation nicht enthalten.

44

Der Zweckverband Wismar habe bislang noch keine Erneuerung seiner öffentlichen Einrichtung vorgenommen; dies komme auch erst nach 2014 in Betracht.

45

Wegen der Verjährungsproblematik werde auf die Rechtsprechung des erkennenden Gerichts und des OVG M-V verwiesen. Die Kalkulation zur Beitragsatzung 2000 sei eine Rechnungsperiodenkalkulation gewesen und könne keine Vertrauensgrundlage über die Frage der Beitragspflicht für einzelne Grundstücke schaffen.

46

Die Schmutzwassersatzung sei allenfalls eine verfassungsrechtlich zulässige Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 2 GG. Art. 13 GG sei nicht tangiert.

47

Nach der Bestimmung im notariellen Vertrag zur Übertragung des Leitungsrechts werde in III Abs. 5 nur klargestellt, dass die Einräumung des Leitungsrechts keine Beitragspflicht auslöse. Eine Ablösevereinbarung sei schon deshalb zu verneinen, weil diese evident rechtswidrig gewesen wäre.

48

Die Einzeichnung der Schmutzwasseranlage im Bebauungsplan auf dem Grundstück sei lediglich eine Baugrenze mit einer Fläche von ca. 440 m². Die Aufstellfläche einschließlich Umpflasterung des Pumpspeicherwerks betrage 27,86 m².

49

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und des Beklagten zum vorliegenden Verfahren, der Satzungs- und Kalkulationsunterlagen (Beiakten 8 bis 56 des Verfahrens 8 A 507/10) sowie den Beitrittsvertrag der Gemeinde Jesendorf und das Evaluationsgutachten vom August 2010 (Beiakten 3 und 4 des Verfahrens 8 A 430/10) verwiesen.

Entscheidungsgründe

50

Die Klage ist zulässig, insbesondere auch fristgerecht erhoben worden. Sie ist aber unbegründet.

I.

51

Der angegriffene Beitragsbescheid und der zugehörige Widerspruchsbescheid des Beklagten sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]). Das Kommunalabgabengesetz (KAG M-V 2005) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 2005 (GVOBl. M-V S. 146) zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2007 (GVOBl. M-V S. 410) ist europarechtskonform und verfassungsgemäß zustande gekommen (1.). Der Zweckverband Wismar ist rechtlich existent (2.). Die Verbandssatzung des Zweckverbandes ist hinsichtlich der Veröffentlichungsbestimmung nicht zu beanstanden (3.) Weder ist die den angegriffenen Beitragsbescheiden zugrunde liegende Abgabensatzung in formeller und materieller Hinsicht zu beanstanden (4.) noch haften den angegriffenen Bescheiden selbst Fehler an (5.). Der Zweckverband hat auch nicht auf Beiträge verzichtet (6.).

52

1. Das Kommunalabgabengesetz ist weder europarechtswidrig noch verfassungswidrig zustande gekommen. Auch eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention ist nicht ersichtlich.

53

a) Die klägerseits angeregte Vorlage des Verfahrens zum Gerichtshof der Europäischen Union (EUGH) kommt nicht in Betracht. Die Voraussetzungen eines Vorabentscheidungsverfahrens zum EUGH nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) liegen nicht vor. Die Frage der europäischen Begründungspflicht nationaler Rechtsvorschriften ist geklärt. Eine nationale Rechtsvorschrift bedarf keiner gesonderten europarechtlich geforderten Begründung. Der EUGH hat in seinem Urteil vom 17. Juni 1997

54

- Rechtssache C-97/95 – Sodemare -, Sammlung [Slg.] I – 3395 (3396, ferner 3430 Rn. 19 f.) = juris LS 5 sowie Rn. 19 ff. -

55

zur entsprechenden Vorgänger-Vorschrift in Art. 190 EG-Vertrag (= Art. 253 EGV; heute: Art. 296 AEUV) klargestellt:

56

„Das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 190 des Vertrages, stellt keine Anforderungen an die Begründung einer nationalen generellen Regelung, die unter das Gemeinschaftsrecht fällt.

57

Denn abgesehen davon, daß die in Artikel 190 des Vertrages verankerte Begründungspflicht nur die Handlungen der Organe betrifft, gilt die Verpflichtung zur Begründung nationaler Entscheidungen, die die Ausübung eines Grundrechts betreffen, das dem einzelnen vom Vertrag verliehen ist, in Anbetracht ihres Zweckes nur für Einzelfallentscheidungen, gegen die die einzelnen über einen gerichtlichen Rechtsbehelf verfügen müssen, jedoch nicht für nationale generelle Rechtssätze.“

58

Zum gleichen Ergebnis war bereits der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 6. Februar 1997 gelangt.

59

Vgl. Generalanwalt Fennelly, Slg. I – 3398 [3406 Rn. 20] = juris; siehe auch Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV, AEUV, 5. Aufl. 2010 Art. 296 AEUV Rn. 2 aE.

60

Dies gilt selbst dann, wenn – wie in dem vom EUGH entschiedenen Fall – die Auslegung des betreffenden Gesetzes unklar sein und eine Begründung daher sinnvoll oder wünschenswert gewesen wäre. Die nach Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgeschriebene Begründungspflicht europäischer Rechtsakte richtet sich nur an die Organe der Europäischen Union. Dies folgt bereits aus dem Zusammenhang mit den übrigen Absätzen in Art. 296 AEUV und dessen Stellung im Kapitel 2 des Vertrages („Rechtsakte der Union, Annahmevorschriften und weitere Vorschriften“).

61

b) Das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern ist nicht wegen Verstoßes gegen das Gewaltenteilungsprinzips (Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes [GG]; Art. 3 Abs. 1 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern [Verf. M-V]) verfassungswidrig und damit nichtig, weil der damalige Richter am Oberverwaltungsgericht A. an den Gesetzesberatungen zur Novelle 2005 des Kommunalabgabengesetzes mitgewirkt hat. Zwar erfordert der Grundsatz der Gewaltenteilung auch personelle Trennlinien. Danach ist es etwa unvereinbar, wenn dieselbe Person in einem bestimmten Gemeinwesen ein Amt innehat, und gleichzeitig der Vertretungskörperschaft des Gemeinwesens angehört.

62

Vgl. zu Art. 137 GG: BVerfG, Entscheidung v. 27. April 1964 – 2 BvR 319/61 – juris Rn. 35 ; Beschl. v. 4. April 1978 – 2 BvR 1108/77 -, juris Rn. 59 ff.; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 55; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 11. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 25.

63

Auch ist etwa in § 1 VwGO als Ausprägung der verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung (ferner Art. 92 und 97 GG) festgelegt, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit durch unabhängige, von den Verwaltungsbehörden getrennte Gerichte ausgeübt wird. In § 4 Abs. 1 des Deutschen Richtergesetzes ist zudem bestimmt, dass ein Richter weder Aufgaben der gesetzgebenden noch der vollziehenden Gewalt zugleich wahrnehmen könne.

64

Näher – zu § 14 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz: BVerfG, Beschl. v. 17. Dezember 1969 – 2 BvR 271/68 u. a. -, juris Rn. 32; zu § 4 DRiG: BVerwG, Urt. v. 27. Oktober 1966 – II C 103.63 -, juris Rn. 37; vgl. auch Kronisch, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl. 2010, § 1 Rn. 39 ff.; 47; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 1 Rn. 5 je mwN.

65

Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der genannte Richter bei seiner Teilnahme an einer Sitzung des Innenausschusses und möglicherweise an weiteren Ausschussberatungen Aufgabe der Legislative wahrgenommen hat. Nach der Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses vom 2. März 2005 (LtDrS 4/1576, S. 34, 67 ff.), hat er in der öffentlichen Anhörung an der Sitzung des Innenausschusses am 10. November 2004 zu den Entwürfen der KAG-Novelle teilgenommen und inhaltlich Stellung genommen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Richter als Mitglied der dritten Gewalt an den Gesetzesberatungen mitgewirkt hat oder lediglich als (sachverständige) Privatperson. Zum anderen hat der Richter allenfalls beratend an den Gesetzesvorlagen mitgewirkt, nicht entscheidend. Das Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) wird nicht dadurch verletzt, dass der Gesetzgeber sich durch Institutionen oder Angehörige der dritten Gewalt vor Erlass eines Gesetzes beraten lässt. Eine Mitwirkung ist hierin nicht zu sehen. Eine die Grenzen der drei Gewalten übersteigende Tätigkeit ist auch nicht darin zu sehen, wenn berücksichtigt wird, dass der Richter zusammen mit zwei Praktikern aus dem Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern das Kommunalabgabengesetz kommentiert und die Rechtsprechung auf den Kommentar zurückgreift. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass durch die beschriebene Mitwirkung des Richters am Gesetzgebungsverfahren gegen Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen sein könnte. Denn diese Bestimmung befasst sich mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren innerhalb eines Gerichtsverfahrens. Weshalb durch die Mitwirkung eines Richters das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK berührt sein soll, erschließt sich dem Gericht nicht. Ein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 DRiG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil kein Gutachten in einem Einzelfall erstellt worden ist, sondern es um allgemeine Fragen des kommunalen Abgabenrechts gegangen ist.

66

c) Das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern ist auch nicht wegen Verletzung des Zitiergebots nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes nichtig. Das Zitiergebot gilt zunächst nur für förmliche Gesetze,

67

- vgl. nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG,10. Aufl. 2009, Art. 19 Rn. 4 mwN –

68

so dass die Satzung als materielles Recht (vgl. dazu nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 4 Rn. 40) hiervon bereits nicht betroffen ist.

69

Zudem ist in § 19 KAG M-V ausdrücklich auf Grundrechtseinschränkungen bezüglich der Art. 2 Abs. 2 und Art. 13 GG hingewiesen. Art. 14 GG ist richtigerweise dort nicht erwähnt, weil nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 19 Abs. 1 GG nur diejenigen Grundrechte erfasst, die aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen (vgl. nur Jarass, aaO, mwN.). Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zählt nicht hierzu. Im Übrigen sind Vorschriften über die Beitragserhebung auch Ausprägung der in Art. 14 Abs. 2 GG niedergelegten Sozialbindung des Eigentums.

70

d) § 9 Abs. 8 KAG M-V ist entgegen klägerischer Auffassung nicht verfassungswidrig. Er behandelt den Sonderfall, dass Beitragsüberdeckungen bei nachträglichen Beitragserhebungen (nur) bei unbebauten Grundstücken im unbeplanten oder geplanten Innenbereichen (vgl. § 34 und § 30 BauGB) i. S. d. § 9 Abs. 6 und 7 KAG M-V („… wenn ein Aufwand […]nicht mehr zu decken ist […]“) zulässig sind (Satz 1). Solche zusätzlichen Einnahmen seien zur Minderung der Gebührenbelastung aller an die Anlage Angeschlossenen zu verwenden (Satz 2). Die Vorschrift will nach Auffassung des Gerichts nur Regelungen für den Fall treffen, dass der kommunale Hoheitsträger sich deshalb verkalkuliert hat, weil in die Kalkulation eingestellte, ursprünglich unbebaute Grundstücke unvorhergesehen nachträglich bebaut werden und deshalb als bebaute Grundstücke mit dem entsprechend höheren Beitragsmaßstab zu veranschlagen sind. Diese zusätzlichen Einnahmen sind nach Maßgabe des § 9 Abs. 8 KAG M-V zu behandeln. Dies ist aber kein Problem einer fehlerhaften Kalkulation, sondern eine Antwort auf die Frage, wie mit solchen – nicht kalkulierten (außerordentlichen) – Einnahmen umzugehen ist. Insoweit stellt eine solche Handhabung dieser Vorschrift auch keinen Verstoß gegen das Kostenüberschreitungsverbot und Äquivalenzprinzip dar, weil sich eine eventuelle Aufwandsüberschreitung allenfalls erst nachträglich herausstellen könnte. Da es sich um einen Sonderfall handelt, liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es im vorliegenden Fall insoweit zu (kalkulierten/geplanten) Überdeckungen kommen soll.

71

Vgl. dazu bereits VG Schwerin, Beschl. v. 16. März 2011 – 8 A 540/10 -, Umdruck S. 4

72

Abgesehen davon betrifft, § 9 Abs. 8 KAG M-V nur eine Einzelfrage. Die Nichtigkeit dieser Bestimmung würde daher nicht die Nichtigkeit des gesamten Kommunalabgabengesetzes zur Folge haben. Selbst wenn im Übrigen die KAG-Novelle 2005 nichtig wäre, würde dies nicht zur Nichtigkeit der hier streitgegenständlichen Satzung führen, weil dann das KAG 1993 wieder in Kraft wäre; es wäre jedenfalls übergangsweise als Rechtsgrundlage für die Satzung ausreichend.

73

2. Der Zweckverband Wismar und damit seine Behörde, der Beklagte, sind rechtlich existent. Der Zweckverband hat insbesondere eine wirksame Verbandssatzung.

74

a) Dabei lässt das Gericht nunmehr offen, ob die ursprüngliche Gründung im April und Mai 1991 deshalb fehlerhaft gewesen ist, weil der zur Gründung eines Zweckverbandes erforderliche öffentlich-rechtliche Vertrag nicht jeweils von den Stellvertretern der Bürgermeister der beteiligten Gemeinden unterzeichnet worden war. Denn weder das Reichszweckverbandsgesetz noch §§ 20 ff. oder 61 der Kommunalverfassung DDR (KV DDR) sahen die Beteiligung einer weiteren Person bei der Abgabe von Verpflichtungserklärungen vor. § 21 Abs. 1 Satz 2 KV DDR vertrat der Bürgermeister die Gemeinde allein. Es kann auch dahinstehen, ob die genannten Rechtsgrundlagen - aus welchen Gründen auch immer - für die Gründung des Zweckverbandes ausreichend gewesen sind.

75

Vgl. zur Rechtsentwicklung und Anwendbarkeit des Reichszweckverbandesgesetzes Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LVerfG M-V), Urt. v. 4. Februar 1999 – 1/98 -, LVerfGE 10, 317 (323 ff.); Pencereci/Bluhm, LKV 1998, 172 mwN; für Sachsen-Anhalt: Klügel, LKV 1998, 168 ff.

76

Jedenfalls durch die bestätigende Gründung des Zweckverbandes im öffentlich-rechtlichen Gründungsvertrag vom 11. Mai 1998 ist indessen eine ordnungsgemäße Gründung nachgeholt und eventuelle Fehler geheilt worden. Diese bestätigende Gründung stützt sich insbesondere nicht auf das Reichszweckverbandsgesetz aus dem Jahre 1939 (RGBl. I S. 979), sondern auf die bereits vor Inkrafttreten der §§ 170a und 170b KV M-V am 12. Juni 1994 in Kraft getretenen Vorschriften des 4. Teils über die Kommunale Zusammenarbeit (§§ 149 ff.) der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V). Dass die Vorschriften dieses Abschnitts (und insbesondere § 152 KV M-V) nicht beachtet worden sind, ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Es bedarf deshalb hier keiner Entscheidung, ob vor dem 12. Juni 1994 das Reichszweckverbandsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern über Art. 123 GG i. m. mit Art. 3 des Einigungsvertrages unmittelbar oder über § 170a Abs. 1 Satz 1 KV M-V rückwirkend ab dem 3. Oktober 1990 angewendet werden durfte.

77

Zu diesen Fragen - im Ergebnis offen lassend - und zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 170a KV M-V hinsichtlich der Anwendbarkeit des Reichszweckverbandesgesetzes vgl. LVerfG M-V, LVerfGE 10, 317 (322 ff., 326 ff. mwN).

78

Das Gericht folgt nicht dem klägerischen Vortrag, mit Blick auf die nachholende Gründung des Zweckverbandes sei eine auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Gründung zurückreichende Aufgabenübertragung nicht möglich. Dabei kann für den Zweckverband Wismar unabhängig von den sich stellenden Rechtsfragen der Anwendbarkeit des Reichszweckverbandesgesetzes bzw. des § 61 KV DDR zunächst festgehalten werden, dass ein fehlerhaft gegründeter Zweckverband jedenfalls alsfaktischer Zweckverband zu behandeln ist, auch wenn ihm keine hoheitlichen Aufgaben und Kompetenzen zugekommen sein sollten. Denn er ist nicht nur - wenn auch möglicherweise fehlerhaft - gegründet worden, sondern hat auf Grundlage der damaligen Gründungsverträge und –satzungen auch gearbeitet und ist Verpflichtungen eingegangen.

79

Vgl. zu weiteren Einzelheiten Pencereci/Bluhm, LKV 1998, 172 und 173 ff.; zur fehlgeschlagenen Kompetenz- und Aufgabenübertragung und zum fehlerhaften Verband auch Kollhosser, NJW 1997, 3265 f., 3267 ff.

80

Jedenfalls mit der nicht zu beanstandenden rückwirkenden Nachgründung sind die faktisch bereits früher erfolgten Aufgabenübertragungen auf eine (neue und ausreichende) rechtliche Grundlage gestellt worden. Durch der auf Grundlage der §§ 151 KV M-V erfolgten Nachgründung wurden öffentlich-rechtliche Aufgaben und Kompetenzen nachträglich und rückwirkend mit heilender Wirkung übertragen. Insoweit konnte auch die – im Übrigen unanfechtbare - aufsichtbehördliche Genehmigung rückwirkend erteilt werden.

81

Im Übrigen kommt es auch deshalb nicht darauf an, ob der Zweckverband mit Wirkung für die Vergangenheit rechtswirksam gegründet worden ist, weil es vorliegend um Bescheide aus dem Jahre 2009 und 2010 geht. Dass der Zweckverband Wismar nach seiner Nachgründung 1998 für die Zukunft und damit heute rechtlich nicht existent ist, ist nicht erkennbar. Der klägerseitig dargelegten abweichenden Rechtsprechung braucht daher nicht weiter nachgegangen zu werden. Dahinstehen kann daher auch, ob im Gründungsvertrag aus dem Jahr 1991 rechtswidrig eine Veröffentlichungsklausel gefehlt hat.

82

Die Aufnahme der Gemeinde Jesendorf in den Zweckverband im Jahr 2005 ist für die Existenz des Zweckverbandes Wismar ohne Bedeutung. Deshalb ist unerheblich, ob einzelne Bestimmungen des Vertrages unklar oder widersprüchlich sind.

83

b) Soweit klägerseitig weiter moniert wird, – privatrechtliche - Vermögensübertragungen seien fehlerhaft gewesen, hat der Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass erforderliche Eigentumsübertragungen erfolgt sind und soweit erforderlich auch im Grundbuch eingetragen wurden. Im Übrigen hätte eine fehlerhafte Übertragung von Vermögen mit der Wirksamkeit der Gründung nichts zu tun. Nach § 151 Abs. 1 KV M-V werden einem neu zu gründenden Zweckverband durch öffentlich-rechtlichen Vertrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung übertragen. Die erforderlichen Verwaltungsmittel und ggf. Anlagen können dem Zweckverband gleichfalls übertragen werden, soweit diese der Aufgabenerfüllung dienen. Es ist aber nicht zwingend und berührt die Wirksamkeit der Gründung und die Anwendbarkeit des Kommunalabgabenrechts durch den Zweckverband nicht, ob und in welchem Umfang ihm diese Anlagen von den Mitgliedsgemeinden übertragen werden. Vielmehr kann der Zweckverband sich diese Anlagen auch selbst beschaffen und/oder errichten und durch dessen Errichtung und/oder Beschaffung sowie deren Betrieb durch das Beitrags- und Gebührenaufkommen nach Maßgabe des kommunalen Abgabenrechts finanzieren. Insofern hat das Gericht keine Bedenken, dass dem Zweckverband Wismar durch dessen Mitgliedsgemeinden lediglich öffentlichen Aufgaben der u. a. Wasserbeschaffung und Abwasserentsorgung übertragen worden sind. Insofern ist es auch unerheblich, ob Ausgleichsverträge nach § 153 KV M-V abgeschlossen und ob und in welchem Umfang Vermögenswerte auf den Zweckverband übertragen worden sind.

84

3. Die Veröffentlichungsbestimmung des § 22 derVerbandsatzung des Zweckverbandes Wismar ist nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil dort ein Hinweis auf die Veröffentlichung in der Ostsee-Zeitung unter „Öffentliche Bekanntmachungen“ fehlt. § 6 der Durchführungsverordnung zur Kommunalverfassung (KV-DVO) vom 4. März 2008 (GVOBl. M-V, S. 85) verlangt lediglich, dass die entsprechende Zeitung einen Hinweis auf die öffentliche Bekanntmachung enthält. Die weiteren Anforderungen an eine Veröffentlichung in der Zeitung sind erfüllt. Es ist auch nicht notwendig, dass dieOstsee-Zeitung (Lokalteil Wismarer Zeitung) überall im Verbandsgebiet erhältlich ist. Entscheidend ist, dass durch die Art und Weise der Bekanntmachung jeder Bürger als Normadressaten der Regelung ermöglicht wird, sich über den Inhalt der Regelung zu informieren.

85

Vgl. BVerfG, Urt. v. 2. April 1963 – 2 BvL 22/60 – juris Rn. 36; Glaser, in: Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentierung zur Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 3. Aufl. 2005, § 5 Rn. 15.

86

Im Übrigen dürften die Kläger mit diesem Vortrag schon deshalb nicht gemäß §§ 5 Abs. 5, 154 KV M-V gehört werden, weil er die Fehlerhaftigkeit der Verbandssatzung erst nach über einem Jahr nach Bekanntgabe der Verbandssatzung in einem im August 2011 eingegangenen Schriftsatz geltend gemacht hat.

87

Es ist auch nicht vorgeschrieben, dass eine Verbandssatzung Regelungen über die Zustellung schriftlicher Einzelinformationen enthalten muss.

88

4. Wie das Verwaltungsgericht Schwerin in ständiger Rechtsprechung entschieden hat,

89

- vgl. etwa Beschl. der Kammer vom 19. Mai 2010 – 8 B 153/10 -, S. 3 sowie zuletzt etwa die Urt. der Kammer v. 27. Mai 2011 – 8 A 898/10 - und - 8 A1279/10 - jeweils S. 6 -

90

entspricht die den angegriffenen Bescheiden nunmehr zugrunde liegende Beitragssatzung Schmutzwasser (BSSW 2010) des Zweckverbandes Wismar in der Fassung vom 3. März 2010 den Vorgaben höherrangigen Rechts, insbesondere dem Kommunalabgabengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern und ist damit wirksam.

91

a) Sie enthält die nach § 2 Abs. 1 KAG M-V vorgeschriebenen Mindestbestandteile. Die in den drei Urteilen des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 22. Januar 2010 - 8 A 1364/09, 1366/09 und 1369/09 - (letzteres in veröffentlicht juris, Rn. 14 ff.) monierten Regelungen der Beitragssatzung Schmutzwasser in der Fassung vom 7. Mai 2009 (BSSW 2009) sind beseitigt bzw. ergänzt worden. Die Widersprüchlichkeit der Vorschriften der Satzung in § 6 Abs. 4 c) BSSW 2009 einerseits und § 6 Abs. 5 f) BSSW 2009 andererseits bezüglich der Zahl der Vollgeschosse, sofern solche nicht feststellbar sind, ist durch Streichung des § 6 Abs. 4 c) BSSW 2009 beseitigt worden. Die weiterhin beanstandete Bestimmung des § 6 Abs. 5 e) Satz 3 BSSW 2009 bezüglich von vor dem 30. April 1994 entsprechend bisherigen Rechts errichteten Gebäuden ist um folgenden Satz ergänzt worden:

92

"[...]; weisen die in einem solchen Gebäude vorhandenen Geschosse schräge Wände auf, gelten sie dann als Vollgeschoss, wenn sie über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche die lichte Höhe des darunter liegenden Geschosses aufweisen."

93

Damit hat der Satzungsgeber eine bestimmbare lichte Höhe für weitere Vollgeschosse festgelegt, die als sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung mit nach dem genannten Stichtag errichteten Gebäuden erscheint oder diese jedenfalls relativiert. Solche oder ähnliche Bestimmungen bei anderen Zweckverbänden sind von der Kammer in der Vergangenheit nicht beanstandet worden. Entgegen klägerischer Auffassung ist die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Zweckverbandes Wismar in § 1 Abs. 1 BSSW 2010 und §§ 1 Abs. 1 a), 2 Abs. 1 Schmutzwassersatzung hinreichend klar im Sinne des § 2 Abs. 2 KAG definiert. Soweit klägerseitig darauf verwiesen wird, dass die Entsorgung des Niederschlagswassers nicht berücksichtigt sei, wird übersehen, dass nach der Legaldefinition des Abwassers in § 2 Abs. 2 Satz 1 des Abwasserabgabengesetzes Niederschlagswasser und Schmutzwasser jeweils eine Unterkategorie darstellen (vgl. auch § 2 Abs. 3 Schmutzwassersatzung). Die Entsorgung von Niederschlagswasser ist ersichtlich nicht Aufgabe der Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Zweckverbandes, zumal der Beklagte in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, dass Schmutz- und Niederschlagswasser getrennt sind.

94

b) § 3 Abs. 2 BSSW 2010 ist nicht nichtig, weil unklar sein könnte, wie diese Vorschrift sich zu den Abs. 1 und 2 in § 3 BSSW 2010 verhalte. § 3 Abs. 2 BSSW 2010 stellt eine Auffangvorschrift für den Fall dar, dass das Grundstück eines Eigentümers entgegen den grundsätzlichen Vorgaben des § 3 Abs. 1 BSSW 2010 tatsächlich angeschlossen ist. In diesem Fall ist ein Beitrag zwingend zu erheben.

95

c) § 6 Abs. 2 e) BSSW 2010 ist nicht zu beanstanden. Es ist nicht entscheidend, ob es im Verbandsgebiet Fälle von Abrundungssatzungen im Sinne des § 34 Abs. 4 BauGB gibt. Dafür reicht aus, dass in der Zukunft Mitgliedsgemeinden jederzeit Abrundungssatzungen erlassen könnten. Im Übrigen hat der Beklagte klargestellt, dass es Abrundungssatzungen im Verbandsgebiet gibt.

96

d) Es fehlt auch nicht an einer den Fall einer Wohnungsanlage der vorliegende Art besonders erfassenden Maßstabsbestimmung. Es handelt sich bei den auf dem Grundstück errichteten Häusern um im Prinzip ganzjährig nutzbare Häuser. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, wäre dieser Gesichtspunkt unerheblich, weil der Zweckverband gehalten ist, die Abwasseranlage so zu errichten und zu betreiben, dass sie auch dann ausreichend ist, wenn – wie etwa in der warmen Jahreszeit – alle Häuser bewohnt werden. Ein geringer Maßstab wäre daher gleichheitswidrig.

97

e) Soweit in den die Beitragsbescheide des Beklagten betreffenden Eilverfahren klägerseitig die Rechtmäßigkeit der §§ 7 Abs. 2 und 8 BSSW 2010 in Frage gestellt worden, ist dies für die Entscheidung des vorliegenden Falles unerheblich. Die erstgenannte Vorschrift betrifft Erstattungsansprüche bei der Herstellung weiterer und die Verlegung von Grundstücksanschlüssen, die letztgenannte Vorschrift die hier nicht in Rede stehenden Vorausleistungen von Beiträgen. Selbst wenn die Bestimmungen nichtig wären, würde sich dies nicht auf die Wirksamkeit der gesamten Satzung auswirken, da die genannten Bestimmungen isolierte Einzelfragen betreffen.

98

f) Ob die Regelungen in §§ 21 und 25 der Schmutzwassersatzung des Zweckverbandes Wismar über die Duldung des Anschlusses eines Grundstücks an die Schmutzwasserentsorgungsanlage und dessen mögliche zwangsweise Durchsetzung im Wege der Ersatzvornahme gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG oder das Grundrecht auf Wohnung (Art. 13 GG) verstoßen und nichtig sind, bedarf hier keiner Entscheidung. Selbst wenn dies zutreffen sollte, hätte dies auf die Wirksamkeit der Beitragssatzung Schmutzwasser keine Auswirkungen, weil die Beitragssatzung insoweit nicht auf der technischen Satzung aufbaut oder auf sie verweist, sondern den Anschluss oder die Anschlussmöglichkeit vielmehr voraussetzt.

99

g) Die Kalkulation des in § 7 Abs. 1 BSSW 2010 festgesetzten Beitragssatz in Höhe von 3,10 € je Quadratmeter anrechenbarer Nutzfläche begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.

100

aa) Das Gericht ist bei der Prüfung der Gültigkeit einer angegriffenen Satzung einerseits nicht auf die von Klägerseite geltend gemachten Mängel beschränkt. Sind objektiv mehrere Rechtsfehler vorhanden, so ist das Gericht insbesondere nicht verpflichtet, jeden dieser Rechtsfehler zu ermitteln und darauf seine Entscheidung zu stützen. Das gerichtliche Verfahren dient nicht - wie etwa ein behördliches Anzeige- oder Genehmigungsverfahren - einer umfassenden Prüfung der Rechtslage unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt.

101

Vgl. BVerwG, Beschl. v. 20. Februar 2001 – 4 BN 21.01 - juris Rn. 12 für das Normenkontrollverfahren.

102

Andererseits untersucht das Gericht die Kalkulation nur insoweit auf Rechtsfehler, als solche von den Beteiligten substantiiert geltend gemacht werden. Das Gericht geht diesbezüglich nicht „ungefragt auf Fehlersuche“.

103

Vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 17. April 2002 – 9 CN 1.01 -, juris LS 2 und 3 und Rn. 43 mwN.

104

Bei Beachtung dieser Vorgaben gilt im vorliegenden Fall Folgendes:

105

bb) Bereits im zitierten Urteil vom 22. Januar 2010 (juris Rn. 26 ff.) hat das Gericht ausführlich zur Kalkulation der Beitragsatzung Schmutzwasser 2009 Stellung genommen und keine Fehler festgestellt. Darauf wird zunächst hingewiesen. In diesem Zusammenhang sind auch die Flächenermittlungen des Zweckverbandes erörtert und nicht beanstandet worden. Daran ist festzuhalten. Einzelne Flächenermittlungen werden auch nicht konkret angegriffen. Ein öffentlicher Anteil des kommunalen Aufgabenträgers ist im Bereich des hier maßgeblichen Anschlussbeitragsrechts im Gegensatz zu den Erschließungsbeiträgen nach § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB bzw. Straßenausbaubeiträgen nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V nicht zu berücksichtigen. Gegenteiliges lässt sich dazu auch nicht der Rechtsprechung des OVG M-V entnehmen.

106

cc) Weiter ist zu beachten, dass mangels Klagebefugnis (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO) die Klägerseitig aufgeworfenen Frage nicht nachgegangen werden muss, ob die nach § 15 Abs. 4 der Verbandsatzung erforderliche Zustimmung der Verbandsversammlung zu den Investitionsvorhaben ausdrücklich erfolgt sind. Denn § 15 Abs. 4 der Verbandssatzung ist keine drittschützende Norm, die anderen als den Mitgliedern der Organe des Zweckverbandes insoweit Rechte einräumt.

107

dd) Im Beitragrecht für leitungsgebundene Anlagen sind in der Kalkulation keine Abschreibungen vorzunehmen. Im hier maßgebenden Anschlussbeitragsrecht ist gemäß § 9 KAG M-V bei der Kalkulation der Aufwand für die Anschaffung und Herstellung der notwendigen öffentlichen Einrichtungen zur leitungsgebunden Versorgung mit Wasser oder Abwasserentsorgung anzusetzen. Der Aufwand ist nach den Kosten zu ermitteln. Abschreibungen sind dabei nicht vorzunehmen. Dies folgt auch aus Nr. 5.1.1 des klägerseitig zitierten Einführungserlasses des Innenministeriums vom 14. Juni 2005 – II 330 – 179-00-06 – (abgedruckt bei Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Anhang 1).

108

Abschreibungen von den Anlagewerten sind zwar nach § 6 Abs. 2 KAG M-V bei der Ermittlung der Gebührensätze u. a. nach Maßgabe des dortigen Absatz 2a zu berücksichtigen. Unzutreffend ist insoweit die klägerische Annahme, die über die Gebühren realisierten Abschreibungen seien bei der Beitragskalkulation zu berücksichtigen. Maßgebend ist allein, dass nach den gesetzlichen Vorgaben der Aufwand in die Kalkulation einzustellen ist. Soweit bei der Berechnung der Abschreibungen dem Zweckverband Wismar Fehler unterlaufen sein sollten, ist dies bei der Überprüfung der Gebührenkalkulation in einem Verfahren zum Gebührenrecht zu prüfen.

109

ee) Die der Schmutzwasserbeitragssatzung zugrunde liegende Globalkalkulation ist nicht deshalb zu beanstanden, weil zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Satzung das Abwasserbeseitigungskonzept noch nicht beschlossen worden ist. Es ist weder vorgeschrieben noch sonst zwingend, dass die erforderlichen Prognosen nur auf Grund eines förmlichen Abwasserbeseitigungskonzeptes zu erstellen sind. Nach den dem Gericht vorliegenden Kalkulationsunterlagen sind Prognosen in der „Planung der Investitionskosten und Fördermittel (Zuarbeit Fr. D.)“, der „Kostenschätzung Baumaßnahmen 2008 bis 2014“ sowie einer unter der Bezeichnung „Kostenschätzung B-Pläne“ abgespeicherten Datei enthalten. Dies genügt als Schätzungsgrundlage. Es ist auch nichts Substantiiertes dazu vor worden und es bestehen auch derzeit sonst keine Anhaltspunkte, aus dem sich ergeben könnte, dass die Prognosen des Zweckverbandes und die ihnen zugrunde liegenden Annahmen offensichtlich unzutreffend und die zugrunde liegenden Investitionszahlen oder -vorgaben offensichtlich willkürlich oder sonst falsch sein könnten. Im Übrigen folgt aus der Aufzählung von Altanlagen im Anlagespiegel oder im Vermögensnachweis nicht, dass der Wert dieser Anlagen auch in der Beitragskalkulation berücksichtigt worden ist. Dass dies so sein soll, ist bislang auch nicht ansatzweise substantiiert dargelegt worden.

110

ff) Soweit klägerseitig geltend gemacht wird, aus der Aufstellung Erneuerung KN vor 1979 (Beiakte 55 Anlage 1) sei nicht zu ersehen, ob jene Anlagen herausgenommen worden seien, hat der Beklagte erläutert, dass es sich bei den in der Aufstellung genannten Beträge um nach der „Wende“ getätigte Investitionen handele. Zudem sind dort nur Anlagen der Kanalisation enthalten. Investitionen aus „DDR-Zeiten“ sind darin somit nicht erfasst. In der Aufstellung Planung der Investitionen und Fördermittel (Anlage 3) ist zwar nicht zwischen Pumpstationen und Rohrleitungen differenziert. Dies macht die Aufstellung aber nicht unverständlich. Soweit der klägerische Prozessbevollmächtigte eine Datei mit verrutschten Zahlen geöffnet bzw. ausgedruckt hat, führt auch dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Kalkulation, zumal diese der Verbandsversammlung in Papierform vorgelegen hat. Die Kalkulation ist auch nicht deshalb mangelhaft, weil einzelnen Tabellen nicht der Investitionszeitraum zu entnehmen ist. Da die Globalkalkulation bis 2014 reicht, ist davon auszugehen, dass Investitionen auf den gesamten Zeitraum verteilt werden können, ohne dass dies im Einzelnen dargelegt oder zeitlich zugeordnet werden muss. Aus dem Umstand, dass die früheren Investitionsprognosen geringer ausgefallen sind als die nunmehr zugrunde liegenden Werte, führt nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation. Insofern ist dem Zweckverband ein vom Gericht nicht voll überprüfbarer Prognosespielraum zuzugestehen. Es ist nichts Substantiiertes dazu vorgetragen oder sonst ersichtlich, woraus sich eine Überschreitung dieses Spielraums ergeben könnte.

111

gg) Die klägerische Behauptung, aus dem Evaluationsgutachten der Fa. Schultz & Partner, Hamburg/Bremen über die wirtschaftliche Entwicklung des Zweckverbandes Wismar vom August 2010 ergebe sich, dass die Verwendung von Subventionen im Rahmen der Beitragskalkulation zweckwidrig erfolgt sei, ist unzutreffend. Das Gutachten beschäftigt sich nicht mit der Beitragskalkulation, sondern mit der „ergebnis-offenen Betrachtung“ der Frage, wie sich der Zweckverband Wismar finanziell entwickelt hat bzw. sollte. Es geht unter anderem der Frage nach, ob es – wie derzeit geschehen - sinnvoll ist, Subventionen zur Minderung der Gebühren zu verwenden. Es enthält auf S. 4 und 10 keine Aussagen dazu, dass entgegen der Vorgaben des § 9 Abs. 2 Sätze 1 und 4 KAG M-V Zuschüsse Dritter in der Beitragskalkulation nicht von den tatsächlichen oder zu erwartenden Kosten der errichteten Anlagen abgezogen worden sind und so in die Höhe des Beitrags eingeflossen ist.

112

hh) Das Gericht muss auch nicht weiter aufklären, ob nach der Beschlussvorlage für die Verbandsversammlung am 3. März 2010 kein bestimmter Beitragssatz zur Abstimmung gestellt werden sollte und die Kalkulationsunterlagen der Verbandsversammlung nur unvollständig vorgelegen haben. Soweit klägerseitig dazu behauptet wird, Mitgliedern der Verbandsversammlung hätten keine entsprechenden Unterlagen zur Verfügung gestanden, ist dies nach Aktenlage unzutreffend. Unter Tagesordnungspunkt 11 der beglaubigten Niederschrift der Verbandsversammlung vom 3. März 2010 und dessen Anlagen hat der Verbandsversammlung die Kalkulation 2009 einschließlich eines Ergänzungsberichts vorgelegen. Diese Unterlagen haben, soweit sie beglaubigt sind, Beweiskraft nach § 33 Abs. 1 VwVfG M-V i. V. m. §§ 189 VwGO, 417 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) als öffentliche Urkunde. Sie erbringen den vollen Beweis der dort dokumentierten Vorgänge. In dieser Niederschrift ist auch festgehalten, dass ein bestimmter Beitragssatz nach den der Verbandsversammlung vorgelegten Unterlagen beschlossen worden ist. Es ist nichts Substantiiertes dafür dargetan, dass die im Protokoll dokumentierten Vorgänge (so) nicht stattgefunden haben. Im Protokoll ist zudem an keiner Stelle vermerkt, dass ein Mitglied die Unvollständigkeit übersandter oder zur Verfügung stehender Unterlagen moniert hat oder gar wegen der Komplexität der Kalkulation eine Unterbrechung der Sitzung zwecks ausführlicher Einsichtnahme in die genannten Unterlagen oder gar die Vertagung des Tagesordnungspunktes beantragt hat. Vielmehr hat ein Mitglied sogar den beschlossenen Beitragssatz von 3,10 € vorgeschlagen. Der klägerseitig angeregte Ausdruck der Kalkulationsdateien der CD-ROM (Beiakte 5 zu 8 A 507/10) durch das Gericht ist bereits deshalb nicht erforderlich, weil Gegenstand der Beratungen der Verbandsversammlung die Kalkulation in Papierform gewesen ist. Es ist Sache der Verbandsversammlung, ob auf Grundlage der vorhandenen und ausreichenden Unterlagen eine Entscheidung über den Beitragssatz getroffen werden kann oder ob angesichts der Komplexität der Kalkulation die Sitzung unterbrochen werden muss oder gar eine Vertagung erforderlich ist. Ob und inwieweit einzelne Mitglieder der Verbandsversammlung tatsächlich Einsicht genommen und sich mit dem Zahlenmaterial auseinandergesetzt haben, ist für die Rechtmäßigkeit der Satzung ebenso wenig von Bedeutung wie bei Bundestags- oder Landtagsabgeordneten im Zusammenhang mit der Verabschiedung von Gesetzen.

113

Nach allem bedarf auch die Frage keiner näheren Beleuchtung, ob ein verspäteter Vortrag, es haben Unterlagen der Vertretungskörperschaft nicht vorgelegen, als Geltendmachung eines (zunächst) formalen Verstoßes gegen §§ 38 Abs. 3 Satz 1, 22 Abs. 3 Nr. 11 KV M-V ggf. in Verbindung mit der Geschäftsordnung der Körperschaft der Präklusionsregelung des § 5 Abs. 5 KV M-V unterfallen könnte.

114

ii) Aus dem Umstand, dass in der Vergangenheit die Beitragskalkulation des Zweckverband Wismar nicht allen gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat, folgt nicht, dass die nunmehr vorliegende Kalkulation fehlerhaft ist. Klägerseitig ist in diesem Zusammenhang vorgetragen worden, dass der Beitragssatz über Jahre stabil geblieben sei, was wegen der sich ändernden wirtschaftlichen Grundannahmen nicht möglich sei. Sofern damit der in der Satzung in § 7 Abs. 1 BSSW 2010festgesetzte Beitragssatz von 3,10 €/m² gemeint sein sollte, ist darauf hinzuweisen, dass es dem Zweckverband unbenommen ist, einen Beitragssatz unterhalb des kalkulierten Höchstbeitragssatz festzusetzen. Sollte mit dem Vortrag der kalkulierte höchstmögliche Beitragssatz gemeint sein stimmt nach den Erkenntnissen des Gerichts bereits die Annahme nicht, dass der Beitragssatz stabil gewesen ist. Nach dem Kalkulationsgutachten (einer Rechnungsperiodenkalkulation) der Fa. WIBERA vom 9. März 2001 sollte der kalkulierte Schmutzwasserbeitragssatz 6,58 DM/m² betragen, also 3,36 €/m². Im WIBERA-Gutachten (einer Globalkalkulation) vom 1. Dezember 2005 war ein Beitragssatz von 4,48 € ermittelt worden. Nach der jetzt maßgebenden Kalkulation 2009 liegt der höchstmögliche Beitragssatz bei 4,43 €. Daraus lässt sich nach Auffassung des Gerichts nicht herleiten, dass die heute maßgebende Kalkulation unzutreffend ist. Auch die Fehler in der Beitragssatzung 2009 sind nicht so gravierend gewesen, dass die Kalkulation grundlegend neu erarbeitet werden musste. Grundlegende Parameter mussten deshalb nicht neu definiert werden, so dass der kalkulierte Beitragssatz plausibel erscheint.

115

kk) Die klägerische Behauptung, lediglich 93.000.000,-- € Investitionskosten seien sinnvoll und nachweisbar, ist unsubstantiiert. Es wurde nichts dazu vortragen und es ist auch sonst nichts dafür ersichtlich, welche veranschlagten Investitionen nicht nachweisbar sein sollen und weshalb veranschlagte Aufwendungen von insgesamt ca. 115.000.000,-- € nicht nachweisbar sind. Es ist auch nicht substantiiert dargelegt worden, weshalb die veranschlagten Prognosekosten bis 2014 um 31 Millionen € überhöht sein sollen.

116

5. Die nach allem rechtsgültige Beitragssatzung hat der Beklagte im vorliegenden Fall zutreffend angewandt.

117

a) Der Beklagte muss nach Inkrafttreten der Änderungssatzung keine neuen Beitragsbescheide erlassen. Dies gilt hier schon deshalb, weil über den klägerischen Widerspruch gegen den Beitragsbescheid erst nach Erlass der Änderungssatzung entschieden worden ist. Bei Anfechtungsklagen kommt als frühester maßgebender Zeitpunkt die Sach- und Rechtslage zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, also des Erlasses des Widerspruchsbescheides (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) in Betracht.

118

Vgl. zum Meinungsstand näher Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 31 ff.; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 113 Rn. 97 ff.

119

Zu diesem Zeitpunkt hat im vorliegenden Fall jedenfalls bereits die Beitragssatzung Schmutzwasser in der genannten Fassung vom 3. März 2010 gegolten.

120

b) Zudem hat der Beklagte im angegriffenen (Ausgangs-)Bescheid die maßgebenden Parameter zur Berechnung des Beitrags nachvollziehbar genannt. Die Angaben in den Bescheiden sind hinreichend bestimmt. Sie enthalten, wie § 157 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V vorschreibt, den festgesetzten Beitrag nach Art und Höhe. Die Eigentümer des streitbefangenen Grundstücks sind, wie auch aus dem Bescheid folgt, insbesondere gemäß § 7 Abs. 2 Satz 5 KAG M-V und § 5 Abs. 2 BSSW 2010 als Wohnungs- und Teileigentümer nur entsprechend ihrem Miteigentumsanteil beitragspflichtig. Soweit die innere Flächenaufteilung einzelner Parzellen unzutreffend sein sollte, berührt dies die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung nicht. Der Beklagte hat seiner Veranlagung allein die Grundbuch- und Katasterangaben zugrunde zu legen. Aus § 891 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergibt sich die gesetzliche Vermutung, dass eingetragene Rechte zugunsten einer bestimmten Person diesen auch zustehen. Diese Vermutung wird nicht bereits durch ihre Erschütterung widerlegt, sondern erst durch den vollen Beweis des Gegenteils.

121

Vgl. BGH, Urt. v. 2. Dezember 2005 – V ZR 11/05 -, juris Rn. 11; Bassenge, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl. 2011, § 891 Rn. 8 je mwN.

122

Dafür ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. Bei der Berechnung der beitragsfähigen Miteigentumsflächen nach § 7 Abs. 2 Satz 5 KAG M-V kommt es daher nicht auf die sich aus der im notariell beurkundeten Wohnungseigentumsvertrag ergebenden (nicht amtlichen) Flächenangaben der Parzellen, der Garten- und der Gemeinschaftsanteile an. Maßgebend ist allein die Gesamtfläche des Flurstücks [...] und der daraus jeweils resultierende Miteigentumsanteile, wie sie sich aus Angaben im Wohnungs- oder Teileigentumsgrundbuch nach § 7 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) ergeben.

123

c) Zutreffend hat der Beklagte sich hinsichtlich des Beitragsmaßstabs auf § 6 Abs. 2 a) BSSW 2010 gestützt. Denn die gesamte Fläche des Flurstücks [...] liegt im Bereich des Bebauungsplans Nr. 3 der Gemeinde Z.. Entgegen dem klägerischen Vortrag ist mit Blick auf die bauplanungsrechtliche Festsetzung als Wochenend- oder Ferienhausgebiet der Beitragsmaßstab nicht § 6 Abs. 2 f) BSSW 2010 zu entnehmen, sondern § 6 Abs. 2 a) BSSW 2010. Die in § 6 Abs. 2 f) BSSW 2010 genannte "sonstige Nutzung" meint - wie die dort genannten Beispiele ("Camping-Plätze, Schwimmbäder" ferner "Sport- und Festplätze sowie Parkanlagen") zeigen - offenbar nicht die der Erholung dienenden Sondergebiete im Sinne des § 10 Abs. 1 der Baunutzungsverordnung (BauNVO 1990), die nach § 10 Abs. 2 BauNVO 1990 im Bebauungsplan besonders festzusetzen sind. Denn ein bebautes Grundstück wird regelmäßig schmutzwassermäßig in größeren Umfang genutzt, als ein solches etwa mit Zeltplätzen oder Sportanlagen.

124

Insofern geht auch die Rüge fehl, es fehle in der Beitragssatzung gleichheitswidrig an einem entsprechenden Sondermaßstab für Wochenendhaussiedlungen mit Kleingartencharakter. Deshalb bleibt auch der klägerische Hinweis auf eine Freizeitsiedlung mit kleingärtnerische Nutzung der Anlage erfolglos. Der Beklagte weist insoweit zutreffend darauf hin, dass § 3 Abs. 2 des Kleingartengesetzes (KleingG) nur Lauben - also keine Häuser - von viel geringerer Grundfläche (24 m²) als die Wochenendhäuser (mögliche Aufstandfläche laut Bebauungsplan: 70 m²) auf dem streitbefangenen Grundstück zulässt und anordnet, dass diese – im Gegensatz zu den Wochenendhäusern (vgl. § 10 Abs. 1, Abs. 3 BauNVO) nicht zu dauernden Wohnzwecken zu dienen bestimmt sein dürfen.

125

d) Die Höhe des Beitrags bemisst sich entgegen der klägerischen Ansicht nicht nach "wirtschaftlichen und gebrauchspraktischen Vorteilen". Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V, § 6 Abs. 2 BSSW 2010 ist vielmehr der grundstücksbezogene Vorteil maßgebend, den die Eigentümer durch die Möglichkeit des Anschlusses an die nach 1990 hergestellte Schmutzwasseranlage haben. Zum Vorteilsbegriff hat das OVG M-V in seinem "Volkswerft-Urteil" vom 10. Oktober 2007 - 1 L 256/06 - (zit. nach juris Rn. 28) unter Hinweis auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein (OVG S-H) (Urt. v. 21. Dezember 1993 - 2 L 135/92 -, zit. nach juris Rn. 27 m. w. N.) ausgeführt:

126

"Der beitragsrelevante Vorteil, auf den der Maßstab der Beitragserhebung ausschließlich bezogen sein darf, besteht in der Erhöhung des Gebrauchswertes eines Grundstücks, so dass bei der Maßstabsfindung für Anschlussbeiträge von diesem Ansatz her auf den Umfang der wahrscheinlichen Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung abgestellt werden muss. Hierfür bietet die bauliche Ausnutzbarkeit eines Grundstückes einen hinreichenden und anerkannten Aussagewert. [...]"

127

Ein solcher wirtschaftlicher Vorteil, der nicht in der Erhöhung des Grundstücksverkehrswerts in Euro und Cent liegen muss,

128

- dazu ausführlich Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V [Stand: Juni 2010], § 7 Erl. 8.1.1 -

129

ist bereits bei der Möglichkeit des nach Inkrafttreten des ersten Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern erstmals rechtlich dauerhaft gesicherten Anschlusses an eine öffentliche Einrichtung anzunehmen.

130

Der in Schmutzwasserbeitragssatzung festgelegte einheitliche Beitragssatz für alt und neu angeschlossene Grundstücke verletzt nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. das Willkürverbot verletzt, sondern ist sogar geboten. In § 7 BSSW 2010 ist ein einheitlicher Beitragssatz festgesetzt worden, der gleichermaßen für die sogenannten Altanschließer, d.h. Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des ersten Kommunalabgabengesetzes (KAG 1991) an die Schmutzwasserentsorgung angeschlossen waren, als auch die neu angeschlossenen Grundstücke gilt. Dies ist nicht zu beanstanden und entspricht der sog. Altanschließer-Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (OVG M-V), der die Kammer folgt.

131

Vgl. Urteile v. 21. Mai 2008 - 8 A 2429/05 – und v. 22. Januar 2010 – 8 A 1369/09 – juris Rn. 39 mwN.

132

Durch die auf neuer Rechtsgrundlage neu geschaffene öffentliche Einrichtung "Schmutzwasserentsorgung" wird allen angeschlossenen bzw. anschließbaren Grundstücken erstmals der gleiche rechtlich dauerhaft abgesicherte Vorteil verschafft. Dies gilt sowohl für "Altanschließer" als auch für neu angeschlossene Grundstücke.

133

Vgl. OVG M-V, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 L 295/05 -, juris, Rn. 12 mwN; Urt. v. 13. November 2001 - 4 K 16/00 - juris Rn. 58 ff. unter Hinweis auf den Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 - NordÖR 1999, 302 = juris Rn. 16 ff.

134

Diese Rechtsprechung wurde vom Landesgesetzgeber bei der Novellierung des KAG M-V 2005 unter Hinweis auf seine Bindung an den Gleichheitssatz aufgenommen und berücksichtigt (LtDrs 4/1307, S. 48). Nach allem ist auch bei einem bereits vorhandenen Anschluss an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage von einer Wertsteigerung des betroffenen Grundstücks auszugehen.

135

e) Der Beklagte durfte das Grundstück innerhalb des Geltungsbereichs des genannten Bebauungsplans vollumfänglich berücksichtigten, obgleich möglicherweise ein Teilbereich der Öffentlichkeit zugänglich gehalten werden muss und auch weiteren bauplanungsrechtlichen Beschränkungen unterliegt. Dem klägerischen Vortrag, der Anteil an der gesamten Gemeinschaftsfläche (insbesondere der „Seewiese“) sei nach den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 3 der Gemeinde Z. "Wochenendhaussiedlung Erholungsgemeinschaft N." vom 28. August 1997 der Öffentlichkeit zugänglich zu halten und müsse deshalb insoweit bei der Beitragserhebung unberücksichtigt bleiben, folgt das Gericht hingegen nicht. Dabei ist vorab klarzustellen, dass ausweislich des genannten Bebauungsplans zum Ufer des N-sees hinunter lediglich Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und Entwicklung von Natur und Landschaft (vgl. auch § 9 Abs. 1 Nr. 20, Abs. 6 des Baugesetzbuchs [BauGB]) ausgewiesen sind. Lediglich für die "Uferpromenade" ist ein - tages- und jahreszeitlich beschränktes - Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit nach § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB festgesetzt. Nach dem Inhalt der Festsetzungen ist damit nicht auch die gesamte Seewiese erfasst. Vielmehr handelt es sich bei der am Ufer verlaufenden Linie um die Festlegung der Uferzone, die dem Planzeichen des Gehrechts zwar ähnelt, aber insbesondere kein „G“ enthält. In der südöstlichen Ecke des Flurstücks [...] ist darüber hinaus eine Teilfläche für Schmutzwasseranlagen vorgesehen.

136

aa) Nach ständiger Rechtsprechung führen öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen, welche die Ausschöpfung des im Bebauungsplan für ein Grundstück vorgesehenen Maßes der zulässigen baulichen Nutzung verhindern können, wie z. B. bauplanungsrechtliche Festsetzungen nach §§ 16 ff. BauNVO 1990, Nutzungsverbote im Interesse des Umweltschutzes, Anbauverbote im Interesse der Belange des Verkehrs, bauplanungsrechtliche Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO 1990 sowie Bestimmungen, die die Zerstörung erhaltenswerter Bauten untersagen, lediglich zurelativen Beschränkungen, sofern sie nicht ausnahmsweise zur völligen Unbebaubarkeit des Grundstücks führen. Baubeschränkungen, die demgegenüber das Maß der baulichen Nutzung tatsächlich so erheblich einschränken, dass nur ein Teil des Grundstücks bebaut werden kann, der wesentlich geringer als z.B. das durch die Grundflächenzahl zugelassene Nutzungsmaß ist, können nur ausnahmsweise die Bildung einer wirtschaftlichen Einheit in einen Teil erzwingen, soweit das Grundstück baulich nutzbar ist, und in einen nicht zu berücksichtigenden Grundstücksteil.

137

Vgl. dazu zum Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urt. v. 03. Februar 1989 - 8 C 66/87 -, zit. nach juris, LS 1 und 2 und Rn. 14 ff.; zu § 131 Abs. 1 BauGB; BVerwG, Beschl. v. 29. November 1994 - 8 B 171.94 -, zit. nach juris LS und Rn. 3 ff. m. w. N. sowie zum Beitragsrecht OVG NW, Urt. vom 25. September 2001 - 15 A 3850/99 -, juris Rn. 20 ff. m. w. N. und OVG NW, Urt. v. 24. Juni 2008 - 15 A 4328/05 -, juris Rn. 29; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24. November 2009 - 6 A 10866/09 - juris Rn. 22; VG Schwerin, Beschl. v. 4. Mai 2006 - 8 B 773/05 -, S. 10 f.; ferner VG Greifswald, Urt. v. 14. März 2007 - 3 A 630/06 - S. 6 ff.

138

Eine andere Betrachtungsweise ist nach der auf das Beitragsrecht übertragbaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitragsrecht nur geboten, wenn der Bebauungsplan für eine Teilfläche des Grundstücks die Bebaubarkeit infolge der Festsetzung als "öffentliche Grünfläche" ausschließt. Durch eine solche Ausweisung ist die betreffende Grundstücksfläche jeder beitragsrechtlich relevanten Nutzbarkeit entzogen. Die öffentliche Zweckbestimmung dieser Teilfläche lässt für keine Nutzung Raum, die gerechtfertigt sein könnte, weil die Anschlussmöglichkeit an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage sich zugunsten des Eigentümers vorteilhaft auswirken könnte. Vergleichbares gilt bei der Ausweisung einer Teilfläche als "private Grünfläche" aber schon deshalb nicht, weil diese Fläche - mangels Bestimmung für einen öffentlichen Zweck - weiterhin einer einheitlichen Nutzung mit der nicht von der in Rede stehenden Planfestsetzung betroffenen (Rest-)Fläche - zum Beispiel als Hausgarten - zugänglich ist und sich deshalb die von einer Anbaustraße vermittelte Erschließungswirkung auch auf die als "private Grünfläche" ausgewiesene Fläche erstreckt.

139

Dazu BVerwG, Urt. v. 25. Februar 1977 - IV C 35.74 - zit. nach juris LS und Rn. 12 sowie Beschl. v. 29. November 1994 - 8 B 171/94 - zit. nach juris Rn. 4 m. w. N..

140

Der klägerseits angeführte Beschluss des OVG S-H vom 2. September 1998 – 2 M 19/98 – (juris LS und Rn. 6 ff.) sagt nichts anderes aus. Dort heißt es:

141

„Bei der Beitragsbemessung sind Teilflächen, die kein Bauland sind und von der Vorteilswirkung der Entwässerungseinrichtung nicht erfaßt werden, nicht zu berücksichtigen. Wegen des engen Zusammenhangs zur baulichen Ausnutzbarkeit des Grundstücks erstreckt sich der (Anschluß-)Vorteil auf die Fläche, die für die Ermittlung der zulässigen baulichen Nutzung maßgeblich ist […].“

142

Der heute – anders als in § 19 Abs. 3 BauNVO 1990 - im Baugesetzbuch nicht mehr verwendete Begriff des Baulandes (vgl. demgegenüber noch § 9 Abs. 1 BBauG 1960) richtet sich insbesondere nach Art und Maß der baulichen Nutzung (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) sowie nach den Vorgaben der §§ 1 ff., 16 ff. BauNVO 1990 und den konkretisierenden Festsetzungen im maßgebenden Bebauungsplan. Als Bauland ist daher nur die (Teil-)Fläche anzusehen, die nach diesen Vorgaben maximal bebaut werden darf. Auch das OVG S-H führt in der genannten Entscheidung aus (juris Rn 6 unter Bezugnahme auf OVG S-H, Urt. v. 26. März 1992 – 2 L 167/91 -, juris Rn. 39 mwN):

143

„Zur Bemessung des durch die Inanspruchnahmemöglichkeit vermittelten Vorteils ist grundsätzlich auf die zulässige bauliche Nutzung des Grundstücks abzustellen […].“

144

Die Fläche des Grundstücks ist deshalb bei der Beitragsveranlagung in vollem Umfang zu berücksichtigen, wenn es im Rahmen der bauplanungsrechtlichen Vorgaben, hier insbesondere der festgesetzten Grundflächenzahl (zur Definition § 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) auch bei weiteren Nutzungsbeschränkungen durch andere Vorschriften baulich genutzt werden kann. Anders wäre nur zu entscheiden, wenn die bebaubare Fläche („Bauland“) bei Berücksichtigung von öffentlich-rechtlichen Beschränkungen (öffentliche Grünflächen, eventuell auch naturschutzrechtliche Beschränkungen) so klein wäre, dass im konkreten Fall für eine sinnvolle Bebauung kein Platz mehr wäre.

145

Vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 17. Januar 1986 – 9 B 37/85 – juris nur LS = KStZ 1986, 119; vgl. auch Stange, Baunutzungsverordnung 2011, § 19 Rn. 16 mwN.

146

Das wäre nur bei solchen Baubeschränkungen anzunehmen, die das Maß der baulichen Nutzung tatsächlich so erheblich einschränken, dass die bebaubare Fläche auf einen kleinen Teil des Grundstücks beschränkt wird, der wesentlich geringer als z.B. das durch die Grundflächenzahl zugelassene Nutzungsmaß ist. Dann müssten ggf. auch eine wirtschaftliche Einheit, soweit das Grundstück baulich nutzbar ist, und ein nicht zu berücksichtigender Grundstücksteil zu bilden sein.

147

Vgl. OVG NW, Urt. v. 29.November 1988 - 2 A 1678/86 - zit. nach juris Rn. 44 und v. 25. September 2001 - 15 A 3850/99 -, Rn. 20 sowie OVG NW, Beschl. v. 29. Oktober 2004 - 15 A 3608/04 - juris Rn. 3.

148

bb) Zu gesetzlichen Beschränkungen bevorteilter Grundflächen durch §§ 14 ff. des Naturschutzausführungsgesetzes (NatSchAG M-V) vom 25. Februar 2010 (GVOBl. M-V, S. 66) ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass das Gericht bereits im Beschluss vom 31. März 2008 – 8 B 79/08 - unter Bezugnahme auf den Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen (OVG NW) vom 22. März 2005 - 15 A 300/05 - (zit. nach juris Rn. 13) zur Anschlussbeitragspflicht bei Grundstücken, die in einem Landschaftsschutzgebiet liegen, ausgeführt hat:

149

"[Die Antragsteller] können auch nicht damit durchdringen, die Wasserbeitragssatzung lasse außer Acht, dass Grundstücke den Einschränkungen des § 20 Abs. 1 Nr. 2 des Landesnaturschutzgesetzes (LNatG M-V) unterliegen. Diese Einschränkung führt jedenfalls nicht dazu, dass die betroffenen Grundstücke nicht mehr bebaubar sind. Gesetzlich geschützte Biotope und Geotope unterliegen zwar gemäß § 20 LNatG M-V einem naturschutzrechtlichen Schutzregime, das die Nutzungsmöglichkeiten einschränkt, die betroffene Fläche aber nicht der privatnützigen Verwendung entzieht. Vielmehr dient die Unterschutzstellung nach der genannten Bestimmung nur bestimmten Zwecken. Danach sind Maßnahmen unzulässig, die zur Zerstörung, Beschädigung, Veränderung des Zustandes oder erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung näher beschriebener Biotope führen können. Die private Nutzung wird also naturschutzrechtlich überlagert, aber nicht verdrängt. Unerheblich ist auch, ob die Beschränkungen dem Allgemeininteresse dienen oder der Abwehr von Beeinträchtigungen, die von der baulichen Nutzung des Grundstücks selbst ausgehen wie etwa einzuhaltende Abstandsflächen."

150

Zudem lässt § 20 Abs. 3 NatSchAG M-V im Einzelfall Ausnahmen von den Beschränkungen zu.

151

cc) Die oben näher beschriebenen im Bebauungsplan Nr. 3 genannten Beschränkungen führen zu keiner solchen Differenzierung zwischen einem bebaubaren und unbebaubaren Teil des streitbefangenen Flurstücks. Es ist nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 a) BSSW 2010 im vollen Umfang zu berücksichtigen. Auch wenn die Seewiese und der mit einem Gehrecht belegte Teil des Flurstücks nicht bebaut werden dürfen, ist das durch den Bebauungsplan vorgegebene Maß der baulichen Nutzung nicht unterschritten.

152

Die Grundflächenzahl beträgt nach dem Bebauungsplan ca. 0,11. Nach dessen Festsetzungen (vgl. Nr. 1.2 und 1.3 der textlichen Festsetzungen) dürfen die - auf einer Fläche von insgesamt ca. 47.000 m² befindlichen - Wochenendhäuser eine Grundfläche von 60 m² zuzüglich eines Wintergartens von maximal 10 m² haben, also insgesamt 70 m². Dies ergibt bei 104 Wochenendhäusern eine Gesamtfläche von 7.280 m². Dies entspricht bei einer Gesamtgröße des Flurstücks von 64.650 m² einer Grundflächenzahl von etwa 0,11.

153

Selbst wenn der Bebauungsplan die höchstmögliche Grundflächenzahl bei Wochenendhausgebieten nach § 17 Abs. 1 BauNVO 1990 von 0,2 festgesetzt hätte, ergebe sich nichts anderes. Danach könnte auf dem gesamten Flurstück eine Fläche von maximal 12.930 m² bebaut werden. Die vorgesehene Fläche des Gehrechts entlang der "Uferpromenade" und die mit den naturschutzrechtlichen Beschränkungen überlagerte Fläche im Bereich der Seewiese (ca. 18.000 m²) überschreitet die danach bebaubare Fläche ersichtlich nicht. Es darf auch hierbei keiner abschließenden Klärung, welche Fläche für das Gehrecht vorgesehen ist. Die mit den Wochenendhäusern bebaute Fläche beträgt insgesamt 47.000 m². Anderes würde auch dann nicht gelten, wenn das Gehrecht die gesamte Seewiese erfassen würde.

154

dd) Die nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB - im Falle der Begründung entsprechender öffentlich-rechtlicher oder privater Nutzungsrechte - öffentlicher Nutzung zugänglich zu haltende, relativ schmale "Uferpromenade" (vgl. näher Nr. 2.1 der textlichen Festsetzungen im Bebauungsplan) entzieht den Grundstückseigentümern zudem die Nutzbarkeit der überplanten Fläche nicht vollständig. Sie schließt nur solche Nutzungen aus, welche die geplante Ausübung dieses Rechts behindern oder unmöglich machen würde. Es ist deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine mit einem Gehrecht zu belastende Fläche anderweitig genutzt werden kann. Anders wäre zu entscheiden, wenn die Nutzung der zu belastenden Fläche so intensiv wäre, dass eine andere Benutzung durch den Eigentümer so gut wie ausgeschlossen wäre.

155

Vgl. näher BVerwG, Beschl. v. 18. Dezember 1987 - 4 NB 2.87 - zit. nach juris Rn. 22; Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Urt. v. 4. Juli 1995 - 1 BA 1/95 - juris Rn. 32 f.; OVG NW, Urt. v. 30. Januar 1996 - 11a D 127/92.NE zit. nach juris Rn. 10 ff.; 15 Beschl. v. 19. Juni 2002 - 10a D 115/99.NE - juris Rn. 26 m. w. N..

156

Dafür ist aber bislang weder etwas vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Vielmehr lässt auch die nach dem Bebauungsplan tages- wie jahreszeitlich beschränkte Geltung des Gehrechts zugunsten der Allgemeinheit auf eine verbleibende private Nutzbarkeit schließen. Die in Rede stehenden Flächen können in anderer Beziehung durch die Eigentümer des Flurstücks [...] genutzt werden, soweit diese Nutzung dem Zweck des Gehrechts nicht entgegenstehen; sie dürfen in der Regel nur nicht in einer Weise bebaut werden, das die Ausübung des Gehrechts behindert (vgl. dazu OVG NW, Urt. v. 30. Januar 1996 - aaO, Rn. 10).

157

ee) Im Übrigen sind zum Seeufer hin lediglich Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und Entwicklung und Natur und Landschaft ausgewiesen (vgl. auch § 9 Abs. 1 Nr. 20, Abs. 6 BauGB). Wie dargestellt, ist die volle bauliche Ausnutzbarkeit des gesamten Grundstücks nicht erforderlich, um den Beitrag auf die gesamte Fläche zu erheben, denn der betreffende Grundstücksteil kann im Rahmen der dort genannten Festsetzungen weiterhin etwa als Liegewiese oder Gartenland genutzt werden. Darüber hinaus ist das streitgegenständliche Grundstück mit zahlreichen Wochenendhäusern bebaut, was seine prinzipielle Bebaubarkeit belegt. Es ist mithin gemäß § 6 Abs. 2 a) BSSW 2010 vom Beklagten mit der Gesamtfläche als im Geltungsgebiet eines Bebauungsplanes liegend angesehen worden. Dass die Eigentümer das Grundstück in einzelnen Beziehungen nicht voll nutzen können, führt danach nicht zur Reduzierung der bevorteilten Beitragsfläche (vgl. auch Urt. der Kammer vom 21. Mai 2008 - 8 A 2429/05 -, S. 6 f. zum Trinkwasserbeitragsrecht). Dies würde auch gelten, wenn die - zudem nicht ausnahmslos geltenden - Baubeschränkung aus dem hier allerdings wegen des Bebauungsplans nicht heranzuziehenden § 29 Abs. 1 Satz 1 NatSchAG M-V hergeleitet würde, wonach nur ausnahmsweise Bauten in einem Abstand von 50 m gewässerwärts von der Mittelwasserlinie an gerechnet nicht errichtet oder verändert werden dürfen.

158

hh) Es kommt nicht darauf an, ob im Jahre 2008 auf Seiten des Zweckverbandes Wismar im Rahmen von Verhandlungen mit der Wohnungseigentümergemeinschaft über den Abschluss eines Erschließungsvertrages von der Nichtberücksichtigung der Seewiese bei einer Beitragsveranlagung ausgegangen ist, wie klägerseitig vorgetragen wird. Dies ist im vorliegenden Rechtsstreit unerheblich. Maßgebend ist allein, ob der streitgegenständliche Beitragsbescheid die zu veranlagende Fläche (vollständig) erfasst. Ein (möglicherweise abweichender) Meinungsbildungsprozess auf Beklagtenseite hat auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides keinen Einfluss.

159

ii) Hinsichtlich der Fläche des auf der Gemeinschaftsfläche stehenden Pumpenspeicherwerks des Zweckverbandes Wismar hat das Gericht in den zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bislang Bedenken geäußert, ob diese bei der Beitragsberechnung habe berücksichtigt werden dürfen.

160

Daran hält das Gericht nach neuerlicher Prüfung nicht mehr fest.

161

Zutreffend ist zwar, dass im vorliegenden Fall die Fläche in der Größe der Umpflasterung der Pumpstation von insgesamt 27,86 m² durch die Eigentümer des Grundstücks nicht genutzt werden können. Die übrige vom Bebauungsplan festgesetzte Fläche von ca. 400 m² kann hingegen genutzt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Schmutzwasseranlage nicht beeinträchtigt wird. Diese nichtnutzbare Fläche ist aber im Verhältnis zur Gesamtfläche des Grundstücks (64.650 m²) so klein, dass sie mit 0,043 % nicht ins Gewicht fällt und die durch den Anschluss an die Schmutzwasseranlage erlangten Vorteil nicht mindern. Bei dieser „Größenordnung“ bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, wann eine nicht nutzbare Fläche bei der Beitragsberechnung unberücksichtigt bleiben muss.

162

Die klägerseitig vorgetragenen abweichenden Angaben im Liegenschaftskataster bezüglich eines Teils der Seewiese, wie sie im Schreiben der Landrätin des Landkreises Nordwestmecklenburg vom 8. September 2010 zum Ausdruck gekommen sind, braucht deshalb nicht weiter nachgegangen zu werden, weil – wie dargestellt - nach Auffassung des Gerichts die Gesamtfläche des Flurstücks bei der Veranlagung zu berücksichtigen ist.

163

f) Da die Alt- und Neuanschließer durch den Anschluss an die Schmutzwasseranlage die gleichen Vorteile genießen, sind entgegen klägerischer Auffassung auch die Kosten der technischen Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten erstellten Schmutzwasseranlagen aus der aktuellen Beitragskalkulation einzubeziehen. In den beiden (nicht veröffentlichten) Urteilen vom 22. Januar 2010 - 8 A 1364/09 und 1366/10 - hat das Gericht diesbezüglich hinsichtlich der Beitragskalkulation ergänzend ausgeführt, dass die

164

"nach 1990 durchgeführte (technisch betrachtet) Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten erbauten Anlageteilen beitragsrechtlich gesehen keine Erneuerung [ist], sondern erstmalige Herstellung einer Anlage im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V. Deshalb bedarf es insoweit auch keiner Beitragssatzung über Erneuerungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V. Nur wenn diese Anlagenteile danach nochmals erneuert werden, sind die dadurch verursachten Kosten Erneuerungskosten, die beitragsrechtlich nicht als Herstellungsaufwand berücksichtigt werden dürfen."

165

Deshalb durfte der Zweckverband Wismar die klägerseitig monierte Einstellung von 20.000.000 € Kosten für die die technische Erneuerung von bereits zu DDR-Zeiten hergestellten Kanalsystemen bei der Beitragskalkulation als Herstellungskosten berücksichtigen.

166

Nach dem Vorstehenden geht auch das weitere klägerische Argument fehl, wonach der Zweckverband Wismar bereits deshalb keine Abgaben erheben dürfe, weil die Eigentümer jedenfalls keinen Vorteil aus einer vom Zweckverband vorgenommenen Handlung erlangt habe. Dabei wird verkannt, dass der Zweckverband nur für solche Investitionen Beiträge erhebt, die er selbst vorgenommen hat. Investitionen aus „DDR-Zeiten“ werden damit nicht finanziert. Somit liegt eine von den Eigentümern zu finanzieren Handlung des Zweckverbandes vor.

167

g) Die Erhebung von Beiträgen ist nicht deshalb nach § 242 Abs. 9 BauGB (früher: § 246a Abs. 1 Nr. 11 BauGB a.F.) unzulässig, weil die Schmutzwasseranlage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Einigungsvertrages bereits hergestellt gewesen ist. Denn bei einer solchen Anlage handelt es sich um keine Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB. In § 127 Abs. 4 BauGB wird bezüglich (u. a.) leitungsgebundener Anlagen ausdrücklich darauf verwiesen, dass das Recht zur Erhebung von Beiträgen für diese Anlagen unberührt bleibt, sofern andere Gesetze - wie insbesondere die Kommunalabgabengesetze der Länder - dies vorsehen

168

Dazu Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 127 Rn. 50; Kniest, in: Ferner/Kröniger/Aschke, BauGB, 2. Aufl. 2008, § 127 Rn. 27.

169

Im Umkehrschluss folgt daraus, dass der Bundesgesetzgeber in den Fällen von bereits zu "DDR-Zeiten" fertig gestellten öffentlich-rechtlichen leitungsgebundenen Anlagen gerade keine zeitliche Sperre für eine Beitragserhebung vorschreiben wollte.

170

h) Der Beitragsanspruch des Zweckverbandes Wismar ist auch nicht gemäß § 12 KAG 1993 bzw. § 12 Abs. 2 KAG M-V in Verbindung mit §§ 47,169 ff. AO endgültig verjährt. Danach galt bzw. gilt eine Festsetzungsfrist von vier Jahren. Die Verjährung hängt nicht allein davon ab, dass ein bestimmter Zeitraum verstrichen ist. Maßgebend ist zunächst, dass die Frist auch angelaufen ist. Das ist hier nicht der Fall:

171

aa) Die Festsetzungsverjährungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres, indem die Abgabe (abstrakt) entstanden ist. Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 war dies der Zeitpunkt der Anschlussmöglichkeit des Grundstücks an die Anlage, frühestens mit Inkrafttreten der ersten Beitragssatzung. Dabei ist zunächst klarzustellen, dass ein einmal verjährter Beitragsanspruch durch eine gesetzliche Neuregelung oder eine neue Beitragssatzung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht wieder aufleben könnte (vgl. nur Steiner, LKV 2009, 254 [255 f. mwN]).

172

Im Falle der Schmutzwasserbeiträge des Zweckverbandes Wismar sind bisher keine Beitragsansprüche verjährt, weil die maßgebenden Festsetzungsfristen überhaupt noch nicht angelaufen sind.

173

(1) Die Frist beginnt nach Auffassung des Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, welcher der Kammer folgt, erst mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung,

174

- vgl. nur OVG M-V, Beschluss vom 06. Februar 2007 - 1 L 295/05 – juris, Rn. 21 ff.; Beschl. v. 27. Januar 2006 - 1 M 60/06 - juris Rn. 8, weitere Nachweise bei Aussprung, NordÖR 2005, 240 (246 Fn. 43) -

175

nicht hingegen mit der Veröffentlichung einer (Vorgänger-)Satzung mit formellem Geltungsanspruch. Dies entspricht nunmehr auch dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 KAG M-V 2005.

176

Vgl. dazu auch LtDrs 4/1307 S. 48 unter Hinweis auf die dazu ergangene Rechtsprechung des OVG M-V.

177

(2) Diese Aussage war – und ist auch heute wieder - unabhängig des vom den jeweiligen Landesgesetzgebern gewählten Wortlauts in den Kommunalabgabengesetze einheitliche Rechtsprechung.

178

Vgl. etwa OVG NW, Urt v. 6. April 1976 - II A 121/76 -, OVGE 32, 41 (42); Urt. v. 31. Oktober 1984 - 2 A 1156/84 -, OVGE 37, 188 (192); Urt. v. 7.September 1993 - 2 A 169/91 -, StuGR 1994, 57 (60 f.); VGH Bad-Württ, Urt. v. 27. Februar 1992 – 2 S 1328/90 - juris LS 2 und Rn. 19; OVG M-V, Beschl. v. 22. September 2004 – 1 M 166/04 – juris Rn. 7 ff.; ferner VG Schwerin, Urt. v. 28. September 2005 - 4 A 1265/02 - juris Rn. 103; weitere Nachweise bei Driehaus, in: ders. Kommunalabgabenrecht (Stand: März 2011), § 8 Rn. 492; Birk, ebenda, § 8 Rn. 685b; Quaas, Kommunales Abgabenrecht, 1997, Rn. 136 mwN.

179

Sie gilt daher auch unabhängig davon, ob in § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht mit der Novelle von 2005 ausdrücklich von einer ersten wirksamen Satzung abhängig gemacht worden ist.

180

Der gegenteiligen - mittlerweile wieder aufgegebenen - Rechtsprechung des OVG Brandenburg ist nicht zu folgen. Danach soll für den Beginn der Festsetzungsverjährung der Erlass der ersten Abgabensatzung unabhängig von deren Wirksamkeit maßgebend sein

181

Vgl. zu der entsprechenden landesrechtlichen Bestimmung OVG Brandenburg, Urt. v. 8. Juni 2000 - 2 D 29/98 -, zit. nach juris, LS 1 und Rn. 49; ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 - zit. nach juris LS 2 und Rn. 19 unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung.

182

Diese Auffassung ist mit dem kommunalen Abgabenrecht jedenfalls Mecklenburg-Vorpommerns unvereinbar, da durch eine nichtige Satzung die Beitragspflicht nicht entstehen kann.

183

Zutreffend Becker, KStZ 2001, 161 [164]; Becker/Schiebold, LKV 2001, 94 (95).

184

Zudem widerspricht eine solche Auslegung dem Sinn und Zweck des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993. Danach entstand die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung. Die Satzung konnte einen späteren Zeitpunkt bestimmen. Die Regelungen hat der Gesetzgeber für das Anschlussbeitragsrecht für erforderlich gehalten, um das Entstehen der Beitragspflicht für leitungsgebundene Einrichtungen vorzuverlegen (vgl. LtDrs 1/113 S. 8 [Nr. 5 zu § 8]). Dies ist im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen auch sinnvoll, da - würde auf den Zeitpunkt der Fertigstellung der gesamten Entwässerungseinrichtung abgestellt - dies das Entstehen der Beitragspflicht um Jahre verzögern könnte. Zudem hat (vgl. Landtagsdrucksache, aaO.) der Landesgesetzgeber eine Sonderregelung für die Anschlussbeiträge deshalb für erforderlich gehalten, weil eventuell Anschlussmöglichkeiten bereits vor Inkrafttreten des KAG M-V gegeben und eine Beitrags- oder eine einmalige Anschlussgebührenpflicht nach altem (preußischen) Recht nicht entstanden war. Für diesen Fall sollte die Anschlusspflicht frühestens mit Inkrafttreten der ersten Satzung entstehen, die den Anschlussbeitrag nach neuem Recht regelt.

185

Vgl. auch OVG M-V, Beschl. v. 29. Juli 1997 - 6 M 93/97 - juris, Rn. 25.

186

§ 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 diente daher in gewissem Umfang auch dem Schutz des kommunalen Aufgabenträgers

187

Ebenso Becker, KStZ 2001, 161 (162 f. unter Hinweis auf die in den neuen Bundesländern bestehenden Probleme bei der Gründung von Zweckverbänden) sowie Becker/Schiebold LKV 2001, 94 (95).

188

Entgegen der Meinung des OVG Brandenburg (aaO Rn. 48 mwN) stellte § 8 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 2 KAG 1993 auch keine Ausnahmeregelung dar, da das Inkrafttreten der Satzung neben der Anschließbarkeit des Grundstücks zwingend ist.

189

Vgl. auch Becker, KStZ 2001, 161 (163); Becker/Schiebold, LKV 2001, 94 (95).

190

Das OVG Berlin-Brandenburg vertritt im Übrigen nunmehr ebenfalls (wieder) die Auffassung, dass Beginn der Verjährungsfrist neben der Herstellung der Anschlussmöglichkeit an das Grundstück das Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung ist.

191

Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12. Dezember 2007 - 8 B 44.06 - juris, LS und Rn. 50.

192

Eine solche Auslegung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. näher Steiner, LKV 2009, 254 [255 f.]).

193

Soweit klägerseitig unter Hinweis auf eine Passage in der Landtagsdrucksache 1/113 S. 8 darauf hingewiesen wird, dass neben der Anschlussmöglichkeit maßgebend nur die erste formell in Kraft getretene Satzung gewesen sei, ist dies bereits deshalb unzutreffend, weil die Drucksache keine Aussage zum Beginn der Verjährungsfrist enthält. Dazu bestand seinerzeit auch kein Anlass, weil damals die Rechtsprechung – soweit ersichtlich – diesbezüglich einheitlich war. Soweit klägerseitig unter Hinweis auf die genannte Drucksache („[…] wenn die Anschlussmöglichkeit bereits früher gegeben und Beitrags- oder eine einmalige Anschlussgebührenpflicht nach altem Recht nicht entstanden war […]“) vorgetragen wird, dass bereits vor Inkrafttreten des ersten KAG 1991 oder jedenfalls mit Erlass der ersten Satzung die Verjährungsfrist in Gang gesetzt worden sei, ist dies unzutreffend. Auch dann ist nach Auffassung des Gerichts Voraussetzung, dass diese Satzung rechtswirksam gewesen ist. Der Gesetzgeber hat das Gesetz in Kenntnis der damals noch einhelligen oben zitierten älteren Rechtsprechung verabschiedet, dass mit erster Satzung die erste wirksame Satzung gemeint ist. Es ist nicht ersichtlich, dass der Landtag insoweit von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist.

194

bb) Der Beitragsanspruch konnte im vorliegenden Fall schon deshalb nicht endgültig verjähren, weil die Festsetzungsfrist nach den vorstehenden Ausführungen nicht anlaufen konnte. Die bisherigen Beitragssatzungen des Zweckverbandes Wismar waren sämtlich rechtsunwirksam:

195

(1) Die Beitrags- und Gebührenssatzung des Zweckverbandes Wismar vom 1. März 1992 war nichtig, weil sie nicht im eigenen Amtsblatt des Zweckverbandes oder einer von der Verbandssatzung bestimmten Zeitung veröffentlicht worden ist, sondern im Wismarer Kreisanzeiger mit Amtsblatt für den Landkreis Wismar. Dabei handelte es sich um das amtliche Veröffentlichungsorgan (nur) für den Landkreis Wismar, in dem Satzungen anderer Träger nicht rechtswirksam veröffentlicht werden konnten. Denn nach § 5 Abs. 3 KV DDR waren Satzungen zu veröffentlichen. Wenn es dort auch an näheren Bestimmungen zur Veröffentlichung fehlt, war es dennoch ausgeschlossen in einem Amtsblatt eines fremden Hoheitsträgers Satzungen zu veröffentlichen. Es musste sich aber - nach Maßgabe der Hauptsatzung - um das eigene amtliche Veröffentlichungsorgan oder jedenfalls um eine Tages- oder Wochenzeitung handeln (vgl. auch Bretzinger/Büchner-Uhder, Kommunalverfassung, 1. Aufl. 1991, § 5 Rn. 8). In materieller Hinsicht war die Satzung schon deshalb nichtig, weil sie entgegen § 8 Abs. 1 KAG 1991 bei der Bestimmung des Baukostenzuschusses in Nr. 2.1 nicht auf die individuellen Vorteile des jeweils bevorteilten Grundstücks abstellten, sondern pauschal (mit hier nicht interessierenden Modalitäten) einen Baukostenzuschuss von 2.000,-- DM festsetzten.

196

(2) Die Beitrags- und Gebührensatzung vom 1. Juli 1993 ist aus den gleichen Gründen wie die Vorgängersatzung nichtig. Der pauschale Baukostenzuschuss von 3.000,-- DM stellte nicht auf die Vorteile des Anschlusses des Grundstücks ab.

197

(3) Auch die Beitrags- und Gebührensatzung in der Fassung vom 22. Dezember 1993 wurde ebenfalls fehlerhaft im Wismarer Kreisanzeiger veröffentlicht. Zudem begegnet sie in materieller Hinsicht durchgreifenden Bedenken, weil der in Nr. 1.3 bestimmte pauschale Anschlussbeitrag von 750,-- DM je Entsorgungseinheit unabhängig von der Größe und Art des Grundstück festgelegt wurde, also gleichfalls nicht auf die Vorteile für das jeweilige angeschlossene Grundstück abstellte.

198

(4) Auch die - klägerseitig in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellte - am 1. Januar 1996 erlassene Satzung des Zweckverbandes Wismar vom 22. Dezember 1995 war in materieller Hinsicht nichtig. Zum einen wies diese Satzung Fehler insoweit auf, als beim Beitragsmaßstab die Außenbereichsflächen mit der Grundflächenzahl (GRZ) von 0,4 vorteilswidrig zu hoch angesetzt und keine Abgeltungsfläche festgelegt war. Dies wäre aber wegen der Einmaligkeit der Beitragsveranlagung notwendig gewesen. Zum anderen lag der Verbandsversammlung seinerzeit keine ordnungsgemäße Kalkulation vor. Ihr hat nur eine Tabelle mit den maßgebenden Daten vorgelegen, nicht aber notwendige weitere Unterlagen. Zudem waren für Teilmaßnahmen Teilbeiträge ermittelt und danach addiert worden, obgleich die Satzung keine Kostenspaltung vorsah.

199

Dazu VG Schwerin, Urt. v. 28. Juni 2001 - 4 A 2239/01 - sowie im Beschl. v. 19. Oktober 1999 - 4 B 889/98 - zur Kalkulation.

200

Das Verdikt der Unwirksamkeit würde diese Satzung selbst dann treffen, wenn diese während ihrer formellen Gültigkeitsdauer unbeanstandet angewandt worden sein sollte und es auch keine entsprechenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts oder Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in einzelnen Verfahren oder im Normenkontrollverfahren gegeben haben sollte. Die Nichtigkeit der früheren Satzungen muss nicht durch Normenkontrollentscheidung gemäß § 47 VwGO in Verbindung mit § 13 des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsstrukturgesetz durch das OVG M-V festgestellt werden, um daraus Konsequenzen für die Verjährung im vorliegenden Verfahren herleiten zu können. Das Gericht hat bereits in den genannten Urteilen vom 22. Januar 2010 (u. a. juris Rn. 46) im Einzelnen dargelegt, dass die Nichtigkeit früherer Satzungen nicht allein durch eine Normenkontrollentscheidung durch das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern festgestellt werden muss, um daraus Konsequenzen für die Verjährung im Einzelfall herleiten zu können. Bei Satzungen ist zwar die formelle Verwerfungskompetenz der Gerichte mit allgemeiner Verbindlichkeit auf das abstrakte Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO beschränkt.

201

Zu den Folgerungen daraus siehe Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 141 ff.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, § 47 Rn. 364 ff.

202

Den Verwaltungsgerichten fehlt diese Kompetenz. Sie haben aber nach Art. 20 Abs. 3 GG mit Blick auf das zwingende Satzungserfordernis des § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V bei Überprüfung einzelner Abgabenbescheide die ihnen zugrunde liegenden Satzungen auf ihre Wirksamkeit (inzidenter) zu überprüfen, soweit hierzu Anlass besteht. Eine gültige Satzung ist Entstehungsvoraussetzung der Abgabe.

203

Vgl. dazu Quaas, Kommunales Abgabenrecht, Rn. 22 mwN; Meyer, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2002 Rn. 180a; Glaser, in: Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentierung der Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 3. Aufl. 2005, § 5 Rn. 4 aE.

204

Weist die Satzung bei dieser Prüfung Fehler auf, die sie unanwendbar machen, ist der angefochtene Bescheid in jedem Einzelfall mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig und aufzuheben, wenn die Satzung auch nicht formell vom Gericht aufgehoben werden und deren Nichtigkeit ausdrücklich (und mit Allgemeinverbindlichkeit) festgestellt werden kann. Für den jeweiligen Einzelfall wird die fehlerhafte Satzung aber so behandelt, als wäre sie nichtig.

205

Sensburg/Maslaton, Abgabenrecht in der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, 2007, S. 25; weitergehend Hill, Soll das kommunale Satzungsrecht gegenüber staatlicher und gerichtlicher Kontrolle gestärkt werden? 1990, D 109 (Nichtigkeitserklärung durch jedes Gericht im Einzelfall.).

206

Zwar könnte der kommunale Aufgabenträger die Satzung weiter anwenden, da Urteile des Verwaltungsgerichts nur inter partes gelten (vgl. § 121 VwGO) und die inzidente Nichtigkeitsfeststellung nicht allgemein verbindlich (Umkehrschluss aus § 47 Abs. 5 VwGO) ist. Er würde dann aber jeweils ein möglicherweise kostenträchtiges Unterliegen in einem nachfolgenden Verwaltungsstreitverfahren riskieren. Auch das Verwaltungsgericht stellt im vorliegenden Fall die Unwirksamkeit der Satzung nur in diesem Einzelfall fest.

207

Diese Feststellung der Nichtigkeit kann entgegen klägerischer Ansicht auch erfolgen, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Satzung bereits nicht mehr formell in Kraft ist, es aber - etwa wie hier zur Klärung der Verjährungsfrage – auf die Gültigkeit früherer Satzungen ankommen sollte. Dem Gericht ist kein Rechtssatz bekannt, wonach eine während ihres Anwendungszeitraums gerichtlich unbeanstandet gebliebene Satzung später nicht mehr auf ihre Wirksamkeit überprüft werden darf.

208

(5) Des Weiteren verstieß auch die Satzung von 18. Oktober 2000 gegen höherrangiges Recht und war nichtig. Dem Beitragssatz lag keine ordnungsgemäße Kalkulation zu Grunde. Die Vollgeschossfaktoren in Satzung und Kalkulation wichen voneinander ab. Zudem lagen Fehler bei Flächenermittlung vor, da der Vollgeschossfaktor der Satzung nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Schließlich waren die Kläranlagen in die Kalkulation nicht einbezogen worden (vgl. VG Schwerin, Urt. v. 3. Juni 2004 - 4 A 1623/02). Die Satzung vom 20. Dezember 2005 ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 27. Juni 2008 - 8 A 1654/08 - aus materiellen, die Satzung betreffenden Gründe für nichtig erklärt worden.

209

(6) Auch die (letzte) Beitragssatzung vom 7. Mai 2009 war - wie die Kammer in den oben genannten Urteilen festgestellt hat - wegen Widersprüchlichkeit der Regelungen in § 6 Abs. 4 und 5 f) BSSW 2009 (Bestimmung der Anzahl der Vollgeschosse, wenn diese nicht feststellbar sind) bzw. wegen Unvollständigkeit der Bestimmung zur Festlegung von Vollgeschossen in vor dem 30. April 1994 errichteten Gebäuden in § 6 Abs. 5 e) Satz 3 BSSW 2009 nichtig.

210

(7) Die Festsetzungsverjährungsfrist konnte daher erst mit Bekanntgabe der letzten, jetzt maßgebenden Änderungssatzung zu laufen beginnen. Das war im vorliegende Fall der 1. Januar 2011, da der Beitragsanspruch erst mit Inkrafttreten der Beitragssatzung vom 3. März 2010, also im Jahr 2010 entstanden ist (vgl. § 170 Abs. 1 AO).

211

cc) Dem jeweiligen Beitragsschuldner steht auch kein Vertrauensschutz in die Rechtswirksamkeit der Vorgängersatzungen zur Seite. Das Ergebnis, wonach im Beitragsrecht eine spätere rechtswirksame Satzung den Zeitraum einer früheren nichtigen Satzung erfasst, steht mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG im Einklang. Insbesondere ist das Vertrauen des Beitragszahlers in die Rechtswirksamkeit der Vorgängersatzungen nicht in der Weise geschützt, dass er Anspruch hätte, auf Grundlage der zum Zeitpunkt der Anschließbarkeit des Grundstücks maßgebenden Verhältnissen nach der damals formell gültigen Satzung veranlagt zu werden. Der Bürger kann sich nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen. Dies gilt insbesondere, wenn sich eine Rechtsnorm im Nachhinein als ungültig erweist und durch eine neue rechtlich nicht zu beanstandende Bestimmung ersetzt wird.

212

Vgl. grundlegend BVerfG, Urt. v. 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 - BVerfGE 13, 261 ff., zit. nach juris Rn. 48 ff., 54 m. w. N.

213

Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht im Übrigen nicht so weit, den Bürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Schutzwürdig ist zudem nur das getätigte Vertrauen, also eine "Vertrauensinvestition", die zu Erlangung einer Rechtsposition geführt hat (vgl. BVerfG, Urt. v. 2. Mai 1987 - 1 BvR 724/81 - u. a. juris Rn. 82 m. w. N.). Eine solche Rechtsposition erwächst nicht aus dem Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit einer Beitragssatzung.

214

dd) Der Beitragsanspruch ist auch nicht verwirkt. Als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet Verwirkung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung).

215

Zu den Voraussetzungen der Verwirkung OVG M-V, Beschl. v. 22.9. 2004 - 1 M 166/04 - juris Rn. 24; Gersch, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 4 Rn. 21; Rüsken, ebenda, § 228 Rn. 13 je mwN. aus der Rechtspr. des Bundesfinanzhofs; vgl. auch OVG M-V, Beschl. v. 18. März 2008 - 1 M 15/08 - S. 6 mwN (n. v.]).

216

Zwar ist der Anschlussbeitrag über einen langen Zeitraum nicht geltend gemacht worden. Jedoch durfte der Beitragsschuldner regelmäßig nicht darauf vertrauen, dass der Beklagte den Beitrag nicht mehr einfordern wird. Es ist nichts ersichtlich, dass der Beklagte gegenüber Beitragsschuldner jemals zu erkennen gegeben hat, er werde den Beitrag nicht mehr geltend machen. Auch nach dem Inhalt früherer Satzungen war der Beklagte gehalten, Beiträge gegenüber Altanschließern geltend zu machen. Die Durchsetzung dieses Rechts mit einem Bescheid erscheint daher nicht als unzumutbarer Nachteil zu Lasten des Beitragsschuldners. Zudem kann eine Verwirkung bei einer laufenden Verjährungsfrist nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden (siehe Rüsken, ebenda, § 228 Rn. 13). Solche sind hier nicht ersichtlich.

217

Der Anspruch ist auch nicht verwirkt, weil der Zweckverband im Rahmen einer früheren (Rechnungsperioden-)Kalkulation keine Altanschließer berücksichtigt hat. Es ist bereits fraglich, ob allein aus dem Umstand, dass Altanschließer in einer Rechnungsperiodenkalkulation nicht berücksichtigt werden, geschlossen werden kann, dass der Zweckverband diese nicht mehr veranlagen werde. Denn die Nichterfassung der Altanschließer kann darauf zurückzuführen sein, dass etwa wegen der Berücksichtigung neuer Baugebiete bei dem zeitlich zu berücksichtigenden Rahmen nur Neuanzuschließende erfasst werden sollten. Daraus folgt nicht, dass prinzipiell Altanschließer von Beitragslasten freigestellt werden sollten. Darüber hinaus handelt es sich bei der Kalkulation um einen behördeninternen Vorgang. Dieser lässt keine Rückschlüsse auf das Veranlagungsverhalten der Behörde im Einzelfall zumal dann nicht zu, wenn die Beitragssatzung für eine solche Differenzierung zwischen Neu- und Altanschließern keinen Anhalt bietet. Der Zweckverband hat keine Satzung erlassen, in denen auf Anschlussbeiträge von Altanschließern generell verzichtet werden sollte.

218

ee) Anzumerken bleibt, dass die Beitragsschuldner auch nicht mit dem Argument durchdringen, der Beklagte habe zeitnah mit dem tatsächlichen Anschluss des Grundstücks und seiner Satzung aus dem Jahre 1992 neben den Hausanschlussbeitrag sogleich auch den Anschlussbeitrag erheben müssen, so dass sie in den "Genuss" eines früheren niedrigen Beitrags von 2.000,-- DM oder 3.000,-- DM gekommen wären. Zum einen geben die Verjährungsvorschriften dem Beklagten vor, innerhalb welcher Zeiträume er Beitragsbescheide erlassen muss. Er ist weder nach Satzungsrecht noch nach sonstigen Vorschriften verpflichtet, zeitnah nach Herstellung der Anschlussfähigkeit des Grundstücks Beitragsbescheide zu erlassen. Zum anderen ist es dem Beklagten unbenommen, soweit er aufgrund früherer, nichtiger Satzungen (zu niedrige) Beiträge durch (bestandskräftige) Beitragsbescheide erhoben hat, im Rahmen pflichtmäßigen Ermessens unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu prüfen, ob er die diesbezüglichen abgeschlossenen Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 1 KAG M-V in Verbindung mit §§ 130, 131 AO wieder aufgreift (oder gar aufgreifen muss) und unter Beachtung neuer Satzungsbestimmungen und der erbrachten Beiträge neu entscheidet. Die Einmaligkeit der Beitragserhebung dürfte ihn nicht daran hindern, weil es noch immer um die erstmalige Beitragserhebung geht (vgl. jetzt auch OVG M-V, Urt. v. 15. Dezember 2009 - 1 L 323/06 – juris Rn. 52 ff. mwN).

219

6. Der Anspruch auf Zahlung des Beitrags ist auch nicht dadurch erloschen, weil der Zweckverband Wismar hierauf gegenüber den Eigentümern des Flurstücks [...] verzichtet hat. Zwar ist in einer notariellen Vereinbarung zu einem Leitungsrecht vom 15. Juli 2004 zwischen den Eigentümern des Flurstücks [...] und dem Zweckverband Wismar unter III. (5) vereinbart worden:

220

„Durch die Gewährung dieses Leitungsrechts entsteht für die Wohnungseigentümer keine Pflicht zur Zahlung von Anschlusskostenbeiträgen.“

221

Nach Auffassung des Gerichts enthält die Klausel bereits keine Verzichtserklärung. Dies gilt auch dann, wenn die Beteiligten übereinstimmend den dem Gesetz fremden Begriff Anschlusskostenbeitrag im Sinne von Anschlussbeiträgen verstanden haben sollten. Schon nach dem Wortlaut stellt die Vertragsbestimmung lediglich klar, dass durch das Leitungsrecht (und des Baues der Leitung) Zahlungspflichten für Anschlussbeiträge nicht entstehen. Zudem könnte der verwendete Begriff „Anschlusskostenbeitrag“ dahingehend zu verstehen sein, dass es sich um keine Vereinbarung über die Beitragsschuld handeln soll, sondern allenfalls Hausanschlusskosten gemeint sein können: Als Gegenleistung für die Einräumung des Leitungsrechtes sollte der Zweckverband auf Hausanschlusskosten verzichten.

222

Das OVG M-V hat im Übrigen in seinen ebenfalls Beitragsschuldner des Flurstücks [...] betreffenden Beschluss vom 10. August 2010 – 1 M 141/10 – (S. 7) ausgeführt, dass diese Vereinbarung die Entstehung des Beitragspflicht nicht verhindere und es insofern an einer rechtlichen Grundlage für einen Verzicht fehle. Die durch die Vereinbarung ermöglichte Herstellung von Sammelleitungen und des Pumpwerks auf dem Grundstück sei mit der Herstellung des satzungsgemäß hergestellten Anschlusses an die zentrale Abwasserversorgungsanlage nicht gleichzusetzen.

II.

223

Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als Unterliegende zu tragen. Die Entscheidung zur Gesamtschuldnerschaft folgt aus § 100 Abs. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Abwendungsbefugnis haben ihre Grundlage in § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

224

Beschluss vom 12. Oktober 2011

225

Der Streitwert des vorliegenden Verfahrens wird gemäß § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes auf 1.603,32 € festgesetzt.

Tenor

Die Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz vom 14. Dezember 2006 in der Fassung der Zweiten Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz vom 23. Dezember 2009 wird für unwirksam erklärt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Dem Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem eingeschossigen Wohnhaus bebauten Grundstücks A-Straße in A-Stadt (Gemarkung A-Stadt, Flur 1, Flurstück 48) mit einer Größe von 11.000 qm. Er ist für sein im Bereich des beklagten Verbandes liegendes Grundstück bisher nicht zu Anschlussbeiträgen herangezogen worden.

2

Die Verbandsversammlung des Antragsgegners beschloss am 4. Dezember 2006 die Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz (TBS). Die Satzung wurde am 14. Dezember 2006 von der Verbandsvorsteherin ausgefertigt und am 6. Januar 2007 öffentlich bekanntgemacht. Am 5. November 2007 beschloss die Verbandsversammlung die Erste Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz. Diese Satzung wurde am 15. November 2007 ausgefertigt. Sie ändert die in § 4 d) TBS enthaltene Regelung über die Tiefenbegrenzung von im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich zum Außenbereich liegenden Grundstücken. Der dem Satzungsbeschluss zugrundeliegenden Vorlage (Nr. 09-1/2007) beigefügt war eine fünfseitige "Dokumentation der Ermessenserwägungen bezüglich Auswahl, Ermittlung und Festsetzung einer qualifizierten Tiefenbegrenzung von 50 Metern". Mit der am 21. Dezember 2009 beschlossenen und am 23. Dezember 2009 ausgefertigten Zweiten Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung wurde § 5 TBS dahingehend geändert, dass der Beitragssatz je Quadratmeter bevorteilter Grundstücksfläche nicht mehr wie zuvor 6,- Euro einschließlich Umsatzsteuer, sondern nunmehr 5,04 Euro zuzüglich gesetzlich geltender Umsatzsteuer beträgt.

3

Der Antragsteller hat am 15. Juni 2007 einen Normenkontrollantrag gegen die Schmutzwasserbeitrags- und die Trinkwasserbeitragssatzung des Antragsgegners gestellt (4 K 10/07). Mit Beschluss vom 10. Juli 2007 hat der Senat das Verfahren gegen die Trinkwasserbeitragssatzung abgetrennt und unter dem vorliegenden Aktenzeichen weitergeführt.

4

Zur Begründung trägt der Antragsteller vor:

5

Die Kalkulation des in § 5 TBS bestimmten Beitragssatzes sei zu beanstanden. Der der Beitragsbemessung zugrundeliegende Zeitraum der Globalkalkulation sei nicht mit dem Zeitraum des Trinkwasserversorgungskonzeptes identisch. In der Kalkulation fänden sich unterschiedliche Abzugsbeträge über kostenlos übernommenes Vermögen. Nicht nur 14.267.518,75 €, sondern 16.283.771,09 € hätten in Abzug gebracht werden müssen. Es sei zu bezweifeln, dass die in der Kalkulation aufgeführten übernommenen Darlehen in dem einbezogenen Umfang der jeweiligen Einrichtung zuzurechnen seien. Unterlagen hierzu seien den Beitragsunterlagen nicht zu entnehmen. Auch der Umfang der Gesamtinvestitionen von 18.081.197,- € sei nicht nachvollziehbar. Es sei unklar, inwieweit es sich um Nettobeträge handele. Der Anlagespiegel sei nicht nachvollziehbar. Es gebe begründete Anhaltspunkte dafür, dass Aufwand für Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten in die Kalkulation einbezogen worden sei. Beispielhaft werde auf die Positionen 60721950022, 6072192002 und 0560110 hingewiesen. Fraglich sei, ob der Aufwand für früher hergestellte Hausanschlüsse zu Recht in die Beitragskalkulation eingestellt worden sei. Die zur Beschlussfassung vorgelegten Kalkulationsunterlagen enthielten unterschiedliche Aussagen zum Zeitraum der Globalkalkulation. Die korrekte Berechnung der beitragsfähigen Flächen werde bestritten. Den Vertretern in der Verbandsversammlung hätten zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 4. Dezember 2006 die Kalkulationsunterlagen nicht zur Kenntnis vorgelegen. Anderes könne weder der Ladung zur Verbandsversammlung noch den weiteren Unterlagen, insbesondere nicht dem Protokoll entnommen werden. Gleiches gelte für die Beschlussfassung über den geänderten Beitragssatz in der Verbandsversammlung vom 21. Dezember 2009. Der an diesem Tage beschlossenen Änderung (§ 5 TBS) hätte aufgrund verschiedener mittlerweile eingetretener Veränderungen auf der Flächenseite eine neue bzw. überarbeitete Kalkulation, die auch eine Überprüfung der Aufwandsseite erfordert hätte, zugrundegelegt werden müssen. Verschiedene Bestimmungen der Trinkwasserbeitragssatzung seien unwirksam. Den Kreis der Beitragsschuldner erstrecke § 6 Abs. 1 TBS im Widerspruch zu § 7 KAG auf "dinglich Berechtigte". Dies führe zur Unwirksamkeit der gesamten Beitragssatzung. Nach § 2 Abs. 1 TBS unterlägen auch Außenbereichsgrundstücke, die bebaut seien und nur angeschlossen werden könnten, ohne bereits angeschlossen zu sein, der Beitragspflicht. Im Außenbereich reiche aber die Bebauung des Grundstücks allein nicht aus, um die Beitragspflicht entstehen zu lassen. Die in § 4 Abs. 2 d) TBS normierte Tiefenbegrenzung von 50 m sei methodisch fehlerhaft ermittelt worden. Die durchschnittliche Bebauungstiefe beruhe auf einer fehlerhaften arithmetischen Mittelung der tatsächlichen Bebauung. Die Tiefenbegrenzung entspreche außerdem nicht den örtlichen Gegebenheiten. § 4 Abs. 2 d) TBS leide außerdem darunter, dass danach im Falle einer Zuwegung zum Grundstück die Grundstücksfläche beginnend vom Ende der Zuwegung bis zu einer im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallelen zu messen sei und die Zuwegung somit flächenmäßig unberücksichtigt bliebe. Nach § 4 Abs. 2 b) TBS würden die Grundstücke, die im Plangebiet liegen und in den Außenbereich übergehen, gegenüber vollständig im Außenbereich liegenden Grundstücken ungerechtfertigt bessergestellt. Nach § 4 Abs. 2 g) TBS komme auf privaten Grünflächen und Parkplätzen trotz bauakzessorischer Nutzung eine Beitragserhebung nicht in Betracht. Dies sei nicht vorteilsgerecht. § 4 Abs. 5 TBS sei gleichheitswidrig, weil danach für Bauten, die vor dem 30. April 1994 errichtet worden seien, keine konkrete Regelung zur Geschosshöhe bestehe. Eine derartige Unterscheidung zwischen vor und nach dem 30. April 1994 errichteten Bauten sei nur dann zulässig, wenn Altbauten auch mit geringerer Deckenhöhe als gemäß der Vollgeschossregelung für Neubauten generell weitgehender nutzbar wären. Das sei aber nicht der Fall. Insbesondere Dachgeschosse von Neubauten mit Dachschrägen könnten baurechtlich ebenfalls zu Wohn- und gewerblichen Zwecken genutzt werden, ohne dass sie beitragsrechtlich als Vollgeschosse zu werten seien. Abweichend von anderen Beitragssatzungen enthalte § 4 Abs. 5 TBS keinerlei Einschränkungen bezüglich der Anrechenbarkeit bei Dachschrägen und einer geringeren Geschosshöhe des Obergeschosses gegenüber dem Untergeschoss, die eine Ungleichbehandlung relativieren bzw. sachlich legitimieren. Ein sachlicher Grund für diese weitgehende Regelung zum Vollgeschossmaßstab bestehe nicht.

6

Der Antragsteller beantragt,

7

die Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz vom 14. Dezember 2006 in der Fassung der zweiten Änderungssatzung vom 23. Dezember 2009 für unwirksam zu erklären.

8

Der Antragsgegner beantragt,

9

den Antrag abzuweisen.

10

Er tritt den Einwänden des Antragstellers in allen Punkten entgegen. Insbesondere die in § 4 Abs. 2 d) TBS normierte Regelung über die Tiefenbegrenzung für sogenannte Übergangsgrundstücke sei nicht zu beanstanden. Die Festlegung der qualifizierten Tiefenbegrenzung von 50 Metern entspreche den tatsächlichen örtlichen Verhältnissen im Verbandsgebiet.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Der nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 13 AGGerStrG statthafte Normenkontrollantrag ist zulässig (I.) und begründet (II.).

13

I. Der Antrag ist fristgerecht nach § 47 Abs. 2 Satz 1, § 195 Abs. 7 VwGO binnen eines Jahres nach Bekanntmachung der angegriffenen Trinkwasserbeitragssatzung bei Gericht eingegangen. Die Satzung ist in ihrer ursprünglichen Fassung am 6. Januar 2007 veröffentlicht worden. Der Normenkontrollantrag wurde am 15. Juni 2007 gestellt.

14

Änderungen oder Neuregelungen der angegriffenen Rechtsvorschrift setzen die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in Lauf, wenn mit ihnen eine neue oder zusätzliche Beschwer verbunden ist. Ein erneuter Fristenlauf beginnt dann, wenn sich aus der Neuregelung eine neue belastende Wirkung ergibt, z. B. durch das Zusammenwirken mit geänderten anderen Bestimmungen (vgl. OVG Bautzen, 20.08.2008 - 5 D 24/06 -, juris). Die mit der Ersten Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung vom 15. November 2007 vorgenommene Änderung der Tiefenbegrenzungsregel nach § 4 Abs. 2 d) TBS hat im Wesentlichen der Klarstellung schon geltenden Satzungsrechts gedient, insbesondere verläuft die Tiefenbegrenzungslinie nach der neuen Regelung unverändert zwischen der der Straße zugewandten Grundstücksseite und einer im Abstand von 50 Metern dazu verlaufenden Parallelen. Danach hat die Erste Satzungsänderung keinen neuen Fristlauf ausgelöst. Die geänderte Bestimmung ist vielmehr von dem gegen die im Januar 2007 veröffentlichte Ursprungssatzung gerichteten Normenkontrollantrag vom 15. Juni 2007 erfasst.

15

Soweit der Antrag nunmehr auch die Zweite Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung vom 23. Dezember 2009 und damit § 5 TBS mit dem jetzt geltenden Beitragssatz in Höhe von 5,04 € erfasst, liegt hierin eine in entsprechender Anwendung von § 91 VwGO zulässige Antragsänderung, insbesondere war die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach Bekanntmachung der Satzungsänderung noch nicht abgelaufen.

16

Der Antragsteller ist schließlich als noch nicht zu Trinkwasseranschlussbeiträgen herangezogener Eigentümer eines im Verbandsgebiet liegenden Grundstückes antragsbefugt i. S. v. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Er kann geltend machen, möglicherweise durch die angefochtene Trinkwasserbeitragssatzung in seinen Rechten verletzt zu werden, indem er auf ihrer Grundlage zu Beitragszahlungen durch - bei angenommener Unwirksamkeit der Satzung - rechtswidrige Beitragsbescheide verpflichtet wird.

17

Der Senat versteht den nicht ausdrücklich beschränkten Antrag des Antragstellers, die Trinkwasserbeitragssatzung für unwirksam zu erklären, in der Weise (§ 133 BGB), dass die Ordnungswidrigkeitenbestimmung des § 11 TBS nicht angegriffen ist. Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechtes unterfallen nicht dem Verwaltungsrechtsweg und können daher von vornherein nicht Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle sein (OVG Greifswald, 27.07.2005 - 4 K 4/03 -, KStZ 2006, 156, 157). Durch die Erklärung der Unwirksamkeit der übrigen Satzungsbestimmungen verliert auch die Regelung über die Ordnungswidrigkeiten ihren rechtlichen Gehalt.

18

II. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Zwar greifen die Einwendungen des Antragstellers ganz überwiegend nicht durch (nachfolgend 1.). Die angefochtene Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz vom 14. Dezember 2006 in der Fassung der Zweiten Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung vom 23. Dezember 2009 war aber nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO insgesamt für unwirksam zu erklären, weil die Tiefenbegrenzungsregelung des § 4 Abs. 2 d) TBS gegen die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes (KAG) und den aus dem Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) folgenden Grundsatz der Abgabengerechtigkeit verstößt, daher unwirksam ist und die daraus folgende Satzungslücke zur Ungültigkeit der gesamten Trinkwasserbeitragssatzung führt (nachfolgend 2.).

19

Die formelle Ordnungsgemäßheit der Trinkwasserbeitragssatzung hat der Antragsteller nicht in Zweifel gezogen. Dem Senat drängen sich entsprechende Mängel nicht auf (vgl. zum Prüfungsmaßstab im Normenkontrollverfahren OVG Greifswald, 02.06.2004 – 4 K 38/02 -, juris, Rn. 133 = DVBl. 2005, 64 [nur Leitsätze]).

20

1. Die gegen die Gültigkeit der angefochtenen Satzung erhobenen Einwände des Antragstellers treffen ganz überwiegend nicht zu. Dies gilt insbesondere für die auf die Kalkulation des Beitragssatzes zielenden Rügen (nachfolgend a. bis f.). Die gegen die Gültigkeit einzelner Satzungsbestimmungen gerichteten Angriffe führen ebenfalls überwiegend nicht zum Erfolg (g. bis l.).

21

a. Wenn der Antragsteller geltend macht, der der Beitragsbemessung zugrundeliegende Zeitraum der Globalkalkulation sei nicht mit dem Zeitraum des Trinkwasserversorgungskonzeptes des Antragsgegners identisch, ist dem nicht zu folgen. Zwar trifft es zu, dass bei einer Globalkalkulation nach § 9 Abs. 2 Satz 2 KAG der notwendige Aufwand für die Herstellung der gesamten öffentlichen Einrichtung auf der Grundlage der von dem Verband gewählten Wasserversorgungskonzeption zu ermitteln ist (vgl. Birk in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2010, § 8 Rn. 678b). Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dies hier nicht geschehen ist.

22

Die Kalkulation des Anschlussbeitrages Trinkwasser nennt einen Investitionszeitraum bis zum Jahre 2020 ("geplante Investitionen von 2006 bis 2020: 18.081.197,- €"). Das Trinkwasserversorgungskonzept des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt-Lübz ("Investitionen Rohrnetz [2006 bis 2020]") sieht Investitionen bis zum Jahr 2018 vor. Für die Jahre 2019 und 2020 ist für Investitionen jeweils der Betrag von 0,- € prognostiziert. Ein Widerspruch zwischen Kalkulation und Trinkwasserversorgungskonzept ist danach nicht zu erkennen. Der Antragsgegner hat zu diesem Einwand des Antragstellers ausgeführt, bei der Überarbeitung des Trinkwasserversorgungskonzeptes im Jahre 2006 habe sich bei der Spezifikation der einzelnen notwendigen Maßnahmen ergeben, dass bei günstigem zeitlichen Verlauf der Investitionen von einer Fertigstellung der Einrichtung bereits im Jahr 2018 auszugehen sei. Da zeitliche Verschiebungen nicht auszuschließen seien, sei auf eine Änderung des Zeitraumes für die Gültigkeit des Trinkwasserversorgungskonzeptes verzichtet worden. Die Kalkulation habe daher den nach dem Trinkwasserversorgungskonzept maßgeblichen Investitionszeitraum zutreffend berücksichtigt.

23

b. Auch der Einwand des Antragstellers führt nicht weiter, in der Kalkulation fänden sich unterschiedliche Abzugsbeträge über (von der Westmecklenburger Wasser GmbH) bei Errichtung des Verbandes kostenlos übernommenes Vermögen. Die Folge sei, dass möglicherweise nicht nur 14.267.518,75 €, sondern 16.283.771,09 € hätten in Abzug gebracht werden müssen. Es trifft zu, dass es nach der Auffassung des Senates dann, wenn eine Altanlage kostenlos übernommen wird, rechtlich nicht zulässig ist, für diese Altanlage einen Wert in die Kalkulation einzustellen. Denn bei dem Wert der Altanlage handelt es sich dann nicht um Kosten, die dem Zweckverband für die Herstellung der Anlage tatsächlich entstanden sind. Anderes gilt, wenn dabei Schulden übernommen werden. Diese können als eigener Aufwand in die Kalkulation eingestellt werden (vgl. OVG Greifswald, 15.11.2000 - 4 K 8/99 -, KStZ 2001, 174, 177). Wenn der Antragsgegner danach aus dem Wert des Anlagevermögens für den Bereich Trinkwasser das kostenlos von "WMW" übernommene Vermögen abzuziehen hatte, so ist das offenbar auch im gebotenen Umfang geschehen. Der Senat hat nach der im gerichtlichen Verfahren abgegebenen plausiblen Erläuterung des Antragsgegners zu dem tatsächlichen Hintergrund des auf Blatt 172 der Verwaltungsvorgänge dargestellten Wertes von 16.283.771,09 € jedenfalls keinen Anlass, an der Richtigkeit des in der Kalkulation abgesetzten Betrages von 14.267.518,75 € zu zweifeln. Nach den Ausführungen des Antragsgegners hat der Verband die Summe der kostenlos übernommenen Anlagegüter aus einer Addition der in den Abschreibungsbuchunterlagen enthaltenen Angaben gewonnen und so einen Wert von vor 1993 angeschafften Gütern von 14.267.518,75 € ermittelt. Diesen Wert hat er anhand einer Obergrenze einer Plausibilitätsüberprüfung unterzogen, indem er ihn einem in der Bilanz zum 31.12.1993 ausgewiesenen übertragenen Gesamtvermögen von 16.283.771,09 € gegenübergestellt hat. Anhand dieser Gegenüberstellung konnte er kontrollieren, ob der Gesamtwert aus den Einzelwerten der Anlagegüter nicht etwa oberhalb des übertragenen Gesamtvermögens lag. Das Gesamtvermögen soll nach der Stellungnahme des Antragsgegners zum einen nicht beitragsfähige Positionen enthalten und zum anderen auch Anlagegüter, die nicht Bestandteil der öffentlichen Einrichtung geworden seien. So erkläre sich die Differenz zwischen den beiden Werten. Darin liegt eine nachvollziehbare Begründung für die in den Kalkulationsunterlagen enthaltenen, das übernommene Anlagevermögen betreffenden unterschiedlichen Werte, die an dieser Stelle eine weitere Sachaufklärung nicht erfordert. Ob schließlich der Antragsgegner den Wert von 14.267.518,75 € korrekt ermittelt hat, hatte der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht weiter zu prüfen.

24

c. Der Einwand des Antragstellers, es sei zu bezweifeln, dass die in der Kalkulation aufgeführten übernommenen Darlehen ("Darlehen Investitionen KfW" in Höhe von 588.088,43 €) in dem einbezogenen Umfang der jeweiligen Wasserversorgungseinrichtung zuzurechnen seien, trifft nicht zu. Der Antragsgegner hat im gerichtlichen Verfahren Kopien der Beschlüsse seiner Verbandsversammlung vorgelegt, die die Übertragung von vier "KfW-Krediten" für der Wasserversorgung dienende Bauvorhaben in Goldberg und B-Stadt von der Westmecklenburger Wasser GmbH E-Stadt auf den Antragsgegner belegen. Die Summe der dort aufgeführten und in Anspruch genommenen bzw. abgerufenen Kreditbeträge ergibt den in der Kalkulation ausgewiesenen Betrag.

25

d. Der Antragsgegner hat auf den Einwand des Antragstellers, er habe in den beitragsfähigen Aufwand auch Aufwendungen für Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten eingestellt, ausgeführt, solche Aufwendungen würden nicht aktiviert, sondern in die laufenden Kosten gebucht und über Gebühren finanziert. Weiteren Anlass zur Prüfung sieht der Senat danach an dieser Stelle ebenfalls nicht. Zu den von Antragstellerseite angesprochenen drei verschiedenen im Anlagespiegel enthaltenen Positionen hat der Antragsgegner erläutert, bei der Position 60721950022 ("Auswechslung Knotenpunkte") handele es sich um die planmäßige Umsetzung des im Trinkwasserversorgungskonzept bezüglich einer veralteten Altanlage vorgesehenen Standards und nicht um Instandhaltungs- oder Reparaturarbeiten. Gleiches gelte für eine unter der Position "05in60110" verzeichnete Baumaßnahme aus dem Jahr 2005 am Reinwasserbehälter im Wasserwerk Herzberg. Hier sei eine als Provisorium anzusehende veraltete Steuerungstechnik in einer seinerzeit kostenlos übernommenen Altanlage durch neue Steuerungstechnik ersetzt worden. Der im Anlagespiegel an der zugehörigen Stelle verwendete Begriff der Sanierung sei insoweit nicht zutreffend. Es handele sich nicht um eine Sanierung neu errichteter Anlagenteile, sondern um die erstmalige Verwirklichung des im Trinkwasserkonzept vorgesehenen Standards. Die Position 6072192002 sei schließlich in den Herstellungsaufwand nicht eingerechnet worden, weil sie zu dem vom Verband kostenlos übernommenen Vermögen gehöre. Danach war auch zu diesen Punkten keine vertiefte Überprüfung angezeigt.

26

Entgegen den Ausführungen des Antragstellers ergibt sich außerdem der Umfang der Gesamtinvestitionen aus dem Trinkwasserkonzept. Hier wird - entgegen dessen Auffassung - auch hinreichend deutlich, dass es sich um Nettoinvestitionen handeln soll.

27

e. Der Antragsteller rügt, den Vertretern der Verbandsversammlung hätten zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vom 21. Dezember 2009 über die Änderung des Beitragssatzes in § 5 TBS (Zweite Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung) die Kalkulationsunterlagen nicht zur Kenntnis vorgelegen. Gleiches gelte für die Beschlussfassung vom 4. Dezember 2006. Anderes könne weder der Ladung zur Verbandsversammlung noch den weiteren Unterlagen, insbesondere nicht dem Protokoll der Verbandsversammlung entnommen werden. Diese Rüge ist unzutreffend.

28

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates (vgl. dazu die zahlreichen Nachweise bei Aussprung in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG, Stand: Juni 2010, § 2 Anm. 8.3.1.2) muss der Verbandsversammlung - neben der Beschlussvorlage über die Satzung - eine (Global-) Kalkulation bei der Beschlussfassung über die Abgabensatzung vorliegen. Wird dem Rechtssetzungsorgan vor oder bei seiner Beschlussfassung über den Abgabensatz eine solche Kalkulation nicht zur Billigung unterbreitet oder ist die unterbreitete Abgabenkalkulation in einem für die Abgabensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies die Ungültigkeit des Abgabensatzes zur Folge, weil das Rechtssetzungsorgan das ihm bei der Festsetzung der Abgabensätze eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei hat ausüben können.

29

Es unterliegt aus Sicht des Senates keinen Zweifeln, dass der Verbandsversammlung in ihrer Sitzung vom 4. Dezember 2006 ebenso wie in der Sitzung vom 21. Dezember 2009 die Kalkulationsunterlagen mit der Möglichkeit zur Kenntnisnahme vorgelegen haben. Das folgt für die Sitzung vom 4. Dezember 2006 aus der wohl nach späterem Abhören des Tonbandmitschnittes am 19. März 2008 gefertigten Ergänzung zum Protokoll der Verbandsversammlung Nr. 02/2006, wonach im Anschluss an den Tagesordnungspunkt 5 die Verbandsvorsteherin explizit darauf hingewiesen habe, dass zur Beratung alle Kalkulationsunterlagen zur Einsichtnahme vorlagen. Diese in der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegte Protokollergänzung ist als öffentliche Urkunde nach §§ 98 VwGO, 418 ZPO anzusehen, die den vollen Beweis der darin (aufgrund eigener Wahrnehmung, § 418 Abs. 3 ZPO) bezeugten Tatsache begründet, mithin dass der Hinweis durch die Verbandsvorsteherin auf die ausliegenden Kalkulationsunterlagen ergangen ist (vgl. dazu MüKo ZPO, § 418, Rn. 4; Rudisile in: Schoch, VwGO § 98, Rn. 206;). Die Voraussetzungen des § 418 ZPO liegen vor. Die Verbandsversammlung (§§ 155, 156 KV) ist eine öffentliche Behörde i.S.d. Definition der öffentlichen Urkunde nach § 415 Abs. 1 ZPO. Als solche Behörden werden nicht nur Verwaltungsbehörden angesehen, sondern die in den allgemeinen Organismus der Behörden eingefügte Organe der Staatsgewalt, die dazu berufen sind, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder der von ihm geförderten Zwecke tätig zu sein, gleichviel ob das Organ unmittelbar vom Staate oder einer dem Staate untergeordneten Körperschaft zunächst für deren eigene Zwecke bestellt ist (BGH, 16.10.1963 - IV ZB 171/63 -, BGHZ 40, 225, 228; vgl. OVG Magdeburg, 10.12.1998 - C 2 S 477/96 -, juris: Protokoll über die Sitzung des Gemeinderats ist öffentliche Urkunde, die nach § 418 ZPO den vollen Beweis begründet). Die von Antragstellerseite geäußerte Einschätzung, es sei ungewöhnlich, dass die Protokollergänzung so spät gekommen sei, ist danach unbeachtlich.

30

Damit erweist sich die Rüge fehlender Kalkulationsunterlagen allein als offenbar ungeprüfte und unzutreffende Vermutung. Gleiches gilt für den inhaltlich gleichlautenden, die Sitzung vom 21. Dezember 2009 betreffenden Einwand. Hier ist schon der Sitzungsniederschrift (Verbandsversammlung 03/2009) selbst zu entnehmen, dass die Kalkulationsunterlagen zur Einsichtnahme im Präsidium ausgelegen haben. Im Übrigen besteht kein einziger Anhaltspunkt, dass ein Verbandsvertreter Bedarf an einer Einsichtnahme in die Unterlagen geäußert hätte und diese nicht möglich gewesen wäre.

31

f. Wenn weiter eingewandt wird, die dem Beschluss der Verbandsversammlung über die Änderung des Beitragssatzes vom 21. Dezember 2009 zugrundeliegende Kalkulation habe der Antragsgegner nicht ohne Prüfung der Aktualität von Aufwands- und Flächenseite verwenden dürfen, insbesondere seien seit dem Jahre 2006 im Verbandsgebiet verschiedene Flächennutzungs- und Bebauungspläne sowie Abrundungssatzungen in Kraft getreten, so führt auch das nicht zum Erfolg. Der Erlass oder die Änderung solcher Pläne und Satzungen sind mit Blick auf die zahlreichen Gemeinden des gesamten Verbandsgebietes ein permanent stattfindender Vorgang der bauplanungsrechtlichen Fortentwicklung, der zu einer Vergrößerung ebenso wie zu einer Verkleinerung der beitragsrelevanten Gesamtfläche führen kann. Damit zusammenhängende Ungenauigkeiten der Flächenberechnung müssen bei einer gesetzlich zulässigen (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 KAG) Globalkalkulation ebenso wie andere mit einer mehrere Jahre in die Zukunft reichenden Investitionsprognose verbundene Schätzungen in Kauf genommen werden. Anderenfalls müsste eine Kalkulation bei jeder Änderung der bauplanungsrechtlichen Gegebenheiten in einem Teil des Verbandsgebietes überarbeitet werden, um auch minimale Veränderungen der Aufwandsverteilung zu berücksichtigen. Dies ist aber angesichts der ohnehin nur scheinbar vorhandenen Präzision der Kalkulation (Aussprung, a.a.O., § 9, Anm. 3.4) nicht zu fordern. Vielmehr wird - ohne dass sich der Senat an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit abschließend äußern muss - angesichts der Regelung in § 6 Abs. 2 d) KAG eine Beitragskalkulation grundsätzlich für den Zeitraum von fünf Jahren als hinreichend aktuell angesehen (Aussprung, a.a.O., § 9 Anm. 3.4; vgl. dazu auch OVG M-V, 15.11.2000, a.a.O., 177).

32

Damit reicht allein der Hinweis des Antragstellers auf eine Veränderung bzw. den Erlass von Bebauungsplänen und Abrundungssatzungen nicht aus, um die Aktualität der Globalkalkulation des Antragsgegners in Zweifel zu ziehen. Anhaltspunkte dafür, dass dies ausnahmsweise anders gesehen werden müsste, etwa weil besonders intensive Flächenänderungen betroffen wären, die erhebliche Auswirkungen auf die Kalkulation hätten, fehlen im Vortrag des Antragstellers. Solche drängen sich bei der aus dem August 2006 stammenden Flächenkalkulation für den im Dezember 2009 getroffenen Beschluss über den Beitragssatz auch nicht auf.

33

g. § 2 TBS ist nicht im Hinblick auf eine etwaige Beitragspflicht noch nicht angeschlossener bebauter Außenbereichsgrundstücke zu beanstanden. Die Vorschrift lautet:

34

(1) Der Beitragspflicht unterliegen Grundstücke, die an die öffentliche Einrichtung zur zentralen Trinkwasserversorgung angeschlossen werden können und

35

(a) für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist, sobald sie bebaut oder gewerblich genutzt werden können, oder

36

(b) für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, wenn sie nach der Verkehrsauffassung Bauland sind und nach der geordneten baulichen Entwicklung der Gemeinden zur Bebauung oder gewerblichen Nutzung anstehen, oder

37

(c) wenn sie bebaut sind.

38

(2) Wird ein Grundstück an die Trinkwasserversorgung tatsächlich angeschlossen, so unterliegt es der Beitragspflicht auch dann, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht vorliegen.

(3).....................

39

§ 2 Abs. 1 c) TBS ist nicht so zu verstehen, dass bebaute Außenbereichsgrundstücke, die an die Einrichtung nur angeschlossen werden können, ohne schon angeschlossen zu sein, bereits der Beitragspflicht unterliegen sollen und dass die Bestimmung damit gegen das Vorteilsprinzip nach § 7 Abs. 1 Satz 3 KAG verstieße. Mangels Baulandqualität solcher Grundstücke führt bei ihnen allein die Anschlussmöglichkeit noch nicht zu einer gesicherten Vorteilslage (vgl. Klausing in: Driehaus, Stand: März 2010, § 8, Rn. 1032). Entgegen der Auffassung des Antragstellers zwingt der Wortlaut des § 2 Abs. 1 TBS nicht zu einer solchen Deutung der Norm, denn er ist nicht in diesem Sinne eindeutig und lässt Raum für eine Lesart, die zu einer Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht führt.

40

Sollten schon nichtangeschlossene und nur anschließbare bebaute Außenbereichsgrundstücke der Beitragspflicht unterstellt werden, so müsste die Bestimmung folgendermaßen gelesen werden: "Der Beitragspflicht unterliegen Grundstücke, die ....angeschlossen werden können und wenn sie bebaut sind". Der Satz müsste dann aber richtigerweise lauten: "...angeschlossen werden können und bebaut sind". Wegen dieser grammatikalischen Ungenauigkeit lässt sich § 2 Abs. 1 TBS auch so verstehen, dass sich die Formulierung unter Buchstabe c) ("wenn sie bebaut sind") allein auf die unter den Buchstaben a) und b) geregelten Fälle festgesetzter oder nach der Verkehrsauffassung bestehender, aber noch nicht verwirklichter Bebaubarkeit bezieht (beplanter bzw. Innenbereich) und sie um die Fälle schon realisierter Bebauung solcher Grundstücke ergänzt. Der von dem Antragsteller angesprochene Fall des angeschlossenen und bebauten Außenbereichsgrundstückes unterfiele dann allein § 2 Abs. 2 TBS. Dass dieses nach dem Wortlaut mögliche Verständnis der Norm vorzugswürdig gegenüber einer Interpretation ist, die zur Unwirksamkeit der gesamten Satzung führt, versteht sich von selbst. Darüber hinaus fügt sich allein die so verstandene Bestimmung auch in das weitere Satzungsgefüge ein. Dies wäre nicht der Fall, wenn man § 2 Abs. 1 c) TBS entnehmen wollte, dass bereits bebaute und nur über eine Anschlussmöglichkeit verfügende Außenbereichsgrundstücke der Beitragspflicht unterfallen sollen. Für solche Grundstücke fehlte es dann nämlich an einem Beitragsmaßstab mit der Folge, dass sie zwar der Beitragspflicht unterstellt würden, letztendlich jedoch überhaupt nicht veranlagt werden könnten. Nach § 4 Abs. 1 TBS ("Beitragsmaßstab") wird der Anschlussbeitrag für die bevorteilte Grundstücksfläche unter Berücksichtigung der Art und des Maßes der Bebaubarkeit des Grundstückes berechnet. Ist eine Grundstücksfläche nicht bevorteilt, wird danach dafür auch kein Beitrag berechnet. Das trifft aber auf mit noch nicht angeschlossenen Baulichkeiten bebaute Außenbereichsgrundstücke mangels gesicherter Vorteilslage zu. Damit übereinstimmend regelt § 4 Abs. 2 i) TBS, dass bei bebauten Grundstücken im Außenbereich der mit 0,2 vervielfachte Teil der Grundfläche der an die Trinkwasserversorgung angeschlossenen Baulichkeiten als Grundstücksfläche gilt. Ohne bereits angeschlossene Baulichkeiten errechnet sich danach keine unter Geltung des Grundstücksflächenmaßstabes für die Beitragserhebung erforderliche Grundstücksfläche.

41

h. Der Antragsteller meint, § 4 Abs. 2 b) TBS ordne für Grundstücke, die im Bereich eines Bebauungsplanes liegen und über die Grenzen des Bebauungsplanes hinausreichen, für den Außenbereichsteil die Geltung der Grundstücksfläche im Umfang der Grundfläche der Baulichkeit an. § 4 Abs. 2 i) TBS bestimme hingegen für ganz im Außenbereich liegende bebaute Grundstücke die durch die GRZ 0,2 geteilte Grundfläche als beitragspflichtige Fläche. Hierin sei eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu erkennen. Das trifft nicht zu.

42

§ 4 Abs. 2 b) TBS enthält entgegen der von dem Antragsteller vertretenen Auffassung keine Regelung für Grundstücke, die teils im Gebiet eines Bebauungsplanes und teils im Außenbereich liegen. Die Bestimmung setzt nämlich voraus, dass die Fläche außerhalb des Plangebietes baulich oder gewerblich genutzt werden kann. Die Möglichkeit einer baulichen Nutzung besteht jedoch für Außenbereichsflächen grundsätzlich nicht. Der Außenbereich ist nach § 35 Abs. 2 BauGB grundsätzlich unbebaubar (Battis/Krautzberger/Löhr, 11. Aufl., Vorb §§ 29-38, Rn. 5). Befindet sich ein Gebäude auf einer Außenbereichsfläche, so mag dieses Bestandsschutz genießen und als solches genutzt werden können. Damit ist jedoch nicht zugleich die Außenbereichsfläche selbst baulich nutzbar. Würde das Gebäude zerstört, dürfte es im Grundsatz wegen seiner Lage im Außenbereich nicht wieder aufgebaut werden (vgl. BVerwG, 20.09.1974 - IV C 70.72 -, DÖV 1975, 104, 105).

43

Damit ist § 4 Abs. 2 i) TBS alleinige Norm zur Berechnung der Grundstücksfläche bei bebauten und angeschlossenen Grundstücken im Außenbereich. Der von Antragstellerseite gerügte Konflikt mit § 4 Abs. 2 b) TBS besteht nicht.

44

Die von Antragstellerseite monierte Ungleichbehandlung führte aber auch nur dann zum Fehlen einer erforderlichen Maßstabsregelung, also einer Satzungslücke und somit zur Nichtigkeit der Satzung, wenn es im Verbandsbereich überhaupt vom Bebauungsplanbereich in den Außenbereich übergehende Grundstücke gäbe. Nur dann könnte sich eine nichtige Maßstabsregelung vor dem Hintergrund des im Recht der leitungsgebundenen Einrichtung geltenden Grundsatzes der konkreten Vollständigkeit als rechtlich problematisch darstellen und ggf. zur Nichtigkeit der Satzung insgesamt führen (vgl. OVG Greifswald, 30.06.2004 - 4 K 34/02 -, juris, NordÖR 2004, 417[nur Leitsätze]). Der Antragsgegner hat jedoch unwidersprochen vorgetragen, es gebe in seinem Verbandsgebiet keine Veranlagungsfälle, bei denen einzelne Buchgrundstücke über die Bebauungsplangrenze hinausreichten, direkt in den Außenbereich übergingen und trotz vorhandener Baulichkeiten nicht dem unbeplanten Innenbereich zuzurechnen wären.

45

i. Die § 4 Abs. 2 d) Satz 2 TBS betreffende Rüge des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Der Antragsteller meint, dass danach bei von der Tiefenbegrenzungsregelung betroffenen sogenannten "Pfeifenstielgrundstücken" die Zuwegung zum Grundstück bei der Berechnung des Beitrages außer Betracht bleibe, was mit dem Gleichheitssatz unvereinbar sei. Wegeflächen auf Grundstücken müssten bei der Kalkulation in vollem Umfang berücksichtigt werden.

46

Die Vorschrift lautet:

47

"Als Grundstücksfläche gilt:

d) bei Grundstücken, die im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) zum Außenbereich (§ 35 BauGB) liegen, die Gesamtfläche des Grundstückes, höchstens jedoch die Fläche zwischen der der Straße zugewandten Grundstücksseite und einer im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallelen. Dieser Abstand wird bei Grundstücken, die mit der Straße nur durch eine Zuwegung verbunden sind, vom Ende der Zuwegung an gemessen."

48

Die Bedenken des Antragstellers sind bei richtigem Verständnis der Bestimmung unbegründet. Im Falle einer Grundstückszuwegung wird nicht der straßenseitige Anfang der zu berechnenden Fläche von der Straße weg bis zum Ende der Zuwegung und Anfang der eigentlichen Grundstücksfläche verlegt mit der Folge, dass die Fläche der Zuwegung nicht mitzählte, sondern nur der Verlauf der Tiefenlinie, indem insoweit der Abstand von 50 Metern erst ab dem Ende der Zuwegung gemessen wird. Maßgeblich ist grundsätzlich die Fläche zwischen der der Straße zugewandten Grundstücksseite und der im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallelen. Bei "Pfeifenstiel-" bzw. "Zuwegungsgrundstücken" wird nur der Verlauf dieser Parallele verschoben, indem der 50 Meter betragende Abstand (zwischen der der Straße zugewandten Grundstücksseite und der Parallelen) erst von dem Ende der Zuwegung an gemessen wird. Die der Straße zugewandte Grundstücksseite wird nicht verschoben. Daher fällt die Zuwegung - anders als der Antragsteller meint - in die beitragspflichtige Fläche.

49

j. Die Rüge, § 4 Abs. 2 g) TBS sei nicht vorteilsgerecht, greift nicht durch. Die Bestimmung lautet:

50

"bei Grundstücken, für die im Bebauungsplan sonstige Nutzung ohne oder mit nur untergeordneter Bebauung festgesetzt ist oder die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles (§ 34 BauGB) tatsächlich so genutzt werden (z.B. Schwimmbäder, Camping- und Sportplätze), die Grundfläche der an die Trinkwasserversorgung angeschlossenen Baulichkeiten geteilt durch die Grundflächenzahl (GRZ) 0,2. Die unter Berücksichtigung des Maßes der Nutzung ermittelte Fläche wird den betreffenden Gebäuden so zugeordnet, dass ihre Grenzen jeweils im gleichen Abstand von den Außenwänden der Gebäude verlaufen. ..."

51

Nach Auffassung des Antragstellers blieben danach bauakzessorisch genutzte private Grünflächen oder private Parkplätze beitragsfrei, da sich auf diesen Flächen üblicherweise keine an die Trinkwasserversorgung angeschlossenen Baulichkeiten befänden. Gleiches gelte, wenn in einem Bebauungsplan für Teilflächen eines Buchgrundstückes sowohl eine sonstige Nutzung ohne Bebauung als auch eine andere Teilfläche "Bebauung" geplant sei. Bei konsequenter Anwendung der Vorschrift wäre die Folge, dass trotz der Bebaubarkeit nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes nur die Grundfläche des an die Trinkwasserversorgung angeschlossenen Gebäudes geteilt durch die Grundflächenzahl 0,2 als Grundstücksfläche beitragsfähig wäre. Dies sei nicht vorteilsgerecht.

52

Dem ist nicht zu folgen.

53

Im Anschlussbeitragsrecht ist im Interesse von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit grundsätzlich vom bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff auszugehen (vgl. OVG Greifswald, 10.10.2007 - 1 L 256/06 - (Volkswerft), NordÖR 2008, 40, 41; 20.11.2003 - 1 M 180/03 -, DÖV 2004, 259, 260). Unter "Grundstück" ist danach derjenige katastermäßig abgegrenzte Teil der Erdoberfläche zu verstehen, der im Grundbuch unter einer besonderen Nummer eingetragen ist. Diese vom Bundesverwaltungsgericht im Erschließungsbeitragsrecht vertretene Rechtsansicht (vgl. etwa BVerwG, 12.12.1986 - 8 C 9.86 -, NVwZ 1987, 420) gilt auch für das Recht der leitungsgebundenen Anlagen (vgl. OVG Greifswald, 10.10.2007, a.a.O.). Für die von dem Antragsteller aufgeworfene Frage der beitragsrechtlich maßgeblichen Ausnutzbarkeit des Grundstückes, insbesondere die Frage, ob das gesamte Grundstück oder nur Teile baulich nutzbar sind, muss ebenfalls grundsätzlich die (gesamte) Fläche des im Bereich eines Bebauungsplanes nach § 30 BauGB oder vollständig im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB liegenden Buchgrundstückes betrachtet werden. Eine Unterteilung des Grundstückes nach verschiedenen Nutzungsarten (Bauland, Parkplatz, Grünfläche etc.) scheidet - von Ausnahmen abgesehen - aus. Für die Frage der Baulandeigenschaft des Grundstückes ist dessen gesamte Fläche einheitlich und nicht nach Grundstücksteilen getrennt zu betrachten, obgleich so gut wie nie die gesamte Fläche der baulichen (oder sonstwie beitragsrechtlich relevanten) Nutzung zugeführt werden bzw. voll überbaut werden darf. Denn die Zulässigkeit einer Bebauung setzt zumeist die Freihaltung erheblicher Grundstücksteile voraus, für die Ausführbarkeit eines Bauvorhabens muss daher in der Regel mehr an Fläche zur Verfügung stehen, als für die bauliche Anlage als solche benötigt wird. Baulinien, Baugrenzen, Abstands- und Anbauverbotsvorschriften sind für den Umfang der zu berücksichtigenden Grundstücksfläche ebenso ohne Belang wie bauplanungsrechtliche Festsetzungen von Grundstücksteilen als private Grünfläche (BVerwG, 29.11.1994 - 8 B 171/94 -, NVwZ 1995, 1215, 1216; vgl. Klausing in: Driehaus, a.a.O., § 8, Rn. 1029). Anderes gilt nur, wenn ein Grundstücksteil einer privaten Nutzung durch den Eigentümer - wie etwa bei der Festsetzung als öffentliche Grünfläche - schlechthin entzogen ist (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., § 17, Rn. 8).

54

Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass § 4 Abs. 2 g) TBS eine von diesen Maßstäben abweichende Regelung treffen will. Wird demnach ein im Gebiet eines qualifizierten Bebauungsplanes oder vollständig im Bereich nach § 34 BauGB liegendes baulich nutzbares Grundstück in Teilen auch "sonstig" i.S.v. § 4 Abs. 2 g) TBS genutzt, so bleibt es für die Frage der Baulandqualität bei der gesamten Grundstücksfläche. Nur wenn das Grundstück ausschließlich im in § 4 Abs. 2 g) TBS angesprochenen Sinne nutzbar ist oder im Bereich nach § 34 BauGB in dieser Weise genutzt wird, gilt der dort geregelte Maßstab für die "sonstige Nutzung". Ein Verstoß gegen das Vorteilsprinzip kann daher nicht gesehen werden.

55

k. § 4 Abs. 5 TBS ist nicht zu beanstanden. Die im Zusammenhang mit § 4 Abs. 3 und 4 TBS stehende Bestimmung lautet:

56

(Abs.3) Zur Berücksichtigung des unterschiedlichen Maßes der Nutzung wird die Fläche nach Abs. 2 mit einem Vom-Hundert-Satz für jedes Vollgeschoss wie folgt bewertet:

a) für das erste Vollgeschoss 25 %,

b) für jedes weitere Vollgeschoss 20 % der Grundstücksfläche nach Absatz 2

57

(Abs. 4) Als Zahl der Vollgeschosse gilt:

a) soweit ein B-Plan besteht, die hier festgesetzte höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse,

b) soweit kein B-Plan besteht oder in einem B-Plan die Zahl der Vollgeschosse nicht bestimmt ist:

- bei bebauten Grundstücken die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse,

- bei genehmigten Vorhaben die Zahl der genehmigten Vollgeschosse,

- bei unbebauten Grundstücken die Zahl der in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse.

58

(Abs. 5) Als Vollgeschoss gelten alle Geschosse, die nach den Vorschriften der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern Vollgeschosse sind. Bei Gebäuden, die vor Inkrafttreten der Landesbauordnung entsprechend den Anforderungen des bisherigen Rechts errichtet wurden, müssen die Mindesthöhen gemäß der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern nicht erreicht werden.

59

Der Antragsteller hält § 4 Abs. 5 TBS für gleichheitswidrig, weil danach für Bauten, die vor dem 30. April 1994 errichtet worden seien, keine konkrete Regelung zur Geschosshöhe bestehe. Die Vorschrift sei daher unbestimmt, und es bliebe letztlich der Entscheidung des rechtsanwendenden Sachbearbeiters überlassen, wie die zahlreich vor 1994 errichteten Gebäude zu veranlagen seien. Eine derartige Unterscheidung zwischen vor und nach dem 30. April 1994 errichteten Bauten sei auch nur dann zulässig, wenn Altbauten auch mit geringerer Deckenhöhe als der Vollgeschossregelung für Neubauten generell weitgehender nutzbar wären. Das sei aber nicht der Fall. Diesen Einwänden vermag der Senat nicht zu folgen.

60

§ 4 Abs. 5 TBS ist nicht unbestimmt. Einer Norm - auch einer Bestimmung in einer kommunalen Beitragssatzung - fehlt nicht deshalb die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit oder Klarheit, weil sie der Auslegung bedarf. Der Bestimmtheitsgrundsatz verpflichtet den Normgeber, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Anforderungen der Klarheit und Justiziabilität entsprechen. Normen müssen so formuliert sein, dass die davon Betroffenen die Rechtslage erkennen können und die Gerichte in der Lage sind, die Anwendung der betreffenden Vorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren. Das Gebot der Bestimmtheit darf nicht übersteigert werden, weil die Normen sonst starr und kasuistisch würden und der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten. Es ist deshalb ausreichend, wenn der Norminhalt durch die anerkannten Auslegungsmethoden zweifelsfrei ermittelt werden kann. Dabei ist die Interpretation nicht durch den formalen Wortlaut der Norm begrenzt. Ausschlaggebend ist der objektive Wille des Gesetzgebers, soweit er wenigstens andeutungsweise im Gesetzestext einen Niederschlag gefunden hat (BayVerfGH, 22.06.2010 - Vf. 15-VII-09 -; juris; OVG Weimar, 18.12.2000 - 4 N 472/00 -, LKV 2001, 415ff; BVerwG, 14.12.1995 - 4 N 2/95 -, NVwZ-RR 1996, 429). Im Interesse der Normerhaltung kann eine Bestimmung nur dann für nichtig gehalten werden, wenn keine nach anerkannten Auslegungsregeln zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende, insbesondere den Gesamtzusammenhang der getroffenen Regelung mit berücksichtigende Auslegung möglich ist (BVerwG, 20.08.2003 - 6 CN 5/02 -, juris; 15.12.1993 - 6 C 20/92 -, BVerwGE 94, 352, 358).

61

Danach kann § 4 Abs. 5 TBS in einer Weise ausgelegt werden, die auch im Satzungstext hinreichend deutlich ihren Ausdruck findet. Die Vorschrift für unbestimmt zu halten oder anzunehmen, sie treffe für Bauwerke, die vor Inkrafttreten der Landesbauordnung errichtet worden sind, im Hinblick auf die Anforderungen an deren Geschosshöhen überhaupt keine Regelung, sodass der Rechtsanwender nicht mehr in der Lage sei zu erkennen, was der Satzungsgeber für diese Fälle bestimmt habe, geht fehl.

62

Der Sinn der Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS, wonach bei Gebäuden, die vor Inkrafttreten der Landesbauordnung entsprechend den Anforderungen des bisherigen Rechts errichtet wurden, die Mindesthöhen nach der Landesbauordnung nicht eingehalten werden müssen, ist in ausreichend deutlicher Weise der Regelungssystematik des in § 4 Abs. 3 bis 5 TBS bestimmten Vollgeschossmaßstabes zu entnehmen. Zur Ermittlung der für den Anschlussbeitrag maßgeblichen Grundstücksfläche (§ 4 Abs. 1 TBS) ist die nach § 4 Abs. 2 TBS ermittelte Fläche nach § 4 Abs. 3 TBS für das erste Vollgeschoss mit 25% und für jedes weitere Vollgeschoss mit 20% zu bewerten. Nach § 4 Abs. 4 b) TBS gilt, soweit kein Bebauungsplan besteht oder in einem solchen Plan die Zahl der Vollgeschosse nicht bestimmt ist, bei bebauten Grundstücken die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse. Absatz 5 des § 4 TBS schließlich regelt, dass als Vollgeschoss alle Geschosse gelten, die nach den Vorschriften der Landesbauordnung Vollgeschosse sind. Das sind nach § 2 Abs. 6 LBauO v. 26. April 1994 (GVOBl. 1994, 518) Geschosse, die über mindestens zwei Drittel der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses oder, wenn kein darunterliegendes Geschoss vorhanden ist, zwei Drittel ihrer Grundfläche eine lichte Höhe von mindestens 2,30 m haben. Ähnliches gilt nach § 87 Abs. 2 LBauO v. 18. April 2006 (GVOBl. 2006, 102), wonach die Geschosse über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine lichte Höhe von mindestens 2,30 m haben müssen, was auch schon nach § 2 Abs. 4 Gesetz über die Bauordnung v. 20. Juli 1990 (Gesetzblatt Teil I 1990, 929) geltendes Recht war (vgl. zur Legaldefinition des Vollgeschosses OVG Greifswald, 11.10.2007 - 3 M 169/07 -, LKV 2008, 421).

63

Wenn der Satzungsgeber vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen anordnet, dass für die Bewertung von Gebäuden, die vor Inkrafttreten der den Beurteilungsmaßstab für Vollgeschosse enthaltenden Rechtsvorschrift errichtet worden sind, die Anforderungen dieser Vorschrift nicht gelten sollen, so ist dem ohne Weiteres der Sinn zu entnehmen, dass für diese Gebäude - was die Mindesthöhe der Geschosse anbelangt - ein weniger strenger Begriff des Vollgeschosses gelten soll. Denn ordnete die Satzung auch für solche früher errichtete Gebäude den Vollgeschossmaßstab nach der Landesbauordnung an, so könnte der Fall eintreten, dass ein solches Gebäude allein deshalb, weil seine Geschosshöhen die an ein "Vollgeschoss" zu stellenden Voraussetzungen nicht erfüllen mussten und nicht erfüllten, obwohl es wie ein neueres Gebäude mit nach der Landesbauordnung vorgeschriebenen Geschosshöhen genutzt wird, vorteilswidrigerweise zu gering oder überhaupt nicht veranlagt wird, weil es keine Vollgeschosse i.S.d. Landesbauordnung, sondern nur niedrigere Geschosse aufwiese. Die Regelung will demnach verhindern, "Altbauten" wegen der Maßgeblichkeit der Anzahl der Vollgeschosse besser zu stellen, wenn sie die für Vollgeschosse geltenden Mindesthöhen der Landesbauordnung nicht erreichen. Da der vom Maß der Nutzung abhängige wirtschaftliche Vorteil bei Vollgeschossen einerseits und bei Geschossen unterhalb der Vollgeschossigkeit andererseits annähernd gleich ist (OVG NW, 29.08.2000 - 15 A 4178/00 -, juris, Rn. 4) verstieße das - wenn es denn solche Gebäude im Verbandsgebiet gäbe - gegen das nach § 7 Abs. 1 Satz 3 KAG geltende Vorteilsprinzip, wonach die Beiträge nach Vorteilen zu bemessen sind.

64

§ 4 Abs. 5 Satz 2 TBS ist zu entnehmen, dass sich für früher errichtete Gebäude die Qualifizierung als für die Flächenberechnung (§ 4 Abs. 3 TBS) relevantes Geschoss nach den zur Zeit der Errichtung des Gebäudes geltenden Anforderungen bestimmen soll. Dies findet in dem Satzteil "..., die vor Inkrafttreten der Landesbauordnung entsprechend den Anforderungen des bisherigen Rechts errichtet wurden,..." hinreichend Ausdruck. Eine andere sinnvolle Interpretation der Norm bietet sich nicht an. Insbesondere scheidet eine Deutung aus, die quasi am Buchstaben des § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS haftete. Bei einer solchen Interpretation müssten die Mindesthöhen der Landesbauordnung nur dann nicht eingehalten werden, wenn das Gebäude vor Inkrafttreten der Landesbauordnung entsprechend den Anforderungen des bisherigen Rechts errichtet worden ist. Das hieße, dass Gebäude, die unter Missachtung der seinerzeitigen rechtlichen Anforderungen errichtet worden sind, nicht unter die Freistellung von den Mindesthöhen nach der Landesbauordnung fielen mit der Folge, dass für sie der Vollgeschossbegriff der Landesbauordnung anzuwenden wäre. Dann könnten Grundstücke mit solchen "illegalen" Gebäuden mangels Erreichen der Mindestgeschosshöhe nicht in vorteilsgerechtem Maße oder sogar überhaupt nicht herangezogen werden. Dies widerspräche dem Willen des Satzungsgebers, möglichst vorteilsgerechte Ergebnisse auch bezüglich der "Altbauten" zu erzielen.

65

Die Bestimmung kann auch nicht - wie der Antragsteller unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts E-Stadt vom 22. Januar 2010 (- 8 A 1364/09 -, Urteilsabdruck, S. 6) meint - deshalb beanstandet werden, weil danach satzungsrechtliche Einschränkungen für die Anrechenbarkeit von Dachräumen mit schrägen Wänden fehlten und Altbauten deshalb ohne hinreichenden sachlichen Grund in höherem Maße als Neubauten zur Berechnung des Vorteils herangezogen würden. Diese Erwägung ist nicht zwingend. § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS befreit lediglich von der Geltung der für Vollgeschosse vorgesehenen Mindesthöhen. Das Kriterium nach den oben genannten Bestimmungen der verschiedenen Landesbauordnungen, wonach die Mindesthöhe auf zwei Dritteln der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses oder der eigenen Grundfläche des Geschosses (vgl. § 2 Abs. 6 LBauO 1994) vorliegen muss, wird von § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS nicht berührt. Somit gilt auch für Dachgeschosse älterer Gebäude, dass die seinerzeitigen Anforderungen an die Mindesthöhe von Vollgeschossen bzw. von nach der beitragsrechtlich relevanten Nutzung her nicht anders zu behandelnden "Geschossen" gleichermaßen wie für Dachgeschosse von Neubauten auf zwei Dritteln der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses vorliegen müssen. Ein Dachraum in einem unter Geltung der Deutschen Bauordnung (DBO) vom 2. Oktober 1958 errichteten Gebäude muss danach eine lichte Höhe von 2,20 m (vgl. §§ 93c, 366 Abs. 2 DBO) über mindestens zwei Drittel der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses haben, um als Vollgeschoss i.S.v. § 4 Abs. 3 bis 5 TBS zu zählen.

66

§ 4 Abs. 5 Satz 2 TBS verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Bestimmung schon vor Inkrafttreten der Landesbauordnung errichtete Gebäude von der Geltung der dort geregelten Mindesthöhen ausnimmt, obwohl auch nach dem zuvor geltenden Gesetz über die Bauordnung dieselbe Mindesthöhe einzuhalten war (so aber VG Greifswald, 28.04.2010 - 3 A 1398/07 -, Urteilsabdruck, S. 5 zu einer vergleichbaren Satzungsregelung). Wie oben ausgeführt ist nach § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS für ältere Gebäude hinsichtlich der Mindesthöhe der Räume das seinerzeitige Recht anzuwenden, sodass für unter Geltung des Gesetzes über die Bauordnung errichtete Gebäude ebenfalls die nach den späteren Fassungen der Landesbauordnung vorgesehene Mindesthöhe (2,30 m) zugrundezulegen ist. § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS bleibt insoweit ohne rechtliche Bedeutung.

67

Wenn § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS danach im Einzelfall eines älteren Gebäudes nicht einfache Fragen nach den früheren rechtlichen Anforderungen an die Errichtung baulicher Anlagen in Bezug auf die Mindesthöhe von Geschossen aufwerfen kann und sich sein Regelungsgehalt erst aufgrund einer Auslegung der Norm vollständig erschließt, so kann darunter womöglich eine reibungslose Anwendung der Bestimmung im Einzelfall leiden. Eine Unwirksamkeit der Norm und damit womöglich der gesamten Trinkwasserbeitragssatzung lässt sich daraus aber nicht ableiten. Im Übrigen weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass die Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS nicht auf sämtliche vor 1994 errichtete Gebäude Anwendung findet, sondern sich ihre Geltung auf solche Gebäude beschränkt, deren Geschosse niedriger als 2,30 m sind.

68

l. § 6 Abs. 1 TBS verstößt zwar gegen § 7 Abs. 2 KAG, soweit neben dem Eigentümer des Grundstückes der zur Nutzung des Grundstückes dinglich Berechtigte als Beitragsschuldner bezeichnet wird. Dieser Fehler führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Trinkwasserbeitragssatzung. § 6 Abs. 1 TBS lautet:

69

"Beitragsschuldner ist, wer im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des Grundstückes oder zur Nutzung des Grundstückes dinglich Berechtigter ist. Bei einem erbbaubelasteten Grundstück ist der Erbbauberechtigte an Stelle des Eigentümers Beitragsschuldner. Ist das Grundstück mit einem dinglichen Nutzungsrecht nach Art. 233 § 4 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch belastet, so ist der Inhaber dieses Rechtes anstelle des Pflichtigen nach Satz 1 oder Satz 2 beitragspflichtig."

70

Damit bestimmt § 6 Abs. 1 TBS auch den zur Nutzung des Grundstückes dinglich Berechtigten zum Beitragspflichtigen, obwohl nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG, von dem Sonderfall des Inhabers eines Gewerbebetriebes im Zusammenhang mit § 8 Abs. 7 KAG abgesehen, allein der Eigentümer des bevorteilten Grundstückes Beitragspflichtiger ist. Dieser wird nach § 7 Abs. 2 Satz 3 KAG nur im Falle eines erbbaubelasteten Grundstückes durch den Erbbauberechtigten als Beitragspflichtigen ersetzt und nach Satz 4 dieser Bestimmung im Falle der Belastung des Grundstückes mit einem dinglichen Nutzungsrecht nach Artikel 233 § 4 EGBGB durch den Inhaber dieses Rechts. Weitere dinglich Berechtigte scheiden nach den Vorgaben des Kommunalabgabengesetzes daher, anders als noch nach § 8 Abs. 10 KAG in der Fassung vom 1. Juni 1993, als Beitragspflichtige aus. § 6 Abs. 1 TBS geht unzulässigerweise darüber hinaus.

71

Dieser Fehler führt nicht zur Gesamtnichtigkeit der angegriffenen Trinkwasserbeitragssatzung. Zwar gehört die Bestimmung des Kreises der Abgabenschuldner zu dem in § 2 Abs. 1 KAG geregelten notwendigen Umfang einer Abgabensatzung. Hier ist aber § 6 Abs. 1 TBS trotz des angesprochenen Verstoßes gegen § 7 Abs. 2 KAG nur teilnichtig, denn die Norm bleibt auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll, insbesondere umfasst der Restbestand der Bestimmung den von § 2 Abs. 1 KAG erforderten Mindestinhalt, und es ist anzunehmen, dass der Antragsgegner § 6 Abs. 1 TBS auch ohne den nichtigen Teil (Bestimmung des dinglich Berechtigten als Beitragspflichtigen) erlassen hätte (vgl. zu diesen Voraussetzungen BVerwG, 27.01.1978 - VII C 44.76 -, DVBl. 1978, 536, 537; Sauthoff in: Driehaus, KAG, Stand: März 2010, § 8 Rn. 1714; OVG Greifswald, 29.11.2001 - 1 M 66/01 -, NordÖR 2002, 81, 82; 02.06.2004, a.a.O.). Die letztgenannte Annahme wird auch nicht dadurch widerlegt, dass der Antragsgegner die fragliche Satzungsbestimmung im Laufe des Prozesses verteidigt hat. Daraus kann nicht gefolgert werden, dass er § 6 Abs. 1 TBS mit einem dem Kommunalabgabengesetz entsprechenden Regelungsgehalt nicht erlassen hätte. Diese Annahme wäre nicht nur deshalb fernliegend, weil der Antragsgegner als Körperschaft des öffentlichen Rechts per se um den Erlass gesetzeskonformer Satzungen bemüht sein muss, sondern auch deshalb, weil es nach der in der mündlichen Verhandlung gegebenen Auskunft des Antragsgegners aus seiner Sicht im Verbandsgebiet Anwendungsfälle des "dinglich Berechtigten" neben den in § 6 Abs. 1 TBS erfassten Fallgruppen (Erbbauberechtigter, Inhaber des Rechts nach Art. 233 § 4 EGBGB) nicht geben soll. Daher ist dem Antragsgegner an dieser Stelle auch kein Regelungsbedürfnis zu unterstellen, das der Annahme widersprechen könnte, er hätte die Satzungsbestimmung auch ohne den zu beanstandenden Teil erlassen.

72

2. § 4 Abs. 2 d) TBS verstößt gegen höherrangiges Recht, soweit die hier geregelte Tiefenbegrenzungslinie bei grundsätzlich 50 m gezogen wird (a.). Dieser Verstoß führt zur Unwirksamkeit der Tiefenbegrenzungsregel und damit zur Unwirksamkeit der gesamten Trinkwasserbeitragssatzung (b.).

73

§ 4 Abs. 2 d) lautet:

74

Als Grundstücksfläche gilt:

… bei Grundstücken, die im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) zum Außenbereich (§ 35 BauGB) liegen, die Gesamtfläche des Grundstückes, höchstens jedoch die Fläche zwischen der der Straße zugewandten Grundstücksseite und einer im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallelen. Dieser Abstand wird bei Grundstücken, die mit der Straße nur durch eine Zuwegung verbunden sind, vom Ende der Zuwegung an gemessen...

75

a. Die Bestimmung regelt eine sogenannte qualifizierte Tiefenbegrenzung, denn sie gilt ausschließlich für Grundstücke, die im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) zum Außenbereich liegen, nicht jedoch (auch) für vollständig im Innenbereich liegende Grundstücke (sogenannte schlichte Tiefenbegrenzung). Eine Tiefenbegrenzung ist im Anschlussbeitragsrecht nach der Rechtsprechung des Senates grundsätzlich zulässig (vgl. OVG Greifswald, 15.03.1995 - 4 K 22/94 -, KStZ 1996, 114, 118; 13.11.2001 - 4 K 16/00 -, NVwZ-RR 2002, 687ff; 02.06.2004, a.a.O.). Daran hat sich mit Einführung von § 9 Abs. 5 KAG durch die Novellierung des Kommunalabgabengesetzes im Jahre 2005 nichts geändert. Ziel der Einführung dieser Bestimmung war es nicht, ein in der Rechtsprechung allgemein anerkanntes Rechtsinstitut auf nunmehr besonders geregelte Fälle einzuschränken. Vielmehr sollte dem Satzungsgeber zusätzlich die Möglichkeit an die Hand gegeben werden, für bebaute Grundstücke im baurechtlichen Innenbereich mit einem überdurchschnittlich großen nicht bebauten Grundstücksteil aus abgabenpolitischen Gründen eine Flächenbegrenzung vorzusehen (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 4/1307, S. 49/50; dazu Aussprung, a.a.O., § 9, Anm. 10).

76

Die Tiefenbegrenzung ist eine nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung, dass der diesseits der Begrenzungslinie liegende Teil des Grundstücks Bauland ist. Die damit verbundene und im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen allgemein als zulässig angesehene Pauschalierung wirkt sich in Einzelfällen mehr oder weniger zu Lasten einzelner Beitragspflichtiger aus. Eine Tiefenbegrenzung findet gerade im Anschlussbeitragsrecht ihre Rechtfertigung darin, dass im Rahmen der Beitragskalkulation die Ermittlung der Gesamtbeitragsfläche erforderlich ist, die auf metrische Festlegungen angewiesen ist. Dadurch gewinnt der Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität und -vereinfachung besondere Bedeutung. Ohne Tiefenbegrenzung müsste gegebenenfalls eine exakte Einzelfallbewertung sämtlicher der Beitragspflicht unterliegender unbeplanten Grundstücke trotz verbleibender Unsicherheiten in der Abgrenzung des Innenbereichs angestellt werden. Die Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität stehen im Spannungsfeld mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Vorteilsprinzip (§ 7 Abs. 1 Satz 3 KAG). Danach sind die Beiträge nach Vorteilen zu bemessen. Die Vorteile bestehen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 KAG in der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung, für die die Beiträge erhoben werden (vgl. dazu eingehend OVG Greifswald, 10.10.2007, a.a.O.). Da eine exakte Bemessung der Vorteile in der Praxis mit einem nicht akzeptablen Aufwand verbunden wäre, sind Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe anerkannt, insbesondere ist es zulässig, Vorteile nach einem - wie in § 4 Abs. 1 TBS geregelten - kombinierten Grundstücksflächen- und Vollgeschossmaßstab zu bemessen (vgl. BVerwG, 26.07.1993 - 8 B 85/93 -, juris, Rn. 3). Nach diesem Maßstab ist die Größe der bevorteilten Fläche des Grundstückes ein wesentlicher Faktor zur Errechnung des auf das Grundstück entfallenden Beitrages. Je größer die Fläche des Grundstückes bzw. bei Grundstücken im Übergangsbereich vom Innen- zum Außenbereich der im Innenbereich liegende (bebaubare) Teil des Grundstückes ist, desto größer ist im Prinzip der zu leistende Beitrag. Dieser Zusammenhang ist bei der Normierung einer Tiefenbegrenzung zu beachten. Denn läge bei exakter Betrachtung des einzelnen Grundstückes die Grenze des baurechtlichen Innenbereiches (§ 34 Abs. 1 BauGB) vor (straßenseits) der Tiefenbegrenzungslinie, so würde der Eigentümer des Grundstückes - aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität grundsätzlich zulässigerweise - höher belastet als es ohne eine Tiefenbegrenzungsregelung der Fall wäre. Gleichermaßen würde derjenige Grundstückseigentümer, dessen Grundstück ohne die Vermutung der Tiefenbegrenzung erst jenseits der Tiefenlinie in den Außenbereich überginge, besser gestellt als ohne Geltung der Tiefenbegrenzungslinie.

77

Die Bestimmung einer Tiefenbegrenzungslinie hat sich daher zur Einhaltung des Vorteilsprinzips und zur Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) an Kriterien für eine möglichst realitätsnahe Abgrenzung der Innen- von den Außenbereichsflächen im Geltungsbereich der Tiefenbegrenzung auszurichten. Ein sachgerechter Anhaltspunkt dafür, dass eine bauliche Nutzung über eine bestimmte Tiefe hinaus in der Regel nicht stattfindet, stellt - wenn eine solche ermittelbar ist - die ortsübliche Tiefe der baulichen Nutzung dar (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., § 17, Rn. 39). Der Senat hat daher in seiner bisherigen Rechtsprechung durchweg darauf abgestellt, ob sich die gewählte Tiefenlinie als ortsangemessen darstellt bzw. den örtlichen Verhältnissen entspricht (15.11.2000, - 4 K 8/99 -, a.a.O.; 13.11.2001, - 4 K 16/00 -, a.a.O.; 02.06.2004, - 4 K 38/02 -, a.a.O.; vgl. auch OVG Greifswald, 29.11.2001, - 1 M 66/01 -,a.a.O.). Dies stimmt mit den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts im Erschließungsbeitragsrecht an die satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung überein. Danach muss die gewählte Tiefenbegrenzung die typischen örtlichen Verhältnisse tatsächlich widerspiegeln und sich an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren (BVerwG, 01.09.2004 - 9 C 15/03 -, BVerwGE 121, 365, 369). Für die Festsetzung der an diesen Verhältnissen zu orientierenden Tiefenbegrenzung steht dem Ortsgesetzgeber ein normgeberisches Ermessen zu (BVerwG, 30.07.1976 - IV C 65.74 -, DÖV 1977, 247; OVG Weimar, 18.12.2000, a.a.O.; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., § 17, Rn. 43). Um dieses Ermessen ordnungsgemäß ausüben zu können, muss er vor Beschlussfassung über die Satzung und Festlegung der Tiefenbegrenzung die örtlichen Verhältnisse sorgfältig und willkürfrei in allen Bereichen des Verbandsgebietes ermitteln (OVG Greifswald, 15.03.1995, a.a.O.; 15.11.2000, a.a.O.; 13.11.2001, a.a.O.; 20.11.2003, a.a.O.; 27.08.2008 - 1 L 155/06 -, n.v.). Die Ergebnisse dieser Ermittlung sollen als Nachweis für die Kalkulation dokumentiert werden (vgl. Erläuterungen zu den Gemeinsamen Satzungsmustern des Städte- und Gemeindetages M-V e.V. und des Innenministeriums M-V über Beiträge und Gebühren für die Schmutzwasserbeseitigung und die zentrale Niederschlagswasserbeseitigung, Anm. 10, abgedruckt bei Aussprung, a.a.O., KAG-Anhang 7.3). Das Normenkontrollgericht hat die Ermessensausübung durch den Satzungsgeber nur auf deren Übereinstimmung mit den gesetzlichen Erfordernissen zu überprüfen, darf jedoch keine eigene Entscheidung an die Stelle der zu überprüfenden Ermessensentscheidung setzen (OVG Weimar, 18.12.2000, a.a.O.).

78

Hier hat der Antragsgegner die Anforderungen an eine solche sorgfältige Ermittlung der örtlichen Verhältnisse im Verbandsgebiet grundsätzlich erfüllt. Der Senat hält insbesondere die von dem Antragsgegner angestellte Ermittlung der örtlichen Verhältnisse begrenzt auf repräsentativ ausgewählten Ortslagen für zulässig. Müsste der Ortsgesetzgeber die tatsächlichen Bebauungstiefen in allen Ortslagen des Verbandsgebietes untersuchen, verlöre die Tiefenbegrenzung als Instrument zur Verwaltungsvereinfachung ihre Berechtigung, denn dann würden die Grundstücksdaten, die aufgrund der Tiefenbegrenzungsregel nicht sollen erhoben werden müssen, schon für die Bildung der Regel benötigt (vgl. Bloemenkamp in: Driehaus, KAG, Stand: März 2010, § 8, Rn. 1464). Auf welche Weise der Satzungsgeber die ortsüblichen Verhältnisse zu ermitteln hat, ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Auch dies liegt in seinem Ermessen. Dass er dabei von zutreffenden tatsächlichen Umständen wie etwa der richtigen Anzahl der von der Tiefenbegrenzung betroffenen Ortslagen auszugehen hat, bedarf keiner näheren Ausführungen.

79

Der Antragsgegner hat sodann jedoch die Tiefenbegrenzung nicht nach diesen Ermittlungen bestimmt, sondern die gewonnenen Ergebnisse mit im vorliegenden Zusammenhang rechtlich nicht zutreffenden Erfordernissen des auch im Abgabenrecht geltenden Grundsatzes der Typengerechtigkeit kombiniert. Damit hat er sich von seinen Daten über die ortsübliche Bebauungstiefe der vom Innen- in den Außenbereich übergehenden Grundstücke aufgrund eines hier nicht maßgeblichen Kriteriums entfernt und insoweit die Tiefenbegrenzungslinie nicht nach dem Maßstab von § 7 Abs. 1 Satz 3 KAG, Art. 3 Abs. 1 GG rechtsfehlerfrei festgesetzt.

80

Der Grundsatz der Typengerechtigkeit dient der Erhaltung der dem Normgeber im Abgabenrecht in Bezug auf das Gleichbehandlungsgebot eingeräumten Gestaltungsfreiheit. Danach ist es ihm gestattet, bei der Gestaltung abgabenrechtlicher Regelungen in der Weise zu verallgemeinern und zu pauschalieren, dass an Regelfälle eines Sachbereichs angeknüpft wird und dabei die Besonderheiten von Einzelfällen außer Betracht bleiben. Dabei stellt das Auftreten solcher abweichenden Einzelfälle die Entscheidung des Normgebers nicht in Frage, solange nicht mehr als 10 % der von der Regelung betroffenen Fälle dem "Typ" widersprechen. Der Grundsatz der Typengerechtigkeit bewahrt damit die im Interesse der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität getroffene Entscheidung des Normgebers für einen bestimmten "Regelungstypus" davor, durch das Auftreten von Einzelfällen, die der Regelung unterfallen, dem Typus aber widersprechen, in Frage gestellt zu werden (BVerwG, 30.04.2009 - 9 B 60/08 -, Buchholz 401.9, Nr. 57; 01.08.1986 - 8 C 112/84 -, NVwZ 1987, 231, 232; 19.09.1983 - 8 N 1/83 -, BVerwGE 68, 36, 41; vgl. zum Grundsatz der Typengerechtigkeit, Schoch, Der Gleichheitssatz, DVBl. 1988, 863, 879).

81

Der Antragsgegner hat nach dem Inhalt seiner der Beschlussvorlage Nr. 09-1/2007 beigefügten Dokumentation der Ermessenserwägungen zur Ermittlung der Tiefenbegrenzung und der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten, der Dokumentation seinerzeit ebenfalls beigefügten Excel-Tabelle festgestellt, dass 77% der in die Betrachtung einbezogenen Grundstücke im Übergangsbereich vom Innen- in den Außenbereich kleiner oder gleich 40 Meter tief und 84% der Grundstücke kleiner oder gleich 45 Meter tief bebaut sind. Den weiteren Angaben ist zu entnehmen, dass danach nicht nur 7% aller in die Betrachtung einbezogenen Grundstücke eine Bebauungstiefe von 40 bis 45 Metern aufwiesen, sondern auch nur 9 % eine Tiefe von 45 bis 50 Metern und 7% eine über 50 Meter hinausreichende Bebauungstiefe. Die Tiefenbegrenzungslinie hat er daraufhin in einem Abstand von 50 Meter gezogen, da dies – wie er meinte - nur dann willkürfrei geschehen könne, wenn die ermittelten örtlichen Verhältnisse belegten, dass die Grundstücke im unbeplanten Übergangsbereich mit Baulandqualität jenseits der Tiefenbegrenzungslinie die Ausnahme, d.h. weniger als 10% der von der Tiefenbegrenzung betroffenen Grundstücke, darstellten. Nur dann stehe die Ungleichbehandlung in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen der Typisierung. Betrage die Anzahl der übertiefen Grundstücke mehr als 10%, so lasse sich die Einführung einer Tiefenbegrenzung nicht mehr auf den Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität stützen.

82

Diese Auffassung führt zu unzutreffenden Ergebnissen. Die Anwendung der Regel auf die Festlegung der Tiefenbegrenzungslinie, wonach nicht mehr als 10% der von der Regelung betroffenen Fälle dem "Typ" widersprechen dürfen, bedingt bereits eine vorteils- und gleichheitswidrige Tiefenbegrenzungsregelung, wenn der Satzungsgeber allein die Grundstücke mit Baulandqualität jenseits der Tiefenbegrenzung im Blick hat. Eine solche Vorgehensweise übersieht, dass nicht nur die bei exakter Einzelfallbetrachtung der örtlichen Grundstücksverhältnisse jenseits der Linie noch Baulandqualität aufweisenden Grundstücke "dem Typ" widersprechen. Auf die Grundstücke, deren Baulandeigenschaft bei genauer Betrachtung schon diesseits der Linie endet, trifft dies ebenso zu. Je weiter der Ortsgesetzgeber die Tiefenlinie in Richtung des Außenbereiches verlegt, desto geringer wird zwar die Anzahl der Grundstücke mit tieferer Bebaubarkeit, umso größer aber die Anzahl derer, deren Bebaubarkeit eigentlich schon eher (diesseits der Linie) endet. Auch diese Fälle widersprechen im Sinne des Grundsatzes der Typengerechtigkeit dem generalisierend normierten Regelfall. Die Zahl der von der Regel abweichenden Fälle kann durch ein Verschieben der Linie weg von den tatsächlich ermittelten Bebauungstiefeergebnissen daher nicht verringert werden. Geschieht dies - wie im vorliegenden Fall - dennoch, so geht dies zu Lasten der Eigentümer von Grundstücken mit geringerer Bebauungstiefe. Das im Übergangsbereich gelegene Grundstück, das bei exakter Betrachtung beispielsweise nur bis zur Tiefe von 35 Metern Baulandqualität hat, würde bei einer entsprechend einer ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet von (angenommen) 40 Metern verlaufenden Tiefenbegrenzung - zulässigerweise pauschalierend - so behandelt, als wenn es fünf Meter tiefer Baulandqualität hätte. Bei einem Hinausschieben der Tiefenlinie auf 50 Meter verdreifachte sich aber bereits die beitragspflichtige Fläche, die bei genauer Grundstücksbetrachtung ohne Tiefenbegrenzungsregelung für die Bemessung des Beitrages überhaupt nicht angerechnet würde. Weicht der Satzungsgeber von dem aus Verwaltungsvereinfachungsgründen zulässigen Kriterium der ortsüblichen bzw. typischen Bebauungstiefe ab und gelangt so zu einem abweichenden Verlauf der Tiefenlinie, so entfernt er sich damit ohne vertretbaren Grund von dem wegen des Vorteilsprinzips (§ 7 Abs. 1 Satz 2 KAG) und aus Gründen der Gleichbehandlung bestehenden Erfordernis einer realitätsnahen Abgrenzung von Innen- und Außenbereichsflächen.

83

Die Anwendung der als Begrenzung des Grundsatzes der Typengerechtigkeit aufgestellten Quantifizierungsregel von höchstens 10% zulässiger Ausnahmefälle auf die Ermittlung der Tiefenbegrenzung erscheint aber auch grundsätzlich als unzutreffend. Die erforderliche Orientierung der Tiefenbegrenzung an der ortsüblichen baulichen Nutzung (BVerwG, 01.09.2004, a.a.O.) enthält bereits den entscheidenden Zulässigkeitsmaßstab der Pauschalierung und schließt die Anwendung der "10%-Regel" aus. Der Maßstab der ortsüblichen bzw. -angemessenen Bebauungstiefe greift weiter als das mit 90% und 10% quantifizierte Regel-Ausnahmeverhältnis. Ortsüblich ist die Bebauungstiefe, die im zu betrachtenden Gebiet üblich i.S.v. normal, geläufig, verbreitet oder in der Mehrzahl der ermittelten Fälle anzutreffen ist (vgl. Bloemenkamp, a.a.O., Rn. 1464). Dafür ist nicht erforderlich, dass sie in mindestens 90% der Fälle auftritt. Dies würde wegen der unterschiedlichen Verteilung der die einzelnen Grundstücke betreffenden Bebauungstiefen wohl auch zumeist zur Unanwendbarkeit der Tiefenbegrenzung führen. Denn schon sobald sich die Streubreite der tatsächlich anzutreffenden Bebauungstiefen ausgehend von der festgesetzten Tiefenbegrenzungslinie um mehr als 5% nach oben und unten erstreckte, wäre die Höchstgrenze von 10% überschritten. Es ist - wie zuvor ausgeführt - anerkannt, dass sich die Tiefenbegrenzung an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren muss. Die Begriffe "ortsüblich" und "orientieren" bringen mit der ihnen inbegriffenen Unschärfe zum Ausdruck, dass es nicht um die Ermittlung einer exakt zu berechnenden Größe geht, von der nur zu bestimmten Prozentanteilen abgewichen werden darf. Das Erfordernis der Üblichkeit einer Bebauungstiefe setzt vielmehr schon voraus, dass es daneben eine nicht nur geringe Anzahl von Grundstücken mit im Gebiet nicht üblichen Bebauungstiefen geben muss, die nicht dem mit normal, geläufig oder verbreitet zu bezeichnenden Maß entsprechen muss. Aus all dem folgt, dass für die Annahme der Ortsüblichkeit ausreichend eine zahlenmäßig hinreichend große Gruppe von Grundstücken ist, die in etwa die gleichen Bebauungstiefen aufweisen, so dass von einer üblichen Tiefe gesprochen werden kann (vgl. dazu Bloemenkamp, a.a.O.). Der Senat hätte keine Bedenken, dies in dem vorliegenden Fall etwa für die Gruppe der bis zu 40 m tief bebauten Grundstücke anzunehmen, für die der Antragsgegner den Wert von immerhin 77% aller in die Betrachtung einbezogenen Grundstücke bei einer durchschnittlichen Bebauungstiefe aller Grundstücke von 34,85 m ermittelt hat.

84

Die bisherige Rechtsprechung des mit dem Abgabenrecht befassten 1. Senates steht dazu nicht im Widerspruch. Soweit er sich bislang zu Fragen der Tiefenbegrenzung in Verbindung mit dem Grundsatz der Typengerechtigkeit geäußert hat (04.12.2007 - 1 M 27/07 -, n.v.), ist das allein in dem Zusammenhang geschehen, dass eine im erstinstanzlichen Verfahren von dem Verwaltungsgericht festgestellte Kollision der festgesetzten Tiefenbegrenzung mit der "10%-Regel" nach Überarbeitung der Kalkulation durch den Zweckverband im Beschwerdeverfahren nicht mehr festgestellt werden konnte. Eine Aussage über die Anwendbarkeit dieser Quantifizierung im Zusammenhang mit der Tiefenbegrenzung ist damit entgegen anderslautender Einschätzung in der Kommentarliteratur (vgl. Aussprung, a.a.O., § 9, Anm. 4.3) nicht verbunden gewesen.

85

Der Senat hat dennoch erwogen, die vorliegend festgelegte Tiefenbegrenzungslinie von 50 Metern für ermessensgerecht zu erachten, weil bei Abgrenzung des Innen- vom Außenbereich zu berücksichtigen sein mag, dass der Bebauungszusammenhang nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht unbedingt mit der Außenwand der letzten Baulichkeit enden muss, sondern je nach den örtlichen Gegebenheiten etwa noch einen Hausgarten einschließen kann (bauakzessorische Nutzung) und auch topographische Verhältnisse dabei eine prägende Rolle spielen können (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Kommentar, § 34, Rn. 25f; Rieger in: Schrödter, Baugesetzbuch, Kommentar, 7. Aufl., § 34, Rn. 14). Der Senat sieht sich jedoch gehindert, die hier getroffene Entscheidung über die Tiefenbegrenzung von 50 Metern aufgrund dieser Überlegungen für fehlerfrei zu halten. Der Antragsgegner hat ausweislich seiner Dokumentation der Ermessenserwägungen diesen Gesichtspunkt bei der Festlegung der Tiefengrenze selbst nicht mit einbezogen, sondern allein die hintere Begrenzung des letzten nach seiner Einschätzung für einen Bebauungszusammenhang nach § 34 Abs. 1 BauGB relevanten Gebäudes ausschlaggebend sein lassen. Allein danach und nach der Eingruppierung in derart definierte Tiefengruppen („Grenzwerte“ von 40,45 und 50 Metern) hat er die ortsübliche Bebauungstiefe ermittelt. Der Senat müsste damit an die Stelle der ortsgesetzgeberischen Ermessensentscheidung des Antragsgegners eine eigene Entscheidung über die Tiefenbegrenzung setzen; dies ist ihm jedoch verwehrt. Außerdem erforderte eine Berücksichtigung dieser Umstände womöglich eine weitere Ermittlung der örtlichen Verhältnisse, weil das Ziehen der Grenze zwischen dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil und dem Außenbereich grundsätzlich eine Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhaltes erfordert (BVerwG, 06.11.1968 – IV C 2.66 -, BVerwGE 31, 20, 21).

86

b. Der danach festzustellende Verstoß von § 4 Abs. 2 d) TBS gegen den Vorteilsgrundsatz (§ 7 Abs. 1 Satz 3 KAG) und das Gleichbehandlungsprinzip führt zur Unwirksamkeit der gesamten Trinkwasserbeitragssatzung.

87

Die Normierung einer Tiefenbegrenzung ist im Anschlussbeitragsrecht zwar nicht vorgeschrieben. Ihre Anordnung steht vielmehr im Ermessen des Ortsgesetzgebers. Fehlt sie, sind in jedem Einzelfall die örtlichen Grundstücksverhältnisse zu betrachten und der Kalkulation des Beitragssatzes sowie der Heranziehung des einzelnen Grundstückseigentümers zugrundezulegen. Dies kann dazu führen, dass eine Kanalbaubeitragssatzung trotz festgestellter Unwirksamkeit der Tiefenbegrenzung fortbesteht.

88

Hier ist eine Fortgeltung der Trinkwasserbeitragssatzung trotz Unwirksamkeit der Tiefenbegrenzungsregelung nach § 4 Abs. 2 d) TBS jedoch ausgeschlossen. Die Ungültigkeit eines Teils einer Satzungsbestimmung schlägt nur dann nicht auf die gesamte Regelung mit der Folge der Gesamtnichtigkeit durch, wenn die Restbestimmungen auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll bleiben und mit Sicherheit anzunehmen ist, daß sie auch ohne diesen erlassen worden wären (BVerwG, 27.01.1978, a.a.O.). Vorliegend sind beide Voraussetzungen nicht gegeben.

89

§ 4 Abs. 2 d) TBS könnte ohne die Regelung über die Tiefenbegrenzung nicht fortbestehen, weil dann bei Grundstücken im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich zum Außenbereich als Grundstücksfläche die Gesamtfläche des Grundstücks zählen würde. Dies wäre vorteilswidrig, weil dann auch die einer Bebauung entzogene Außenbereichsfläche mitgerechnet würde. Betrachtete man deshalb die gesamte Regelung unter § 4 Abs. 2 d) TBS als nichtig, so fehlte dem Beitragsmaßstab eine Regelung über die anrechenbare Grundstücksfläche von solchen Übergangsgrundstücken. Da im Verbandsgebiet zahlreiche Grundstücke dieser Art existieren, wäre die nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG unabdingbare Bestimmung des Beitragsmaßstabes wegen des im Anschlussbeitragsrecht geltenden Grundsatzes der konkreten Vollständigkeit (vgl. OVG Greifswald, 30.06.2004, a.a.O., juris, Rn. 91) zu beanstanden. Darüber hinaus würde sich die Unwirksamkeit von § 4 Abs. 2 d) TBS auf den Bestand weiterer Satzungsbestimmungen auswirken [(§ 4 Abs. 2 e) und f)], die auf diese Bestimmung Bezug nehmen.

90

Eine isolierte Nichtigkeit der Tiefenbegrenzungsregelung bei Fortbestand der weiteren Satzungsbestimmungen scheidet auch deshalb aus, weil sie nicht dem Willen des Satzungsgebers entspräche. Nach seiner Dokumentation der Ermessenserwägungen waren Vorstand und Verbandsvorsteher zu dem Ergebnis gekommen, dass aus Gründen der Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität eine Vermutungsregel in Form einer Tiefenbegrenzung aufgestellt und keine konkreten Einzelabgrenzungen von Innen- und Außenbereichsflächen vorgenommen werden sollten. Denn eine ohne Tiefenbegrenzungsregel erforderliche einzelfallbezogene Abgrenzung von Innenbereichs- und Außenbereichsflächen wäre sehr zeit- und kostenaufwändig.

91

Danach würde dem Antragsgegner bei Annahme der alleinigen Nichtigkeit von § 4 Abs. 2 d) TBS eine Beitragssatzung aufgenötigt, die dieser ausdrücklich so nicht erlassen wollte. Somit musste der Senat die gesamte Trinkwasserbeitragssatzung des Antragsgegners für unwirksam erklären.

92

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

93

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, kann auch nach diesem Gesetzbuch kein Beitrag erhoben werden.

(2) Soweit am 29. Juni 1961 zur Erfüllung von Anliegerbeitragspflichten langfristige Verträge oder sonstige Vereinbarungen, insbesondere über das Ansammeln von Mitteln für den Straßenbau in Straßenbaukassen oder auf Sonderkonten bestanden, können die Länder ihre Abwicklung durch Gesetz regeln.

(3) § 125 Absatz 3 ist auch auf Bebauungspläne anzuwenden, die vor dem 1. Juli 1987 in Kraft getreten sind.

(4) § 127 Absatz 2 Nummer 2 ist auch auf Verkehrsanlagen anzuwenden, die vor dem 1. Juli 1987 endgültig hergestellt worden sind. Ist vor dem 1. Juli 1987 eine Beitragspflicht nach Landesrecht entstanden, so verbleibt es dabei.

(5) Ist für einen Kinderspielplatz eine Beitragspflicht bereits auf Grund der vor dem 1. Juli 1987 geltenden Vorschriften (§ 127 Absatz 2 Nummer 3 und 4 des Bundesbaugesetzes) entstanden, so verbleibt es dabei. Die Gemeinde soll von der Erhebung des Erschließungsbeitrags ganz oder teilweise absehen, wenn dies auf Grund der örtlichen Verhältnisse, insbesondere unter Berücksichtigung des Nutzens des Kinderspielplatzes für die Allgemeinheit, geboten ist. Satz 2 ist auch auf vor dem 1. Juli 1987 entstandene Beiträge anzuwenden, wenn

1.
der Beitrag noch nicht entrichtet ist oder
2.
er entrichtet worden, aber der Beitragsbescheid noch nicht unanfechtbar geworden ist.

(6) § 128 Absatz 1 ist auch anzuwenden, wenn der Umlegungsplan (§ 66 des Bundesbaugesetzes) oder die Vorwegregelung (§ 76 des Bundesbaugesetzes) vor dem 1. Juli 1987 ortsüblich bekannt gemacht worden ist (§ 71 des Bundesbaugesetzes).

(7) Ist vor dem 1. Juli 1987 über die Stundung des Beitrags für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke (§ 135 Absatz 4 des Bundesbaugesetzes) entschieden und ist die Entscheidung noch nicht unanfechtbar geworden, ist § 135 Absatz 4 dieses Gesetzbuchs anzuwenden.

(8) § 124 Absatz 2 Satz 2 in der bis zum 21. Juni 2013 geltenden Fassung ist auch auf Kostenvereinbarungen in Erschließungsverträgen anzuwenden, die vor dem 1. Mai 1993 geschlossen worden sind. Auf diese Verträge ist § 129 Absatz 1 Satz 3 weiterhin anzuwenden.

(9) Für Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind, kann nach diesem Gesetz ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden. Bereits hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind die einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen. Leistungen, die Beitragspflichtige für die Herstellung von Erschließungsanlagen oder Teilen von Erschließungsanlagen erbracht haben, sind auf den Erschließungsbeitrag anzurechnen. Die Landesregierungen werden ermächtigt, bei Bedarf Überleitungsregelungen durch Rechtsverordnung zu treffen.

Anlässlich der Neubekanntmachung eines Flächennutzungsplans nach § 6 Absatz 6 sollen die in § 5 Absatz 4a bezeichneten Gebiete nach Maßgabe dieser Bestimmung nachrichtlich übernommen und vermerkt werden.

(1) Die Gemeinden erheben zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag nach Maßgabe der folgenden Vorschriften.

(2) Erschließungsanlagen im Sinne dieses Abschnitts sind

1.
die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze;
2.
die öffentlichen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen mit Kraftfahrzeugen nicht befahrbaren Verkehrsanlagen innerhalb der Baugebiete (z. B. Fußwege, Wohnwege);
3.
Sammelstraßen innerhalb der Baugebiete; Sammelstraßen sind öffentliche Straßen, Wege und Plätze, die selbst nicht zum Anbau bestimmt, aber zur Erschließung der Baugebiete notwendig sind;
4.
Parkflächen und Grünanlagen mit Ausnahme von Kinderspielplätzen, soweit sie Bestandteil der in den Nummern 1 bis 3 genannten Verkehrsanlagen oder nach städtebaulichen Grundsätzen innerhalb der Baugebiete zu deren Erschließung notwendig sind;
5.
Anlagen zum Schutz von Baugebieten gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, auch wenn sie nicht Bestandteil der Erschließungsanlagen sind.

(3) Der Erschließungsbeitrag kann für den Grunderwerb, die Freilegung und für Teile der Erschließungsanlagen selbständig erhoben werden (Kostenspaltung).

(4) Das Recht, Abgaben für Anlagen zu erheben, die nicht Erschließungsanlagen im Sinne dieses Abschnitts sind, bleibt unberührt. Dies gilt insbesondere für Anlagen zur Ableitung von Abwasser sowie zur Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 06. August 2008 – 3 A 192/08 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger, Eigentümer des 473 qm großen Grundstücks Flurstück …/…, Flur …, Gemarkung …., wendet sich gegen die Erhebung von Schmutz- und Niederschlagswasserbeiträgen.

2

Der Beklagte zog den Kläger mit Bescheiden vom 6. Juni 2007 zu einem Anschlussbeitrag für die Schmutzwasserbeseitigungsanlage in Höhe von 210,49 € (S 170317/016017) sowie zu einem Beitrag für die Niederschlagswasserbeseitigung (N 1170317/016422) in Höhe von 90,82 € heran. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 11. Januar 2008 (Eingangsstempel auf dem als Anlage zur Klageerhebung übersandten Bescheidexemplar: 14. Januar 2008) zurück.

3

Der Kläger erhob am 14. Februar 2008 Klage vor dem Verwaltungsgericht Greifswald (3 A 192/08). Das Verwaltungsgericht wies diese Klage mit Urteil vom 6. August 2008 – zugestellt am 14. August 2008 – ab und ließ zugleich die Berufung zu. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die angefochtenen Bescheide hätten eine ausreichende Grundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserentsorgung – Schmutzwasser und Niederschlagswasser – der Universitäts- und Hansestadt Greifswald (Beitragssatzung – BS) vom 6. Januar 2004 i.d.F. der 3. Änderungssatzung vom 10. Oktober 2007. Diese Satzung sei wirksam, insbesondere seien die Beitragssätze nicht zu beanstanden. Dies gelte auch für den verhältnismäßig niedrigen Deckungsgrad von 22,94 % bzw. 28,71 % der beitragsfähigen Herstellungskosten. Dass der jeweils offene Differenzbetrag über die Gebühren finanziert werden solle, verstoße nicht gegen die „Soll-Regelung“ des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG MV. Die Flächenseite der Kalkulation sei nicht zu beanstanden. Die Grundstücksflächen sogenannter altangeschlossener Grundstücke dürften entgegen der Auffassung des Klägers berücksichtigt werden. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte im Lande. Wollte man die Erhebung eines Herstellungsbeitrages auf die Eigentümer oder dinglich Berechtigten derjenigen Grundstücke beschränken, bei denen die Anschlussmöglichkeit erst nach dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes geschaffen wurde, hieße dies, die erheblichen Kosten im Wesentlichen vornehmlich auf den verhältnismäßig kleinen Kreis der Eigentümer von Grundstücken in den seit 1990 neu geschaffenen Eigenheim- oder Gewerbegebieten zu verteilen. Das wäre mit dem dem Beitragsrecht immanenten Solidarprinzip nicht zu vereinbaren. Die dagegen erhobenen, das Argument der rechtlichen Absicherung der Abwasserentsorgung sowie eine frühere Zahlung von Anschlussgebühren oder ähnlichen Leistungsäquivalenten bzw. Eigenleistungen betreffenden Einwände des Klägers könnten demgegenüber nicht überzeugen. Der abgestufte Vollgeschossmaßstab sei nicht zu beanstanden, ebenso wenig die Erhebung von Herstellungs- anstelle von Erneuerungsbeiträgen. Auch dass der Beklagte seit geraumer Zeit Abwassergebühren erhebe, stehe der Geltendmachung eines Herstellungsbeitrages nicht entgegen. Der Beitragsanspruch sei auch nicht wegen Festsetzungsverjährung erloschen. Verwirkung sei nicht eingetreten, Erlassgründe lägen nicht vor.

4

Am 15. September 2008 (Montag) hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Berufung eingelegt und am 14. Oktober 2008 bei dem Oberverwaltungsgericht unter Stellung eines Berufungsantrages beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 14. November 2008 zu verlängern. Nach gewährter Fristverlängerung hat er seine Berufung mit an diesem Tag bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

5

Er macht geltend, dass bereits vor der Wende eine rechtlich gesicherte Einleitungsmöglichkeit bestanden habe; § 4 Abs. 2 WassG i.V.m. den Abwassereinleitungsbedingungen v. 22. Dezember 1987 habe die rechtlich gesicherte Möglichkeit begründet, Abwässer einzuleiten. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, nach der Wende seien tatsächlich neue Anlagen errichtet worden, sei unrichtig. Der flächenmäßig überwiegende Teil der Abwasserbeseitigungsanlage habe – anders als die Auffangeinrichtungen oder die Abwasserbehandlungsanlagen, für die das gelten möge – nicht saniert werden müssen und sei alt. Es entspreche nicht dem Rechtsstaatsprinzip und dem Vertrauensschutz, Grundstückseigentümern, die schon seit Jahrzehnten an das Abwassernetz angeschlossen seien, Anschlussbeiträge für eine neue Anlage aufzuerlegen. Der Gesetzgeber habe die nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung alt- und neuangeschlossener Grundstücke erkannt und deshalb § 242 Abs. 9 BauGB geschaffen. Dass der Landesgesetzgeber eine solche Regelung unterlassen habe, sei bedenklich. Gegen den in der Satzung festgelegten Deckungsgrad von weniger als 30% wende er sich nicht.

6

Der Kläger beantragt,

7

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 06. August 2008 die Beitragsbescheide des Beklagten vom 06. Juni 2007 – S 1170317/016017 und N 1170317/016422 – in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2008 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

9

die Berufung zurückzuweisen.

10

Er vertritt den Standpunkt, die Gleichbehandlung von Alt- und Neuanschließern sei rechtlich geboten. Alle Greifswalder Grundeigentümer profitierten in gleichem Umfang von der neu hergestellten Abwasserbeseitigungsanlage. Auch wenn die zu DDR Zeiten errichtete Abwasserbeseitigungsanlage funktionsfähig gewesen sei, so hätten die technischen Einrichtungen mit ihrer allein mechanischen Klärung der Abwässer heutigen Reinigungsstandards nicht genügt. Die Millioneninvestitionen der A-Stadt seien daher großteils in das neue Klärwerk geflossen, um die gesetzlichen Reinigungsstandards erstmals zu gewährleisten. Auch für die vorhandenen Kanäle seien Verbindlichkeiten der Nordwasser i.L. zu übernehmen gewesen. Die von Klägerseite kritisierte obergerichtliche Rechtsprechung zur Heranziehung von Altanschließern sei schließlich vom Gesetzgeber bewusst nicht korrigiert worden.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakte A und B) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

13

Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers gegen die Bescheide des Beklagten vom 6. Juni 2007 zutreffend für zulässig, aber unbegründet erachtet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

14

Der Kläger ist der Ansicht des Verwaltungsgerichts, die den Bescheiden zugrundeliegende Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserentsorgung – Schmutzwasser und Niederschlagswasser – der Universitäts- und Hansestadt Greifswald vom 6. Januar 2004 i.d.F. der 3. Änderungssatzung vom 10. Oktober 2007 sei wirksam, im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten. Insbesondere hat er sich ausdrücklich nicht gegen den von dem Verwaltungsgericht angesprochenen, dem Beitragssatz für die öffentliche Schmutzwasseranlage nach § 6 Abs. 1 BS zugrundeliegenden „verhältnismäßig niedrigen“ Deckungsgrad der Refinanzierung des Herstellungsaufwandes durch Beiträge gewendet. Der Senat sieht mangels einschlägigen Berufungsvortrages keine Veranlassung, die Bemessung des Beitragssatzes aus diesem Grunde einer weiteren Prüfung zu unterziehen oder gar zu beanstanden (vgl. zur Frage der Beitragserhebungspflicht das Urteil des Senates v. 03.05.2011 - 1 L 59/10 -, NordÖR 2011, 493ff.).

15

Soweit sich der Kläger mit seiner Berufung allein gegen seine Heranziehung zu Schmutzwasser- und Niederschlagswasserbeiträgen als Eigentümer eines sogenannten „altangeschlossenen Grundstückes“ wendet, führt sein Vorbringen nicht zum Erfolg. Der Kläger benennt keine Gesichtspunkte, die nicht schon Gegenstand der zu dieser Fragestellung ergangenen Senatsrechtsprechung, an der festgehalten wird, gewesen wären.

16

Mit der Problematik der sog. "altangeschlossenen" Grundstücke haben sich die für das Abgabenrecht zuständigen Senate des Oberverwaltungsgerichts in der Vergangenheit mehrfach auseinandergesetzt. Der Senat hat in früheren Beschlüssen (vgl. nur Beschl. v. 06.02.2007 - 1 L 295/05 -, NordÖR 2007, 433 [Leitsatz], juris, Rn. 7 ff.; Beschl. vom 18.10.2005 - 1 L 197/05 -, NordÖR 2006, 160) unter Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts (vgl. nur Urt. v. 13.11.2001 - 4 K 16/00 -, NVwZ-RR 2002, 687 ff. m.w.N.) bekräftigt, dass von den Eigentümern altangeschlossener Grundstücke ein Herstellungsbeitrag erhoben werden kann und die Bestimmung unterschiedlicher Beitragssätze für sog. „altangeschlossene“ und sog. „neuangeschlossene“ Grundstücke im Grundsatz willkürlich ist. In diesem Zusammenhang hat er u.a. ausgeführt (vgl. Beschl. v. 18.10.2005, a.a.O.):

17

„Die beitragsrechtliche Frage, wie mit den Kosten einer bereits zu DDR-Zeiten entstandenen Schmutzwasserbeseitigungsanlage umzugehen ist, ist zwar auch mehr als ein Jahrzehnt nach In-Kraft-Treten der Kommunalabgabengesetze der neuen Länder nach wie vor in der Diskussion (siehe z.B. Hentschke, LKV 2004, 447; Aussprung, LKV 2005, 202). Die genannte Frage ist jetzt durch den Landesgesetzgeber inzident entschieden: Er hat sich - in Kenntnis der oben genannten Diskussion - nicht zu einer ausdrücklichen Änderung des Kommunalabgabengesetzes im Hinblick auf die Altanschließerproblematik entschlossen. Dies ergibt sich mittelbar auch aus den Stellungnahmen des Abgeordneten M… bei der Schlussabstimmung über das KAG M-V 2005 im Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2984 und der Abgeordneten S…, a.a.O., S. 2987. Auf der Grundlage der weiter geltenden Gesetzeslage ist die folgende zwischenzeitig gefestigte Rechtsprechung des OVG Greifswald entstanden, die nach wie vor aktuell ist:

18

Die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für altangeschlossene bzw. neu anschließbare Grundstücke ist im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Da die Abgaben erhebenden Behörden nach der Wende neue öffentliche Einrichtungen geschaffen haben, darf und muss ein Herstellungsbeitrag erhoben werden. Der Begriff der öffentlichen Einrichtung ist rechtlich (d.h. im beitragsrechtlichen Sinne), nicht aber tatsächlich zu verstehen. Es ist daher rechtlich geboten, auch so genannte „altangeschlossene“ Grundstücke mit Herstellungsbeiträgen zu belasten.

19

Im Urteil vom 30. Juni 2004 - 4 K 34/02 - (NJ 2004 S. 573 = LKV 2005 S. 76 = Überblick 2004 S. 623 = NordÖR 2004 S. 417 = BauR 2005 S. 150) hat das OVG Greifswald entschieden, dass die an einen Mischwasserkanal altangeschlossenen Grundstückseigentümer im konkreten Fall ohne sachlichen Grund bevorteilt werden; sie hätten nur einen Beitrag nach dem Beitragssatz I zu entrichten und könnten dafür sowohl Schmutz- als auch Niederschlagswasser entsorgen. Schlechtergestellt würden demgegenüber die Fälle der Neuanschlüsse an einen Niederschlagswasserkanal. (Nur) hier entstehe zusätzlich auch ein Beitrag nach dem Beitragssatz II.

20

Ein Herstellungsbeitrag ist auch dann zu erheben, wenn der Betreiber der Abwasserbeseitigung eine Altanlage "übernommen" hat. Die Sanierung alter (zu DDR-Zeiten errichteter) Schmutzwasserkanäle bewirkt keine Verbesserung im beitragsrechtlichen Sinne; sie ist lediglich ein unselbstständiger Kostenfaktor, der in die Beitragskalkulation einfließt und über den Herstellungsbeitrag bzw. über Kanalbenutzungsgebühren abgegolten wird (OVG Greifswald, Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 -, LKV 2000, 161 = NordÖR 1999, 302).

21

Die geltende Rechtslage, wonach auch die so genannten "altangeschlossenen" Grundstücke zu (Herstellungs-)Beiträgen heranzuziehen sind, erscheint keineswegs unbillig. Hier tut sich keine sog. "Gerechtigkeitslücke" auf. Beitragsfähig sind nämlich nur solche Kosten, die nach der Wende entstanden sind. Damit geht der Einwand, der in zahlreichen Prozessen erhoben worden ist, die Anlage sei bereits zu DDR-Zeiten "schon einmal bezahlt worden", ins Leere. Die heute erhobenen Beiträge betreffen lediglich "Nachwendeinvestitionen" in die öffentliche Einrichtung. Dieser Gesichtspunkt geht in der (fach-)öffentlichen Diskussion zumeist unter. Er ist aber bei den Beratungen über das Kommunalabgabengesetz 2005 durchaus im Landtag auch in dieser zutreffenden Art und Weise erörtert worden (siehe den Redebeitrag der Abgeordneten S…, Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2987).“

22

An all dem ist festzuhalten. Der Kläger ist insbesondere nochmals auf den zuletzt angesprochenen Aspekt hinzuweisen, wonach auch die Eigentümer von bereits vor dem Beitritt an eine Abwasseranlage angeschlossenen Grundstücken durch die nunmehrige Erhebung von Herstellungsbeiträgen – neben der Deckung von übernommenen Verbindlichkeiten – allein für die Refinanzierung von Investitionen herangezogen werden, die die Stadt nach dem Zeitpunkt des Beitritts getätigt hat („Nachwendeinvestitionen“). Es wäre nicht einzusehen – darauf hat das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen –, warum mit diesen Kosten allein der Kreis der Eigentümer von Grundstücken in den seit 1990 neu geschaffenen Eigenheim- oder Gewerbegebieten belastet werden sollte. Die Vorteile der Millioneninvestitionen in zeitgemäße technische Anlagen wie Klärwerke kommen den „alt-angeschlossenen“ Grundstücken in gleichem Maße zugute wie denjenigen, die erst nach dem Beitritt an die Anlage angeschlossen worden sind. Soweit es des Weiteren um die Finanzierung von übernommenen Verbindlichkeiten geht, die der Beklagte angesprochen hat, so ist darauf hinzuweisen, dass dafür der Kläger als Eigentümer eines bereits zu früherer Zeit angeschlossenen Grundstückes keine Entgelte gezahlt hat und auch insoweit kein Grund ersichtlich ist, mit dieser Aufwandsposition allein „neuangeschlossene“ Grundstücke zu belasten.

23

Auch der Hinweis des Klägers auf § 242 Abs. 9 BauGB führt nicht weiter. Auch dazu hat der Senat bereits entschieden, dass diese Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich sein kann, weil sie ausschließlich die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung vor allem von Straßen regelt, um die es aber hier nicht geht (vgl. Beschl. v. 06.02.2007, a.a.O.). Auch der Vorstellung des Klägers, der Landesgesetzgeber hätte für die Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen eine entsprechende Regelung treffen müssen, ist nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass der Kläger nicht aufzeigt und auch nicht ersichtlich ist, woraus sich eine Verpflichtung des Gesetzgebers zu einer solchen Bestimmung ergeben sollte, lässt sein Einwand auch die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Erschließungsbeiträgen nach den §§ 127 ff. BauGB und den Kanalanschlussbeiträgen außer acht. Erschließungsanlagen nach § 127 Abs. 2 BauGB (zumeist öffentliche Straßen und Plätze) sind einzelne technische Einrichtungen mit bis zu ihrer endgültigen Herstellung von der Errichtung weiterer technischer Anlagen unabhängiger überschaubarer Bauzeit, die naturgemäß in dem Zeitraum vor der Wende ihren Abschluss finden konnten. In diesem Falle sollen die Anliegergrundstücke nicht mit hohen Erschließungsbeiträgen, sondern wegen des dann höheren Gemeindeanteils nur mit niedrigeren Straßenbaubeiträgen belastet und insoweit privilegiert werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.07.2007 – 9 C 5.06 –, juris, Rn. 27). Eine völlige Freistellung von Beiträgen ist demzufolge nicht geregelt. Bei der Abwasserbeseitigungseinrichtung handelt es sich um eine aus verschiedenen einzelnen technischen Bestandteilen (Leitungsnetz, Klärwerke etc.) bestehende Gesamtanlage im rechtlichen Sinne, deren (erstmalige) Herstellung sich über Jahrzehnte erstrecken kann und deren Fertigstellungszeitpunkt als kommunale Anlage im Sinne des neuen Rechts nicht vor dem Zeitpunkt des Beitrittes liegen konnte. Infolgedessen waren Abwasserbeseitigungseinrichtungen vor dem Zeitpunkt des Beitritts noch nicht „bereits hergestellt“. Selbst wenn man das im Einzelfall aber annehmen wollte, müssten nach dem § 242 Abs. 9 BauGB zugrundeliegenden Gedanken (keine gänzliche Freistellung von Beiträgen) auch nunmehr Erneuerungsbeiträge für die umfangreichen Anlagenmodernisierungen erhoben werden. Weil jedoch ohnehin nur „Nachwendeinvestitionen“ als dem Betreiber der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage entstandener Aufwand umgelegt werden dürfen, wäre der danach zu erhebende Beitrag auch nicht geringer als der Beitrag für die Herstellung der Anlage (vgl. Aussprung, a.a.O., 203).

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

25

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

26

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Revisionszulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen.

(1) Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

(2) Abweichend von Absatz 1 beginnt die Festsetzungsfrist, wenn

1.
eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach Absatz 1 später beginnt,
2.
eine Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu zahlen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem für den Steuerfall Steuerzeichen oder Steuerstempler verwendet worden sind, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuerzeichen oder Steuerstempler hätten verwendet werden müssen.
Dies gilt nicht für Verbrauchsteuern, ausgenommen die Energiesteuer auf Erdgas und die Stromsteuer.

(3) Wird eine Steuer oder eine Steuervergütung nur auf Antrag festgesetzt, so beginnt die Frist für die Aufhebung oder Änderung dieser Festsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Antrag gestellt wird.

(4) Wird durch Anwendung des Absatzes 2 Nr. 1 auf die Vermögensteuer oder die Grundsteuer der Beginn der Festsetzungsfrist hinausgeschoben, so wird der Beginn der Festsetzungsfrist für die folgenden Kalenderjahre des Hauptveranlagungszeitraums jeweils um die gleiche Zeit hinausgeschoben.

(5) Für die Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) beginnt die Festsetzungsfrist nach den Absätzen 1 oder 2

1.
bei einem Erwerb von Todes wegen nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat,
2.
bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat,
3.
bei einer Zweckzuwendung unter Lebenden nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Verpflichtung erfüllt worden ist.

(6) Für die Steuer, die auf Kapitalerträge entfällt, die

1.
aus Staaten oder Territorien stammen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind, und
2.
nicht nach Verträgen im Sinne des § 2 Absatz 1 oder hierauf beruhenden Vereinbarungen automatisch mitgeteilt werden,
beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Kapitalerträge der Finanzbehörde durch Erklärung des Steuerpflichtigen oder in sonstiger Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

(7) Für Steuern auf Einkünfte oder Erträge, die in Zusammenhang stehen mit Beziehungen zu einer Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die der Steuerpflichtige allein oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Beziehungen durch Mitteilung des Steuerpflichtigen oder auf andere Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 24. Mai 2005 - 4 A 1095/04 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 3.135,11 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Kläger wendet sich als Eigentümer des Grundstücks F.straße … (Gemarkung Güstrow, Flur …, Flurstück ...) in Güstrow gegen die Erhebung eines Anschlussbeitrages für die Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung in Höhe von 3.135,11 Euro durch den Beklagten. Die der Beitragserhebung zugrunde liegende Beitragssatzung bzw. die Beitragserhebung sei rechtswidrig.

2

Der nach Zustellung des angefochtenen klageabweisenden Urteils am 27. Juli 2005 fristgemäß (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) am 26. August 2005 gestellte und mit am 27. September 2005 per Telefax auch beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz ebenso fristgerecht begründete (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

3

Unabhängig von der Frage der hinreichenden Darlegung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO liegt der zunächst zur Begründung angeführte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) jedenfalls in der Sache nicht vor.

4

In der Sache sieht der Senat diesen Zulassungsgrund als gegeben an, wenn die Zulassungsschrift - gegebenenfalls i.V.m. einem weiteren innerhalb der Antragsfrist eingegangenen Schriftsatz - Anlass gibt, das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Damit ist gesagt, dass sich der Begriff der ernstlichen Zweifel nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen kann, sondern zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen hat. So liegen etwa in den Fällen, in denen zwar die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung ersichtlich unzutreffend ist, eine andere tragfähige Begründung sich dem Senat aber ohne weiteres aufdrängt, ernstliche Zweifel im Sinne des Zulassungsrechts nicht vor. Ernstliche Zweifel können schon dann vorliegen, wenn sich die Erfolgsaussichten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend überschauen lassen, die Zulassungsschrift aber dem Senat die Einsicht vermittelt, dem Rechtsmittel seien durchaus hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen (OVG Greifswald, Beschluss vom 02.06.1998 - 1 O 23/98 -, NordÖR 1998, 306; Beschluss vom 05.08.1998 - 1 L 74/97 -, NVwZ-RR 1999, 476).

5

Gemessen an dem vorstehend erläuterten Maßstab ist der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht gegeben.

6

Das zentrale Argument des Prozessbevollmächtigte des Klägers geht dahin, für sog. "altangeschlossene" Grundstücke wie das des Klägers, der bereits im Jahre 1941 einen "Anschlussbeitrag" gezahlt habe, dürfe nicht "nochmals", nunmehr gestützt auf § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. bzw. die entsprechende Anschlussbeitragssatzung der Stadt Güstrow ein Anschlussbeitrag erhoben werden, weil dies gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße.

7

Mit der Problematik der sog. "altangeschlossenen" Grundstücke hat sich das Oberverwaltungsgericht und speziell auch der Senat bereits in der Vergangenheit auseinandergesetzt; an diese Rechtsprechung knüpft das angefochtene Urteil auf dessen zutreffende Erwägungen verwiesen wird (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), an. Die dagegen vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragenen Gründe greifen nicht durch. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 18. Oktober 2005 - 1 L 197/05 - (NordÖR 2006, 160) unter Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts im Übrigen nochmals bekräftigt, dass von den altangeschlossenen Grundstücken ein Herstellungsbeitrag erhoben werden kann, insbesondere auch wenn vor 1945 bereits Abgaben für einen Anschluss des Grundstücks an die Kanalisation entrichtet worden sind. Der Senat hat u.a. ausgeführt:

8

"1. In der Rechtsprechung des OVG Greifswald ist geklärt, dass von den so genannten altangeschlossenen Grundstücken, zu denen auch das hier streitige Grundstück gehört, ein Herstellungsbeitrag erhoben werden kann.

9

Die beitragsrechtliche Frage, wie mit den Kosten einer bereits zu DDR-Zeiten entstandenen (Schmutzwasser-)Beseitigungsanlage umzugehen ist, ist zwar auch mehr als ein Jahrzehnt nach In-Kraft-Treten der Kommunalabgabengesetze der neuen Länder nach wie vor in der Diskussion (siehe z.B. Hentschke , LKV 2004, 447, für das Recht von Brandenburg; Aussprung , LKV 2005, 202, für Mecklenburg-Vorpommern; Abgeordneter Müller , SPD, bei der Schlussabstimmung über das KAG M-V 2005 im Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2984; Abgeordnete Schulz , PDS, a.a.O., S. 2987; ferner die Landtagsdrucksachen im Verfahren zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes 4/1101, 4/1106, 4/1230 und 4/1307; schließlich die öffentliche Anhörung des federführenden Innenausschusses des Landtages vom 10. November 2004).

10

Die genannte Frage ist jetzt durch den Landesgesetzgeber inzident entschieden: Der Landesgesetzgeber hat sich - in Kenntnis der oben genannten Diskussion - nicht zu einer ausdrücklichen Änderung des Kommunalabgabengesetzes im Hinblick auf die Altanschließerproblematik entschlossen. Dies ergibt sich mittelbar auch aus den Stellungnahmen des Abgeordneten Müller , SPD, bei der Schlussabstimmung über das KAG M-V 2005 im Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2984 und der Abgeordneten Schulz , PDS, a.a.O., S. 2987.

11

Auf der Grundlage der weiter geltenden Gesetzeslage ist die folgende zwischenzeitig gefestigte Rechtsprechung des OVG Greifswald entstanden, die daher nach wie vor aktuell ist:

12

Die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für altangeschlossene bzw. neu anschließbare Grundstücke ist im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar (vgl. z.B. OVG Greifswald, Urteil vom 13. November 2001 - 4 K 16/00 -, KStZ 2002, 132 = NVwZ-RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83). Da die Abgaben erhebenden Behörden nach der Wende neue öffentliche Einrichtungen geschaffen haben, darf und muss ein Herstellungsbeitrag erhoben werden. Der Begriff der öffentlichen Einrichtung ist rechtlich (d.h. im beitragsrechtlichen Sinne), nicht aber tatsächlich zu verstehen (OVG Greifswald, Urteil vom 15. November 2000 - 4 K 8/99 -, LKV 2001, 516 = VwRR MO 2001, 175 = ZKF 2001, 160 = KStZ 2001, 174 = DÖV 2001, 610 = DVBl. 2001, 1376 = Überblick 2001, 249). Es ist daher rechtlich geboten, auch so genannte altangeschlossene Grundstücke mit Herstellungsbeiträgen zu belasten (OVG Greifswald, Urteil vom 2. Juni 2004 - 4 K 38/02 -, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; vgl. auch OVG Greifswald, Beschluss vom 12. Mai 2005 - l L 477/04 -; OVG Greifswald, Beschluss vom 11. August 2004 - 1 M 181/04 -).

13

Im Urteil vom 30. 6. 2004 - 4 K 34/02 - (NJ 2004 S. 573 = LKV 2005 S. 76 = Überblick 2004 S. 623 = NordÖR 2004 S. 417 = BauR 2005 S. 150) hat das OVG Greifswald entschieden:

14

"Die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für altangeschlossene bzw. neu anschließbare Grundstücke ist im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. l GG nicht vereinbar.

15

Die an einen Mischwasserkanal altangeschlossenen Grundstückseigentümer werden im konkreten Fall ohne sachlichen Grund bevorteilt; sie haben nur einen Beitrag nach dem Beitragssatz I zu entrichten und können dafür sowohl Schmutz- als auch Niederschlagswasser entsorgen. Schlechtergestellt werden demgegenüber die Fälle der Neuanschlüsse an einen Niederschlagswasserkanal. (Nur) hier entsteht zusätzlich auch ein Beitrag nach dem Beitragssatz II."

16

Ein Herstellungsbeitrag ist auch dann zu erheben, wenn der Betreiber der Abwasserbeseitigung eine Altanlage "übernommen" hat. Die Sanierung alter (zu DDR-Zeiten errichteter) Schmutzwasserkanäle bewirkt keine Verbesserung im beitragsrechtlichen Sinne; sie ist lediglich ein unselbstständiger Kostenfaktor, der in die Beitragskalkulation einfließt und über den Herstellungsbeitrag bzw. über Kanalbenutzungsgebühren abgegolten wird (OVG Greifswald, Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 -, LKV 2000, 161 = NordÖR 1999, 302 = VwRR MO 2000, 60 = KStZ 2000, 118 = DVBl. 1999, 1669 = Überblick 1999, 471).

17

Anderer Ansicht ist z.B. das OVG Magdeburg (Urteil vom 4. Dezember 2003 - 1 L 226/03 -, DVBl. 2004, 588 = LKV 2004, 514) unter Verweise auf die besondere Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA.

18

Die geltende Rechtslage, wonach auch die so genannten "altangeschlossenen" Grundstücke zu (Herstellungs-)Beiträgen heranzuziehen sind, erscheint keineswegs unbillig. Hier tut sich keine sog. "Gerechtigkeitslücke" auf. Beitragsfähig sind nämlich nur solche Kosten, die nach der Wende entstanden sind. Damit geht der Einwand, der in zahlreichen Prozessen erhoben worden ist, die Anlage sei bereits zu DDR-Zeiten "schon einmal bezahlt worden", ins Leere. Die heute erhobenen Beiträge betreffen lediglich "Nachwendeinvestitionen" in die öffentliche Einrichtung. Dieser Gesichtspunkt geht in der (fach-)öffentlichen Diskussion zumeist unter. Er ist aber bei den Beratungen über das Kommunalabgabengesetz 2005 durchaus im Landtag auch in dieser zutreffenden Art und Weise erörtert worden (siehe den Redebeitrag der Abgeordneten Schulz , PDS, Landtagsprotokoll 4/53 vom 9. März 2005, S. 2987).

19

Anderer Ansicht ist z.B. das OVG Magdeburg (Urteil vom 4. Dezember 2003 - 1 L 226/03 -, DVBl. 2004, 588 = LKV 2004, 514) unter Verweise auf die besondere Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA (Stichtagsregelung). Nach § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA entsteht eine Beitragspflicht nicht für Investitionen, die vor In-Kraft-Treten des Kommunalabgabengesetzes abgeschlossen wurden. Die sich aus dieser Vorschrift ergebende Differenzierung zwischen angeschlossenen und anzuschließenden Grundstücken verstoße - so führt das OVG Magdeburg (Urt. vom 4. 12. 2003 a.a.O.) aus - nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil der Gesetzgeber habe berücksichtigen dürfen, dass der Anschluss an eine Abwasserbeseitigungseinrichtung nach den faktischen Verhältnissen auch vor In-Kraft-Treten des KAG und der Kommunalverfassung dauerhaft gesichert gewesen sei. Der sachliche Grund für die vom Gesetzgeber mit § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA vorgesehene Differenzierung liege darin, dass sich der Gesetzgeber von der Annahme habe leiten lassen dürfen, dass die Anschlussmöglichkeit für die Grundstückseigentümer, die vor In-Kraft-Treten des Kommunalabgabengesetzes an eine leitungsgebundene Einrichtung angeschlossen gewesen seien, jedenfalls faktisch dauerhaft gesichert gewesen sei, sodass den Grundstückseigentümern eine dem § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA der Sache nach gleichkommende Vorteilslage bereits vor dem In-Kraft-Treten des Kommunalabgabengesetzes geboten worden sei. Damit habe der Gesetzgeber den faktischen Verhältnissen in der ehemaligen DDR Rechnung getragen.

20

Dieser Auffassung kann so nicht gefolgt werden. Sie läuft in der Sache darauf hinaus, dass die von den heute Abgaben erhebenden Körperschaften nach der Wende, aber vor In-Kraft-Treten der Kommunalabgabengesetze getätigten Investitionen allein auf die Neuanschlussnehmer umgelegt werden müssten. Hierin ist, wie oben ausgeführt, ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen. Vom OVG Magdeburg wird in der genannten Entscheidung, in der ausdrücklich auf die gegenteilige Ansicht des OVG Greifswald hingewiesen wird (OVG Greifswald, Beschluss vom 21. April 1999 - 1 M 12/99 -, a.a.O.), der rechtliche Gesichtspunkt, dass Beiträge nur die nach der Wende getätigten Investitionen refinanzieren sollen, nicht hinreichend in den Blick genommen. Außerdem sind in Sachsen-Anhalt dann die nicht über Herstellungsbeiträge zu deckenden Kosten über Verbesserungsbeiträge refinanzierbar ( Klausing in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand 3/05, § 8 Rn. 1057b), was zu wirtschaftlich vergleichbaren Ergebnissen führt.

21

2. Ferner ist in der Rechtsprechung des OVG Greifswald geklärt, dass im Anschlussbeitragsrecht nach der Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. die sachliche Beitragspflicht erst im Zeitpunkt hat entstehen können, zu dem eine wirksame Beitragssatzung erlassen worden ist. Der von der Klägerseite erhobene Verjährungseinwand schlägt daher fehl.

22

Die (auch) in Mecklenburg-Vorpommern anzutreffende gesetzliche Regelung, dass im Bereich der Anschlussbeiträge die (sachliche) Beitragspflicht frühestens mit In-Kraft-Treten einer Satzung entsteht (§ 8 Abs. 7 Satz 2 KAG M-V a.F., jetzt § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V), wird in ständiger Rechtsprechung vom OVG Greifswald (so bereits Beschluss vom 8. April 1999 - 1 M 41/99 -, n.v.) dahin gehend verstanden, dass es sich hierbei um eine wirksame Satzung handeln muss. Dies entspricht auch der seit dem 31. März 2005 in Mecklenburg-Vorpommern geltenden Gesetzeslage. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V spricht von der "ersten wirksamen Satzung".

23

Diese Ansicht (zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG M-V a.F.) wurde in der Rechtsprechung zunächst nahezu einheitlich vertreten. Erst nachdem das OVG Münster (Urt. vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, 535) unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung hergeleitet hat, dass auch eine nicht wirksame (d.h. ungültige, nichtige) Satzung für den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht relevant ist, ist die Diskussion in Gang geraten. Das OVG Münster hat seine Auffassung damit begründet, der Zweck des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW erschöpfe sich darin, den Gemeinden eine ordnungsgemäße verwaltungstechnische Abwicklung der Vielzahl von Beitragsfällen zu ermöglichen, die mit dem In-Kraft-Treten des KAG NRW am 1. Januar 1970 (!) entstanden wären. Dieser Auffassung hat sich das OVG Frankfurt/Oder (Urt. vom 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE -, LKV 2001, 132 = VwRR MO 2000, 410) im Ergebnis angeschlossen. Da aus diesem Grunde die Gefahr einer Verjährung von Beitragsforderungen drohte, ist in Brandenburg der Landesgesetzgeber im Jahre 2003 tätig geworden und hat in § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG klargestellt, dass die Beitragspflicht frühestens mit In-Kraft-Treten der "rechtswirksamen" Satzung entsteht.

24

Das OVG Greifswald (zuletzt im Beschluss vom 3. Mai 2005 - 1 L 56/04 -; ferner im Beschluss vom 11. August 2004 - 1 M 181/04 -; Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 L 288/04 -; Urteil vom 2. Juni 2004 - 4 K 38/02 -, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; Beschluss vom 2. Dezember 2003 - 1 M 72/03 -; auch Urteil vom 13. November 2001 - 4 K 16/00 -, KStZ 2002, 132 = NVwZ-RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83; auch Becker , KStZ 2001, 181) ist der vom OVG Münster beziehungsweise OVG Frankfurt/Oder vertretenen Rechtsauffassung nachdrücklich entgegengetreten und hat an seiner ständigen Rechtsprechung zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F., wonach es für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht auf das In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung ankommt, festgehalten. Zudem hat der Landesgesetzgeber durch § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V eventuelle letzte Zweifel ausgeräumt.

25

Da es sich bei den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes und auch der Abgabenordnung, soweit sie über § 12 Abs. 1 KAG (a. F. bzw. M-V) Anwendung findet, um Landesrecht handelt, ist es rechtlich nicht erheblich, dass für andere Landesrechte andere Oberverwaltungsgerichte eventuell eine andere Rechtsauffassung zu ähnlichen Rechtsfragen vertreten haben bzw. vertreten.

26

3. Soweit sich die Klägerseite in der Begründungsschrift auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs beruft, weil das Verwaltungsgericht ihr Vorbringen nicht hinreichend zur Kenntnis genommen habe, verleiht dies der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Der weitere Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist von Klägerseite nicht geltend gemacht worden. Im Übrigen liegt ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann, auch in der Sache nicht vor.

27

a) Das von Klägerseite zitierte Kapitel des Einigungsvertrages (Kap. XIV Abschnitt II Zif. 11) ist dann auch in das Bundesrecht übernommen worden (heute § 242 Abs. 9 BauGB). Wie bereits dem von Klägerseite zitierten Wortlaut des Einigungsvertrages entnommen werden kann, bezieht sich diese Regelung ausschließlich auf Erschließungsbeiträge nach Bundesrecht (BauGB). Darum geht es im vorliegenden Fall indes nicht. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Erhebung eines Anschlussbeitrages nach Landesrecht.

28

b) Rechtlich nicht relevant ist, ob nach dem von Klägerseite zitierten Landesabgabengesetz vom 07. April 1934 seinerzeit hätten Abgaben welcher Art auch immer für einen Anschluss eines Grundstücks an eine Kanalisation erhoben werden können. In der Rechtsprechung des OVG Greifswald ist nämlich ferner geklärt, dass der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung sich nur auf die nach der Wende gegründeten Abgaben erhebenden Körperschaften bezieht. Das bedeutet, dass selbst in dem Falle, dass auf der Grundlage des Landesabgabengesetzes von 1934 eine einem Beitrag vergleichbare Entgeltabgabe entrichtet worden ist, das Grundstück nach der Wende zu einem Herstellungbeitrag nach dem KAG 1993 herangezogen werden kann. Der Einwand der Einmaligkeit der Beitragerhebung greift somit nicht durch. So führt auch das OVG Bautzen, Beschluss vom 24. Oktober 1996 - 2 S 175/96 -, LKV 1997, 219, zu Recht aus:

29

"Gegen eine unter dem SächsKAG entstehende Beitragspflicht bestehen auch unter dem Gesichtspunkt der Einmaligkeit der Beitragserhebung dann keine Bedenken, wenn vor 1945 schon einmal ein Beitrag erhoben wurde oder hätte erhoben werden können. Der Mangel an Rechtskontinuität der Abgaben erhebenden Behörden hat zur Folge, dass vor 1945 entrichtete Beiträge keine Sperrwirkung unter dem Gesichtspunkt der Einmaligkeit der Beitragserhebung entfalten können. Eine erneute Beitragserhebung ist also ohne Berücksichtigung und Anrechnung der vor 1945 gezahlten 'Altbeiträge' zulässig."

..."

30

Insbesondere der Umstand, dass die heute vom Beklagten erhobenen Beiträge lediglich "Nachwendeinvestitionen" in die öffentliche Einrichtung betreffen, macht deutlich, dass sich die Problematik des Rückwirkungsverbotes gar nicht stellt und auch nicht von einer "nochmaligen" Beitragserhebung in dem Sinne, dass der Kläger für dieselbe Sache/Einrichtung im Rechtssinne ein zweites Mal zahlen müsste, ausgegangen werden kann.

31

Aus den vorstehenden Gründen bzw. wegen der in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts geklärten Rechtslage ergibt sich zugleich, dass die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2 (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache) und Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) jedenfalls nicht vorliegen.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 52 Abs. 3, 47 GKG.

33

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

34

Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig.

(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit

1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs
2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.

(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.

(2a) (weggefallen)

(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.

(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.

(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.

(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und
2.
im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit

1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs
2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.

(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.

(2a) (weggefallen)

(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.

(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.

(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.

(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

Tenor

Die Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz vom 14. Dezember 2006 in der Fassung der Zweiten Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz vom 23. Dezember 2009 wird für unwirksam erklärt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Dem Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem eingeschossigen Wohnhaus bebauten Grundstücks A-Straße in A-Stadt (Gemarkung A-Stadt, Flur 1, Flurstück 48) mit einer Größe von 11.000 qm. Er ist für sein im Bereich des beklagten Verbandes liegendes Grundstück bisher nicht zu Anschlussbeiträgen herangezogen worden.

2

Die Verbandsversammlung des Antragsgegners beschloss am 4. Dezember 2006 die Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz (TBS). Die Satzung wurde am 14. Dezember 2006 von der Verbandsvorsteherin ausgefertigt und am 6. Januar 2007 öffentlich bekanntgemacht. Am 5. November 2007 beschloss die Verbandsversammlung die Erste Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz. Diese Satzung wurde am 15. November 2007 ausgefertigt. Sie ändert die in § 4 d) TBS enthaltene Regelung über die Tiefenbegrenzung von im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich zum Außenbereich liegenden Grundstücken. Der dem Satzungsbeschluss zugrundeliegenden Vorlage (Nr. 09-1/2007) beigefügt war eine fünfseitige "Dokumentation der Ermessenserwägungen bezüglich Auswahl, Ermittlung und Festsetzung einer qualifizierten Tiefenbegrenzung von 50 Metern". Mit der am 21. Dezember 2009 beschlossenen und am 23. Dezember 2009 ausgefertigten Zweiten Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung wurde § 5 TBS dahingehend geändert, dass der Beitragssatz je Quadratmeter bevorteilter Grundstücksfläche nicht mehr wie zuvor 6,- Euro einschließlich Umsatzsteuer, sondern nunmehr 5,04 Euro zuzüglich gesetzlich geltender Umsatzsteuer beträgt.

3

Der Antragsteller hat am 15. Juni 2007 einen Normenkontrollantrag gegen die Schmutzwasserbeitrags- und die Trinkwasserbeitragssatzung des Antragsgegners gestellt (4 K 10/07). Mit Beschluss vom 10. Juli 2007 hat der Senat das Verfahren gegen die Trinkwasserbeitragssatzung abgetrennt und unter dem vorliegenden Aktenzeichen weitergeführt.

4

Zur Begründung trägt der Antragsteller vor:

5

Die Kalkulation des in § 5 TBS bestimmten Beitragssatzes sei zu beanstanden. Der der Beitragsbemessung zugrundeliegende Zeitraum der Globalkalkulation sei nicht mit dem Zeitraum des Trinkwasserversorgungskonzeptes identisch. In der Kalkulation fänden sich unterschiedliche Abzugsbeträge über kostenlos übernommenes Vermögen. Nicht nur 14.267.518,75 €, sondern 16.283.771,09 € hätten in Abzug gebracht werden müssen. Es sei zu bezweifeln, dass die in der Kalkulation aufgeführten übernommenen Darlehen in dem einbezogenen Umfang der jeweiligen Einrichtung zuzurechnen seien. Unterlagen hierzu seien den Beitragsunterlagen nicht zu entnehmen. Auch der Umfang der Gesamtinvestitionen von 18.081.197,- € sei nicht nachvollziehbar. Es sei unklar, inwieweit es sich um Nettobeträge handele. Der Anlagespiegel sei nicht nachvollziehbar. Es gebe begründete Anhaltspunkte dafür, dass Aufwand für Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten in die Kalkulation einbezogen worden sei. Beispielhaft werde auf die Positionen 60721950022, 6072192002 und 0560110 hingewiesen. Fraglich sei, ob der Aufwand für früher hergestellte Hausanschlüsse zu Recht in die Beitragskalkulation eingestellt worden sei. Die zur Beschlussfassung vorgelegten Kalkulationsunterlagen enthielten unterschiedliche Aussagen zum Zeitraum der Globalkalkulation. Die korrekte Berechnung der beitragsfähigen Flächen werde bestritten. Den Vertretern in der Verbandsversammlung hätten zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 4. Dezember 2006 die Kalkulationsunterlagen nicht zur Kenntnis vorgelegen. Anderes könne weder der Ladung zur Verbandsversammlung noch den weiteren Unterlagen, insbesondere nicht dem Protokoll entnommen werden. Gleiches gelte für die Beschlussfassung über den geänderten Beitragssatz in der Verbandsversammlung vom 21. Dezember 2009. Der an diesem Tage beschlossenen Änderung (§ 5 TBS) hätte aufgrund verschiedener mittlerweile eingetretener Veränderungen auf der Flächenseite eine neue bzw. überarbeitete Kalkulation, die auch eine Überprüfung der Aufwandsseite erfordert hätte, zugrundegelegt werden müssen. Verschiedene Bestimmungen der Trinkwasserbeitragssatzung seien unwirksam. Den Kreis der Beitragsschuldner erstrecke § 6 Abs. 1 TBS im Widerspruch zu § 7 KAG auf "dinglich Berechtigte". Dies führe zur Unwirksamkeit der gesamten Beitragssatzung. Nach § 2 Abs. 1 TBS unterlägen auch Außenbereichsgrundstücke, die bebaut seien und nur angeschlossen werden könnten, ohne bereits angeschlossen zu sein, der Beitragspflicht. Im Außenbereich reiche aber die Bebauung des Grundstücks allein nicht aus, um die Beitragspflicht entstehen zu lassen. Die in § 4 Abs. 2 d) TBS normierte Tiefenbegrenzung von 50 m sei methodisch fehlerhaft ermittelt worden. Die durchschnittliche Bebauungstiefe beruhe auf einer fehlerhaften arithmetischen Mittelung der tatsächlichen Bebauung. Die Tiefenbegrenzung entspreche außerdem nicht den örtlichen Gegebenheiten. § 4 Abs. 2 d) TBS leide außerdem darunter, dass danach im Falle einer Zuwegung zum Grundstück die Grundstücksfläche beginnend vom Ende der Zuwegung bis zu einer im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallelen zu messen sei und die Zuwegung somit flächenmäßig unberücksichtigt bliebe. Nach § 4 Abs. 2 b) TBS würden die Grundstücke, die im Plangebiet liegen und in den Außenbereich übergehen, gegenüber vollständig im Außenbereich liegenden Grundstücken ungerechtfertigt bessergestellt. Nach § 4 Abs. 2 g) TBS komme auf privaten Grünflächen und Parkplätzen trotz bauakzessorischer Nutzung eine Beitragserhebung nicht in Betracht. Dies sei nicht vorteilsgerecht. § 4 Abs. 5 TBS sei gleichheitswidrig, weil danach für Bauten, die vor dem 30. April 1994 errichtet worden seien, keine konkrete Regelung zur Geschosshöhe bestehe. Eine derartige Unterscheidung zwischen vor und nach dem 30. April 1994 errichteten Bauten sei nur dann zulässig, wenn Altbauten auch mit geringerer Deckenhöhe als gemäß der Vollgeschossregelung für Neubauten generell weitgehender nutzbar wären. Das sei aber nicht der Fall. Insbesondere Dachgeschosse von Neubauten mit Dachschrägen könnten baurechtlich ebenfalls zu Wohn- und gewerblichen Zwecken genutzt werden, ohne dass sie beitragsrechtlich als Vollgeschosse zu werten seien. Abweichend von anderen Beitragssatzungen enthalte § 4 Abs. 5 TBS keinerlei Einschränkungen bezüglich der Anrechenbarkeit bei Dachschrägen und einer geringeren Geschosshöhe des Obergeschosses gegenüber dem Untergeschoss, die eine Ungleichbehandlung relativieren bzw. sachlich legitimieren. Ein sachlicher Grund für diese weitgehende Regelung zum Vollgeschossmaßstab bestehe nicht.

6

Der Antragsteller beantragt,

7

die Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz vom 14. Dezember 2006 in der Fassung der zweiten Änderungssatzung vom 23. Dezember 2009 für unwirksam zu erklären.

8

Der Antragsgegner beantragt,

9

den Antrag abzuweisen.

10

Er tritt den Einwänden des Antragstellers in allen Punkten entgegen. Insbesondere die in § 4 Abs. 2 d) TBS normierte Regelung über die Tiefenbegrenzung für sogenannte Übergangsgrundstücke sei nicht zu beanstanden. Die Festlegung der qualifizierten Tiefenbegrenzung von 50 Metern entspreche den tatsächlichen örtlichen Verhältnissen im Verbandsgebiet.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Der nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 13 AGGerStrG statthafte Normenkontrollantrag ist zulässig (I.) und begründet (II.).

13

I. Der Antrag ist fristgerecht nach § 47 Abs. 2 Satz 1, § 195 Abs. 7 VwGO binnen eines Jahres nach Bekanntmachung der angegriffenen Trinkwasserbeitragssatzung bei Gericht eingegangen. Die Satzung ist in ihrer ursprünglichen Fassung am 6. Januar 2007 veröffentlicht worden. Der Normenkontrollantrag wurde am 15. Juni 2007 gestellt.

14

Änderungen oder Neuregelungen der angegriffenen Rechtsvorschrift setzen die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in Lauf, wenn mit ihnen eine neue oder zusätzliche Beschwer verbunden ist. Ein erneuter Fristenlauf beginnt dann, wenn sich aus der Neuregelung eine neue belastende Wirkung ergibt, z. B. durch das Zusammenwirken mit geänderten anderen Bestimmungen (vgl. OVG Bautzen, 20.08.2008 - 5 D 24/06 -, juris). Die mit der Ersten Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung vom 15. November 2007 vorgenommene Änderung der Tiefenbegrenzungsregel nach § 4 Abs. 2 d) TBS hat im Wesentlichen der Klarstellung schon geltenden Satzungsrechts gedient, insbesondere verläuft die Tiefenbegrenzungslinie nach der neuen Regelung unverändert zwischen der der Straße zugewandten Grundstücksseite und einer im Abstand von 50 Metern dazu verlaufenden Parallelen. Danach hat die Erste Satzungsänderung keinen neuen Fristlauf ausgelöst. Die geänderte Bestimmung ist vielmehr von dem gegen die im Januar 2007 veröffentlichte Ursprungssatzung gerichteten Normenkontrollantrag vom 15. Juni 2007 erfasst.

15

Soweit der Antrag nunmehr auch die Zweite Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung vom 23. Dezember 2009 und damit § 5 TBS mit dem jetzt geltenden Beitragssatz in Höhe von 5,04 € erfasst, liegt hierin eine in entsprechender Anwendung von § 91 VwGO zulässige Antragsänderung, insbesondere war die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach Bekanntmachung der Satzungsänderung noch nicht abgelaufen.

16

Der Antragsteller ist schließlich als noch nicht zu Trinkwasseranschlussbeiträgen herangezogener Eigentümer eines im Verbandsgebiet liegenden Grundstückes antragsbefugt i. S. v. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Er kann geltend machen, möglicherweise durch die angefochtene Trinkwasserbeitragssatzung in seinen Rechten verletzt zu werden, indem er auf ihrer Grundlage zu Beitragszahlungen durch - bei angenommener Unwirksamkeit der Satzung - rechtswidrige Beitragsbescheide verpflichtet wird.

17

Der Senat versteht den nicht ausdrücklich beschränkten Antrag des Antragstellers, die Trinkwasserbeitragssatzung für unwirksam zu erklären, in der Weise (§ 133 BGB), dass die Ordnungswidrigkeitenbestimmung des § 11 TBS nicht angegriffen ist. Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechtes unterfallen nicht dem Verwaltungsrechtsweg und können daher von vornherein nicht Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle sein (OVG Greifswald, 27.07.2005 - 4 K 4/03 -, KStZ 2006, 156, 157). Durch die Erklärung der Unwirksamkeit der übrigen Satzungsbestimmungen verliert auch die Regelung über die Ordnungswidrigkeiten ihren rechtlichen Gehalt.

18

II. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Zwar greifen die Einwendungen des Antragstellers ganz überwiegend nicht durch (nachfolgend 1.). Die angefochtene Trinkwasserbeitragssatzung des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt/Lübz vom 14. Dezember 2006 in der Fassung der Zweiten Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung vom 23. Dezember 2009 war aber nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO insgesamt für unwirksam zu erklären, weil die Tiefenbegrenzungsregelung des § 4 Abs. 2 d) TBS gegen die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes (KAG) und den aus dem Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) folgenden Grundsatz der Abgabengerechtigkeit verstößt, daher unwirksam ist und die daraus folgende Satzungslücke zur Ungültigkeit der gesamten Trinkwasserbeitragssatzung führt (nachfolgend 2.).

19

Die formelle Ordnungsgemäßheit der Trinkwasserbeitragssatzung hat der Antragsteller nicht in Zweifel gezogen. Dem Senat drängen sich entsprechende Mängel nicht auf (vgl. zum Prüfungsmaßstab im Normenkontrollverfahren OVG Greifswald, 02.06.2004 – 4 K 38/02 -, juris, Rn. 133 = DVBl. 2005, 64 [nur Leitsätze]).

20

1. Die gegen die Gültigkeit der angefochtenen Satzung erhobenen Einwände des Antragstellers treffen ganz überwiegend nicht zu. Dies gilt insbesondere für die auf die Kalkulation des Beitragssatzes zielenden Rügen (nachfolgend a. bis f.). Die gegen die Gültigkeit einzelner Satzungsbestimmungen gerichteten Angriffe führen ebenfalls überwiegend nicht zum Erfolg (g. bis l.).

21

a. Wenn der Antragsteller geltend macht, der der Beitragsbemessung zugrundeliegende Zeitraum der Globalkalkulation sei nicht mit dem Zeitraum des Trinkwasserversorgungskonzeptes des Antragsgegners identisch, ist dem nicht zu folgen. Zwar trifft es zu, dass bei einer Globalkalkulation nach § 9 Abs. 2 Satz 2 KAG der notwendige Aufwand für die Herstellung der gesamten öffentlichen Einrichtung auf der Grundlage der von dem Verband gewählten Wasserversorgungskonzeption zu ermitteln ist (vgl. Birk in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2010, § 8 Rn. 678b). Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dies hier nicht geschehen ist.

22

Die Kalkulation des Anschlussbeitrages Trinkwasser nennt einen Investitionszeitraum bis zum Jahre 2020 ("geplante Investitionen von 2006 bis 2020: 18.081.197,- €"). Das Trinkwasserversorgungskonzept des Wasser- und Abwasserzweckverbandes B-Stadt-Lübz ("Investitionen Rohrnetz [2006 bis 2020]") sieht Investitionen bis zum Jahr 2018 vor. Für die Jahre 2019 und 2020 ist für Investitionen jeweils der Betrag von 0,- € prognostiziert. Ein Widerspruch zwischen Kalkulation und Trinkwasserversorgungskonzept ist danach nicht zu erkennen. Der Antragsgegner hat zu diesem Einwand des Antragstellers ausgeführt, bei der Überarbeitung des Trinkwasserversorgungskonzeptes im Jahre 2006 habe sich bei der Spezifikation der einzelnen notwendigen Maßnahmen ergeben, dass bei günstigem zeitlichen Verlauf der Investitionen von einer Fertigstellung der Einrichtung bereits im Jahr 2018 auszugehen sei. Da zeitliche Verschiebungen nicht auszuschließen seien, sei auf eine Änderung des Zeitraumes für die Gültigkeit des Trinkwasserversorgungskonzeptes verzichtet worden. Die Kalkulation habe daher den nach dem Trinkwasserversorgungskonzept maßgeblichen Investitionszeitraum zutreffend berücksichtigt.

23

b. Auch der Einwand des Antragstellers führt nicht weiter, in der Kalkulation fänden sich unterschiedliche Abzugsbeträge über (von der Westmecklenburger Wasser GmbH) bei Errichtung des Verbandes kostenlos übernommenes Vermögen. Die Folge sei, dass möglicherweise nicht nur 14.267.518,75 €, sondern 16.283.771,09 € hätten in Abzug gebracht werden müssen. Es trifft zu, dass es nach der Auffassung des Senates dann, wenn eine Altanlage kostenlos übernommen wird, rechtlich nicht zulässig ist, für diese Altanlage einen Wert in die Kalkulation einzustellen. Denn bei dem Wert der Altanlage handelt es sich dann nicht um Kosten, die dem Zweckverband für die Herstellung der Anlage tatsächlich entstanden sind. Anderes gilt, wenn dabei Schulden übernommen werden. Diese können als eigener Aufwand in die Kalkulation eingestellt werden (vgl. OVG Greifswald, 15.11.2000 - 4 K 8/99 -, KStZ 2001, 174, 177). Wenn der Antragsgegner danach aus dem Wert des Anlagevermögens für den Bereich Trinkwasser das kostenlos von "WMW" übernommene Vermögen abzuziehen hatte, so ist das offenbar auch im gebotenen Umfang geschehen. Der Senat hat nach der im gerichtlichen Verfahren abgegebenen plausiblen Erläuterung des Antragsgegners zu dem tatsächlichen Hintergrund des auf Blatt 172 der Verwaltungsvorgänge dargestellten Wertes von 16.283.771,09 € jedenfalls keinen Anlass, an der Richtigkeit des in der Kalkulation abgesetzten Betrages von 14.267.518,75 € zu zweifeln. Nach den Ausführungen des Antragsgegners hat der Verband die Summe der kostenlos übernommenen Anlagegüter aus einer Addition der in den Abschreibungsbuchunterlagen enthaltenen Angaben gewonnen und so einen Wert von vor 1993 angeschafften Gütern von 14.267.518,75 € ermittelt. Diesen Wert hat er anhand einer Obergrenze einer Plausibilitätsüberprüfung unterzogen, indem er ihn einem in der Bilanz zum 31.12.1993 ausgewiesenen übertragenen Gesamtvermögen von 16.283.771,09 € gegenübergestellt hat. Anhand dieser Gegenüberstellung konnte er kontrollieren, ob der Gesamtwert aus den Einzelwerten der Anlagegüter nicht etwa oberhalb des übertragenen Gesamtvermögens lag. Das Gesamtvermögen soll nach der Stellungnahme des Antragsgegners zum einen nicht beitragsfähige Positionen enthalten und zum anderen auch Anlagegüter, die nicht Bestandteil der öffentlichen Einrichtung geworden seien. So erkläre sich die Differenz zwischen den beiden Werten. Darin liegt eine nachvollziehbare Begründung für die in den Kalkulationsunterlagen enthaltenen, das übernommene Anlagevermögen betreffenden unterschiedlichen Werte, die an dieser Stelle eine weitere Sachaufklärung nicht erfordert. Ob schließlich der Antragsgegner den Wert von 14.267.518,75 € korrekt ermittelt hat, hatte der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht weiter zu prüfen.

24

c. Der Einwand des Antragstellers, es sei zu bezweifeln, dass die in der Kalkulation aufgeführten übernommenen Darlehen ("Darlehen Investitionen KfW" in Höhe von 588.088,43 €) in dem einbezogenen Umfang der jeweiligen Wasserversorgungseinrichtung zuzurechnen seien, trifft nicht zu. Der Antragsgegner hat im gerichtlichen Verfahren Kopien der Beschlüsse seiner Verbandsversammlung vorgelegt, die die Übertragung von vier "KfW-Krediten" für der Wasserversorgung dienende Bauvorhaben in Goldberg und B-Stadt von der Westmecklenburger Wasser GmbH E-Stadt auf den Antragsgegner belegen. Die Summe der dort aufgeführten und in Anspruch genommenen bzw. abgerufenen Kreditbeträge ergibt den in der Kalkulation ausgewiesenen Betrag.

25

d. Der Antragsgegner hat auf den Einwand des Antragstellers, er habe in den beitragsfähigen Aufwand auch Aufwendungen für Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten eingestellt, ausgeführt, solche Aufwendungen würden nicht aktiviert, sondern in die laufenden Kosten gebucht und über Gebühren finanziert. Weiteren Anlass zur Prüfung sieht der Senat danach an dieser Stelle ebenfalls nicht. Zu den von Antragstellerseite angesprochenen drei verschiedenen im Anlagespiegel enthaltenen Positionen hat der Antragsgegner erläutert, bei der Position 60721950022 ("Auswechslung Knotenpunkte") handele es sich um die planmäßige Umsetzung des im Trinkwasserversorgungskonzept bezüglich einer veralteten Altanlage vorgesehenen Standards und nicht um Instandhaltungs- oder Reparaturarbeiten. Gleiches gelte für eine unter der Position "05in60110" verzeichnete Baumaßnahme aus dem Jahr 2005 am Reinwasserbehälter im Wasserwerk Herzberg. Hier sei eine als Provisorium anzusehende veraltete Steuerungstechnik in einer seinerzeit kostenlos übernommenen Altanlage durch neue Steuerungstechnik ersetzt worden. Der im Anlagespiegel an der zugehörigen Stelle verwendete Begriff der Sanierung sei insoweit nicht zutreffend. Es handele sich nicht um eine Sanierung neu errichteter Anlagenteile, sondern um die erstmalige Verwirklichung des im Trinkwasserkonzept vorgesehenen Standards. Die Position 6072192002 sei schließlich in den Herstellungsaufwand nicht eingerechnet worden, weil sie zu dem vom Verband kostenlos übernommenen Vermögen gehöre. Danach war auch zu diesen Punkten keine vertiefte Überprüfung angezeigt.

26

Entgegen den Ausführungen des Antragstellers ergibt sich außerdem der Umfang der Gesamtinvestitionen aus dem Trinkwasserkonzept. Hier wird - entgegen dessen Auffassung - auch hinreichend deutlich, dass es sich um Nettoinvestitionen handeln soll.

27

e. Der Antragsteller rügt, den Vertretern der Verbandsversammlung hätten zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vom 21. Dezember 2009 über die Änderung des Beitragssatzes in § 5 TBS (Zweite Satzung zur Änderung der Trinkwasserbeitragssatzung) die Kalkulationsunterlagen nicht zur Kenntnis vorgelegen. Gleiches gelte für die Beschlussfassung vom 4. Dezember 2006. Anderes könne weder der Ladung zur Verbandsversammlung noch den weiteren Unterlagen, insbesondere nicht dem Protokoll der Verbandsversammlung entnommen werden. Diese Rüge ist unzutreffend.

28

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates (vgl. dazu die zahlreichen Nachweise bei Aussprung in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG, Stand: Juni 2010, § 2 Anm. 8.3.1.2) muss der Verbandsversammlung - neben der Beschlussvorlage über die Satzung - eine (Global-) Kalkulation bei der Beschlussfassung über die Abgabensatzung vorliegen. Wird dem Rechtssetzungsorgan vor oder bei seiner Beschlussfassung über den Abgabensatz eine solche Kalkulation nicht zur Billigung unterbreitet oder ist die unterbreitete Abgabenkalkulation in einem für die Abgabensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies die Ungültigkeit des Abgabensatzes zur Folge, weil das Rechtssetzungsorgan das ihm bei der Festsetzung der Abgabensätze eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei hat ausüben können.

29

Es unterliegt aus Sicht des Senates keinen Zweifeln, dass der Verbandsversammlung in ihrer Sitzung vom 4. Dezember 2006 ebenso wie in der Sitzung vom 21. Dezember 2009 die Kalkulationsunterlagen mit der Möglichkeit zur Kenntnisnahme vorgelegen haben. Das folgt für die Sitzung vom 4. Dezember 2006 aus der wohl nach späterem Abhören des Tonbandmitschnittes am 19. März 2008 gefertigten Ergänzung zum Protokoll der Verbandsversammlung Nr. 02/2006, wonach im Anschluss an den Tagesordnungspunkt 5 die Verbandsvorsteherin explizit darauf hingewiesen habe, dass zur Beratung alle Kalkulationsunterlagen zur Einsichtnahme vorlagen. Diese in der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegte Protokollergänzung ist als öffentliche Urkunde nach §§ 98 VwGO, 418 ZPO anzusehen, die den vollen Beweis der darin (aufgrund eigener Wahrnehmung, § 418 Abs. 3 ZPO) bezeugten Tatsache begründet, mithin dass der Hinweis durch die Verbandsvorsteherin auf die ausliegenden Kalkulationsunterlagen ergangen ist (vgl. dazu MüKo ZPO, § 418, Rn. 4; Rudisile in: Schoch, VwGO § 98, Rn. 206;). Die Voraussetzungen des § 418 ZPO liegen vor. Die Verbandsversammlung (§§ 155, 156 KV) ist eine öffentliche Behörde i.S.d. Definition der öffentlichen Urkunde nach § 415 Abs. 1 ZPO. Als solche Behörden werden nicht nur Verwaltungsbehörden angesehen, sondern die in den allgemeinen Organismus der Behörden eingefügte Organe der Staatsgewalt, die dazu berufen sind, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder der von ihm geförderten Zwecke tätig zu sein, gleichviel ob das Organ unmittelbar vom Staate oder einer dem Staate untergeordneten Körperschaft zunächst für deren eigene Zwecke bestellt ist (BGH, 16.10.1963 - IV ZB 171/63 -, BGHZ 40, 225, 228; vgl. OVG Magdeburg, 10.12.1998 - C 2 S 477/96 -, juris: Protokoll über die Sitzung des Gemeinderats ist öffentliche Urkunde, die nach § 418 ZPO den vollen Beweis begründet). Die von Antragstellerseite geäußerte Einschätzung, es sei ungewöhnlich, dass die Protokollergänzung so spät gekommen sei, ist danach unbeachtlich.

30

Damit erweist sich die Rüge fehlender Kalkulationsunterlagen allein als offenbar ungeprüfte und unzutreffende Vermutung. Gleiches gilt für den inhaltlich gleichlautenden, die Sitzung vom 21. Dezember 2009 betreffenden Einwand. Hier ist schon der Sitzungsniederschrift (Verbandsversammlung 03/2009) selbst zu entnehmen, dass die Kalkulationsunterlagen zur Einsichtnahme im Präsidium ausgelegen haben. Im Übrigen besteht kein einziger Anhaltspunkt, dass ein Verbandsvertreter Bedarf an einer Einsichtnahme in die Unterlagen geäußert hätte und diese nicht möglich gewesen wäre.

31

f. Wenn weiter eingewandt wird, die dem Beschluss der Verbandsversammlung über die Änderung des Beitragssatzes vom 21. Dezember 2009 zugrundeliegende Kalkulation habe der Antragsgegner nicht ohne Prüfung der Aktualität von Aufwands- und Flächenseite verwenden dürfen, insbesondere seien seit dem Jahre 2006 im Verbandsgebiet verschiedene Flächennutzungs- und Bebauungspläne sowie Abrundungssatzungen in Kraft getreten, so führt auch das nicht zum Erfolg. Der Erlass oder die Änderung solcher Pläne und Satzungen sind mit Blick auf die zahlreichen Gemeinden des gesamten Verbandsgebietes ein permanent stattfindender Vorgang der bauplanungsrechtlichen Fortentwicklung, der zu einer Vergrößerung ebenso wie zu einer Verkleinerung der beitragsrelevanten Gesamtfläche führen kann. Damit zusammenhängende Ungenauigkeiten der Flächenberechnung müssen bei einer gesetzlich zulässigen (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 KAG) Globalkalkulation ebenso wie andere mit einer mehrere Jahre in die Zukunft reichenden Investitionsprognose verbundene Schätzungen in Kauf genommen werden. Anderenfalls müsste eine Kalkulation bei jeder Änderung der bauplanungsrechtlichen Gegebenheiten in einem Teil des Verbandsgebietes überarbeitet werden, um auch minimale Veränderungen der Aufwandsverteilung zu berücksichtigen. Dies ist aber angesichts der ohnehin nur scheinbar vorhandenen Präzision der Kalkulation (Aussprung, a.a.O., § 9, Anm. 3.4) nicht zu fordern. Vielmehr wird - ohne dass sich der Senat an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit abschließend äußern muss - angesichts der Regelung in § 6 Abs. 2 d) KAG eine Beitragskalkulation grundsätzlich für den Zeitraum von fünf Jahren als hinreichend aktuell angesehen (Aussprung, a.a.O., § 9 Anm. 3.4; vgl. dazu auch OVG M-V, 15.11.2000, a.a.O., 177).

32

Damit reicht allein der Hinweis des Antragstellers auf eine Veränderung bzw. den Erlass von Bebauungsplänen und Abrundungssatzungen nicht aus, um die Aktualität der Globalkalkulation des Antragsgegners in Zweifel zu ziehen. Anhaltspunkte dafür, dass dies ausnahmsweise anders gesehen werden müsste, etwa weil besonders intensive Flächenänderungen betroffen wären, die erhebliche Auswirkungen auf die Kalkulation hätten, fehlen im Vortrag des Antragstellers. Solche drängen sich bei der aus dem August 2006 stammenden Flächenkalkulation für den im Dezember 2009 getroffenen Beschluss über den Beitragssatz auch nicht auf.

33

g. § 2 TBS ist nicht im Hinblick auf eine etwaige Beitragspflicht noch nicht angeschlossener bebauter Außenbereichsgrundstücke zu beanstanden. Die Vorschrift lautet:

34

(1) Der Beitragspflicht unterliegen Grundstücke, die an die öffentliche Einrichtung zur zentralen Trinkwasserversorgung angeschlossen werden können und

35

(a) für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist, sobald sie bebaut oder gewerblich genutzt werden können, oder

36

(b) für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, wenn sie nach der Verkehrsauffassung Bauland sind und nach der geordneten baulichen Entwicklung der Gemeinden zur Bebauung oder gewerblichen Nutzung anstehen, oder

37

(c) wenn sie bebaut sind.

38

(2) Wird ein Grundstück an die Trinkwasserversorgung tatsächlich angeschlossen, so unterliegt es der Beitragspflicht auch dann, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht vorliegen.

(3).....................

39

§ 2 Abs. 1 c) TBS ist nicht so zu verstehen, dass bebaute Außenbereichsgrundstücke, die an die Einrichtung nur angeschlossen werden können, ohne schon angeschlossen zu sein, bereits der Beitragspflicht unterliegen sollen und dass die Bestimmung damit gegen das Vorteilsprinzip nach § 7 Abs. 1 Satz 3 KAG verstieße. Mangels Baulandqualität solcher Grundstücke führt bei ihnen allein die Anschlussmöglichkeit noch nicht zu einer gesicherten Vorteilslage (vgl. Klausing in: Driehaus, Stand: März 2010, § 8, Rn. 1032). Entgegen der Auffassung des Antragstellers zwingt der Wortlaut des § 2 Abs. 1 TBS nicht zu einer solchen Deutung der Norm, denn er ist nicht in diesem Sinne eindeutig und lässt Raum für eine Lesart, die zu einer Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht führt.

40

Sollten schon nichtangeschlossene und nur anschließbare bebaute Außenbereichsgrundstücke der Beitragspflicht unterstellt werden, so müsste die Bestimmung folgendermaßen gelesen werden: "Der Beitragspflicht unterliegen Grundstücke, die ....angeschlossen werden können und wenn sie bebaut sind". Der Satz müsste dann aber richtigerweise lauten: "...angeschlossen werden können und bebaut sind". Wegen dieser grammatikalischen Ungenauigkeit lässt sich § 2 Abs. 1 TBS auch so verstehen, dass sich die Formulierung unter Buchstabe c) ("wenn sie bebaut sind") allein auf die unter den Buchstaben a) und b) geregelten Fälle festgesetzter oder nach der Verkehrsauffassung bestehender, aber noch nicht verwirklichter Bebaubarkeit bezieht (beplanter bzw. Innenbereich) und sie um die Fälle schon realisierter Bebauung solcher Grundstücke ergänzt. Der von dem Antragsteller angesprochene Fall des angeschlossenen und bebauten Außenbereichsgrundstückes unterfiele dann allein § 2 Abs. 2 TBS. Dass dieses nach dem Wortlaut mögliche Verständnis der Norm vorzugswürdig gegenüber einer Interpretation ist, die zur Unwirksamkeit der gesamten Satzung führt, versteht sich von selbst. Darüber hinaus fügt sich allein die so verstandene Bestimmung auch in das weitere Satzungsgefüge ein. Dies wäre nicht der Fall, wenn man § 2 Abs. 1 c) TBS entnehmen wollte, dass bereits bebaute und nur über eine Anschlussmöglichkeit verfügende Außenbereichsgrundstücke der Beitragspflicht unterfallen sollen. Für solche Grundstücke fehlte es dann nämlich an einem Beitragsmaßstab mit der Folge, dass sie zwar der Beitragspflicht unterstellt würden, letztendlich jedoch überhaupt nicht veranlagt werden könnten. Nach § 4 Abs. 1 TBS ("Beitragsmaßstab") wird der Anschlussbeitrag für die bevorteilte Grundstücksfläche unter Berücksichtigung der Art und des Maßes der Bebaubarkeit des Grundstückes berechnet. Ist eine Grundstücksfläche nicht bevorteilt, wird danach dafür auch kein Beitrag berechnet. Das trifft aber auf mit noch nicht angeschlossenen Baulichkeiten bebaute Außenbereichsgrundstücke mangels gesicherter Vorteilslage zu. Damit übereinstimmend regelt § 4 Abs. 2 i) TBS, dass bei bebauten Grundstücken im Außenbereich der mit 0,2 vervielfachte Teil der Grundfläche der an die Trinkwasserversorgung angeschlossenen Baulichkeiten als Grundstücksfläche gilt. Ohne bereits angeschlossene Baulichkeiten errechnet sich danach keine unter Geltung des Grundstücksflächenmaßstabes für die Beitragserhebung erforderliche Grundstücksfläche.

41

h. Der Antragsteller meint, § 4 Abs. 2 b) TBS ordne für Grundstücke, die im Bereich eines Bebauungsplanes liegen und über die Grenzen des Bebauungsplanes hinausreichen, für den Außenbereichsteil die Geltung der Grundstücksfläche im Umfang der Grundfläche der Baulichkeit an. § 4 Abs. 2 i) TBS bestimme hingegen für ganz im Außenbereich liegende bebaute Grundstücke die durch die GRZ 0,2 geteilte Grundfläche als beitragspflichtige Fläche. Hierin sei eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu erkennen. Das trifft nicht zu.

42

§ 4 Abs. 2 b) TBS enthält entgegen der von dem Antragsteller vertretenen Auffassung keine Regelung für Grundstücke, die teils im Gebiet eines Bebauungsplanes und teils im Außenbereich liegen. Die Bestimmung setzt nämlich voraus, dass die Fläche außerhalb des Plangebietes baulich oder gewerblich genutzt werden kann. Die Möglichkeit einer baulichen Nutzung besteht jedoch für Außenbereichsflächen grundsätzlich nicht. Der Außenbereich ist nach § 35 Abs. 2 BauGB grundsätzlich unbebaubar (Battis/Krautzberger/Löhr, 11. Aufl., Vorb §§ 29-38, Rn. 5). Befindet sich ein Gebäude auf einer Außenbereichsfläche, so mag dieses Bestandsschutz genießen und als solches genutzt werden können. Damit ist jedoch nicht zugleich die Außenbereichsfläche selbst baulich nutzbar. Würde das Gebäude zerstört, dürfte es im Grundsatz wegen seiner Lage im Außenbereich nicht wieder aufgebaut werden (vgl. BVerwG, 20.09.1974 - IV C 70.72 -, DÖV 1975, 104, 105).

43

Damit ist § 4 Abs. 2 i) TBS alleinige Norm zur Berechnung der Grundstücksfläche bei bebauten und angeschlossenen Grundstücken im Außenbereich. Der von Antragstellerseite gerügte Konflikt mit § 4 Abs. 2 b) TBS besteht nicht.

44

Die von Antragstellerseite monierte Ungleichbehandlung führte aber auch nur dann zum Fehlen einer erforderlichen Maßstabsregelung, also einer Satzungslücke und somit zur Nichtigkeit der Satzung, wenn es im Verbandsbereich überhaupt vom Bebauungsplanbereich in den Außenbereich übergehende Grundstücke gäbe. Nur dann könnte sich eine nichtige Maßstabsregelung vor dem Hintergrund des im Recht der leitungsgebundenen Einrichtung geltenden Grundsatzes der konkreten Vollständigkeit als rechtlich problematisch darstellen und ggf. zur Nichtigkeit der Satzung insgesamt führen (vgl. OVG Greifswald, 30.06.2004 - 4 K 34/02 -, juris, NordÖR 2004, 417[nur Leitsätze]). Der Antragsgegner hat jedoch unwidersprochen vorgetragen, es gebe in seinem Verbandsgebiet keine Veranlagungsfälle, bei denen einzelne Buchgrundstücke über die Bebauungsplangrenze hinausreichten, direkt in den Außenbereich übergingen und trotz vorhandener Baulichkeiten nicht dem unbeplanten Innenbereich zuzurechnen wären.

45

i. Die § 4 Abs. 2 d) Satz 2 TBS betreffende Rüge des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Der Antragsteller meint, dass danach bei von der Tiefenbegrenzungsregelung betroffenen sogenannten "Pfeifenstielgrundstücken" die Zuwegung zum Grundstück bei der Berechnung des Beitrages außer Betracht bleibe, was mit dem Gleichheitssatz unvereinbar sei. Wegeflächen auf Grundstücken müssten bei der Kalkulation in vollem Umfang berücksichtigt werden.

46

Die Vorschrift lautet:

47

"Als Grundstücksfläche gilt:

d) bei Grundstücken, die im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) zum Außenbereich (§ 35 BauGB) liegen, die Gesamtfläche des Grundstückes, höchstens jedoch die Fläche zwischen der der Straße zugewandten Grundstücksseite und einer im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallelen. Dieser Abstand wird bei Grundstücken, die mit der Straße nur durch eine Zuwegung verbunden sind, vom Ende der Zuwegung an gemessen."

48

Die Bedenken des Antragstellers sind bei richtigem Verständnis der Bestimmung unbegründet. Im Falle einer Grundstückszuwegung wird nicht der straßenseitige Anfang der zu berechnenden Fläche von der Straße weg bis zum Ende der Zuwegung und Anfang der eigentlichen Grundstücksfläche verlegt mit der Folge, dass die Fläche der Zuwegung nicht mitzählte, sondern nur der Verlauf der Tiefenlinie, indem insoweit der Abstand von 50 Metern erst ab dem Ende der Zuwegung gemessen wird. Maßgeblich ist grundsätzlich die Fläche zwischen der der Straße zugewandten Grundstücksseite und der im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallelen. Bei "Pfeifenstiel-" bzw. "Zuwegungsgrundstücken" wird nur der Verlauf dieser Parallele verschoben, indem der 50 Meter betragende Abstand (zwischen der der Straße zugewandten Grundstücksseite und der Parallelen) erst von dem Ende der Zuwegung an gemessen wird. Die der Straße zugewandte Grundstücksseite wird nicht verschoben. Daher fällt die Zuwegung - anders als der Antragsteller meint - in die beitragspflichtige Fläche.

49

j. Die Rüge, § 4 Abs. 2 g) TBS sei nicht vorteilsgerecht, greift nicht durch. Die Bestimmung lautet:

50

"bei Grundstücken, für die im Bebauungsplan sonstige Nutzung ohne oder mit nur untergeordneter Bebauung festgesetzt ist oder die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles (§ 34 BauGB) tatsächlich so genutzt werden (z.B. Schwimmbäder, Camping- und Sportplätze), die Grundfläche der an die Trinkwasserversorgung angeschlossenen Baulichkeiten geteilt durch die Grundflächenzahl (GRZ) 0,2. Die unter Berücksichtigung des Maßes der Nutzung ermittelte Fläche wird den betreffenden Gebäuden so zugeordnet, dass ihre Grenzen jeweils im gleichen Abstand von den Außenwänden der Gebäude verlaufen. ..."

51

Nach Auffassung des Antragstellers blieben danach bauakzessorisch genutzte private Grünflächen oder private Parkplätze beitragsfrei, da sich auf diesen Flächen üblicherweise keine an die Trinkwasserversorgung angeschlossenen Baulichkeiten befänden. Gleiches gelte, wenn in einem Bebauungsplan für Teilflächen eines Buchgrundstückes sowohl eine sonstige Nutzung ohne Bebauung als auch eine andere Teilfläche "Bebauung" geplant sei. Bei konsequenter Anwendung der Vorschrift wäre die Folge, dass trotz der Bebaubarkeit nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes nur die Grundfläche des an die Trinkwasserversorgung angeschlossenen Gebäudes geteilt durch die Grundflächenzahl 0,2 als Grundstücksfläche beitragsfähig wäre. Dies sei nicht vorteilsgerecht.

52

Dem ist nicht zu folgen.

53

Im Anschlussbeitragsrecht ist im Interesse von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit grundsätzlich vom bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff auszugehen (vgl. OVG Greifswald, 10.10.2007 - 1 L 256/06 - (Volkswerft), NordÖR 2008, 40, 41; 20.11.2003 - 1 M 180/03 -, DÖV 2004, 259, 260). Unter "Grundstück" ist danach derjenige katastermäßig abgegrenzte Teil der Erdoberfläche zu verstehen, der im Grundbuch unter einer besonderen Nummer eingetragen ist. Diese vom Bundesverwaltungsgericht im Erschließungsbeitragsrecht vertretene Rechtsansicht (vgl. etwa BVerwG, 12.12.1986 - 8 C 9.86 -, NVwZ 1987, 420) gilt auch für das Recht der leitungsgebundenen Anlagen (vgl. OVG Greifswald, 10.10.2007, a.a.O.). Für die von dem Antragsteller aufgeworfene Frage der beitragsrechtlich maßgeblichen Ausnutzbarkeit des Grundstückes, insbesondere die Frage, ob das gesamte Grundstück oder nur Teile baulich nutzbar sind, muss ebenfalls grundsätzlich die (gesamte) Fläche des im Bereich eines Bebauungsplanes nach § 30 BauGB oder vollständig im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB liegenden Buchgrundstückes betrachtet werden. Eine Unterteilung des Grundstückes nach verschiedenen Nutzungsarten (Bauland, Parkplatz, Grünfläche etc.) scheidet - von Ausnahmen abgesehen - aus. Für die Frage der Baulandeigenschaft des Grundstückes ist dessen gesamte Fläche einheitlich und nicht nach Grundstücksteilen getrennt zu betrachten, obgleich so gut wie nie die gesamte Fläche der baulichen (oder sonstwie beitragsrechtlich relevanten) Nutzung zugeführt werden bzw. voll überbaut werden darf. Denn die Zulässigkeit einer Bebauung setzt zumeist die Freihaltung erheblicher Grundstücksteile voraus, für die Ausführbarkeit eines Bauvorhabens muss daher in der Regel mehr an Fläche zur Verfügung stehen, als für die bauliche Anlage als solche benötigt wird. Baulinien, Baugrenzen, Abstands- und Anbauverbotsvorschriften sind für den Umfang der zu berücksichtigenden Grundstücksfläche ebenso ohne Belang wie bauplanungsrechtliche Festsetzungen von Grundstücksteilen als private Grünfläche (BVerwG, 29.11.1994 - 8 B 171/94 -, NVwZ 1995, 1215, 1216; vgl. Klausing in: Driehaus, a.a.O., § 8, Rn. 1029). Anderes gilt nur, wenn ein Grundstücksteil einer privaten Nutzung durch den Eigentümer - wie etwa bei der Festsetzung als öffentliche Grünfläche - schlechthin entzogen ist (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., § 17, Rn. 8).

54

Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass § 4 Abs. 2 g) TBS eine von diesen Maßstäben abweichende Regelung treffen will. Wird demnach ein im Gebiet eines qualifizierten Bebauungsplanes oder vollständig im Bereich nach § 34 BauGB liegendes baulich nutzbares Grundstück in Teilen auch "sonstig" i.S.v. § 4 Abs. 2 g) TBS genutzt, so bleibt es für die Frage der Baulandqualität bei der gesamten Grundstücksfläche. Nur wenn das Grundstück ausschließlich im in § 4 Abs. 2 g) TBS angesprochenen Sinne nutzbar ist oder im Bereich nach § 34 BauGB in dieser Weise genutzt wird, gilt der dort geregelte Maßstab für die "sonstige Nutzung". Ein Verstoß gegen das Vorteilsprinzip kann daher nicht gesehen werden.

55

k. § 4 Abs. 5 TBS ist nicht zu beanstanden. Die im Zusammenhang mit § 4 Abs. 3 und 4 TBS stehende Bestimmung lautet:

56

(Abs.3) Zur Berücksichtigung des unterschiedlichen Maßes der Nutzung wird die Fläche nach Abs. 2 mit einem Vom-Hundert-Satz für jedes Vollgeschoss wie folgt bewertet:

a) für das erste Vollgeschoss 25 %,

b) für jedes weitere Vollgeschoss 20 % der Grundstücksfläche nach Absatz 2

57

(Abs. 4) Als Zahl der Vollgeschosse gilt:

a) soweit ein B-Plan besteht, die hier festgesetzte höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse,

b) soweit kein B-Plan besteht oder in einem B-Plan die Zahl der Vollgeschosse nicht bestimmt ist:

- bei bebauten Grundstücken die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse,

- bei genehmigten Vorhaben die Zahl der genehmigten Vollgeschosse,

- bei unbebauten Grundstücken die Zahl der in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse.

58

(Abs. 5) Als Vollgeschoss gelten alle Geschosse, die nach den Vorschriften der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern Vollgeschosse sind. Bei Gebäuden, die vor Inkrafttreten der Landesbauordnung entsprechend den Anforderungen des bisherigen Rechts errichtet wurden, müssen die Mindesthöhen gemäß der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern nicht erreicht werden.

59

Der Antragsteller hält § 4 Abs. 5 TBS für gleichheitswidrig, weil danach für Bauten, die vor dem 30. April 1994 errichtet worden seien, keine konkrete Regelung zur Geschosshöhe bestehe. Die Vorschrift sei daher unbestimmt, und es bliebe letztlich der Entscheidung des rechtsanwendenden Sachbearbeiters überlassen, wie die zahlreich vor 1994 errichteten Gebäude zu veranlagen seien. Eine derartige Unterscheidung zwischen vor und nach dem 30. April 1994 errichteten Bauten sei auch nur dann zulässig, wenn Altbauten auch mit geringerer Deckenhöhe als der Vollgeschossregelung für Neubauten generell weitgehender nutzbar wären. Das sei aber nicht der Fall. Diesen Einwänden vermag der Senat nicht zu folgen.

60

§ 4 Abs. 5 TBS ist nicht unbestimmt. Einer Norm - auch einer Bestimmung in einer kommunalen Beitragssatzung - fehlt nicht deshalb die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit oder Klarheit, weil sie der Auslegung bedarf. Der Bestimmtheitsgrundsatz verpflichtet den Normgeber, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Anforderungen der Klarheit und Justiziabilität entsprechen. Normen müssen so formuliert sein, dass die davon Betroffenen die Rechtslage erkennen können und die Gerichte in der Lage sind, die Anwendung der betreffenden Vorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren. Das Gebot der Bestimmtheit darf nicht übersteigert werden, weil die Normen sonst starr und kasuistisch würden und der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten. Es ist deshalb ausreichend, wenn der Norminhalt durch die anerkannten Auslegungsmethoden zweifelsfrei ermittelt werden kann. Dabei ist die Interpretation nicht durch den formalen Wortlaut der Norm begrenzt. Ausschlaggebend ist der objektive Wille des Gesetzgebers, soweit er wenigstens andeutungsweise im Gesetzestext einen Niederschlag gefunden hat (BayVerfGH, 22.06.2010 - Vf. 15-VII-09 -; juris; OVG Weimar, 18.12.2000 - 4 N 472/00 -, LKV 2001, 415ff; BVerwG, 14.12.1995 - 4 N 2/95 -, NVwZ-RR 1996, 429). Im Interesse der Normerhaltung kann eine Bestimmung nur dann für nichtig gehalten werden, wenn keine nach anerkannten Auslegungsregeln zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende, insbesondere den Gesamtzusammenhang der getroffenen Regelung mit berücksichtigende Auslegung möglich ist (BVerwG, 20.08.2003 - 6 CN 5/02 -, juris; 15.12.1993 - 6 C 20/92 -, BVerwGE 94, 352, 358).

61

Danach kann § 4 Abs. 5 TBS in einer Weise ausgelegt werden, die auch im Satzungstext hinreichend deutlich ihren Ausdruck findet. Die Vorschrift für unbestimmt zu halten oder anzunehmen, sie treffe für Bauwerke, die vor Inkrafttreten der Landesbauordnung errichtet worden sind, im Hinblick auf die Anforderungen an deren Geschosshöhen überhaupt keine Regelung, sodass der Rechtsanwender nicht mehr in der Lage sei zu erkennen, was der Satzungsgeber für diese Fälle bestimmt habe, geht fehl.

62

Der Sinn der Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS, wonach bei Gebäuden, die vor Inkrafttreten der Landesbauordnung entsprechend den Anforderungen des bisherigen Rechts errichtet wurden, die Mindesthöhen nach der Landesbauordnung nicht eingehalten werden müssen, ist in ausreichend deutlicher Weise der Regelungssystematik des in § 4 Abs. 3 bis 5 TBS bestimmten Vollgeschossmaßstabes zu entnehmen. Zur Ermittlung der für den Anschlussbeitrag maßgeblichen Grundstücksfläche (§ 4 Abs. 1 TBS) ist die nach § 4 Abs. 2 TBS ermittelte Fläche nach § 4 Abs. 3 TBS für das erste Vollgeschoss mit 25% und für jedes weitere Vollgeschoss mit 20% zu bewerten. Nach § 4 Abs. 4 b) TBS gilt, soweit kein Bebauungsplan besteht oder in einem solchen Plan die Zahl der Vollgeschosse nicht bestimmt ist, bei bebauten Grundstücken die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse. Absatz 5 des § 4 TBS schließlich regelt, dass als Vollgeschoss alle Geschosse gelten, die nach den Vorschriften der Landesbauordnung Vollgeschosse sind. Das sind nach § 2 Abs. 6 LBauO v. 26. April 1994 (GVOBl. 1994, 518) Geschosse, die über mindestens zwei Drittel der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses oder, wenn kein darunterliegendes Geschoss vorhanden ist, zwei Drittel ihrer Grundfläche eine lichte Höhe von mindestens 2,30 m haben. Ähnliches gilt nach § 87 Abs. 2 LBauO v. 18. April 2006 (GVOBl. 2006, 102), wonach die Geschosse über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine lichte Höhe von mindestens 2,30 m haben müssen, was auch schon nach § 2 Abs. 4 Gesetz über die Bauordnung v. 20. Juli 1990 (Gesetzblatt Teil I 1990, 929) geltendes Recht war (vgl. zur Legaldefinition des Vollgeschosses OVG Greifswald, 11.10.2007 - 3 M 169/07 -, LKV 2008, 421).

63

Wenn der Satzungsgeber vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen anordnet, dass für die Bewertung von Gebäuden, die vor Inkrafttreten der den Beurteilungsmaßstab für Vollgeschosse enthaltenden Rechtsvorschrift errichtet worden sind, die Anforderungen dieser Vorschrift nicht gelten sollen, so ist dem ohne Weiteres der Sinn zu entnehmen, dass für diese Gebäude - was die Mindesthöhe der Geschosse anbelangt - ein weniger strenger Begriff des Vollgeschosses gelten soll. Denn ordnete die Satzung auch für solche früher errichtete Gebäude den Vollgeschossmaßstab nach der Landesbauordnung an, so könnte der Fall eintreten, dass ein solches Gebäude allein deshalb, weil seine Geschosshöhen die an ein "Vollgeschoss" zu stellenden Voraussetzungen nicht erfüllen mussten und nicht erfüllten, obwohl es wie ein neueres Gebäude mit nach der Landesbauordnung vorgeschriebenen Geschosshöhen genutzt wird, vorteilswidrigerweise zu gering oder überhaupt nicht veranlagt wird, weil es keine Vollgeschosse i.S.d. Landesbauordnung, sondern nur niedrigere Geschosse aufwiese. Die Regelung will demnach verhindern, "Altbauten" wegen der Maßgeblichkeit der Anzahl der Vollgeschosse besser zu stellen, wenn sie die für Vollgeschosse geltenden Mindesthöhen der Landesbauordnung nicht erreichen. Da der vom Maß der Nutzung abhängige wirtschaftliche Vorteil bei Vollgeschossen einerseits und bei Geschossen unterhalb der Vollgeschossigkeit andererseits annähernd gleich ist (OVG NW, 29.08.2000 - 15 A 4178/00 -, juris, Rn. 4) verstieße das - wenn es denn solche Gebäude im Verbandsgebiet gäbe - gegen das nach § 7 Abs. 1 Satz 3 KAG geltende Vorteilsprinzip, wonach die Beiträge nach Vorteilen zu bemessen sind.

64

§ 4 Abs. 5 Satz 2 TBS ist zu entnehmen, dass sich für früher errichtete Gebäude die Qualifizierung als für die Flächenberechnung (§ 4 Abs. 3 TBS) relevantes Geschoss nach den zur Zeit der Errichtung des Gebäudes geltenden Anforderungen bestimmen soll. Dies findet in dem Satzteil "..., die vor Inkrafttreten der Landesbauordnung entsprechend den Anforderungen des bisherigen Rechts errichtet wurden,..." hinreichend Ausdruck. Eine andere sinnvolle Interpretation der Norm bietet sich nicht an. Insbesondere scheidet eine Deutung aus, die quasi am Buchstaben des § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS haftete. Bei einer solchen Interpretation müssten die Mindesthöhen der Landesbauordnung nur dann nicht eingehalten werden, wenn das Gebäude vor Inkrafttreten der Landesbauordnung entsprechend den Anforderungen des bisherigen Rechts errichtet worden ist. Das hieße, dass Gebäude, die unter Missachtung der seinerzeitigen rechtlichen Anforderungen errichtet worden sind, nicht unter die Freistellung von den Mindesthöhen nach der Landesbauordnung fielen mit der Folge, dass für sie der Vollgeschossbegriff der Landesbauordnung anzuwenden wäre. Dann könnten Grundstücke mit solchen "illegalen" Gebäuden mangels Erreichen der Mindestgeschosshöhe nicht in vorteilsgerechtem Maße oder sogar überhaupt nicht herangezogen werden. Dies widerspräche dem Willen des Satzungsgebers, möglichst vorteilsgerechte Ergebnisse auch bezüglich der "Altbauten" zu erzielen.

65

Die Bestimmung kann auch nicht - wie der Antragsteller unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts E-Stadt vom 22. Januar 2010 (- 8 A 1364/09 -, Urteilsabdruck, S. 6) meint - deshalb beanstandet werden, weil danach satzungsrechtliche Einschränkungen für die Anrechenbarkeit von Dachräumen mit schrägen Wänden fehlten und Altbauten deshalb ohne hinreichenden sachlichen Grund in höherem Maße als Neubauten zur Berechnung des Vorteils herangezogen würden. Diese Erwägung ist nicht zwingend. § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS befreit lediglich von der Geltung der für Vollgeschosse vorgesehenen Mindesthöhen. Das Kriterium nach den oben genannten Bestimmungen der verschiedenen Landesbauordnungen, wonach die Mindesthöhe auf zwei Dritteln der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses oder der eigenen Grundfläche des Geschosses (vgl. § 2 Abs. 6 LBauO 1994) vorliegen muss, wird von § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS nicht berührt. Somit gilt auch für Dachgeschosse älterer Gebäude, dass die seinerzeitigen Anforderungen an die Mindesthöhe von Vollgeschossen bzw. von nach der beitragsrechtlich relevanten Nutzung her nicht anders zu behandelnden "Geschossen" gleichermaßen wie für Dachgeschosse von Neubauten auf zwei Dritteln der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses vorliegen müssen. Ein Dachraum in einem unter Geltung der Deutschen Bauordnung (DBO) vom 2. Oktober 1958 errichteten Gebäude muss danach eine lichte Höhe von 2,20 m (vgl. §§ 93c, 366 Abs. 2 DBO) über mindestens zwei Drittel der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses haben, um als Vollgeschoss i.S.v. § 4 Abs. 3 bis 5 TBS zu zählen.

66

§ 4 Abs. 5 Satz 2 TBS verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Bestimmung schon vor Inkrafttreten der Landesbauordnung errichtete Gebäude von der Geltung der dort geregelten Mindesthöhen ausnimmt, obwohl auch nach dem zuvor geltenden Gesetz über die Bauordnung dieselbe Mindesthöhe einzuhalten war (so aber VG Greifswald, 28.04.2010 - 3 A 1398/07 -, Urteilsabdruck, S. 5 zu einer vergleichbaren Satzungsregelung). Wie oben ausgeführt ist nach § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS für ältere Gebäude hinsichtlich der Mindesthöhe der Räume das seinerzeitige Recht anzuwenden, sodass für unter Geltung des Gesetzes über die Bauordnung errichtete Gebäude ebenfalls die nach den späteren Fassungen der Landesbauordnung vorgesehene Mindesthöhe (2,30 m) zugrundezulegen ist. § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS bleibt insoweit ohne rechtliche Bedeutung.

67

Wenn § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS danach im Einzelfall eines älteren Gebäudes nicht einfache Fragen nach den früheren rechtlichen Anforderungen an die Errichtung baulicher Anlagen in Bezug auf die Mindesthöhe von Geschossen aufwerfen kann und sich sein Regelungsgehalt erst aufgrund einer Auslegung der Norm vollständig erschließt, so kann darunter womöglich eine reibungslose Anwendung der Bestimmung im Einzelfall leiden. Eine Unwirksamkeit der Norm und damit womöglich der gesamten Trinkwasserbeitragssatzung lässt sich daraus aber nicht ableiten. Im Übrigen weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass die Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 2 TBS nicht auf sämtliche vor 1994 errichtete Gebäude Anwendung findet, sondern sich ihre Geltung auf solche Gebäude beschränkt, deren Geschosse niedriger als 2,30 m sind.

68

l. § 6 Abs. 1 TBS verstößt zwar gegen § 7 Abs. 2 KAG, soweit neben dem Eigentümer des Grundstückes der zur Nutzung des Grundstückes dinglich Berechtigte als Beitragsschuldner bezeichnet wird. Dieser Fehler führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Trinkwasserbeitragssatzung. § 6 Abs. 1 TBS lautet:

69

"Beitragsschuldner ist, wer im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des Grundstückes oder zur Nutzung des Grundstückes dinglich Berechtigter ist. Bei einem erbbaubelasteten Grundstück ist der Erbbauberechtigte an Stelle des Eigentümers Beitragsschuldner. Ist das Grundstück mit einem dinglichen Nutzungsrecht nach Art. 233 § 4 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch belastet, so ist der Inhaber dieses Rechtes anstelle des Pflichtigen nach Satz 1 oder Satz 2 beitragspflichtig."

70

Damit bestimmt § 6 Abs. 1 TBS auch den zur Nutzung des Grundstückes dinglich Berechtigten zum Beitragspflichtigen, obwohl nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG, von dem Sonderfall des Inhabers eines Gewerbebetriebes im Zusammenhang mit § 8 Abs. 7 KAG abgesehen, allein der Eigentümer des bevorteilten Grundstückes Beitragspflichtiger ist. Dieser wird nach § 7 Abs. 2 Satz 3 KAG nur im Falle eines erbbaubelasteten Grundstückes durch den Erbbauberechtigten als Beitragspflichtigen ersetzt und nach Satz 4 dieser Bestimmung im Falle der Belastung des Grundstückes mit einem dinglichen Nutzungsrecht nach Artikel 233 § 4 EGBGB durch den Inhaber dieses Rechts. Weitere dinglich Berechtigte scheiden nach den Vorgaben des Kommunalabgabengesetzes daher, anders als noch nach § 8 Abs. 10 KAG in der Fassung vom 1. Juni 1993, als Beitragspflichtige aus. § 6 Abs. 1 TBS geht unzulässigerweise darüber hinaus.

71

Dieser Fehler führt nicht zur Gesamtnichtigkeit der angegriffenen Trinkwasserbeitragssatzung. Zwar gehört die Bestimmung des Kreises der Abgabenschuldner zu dem in § 2 Abs. 1 KAG geregelten notwendigen Umfang einer Abgabensatzung. Hier ist aber § 6 Abs. 1 TBS trotz des angesprochenen Verstoßes gegen § 7 Abs. 2 KAG nur teilnichtig, denn die Norm bleibt auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll, insbesondere umfasst der Restbestand der Bestimmung den von § 2 Abs. 1 KAG erforderten Mindestinhalt, und es ist anzunehmen, dass der Antragsgegner § 6 Abs. 1 TBS auch ohne den nichtigen Teil (Bestimmung des dinglich Berechtigten als Beitragspflichtigen) erlassen hätte (vgl. zu diesen Voraussetzungen BVerwG, 27.01.1978 - VII C 44.76 -, DVBl. 1978, 536, 537; Sauthoff in: Driehaus, KAG, Stand: März 2010, § 8 Rn. 1714; OVG Greifswald, 29.11.2001 - 1 M 66/01 -, NordÖR 2002, 81, 82; 02.06.2004, a.a.O.). Die letztgenannte Annahme wird auch nicht dadurch widerlegt, dass der Antragsgegner die fragliche Satzungsbestimmung im Laufe des Prozesses verteidigt hat. Daraus kann nicht gefolgert werden, dass er § 6 Abs. 1 TBS mit einem dem Kommunalabgabengesetz entsprechenden Regelungsgehalt nicht erlassen hätte. Diese Annahme wäre nicht nur deshalb fernliegend, weil der Antragsgegner als Körperschaft des öffentlichen Rechts per se um den Erlass gesetzeskonformer Satzungen bemüht sein muss, sondern auch deshalb, weil es nach der in der mündlichen Verhandlung gegebenen Auskunft des Antragsgegners aus seiner Sicht im Verbandsgebiet Anwendungsfälle des "dinglich Berechtigten" neben den in § 6 Abs. 1 TBS erfassten Fallgruppen (Erbbauberechtigter, Inhaber des Rechts nach Art. 233 § 4 EGBGB) nicht geben soll. Daher ist dem Antragsgegner an dieser Stelle auch kein Regelungsbedürfnis zu unterstellen, das der Annahme widersprechen könnte, er hätte die Satzungsbestimmung auch ohne den zu beanstandenden Teil erlassen.

72

2. § 4 Abs. 2 d) TBS verstößt gegen höherrangiges Recht, soweit die hier geregelte Tiefenbegrenzungslinie bei grundsätzlich 50 m gezogen wird (a.). Dieser Verstoß führt zur Unwirksamkeit der Tiefenbegrenzungsregel und damit zur Unwirksamkeit der gesamten Trinkwasserbeitragssatzung (b.).

73

§ 4 Abs. 2 d) lautet:

74

Als Grundstücksfläche gilt:

… bei Grundstücken, die im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) zum Außenbereich (§ 35 BauGB) liegen, die Gesamtfläche des Grundstückes, höchstens jedoch die Fläche zwischen der der Straße zugewandten Grundstücksseite und einer im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallelen. Dieser Abstand wird bei Grundstücken, die mit der Straße nur durch eine Zuwegung verbunden sind, vom Ende der Zuwegung an gemessen...

75

a. Die Bestimmung regelt eine sogenannte qualifizierte Tiefenbegrenzung, denn sie gilt ausschließlich für Grundstücke, die im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) zum Außenbereich liegen, nicht jedoch (auch) für vollständig im Innenbereich liegende Grundstücke (sogenannte schlichte Tiefenbegrenzung). Eine Tiefenbegrenzung ist im Anschlussbeitragsrecht nach der Rechtsprechung des Senates grundsätzlich zulässig (vgl. OVG Greifswald, 15.03.1995 - 4 K 22/94 -, KStZ 1996, 114, 118; 13.11.2001 - 4 K 16/00 -, NVwZ-RR 2002, 687ff; 02.06.2004, a.a.O.). Daran hat sich mit Einführung von § 9 Abs. 5 KAG durch die Novellierung des Kommunalabgabengesetzes im Jahre 2005 nichts geändert. Ziel der Einführung dieser Bestimmung war es nicht, ein in der Rechtsprechung allgemein anerkanntes Rechtsinstitut auf nunmehr besonders geregelte Fälle einzuschränken. Vielmehr sollte dem Satzungsgeber zusätzlich die Möglichkeit an die Hand gegeben werden, für bebaute Grundstücke im baurechtlichen Innenbereich mit einem überdurchschnittlich großen nicht bebauten Grundstücksteil aus abgabenpolitischen Gründen eine Flächenbegrenzung vorzusehen (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 4/1307, S. 49/50; dazu Aussprung, a.a.O., § 9, Anm. 10).

76

Die Tiefenbegrenzung ist eine nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung, dass der diesseits der Begrenzungslinie liegende Teil des Grundstücks Bauland ist. Die damit verbundene und im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen allgemein als zulässig angesehene Pauschalierung wirkt sich in Einzelfällen mehr oder weniger zu Lasten einzelner Beitragspflichtiger aus. Eine Tiefenbegrenzung findet gerade im Anschlussbeitragsrecht ihre Rechtfertigung darin, dass im Rahmen der Beitragskalkulation die Ermittlung der Gesamtbeitragsfläche erforderlich ist, die auf metrische Festlegungen angewiesen ist. Dadurch gewinnt der Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität und -vereinfachung besondere Bedeutung. Ohne Tiefenbegrenzung müsste gegebenenfalls eine exakte Einzelfallbewertung sämtlicher der Beitragspflicht unterliegender unbeplanten Grundstücke trotz verbleibender Unsicherheiten in der Abgrenzung des Innenbereichs angestellt werden. Die Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität stehen im Spannungsfeld mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Vorteilsprinzip (§ 7 Abs. 1 Satz 3 KAG). Danach sind die Beiträge nach Vorteilen zu bemessen. Die Vorteile bestehen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 KAG in der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung, für die die Beiträge erhoben werden (vgl. dazu eingehend OVG Greifswald, 10.10.2007, a.a.O.). Da eine exakte Bemessung der Vorteile in der Praxis mit einem nicht akzeptablen Aufwand verbunden wäre, sind Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe anerkannt, insbesondere ist es zulässig, Vorteile nach einem - wie in § 4 Abs. 1 TBS geregelten - kombinierten Grundstücksflächen- und Vollgeschossmaßstab zu bemessen (vgl. BVerwG, 26.07.1993 - 8 B 85/93 -, juris, Rn. 3). Nach diesem Maßstab ist die Größe der bevorteilten Fläche des Grundstückes ein wesentlicher Faktor zur Errechnung des auf das Grundstück entfallenden Beitrages. Je größer die Fläche des Grundstückes bzw. bei Grundstücken im Übergangsbereich vom Innen- zum Außenbereich der im Innenbereich liegende (bebaubare) Teil des Grundstückes ist, desto größer ist im Prinzip der zu leistende Beitrag. Dieser Zusammenhang ist bei der Normierung einer Tiefenbegrenzung zu beachten. Denn läge bei exakter Betrachtung des einzelnen Grundstückes die Grenze des baurechtlichen Innenbereiches (§ 34 Abs. 1 BauGB) vor (straßenseits) der Tiefenbegrenzungslinie, so würde der Eigentümer des Grundstückes - aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität grundsätzlich zulässigerweise - höher belastet als es ohne eine Tiefenbegrenzungsregelung der Fall wäre. Gleichermaßen würde derjenige Grundstückseigentümer, dessen Grundstück ohne die Vermutung der Tiefenbegrenzung erst jenseits der Tiefenlinie in den Außenbereich überginge, besser gestellt als ohne Geltung der Tiefenbegrenzungslinie.

77

Die Bestimmung einer Tiefenbegrenzungslinie hat sich daher zur Einhaltung des Vorteilsprinzips und zur Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) an Kriterien für eine möglichst realitätsnahe Abgrenzung der Innen- von den Außenbereichsflächen im Geltungsbereich der Tiefenbegrenzung auszurichten. Ein sachgerechter Anhaltspunkt dafür, dass eine bauliche Nutzung über eine bestimmte Tiefe hinaus in der Regel nicht stattfindet, stellt - wenn eine solche ermittelbar ist - die ortsübliche Tiefe der baulichen Nutzung dar (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., § 17, Rn. 39). Der Senat hat daher in seiner bisherigen Rechtsprechung durchweg darauf abgestellt, ob sich die gewählte Tiefenlinie als ortsangemessen darstellt bzw. den örtlichen Verhältnissen entspricht (15.11.2000, - 4 K 8/99 -, a.a.O.; 13.11.2001, - 4 K 16/00 -, a.a.O.; 02.06.2004, - 4 K 38/02 -, a.a.O.; vgl. auch OVG Greifswald, 29.11.2001, - 1 M 66/01 -,a.a.O.). Dies stimmt mit den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts im Erschließungsbeitragsrecht an die satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung überein. Danach muss die gewählte Tiefenbegrenzung die typischen örtlichen Verhältnisse tatsächlich widerspiegeln und sich an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren (BVerwG, 01.09.2004 - 9 C 15/03 -, BVerwGE 121, 365, 369). Für die Festsetzung der an diesen Verhältnissen zu orientierenden Tiefenbegrenzung steht dem Ortsgesetzgeber ein normgeberisches Ermessen zu (BVerwG, 30.07.1976 - IV C 65.74 -, DÖV 1977, 247; OVG Weimar, 18.12.2000, a.a.O.; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., § 17, Rn. 43). Um dieses Ermessen ordnungsgemäß ausüben zu können, muss er vor Beschlussfassung über die Satzung und Festlegung der Tiefenbegrenzung die örtlichen Verhältnisse sorgfältig und willkürfrei in allen Bereichen des Verbandsgebietes ermitteln (OVG Greifswald, 15.03.1995, a.a.O.; 15.11.2000, a.a.O.; 13.11.2001, a.a.O.; 20.11.2003, a.a.O.; 27.08.2008 - 1 L 155/06 -, n.v.). Die Ergebnisse dieser Ermittlung sollen als Nachweis für die Kalkulation dokumentiert werden (vgl. Erläuterungen zu den Gemeinsamen Satzungsmustern des Städte- und Gemeindetages M-V e.V. und des Innenministeriums M-V über Beiträge und Gebühren für die Schmutzwasserbeseitigung und die zentrale Niederschlagswasserbeseitigung, Anm. 10, abgedruckt bei Aussprung, a.a.O., KAG-Anhang 7.3). Das Normenkontrollgericht hat die Ermessensausübung durch den Satzungsgeber nur auf deren Übereinstimmung mit den gesetzlichen Erfordernissen zu überprüfen, darf jedoch keine eigene Entscheidung an die Stelle der zu überprüfenden Ermessensentscheidung setzen (OVG Weimar, 18.12.2000, a.a.O.).

78

Hier hat der Antragsgegner die Anforderungen an eine solche sorgfältige Ermittlung der örtlichen Verhältnisse im Verbandsgebiet grundsätzlich erfüllt. Der Senat hält insbesondere die von dem Antragsgegner angestellte Ermittlung der örtlichen Verhältnisse begrenzt auf repräsentativ ausgewählten Ortslagen für zulässig. Müsste der Ortsgesetzgeber die tatsächlichen Bebauungstiefen in allen Ortslagen des Verbandsgebietes untersuchen, verlöre die Tiefenbegrenzung als Instrument zur Verwaltungsvereinfachung ihre Berechtigung, denn dann würden die Grundstücksdaten, die aufgrund der Tiefenbegrenzungsregel nicht sollen erhoben werden müssen, schon für die Bildung der Regel benötigt (vgl. Bloemenkamp in: Driehaus, KAG, Stand: März 2010, § 8, Rn. 1464). Auf welche Weise der Satzungsgeber die ortsüblichen Verhältnisse zu ermitteln hat, ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Auch dies liegt in seinem Ermessen. Dass er dabei von zutreffenden tatsächlichen Umständen wie etwa der richtigen Anzahl der von der Tiefenbegrenzung betroffenen Ortslagen auszugehen hat, bedarf keiner näheren Ausführungen.

79

Der Antragsgegner hat sodann jedoch die Tiefenbegrenzung nicht nach diesen Ermittlungen bestimmt, sondern die gewonnenen Ergebnisse mit im vorliegenden Zusammenhang rechtlich nicht zutreffenden Erfordernissen des auch im Abgabenrecht geltenden Grundsatzes der Typengerechtigkeit kombiniert. Damit hat er sich von seinen Daten über die ortsübliche Bebauungstiefe der vom Innen- in den Außenbereich übergehenden Grundstücke aufgrund eines hier nicht maßgeblichen Kriteriums entfernt und insoweit die Tiefenbegrenzungslinie nicht nach dem Maßstab von § 7 Abs. 1 Satz 3 KAG, Art. 3 Abs. 1 GG rechtsfehlerfrei festgesetzt.

80

Der Grundsatz der Typengerechtigkeit dient der Erhaltung der dem Normgeber im Abgabenrecht in Bezug auf das Gleichbehandlungsgebot eingeräumten Gestaltungsfreiheit. Danach ist es ihm gestattet, bei der Gestaltung abgabenrechtlicher Regelungen in der Weise zu verallgemeinern und zu pauschalieren, dass an Regelfälle eines Sachbereichs angeknüpft wird und dabei die Besonderheiten von Einzelfällen außer Betracht bleiben. Dabei stellt das Auftreten solcher abweichenden Einzelfälle die Entscheidung des Normgebers nicht in Frage, solange nicht mehr als 10 % der von der Regelung betroffenen Fälle dem "Typ" widersprechen. Der Grundsatz der Typengerechtigkeit bewahrt damit die im Interesse der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität getroffene Entscheidung des Normgebers für einen bestimmten "Regelungstypus" davor, durch das Auftreten von Einzelfällen, die der Regelung unterfallen, dem Typus aber widersprechen, in Frage gestellt zu werden (BVerwG, 30.04.2009 - 9 B 60/08 -, Buchholz 401.9, Nr. 57; 01.08.1986 - 8 C 112/84 -, NVwZ 1987, 231, 232; 19.09.1983 - 8 N 1/83 -, BVerwGE 68, 36, 41; vgl. zum Grundsatz der Typengerechtigkeit, Schoch, Der Gleichheitssatz, DVBl. 1988, 863, 879).

81

Der Antragsgegner hat nach dem Inhalt seiner der Beschlussvorlage Nr. 09-1/2007 beigefügten Dokumentation der Ermessenserwägungen zur Ermittlung der Tiefenbegrenzung und der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten, der Dokumentation seinerzeit ebenfalls beigefügten Excel-Tabelle festgestellt, dass 77% der in die Betrachtung einbezogenen Grundstücke im Übergangsbereich vom Innen- in den Außenbereich kleiner oder gleich 40 Meter tief und 84% der Grundstücke kleiner oder gleich 45 Meter tief bebaut sind. Den weiteren Angaben ist zu entnehmen, dass danach nicht nur 7% aller in die Betrachtung einbezogenen Grundstücke eine Bebauungstiefe von 40 bis 45 Metern aufwiesen, sondern auch nur 9 % eine Tiefe von 45 bis 50 Metern und 7% eine über 50 Meter hinausreichende Bebauungstiefe. Die Tiefenbegrenzungslinie hat er daraufhin in einem Abstand von 50 Meter gezogen, da dies – wie er meinte - nur dann willkürfrei geschehen könne, wenn die ermittelten örtlichen Verhältnisse belegten, dass die Grundstücke im unbeplanten Übergangsbereich mit Baulandqualität jenseits der Tiefenbegrenzungslinie die Ausnahme, d.h. weniger als 10% der von der Tiefenbegrenzung betroffenen Grundstücke, darstellten. Nur dann stehe die Ungleichbehandlung in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen der Typisierung. Betrage die Anzahl der übertiefen Grundstücke mehr als 10%, so lasse sich die Einführung einer Tiefenbegrenzung nicht mehr auf den Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität stützen.

82

Diese Auffassung führt zu unzutreffenden Ergebnissen. Die Anwendung der Regel auf die Festlegung der Tiefenbegrenzungslinie, wonach nicht mehr als 10% der von der Regelung betroffenen Fälle dem "Typ" widersprechen dürfen, bedingt bereits eine vorteils- und gleichheitswidrige Tiefenbegrenzungsregelung, wenn der Satzungsgeber allein die Grundstücke mit Baulandqualität jenseits der Tiefenbegrenzung im Blick hat. Eine solche Vorgehensweise übersieht, dass nicht nur die bei exakter Einzelfallbetrachtung der örtlichen Grundstücksverhältnisse jenseits der Linie noch Baulandqualität aufweisenden Grundstücke "dem Typ" widersprechen. Auf die Grundstücke, deren Baulandeigenschaft bei genauer Betrachtung schon diesseits der Linie endet, trifft dies ebenso zu. Je weiter der Ortsgesetzgeber die Tiefenlinie in Richtung des Außenbereiches verlegt, desto geringer wird zwar die Anzahl der Grundstücke mit tieferer Bebaubarkeit, umso größer aber die Anzahl derer, deren Bebaubarkeit eigentlich schon eher (diesseits der Linie) endet. Auch diese Fälle widersprechen im Sinne des Grundsatzes der Typengerechtigkeit dem generalisierend normierten Regelfall. Die Zahl der von der Regel abweichenden Fälle kann durch ein Verschieben der Linie weg von den tatsächlich ermittelten Bebauungstiefeergebnissen daher nicht verringert werden. Geschieht dies - wie im vorliegenden Fall - dennoch, so geht dies zu Lasten der Eigentümer von Grundstücken mit geringerer Bebauungstiefe. Das im Übergangsbereich gelegene Grundstück, das bei exakter Betrachtung beispielsweise nur bis zur Tiefe von 35 Metern Baulandqualität hat, würde bei einer entsprechend einer ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet von (angenommen) 40 Metern verlaufenden Tiefenbegrenzung - zulässigerweise pauschalierend - so behandelt, als wenn es fünf Meter tiefer Baulandqualität hätte. Bei einem Hinausschieben der Tiefenlinie auf 50 Meter verdreifachte sich aber bereits die beitragspflichtige Fläche, die bei genauer Grundstücksbetrachtung ohne Tiefenbegrenzungsregelung für die Bemessung des Beitrages überhaupt nicht angerechnet würde. Weicht der Satzungsgeber von dem aus Verwaltungsvereinfachungsgründen zulässigen Kriterium der ortsüblichen bzw. typischen Bebauungstiefe ab und gelangt so zu einem abweichenden Verlauf der Tiefenlinie, so entfernt er sich damit ohne vertretbaren Grund von dem wegen des Vorteilsprinzips (§ 7 Abs. 1 Satz 2 KAG) und aus Gründen der Gleichbehandlung bestehenden Erfordernis einer realitätsnahen Abgrenzung von Innen- und Außenbereichsflächen.

83

Die Anwendung der als Begrenzung des Grundsatzes der Typengerechtigkeit aufgestellten Quantifizierungsregel von höchstens 10% zulässiger Ausnahmefälle auf die Ermittlung der Tiefenbegrenzung erscheint aber auch grundsätzlich als unzutreffend. Die erforderliche Orientierung der Tiefenbegrenzung an der ortsüblichen baulichen Nutzung (BVerwG, 01.09.2004, a.a.O.) enthält bereits den entscheidenden Zulässigkeitsmaßstab der Pauschalierung und schließt die Anwendung der "10%-Regel" aus. Der Maßstab der ortsüblichen bzw. -angemessenen Bebauungstiefe greift weiter als das mit 90% und 10% quantifizierte Regel-Ausnahmeverhältnis. Ortsüblich ist die Bebauungstiefe, die im zu betrachtenden Gebiet üblich i.S.v. normal, geläufig, verbreitet oder in der Mehrzahl der ermittelten Fälle anzutreffen ist (vgl. Bloemenkamp, a.a.O., Rn. 1464). Dafür ist nicht erforderlich, dass sie in mindestens 90% der Fälle auftritt. Dies würde wegen der unterschiedlichen Verteilung der die einzelnen Grundstücke betreffenden Bebauungstiefen wohl auch zumeist zur Unanwendbarkeit der Tiefenbegrenzung führen. Denn schon sobald sich die Streubreite der tatsächlich anzutreffenden Bebauungstiefen ausgehend von der festgesetzten Tiefenbegrenzungslinie um mehr als 5% nach oben und unten erstreckte, wäre die Höchstgrenze von 10% überschritten. Es ist - wie zuvor ausgeführt - anerkannt, dass sich die Tiefenbegrenzung an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren muss. Die Begriffe "ortsüblich" und "orientieren" bringen mit der ihnen inbegriffenen Unschärfe zum Ausdruck, dass es nicht um die Ermittlung einer exakt zu berechnenden Größe geht, von der nur zu bestimmten Prozentanteilen abgewichen werden darf. Das Erfordernis der Üblichkeit einer Bebauungstiefe setzt vielmehr schon voraus, dass es daneben eine nicht nur geringe Anzahl von Grundstücken mit im Gebiet nicht üblichen Bebauungstiefen geben muss, die nicht dem mit normal, geläufig oder verbreitet zu bezeichnenden Maß entsprechen muss. Aus all dem folgt, dass für die Annahme der Ortsüblichkeit ausreichend eine zahlenmäßig hinreichend große Gruppe von Grundstücken ist, die in etwa die gleichen Bebauungstiefen aufweisen, so dass von einer üblichen Tiefe gesprochen werden kann (vgl. dazu Bloemenkamp, a.a.O.). Der Senat hätte keine Bedenken, dies in dem vorliegenden Fall etwa für die Gruppe der bis zu 40 m tief bebauten Grundstücke anzunehmen, für die der Antragsgegner den Wert von immerhin 77% aller in die Betrachtung einbezogenen Grundstücke bei einer durchschnittlichen Bebauungstiefe aller Grundstücke von 34,85 m ermittelt hat.

84

Die bisherige Rechtsprechung des mit dem Abgabenrecht befassten 1. Senates steht dazu nicht im Widerspruch. Soweit er sich bislang zu Fragen der Tiefenbegrenzung in Verbindung mit dem Grundsatz der Typengerechtigkeit geäußert hat (04.12.2007 - 1 M 27/07 -, n.v.), ist das allein in dem Zusammenhang geschehen, dass eine im erstinstanzlichen Verfahren von dem Verwaltungsgericht festgestellte Kollision der festgesetzten Tiefenbegrenzung mit der "10%-Regel" nach Überarbeitung der Kalkulation durch den Zweckverband im Beschwerdeverfahren nicht mehr festgestellt werden konnte. Eine Aussage über die Anwendbarkeit dieser Quantifizierung im Zusammenhang mit der Tiefenbegrenzung ist damit entgegen anderslautender Einschätzung in der Kommentarliteratur (vgl. Aussprung, a.a.O., § 9, Anm. 4.3) nicht verbunden gewesen.

85

Der Senat hat dennoch erwogen, die vorliegend festgelegte Tiefenbegrenzungslinie von 50 Metern für ermessensgerecht zu erachten, weil bei Abgrenzung des Innen- vom Außenbereich zu berücksichtigen sein mag, dass der Bebauungszusammenhang nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht unbedingt mit der Außenwand der letzten Baulichkeit enden muss, sondern je nach den örtlichen Gegebenheiten etwa noch einen Hausgarten einschließen kann (bauakzessorische Nutzung) und auch topographische Verhältnisse dabei eine prägende Rolle spielen können (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Kommentar, § 34, Rn. 25f; Rieger in: Schrödter, Baugesetzbuch, Kommentar, 7. Aufl., § 34, Rn. 14). Der Senat sieht sich jedoch gehindert, die hier getroffene Entscheidung über die Tiefenbegrenzung von 50 Metern aufgrund dieser Überlegungen für fehlerfrei zu halten. Der Antragsgegner hat ausweislich seiner Dokumentation der Ermessenserwägungen diesen Gesichtspunkt bei der Festlegung der Tiefengrenze selbst nicht mit einbezogen, sondern allein die hintere Begrenzung des letzten nach seiner Einschätzung für einen Bebauungszusammenhang nach § 34 Abs. 1 BauGB relevanten Gebäudes ausschlaggebend sein lassen. Allein danach und nach der Eingruppierung in derart definierte Tiefengruppen („Grenzwerte“ von 40,45 und 50 Metern) hat er die ortsübliche Bebauungstiefe ermittelt. Der Senat müsste damit an die Stelle der ortsgesetzgeberischen Ermessensentscheidung des Antragsgegners eine eigene Entscheidung über die Tiefenbegrenzung setzen; dies ist ihm jedoch verwehrt. Außerdem erforderte eine Berücksichtigung dieser Umstände womöglich eine weitere Ermittlung der örtlichen Verhältnisse, weil das Ziehen der Grenze zwischen dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil und dem Außenbereich grundsätzlich eine Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhaltes erfordert (BVerwG, 06.11.1968 – IV C 2.66 -, BVerwGE 31, 20, 21).

86

b. Der danach festzustellende Verstoß von § 4 Abs. 2 d) TBS gegen den Vorteilsgrundsatz (§ 7 Abs. 1 Satz 3 KAG) und das Gleichbehandlungsprinzip führt zur Unwirksamkeit der gesamten Trinkwasserbeitragssatzung.

87

Die Normierung einer Tiefenbegrenzung ist im Anschlussbeitragsrecht zwar nicht vorgeschrieben. Ihre Anordnung steht vielmehr im Ermessen des Ortsgesetzgebers. Fehlt sie, sind in jedem Einzelfall die örtlichen Grundstücksverhältnisse zu betrachten und der Kalkulation des Beitragssatzes sowie der Heranziehung des einzelnen Grundstückseigentümers zugrundezulegen. Dies kann dazu führen, dass eine Kanalbaubeitragssatzung trotz festgestellter Unwirksamkeit der Tiefenbegrenzung fortbesteht.

88

Hier ist eine Fortgeltung der Trinkwasserbeitragssatzung trotz Unwirksamkeit der Tiefenbegrenzungsregelung nach § 4 Abs. 2 d) TBS jedoch ausgeschlossen. Die Ungültigkeit eines Teils einer Satzungsbestimmung schlägt nur dann nicht auf die gesamte Regelung mit der Folge der Gesamtnichtigkeit durch, wenn die Restbestimmungen auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll bleiben und mit Sicherheit anzunehmen ist, daß sie auch ohne diesen erlassen worden wären (BVerwG, 27.01.1978, a.a.O.). Vorliegend sind beide Voraussetzungen nicht gegeben.

89

§ 4 Abs. 2 d) TBS könnte ohne die Regelung über die Tiefenbegrenzung nicht fortbestehen, weil dann bei Grundstücken im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich zum Außenbereich als Grundstücksfläche die Gesamtfläche des Grundstücks zählen würde. Dies wäre vorteilswidrig, weil dann auch die einer Bebauung entzogene Außenbereichsfläche mitgerechnet würde. Betrachtete man deshalb die gesamte Regelung unter § 4 Abs. 2 d) TBS als nichtig, so fehlte dem Beitragsmaßstab eine Regelung über die anrechenbare Grundstücksfläche von solchen Übergangsgrundstücken. Da im Verbandsgebiet zahlreiche Grundstücke dieser Art existieren, wäre die nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG unabdingbare Bestimmung des Beitragsmaßstabes wegen des im Anschlussbeitragsrecht geltenden Grundsatzes der konkreten Vollständigkeit (vgl. OVG Greifswald, 30.06.2004, a.a.O., juris, Rn. 91) zu beanstanden. Darüber hinaus würde sich die Unwirksamkeit von § 4 Abs. 2 d) TBS auf den Bestand weiterer Satzungsbestimmungen auswirken [(§ 4 Abs. 2 e) und f)], die auf diese Bestimmung Bezug nehmen.

90

Eine isolierte Nichtigkeit der Tiefenbegrenzungsregelung bei Fortbestand der weiteren Satzungsbestimmungen scheidet auch deshalb aus, weil sie nicht dem Willen des Satzungsgebers entspräche. Nach seiner Dokumentation der Ermessenserwägungen waren Vorstand und Verbandsvorsteher zu dem Ergebnis gekommen, dass aus Gründen der Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität eine Vermutungsregel in Form einer Tiefenbegrenzung aufgestellt und keine konkreten Einzelabgrenzungen von Innen- und Außenbereichsflächen vorgenommen werden sollten. Denn eine ohne Tiefenbegrenzungsregel erforderliche einzelfallbezogene Abgrenzung von Innenbereichs- und Außenbereichsflächen wäre sehr zeit- und kostenaufwändig.

91

Danach würde dem Antragsgegner bei Annahme der alleinigen Nichtigkeit von § 4 Abs. 2 d) TBS eine Beitragssatzung aufgenötigt, die dieser ausdrücklich so nicht erlassen wollte. Somit musste der Senat die gesamte Trinkwasserbeitragssatzung des Antragsgegners für unwirksam erklären.

92

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

93

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

(2) Abweichend von Absatz 1 beginnt die Festsetzungsfrist, wenn

1.
eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach Absatz 1 später beginnt,
2.
eine Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu zahlen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem für den Steuerfall Steuerzeichen oder Steuerstempler verwendet worden sind, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuerzeichen oder Steuerstempler hätten verwendet werden müssen.
Dies gilt nicht für Verbrauchsteuern, ausgenommen die Energiesteuer auf Erdgas und die Stromsteuer.

(3) Wird eine Steuer oder eine Steuervergütung nur auf Antrag festgesetzt, so beginnt die Frist für die Aufhebung oder Änderung dieser Festsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Antrag gestellt wird.

(4) Wird durch Anwendung des Absatzes 2 Nr. 1 auf die Vermögensteuer oder die Grundsteuer der Beginn der Festsetzungsfrist hinausgeschoben, so wird der Beginn der Festsetzungsfrist für die folgenden Kalenderjahre des Hauptveranlagungszeitraums jeweils um die gleiche Zeit hinausgeschoben.

(5) Für die Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) beginnt die Festsetzungsfrist nach den Absätzen 1 oder 2

1.
bei einem Erwerb von Todes wegen nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat,
2.
bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat,
3.
bei einer Zweckzuwendung unter Lebenden nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Verpflichtung erfüllt worden ist.

(6) Für die Steuer, die auf Kapitalerträge entfällt, die

1.
aus Staaten oder Territorien stammen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind, und
2.
nicht nach Verträgen im Sinne des § 2 Absatz 1 oder hierauf beruhenden Vereinbarungen automatisch mitgeteilt werden,
beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Kapitalerträge der Finanzbehörde durch Erklärung des Steuerpflichtigen oder in sonstiger Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

(7) Für Steuern auf Einkünfte oder Erträge, die in Zusammenhang stehen mit Beziehungen zu einer Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die der Steuerpflichtige allein oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Beziehungen durch Mitteilung des Steuerpflichtigen oder auf andere Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur dann zurückgenommen werden, wenn

1.
er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist,
2.
er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist,
3.
ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren,
4.
seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.

(3) Erhält die Finanzbehörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Fall des Absatzes 2 Nr. 2.

(4) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist; § 26 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden,

1.
wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist,
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat,
3.
wenn die Finanzbehörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.
§ 130 Abs. 3 gilt entsprechend.

(3) Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Finanzbehörde keinen späteren Zeitpunkt bestimmt.

(4) Über den Widerruf entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kostenschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten des Kostengläubigers abzuwenden, wenn nicht der Kostengläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Nacherhebung eines Anschlussbeitrages für die Schmutzwasserbeseitigung.

2

Der Kläger ist Eigentümer des mit einem zweigeschossigen Einfamilienhaus und einem Ferienhaus bebauten und 2.191 qm großen Grundstücks Gemarkung ##, Flur #, Flurstück ###. Es ist an die von der Gemeinde Zingst betriebene zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen. Mit Bescheid vom 28. Juni 1995 hatte der Beklagte den Kläger zu Anschlussbeiträgen in Höhe von 5.076,36 EUR (9.928,50 DM) herangezogen, mit Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 zu weiteren 1.514,47 (2.962,05 DM). Der Berechnung des Beitrages gemäß Bescheid vom 28. Juni 1995 war eine Grundstücksfläche von 1.500 m² (x 4,65 DM = 6.975,00 DM) und eine Geschossfläche von 179 m² (x 16,50 DM = 2.953,50 DM) zugrunde gelegt worden. Der Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 legte eine beitragspflichtige Grundstücksfläche von 2.137 m² zugrunde (2.191 abzüglich 54 m² Wasserfläche), von der die bereits veranlagte Fläche von 1.500 m² in Abzug gebracht wurde. Den Betrag von 5.076,36 EUR zahlte der Kläger. Ein gegen den Bescheid vom 15. Oktober 1999 anhängig gemachtes Klageverfahren (VG Greifswald, Az. 3 A 1288/01) ist nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt worden.

3

Mit dem streitgegenständlichen Änderungsbescheid vom 16. Juni 2003 zum Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 setzte der Beklagte im Wege der Nacherhebung einen Anschlussbeitrag in Höhe von 12.263,10 EUR fest. Im Bescheid heißt es, die Differenz zwischen dem bereits gezahlten und dem neu festgesetzten Anschlussbeitrag betrage 7.186,74 .

4

Auf den unter dem 23. Juni 2003 dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers reduzierte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2004, zugestellt am 18. August 2004, den zu zahlenden Beitrag auf 3.656,80 EUR und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte u.a. aus, die bereits 1995 veranlagte Teilfläche von 1.500 m² habe wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht erneut veranlagt werden dürfen. Für die Restfläche von 637 m² errechne sich eine beitragspflichtige Fläche von 891,80 m² (erstes Vollgeschoss: 100 %, zweites Vollgeschoss: 40 % - § 4 Abs. 3 der Abwasserbeitragssatzung). Bei einem Beitragssatz von 4,10 EUR ergebe sich ein Nacherhebungsbeitrag von 3.656,38 EUR.

5

Dagegen hat der Kläger am 20. September 2004 (Montag) Klage erhoben.

6

Zu ihrer Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt,

7

seine Heranziehung sei rechtswidrig. Es fehle an einer wirksamen Satzungsgrundlage. Die Abwasserbeitragssatzung des Beklagten vom 10. April 2003 sei bereits nicht ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden. Der "Zingster Strandbote", jedenfalls dessen Ausgabe vom April 2003, genüge wegen eines Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 und 4 KV-DVO a. F nicht den gesetzlichen Anforderungen für ein amtliches Bekanntmachungsblatt. Die Satzung sei auch materiell-rechtlich unwirksam. §4 Abs. 2 Buchst. d ABS verstoße gegen den Gleichheitssatz. Zudem halte § 3 Abs. 2 ABS einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, indem die Bestimmung ein Abweichen vom Buchgrundstücksbegriff zugunsten des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffes auch dann zulasse, wenn die Anwendung des Buchgrundstücksbegriffes nicht zu gröblich unangemessenen Ergebnissen führen würde. Die Satzungsanwendung sei ebenfalls fehlerhaft. Eine Nacherhebung sei wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragserhebung unzulässig.

8

Der Kläger hat beantragt,

9

den Beitragsbescheid des Beklagten vom 16.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2004 aufzuheben.

10

Der Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Er hat vorgetragen,

13

die formell-rechtlichen Einwände gegen die Wirksamkeit der Abwasserbeitragssatzung seien unbegründet. Gleichwohl sei der "Zingster Strandbote" in seinem Erscheinungsbild geändert und die Abwasserbeitragssatzung im Februar 2005 vorsorglich erneut bekannt gemacht worden. § 4 Abs. 2 Buchst. d ABS verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es sei rechtlich zulässig, die Grenze der baulichen oder gewerblichen Nutzung bei der am weitesten entfernten Gebäudegrenze zu ziehen. Außerdem gebe es in der Gemeinde Zingst keine übergreifende, nicht-bauliche gewerbliche Nutzung und damit den vom Kläger angesprochenen Fall nicht. Auch § 3 Abs. 2 ABS sei nicht zu beanstanden. Die Regelung sei auch kein einziges Mal angewendet, sondern stets das Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinne zugrundegelegt und herangezogen worden.

14

Mit dem angefochtenen Urteil vom 20. September 2006 - 3 A 2268/04 - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der rechtmäßige Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Gemeinde Seeheilbad Zingst (Abwasserbeitragssatzung) vom 10. April 2003, bekanntgemacht durch Veröffentlichung im "Zingster Strandboten" vom 16. April 2003. Die Vorgängersatzungen vom 26. Juni 1993 und

15

24. Mai 1996 seien unwirksam und schieden deswegen als Rechtsgrundlage aus.

16

Die Abwasserbeitragssatzung vom 10. April 2003 sei rechtswirksam. Sie sei ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 der Hauptsatzung der Gemeinde Ostseebad Zingst vom 07. Dezember 2001 erfolgten öffentliche Bekanntmachungen von Satzungen im amtlichen Bekanntmachungsorgan der Gemeinde, dem monatlich erscheinenden "Zingster Strandboten". Dieser genüge den Anforderungen des §6 Abs. 1 KV-DVO, insoweit werde auf den Beschluss der Kammer vom 11. Februar 2005 - 3 B 3820/04 - Bezug genommen. Darüber hinaus dürfte der klägerische Einwand wegen der Neubekanntmachung im "Zingster Strandboten" vom 18. Februar 2005 hinfällig geworden sein.

17

Die Satzung sei auch materiell-rechtlich wirksam und weise den erforderlichen Mindestinhalt auf.

18

Entgegen der Auffassung des Klägers sei insbesondere § 4 Abs. 2 Buchst. d ABS fehlerfrei. Die Bestimmung finde ihre Rechtfertigung darin, dass die in der Tiefenbegrenzung liegende Vermutung, wonach jenseits der Tiefengrenze der Außenbereich beginne, in Fällen sogenannter übergreifender baulicher bzw. gewerblicher Nutzung widerlegt sei und daher in diesen Fällen die beitragspflichtige Fläche durch die hintere Grenze der Nutzung begrenzt werde. Wenn der Kläger meine, dass die Regelung eine übergreifende gewerbliche Nutzung, die nicht zugleich bauliche Nutzung sei, nicht erfasse, berücksichtige er nicht, dass eine "nur gewerbliche" Nutzung, die nicht auch bauliche Nutzung sei, in Bezug auf die Schmutzwasserentsorgung kaum denkbar sei. Der Hinweis auf "zahlreiche" gewerbliche Grundstücksnutzungen, deren Grenze nicht durch eine bauliche Anlage gezogen werde, treffe nicht zu. Mit Blick auf den Grundsatz der konkreten Vollständigkeit habe der Beklagte zudem unwidersprochen dargelegt, dass es jedenfalls im Gebiet der Gemeinde Zingst kein Grundstück gebe, das jenseits der Tiefenbegrenzungslinie "nur gewerblich" genutzt würde, ohne dass zugleich eine (übergreifende) Gebäudenutzung vorhanden wäre. Fehlerhaft und damit unwirksam sei allerdings § 3 Abs. 2 ABS, wenn die Gemeinde nach dieser Bestimmung ermächtigt werde, unter dort näher genannten Voraussetzungen im Einzelfall den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff anzuwenden. Der Fehler wirke sich aber auf die Rechtswirksamkeit der Satzung insgesamt nicht aus. An die Stelle der insoweit nichtigen Regelung trete der gesetzliche Grundstücksbegriff mit der Folge, dass die Satzung weiterhin zur Beitragserhebung geeignet sei. Der Satzungsfehler in § 3 Abs. 2 ABS habe sich auch nicht auf die Rechtmäßigkeit der Beitragskalkulation ausgewirkt. Der Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, dass die Regelung für die Berechnung der Beitragseinheiten in keinem einzigen Fall angewendet worden sei.

19

Auch die Satzungsanwendung sei nicht zu beanstanden. Rechtmäßig sei insbesondere die Nacherhebung des Beitrages. Ihr stehe der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. In diesem Zusammenhang gehe das Verwaltungsgericht von folgenden Grundsätzen - nach Maßgabe seines Beschlusses vom 27. Februar 2006 - 3 B 3023/05 - aus: Dem Beitragswesen immanent sei das Merkmal der Einmaligkeit. Der Grundsatz der Einmaligkeit schränke zugleich auch die Möglichkeit einer Nacherhebung ein. Jedoch schließe die grundsätzlich bestehende - auch nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V fortgeltende - Verpflichtung, Beiträge nach Maßgabe der geltenden landes- und ortsrechtlichen Vorschriften zu erheben, die Verpflichtung ein, einen entstandenen Beitragsanspruch in vollem Umfang geltend zu machen. Sei ein Beitragspflichtiger - etwa weil die für sein Grundstück verteilungsrelevante Fläche ohne rechtfertigenden Grund (versehentlich) nur zum Teil berücksichtigt worden sei - oder seien alle Beitragspflichtigen - etwa weil ein Rechnungsposten bei der Ermittlung des beitragsfähigen Aufwandes übersehen worden sei - zu niedrig veranlagt worden, sei die Gemeinde regelmäßig gehalten, bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung durch selbständige Bescheide entsprechende Nachforderungen zu erheben, um dadurch ihren Beitragsanspruch voll auszuschöpfen. Die Bestandskraft eines Heranziehungsbescheides, mit dem ein zu niedriger Beitrag verlangt worden sei, stehe einer Nacherhebung durch einen weiteren (selbständigen) Bescheid, mit dem der noch nicht ausgeschöpfte Teil eines entstandenen Beitragsanspruch gefordert werde, nicht entgegen. Insbesondere hinderten Vertrauensschutzgesichtspunkte eine Nacherhebung nicht. Denn der Betroffene müsse sich entgegenhalten lassen, dass die Gemeinde ihre Leistungen unter anderem auch zu seinen Gunsten erbracht habe und dass sie und die hinter ihr stehende Allgemeinheit die volle dafür nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung fordern könnten, und zwar nicht nur im Interesse des Haushalts der Gemeinde, sondern auch im Interesse der Beitragsgerechtigkeit. Allerdings seien über die Verweisung des § 12 Abs. 1 KAG M-V die §§ 172 ff. AO über die nachträgliche Aufhebung und Änderung von bestandskräftigen Steuerbescheiden entsprechend anwendbar. Diese Vorschriften stünden aber einer Nachveranlagung nicht entgegen, weil durch den Nacherhebungsbescheid der (bestandskräftige) frühere Heranziehungsbescheid nicht im Sinne der genannten Vorschriften aufgehoben oder abgeändert, sondern lediglich der Beitragsanspruch ausgeschöpft werde. Die Gegenauffassung berücksichtige nicht genügend das den Entgeltabgaben zugrunde liegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Die §§ 172 ff. AO basierten auf einem vorrangigen Vertrauensschutz gegenüber bestandskräftigen Steuerbescheiden, wobei Steuern ohne Gegenleistung geschuldet würden. Bei Entgeltabgaben stehe demgegenüber die Zahlungspflicht in unmittelbarer Beziehung zu einer von der Allgemeinheit erbrachten Leistung. Es sei kein sachlicher Grund erkennbar, dass eine fehlerhafte Abgabenfestsetzung nicht innerhalb der Festsetzungsfrist auch zu Lasten des Abgabenschuldners behoben werden sollte. Dabei sei zu beachten, dass die Unabänderbarkeit fehlerhafter Bescheide, die Beiträge zu niedrig festgesetzt hätten, zu einem Defizit führen würde, das entweder durch Abgabenerhöhung von den übrigen Benutzern der Einrichtung oder vom Steuerzahler getragen werden müsste.

20

Gemessen an diesen Grundsätzen sei die in dem angefochtenen Bescheid erfolgte Nachveranlagung nicht zu beanstanden. Der Beklagte habe lediglich den in den vorherigen Beitragsbescheiden unberücksichtigt gebliebenen Teilbetrag des Anschlussbeitrags festgesetzt. Hierzu sei er nach der Beitragssatzung und dem genannten Grundsatz, den entstandenen Beitragsanspruch in vollem Umfang geltend zu machen, auch verpflichtet gewesen. Im Übrigen komme es für die Frage, ob die Einmaligkeit der Beitragserhebung verletzt sei, auf den Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht an. Das bedeute, eine Nacherhebung sei immer dann zulässig und geboten, wenn - wie vorliegend - der (niedrigere) Beitrag zunächst auf Grundlage einer Satzung errechnet und erhoben worden sei, die sich später als rechtsunwirksam erwiesen habe. Hier sei zu berücksichtigen, dass die sachliche Beitragspflicht erstmals mit Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung von 2003 entstanden sei. Offen bleiben könne, ob die Reduzierung des Nacherhebungsbetrages im Widerspruchsbescheid rechtmäßig gewesen sei. Denn dies verletze den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten. Schließlich sei die Beitragsforderung nicht in Folge Festsetzungsverjährung erloschen.

21

Das Urteil ist dem Kläger am 02. Oktober 2006 zugestellt worden. Auf den am 01. November 2006 eingegangenen und unter dem 04. Dezember 2006 (Montag) begründeten Antrag hin hat der Senat mit Beschluss vom 22. Oktober 2009, dem Kläger am 26. Oktober 2009 zugestellt, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Unter dem 16. November 2009 hat der Kläger seine Berufung begründet.

22

Er hält die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dem angefochtenen Nacherhebungsbescheid stünde trotz Bestandskraft des ursprünglichen Heranziehungsbescheides §12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. den §§172 ff. AO nicht entgegen, für unzutreffend. Gegenstand der Kanalbaubeitragspflicht sei nach dem KAG M-V (a.F.) der auf die Eigentümer der bevorteilten Grundstücke umzulegende Aufwand für die - hier erstmalige - Herstellung der öffentlichen Abwasseranlagen der Gemeinde Zingst, wobei die Beiträge "nach den Vorteilen zu bemessen" seien. Die Vorteilsbemessung bzw. gleichheitsgerechte Verteilung des Aufwandes auf die Eigentümer der bevorteilten Grundstücke habe der Gesetzgeber den Kommunen überlassen. Anknüpfungspunkt für die gleichheitsgerechte Bemessung des Beitragssatzes für einen Kanalbaubeitrag könne richtigerweise nur die Größe bzw. Bebaubarkeit des bevorteilten Grundstücks selbst sein. Hieran habe sich die Gemeinde Zingst mit ihren Vorgängersatzungen vom 26. Juni 1993 und vom 24. Mai 1996 auch gehalten, selbst wenn diese Satzungen - wovon auch er ausgehe - im Ergebnis nichtig gewesen seien. Im vorliegenden Fall habe sich weder die Grundstücksfläche noch die Bebaubarkeit seines Grundstücks im Zuge der Nacherhebung verändert. Die Nacherhebung sei nichts anderem geschuldet gewesen als dem mehrfach geänderten Satzungsrecht der Gemeinde Zingst, nicht aber dem Umstand, dass sein Grundstück etwa "nur teilweise" von den Vorgängersatzungen berücksichtigt und veranlagt worden sei, sodass er "für" sein Grundstück mit dem Ursprungsbescheid hinsichtlich des Herstellungsaufwandes für die öffentlichen Abwasseranlagen der Gemeinde Zingst bereits "vollständig" und bestandskräftig veranlagt worden sei. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die §§ 172 ff. AO vorliegend deswegen nicht anwendbar seien, weil Steuern grundsätzlich ohne, Beiträge dagegen für eine Gegenleistung des Staates erhoben würden, möge allenfalls als Hinweis an den Gesetzgeber verstanden werden. Dieser habe nämlich auch mit § 12 Abs. 1 KAG M-V n. F. geregelt, dass auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung entsprechend anwendbar seien, während eine ganze Anzahl von Bundesländern mit ihren Kommunalabgabengesetzen insoweit Einschränkungen gemacht hätten. Es bedürfe keiner richterlichen "Korrektur" des § 12 Abs. 1 KAG M-V im Sinne der Gesetze anderer Bundesländer. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern habe nämlich den Abgaben erhebenden Behörden durch vorbehaltlose Anordnung der entsprechenden Anwendung der Abgabenordnung genügend Instrumente an die Hand gegeben, im Zweifel genau die Probleme zugunsten der öffentlichen Haushalte zu lösen, die das Verwaltungsgericht wegen Satzungsfehlern - d. h. wegen Fehlern von Rechtsnormen - zulasten der Bürger lösen wolle. Denn eine Abgaben erhebende Behörde sei durch nichts daran gehindert (gewesen), wegen § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 164 AO einen Kanalbaubeitragsbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen. Dass die Behörden dies regelmäßig nicht tun würden, dürfe die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht dazu veranlassen, entgegen § 12 Abs. 1 KAG M-V die Abgabenordnung nur auf kommunale Steuern anzuwenden. Angesichts dessen, dass kommunale Steuern gegenüber Beiträgen und Gebühren nur einen verschwindend geringen Anteil ausmachten, wäre es nicht erklärlich, wenn der Gesetzgeber die §§172 ff. AO nur auf kommunale Steuern angewendet wissen wollte. Im Hinblick auf die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V sei nicht mehr zu fragen, ob auch auf Kanalbaubeiträge die §§ 172 AO ff. "entsprechend" anwendbar seien. Schließlich seien dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Kommentierungen zum KAG a. F. die Konsequenzen für eine Nacherhebung bekannt gewesen, wenn er die Anwendung der §§ 172 ff. AO nicht bei Novellierung des KAG ausschließen würde. Er habe dennoch an der uneingeschränkten Verweisung in § 12 Abs. 1 KAG M-V festgehalten.

23

Er, der Kläger, halte außerdem die Abwasserbeitragssatzung der Gemeinde Zingst vom 10. April 2003 (ABS) auch in ihrer Fassung der 1. Änderungssatzung vom 25. April 2008 deshalb für nichtig, weil sie einen fehlerhaften Beitragsmaßstab aufweise. So regele § 4 Abs. 2 Buchst. e ABS den Fall einer gegenüber einer baulichen oder gewerblichen Nutzung eines Grundstücks "sonstigen" Nutzung, also eine solche, die gerade nicht baulich oder gewerblich sei. Es sei widersprüchlich, dass die Regelung für eine sonstige Nutzung zur Bestimmung der maßgeblichen Grundstücksfläche gleichwohl an eine anschließbare Baulichkeit und weitergehend gar an ein auf dem Grundstück stehendes Gebäude anknüpfe. Zudem sei auch § 4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 ABS rechtswidrig. Wegen der mit dieser Regelung erfolgenden "doppelten" Anwendung der Tiefenbegrenzung wäre ein 140 m tiefes Grundstück, welches in dieser Tiefe beidseits durch jeweils eine Straße erschlossen wäre, ohne sachlichen Grund beitragsfrei. Er halte schließlich daran fest, dass eine Beitragssatzung nur dann ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht werden könne, wenn die Hauptsatzung der Gemeinde in Bezug auf ihre Regelungen über die öffentliche Bekanntmachung von Satzungen ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden sei.

24

Der Kläger beantragt,

25

das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 20. September 2006 - 3 A 2268/04 - zu ändern und den Änderungsbescheid des Beklagten vom 16. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2004 aufzuheben.

26

Der Beklagte beantragt,

27

die Berufung zurückzuweisen.

28

Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt im Wesentlichen vor, der Grundsatz der Einmaligkeit stehe einer Nacherhebung nicht entgegen; dieser sei nicht gleichbedeutend mit einem Grundsatz der Einmaligkeit des Beitragsbescheides. Der Kläger gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass § 12 Abs. 1 KAG M-V die Anwendung der Abgabenordnung vorbehaltlos anordne. Denn die Abgabenordnung gelte nur "entsprechend". Die Aufnahme des Begriffs "entsprechend" berücksichtige die Unterschiede bei den Regelungsgegenständen der Abgabenordnung einerseits und des Kommunalabgabenrechts andererseits. Es sei jeweils zu prüfen, ob eine in der Abgabenordnung getroffene, sich auf Steuern beziehende Regelung dem Wesen etwa kommunaler Entgeltabgaben gerecht werde. Das den Entgeltabgaben zugrundeliegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung verlange, dass eine - gleichgültig aus welchem Grunde - zu niedrig festgesetzte Abgabe innerhalb der Festsetzungsfrist bis zur richtigen Höhe nacherhoben werden müsse, um die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung herzustellen. Diesem Prinzip stünden die §§ 172 ff. AO von ihrem Sinn und Zweck her nicht unproblematisch, wenn nicht sogar unvereinbar gegenüber. Sie könnten daher im Bereich der Entgeltangaben keine strikte Anwendung finden. So habe das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern bereits entschieden, dass die §§ 172 ff. AO auf Erschließungsbeiträge nicht anwendbar seien. Entsprechendes müsse für Anschlussbeiträge gelten. § 9 Abs. 1 KAG M-V verlange eine Ausschöpfung des Beitragsanspruchs. Jedenfalls habe er sein ihm in der Gesamtschau der Regelungen der §§ 172 ff. AO zustehendes Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Ein hinsichtlich der Beitragshöhe zu niedriger Bescheid sei im Übrigen ein ausschließlich belastender Verwaltungsakt, der keine begünstigenden Elemente aufweise. Eine Begünstigung liege nur vor, soweit sie im Verwaltungsakt ausdrücklich ausgesprochen worden sei, wenn also die Behörde ausnahmsweise und verbindlich zum Ausdruck bringe, dass sie von einer Mehrforderung absehen wolle. Einen solchen Anschein habe er nicht erweckt. Auch das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes stehe einem Nachveranlagungsbescheid nicht entgegen. Der Beitragsschuldner müsse sich im Rahmen einer Interessenabwägung entgegenhalten lassen, dass der Beitrag ein Entgelt für eine Leistung der Gemeinde sei. Er könne nicht erwarten, diese zu Lasten der Allgemeinheit ohne volle Gegenleistung und kostengünstiger als andere zu erhalten. Erst durch die Nacherhebung sei eine "nach den Vorteilen zu bemessende" Veranlagung erfolgt. Der Beklagte verteidigt schließlich die Maßstabsregelungen des §4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 und Buchst. e ABS.

29

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, die Gerichtsakte im Verfahren Az. 1 L 324/06 samt Beiakten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

30

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Änderungsbescheid vom 16. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2004 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

31

Der angefochtene Bescheid findet seine nach § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Gemeinde Seeheilbad Zingst (Abwasserbeitragssatzung - ABS) vom 10. April 2003; der Senat legt dabei in Übereinstimmung mit den Beteiligten und dem Verwaltungsgericht zugrunde, dass die Vorläufersatzungen nicht wirksam gewesen sind (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 09.04.2002 - 1 M 1/02 -, juris; VG Greifswald, Urt. v. 12.01.2005 - 3 A 2331/01 -). Die Satzung ist wirksam (1.) und die konkrete Rechtsanwendung nicht zu beanstanden (2.).

32

1. Die Wirksamkeit der Abwasserbeitragssatzung unterliegt weder unter dem Blickwinkel ihrer ordnungsgemäßen Bekanntmachung (a) noch hinsichtlich ihrer seitens des Klägers angegriffenen Maßstabsregelungen (b) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

33

a) Der Senat stimmt dem Verwaltungsgericht zunächst darin zu, dass die Abwasserbeitragssatzung - jedenfalls zwischenzeitlich - wirksam bekannt gemacht worden sei (§ 130b Satz 2 VwGO). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Bekanntmachung im "Zingster Strandboten" im April 2003 auch mit Blick darauf nicht zu beanstanden ist, dass nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 KV-DVO a.F. das amtliche Bekanntmachungsblatt durch seine Bezeichnung auf seinen amtlichen Charakter und den Träger der öffentlichen Verwaltung, der es herausgibt, hinweisen muss. Denn insoweit sind - ohne dass dies den normunterworfenen Bürger überfordern würde - "Zingster Strandbote" und die konkrete Beilage, in der die Abwasserbeitragssatzung abgedruckt worden ist, im Zusammenhang zu betrachten. Schon die äußere Gestaltung der Beilage mit dem Aufdruck "Gemeinde Seeheilbad Zingst", dem darunter befindlichen Gemeindewappen, das sich - worauf das Verwaltungsgericht hingewiesen hat - auch auf dem "Zingster Strandboten" findet, und der Auflistung der verschiedenen Satzungen, die im Inhalt zu finden sind, lässt keinen Zweifel am amtlichen Charakter des Bekanntmachungsblattes und hinsichtlich des herausgebenden Trägers der öffentlichen Verwaltung zu (vgl. auch das Impressum der Beilage, in dem die Gemeindeverwaltung Zingst als Herausgeber bezeichnet ist). Zudem ist die Bekanntmachung jedenfalls im Februar 2005 wirksam nachgeholt worden. Soweit der Kläger - nachdem er den rechtlichen Gesichtspunkt der Bekanntmachung zunächst zweitinstanzlich nicht mehr thematisiert hatte - in seinem Schriftsatz vom 07. Dezember 2009 vorgetragen hat, er halte daran fest, dass eine Beitragssatzung nur dann ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht werden könne, wenn die Hauptsatzung der Gemeinde in Bezug auf ihre Regelungen über die öffentliche Bekanntmachung von Satzungen selbst ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden sei, handelt es sich lediglich um eine rechtliche Feststellung. Der Kläger trägt damit schon selbst nicht ausdrücklich vor, dass die Bekanntmachung der Hauptsatzung fehlerhaft gewesen sein könnte. Jedenfalls ist dieses Vorbringen dermaßen unspezifiziert, dass der Senat keine Veranlassung gesehen hat, hier gleichsam "ins Blaue" weitere Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen. Schließlich spricht mit Blick auf das vorliegende Exemplar der Hauptsatzung, das als Beilage zum "Zingster Strandboten" im Dezember 2001 erschienen ist, unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen nichts für einen Bekanntmachungsfehler.

34

b) Die in der Abwasserbeitragssatzung enthaltenen, vom Kläger angegriffenen maßstäblichen Regelungen sind wirksam.

35

Soweit der Kläger rügt, die Maßstabsregelung des § 4 Abs. 2 Buchst. e ABS sei mit Blick auf die Bestimmungen, die Grundstücke mit baulicher bzw. möglicher baulicher Nutzung erfassten, widersprüchlich und damit gleichheitswidrig, dringt er damit nicht durch.

36

Nach § 4 Abs. 2 Buchst. e Satz 1 ABS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die im B-Plan eine sonstige Nutzung (z.B. als Sportplatz, Grünfläche, Friedhof) festgesetzt ist oder die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles (§ 34 BauGB) tatsächlich so genutzt werden, die Grundfläche der an die Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung anschließbaren Baulichkeiten geteilt durch die Grundflächenzahl 0,2, höchstens jedoch die tatsächliche Grundstücksgröße. In den nachfolgenden Sätzen schließen sich Regelungen zur Zuordnung der so ermittelten Abgeltungsfläche an.

37

Diese Vorschrift regele - so meint der Kläger - den Fall einer gegenüber einer baulichen oder gewerblichen Nutzung eines Grundstücks "sonstigen" Nutzung, also nur eine solche, die gerade nicht baulich oder gewerblich sei. Es sei daher ein Widerspruch in sich, dass die Regelung für eine sonstige Nutzung in diesem Sinne zur Bestimmung der maßgeblichen Grundstücksfläche gleichwohl an eine anschließbare Baulichkeit und sodann weitergehend gar an ein auf dem Grundstück stehendes Gebäude anknüpfe.

38

Dieses Vorbringen geht fehl. Das Merkmal der "sonstigen" Nutzung will nicht besagen, dass mit der Satzungsregelung nur Grundstücke ohne jede Bebauung/Bebauungsmöglichkeit erfasst werden sollen, sondern will - so das zutreffende Vorbringen des Beklagten - Grundstücke mit bestimmten "sonstigen" (= untergeordneten baulichen) Nutzungen wie Sportplätze durch einen Artabschlag erfassen und begünstigen, ohne dass damit auf den entsprechenden Flächen angeschlossene oder anschließbare Baulichkeiten ausgeschlossen würden. Eine solche Regelung, die den atypisch niedrigen Vorteil solcher Flächen berücksichtigen will, begegnet keinen Bedenken und liegt im ortsgesetzgeberischen Ermessen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 24.03.2004 - 1 L 58/02 -, juris).

39

Auch die Rüge, die Maßstabsregelung des § 4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 ABS stelle als "doppelte" Anwendung der Tiefenbegrenzung eine sachwidrige Privilegierung dar, führt nicht zum Erfolg der Berufung. Gemäß § 4 Abs. 2 Buchst. c ABS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die kein B-Plan besteht und die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen (§34 BauGB), die Gesamtfläche des Grundstücks, höchstens jedoch die Fläche zwischen der Straßengrenze der dem Innenbereich zugewandten Straße und einer im Abstand von siebzig Meter dazu verlaufenden Parallelen (Satz 1). Liegt das Grundstück an mehreren Straßen, so ist die Tiefenbegrenzung von jeder einer Straßenseite zugewandten Grundstücksseite anzusetzen (Satz 2).

40

Der Kläger meint, wegen der in Satz 2 der Regelung aus seiner Sicht vorgesehenen "doppelten" Anwendung der Tiefenbegrenzung wäre ein 140 m tiefes Grundstück, welches beidseits durch eine Straße erschlossen ist, beitragsfrei. Wie der Beklagte zutreffend ausführt, ist jedoch das Gegenteil der Fall, die Gesamtfläche wäre in diesem Fall beitragspflichtig. Die von jeweils einer Straße aus gesehen der Beitragspflicht unterliegende Fläche mit einer Tiefe von siebzig Metern geht der Freistellung derselben Fläche durch die Tiefenbegrenzung ausgehend von der anderen Straße vor.

41

2. Die mit dem streitgegenständlichen Bescheid vorgenommene Beitragsnacherhebung, mit der der Kläger zusätzlich zu dem durch Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 ursprünglich festgesetzten und bezahlten Beitrag von 5.076,36 EUR (9.928,50 DM) nochmals zu einem Betrag 3.656,38 EUR herangezogen wird, ist rechtmäßig.

42

Eine solche Nacherhebung ist unter den vorliegenden Sachverhaltsgegebenheiten, insbesondere der Unwirksamkeit der Vorgängersatzungen, grundsätzlich zulässig und auch in der konkreten Rechtsanwendung ohne Rechtsfehler durchgeführt worden.

43

Der Beklagte ist nach Maßgabe des Kommunalabgabengesetzes M-V und auf der Grundlage der Abwasserbeitragssatzung grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass er einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpft, soweit dies noch nicht durch eine erste Beitragserhebung erfolgt ist. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragerhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des Erstheranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung.

44

Eine Nacherhebung ist zwar weder ausdrücklich Gegenstand der der Beitragserhebung zugrunde liegenden Abwasserbeitragssatzung noch finden sich insoweit Bestimmungen im Kommunalabgabengesetz M-V, die ausdrücklich die Möglichkeit einer Nacherhebung in Fällen der vorliegenden Art vorsehen. Auch ist die Beitragserhebung im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen insoweit nicht bundesrechtlich determiniert und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 103.98 -, juris; Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 102.98 -, juris; Urt. v. 26.01.1996 - 8 C 14.94 -, NVwZ-RR 1996, 465; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; vgl. auch Beschl. v. 19.05.1999 - 8 B 61.99 -, NVwZ 1999, 1218; Beschl. v. 05.03.1997 - 8 B 37.97 -, Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 86; Beschl. v. 12.08.1991 - 8 B 108.91 -; Urt. v. 07.07.1989 - 8 C 86.87 -, BVerwGE 82, 215 - jeweils zitiert nach juris; vgl. auch OVG Greifswald, Beschl. v. 19.11.2007 - 1 L 1/07 -, juris) zur Verpflichtung der Kommunen, einen entstandenen Erschließungsbeitragsanspruch ggfs. auch im Wege der Nacherhebung auszuschöpfen, nicht unmittelbar einschlägig. Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer Nacherhebung ist eine solche des irrevisiblen Landesrechts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 103.98 -, juris; Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 102.98 -, juris).

45

Wie im Erschließungsbeitragsrecht ergibt sich jedoch aus den landesrechtlichen Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes M-V grundsätzlich auch im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen das Recht und die Verpflichtung der beitragserhebenden Körperschaft, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpft, soweit dies etwa auf der Basis einer früheren unwirksamen Satzung noch nicht durch eine erste Beitragserhebung erfolgt ist.

46

Die rechtliche Zulässigkeit der Nacherhebung und die Pflicht zur Ausschöpfung der kommunalen Beitragsanspruchs lässt sich - so zutreffend das Verwaltungsgericht - zunächst grundsätzlich § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V (wie schon der Vorläuferbestimmung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG a. F.) entnehmen.

47

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V sollen zur Deckung des Aufwandes für die Anschaffung und Herstellung der notwendigen öffentlichen Einrichtungen zur leitungsgebundenen Versorgung mit Wasser oder Wärme oder zur leitungsgebundenen Abwasserentsorgung Anschlussbeiträge erhoben werden. Nur in atypischen Situationen kann von dieser "Soll"-Bestimmung abgewichen werden (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris). Beiträge sind dabei Geldleistungen, die dem Ersatz des Aufwandes insbesondere für die Herstellung öffentlicher Einrichtungen dienen (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V). Sie werden nach näheren gesetzlichen Maßgaben als Gegenleistung dafür erhoben, dass den Beitragspflichtigen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme Vorteile geboten werden (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V). Aus diesem Regelungszusammenhang ergibt sich die grundsätzliche Vorstellung des Landesgesetzgebers, dass die Herstellungskosten einer öffentlichen Einrichtung - ggfs. bis zur Höhe eines in rechtmäßiger Ausübung ortsgesetzgeberischen Ermessens festgesetzten bzw. mit der Beitragserhebung zu erzielenden Kostendeckungsgrades - vollständig als Gegenleistung für die Verschaffung der Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Ver- oder Entsorgungseinrichtung durch Beiträge gedeckt werden sollen. Daraus folgt, dass grundsätzlich im Falle einer bei erstmaliger Heranziehung unterbliebenen Ausschöpfung des Beitragsanspruchs für die beitragserhebende Körperschaft die Möglichkeit bestehen muss, eine solche Ausschöpfung - zeitlich limitiert bis zur Grenze der Festsetzungsverjährung - durch eine Nacherhebung zu erreichen. Dies galt erst recht nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V a.F. Diese Vorschrift regelte noch strenger als § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V, dass Beiträge "zu erheben sind".

48

Dieser Annahme steht zunächst - anders als der Kläger meint - nicht der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung entgegen, der insbesondere nach Maßgabe der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern auch im Abgabenrecht des Landes Mecklenburg Vorpommern Geltung beansprucht.

49

Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung besagt zum einen, dass die sachliche Beitragspflicht (abstrakte Beitragsschuld) für dieselbe öffentliche Einrichtung bzw. Teileinrichtung zu Lasten eines Grundstücks nur einmal entsteht. Ist sie entstanden, kann sie nicht nachträglich zu einem anderen Zeitpunkt und in anderer Höhe noch einmal entstehen. Zum anderen schließt der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung das Verbot der Doppelbelastung in dem Sinne ein, dass ein Grundstück für dieselbe öffentliche Einrichtung bzw. Teileinrichtung - hinsichtlich desselben Aufwands - grundsätzlich nur einmal zu einem Beitrag herangezogen werden darf (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris; Beschl. v. 08.07.2004 - 1 M 170/04 -, juris; Beschl. v. 20.11.2003 - 1 M 180/03 -, NordÖR 2004, 262; OVG Berlin/Brandenburg, Urt. v. 06.06.2007 - 9 A 77.05 -, LKV 2008, 377; OVG Weimar, Beschl. v. 03.05.2007 - 4 EO 101/07 -, juris; VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -; VGH Mannheim, Beschl. v. 05.11.1992 - 2 S 152/90 -; Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -; Beschl. v. 19.07.1990 - 2 S 412/90 -: jeweils juris; VG Potsdam, Urt. v. 18.09.2008 - 9 K 1128/05 -, juris; VG Bayreuth, Urt. v. 07.07.2004 - B 4 K 04.578 -, juris; vgl. auch VGH Kassel, Beschl. v. 12.04.2005 - 5 TG 116/05 -, NVwZ-RR 2006, 143 - zitiert nach juris). Die Einmaligkeit der Leistung des Kanalanschlussbeitrags folgt aus dem Wesen des Beitrags, der an einen bestimmten Zustand ("Möglichkeit der Inanspruchnahme") anknüpft und der den bei Verwirklichung des Zustands gebotenen wirtschaftlichen Vorteil insgesamt abgelten soll. Der Grundstückseigentümer erbringt die "Gegenleistung" für den ihm durch die Anschlussmöglichkeit gebotenen wirtschaftlichen Vorteil, der der Natur der Sache nach mit der Anschlussmöglichkeit entsteht und auch in der Zukunft in der Regel nicht verändert wird. Die Einmaligkeit der Beitragserhebung ist auch Folge des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Vertrauensschutzgedankens (vgl. VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -, juris; vgl. zum Ganzen OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris).

50

Nach Maßgabe von § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V (vgl. auch § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. und die dazu ergangenen Rspr. des OVG Greifswald, etwa Beschl. v. 21.07.2006 - 1 M 60/06 -, juris) entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Mit dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung geht das Landesrecht davon aus, dass der beitragsrelevante Vorteil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bereits vollständig ausgebildet ist und die Erhebung des Beitrags in voller Höhe rechtfertigt. Auch die Höhe des Beitrags, mit dem das bevorteilte Grundstück zu den Herstellungskosten herangezogen wird, steht auf der Grundlage der - wirksamen - Beitragssatzung zu diesem Zeitpunkt endgültig fest. Der Beitrag ruht - in Höhe der sachlichen Beitragspflicht - als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 6 KAG M-V). Daraus folgt, dass - vorbehaltlich der Regelung des § 9 Abs. 7 KAG M-V - jedenfalls Nacherhebungstatbestände in einer Beitragssatzung, die eine zusätzliche Beitragspflicht für dasselbe Grundstück daran knüpfen, dass sich nach dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht - was eine rechtswirksame Satzung voraussetzt - die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse auf dem Grundstück verändert haben, grundsätzlich unzulässig sind (vgl. ebenso zur Rechtslage in Thüringen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, LKV 2009, 35 - zitiert nach juris).

51

Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung bedeutet danach zusammengefasst, dass die sachliche Beitragspflicht nur einmal und endgültig in der Höhe des nach Maßgabe der wirksamen Satzung abzugeltenden Vorteils entsteht und dass der entsprechende Aufwand durch einen einmaligen Beitrag in dieser Höhe gedeckt wird. Daraus kann aber noch nicht geschlossen werden, dass ein ergangener Beitragsbescheid in keinem Fall durch einen weiteren Bescheid ergänzt oder ersetzt werden dürfte. Dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung entspricht keineswegs ein ebenso strikter - so plastisch das Thüringische OVG - Grundsatz der Einmaligkeit des Beitragsbescheids. Der Umstand, dass erst der Beitragsbescheid das Beitragsschuldverhältnis für den Beitragsschuldner konkretisiert (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V) und mit der Festsetzung des Beitrags die Grundlage für die Zahlungsaufforderung in bestimmter Höhe schafft, vermag nicht zu begründen, dass die Einmaligkeit und Endgültigkeit, die für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht gilt, auch für den Beitragsbescheid gelten solle (vgl. zum Ganzen ebenso OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat für das Erschließungsbeitragsrecht - insoweit auf das Anschlussbeitragsrecht übertragbar - angenommen, dass sich die Rechtswidrigkeit eines Nacherhebungsbescheids nicht mit einem aus dem materiellen Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragspflicht herzuleitenden Verbot einer Doppelveranlagung begründen lasse, da jedenfalls sicher sei, dass sich ein solches Verbot allenfalls auf eine zweite Veranlagung zu ein und demselben Beitragsbetrag beziehen könnte, nicht aber auf eine Nacherhebung im hier in Rede stehenden Sinne, die lediglich einen noch nicht ausgeschöpften bzw. nicht bescheidmäßig festgesetzten Teil des Beitragsanspruchs einfordert (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - zitiert nach juris).

52

Somit ist die Frage, ob und inwieweit der Beitragsschuldner sich auf die Endgültigkeit eines ihm gegenüber ergangenen Beitragsbescheides verlassen darf, nicht schon mit dem Hinweis auf den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung beantwortet. Denn dieser Grundsatz lässt das Recht und die Pflicht des Einrichtungsträgers zur vollständigen Erhebung des Beitrags in Höhe der - wirksam - entstandenen sachlichen Beitragspflicht unberührt. Wenn der Einrichtungsträger in einem ersten Beitragsbescheid den Beitrag - wie hier - etwa auf der Basis einer im Nachhinein als unwirksam erkannten Beitragssatzung fehlerhaft in einer Höhe festgesetzt hat, die die später tatsächlich entstandene sachliche Beitragspflicht der Höhe nach nicht ausschöpft, hat er grundsätzlich das Recht und darüber hinaus eine Pflicht zur Nachforderung (vgl. auch OVG Magdeburg, Beschl. v. 16.11.2006 - 4 L 191/06 -, LKV 2008, 139; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: Juli 2009, § 8 Rn 26 ff.). Nur wenn der Beitragsbescheid die sachliche Beitragspflicht bereits voll ausgeschöpft hat, steht der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung und das daraus folgende Verbot der Doppelbelastung im Ergebnis auch jedem weiteren Nachforderungsbescheid oder einer Ersetzung durch einen Bescheid mit höherer Beitragsforderung für die gleiche Maßnahme entgegen. Wenn der Erstbescheid dagegen die - einmalig und endgültig entstandene - sachliche Beitragspflicht in der Höhe noch nicht ausgeschöpft hat, führt dieser Erstbescheid regelmäßig auch nicht zur Beendigung des Beitragsschuldverhältnisses. Denn das Beitragsschuldverhältnis entsteht entsprechend § 38 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V mit der Verwirklichung des Beitragstatbestandes und erlischt nicht mit einer bestandskräftigen Beitragsfestsetzung, sondern entsprechend § 47 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V insbesondere durch Zahlung, Aufrechnung, Erlass oder Verjährung (vgl. zum Ganzen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.).

53

Die streitgegenständliche Nacherhebung wird auch nicht mit Blick auf eine Bestandskraft des Anschlussbeitragsbescheids vom 28. Juni 1995 ausgeschlossen. Die Frage, ob der Eintritt der Bestandskraft des Anschlussbeitragsbescheids vom 28. Juni 1995 das durch das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht begründete Beitragsschuldverhältnis zwischen dem Beklagten und dem Kläger beendet hat, ist nach dem einschlägigen materiellen Recht zu beantworten (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - zitiert nach juris; VGH München, Beschl. v. 23.04.2009 - 22 ZB 07.819 -, juris), hier also nach den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes. Diesen liegt - wie ausgeführt - die Vorstellung zugrunde, dass die der Abgaben erhebenden Körperschaft zustehenden Beitragsansprüche grundsätzlich in vollem Umfang bzw. dem Betrag nach voll auszuschöpfen sind.

54

Das landesrechtliche Gebot der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs schließt nicht nur die Auffassung aus, die Bestandskraft eines den entstandenen Beitragsanspruch nicht voll ausschöpfenden Heranziehungsbescheids könne zur Beendigung eines Beitragsschuldverhältnisses führen, sondern zwingt überdies zu der Annahme, dass ein solches Schuldverhältnis unabhängig vom Erlass eines Heranziehungsbescheids und dessen Bestandskraft erst in dem Zeitpunkt endet, in dem - aus welchen Gründen immer - der Beitragsanspruch selbst erlischt. Diese Betrachtungsweise liegt auch der vom Gesetzgeber in § 7 Abs. 6 KAG M-V (§ 8 Abs. 11 KAG a.F.) getroffenen Regelung zur dinglichen Sicherung des Beitragsanspruchs durch das Institut der öffentlichen Last zugrunde. Die dingliche Sicherung einer Beitragsforderung beginnt mit ihrem Entstehen, d.h. mit dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, und sie endet unabhängig vom Erlass eines Heranziehungsbescheids und dem Eintritt von dessen Bestandskraft erst mit dem Erlöschen der sachlichen Beitragspflicht (vgl. zum Ganzen entsprechend zum Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - jeweils zitiert nach juris). § 7 Abs. 6 KAG M-V geht damit ebenfalls von der Pflicht zur Ausschöpfung des Beitragsanspruchs aus: Es erschiene widersinnig, auf der einen Seite eine öffentliche Last im vollen Umfang der sachlich entstandenen Beitragspflicht anzunehmen, auf der anderen Seite aber der Abgaben erhebenden Körperschaft im Falle einer erstmalig zu niedrigen Beitragsfestsetzung im hier erörterten Sinne zu verwehren, den Beitragsanspruch in entsprechender Höhe zu realisieren. Wollte man diesen Standpunkt einnehmen, hätte dies zur Folge, dass die öffentliche Last zwar fortbestünde, soweit der Beitragsanspruch nicht befriedigt oder anderweitig erloschen ist, für die Behörde jedoch keinerlei Möglichkeit mehr bestünde, den durch die öffentliche Last auch insoweit gesicherten Beitragsanspruch durchzusetzen.

55

Vor diesem Hintergrund enthält die Beitragsfestsetzung in bestimmter Höhe regelmäßig auch keine - begünstigende - verbindliche Regelung dahingehend, dass eine spätere Nacherhebung ausgeschlossen sein soll. Ein Beitragsbescheid ist nach seinem Tenor grundsätzlich ausschließlich belastender Verwaltungsakt und enthält keine begünstigende Regelung des Inhalts, "mehr" werde von dem jeweiligen Beitragsschuldner nicht verlangt (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; vgl. auch Beschl. v. 19.05.1999 - 8 B 61.99 -, NVwZ 1999, 1218 - jeweils zitiert nach juris). Wenn der Regelungsgehalt des Erstbescheids somit in der Regel nicht einer späteren vollständigen Ausschöpfung der entstandenen Beitragspflicht entgegensteht, bedarf es auch nicht zwingend einer Aufhebung des Erstbescheids. Vielmehr kann ein neuer Bescheid den Erstbescheid ergänzen und den Differenzbetrag zwischen ursprünglicher Festsetzung und tatsächlich entstandener Beitragspflicht festsetzen. Lediglich klarstellende Bedeutung hätte dann eine Mitteilung der mit beiden Bescheiden insgesamt festgesetzten Beitragshöhe (vgl. zum Ganzen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.). Diesen grundsätzlichen Erwägungen entsprechend enthält der Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 keine verbindliche Regelung dahingehend, dass eine spätere Nacherhebung ausgeschlossen sein soll.

56

Auch das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 und 28 GG) verankerte Gebot des Vertrauensschutzes rechtfertigt nicht die Annahme, mit Rücksicht auf den bestandskräftig gewordenen Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 sei der angefochtene Änderungs- bzw. Nacherhebungsbescheid wegen eines Verstoßes gegen dieses Gebot rechtswidrig. Zwar ist ein Bescheid, mit dem ein entstandener Beitragsanspruch nicht voll ausgeschöpft, d.h. mit dem ein zu niedriger Beitrag verlangt wird, ein nach seinem Tenor ausschließlich belastender Verwaltungsakt. Auch ein solcher Bescheid kann allerdings ein geeigneter Gegenstand für ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen sein. Ein solches Vertrauen setzt jedoch außer einer adäquaten Vertrauensbetätigung des Betroffenen und der Schutzwürdigkeit dieser Vertrauensbetätigung voraus, dass im Zuge der bei Vorliegen dieser Voraussetzungen gebotenen Abwägung die Interessen des Betroffenen die der Allgemeinheit überwiegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163 - zitiert nach juris). An alledem fehlt es hier. Insoweit kann auf die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum öffentlichen Interesse an der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs verwiesen werden. Da sich die Abwasserbeitragssatzung vom 10. April 2003 ausweislich ihres § 10 keine Rückwirkung beigemessen hat und sie dies auch nicht musste, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorliegend der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist - insoweit kommt es auf das materielle Recht an, hier § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bzw. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. mit der Regelung zur sachlichen Beitragspflicht -, stellen sich keine weiteren Fragen im Zusammenhang mit dem früher in § 2 Abs. 5 Satz 4 KAG a.F. normierten einfachgesetzlichen Schlechterstellungsverbot.

57

Schließlich ergibt sich auch aus der in § 12 Abs. 1 KAG M-V enthaltenen Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung nicht, dass eine Nacherhebung allgemein oder im konkreten Fall des Klägers nicht in Betracht käme. Gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V sind auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung in der jeweiligen Fassung entsprechend anzuwenden, soweit nicht dieses Gesetz oder andere Gesetze besondere Vorschriften enthalten.

58

Die Vorschriften der Abgabenordnung, die vorliegend von Bedeutung sein könnten, finden sich vor allem in den Bestimmungen der §§ 172 ff. AO, die eine erhöhte Bestandskraft von Steuerbescheiden zum Gegenstand haben, indem sie die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden einschränkenden Voraussetzungen unterwerfen. Der Verweis des § 12 Abs. 1 KAG M-V führt zu der Frage, ob auch Anschlussbeitragsbescheiden eine dermaßen erhöhte Bestandskraft innewohnt. Diese Frage ist nach Auffassung des Senats zu verneinen.

59

Nach Maßgabe des Vorstehenden greift hinsichtlich der Nacherhebung von Anschlussbeiträgen bereits der Vorbehalt der "besonderen Vorschriften nach diesem Gesetz" gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V: Wie ausgeführt enthält dieses Gesetz im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen das "besondere" Gebot der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs, das keinen einschränkenden Voraussetzungen unterliegt. Die Anwendung der §§ 172 ff. AO würde in zahlreichen Fällen dazu führen, dass die Ausschöpfung des Anschlussbeitragsanspruchs nicht möglich wäre, und infolgedessen dem entsprechenden gesetzlichen Ziel zuwider laufen. Damit ist bereits grundsätzlich eine entsprechende Anwendung der §§ 172 ff. AO im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen ausgeschlossen, soweit sie einer Ausschöpfung des Beitragsanspruchs entgegensteht; eine solche Anwendung im Bereich andersartiger Abgaben bleibt davon unberührt. Dabei kann dahin stehen, ob dem Kläger darin gefolgt werden kann, wenn er vorträgt, die Erhebung von Steuern durch die Kommunen mache im Vergleich mit dem Aufkommen aus Gebühren und Beiträgen nur einen geringen Teil der kommunalen Abgaben aus. Denn jedenfalls bliebe für die Verweisung des § 12 Abs. 1 KAG M-V auf die Abgabenordnung hinsichtlich der Erhebung kommunaler Steuern grundsätzlich insbesondere auch ein Anwendungsbereich für die §§ 172 ff. AO.

60

Darüber hinaus folgt der Senat dem Wortlautargument des Verwaltungsgerichts, demzufolge die Ausschöpfung des Beitragsanspruchs den früheren Beitragsbescheid nicht "ändern" oder "aufheben" (vgl. § 172 AO), sondern ergänzen will. Auch vorliegend soll der zwar hinsichtlich seiner Begründung fehlerhafte, aber bezüglich des festgesetzten Betrages zu niedrige und damit jedenfalls - weil nicht belastend - der Höhe nach nicht zu beanstandende Erstheranziehungsbescheid unverändert bleiben. Nach dem Inhalt von Nachveranlagungsbescheid und streitgegenständlichem Änderungsbescheid ist auch vorliegend nicht ersichtlich, dass der bestandskräftige Bescheid vom 28. Juni 1995 geändert oder aufgehoben werden sollte.

61

Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen "passen" die §§ 172 ff. AO in ihrem ausdifferenzierten Regelungsgehalt und ihrem Wortlaut nach jedenfalls für die Nacherhebung von Anschlussbeiträgen im hier in Rede stehenden Sinne offensichtlich nicht ohne weiteres. Dies gilt umso mehr, als die Fälle der vorliegenden Art dadurch geprägt sind, dass die Erstheranziehung deshalb zu niedrig ausgefallen ist, weil ihr eine fehlerhafte bzw. im Nachhinein als unwirksam erkannte Satzung bzw. Rechtsgrundlage zugrundelag und die sachliche Beitragspflicht in der "richtigen" Höhe gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit der ersten wirksamen Satzung entstanden ist. Diese Situation und Rechtslage sowie die daraus resultierende Interessenlage haben die §§ 172 ff. AO erkennbar nicht vor Augen; zudem hat das Verwaltungsgericht zutreffend auf das dem Beitragsrecht im Unterschied zur Steuererhebung zugrunde liegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung verwiesen, das ebenfalls die unterschiedliche Interessenlage in den beiden Gebieten der Abgabenerhebung erhellt. Da es nach Auffassung des Senats an hinreichend schlüssigen rechtlichen Konstruktionen zu einer Transformation des Regelungssystems der §§ 172 ff. AO für die Beitragsnacherhebung im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen fehlt, spricht auch dies grundsätzlich gegen eine Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO in diesem Bereich.

62

Insoweit führt auch der Hinweis des Klägers auf § 164 AO (i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V) und die mit dieser Vorschrift eröffnete Möglichkeit, einen Steuerbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung stellen zu können, nicht weiter. Dieses Vorbringen lässt bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO unberücksichtigt. Steuern können nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass es einer Begründung bedarf. Ein Anschlussbeitragsbescheid ergeht jedoch grundsätzlich nach abschließender Prüfung des Abgabenfalles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, so dass die einzige Voraussetzung für die Beifügung eines Vorbehalts regelmäßig nicht erfüllt ist. Die Abgaben erhebende Behörde darf nicht trotz abschließender Prüfung eine Vorbehaltsfestsetzung vornehmen, nur um den Abgabenfall offen zu halten (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 164 Rn. 13). § 164 AO dient der Beschleunigung des Veranlagungsverfahrens. Der Vorbehalt ermöglicht im Interesse des Fiskus eine rasche Steuererhebung ohne Notwendigkeit zur sofortigen und abschließenden Prüfung, andererseits wird der Steuerfall im Interesse sowohl des Staates als auch des Steuerpflichtigen offen gehalten (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 164 Rn. 1). Diese Vorschrift ist jedoch nicht dafür gedacht, eine Beitragserhebung generell wegen des bloßen Verdachts oder der theoretischen Möglichkeit, die als Rechtsgrundlage herangezogene Satzung könnte unwirksam sein, einem Nachprüfungsvorbehalt zu unterwerfen. Eine solche Möglichkeit eröffnet auch § 165 AO im Übrigen in der Regel nicht, da die vorläufige Festsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ungewisse Tatsachen voraussetzt und die steuerrechtliche Würdigung von Tatsachen selbst hiervon nicht erfasst wird. Diese rechtfertigt vielmehr nur unter den Voraussetzungen des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO eine vorläufige Festsetzung, die jedoch im Bereich der kommunalen Beitragserhebung regelmäßig nicht vorliegen werden.

63

Im Sinne der vorstehenden Erwägungen hat der Senat in seinem Beschluss vom 19. November 2007 - 1 L 1/07 - (juris) ausgeführt, der Gesetzgeber in M-V habe keine "vorbehaltlose Anordnung der entsprechenden Anwendung der AO" getroffen. Zum einen liege schon in dem Begriff der "entsprechenden" Anwendung eine Einschränkung; diese erfordere bei jeder Einzelnorm der Abgabenordnung die Prüfung ihrer Zielsetzung und der Vergleichbarkeit der Anwendungsbereiche (siehe auch Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 12 Anm. 1.2). Daher könne allein aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern im Unterschied zu einigen anderen Bundesländern nicht bestimmte Regelungen der Abgabenordnung ausdrücklich für unanwendbar erklärt hat, nicht umgekehrt geschlossen werden, sie seien grundsätzlich anwendbar.

64

Der Senat hat zudem bereits in seinem Beschluss vom 28. November 2005 - 1 M 140/05 - (juris) darauf hingewiesen, dass klärungsbedürftig sei, wie die "entsprechend" anzuwendenden Vorschriften der §§ 172 und 173 AO ihrem Sinn und Zweck nach vom bundesrechtlichen Steuerrecht auf das Kommunale Abgabenrecht (und hier speziell auf das Beitragsrecht) zu übertragen sein können. Insbesondere § 172 Abs. 1 AO sei erkennbar auf bundesrechtliche Steuern zugeschnitten. Eine Unterscheidung zwischen Verbrauchssteuern (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 AO) und anderen Steuern (§ 172 Abs. 1 Nr. 2 AO) sei dem kommunalen Abgabenrecht fremd. Daher seien auch die einzelnen, gleichfalls speziell auf das bundesrechtliche Steuerrecht zugeschnittenen Tatbestände des § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht ohne Weiteres auf das Kommunale Abgabenrecht "1 zu 1" zu übertragen. Der Senat hat deshalb dort in Erwägung gezogen, aus einer Gesamtschau der Regelungen des § 172 Abs. 1 AO im Bereich des Kommunalen Abgabenrechts eine im Ermessen der Abgaben erhebenden Behörde stehende Kompetenz zu bejahen, Abgabenbescheide zu ändern, ebenso wie dies bundesrechtlich für die Verbrauchssteuern geregelt ist. Nimmt man die Regelung des § 173 Abs. 1 AO hinzu, die eine Aufhebungs- oder Änderungspflicht normiert, spräche auch einiges dafür, den Sachverhalt der zunächst unerkannt fehlerhaften Rechtsgrundlage, der zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung geführt hat, "entsprechend" (§ 12 Abs. 1 KAG M-V) dem nachträglichen Bekanntwerden neuer Tatsachen gleichzustellen, die zu höheren Steuern führen. Bei - unabhängig von den obigen Ausführungen - unterstellter Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO wäre nach Auffassung des Senats mit Blick auf die erörterte Ausschöpfungspflicht und die "Regelungspole" der §§ 172 und 173 AO aufgrund der durch § 12 Abs. 1 KAG M-V angeordneten "entsprechenden" Anwendung der §§ 172 ff. AO jedenfalls von einer Regelverpflichtung zur Nacherhebung im Sinne einer "Soll"-Bestimmung auszugehen. Dafür spricht auch nachhaltig der schon angesprochene Aspekt, dass der Beitragsanspruch mit Entstehung der sachlichen Beitragspflicht in der zu diesem Zeitpunkt in Anwendung einer wirksamen Satzung errechneten Höhe als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht. Es wäre - wie gesagt - nicht folgerichtig sondern widersprüchlich, würde man einerseits eine öffentliche Last in entsprechender Höhe annehmen, der beitragserhebenden Kommune andererseits aber unter Rückgriff auf die §§ 172 ff. AO die Geltendmachung des Beitragsanspruchs in dieser Höhe erschweren oder gar verwehren. Bejahte man eine grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO mit einem Regelungsgehalt in diesem Sinne, gelangte man folglich regelmäßig und auch vorliegend nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung der Zulässigkeit der Nacherhebung.

65

Schließlich kann für die Annahme der grundsätzlichen Ausschöpfungspflicht im Anschlussbeitragsrecht nach Maßgabe des Landesrechts die Erwägung angeführt werden, dass dem Gesetzgeber die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Nacherhebungs- und Ausschöpfungspflicht im Erschließungsbeitragsrecht bekannt war.

66

Angesichts der insoweit für den Bereich etwa des Anschlussbeitragsrechts geringen Regelungsdichte des § 12 Abs. 1 KAG M-V und der erläuterten, nicht von der Hand zu weisenden Auslegungsschwierigkeiten bei einer "entsprechenden" Anwendung der §§ 172 ff. AO erscheint die Annahme ausgeschlossen, der Gesetzgeber habe für das Anschlussbeitragsrecht gegenüber dem Erschließungsrecht bewusst Abweichendes regeln wollen. Dies gilt erst recht, nimmt man die insoweit identische Interessenlage in den Blick: Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht - was in vollem Umfang auch für den Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen gilt - ausgeführt, ein Kläger müsse sich im Rahmen einer Interessenabwägung jedenfalls durchgreifend entgegenhalten lassen, dass der Einrichtungsträger seine Leistung u.a. auch zugunsten des Klägers erbracht habe und dass er und die hinter ihm stehende Allgemeinheit die volle dafür nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung fordern können, und zwar nicht nur im Interesse des Haushalts des Einrichtungsträgers, sondern auch im Interesse der Beitragsgerechtigkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163 - zitiert nach juris). Demgegenüber tritt der vom Kläger angeführte Umstand, dass dem Gesetzgeber im Hinblick auf Kommentierungen zum Kommunalabgabengesetz a. F. die Konsequenzen für eine Nacherhebung bekannt gewesen sein müssten, wenn er die Anwendung der §§ 172 ff. AO nicht im Zuge der Novellierung des KAG ausschließe, zurück.

67

Die Rechtsanwendung des Beklagten im Übrigen führt nicht zum Erfolg der Berufung. Soweit die Reduzierung des Nacherhebungsbetrages durch den Widerspruchsbescheid mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen rechtlichen Bedenken unterliegt, wäre der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit der Widerspruchsbescheid in seinem Tenor zu Ziffer 1. einen Betrag von 3.656,80 EUR statt wie in der Begründung zutreffend errechnet von 3.656,38 EUR angibt, handelt es sich offensichtlich um ein Versehen. Der Tenor ist entsprechend korrigierend auszulegen.

68

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

69

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Tenor

Artikel 17 Absatz 1 des Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz - DNeuG) vom 5. Februar 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 160) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

A.

1

Das Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob die durch Art. 17 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz - DNeuG) vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160) angeordnete rückwirkende Änderung von § 14a Abs. 1 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter des Bundes (Beamtenversorgungsgesetz -BeamtVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322, 847, 2033), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 29. Juli 2008 (BGBl I S. 1582), mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

I.

2

1. § 14a BeamtVG greift die besondere Versorgungslage auf, in der sich bestimmte Beamte befinden, die neben ihrem beamtenrechtlichen Versorgungsanspruch aus einer früheren Tätigkeit einen Anspruch auf Rente aus einer gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben. Altersrente können diese Beamten in der Regel erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze beziehen. Treten sie vorher in den Ruhestand - etwa wegen Dienstunfähigkeit oder aufgrund einer besonderen Altersgrenze -, sind sie zunächst ausschließlich auf ihre beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge angewiesen, da sie die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllen (vgl. § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Das kann sich für diese Beamten nachteilig auswirken, wenn durch eine späte Übernahme in das Beamtenverhältnis und den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand nur wenige Dienstjahre für die Berechnung der Versorgungsbezüge berücksichtigt werden können. § 14a BeamtVG wirkt dieser "Versorgungslücke" bei sogenannten gemischten Erwerbskarrieren durch eine vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes bis zum Beginn des Rentenbezugs entgegen (vgl. BTDrucks 10/4225, S. 21; BVerwGE 111, 93 <96 f.>).

3

2. a) § 14a BeamtVG lautete in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322, 847, 2033), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 29. Juli 2008 (BGBl I S. 1582; im Folgenden: § 14a BeamtVG a.F.):

4

§ 14a BeamtVG a.F.

5

(1) Der nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz erhöht sich vorübergehend, wenn der Beamte vor der Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres in den Ruhestand getreten ist und er

6

1. bis zum Beginn des Ruhestandes die Wartezeit von sechzig Kalendermonaten für eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt hat,

7

2. a) wegen Dienstunfähigkeit im Sinne des § 42 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes oder entsprechenden Landesrechts in den Ruhestand versetzt worden ist oder

8

b) wegen Erreichens einer besonderen Altersgrenze in den Ruhestand getreten ist und das sechzigste Lebensjahr vollendet hat,

9

3. einen Ruhegehaltssatz von 66,97 vom Hundert noch nicht erreicht hat und

10

4. keine Einkünfte im Sinne des § 53 Abs. 7 bezieht. Die Einkünfte bleiben außer Betracht, soweit sie durchschnittlich im Monat 325 Euro nicht überschreiten.

11

(2) Die Erhöhung des Ruhegehalts beträgt 0,95667 vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge für je zwölf Kalendermonate der für die Erfüllung der Wartezeit (Absatz 1 Nr. 1) anrechnungsfähigen Pflichtbeitragszeiten, soweit sie nicht von § 50e Abs. 1 erfasst werden, nach Vollendung des 17. Lebensjahres und vor Begründung des Beamtenverhältnisses zurückgelegt wurden und nicht als ruhegehaltfähig berücksichtigt sind. Der hiernach berechnete Ruhegehaltssatz darf 66,97 vom Hundert nicht überschreiten. In den Fällen des § 14 Abs. 3 ist das Ruhegehalt, das sich nach Anwendung der Sätze 1 und 2 ergibt, entsprechend zu vermindern. Für die Berechnung nach Satz 1 sind verbleibende Kalendermonate unter Benutzung des Nenners 12 umzurechnen; § 14 Abs. 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

12

(3) Die Erhöhung fällt spätestens mit Ablauf des Monats weg, in dem der Ruhestandsbeamte das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet. Sie endet vorher, wenn der Ruhestandsbeamte

13

1. eine Versichertenrente der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, mit Ablauf des Tages vor dem Beginn der Rente, oder

14

2. in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 Buchstabe a nicht mehr dienstunfähig ist, mit Ablauf des Monats, in dem ihm der Wegfall der Erhöhung mitgeteilt wird, oder

15

3. ein Erwerbseinkommen bezieht, mit Ablauf des Tages vor dem Beginn der Erwerbstätigkeit.

16

§ 35 Abs. 3 Satz 2 gilt sinngemäß.

17

(4) Die Erhöhung des Ruhegehaltssatzes wird auf Antrag vorgenommen. Anträge, die innerhalb von drei Monaten nach Eintritt des Beamten in den Ruhestand gestellt werden, gelten als zum Zeitpunkt des Ruhestandseintritts gestellt. Wird der Antrag zu einem späteren Zeitpunkt gestellt, so tritt die Erhöhung vom Beginn des Antragsmonats an ein.

18

b) Die zur Ausfüllung der Formulierung "nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz" in § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. heranzuziehende Regelung des § 14 BeamtVG lautet in der maßgeblichen Fassung durch das Versorgungsänderungsgesetz 2001 vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3926):

19

§ 14 BeamtVG

20

(1) Das Ruhegehalt beträgt für jedes Jahr ruhegehaltfähiger Dienstzeit 1,79375 vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge (§ 5), insgesamt jedoch höchstens 71,75 vom Hundert. Der Ruhegehaltssatz ist auf zwei Dezimalstellen auszurechnen. Dabei ist die zweite Dezimalstelle um eins zu erhöhen, wenn in der dritten Stelle eine der Ziffern fünf bis neun verbleiben würde. Zur Ermittlung der gesamten ruhegehaltfähigen Dienstjahre sind etwa anfallende Tage unter Benutzung des Nenners dreihundertfünfundsechzig umzurechnen; die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.

21

(2) (weggefallen)

22

(3) Das Ruhegehalt vermindert sich um 3,6 vom Hundert für jedes Jahr, um das der Beamte

23

  1. vor Ablauf des Monats, in dem er das 63. Lebensjahr vollendet, nach § 42 Abs. 4 Nr. 1 des Bundesbeamtengesetzes oder entsprechendem Landesrecht in den Ruhestand versetzt wird,

24

  2. vor Ablauf des Monats, in dem er die für ihn geltende gesetzliche Altersgrenze erreicht, nach § 42 Abs. 4 Nr. 2 des Bundesbeamtengesetzes oder entsprechendem Landesrecht in den Ruhestand versetzt wird,

25

  3. vor Ablauf des Monats, in dem er das 63. Lebensjahr vollendet, wegen Dienstunfähigkeit, die nicht auf einem Dienstunfall beruht, in den Ruhestand versetzt wird;

26

die Minderung des Ruhegehalts darf 10,8 vom Hundert nicht übersteigen. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. Gilt für den Beamten eine vor der Vollendung des 63. Lebensjahres liegende Altersgrenze, tritt sie in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 und 3 an die Stelle des 63. Lebensjahres. Gilt für den Beamten eine nach Vollendung des 65. Lebensjahres liegende Altersgrenze, wird in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 nur die Zeit bis zum Ablauf des Monats berücksichtigt, in dem der Beamte das 65. Lebensjahr vollendet.

27

(4) Das Ruhegehalt beträgt mindestens fünfunddreißig vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge (§ 5). An die Stelle des Ruhegehalts nach Satz 1 treten, wenn dies günstiger ist, fünfundsechzig vom Hundert der jeweils ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe A 4. Die Mindestversorgung nach Satz 2 erhöht sich um sechzig Deutsche Mark für den Ruhestandsbeamten und die Witwe; der Erhöhungsbetrag bleibt bei einer Kürzung nach § 25 außer Betracht. Bleibt ein Beamter allein wegen langer Freistellungszeiten (§ 5 Abs. 1 Satz 2) mit seinem erdienten Ruhegehalt hinter der Mindestversorgung nach Satz 1 oder 2 zurück, wird nur das erdiente Ruhegehalt gezahlt; dies gilt nicht, wenn ein Beamter wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand getreten ist.

28

(5) Übersteigt beim Zusammentreffen von Mindestversorgung nach Absatz 4 mit einer Rente nach Anwendung des § 55 die Versorgung das nach Absatz 1 erdiente Ruhegehalt, so ruht die Versorgung bis zur Höhe des Unterschieds zwischen dem erdienten Ruhegehalt und der Mindestversorgung; in den von § 85 erfassten Fällen gilt das nach dieser Vorschrift maßgebliche Ruhegehalt als erdient. Der Erhöhungsbetrag nach Absatz 4 Satz 3 sowie der Unterschiedsbetrag nach § 50 Abs. 1 bleiben bei der Berechnung außer Betracht. Die Summe aus Versorgung und Rente darf nicht hinter dem Betrag der Mindestversorgung zuzüglich des Unterschiedsbetrages nach § 50 Abs. 1 zurückbleiben. Zahlbar bleibt mindestens das erdiente Ruhegehalt zuzüglich des Unterschiedsbetrages nach § 50 Abs. 1. Die Sätze 1 bis 4 gelten entsprechend für Witwen und Waisen.

29

(6) Bei einem in den einstweiligen Ruhestand versetzten Beamten beträgt das Ruhegehalt für die Dauer der Zeit, die der Beamte das Amt, aus dem er in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist, innehatte, mindestens für die Dauer von sechs Monaten, längstens für die Dauer von drei Jahren, 71,75 vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe, in der sich der Beamte zur Zeit seiner Versetzung in den jeweiligen Ruhestand befunden hat. Das erhöhte Ruhegehalt darf die Dienstbezüge, die dem Beamten in diesem Zeitpunkt zustanden, nicht übersteigen; das nach sonstigen Vorschriften ermittelte Ruhegehalt darf nicht unterschritten werden.

30

3. a) § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. wurde von der Verwaltung in Übereinstimmung mit verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung und einem Teil des Schrifttums zunächst dahingehend ausgelegt, dass der "nach sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz" nur ein auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechneter ("erdienter") Ruhegehaltssatz sein könne, insbesondere der nach § 14 Abs. 1 BeamtVG berechnete Ruhegehaltssatz. Kein Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. seien dagegen das "amtsbezogene" Mindestruhegehalt gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG und das "amtsunabhängige" Mindestruhegehalt gemäß § 14 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG, weil beide - ohne Bezug zur tatsächlich ruhegehaltfähigen Dienstzeit - abstrakt gesetzlich vorgegeben und deshalb nicht "berechnet" seien (vgl. Anwendungserlass des Bundesministeriums des Innern vom 10. Juni 1994 - D III 4-223 100/28 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 11. Mai 2004 - 5 LC 4/03 -, juris, Rn. 25 ff. m.w.N.; VG Berlin, Urteil vom 2. März 2004 - 7 A 207.02 -, juris, Rn. 16; Schachel in: Schütz, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 14a BeamtVG Rn. 11 ; a. A. Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, § 14a BeamtVG Rn. 13 ).

31

b) Das Bundesverwaltungsgericht kam im Urteil vom 23. Juni 2005 (BVerwGE 124, 19 ff.) hingegen zu dem Ergebnis, dass es sich auch bei dem Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG um einen "berechneten" Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. handele. Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck des § 14a BeamtVG a.F. sprächen dafür, dass der individuell ermittelte und festgesetzte Ruhegehaltssatz stets "berechnet" sei, auch wenn er sich auf der Basis der Vomhundertsätze des § 14 Abs. 4 BeamtVG ergebe (vgl. BVerwGE 124, 19 <20 ff.>).

32

c) Die Verwaltung betrachtete dieses Urteil, wenn auch nicht einhellig (vgl. für das Landesverwaltungsamt Berlin OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. November 2011 - 4 B 72.09 -, juris, Rn. 21), als Einzelfallentscheidung, der über den entschiedenen Fall hinaus nicht zu folgen sei (vgl. Strötz, in: Fürst, Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht - GKÖD, § 14a BeamtVG Rn. 21 mit Fn. 14 ; Grunefeld, ZTR 2008, S. 122 <127>). Die Instanzgerichte schlossen sich der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts überwiegend an (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27. September 2007 - 1 L 180/07 -, juris, Rn. 4 ff.; Beschluss vom 14. November 2008 - 1 L 21/08 -, juris, Rn. 4 ff.; Beschluss vom 26. März 2009 - 1 L 25/09 -, juris, Rn. 5 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 2 L 45/08 -, juris, Rn. 6 ff.; Sächsisches OVG, Urteil vom 14. Oktober 2010 - 2 A 430/09 -, juris, Rn. 23 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. November 2011 - 4 B 72.09 -, juris, Rn. 18; VG Münster, Urteil vom 11. April 2006 - 4 K 558/03 -, juris, Rn. 34; VG Dessau, Urteil vom 30. August 2006 - 1 A 93/06 -, juris, Rn. 14; VG Magdeburg, Urteil vom 6. März 2007 - 5 A 191/06 -, juris, Rn. 16; VG Berlin, Urteil vom 5. Juni 2008 - 5 A 60.07 -, juris, Rn. 17 ff.; Urteil vom 12. Mai 2009 - 26 A 68.07 -, juris, Rn. 18). Einige Verwaltungsgerichte erster und zweiter Instanz hielten jedoch unter Hinweis auf den Sinn und Zweck des § 14a BeamtVG a.F. sowie aufgrund eines systematischen Vergleichs mit § 14 Abs. 5 BeamtVG daran fest, dass die in § 14 Abs. 4 BeamtVG geregelte Mindestversorgung nicht Grundlage für eine vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nach § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. sein könne (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2008 - 21 A 2098/06 -, juris, Rn. 28 ff.; VG des Saarlandes, Urteil vom 17. März 2009 - 3 K 372/08 -, juris, Rn. 33 ff.). Auch die überwiegende Auffassung im Schrifttum widersprach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Schachel, in: Schütz/ Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 14a BeamtVG Rn. 11 ; Bauer/Zahn, in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, § 14a BeamtVG Rn. 2 mit Fn. 2 ; Grunefeld, a.a.O., S. 122 <127>; Strötz, a.a.O., § 14a BeamtVG Rn. 21 mit Fn. 14 ; zustimmend dagegen Plog/Wiedow, a.a.O., § 14a BeamtVG Rn. 14 ff. ).

33

d) Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil vom 12. November 2009 (- BVerwG 2 C 29.08 -, juris) an seiner Rechtsauffassung zur Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. festgehalten.

34

4. Die Bundesregierung legte am 12. November 2007 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz - DNeuG) vor, der unter anderem eine Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG vorsah (BTDrucks 16/7076). Der Deutsche Bundestag nahm den Gesetzentwurf am 12. November 2008 in zweiter und dritter Lesung an (vgl. Plenarprotokoll 16/186, S. 19901). Am 11. Februar 2009 wurde das am 5. Februar 2009 ausgefertigte Dienstrechtsneuordnungsgesetz verkündet (BGBl I S. 160).

35

Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG sieht folgende Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG vor:

36

In Halbsatz 1 werden die Wörter "den sonstigen Vorschriften" durch die Angabe "§ 14 Abs. 1, § 36 Abs. 3 Satz 1, § 66 Abs. 2 und § 85 Abs. 4" ersetzt.

37

Gemäß Art. 17 Abs. 1 DNeuG ist Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG mit Wirkung vom 24. Juni 2005 in Kraft getreten. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu (BTDrucks 16/7076, S. 186):

38

"Die aus Sicht der Verwaltung lediglich klarstellenden Änderungen zur Berechnung von Ruhegehaltssätzen im Rahmen der Regelung des § 14a des Beamtenversorgungsgesetzes und des § 26a des Soldatenversorgungsgesetzes werden rückwirkend auf den Zeitpunkt einer entgegenstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung in Kraft gesetzt."

39

5. Mit Wirkung vom 1. September 2006 ging die Kompetenz für die Regelung der Besoldung und Versorgung der Landesbeamten auf die Länder über (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034). Zehn Länder haben auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 mit klarstellenden Regelungen reagiert, die Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG entsprechen, zwei Länder haben Regelungen in Kraft gesetzt, die den Wortlaut von § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. aufgreifen, und weitere vier Länder haben auf eine eigene Regelung zur vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes bislang verzichtet. Als exemplarisch für die Haltung der Länder, die sich der Neuregelung des Bundes angeschlossen haben, kann der Gesetzentwurf gelten, der § 4 Abs. 1 des Thüringer Gesetzes über ergänzende Bestimmungen zur Beamtenversorgung in der Fassung durch Art. 2 des Gesetzes vom 31. Januar 2007 (GVBl S. 1, 2) zugrunde liegt (LTDrucks 4/2616, S. 11):

40

"Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen dem Wortlaut des § 14a BeamtVG. Zur Klarstellung wurden in Absatz 1 Satz 1 die Worte 'den sonstigen Vorschriften' durch die Verweisung '§ 14 Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 3 Satz 1, § 66 Abs. 2 und § 85 Abs. 4 BeamtVG' ersetzt. Nach Artikel 125a Abs. 1 des Grundgesetzes kann die bundesrechtliche Regelung durch eine landesrechtliche Regelung ersetzt werden. Das das Bundesrecht ersetzende Landesrecht muss in sich abgeschlossen und aus sich heraus verständlich sein. Daher ist es erforderlich, die bundesrechtliche Bestimmung zur vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes vollständig durch inhaltsgleiches Landesrecht abzulösen.

41

Die Notwendigkeit dazu ergibt sich aus der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Durch Urteil vom 23. Juni 2005 - 2 C 25.04 - wurde entschieden, dass beim Zusammentreffen von Mindestversorgung nach § 14 Abs. 4 BeamtVG und vorübergehen-der Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nach § 14a BeamtVG nicht mehr der nach den 'sonstigen Vorschriften berechnete' Ruhegehaltssatz, sondern auch der Mindestruhegehaltssatz zu erhöhen ist. Bislang wurde § 14a Abs. 1 Satz 1 BeamtVG dahin gehend ausgelegt, dass der nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz derjenige Ruhegehaltssatz ist, der sich auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet, also 'erdient' ist. Die Mindestversorgung ist vom Gesetz vorgegeben, also nicht 'berechnet'. Demnach wurde bislang der 'erdiente' Ruhegehaltssatz erhöht, sodann erfolgte ein Vergleich der sich daraus ergebenden Versorgung mit der Mindestversorgung, der höhere Betrag wurde gezahlt. Das Urteil hätte zur Folge, dass nunmehr der Ruhegehaltssatz der amtsbezogenen Mindestversorgung (35 v.H. der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge) um bis zu 35 v.H. auf maximal 70 v.H. (Höchstgrenze nach § 14a Abs. 2 Satz 2 BeamtVG) erhöht werden könnte. Bei Empfängern der amtsunabhängigen Mindestversorgung (65 v.H. der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe A 4) könnte der Ruhegehaltssatz dagegen nur um maximal 5 v.H. erhöht werden. Verglichen mit der bisherigen Verfahrenweise führt dies während der Zeit der Auswirkung des § 14a BeamtVG bei den erstgenannten Beamten zu einer erheblichen Erhöhung, bei den letztgenannten dagegen zu einer erheblichen Reduzierung des Ruhegehaltes. Bund und Länder behandeln daher das Urteil als Einzelfall und hatten beschlossen, § 14a BeamtVG entsprechend klarzustellen. Dies erfolgt nunmehr durch die Änderung in § 4 Abs. 1 Satz 1, da der Bund nicht mehr für die Länder regelungsbefugt ist. Die auslegungsbedürftigen Begriffe 'nach den sonstigen Vorschriften' werden durch eine Aufzählung derjenigen Bestimmungen des Beamtenversorgungsgesetzes ersetzt, die nach der bisherigen Auslegung ein 'berechnetes' Ruhegehalt ergeben haben."

II.

42

1. a) Der 1948 geborene Kläger des Ausgangsverfahrens war seit 1992, zuletzt im Rang eines Polizeihauptmeisters, als Polizeibeamter beim Bundesgrenzschutz beziehungsweise bei der Bundespolizei tätig. Er wurde nach Vollendung des 60. Lebensjahres mit Ablauf des Monats Februar 2008 wegen Erreichens der Altersgrenze des § 5 Abs. 2 Satz 1 des Bundespolizeibeamtengesetzes in den Ruhestand versetzt. Die Bundesfinanzdirektion Nord setzte sein Ruhegehalt mit Bescheid vom 12. Februar 2008 auf 1.691,89 € fest. Dabei erhöhte sie den nach § 14 Abs. 1 BeamtVG berechneten Ruhegehaltssatz in Höhe von 32,64 v.H. gemäß § 14a BeamtVG a.F. vorübergehend um 24,58 v.H. auf insgesamt 57,22 v.H.

43

b) Im März 2008 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes auf Basis des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG (in Höhe von 35 v.H.) auf 59,58 v.H. Dieses Begehren, das zu einem Ruhegehalt von 1.761,68 € geführt hätte, lehnte die Bundesfinanzdirektion Nord ab. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb ohne Erfolg.

44

c) Mit Urteil vom 26. Januar 2009 verpflichtete das Verwaltungsgericht Magdeburg die Beklagte, das Ruhegehalt des Klägers ab dem 1. März 2008 vorübergehend auf der Basis des Ruhegehaltssatzes von 59,58 v.H. zu erhöhen. Zur Begründung nahm das Verwaltungsgericht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 Bezug.

45

d) Auf die Berufung der Beklagten wies das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 1. Juli 2009 die Klage mit der Begründung ab, nach der Gesetzesänderung komme nicht mehr der Ruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG, sondern nur noch der "erdiente" Ruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 1 BeamtVG als Berechnungsgrundlage für die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehalts in Betracht. Das durch Art. 17 Abs. 1 DNeuG angeordnete rückwirkende Inkrafttreten von Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG verstoße nicht gegen das Rückwirkungsverbot.

46

2. Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt,

47

ob Artikel 17 Absatz 1 des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes (DNeuG) vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160, 274) mit Artikel 20 Absatz 3, Artikel 33 Absatz 5 und Artikel 3 Absatz 1 GG unvereinbar und nichtig ist.

48

Von der Entscheidung über die Vorlagefrage hänge das Ergebnis des Rechtsstreits ab. Sei Art. 17 Abs. 1 DNeuG gültig, wäre die Norm zu Ungunsten des Klägers anzuwenden, was in vollem Umfang zur Zurückweisung der Revision führen würde. Sei Art. 17 Abs. 1 DNeuG hingegen verfassungswidrig und nichtig, stünde dem Kläger der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Berechnung des erhöhten Ruhegehaltssatzes auf Basis des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG zu, weil weiterhin § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. anzuwenden wäre; die Revision des Klägers wäre mithin erfolgreich.

49

Das vorlegende Gericht ist überzeugt, dass Art. 17 Abs. 1 DNeuG mit seiner rückwirkenden Inkraftsetzung des Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG verfassungswidrig ist. Bei Beamten, die - wie der Kläger im Ausgangsverfahren - bereits vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in den Ruhestand getreten und deren Versorgungsbezüge noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden seien, führe Art. 17 Abs. 1 DNeuG zu einer nachträglichen Kürzung bestehender Versorgungsansprüche und entfalte insoweit echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen). Der mit der Zurruhesetzung entstandene Anspruch auf vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG werde durch Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG rückwirkend vernichtet.

50

Die Rückwirkung sei verfassungsrechtlich nicht erlaubt. Das Vertrauen der betroffenen Beamten sei schutzwürdig, weil die rückwirkende Rechtsänderung, wie das Beispiel des Klägers zeige, zu einer spürbaren Kürzung der Bruttoversorgung führen könne. Die rückwirkend geänderte Regelung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. sei generell geeignet gewesen, aus dem Vertrauen auf ihr Fortbestehen heraus Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen oder zu beeinflussen, die sich bei der Änderung der Rechtslage als nachteilig erwiesen. Es habe auch keine unklare und verworrene Rechtslage vorgelegen, auf deren Bestand die Betroffenen nicht hätten vertrauen dürfen. Die rechtliche Wertung des Gesetzgebers, es handele sich bei der Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. um eine bloße Klarstellung, sei unbeachtlich. Die vom Gesetzgeber in Anspruch genommene authentische Interpretation sei für die Gerichte nicht verbindlich. Es liege keine Fallkonstellation vor, in der wegen abweichender Auffassungen in der Kommentarliteratur und divergierender Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht schon ein Revisionsurteil, sondern erst eine langjährige gefestigte Rechtsprechung des Revisionsgerichts die unklare und verworrene Rechtslage beseitige. Dies setze voraus, dass der den Klarstellungsbedarf auslösende Gesetzestext so lückenhaft, unsystematisch oder mehrdeutig sei, dass nach Anwendung der hergebrachten Auslegungsmethoden mehrere Auslegungsergebnisse mit gleicher Überzeugungskraft vertretbar nebeneinander stünden. Das sei hier nicht der Fall, da sich die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 vorgenommene Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. aus Wortlaut, Gesetzessystematik, Sinn und Zweck sowie aus der Entstehungsgeschichte ergebe.

51

Auf die Änderung der Berechnung der vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes hätten sich die Betroffenen nicht schon im Zeitpunkt der Einbringung des Gesetzentwurfs des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in den Deutschen Bundestag einstellen müssen. Mit einer Neuregelung müsse frühestens im Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses gerechnet werden. Überragende Belange des Gemeinwohls, die eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar. Finanzielle Erwägungen taugten nicht als Legitimation für eine Kürzung der Altersversorgung. Im Beamtenversorgungsrecht werde ein besonderes, durch Art. 33 Abs. 5 GG geschütztes Vertrauen auf den Fortbestand gesetzlicher Leistungsregelungen begründet. Wesentliche und grundlegende Änderungen zu Lasten der Beamten müssten durch gewichtige und bedeutende Gründe gerechtfertigt sein. Daran fehle es.

52

Für den Zeitraum nach seiner Verkündung greife Art. 17 Abs. 1 DNeuG in bestehende Versorgungsansprüche ein und kürze diese mit Wirkung für die Zukunft; die Norm entfalte insoweit unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung). Auch die unechte Rückwirkung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG sei verfassungsrechtlich unzulässig, da hinreichend gewichtige Belange des Gemeinwohls, die den durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten besonderen Vertrauensschutz der Versorgungsempfänger überwögen, vom Gesetzgeber weder dargelegt noch sonst erkennbar seien. Überdies verpflichte der durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährte Vertrauensschutz im Bereich des Beamtenversorgungsrechts den Gesetzgeber, Eingriffe in versorgungsrechtliche Rechtspositionen durch angemessene Übergangsregelungen auszugleichen oder abzumildern, woran es hier fehle.

53

Die Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG verstoße auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Versorgungsempfänger, deren Versorgungsbezüge unter vorübergehender Erhöhung des Ruhegehaltssatzes gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG - höher - festgesetzt worden seien, seien durch § 52 Abs. 1 BeamtVG vor einer Rückforderung der Unterschiedsbeträge geschützt und daher von Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG nur zukunftsgerichtet betroffen. Gegenüber dieser Personengruppe würden Versorgungsempfänger wie der Kläger nur deswegen schlechter behandelt, weil die zuständigen Behörden rechtswidrig von einem Festsetzungsbescheid auf der Grundlage von § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG abgesehen hätten.

III.

54

Zu dem Vorlagebeschluss haben sich das Bundesministerium des Innern namens der Bundesregierung, die Bundesfinanzdirektion Nord, der dbb beamtenbund und tarifunion, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) - Bezirk Bundespolizei - geäußert.

55

1. Das Bundesministerium des Innern hält Art. 17 Abs. 1 DNeuG für verfassungsgemäß. Die rückwirkende Gesetzesänderung habe allein der klarstellenden Präzisierung einer bereits bestehenden Rechtslage gedient. Sie sei erforderlich geworden, nachdem die Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. durch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 23. Juni 2005 der bis dahin in Bund und Ländern einheitlich geübten Praxis den Boden entzogen habe.

56

Art. 17 Abs. 1 DNeuG sei mit dem Vertrauensgrundsatz vereinbar. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung könne allenfalls bei gefestigter, langjähriger Rechtsprechung entstehen. Daran fehle es. Literatur und Rechtsprechung hätten nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 überwiegend an ihrer - davon abweichenden - Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. festgehalten. Bund und Länder hätten bereits im September 2005 über die Konsequenzen der Entscheidung diskutiert und einhellig die Auffassung vertreten, dass dem Urteil über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht gefolgt werden solle und eine gesetzliche Klarstellung in § 14a BeamtVG erforderlich sei.

57

Art. 17 Abs. 1 DNeuG verstoße auch nicht gegen das Alimentationsprinzip gemäß Art. 33 Abs. 5 GG. Der Gesetzgeber dürfe Versorgungsbezüge kürzen, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt erscheine. Sachgerecht sei es, bei rentebeziehenden Versorgungsempfängern eine Kürzung der Versorgungsbezüge anzuordnen, um eine Überhöhung der Gesamtversorgung zu beseitigen, die nicht durch eine Eigenleistung des Versorgungsempfängers entstanden sei, sondern - wie hier - durch eine unzureichende Abstimmung von Rentenrecht und Versorgungsrecht.

58

Art. 17 Abs. 1 DNeuG sei auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, da das Verhalten des Dienstherrn rechtmäßig gewesen sei.

59

2. Auch die Bundesfinanzdirektion Nord hält Art. 17 Abs. 1 DNeuG für verfassungsgemäß. Das Rückwirkungsverbot des Art. 20 Abs. 3 GG greife mangels schutzwürdigen Vertrauens nicht ein. Die Rechtslage sei unklar gewesen. Bis zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 habe es der flächendeckenden Verwaltungspraxis, der Kommentarliteratur und der Rechtsprechung der Instanzgerichte entsprochen, eine vorübergehende Erhöhung der Versorgungsbezüge lediglich auf der Grundlage des erdienten Ruhegehaltssatzes vorzunehmen. Die davon abweichende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei im Schrifttum, von der Verwaltung und von wenigstens einem Oberverwaltungsgericht kritisiert worden. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Novem-ber 2009 habe nicht mehr vertrauensbildend wirken können, weil zu diesem Zeitpunkt das Dienstrechtsneuordnungsgesetz bereits verkündet gewesen sei. Mangels schutzwürdigen Vertrauens seien auch Abmilderungs- und Übergangsmaßnahmen nicht erforderlich gewesen. Art. 17 Abs. 1 DNeuG verstoße auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

60

3. Der dbb beamtenbund und tarifunion teilt die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts. Es liege eine unzulässige Rückwirkung vor. Selbst wenn man die zu § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich des Ergebnisses in Zweifel ziehe, könne eine unklare oder gar verworrene Rechtslage nicht angenommen werden, da der Wortlaut der Norm die Auslegung des Gerichts gestützt habe. Die rückwirkende Gesetzesänderung betreffe keine Bagatellen, sondern nennenswerte finanzielle Werte und Dispositionen der betroffenen Beamten. Überragende Gründe des Gemeinwohls, die die Rückwirkung rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Kreis von Beamten, die zum Zeitpunkt der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes bereits in den Ruhestand getreten gewesen seien und bei ihrem Ruhestandseintritt einen Anspruch auf Mindestversorgung sowie auf vorübergehende Erhöhung des Ruhegehalts gehabt hätten, sei überschaubar.

61

4. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) - Bezirk Bundespolizei - halten Art. 17 Abs. 1 DNeuG für verfassungswidrig; zur Begründung nehmen sie auf den Vorlagebeschluss Bezug.

B.

62

Art. 17 Abs. 1 DNeuG ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Norm verstößt nicht gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Vertrauensschutz aus Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 33 Abs. 5 GG (I.). Sie steht auch im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (II.).

I.

63

Art. 17 Abs. 1 DNeuG, der das Inkrafttreten von Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG mit Wirkung vom 24. Juni 2005 anordnet und dadurch in die geänderte Fassung des § 14a Abs. 1 BeamtVG auch Beamte einbezieht, die vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in den Ruhestand getreten sind, begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Vorschrift enthält keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung und verletzt nicht das durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Vertrauen versorgungsberechtigter Beamter darauf, im Alter amtsangemessen versorgt zu sein.

64

1. Mit dem vorlegenden Gericht kann davon ausgegangen werden, dass Art. 17 Abs. 1 DNeuG sowohl echte Rückwirkung als auch unechte Rückwirkung zukommt.

65

a) Eine Rechtsnorm entfaltet "echte" Rückwirkung ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"), wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll (vgl. BVerfGE 109, 133 <181>; 114, 258 <300>; 127, 1 <16 f.>). Bei Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG ist dies - die Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. durch das Bundesverwaltungsgericht als maßgeblich unterstellt - im Hinblick auf Beamte der Fall, die nach dem 24. Juni 2005 und vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes am 11. Februar 2009 in den Ruhestand getreten sind und die Voraussetzungen der vorübergehenden Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG erfüllt haben. Insoweit kann Art. 17 Abs. 1 DNeuG zur nachträglichen Kürzung bestehender Versorgungsansprüche führen, wie das Beispiel des am 1. März 2008 in den Ruhestand getretenen Klägers des Ausgangsverfahrens zeigt. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand hatte der Kläger bei einem nach § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG vorübergehend erhöhten Ruhegehaltssatz von 59,58 v.H. einen Versorgungsanspruch in Höhe von 1.761,68 € zu erwarten. Nach der rückwirkenden Gesetzesänderung errechnet sich für den Kläger ein vorübergehend erhöhter Ruhegehaltssatz von 57,22 v.H. und damit ein Versorgungsanspruch in Höhe von (lediglich) 1.691,89 €. Im Zeitraum zwischen Eintritt in den Ruhestand und Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes wurde der bestehende Versorgungsanspruch des Klägers damit, gemessen an der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Rechtslage, nachträglich um insgesamt 837,48 € (12 Monate x 69,79 €) gekürzt.

66

b) Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt eine "unechte" Rückwirkung vor (vgl. BVerfGE 72, 200 <242>; 97, 67 <79>; 127, 1 <17>). Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG entfaltet - wiederum auf der Grundlage der Auffassung des Bundesverwal-tungsgerichts - unechte Rückwirkung, soweit danach bestehende Versorgungsansprüche von Beamten, die vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in den Ruhestand getreten sind und die Voraussetzungen der vorübergehenden Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG erfüllen, für die Zeit nach der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes gekürzt werden. Beim Kläger des Ausgangsverfahrens, der die Regelaltersgrenze am 28. Februar 2013 und damit 48 Monate nach Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes erreicht, verringert sich der Versorgungsanspruch damit um insgesamt 3.349,92 € (48 Monate x 69,79 €).

67

c) An der (echten und unechten) Rückwirkung von Art. 17 Abs. 1 DNeuG fehlt es nicht deshalb, weil die rückwirkende Änderung von § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F., wie es in der Gesetzesbegründung heißt, aus Sicht der Verwaltung lediglich klarstellender Natur sei (vgl. BTDrucks 16/7076, S. 186). Zwar liegt grundsätzlich keine Rückwirkung vor, wenn die Neuregelung deklaratorischer Art ist, also nur bestätigt, was von vornherein aus der verkündeten ursprünglichen Norm folgte (vgl. BVerfGE 18, 429 <436>; 50, 177 <193>; 126, 369 <393>). Dies ist hier aber nicht der Fall.

68

Die verbindliche Auslegung von Rechtssätzen ist Aufgabe der Gerichte. Eine vom Gesetzgeber etwa beanspruchte Befugnis zu "authentischer" Interpretation der rückwirkend geänderten Norm ist daher nicht anzuerkennen (vgl. BVerfGE 65, 196 <215>; 111, 54 <107>; 126, 369 <392>). Deren Regelungsgehalt ist vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Dabei genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven Charakter hat, die Feststellung, dass die geänderte Norm von den Gerichten nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, die mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll. So liegt es hier.

69

Das Tatbestandsmerkmal "nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz" in § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. konnte unterschiedlich ausgelegt werden. Während die Verwaltung sowie die Instanzrechtsprechung und ein Teil der Literatur zunächst davon ausgingen, dass damit nur der auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnete ("erdiente") Ruhegehaltssatz gemeint sei, gelangte das Bundesverwaltungsgericht zu der Überzeugung, dass es sich auch bei dem Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG um einen "berechneten" Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. handelte. Da nichts dafür spricht, dass eine der beiden Auslegungsalternativen - etwa wegen Überschreitung der Grenzen richterlicher Rechtsfindung (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.>; 113, 88 <103 f.>; 122, 248 <257 f.>) - auszuscheiden gewesen wäre, hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung eine Streitfrage abweichend von höchstrichterlicher Rechtsprechung in einem bestimmten Sinne und damit konstitutiv entschieden.

70

2. Art. 17 Abs. 1 DNeuG ist im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Grenzen rückwirkender Gesetzgebung nicht zu beanstanden.

71

a) aa) Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte "ins Werk gesetzt" worden sind (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 63, 343 <356 f.>; 72, 200 <242>; 97, 67 <78 f.>). Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände ohne weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten (vgl. BVerfGE 63, 343 <357>; 72, 200 <257 f.>; 97, 67 <78>; 109, 133 <180>; 114, 258 <300 f.>; 127, 1 <16>).

72

bb) Die "echte" Rückwirkung ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen") ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Erst mit der Verkündung, das heißt, mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss (vgl. BVerfGE 97, 67 <78 f.> m.w.N.), muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (vgl. BVerfGE 63, 343 <353 f.>; 67, 1 <15>; 72, 200 <241 f.>; 97, 67 <78 f.>; 114, 258 <300>). Ausnahmsweise können aber zwingende Belange des Gemeinwohls oder ein nicht - oder nicht mehr - vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des Einzelnen eine Durchbrechung des Verbots einer "echten" Rückwirkung gestatten (vgl. BVerfGE 72, 200 <258>; 97, 67 <79 f.>; 101, 239 <263 f.>).

73

cc) Dagegen ist die "unechte" Rückwirkung ("tatbestandliche Rückanknüpfung") nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfGE 63, 343 <357>; 105, 17 <40>; 114, 258 <301>). Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren (vgl. BVerfGE 63, 312 <331>; 67, 1 <15>; 71, 255 <272>; 76, 256 <349 f.>). Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 38, 61 <83>; 68, 193 <222>; 105, 17 <40>; 109, 133 <180 f.>; 125, 104 <135>).

74

Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Dabei sind die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage abzuwägen (vgl. BVerfGE 30, 392 <404>; 50, 386 <395>; 67, 1 <15>; 75, 246 <280>; 105, 17 <37>; 114, 258 <300>) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren (vgl. BVerfGE 72, 200 <242 f.>; 95, 64 <86>; 101, 239 <263>; 116, 96 <132>; 122, 374 <394>; 123, 186 <257>). Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 127, 1 <18>).

75

dd) Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes hat in Art. 33 Abs. 5 GG eine besondere Ausprägung erfahren. Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sollen dem Beamten Rechtssicherheit hinsichtlich der durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Güter gewährleisten und insbesondere verhindern, dass versorgungsberechtigte Beamte in ihrem schutzwürdigen Vertrauen darauf, im Alter amtsangemessen versorgt zu sein, enttäuscht werden (vgl. BVerfGE 76, 256 <347> m.w.N.). Die für die Beurteilung rückwirkender Rechtsänderungen zulasten der Beamten und Versorgungsempfänger nach Art. 33 Abs. 5 GG heranzuziehenden Maßstäbe unterscheiden sich jedenfalls in der vorliegenden Konstellation nicht grundsätzlich von den Maßstäben, die auch sonst für rückwirkende belastende Gesetze gelten.

76

b) Der rückwirkenden Inkraftsetzung des § 14a Abs. 1 BeamtVG steht kein schutzwürdiges Vertrauen der betroffenen Beamten entgegen. Daher bedarf es auch keiner nach "echter" und "unechter" Rückwirkung differenzierenden Würdigung.

77

aa) Das durch das Rechtsstaatsprinzip und Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Vertrauen auf die geltende Rechtslage ist nur schutzwürdig, wenn die gesetzliche Regelung generell geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen - insbesondere Vermögensdispositionen - herbeizuführen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen (vgl. BVerfGE 13, 39 <45 f.>; 30, 367 <389>). Ist das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig, ist ein rückwirkender belastender Eingriff ausnahmsweise zulässig. Das ist etwa dann der Fall, wenn das rückwirkend geänderte Recht unklar und verworren war (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 50, 177 <193 f.>; 126, 369 <393 f.>) oder wenn ein Zustand allgemeiner und erheblicher Rechtsunsicherheit eingetreten war und für eine Vielzahl Betroffener Unklarheit darüber herrschte, was rechtens sei (vgl. BVerfGE 72, 302 <325 f.>).

78

bb) Ein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen, dass es sich bei dem Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG um einen "berechneten" Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. handele, konnte sich unter den gegebenen Umständen nicht entwickeln.

79

(1) Der Regelungsgehalt des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. war in dieser Hinsicht nicht eindeutig. Die Vorschrift wurde von der für die Beamtenversorgung zuständigen Verwaltung sowie von der Instanzrechtsprechung und einem Teil der Literatur zunächst dahingehend ausgelegt, dass der "nach sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz" nur ein auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechneter ("erdienter") Ruhegehaltssatz sei, insbesondere der nach § 14 Abs. 1 BeamtVG berechnete Ruhegehaltssatz. Vom Anwendungsbereich des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. ausdrücklich ausgenommen wurden die Mindestruhegehaltssätze gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 BeamtVG, weil beide - ohne Bezug zur tatsächlich ruhegehaltfähigen Dienstzeit - abstrakt gesetzlich vorgegeben und deshalb nicht "berechnet" seien.

80

(2) Zwar kam das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 23. Juni 2005 unter Hinweis auf Wortlaut, Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. zu dem Ergebnis, dass auch der Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG ein Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. sei. Schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand dieses Normverständnisses konnte allein aus dieser Entscheidung indes nicht erwachsen.

81

(a) Entscheidungen oberster Gerichte, die vornehmlich zur grundsätzlichen Auslegung und Weiterentwicklung des Rechts berufen sind, wirken zwar über den entschiedenen Einzelfall hinaus als - freilich nur richtungweisendes - Präjudiz für künftige Fälle. Die höchstrichterliche Rechtsprechung erzeugt aber keine dem Gesetzesrecht gleichkommende Rechtsbindung (vgl. BVerfGE 84, 212 <227>; 122, 248 <277>). Weder sind die unteren Gerichte an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden, noch sind es die obersten Gerichte selbst. Kein Prozessbeteiligter kann daher darauf vertrauen, der Richter werde stets an einer bestimmten Rechtsauffassung aus der bisherigen Judikatur festhalten (vgl. BVerfGE 78, 123 <126>; 87, 273 <278>). Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann daher in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen (vgl. BVerfGE 72, 302 <326>; 122, 248 <278>; 126, 369 <395>).

82

(b) Bis zur Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes war nicht sicher davon auszugehen, dass das Bundesverwaltungsgericht an seiner Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. festhalten würde. Eine in dieser Richtung gefestigte Rechtsprechung bestand nicht. Vielmehr wich das Urteil vom 23. Juni 2005 von der bis dahin bestehenden Verwaltungspraxis sowie von der in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend vertretenen Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. ab. Zwar schlossen sich in der Folgezeit einige Instanzgerichte dem Bundesverwaltungsgericht an; zumindest ein Oberverwaltungsgericht folgte dessen Rechtsprechung jedoch nicht (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2008 - 21 A 2098/06 -, juris, Rn. 30 ff.), auch stieß das Urteil auf erhebliche Kritik im Schrifttum (vgl. Bauer/Zahn, a.a.O., § 14a BeamtVG Rn. 2 mit Fn. 2 ; Grunefeld, a.a.O., S. 122 <127>).

83

Im Rahmen dieser Kritik wurde darauf hingewiesen, dass die vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG zu Ergebnissen führen kann, die über den Regelungszweck des § 14a BeamtVG hinausgehen. § 14a BeamtVG soll versorgungsrechtlichen Nachteilen entgegenwirken, die sich wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen von Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung für den Zeitraum ergeben können, in dem ein Besoldungsanspruch nicht mehr besteht, die für Invalidität und Alter vorgesehenen Leistungen aber noch nicht in vollem Umfang ausgeschöpft werden können (vgl. BTDrucks 10/4225, S. 21; BVerwGE 111, 93 <96 f.>; Strötz, a.a.O., § 14a BeamtVG Rn. 1 ). Diesem Ziel wird die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. zwar gerecht. Sie vermeidet insbesondere, dass § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in den Fällen leerläuft, in denen die Versorgungsbezüge trotz des vorübergehenden Ausschlusses des Beamten von einer gesetzlichen Rente auch bei Einbeziehung der Pflichtbeitragszeiten nach Maßgabe von § 14a Abs. 2 BeamtVG die Mindestversorgung nicht überschreiten.

84

Sie greift jedoch über das Ziel des Gesetzgebers hinaus, soweit ein Beamter durch die vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine höhere Gesamtversorgung erhält, als er aufgrund von § 14 Abs. 5 BeamtVG bei Erreichen der Regelaltersgrenze erhalten wird. Im Zeitraum zwischen dem vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand bis zum Beginn des Rentenbezugs ist der Beamte dadurch quasi "überversorgt" (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 38; Grunefeld, a.a.O., S. 122 <127>). Mit diesem Aspekt setzt sich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 nicht auseinander.

85

Kritik hat diese Entscheidung auch deshalb erfahren, weil die vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG zu einer Besserstellung von Beamten, die zunächst in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig waren, gegenüber Beamten, die ausschließlich in einem Beamtenverhältnis standen, führen kann, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund ersichtlich ist. In Fällen, in denen letzteren lediglich Ansprüche auf die Mindestversorgung gemäß § 14 Abs. 4 BeamtVG zustehen, könnte bei ersteren, die Pflichtbeitragszeiten für die gesetzliche Rentenversicherung vorweisen können, trotz gleicher Arbeits- und Dienstzeit der Mindestruhegehaltssatz vorübergehend erhöht werden. Den versorgungsrechtlichen Nachteilen gemischter Erwerbskarrieren wird insoweit mehr als nur entgegengewirkt, weil die Betroffenen vorübergehend eine höhere Gesamtversorgung erhalten, als ihnen zustünde, wenn die relevanten Pflichtbeitragszeiten ruhegehaltfähige Dienstzeiten wären (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 31 ff.; Bauer/Zahn, a.a.O., Rn. 2 mit Fn. 2 ). Das Bundesverwaltungsgericht war davon ausgegangen, dass dies wegen der erheblich abweichenden Staffelung der Sätze nach § 14 Abs. 1 BeamtVG und nach § 14a Abs. 2 BeamtVG nur in besonderen Ausnahmefällen vorkommen werde und zudem einer Korrektur in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 14 Abs. 5 BeamtVG zugänglich sein könnte (vgl. BVerwGE 124, 19 <25>).

86

(c) Die für die Beamtenversorgung zuständigen Behörden haben zudem ganz überwiegend keinen Zweifel daran gelassen, dass dem Urteil vom 23. Juni 2005 über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht gefolgt werden solle und eine gesetzliche Klarstellung erforderlich sei. Demgemäß wurden in der Folgezeit Anträge auf vorübergehende Erhöhung des Ruhegehalts auf der Basis des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14 Abs. 4 BeamtVG abgelehnt, darunter auch Anträge von Bundesbeamten, die - wie der Kläger des Ausgangsverfahrens - beim Bundesgrenzschutz tätig waren (vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 6. März 2007 - 5 A 191/06 -, juris, Rn. 4; VG Berlin, Urteil vom 5. Juni 2008 - 5 A 60.07 -, juris, Rn. 8). Jedenfalls durch die entsprechenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren war die Haltung der Verwaltung auch allgemein bekannt. Hinzu kamen Gesetzesinitiativen auf Bundes- wie auf Landesebene, mit denen die unveränderte Verwaltungspraxis gesetzlich abgesichert werden sollte (vgl. BTDrucks 16/7076, S. 186; ferner etwa für Brandenburg LTDrucks 4/5154, S. 7; für Thüringen LTDrucks 4/2616, S. 11) und die in den Ländern teilweise bereits im Jahr 2007 zu entsprechenden Bestimmungen führten (vgl. etwa § 3 Abs. 1 des brandenburgischen Beamtenversorgungsergänzungsgesetzes, gemäß Art. 6 des Gesetzes vom 21. November 2007 in Kraft getreten am 27. November 2007; § 4 Abs. 1 des Thüringer Gesetzes über ergänzende Bestimmungen zur Beamtenversorgung, gemäß Art. 4 des Gesetzes vom 31. Januar 2007 in Kraft getreten am 1. März 2007).

87

(d) Unter diesen Umständen lag es - trotz der Gefolgschaft der Mehrzahl der Instanzgerichte - nicht fern, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsauffassung korrigieren werde. Dementsprechend fehlte es an einer hinreichend sicheren Grundlage für ein Vertrauen in den Fortbestand der auf dieser Entscheidung beruhenden Rechtslage. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht letztlich an seiner Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. festgehalten und diese gegen Kritik verteidigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2009 - 2 C 29/08 -, juris, Rn. 9 ff.). Diese Entscheidung erging jedoch nach der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes und konnte deshalb nicht mehr vertrauensbildend wirken (vgl. BVerfGE 72, 200 <254>; 97, 67 <78 f.>; 114, 258 <300>).

88

cc) Art. 17 Abs. 1 DNeuG stößt auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des Vertrauensschutzes im Bereich der Beamtenversorgung (oben B. I. 2. a dd) nicht auf rechtsstaatliche Bedenken. § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F wurde rückwirkend in einem Sinne geändert, der der Verwaltungspraxis sowie der zunächst überwiegenden Auslegung dieser Norm in Rechtsprechung und Schrifttum entsprach. Die von der Rückwirkung Betroffenen hatten sich während des ganz überwiegenden Teils ihrer Dienstzeit darauf einzustellen, dass nur ihr "erdienter" Ruhegehaltssatz vorübergehend erhöht werden kann. Vor diesem Hintergrund konnten sie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 nicht ohne weiteres zum Anlass für erhebliche Dispositionen im Vertrauen auf dessen Bestand nehmen, zumal die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes auf die Zeit zwischen dem vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand und dem Beginn des Rentenbezugs beschränkt ist und spätestens mit Erreichen der Regelaltersgrenze wegfällt (vgl. § 14a Abs. 3 BeamtVG), es also um zeitlich begrenzte Dispositionsmöglichkeiten ging. Auch liegt die mit der Rechtsänderung verbundene Rückführung der Versorgungsbezüge - beim Kläger des Ausgangsverfahrens monatlich 69,79 €, entsprechend 3,96 v.H. der Bruttoversorgung - in einem von den Betroffenen beherrschbaren Rahmen und lässt eine Unterschreitung des von Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Kernbestandes der Alimentation nicht besorgen. Daher war der Gesetzgeber auch nicht verpflichtet, die Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. nach Maßgabe angemessener Übergangsregelungen in Kraft zu setzen.

II.

89

Art. 17 Abs. 1 DNeuG verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Nicht durchgreifend sind die vom Bundesverwaltungsgericht im Hinblick darauf erhobenen Bedenken, dass die rückwirkende Änderung von § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. nicht eingreift, wenn Versorgungsbezüge bereits gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 BeamtVG festgesetzt worden sind.

90

Bei der rückwirkenden Kürzung gesetzlicher Ansprüche steht der Gesetzgeber generell vor der Frage, wie er mit bereits rechtskräftig festgestellten oder bestandskräftig gewordenen Ansprüchen umgeht. Insoweit stehen sich zwei in gleicher Weise mit Verfassungsrang ausgestattete Prinzipien gegenüber: Das Prinzip der (Einzelfall-)Gerechtigkeit, das es gebietet, auch rechtskräftig festgestellte oder bestandskräftig gewordene Ansprüche von der Begünstigung auszuschließen, und das Prinzip der Rechtssicherheit, aus dem die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen und sonstiger in Bestandskraft erwachsender Akte der öffentlichen Gewalt folgt. Es ist Sache des Gesetzgebers, welchem der beiden Prinzipien im konkreten Fall der Vorzug gegeben werden soll (vgl. BVerfGE 15, 313 <319>; 19, 150 <166>; 29, 413 <432>; 48, 1 <22>; 72, 302 <327 f.>).

91

Danach ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber für die Gruppe der Versorgungsempfänger, deren Versorgungsbezüge bereits rechtskräftig festgesetzt und ausbezahlt worden sind, der Rechtssicherheit den Vorrang gegenüber der (Einzelfall-)Gerechtigkeit eingeräumt hat. Dies gilt umso mehr, als diese Gruppe ohnehin vor der Erstattung der aufgrund der rückwirkenden Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. zuviel gezahlten Beträge geschützt wäre (vgl. § 52 Abs. 1 BeamtVG).

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 50.000 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 16.000 € (in Worten: sechzehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Festsetzung der Gegenstandswerte beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

2

Für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung orientiert sich der Gegenstandswert an dem Streitwert in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Für das Verfassungsbeschwerdeverfahren führt die objektive Bedeutung der Sache zu einer Werterhöhung.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 16. April 2013 – 4 A 1280/12 – wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten des Vollstreckungsgläubigers abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag. Sie sind Eigentümer des bebauten Grundstücks gemäß Rubrumsadresse, bestehend aus dem 490 m² großen Flurstück, Gemarkung A-Stadt.

2

Die Anschlussbeitragserhebung durch den Beklagten unterlag hinsichtlich ihrer satzungsmäßigen Rechtsgrundlage in der Vergangenheit folgender Entwicklung:

3

Vom 06. November 1992 datiert als erste entsprechende Satzung die Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung des Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverbandes Güstrow-Bützow-Sternberg (nachfolgend: Zweckverband). Am 24. Juni 1993 wurde nachfolgend die weitere Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung ausgefertigt und am 19. August 1993 (Regionalteile der „Schweriner Volkszeitung“) bzw. 22. März 1999 (Amtlicher Anzeiger Nr. 13, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern, S. 241) bekannt gemacht. Zu dieser Satzung folgten zwischen 1993 und 1995 vier Nachtragssatzungen, denen gemein war, dass auf der Flächenseite der Kalkulation Grundstücke von sog. „Altanschließern“ unberücksichtigt geblieben waren.

4

Mit der Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung vom 13. März 1997 (Amtlicher Anzeiger Nr. 13, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern 1999, S. 248) unternahm der Zweckverband erneut den Versuch, eine wirksame Rechtsgrundlage für die Beitrags- und Gebührenerhebung zu schaffen. Im Zeitraum zwischen 1997 und 1999 ergingen hierzu eine Ergänzungs- und zwei Änderungssatzungen. Nachdem das Verwaltungsgericht Schwerin u. a. mit Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 A 2022/99 – die Unwirksamkeit der Satzung vom 13. März 1997 angenommen hatte, weil die in den Regelungen zum Beitragssatz enthaltene Differenzierung zwischen erstmalig angeschlossenen und Grundstücken, die bereits vor Inkrafttreten der Satzung (teilweise) angeschlossen waren, gleichheitswidrig gewesen sei, beschloss die Verbandsversammlung des Zweckverbandes am 15. Februar 2001 die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung (Beitrags- und Gebührensatzung), die am 21. Mai 2001 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger vom 18. Juni 2001 (Amtlicher Anzeiger Nr. 29, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern, S. 671) öffentlich bekannt gemacht wurde und zum 1. Januar 2001 in Kraft trat. Mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 03. Juli 2002 – 4 K 35/01 – wurde diese Satzung rechtskräftig für nichtig erklärt (mit Ausnahme der Bestimmungen über die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Entsorgung von Niederschlagswasser und über die Erhebung von Benutzungsgebühren für die Entsorgung von Niederschlagswasser <"Benutzungsgebühr B"> sowie des § 16, hinsichtlich derer der Antrag abgelehnt wurde).

5

Die weitere Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung vom 27. März 2002 (Satzungsbeschluss v. 18.03.2002, Amtlicher Anzeiger Nr. 16, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern, S. 541), zu der in der Folgezeit noch eine Änderungssatzung erging, betrachteten das Verwaltungsgericht Schwerin (Urt. v. 23.08.2012 – 4 A 1149/12 –) bzw. der Beklagte selbst wegen einer Nichtberücksichtigung sog. „Altanschließer“ auf der Flächenseite der Kalkulation ebenfalls als unwirksam.

6

Am 2. Dezember 2004 beschloss die Verbandsversammlung des Zweckverbandes eine neue Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung, die am 3. Dezember 2004 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger vom 27. Dezember 2004 (Nr. 52, S. 1513) öffentlich bekannt gemacht wurde und zum 1. Januar 2005 in Kraft trat. Unter dem 16. November 2005 wurde hierzu die 1. Änderungssatzung beschlossen (am 23. November 2005 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 54 vom 12. Dezember 2005, S. 1606, öffentlich bekannt gemacht), mit der im Wesentlichen die Vorschriften über die Beitragserhebung für die öffentliche Niederschlagswasserbeseitigungseinrichtung gestrichen wurden. Mit der am 5. Dezember 2007 beschlossenen 2. Änderungssatzung (am 12. Dezember 2007 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 52 vom 27. Dezember 2007, S. 1577, öffentlich bekannt gemacht) wurde im Wesentlichen ein einheitlicher Beitragssatz in Höhe von 12,51 EUR geregelt. Die am 19. November 2009 beschlossene 3. Änderungssatzung (am 1. Dezember 2009 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 50 vom 14. Dezember 2009, S. 1243, öffentlich bekannt gemacht) betraf im Wesentlichen die gebührenrechtlichen Vorschriften des § 12.

7

Mit rechtskräftigem Urteil vom 12. Oktober 2011 – 4 K 31/06 – erklärte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 (BGS 04) in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 23. November 2005, der 2. Änderungssatzung vom 12. Dezember 2007 und der 3. Änderungssatzung vom 1. Dezember 2009 (nur) hinsichtlich der Regelung des § 7 Satz 1 für unwirksam.

8

Am 04. Dezember 2013 beschloss die Verbandsversammlung schließlich die Vierte Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung (am 09. Dezember 2013 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 51, S. 855, öffentlich bekannt gemacht). Die Änderung betrifft § 7 Satz 1 BGS und im Übrigen gebührenrechtliche Vorschriften.

9

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. Mai 2006 (Bescheidnummer B) zog der Beklagte die Kläger zu einem Anschlussbeitrag für das oben bezeichnete Grundstück in Höhe von 1.532,48 EUR heran.

10

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 06. Juni 2006 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006, zugestellt am 30. August 2006, zurückwies.

11

Am 29. September 2006 haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Schwerin (zunächst unter dem Aktenzeichen 4 A 1803/06) Klage erhoben. Die zwischenzeitliche Anordnung des Ruhens des Verfahrens hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. August 2012 aufgehoben. In diesem Zuge hat das Verfahren das Az. 4 A 1280/12 erhalten.

12

Die Kläger haben im Wesentlichen vorgetragen,

13

ihr Grundstück sei bereits vor dem 3. Oktober 1990 an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen. Ein Beitrag für die Herstellung der Abwasseranlagen könne nicht erhoben werden. Der Zweckverband habe das vorhandene und funktionierende Abwassernetz, das von den Bürgern der DDR bezahlt worden sei, übernommen. Ihre Inanspruchnahme verstoße deshalb auch gegen das allgemeine Rückwirkungsverbot. Unklar sei außerdem, für welche Investitionen die Beiträge erhoben werden sollen. Es werde bestritten, dass die Beiträge durch einen entsprechenden Aufwand an Investitionen gerechtfertigt seien, ebenso, dass die Beiträge zutreffend anhand des angefallenen Aufwands berechnet worden seien. Ihre Inanspruchnahme verstoße gegen § 242 Abs. 9 BauGB. Der darin enthaltene Rechtsgedanke, dass für Altanschlüsse keine Erschließungskosten mehr erhoben werden dürften, sei hier entsprechend anzuwenden. Der Anspruch des Beklagten sei verwirkt. Die Kläger seien über gute 15 Jahre nicht in Anspruch genommen worden. Es seien lediglich Beiträge von „Neuanschließern“ erhoben worden. Der Zweckverband habe damit Umstände geschaffen, aufgrund derer die Kläger darauf hätten vertrauen dürfen, nach so langer Zeit nicht noch mit Beiträgen belastet zu werden. Durch die Beitragserhebung würden einzelne Anlieger in unzumutbarer Art und Weise belastet. Als milderes Mittel hätten die Kosten über die jährlich zu erhebenden Gebühren umgelegt werden können.

14

Die Kläger haben beantragt,

15

den Bescheid des Beklagten über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. Mai 2006, Bescheidnummer B…., und seinen Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 aufzuheben.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er hat auf seine Ausführungen in den Verfahren des Verwaltungsgerichts Schwerin zu den Az. 4 A 1798/02 und 4 A 1799/02 sowie auf den Widerspruchsbescheid verwiesen. Das Grundstück befinde sich im unbeplanten Innenbereich und sei weniger als 45 m tief.

19

Mit dem angefochtenen Urteil vom 16. April 2013 – 4 A 1280/12 – hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen; zugleich hat es die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

20

Der Bescheid vom 19. Mai 2006 sei – ebenso wie der Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 – rechtmäßig und insbesondere materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die ihm zugrunde liegende Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 in der maßgeblichen Fassung der 2. Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung des Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverbandes Güstrow-Bützow-Sternberg - vom 12. Dezember 2007 (im Folgenden: BGS) sei weder in formeller noch in materieller Hinsicht rechtlich zu beanstanden. Zur Rechtmäßigkeit des beitragsrechtlichen Teils der Satzung werde insoweit zunächst auf die Ausführungen in dem rechtskräftigen Normenkontrollurteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 12. Oktober 2011 – 4 K 31/06 – hingewiesen. Ergänzend sei auszuführen, dass die Entstehung der Beitragspflicht (mit der Anschlussmöglichkeit) in der Satzung zwar für Grundstücke im Außenbereich nach § 35 BauGB vordergründig nicht korrekt beschrieben werde. Im Zusammenspiel mit der entsprechenden Regelung im Beitragsmaßstab (§ 4 Abs. 3 Buchst. h BGS) werde jedoch hinreichend verdeutlicht, dass die bloße Anschlussmöglichkeit eines Grundstücks im Außenbereich gerade noch nicht die sachliche Beitragspflicht entstehen lasse, sondern erst der vorgenommene Anschluss.

21

Die Satzung bestimme auch unmissverständlich, dass bei einem Konflikt zwischen einer beitragssatzungsrechtlichen Tiefenbegrenzung und einer gemeindlichen Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB für die Bestimmung der der Beitragsbemessung zugrunde zu legenden Grundstücksfläche allein die gemeindliche Satzung maßgebend sein soll. Diese Vorrangregelung verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

22

Mit der späteren anschlussbeitragsrechtlichen Nichtberücksichtigung unbebauter und nicht an die Kanalisation angeschlossener Grundstücke sei auch die (damals unverändert gebliebene) Globalkalkulation nicht rechtswidrig geworden. Die Kläger hätten insoweit keine Einwände erhoben. Die Beitragskalkulation gebe, soweit sie von anderen Klägern substantiiert angegriffen worden sei, keinen Anlass zu Beanstandungen. Insoweit werde etwa auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in dessen Urteil vom 12. Oktober 2011 verwiesen. Soweit die Kläger bestreiten würden, dass die Beiträge durch einen entsprechenden Aufwand an Investitionen gerechtfertigt seien, ebenso, dass sie zutreffend anhand des angefallenen Aufwands berechnet worden seien, gehe dies „ins Blaue“. Es sei ferner nicht zu beanstanden, dass der Zweckverband zunächst mehrere (fünf) öffentliche Einrichtungen zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung betrieben habe. Im Übrigen betreibe er zum 1. Januar 2008 nur noch eine öffentliche Einrichtung zur zentralen Entsorgung von Schmutzwasser (Art. 1 Ziff. 1 der 3. Änderungssatzung zur Abwasserentsorgungssatzung und Art. 1 Ziff. 1 der 2. Änderungssatzung der Beitrags- und Gebührensatzung, jeweils vom 12. Dezember 2007). Die Ermittlung der örtlichen Verhältnisse zur (hier) schlichten Tiefenbegrenzung sei ordnungsgemäß erfolgt. Ob die Fortschreibung der Globalkalkulation nach Ablauf ihres (bisherigen) Kalkulationszeitraums nach dem Jahre 2010 erforderlich sei, spiele für das vorliegende Verfahren keine Rolle, da die hier zugrunde liegende Globalkalkulation, auf der der vorliegende Beitragsbescheid beruhe, rechtlich nicht zu beanstanden sei.

23

Soweit die Kläger die sog. „Altanschließer-Rechtsprechung“ des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern kritisierten, der sich das Verwaltungsgericht bereits in zahlreichen Entscheidungen angeschlossen habe, könne dem nicht gefolgt werden. Da der Zweckverband nach der Wende neue öffentliche Einrichtungen zur Schmutzwasserentsorgung geschaffen habe, müsse ein Herstellungsbeitrag erhoben werden, und zwar sowohl von den sog. „Altanschließern“ mit faktischem Kanalnetzanschluss schon zu DDR- oder noch weiter zurückliegenden Zeiten als auch von den Eigentümern „neu“ an das Kanalnetz angeschlossener/anschließbarer Grundstücke. Denn allen angeschlossenen bzw. an die öffentliche Einrichtung anschließbaren Grundstücken werde erstmals der gleiche rechtlich dauerhaft abgesicherte Vorteil verschafft. In der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern sei ebenfalls geklärt, dass der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung sich nur auf die nach der Wende gegründeten Abgaben erhebenden Körperschaften beziehe. Selbst wenn die Kläger bzw. ihre Rechtsvorgänger im Hinblick auf das streitbefangene Grundstück während der Existenz der DDR für den Anschluss des Grundstücks Gebühren o. Ä. – ein Nachweis dafür sei nicht vorgelegt worden – gezahlt haben sollten, könne es nach der Wende zu einem Herstellungsbeitrag nach dem Kommunalabgabengesetz herangezogen werden.

24

Den Ausführungen der Kläger zu § 242 Abs. 9 BauGB bzw. einer analogen Anwendung dieser Vorschrift sei ebenfalls nicht zu folgen. Vorliegend werde kein Erschließungsbeitrag für Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB erhoben, sondern ein Anschlussbeitrag nach § 9 KAG M-V. Kommunalabgabenrechtliche Anschlussbeiträge aufgrund der Herstellung einer öffentlichen Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung unterfielen nicht der Vorschrift des § 242 Abs. 9 BauGB.

25

Dem angegriffenen Bescheid selbst hafte ebenfalls kein materieller Fehler an. Der Beitrag sei insbesondere nicht in seiner Festsetzung verjährt. Die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht setze sowohl nach dem neuen als auch nach dem alten Kommunalabgabengesetz (§ 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bzw. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F.) eine wirksame Beitragssatzung voraus. Erst mit ihrer Existenz beginne die vierjährige Festsetzungsfrist zu laufen (§ 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 170 Abs. 1 AO). Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, wonach die Festsetzungsfrist für die Erhebung eines Anschlussbeitrages erst mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung beginne. Diese Rechtsprechung habe der Landesgesetzgeber in der Neuregelung des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V ausdrücklich bestätigt. Die zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene Satzung vom 03. Dezember 2004 über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung sei die erste wirksame Satzung des Zweckverbandes. Die Satzung vom 27. März 2002 sei wegen Nichtbeachtung der sog. „Altanschließer“ auf der Flächenseite der Kalkulation ebenso unwirksam gewesen wie die Satzung vom 23. Mai 2001. Anhaltspunkte für eine Verwirkung des streitigen Anschlussbeitrags lägen nicht vor.

26

Die der Satzung zugrundeliegenden Normen, insbesondere § 9 Abs. 3 KAG M-V, verstießen auch nicht gegen höherrangiges Recht, auch nicht vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –. Zunächst handele es sich bei der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b) cc) Spiegelstrich 2 Bayerisches Kommunalabgabengesetz um eine Verjährungsregelung, die in gleicher oder ähnlicher Weise im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht existent sei. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass nach dem bayerischen Landesrecht beitragspflichtig derjenige ist, der im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist oder war. Es komme hingegen nach der dortigen Regelung nicht darauf an, ob er im Zeitpunkt des Erlasses des Anschlussbeitragsbescheides noch Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist. Eine vergleichbare Verjährungsregelung gebe es im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht. § 12 Abs. 2 KAG M-V i.V.m. § 169 AO setze die Verjährungsfrist für alle Fälle auf vier Jahre ab dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht fest. Ein beliebiges Auseinanderklaffen von Entstehung der Beitragspflicht und Eintritt der Verjährung sei damit ausgeschlossen.

27

Auch die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V unterliege keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Mit dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber in der Gesetzesnovelle von 2005 entsprechend der seit 1999 ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern zu der Vorläuferregelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 klargestellt bzw. präzisiert, dass Beiträge nur erhoben werden können, wenn sie auf eine rechtswirksame Satzung verweisen können. Auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werde seitens des Verwaltungsgerichts an dieser Rechtsprechung festgehalten. Die Regelung widerspreche nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtssicherheit. Die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern und die Regelungen im Bayerischen Kommunalabgabengesetz unterschieden sich insofern, da das Entstehen der sachlichen und persönlichen Beitragspflicht nach Artikel 5 Abs. 6 BayKAG zusammenfalle. Nach dem Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern sei nach § 7 Abs. 2 KAG M-V hingegen beitragspflichtig immer derjenige, der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides die persönlichen Kriterien der Beitragspflicht als Grundstückseigentümer oder sonstiger Pflichtiger erfüllt. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayerischen Landesrecht, das unter Umständen – wie im Fall des Bundesverfassungsgerichts – an eine längst vergangene Eigentümerstellung anknüpfe, sei deshalb nicht möglich. Eine dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtssicherheit zuwiderlaufende Regelung sei in § 9 Abs. 3 KAG M-V auch insoweit nicht zu erkennen, als dort nicht das Erfordernis der rückwirkenden Inkraftsetzung der Beitragssatzung oder aber eine starre äußerste zeitliche Grenze für das zulässige Entstehen der sachlichen Beitragspflicht durch Erlass einer wirksamen Beitragssatzung geregelt sei. Eine derartige Regelung gebiete das Verfassungsrecht nicht. Dabei sei zunächst darauf hinzuweisen, dass das bundesrechtlich geprägte (Straßen-) Erschließungsbeitragsrecht ebenfalls das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ggf. vom nachträglichen Erlass einer Erschließungsbeitragssatzung abhängig mache, ohne dass dort eine zeitliche Höchstgrenze festgelegt wäre. Diese durch das Richterrecht des Bundesverwaltungsgerichts geprägte Rechtslage sei bislang verfassungsrechtlich nicht beanstandet worden. Schließlich sei im Hinblick auf eine „Verflüchtigung“ des Vorteils für das Anschlussbeitragsrecht nach Maßgabe des Landesrechts in Mecklenburg-Vorpommern zu berücksichtigen, dass der Anschlussvorteil ein weitaus länger währender sei als beispielsweise der Anliegervorteil aus einer Straßenbaumaßnahme. Die Konzeption und Realisierung einer Trinkwasserversorgungs- bzw. Abwasserbeseitigungsanlage sei weitaus aufwändiger als z. B. die Erneuerung einer Straße. Unter diesen Rahmenbedingungen könne eine zeitliche Höchstgrenze in Ansehung der konkreten Planungs- und Realisierungserfordernisse nicht gezogen werden, ohne auf der anderen Seite den ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung zu verletzen. Eine „Verflüchtigung“ komme erst ab dem Zeitpunkt in Betracht, ab dem die Vorteile, die die Anlage bietet, den Eigentümern vollständig zugeflossen sind. Bezug zu nehmen sei dabei auf die konkrete Anlage, für die die Vorteile abgeschöpft werden. Unerheblich sei es hingegen, ob es unter früheren Rechtsregimen ähnliche Entsorgungsmöglichkeiten gegeben habe. Eine andere verfassungsrechtliche Betrachtung möge sich im Einzelfall ergeben, wenn lange Zeit – d.h. mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte – nach Abschluss des in gemeindlicher Selbstverwaltung geplanten Ausbauzustandes bzw. der Investitionsmaßnahme immer noch keine wirksame Satzung als Voraussetzung der Beitragserhebung gegeben sei. Eine starre Bestimmung dieser zeitlichen Höchstgrenze sei für das Anschlussbeitragsrecht aber verfassungsrechtlich nicht geboten.

28

Das Urteil ist den Klägern am 21. Juni 2013 zugestellt worden.

29

Am 17. Juli 2013 haben die Kläger gegen das Urteil Berufung eingelegt und am 13. August 2013 beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern. Nach antragsgemäßer Fristverlängerung bis zum 23. September 2013 haben sie am 18. September 2013 nochmals beantragt, die Frist bis zum 15. Oktober 2013 zu verlängern. Nach entsprechender Verlängerung haben die Kläger mit am 11. Oktober 2013 eingegangenem Schriftsatz ihre Berufung dann begründet.

30

Die Kläger tragen im Wesentlichen vor,

31

das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen. Der angefochtene Bescheid sowie der Widerspruchsbescheid seien rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten. Eine mit dem angefochtenen Bescheid abgerechnete Neuherstellung der Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung liege nicht vor. Das Grundstück der Kläger sei bereits vor dem 03. Oktober 1990 im damaligen Beitrittsgebiet an eine bestehende Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen gewesen. Folglich sollten sie als Grundstückseigentümer im vorliegenden Fall zweimal für eine Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung bezahlen. Das Verwaltungsgericht hätte erkennen müssen, dass die Erhebung des Beitrages zu einer unzulässigen Doppelbelastung der Eigentümer führe, da der Beklagte ein bestehendes Kanalnetz übernommen habe, welches bereits zu DDR-Zeiten über die Bevölkerung finanziert worden sei. Sie seien als Grundstückseigentümer mit ihrem Grundstück bereits zu DDR-Zeiten an die Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen gewesen. Sie hätten nicht damit rechnen müssen, ein zweites Mal für die bereits vorhandene Anlage zahlen zu müssen. Sie hätten vielmehr darauf vertrauen dürfen, für die Herstellungskosten nicht mehr herangezogen zu werden, und sich auch auf die Einreden der Verjährung und der Verwirkung berufen.

32

Die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung gebe überdies selbst auch keine Grundlage für die Festsetzung eines Herstellungsbeitrages gegenüber den Klägern. In § 3 der Satzung sei geregelt, dass die Beitragspflicht entstehe, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden könne. Das Grundstück der Kläger sei zu DDR-Zeiten an die öffentliche Einrichtung angeschlossen gewesen, nach dieser Regelung könne daher eine Beitragspflicht nicht entstehen. Soweit § 3 regele, dass für Grundstücke, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung bereits angeschlossen seien, eine Beitragspflicht mit dem Inkrafttreten dieser Satzung entstehe, lasse sich diese Regelung allein dahingehend auslegen, dass auch hiervon nur Grundstücke betroffen seien, die zum 03. Oktober 1990 noch nicht an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen seien. Eine anderweitige Auslegung würde gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen. Die Satzung stehe nicht im Einklang mit der Regelung in § 242 Abs. 9 BauGB. Die Kläger bestreiten, dass die Beiträge durch eine entsprechende Aufwandsinvestition gerechtfertigt seien. Ebenso werde bestritten, dass die Beiträge zutreffend anhand des angefallenen Aufwands berechnet worden seien. Das Verwaltungsgericht hätte diesem Bestreiten der Kläger nachgehen müssen. Die Berechnung des Beklagten könne von außenstehenden Laien kaum nachvollzogen werden. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verkenne zudem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05. März 2013 – 1 BVR 2057/08 –. Hier sei ausgeführt worden, dass sogenannte Altanschließer geschützt werden müssten und nicht unbegrenzt die Möglichkeit bestehe, weitere Abgaben zu erheben. Das Bundesverfassungsgericht verlange, dass soweit Beitragspflichten zum Vorteilsausgleich an zurückliegende Tatbestände anknüpften, diese Inanspruchnahme zeitlich begrenzt sein müsse. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete demnach, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Im vorliegenden Fall hätten die Kläger bereits vor dem 03. Oktober 1990 für die Schmutzwasserbeseitigung gezahlt. Sie hätten daher nicht damit rechnen müssen, dass sie im Jahr 2006 plötzlich zu Beiträgen herangezogen würden. Die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern verstießen gegen höherrangiges Recht, insbesondere die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V. Da letztere keine zeitliche Begrenzung für sogenannte Altfälle vorsehe, seien sie und damit auch entsprechende Satzungen rechtswidrig. Auch dem Argument des Verwaltungsgerichts, wonach sich die hiesigen Regelungen und die des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes dadurch unterscheiden würden, dass das Entstehen der sachlichen und persönlichen Beitragspflichten nach Artikel 5 Abs. 6 Bayerisches KAG zusammenfallen würden und nach dem Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern nach § 7 Abs. 2 KAG M-V hingegen beitragspflichtig immer derjenige sei, der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides die persönlichen Kriterien der Beitragspflicht erfülle, könne insoweit nicht gefolgt werden. Die Regelungen in Mecklenburg-Vorpommern ermöglichten, dass quasi ohne zeitliche Begrenzung für Altfälle noch Beiträge erhoben werden könnten. § 9 Abs. 3 KAG M-V sei eine dem Anspruch auf Rechtssicherheit zuwiderlaufende Regelung, als dort keine starre äußerste zeitliche Grenze für das Entstehen der Beitragspflicht geregelt sei.

33

Die Kläger beantragen,

34

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Schwerin Az: 4 A 1280/12 vom 16.04.2013 den Bescheid des Beklagten über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19.05.2006 (Bescheid-Nr. B…) und seinen Widerspruchsbescheid vom 28.08.2006 aufzuheben.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Berufung zurückzuweisen.

37

Der Beklagte trägt vor,

38

die Beitragserhebung sei gegenüber den Klägern auch mit Rücksicht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – rechtlich zulässig. Die rechtliche Struktur der Bestimmungen des § 9 Abs. 3 KAG M-V sowie des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b cc) Spiegelstrich 2 BayKAG sei erkennbar verschieden. In Bayern habe ein ursprünglicher Grundstückseigentümer noch jahrzehntelang zu einem Beitrag herangezogen werden können, auch wenn er etwa das Grundstück bereits verkauft gehabt und sich so der Vorteil in der Tat „verflüchtigt“ habe. In Mecklenburg-Vorpommern hingegen werde stets der aktuelle Grundstückseigentümer herangezogen, der den Vorteil des erschlossenen Grundstücks gerade noch innehabe. In rechtlicher Hinsicht sei die Situation in Mecklenburg-Vorpommern vergleichbar mit derjenigen sogenannter „verhaltener Ansprüche“, etwa Arzt- oder Architekten-Honorarforderungen, die auch erst entstehen bzw. fällig würden, wenn eine entsprechende Rechnung gestellt werde. So wie dort genüge auch im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern das Rechtsinstitut der Verwirkung, um unbillige oder rechtsstaatlich unter dem Blickpunkt der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu rechtfertigende Einzelfälle zu korrigieren. Ergänzend komme die vom Bundesverfassungsgericht nicht gesehene Regelung des § 162 BGB analog hinzu, wonach ein Bedingungseintritt nicht treuwidrig verzögert werden dürfe. Dieser Rechtsgrundsatz relativiere die Bedenken, die das Bundesverfassungsgericht gegen das Argument, das Rechtsinstitut der Verwirkung sei ausreichend, vorgebracht habe. Auch die Regelungen zur sachlichen und persönlichen Billigkeit dürften ergänzend eine Rolle spielen. Denn diese unbestimmten Rechtsbegriffe ließen eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend zu, dass erhobene Beiträge nach „Verflüchtigung“ des Vorteils nicht mehr beigetrieben werden könnten, da dies sachlich unbillig wäre.

39

Ergänzend sei von Bedeutung, dass sich der Vorteil durch das Erschlossensein durch eine leitungsgebundene Einrichtung nicht so schnell „verflüchtige“, wie das Bundesverfassungsgericht unterstelle. Die öffentliche Einrichtung mit ihren technischen Anlagen solle quasi „ewig“ vorgehalten werden. Die technischen Anlagen hätten typischerweise auch Nutzungsdauern von mehreren Jahrzehnten, die zudem durch Instandsetzungen und Erneuerungen noch verlängert würden. § 9 Abs. 3 KAG M-V wäre jedenfalls etwa dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die sachliche Beitragspflicht unabhängig von einer wirksamen Satzung entstehe, wenn die öffentliche Einrichtung endgültig hergestellt worden sei, also mit Umsetzung des jeweiligen Abwasserbeseitigungskonzeptes eines Abwasserentsorgers in Bezug auf technische Anlagen, die zu den jeweiligen öffentlichen Einrichtungen gehörten. Auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg habe mit Urteil vom 14. November 2013 – 9 B 34.12 – die mit § 9 Abs. 3 KAG M-V vergleichbare Regelung im KAG Brandenburg verfassungskonform interpretiert. Es habe den vom Bundesverfassungsgericht betonten weiten Gestaltungsspielraum herangezogen und es für ausreichend erachtet, dass § 12 Abs. 3a KAG Brandenburg grundsätzlich für Altanschließer normiert habe, dass die Festsetzungsfrist frühestens am 31. Dezember 2011 ende. Es habe dabei zutreffend auf die Besonderheiten im Gebiet der ehemaligen DDR beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung abgestellt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Urteil vom 14. November 2013 – 6 B 12.704 – verfassungskonform zu Erschließungsbeiträgen entschieden, dass diese ohne Rücksicht auf das Entstehen der Beitragsschuld und unbeschadet der Verjährungsregelungen analog der 30-jährigen Verjährungsregel des dortigen Art. 53 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG verjährten.

40

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, auf die Gerichtsakten in den Parallelverfahren Az. 1 L 139/13 und 1 L 140/13 und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Gerichtsakten bzw. Beiakten zu Gerichtsakten, die sämtlich jeweils zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, ferner auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

41

Die zulässige Berufung der Kläger hat keinen Erfolg.

42

Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet ist; der Bescheid des Beklagten über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. Mai 2006 (Bescheid-Nr. B…) und sein Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

43

Der Beitragsbescheid beruht auf einer wirksamen Rechtsgrundlage (A.); auch die Rechtsanwendung des Beklagten ist nicht zu beanstanden (B.).

44

A. Gemäß § 1 Abs. 2 Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-​Vorpommern (KAG M-​V) können Zweckverbände in Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises Abgaben mit Ausnahme von Steuern erheben. Abgaben dürfen nur aufgrund einer Satzung erhoben werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-​V). Die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Satzung des Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverbandes Güstrow-Bützow-Sternberg (nachfolgend: Zweckverband) über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 in der während des laufenden gerichtlichen Verfahrens maßgeblich gewordenen Fassung der Vierten Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 09. Dezember 2013 (im Folgenden: BGS) ist rechtlich nicht zu beanstanden.

45

Die Rüge der Kläger, die Satzung stehe nicht im Einklang mit der Regelung des § 242 Abs. 9 BauGB, dringt nicht durch. Der Senat hat bereits entschieden, dass diese Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich sein kann, weil sie ausschließlich die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung vor allem von Straßen regelt, um die es aber hier nicht geht (vgl. – auch zum Folgenden – Beschl. v. 06.02.2007 – 1 L 295/05 –, NordÖR 2007, 433; Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris). Auch die von den Klägern begehrte analoge Anwendung dieser Bestimmung kommt nicht in Betracht; ebenso wenig war der Landesgesetzgeber verpflichtet, für die Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen eine entsprechende Regelung zu treffen. Das Vorbringen der Kläger lässt die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Erschließungsbeiträgen nach den §§ 127 ff. BauGB und den Kanalanschlussbeiträgen außer Acht. Erschließungsanlagen nach § 127 Abs. 2 BauGB (zumeist öffentliche Straßen und Plätze) sind einzelne technische Einrichtungen mit bis zu ihrer endgültigen Herstellung von der Errichtung weiterer technischer Anlagen unabhängiger überschaubarer Bauzeit, die naturgemäß in dem Zeitraum vor der Wende ihren Abschluss finden konnten. In diesem Falle sollen die Anliegergrundstücke nicht mit hohen Erschließungsbeiträgen, sondern wegen des dann höheren Gemeindeanteils nur mit niedrigeren Straßenbaubeiträgen belastet und insoweit privilegiert werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.07.2007 – 9 C 5.06 –, juris, Rn. 27). Eine völlige Freistellung von Beiträgen ist demzufolge nicht geregelt. Bei der Abwasserbeseitigungseinrichtung handelt es sich um eine aus verschiedenen einzelnen technischen Bestandteilen (Leitungsnetz, Klärwerke, etc.) bestehende Gesamtanlage im rechtlichen Sinne, deren (erstmalige) Herstellung sich über Jahrzehnte erstrecken kann und deren Fertigstellungszeitpunkt als kommunale Anlage im Sinne des neuen Rechts nicht vor dem Zeitpunkt des Beitrittes liegen konnte (vgl. dazu näher nachfolgend unter B II 3 a). Infolgedessen waren Abwasserbeseitigungseinrichtungen vor dem Zeitpunkt des Beitritts noch nicht „bereits hergestellt“. Selbst wenn man das im Einzelfall aber annehmen wollte, müssten nach dem § 242 Abs. 9 BauGB zugrundeliegenden Gedanken (keine gänzliche Freistellung von Beiträgen) auch nunmehr Erneuerungsbeiträge für die umfangreichen Anlagenmodernisierungen erhoben werden. Weil jedoch ohnehin nur „Nachwendeinvestitionen“ als dem Betreiber der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage entstandener Aufwand umgelegt werden dürfen, wäre der danach zu erhebende Beitrag auch nicht geringer als der Beitrag für die Herstellung der Anlage. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht vor diesem Hintergrund angenommen, eine analoge Anwendung von § 242 Abs. 9 BauGB scheide bereits mangels planwidriger Lücke aus. Die Kläger haben gegen dessen an die Senatsrechtsprechung anknüpfenden Erwägungen im Berufungsverfahren keine substantiellen Einwände erhoben.

46

Die von den Klägern betreffend den vom Zweckverband getätigten Aufwand bzw. die Beitragskalkulation erhobenen Einwendungen gehen „ins Blaue“. Auch wenn die Kläger insoweit Laien sein mögen, konnten sie jedenfalls mit Hilfe ihrer Prozessbevollmächtigten die entsprechenden Unterlagen des Zweckverbandes sichten und hätten dann ggf. substantielle Rügen erheben können (vgl. auch OVG Greifswald, Urt. v. 12.10.2011 – 4 K 31/06 –, juris). Im Übrigen sind nach Maßgabe des vorstehend zitierten Urteils bei einer Sichtung der Kalkulation durch den 4. Senat keine Kalkulationsmängel offen zu Tage getreten; diesen Erwägungen schließt sich der erkennende Senat an.

47

Weitere Rügen unmittelbar gegen die Wirksamkeit der der Beitragserhebung zugrunde liegenden Satzung sind von den Klägern im Berufungsverfahren nicht erhoben worden; im Übrigen verweist der Senat in dieser Frage auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts (§ 130b Satz 2 VwGO).

48

B. Die Kläger sind unter Zugrundelegung der Beitragssatzung (I.) und auch im Übrigen II.) rechtmäßig zur Beitragszahlung herangezogen worden.

49

I. Entgegen dem Berufungsvorbringen unterliegen sie zunächst der Beitragspflicht nach Maßgabe von § 3 BGS.

50

Die Beitragspflicht entsteht gemäß § 3 Satz 1 BGS, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden kann. Für Grundstücke, die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieser Satzung bereits angeschlossen sind, entsteht die Beitragspflicht mit dem In-Kraft-Treten dieser Satzung (Satz 2).

51

Die Kläger machen in Ansehung dieser Bestimmung zu Unrecht geltend, sie gebe ihnen gegenüber keine Grundlage für die Festsetzung eines Herstellungsbeitrages. In § 3 der Satzung sei geregelt, dass die Beitragspflicht entstehe, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden könne. Das Grundstück der Kläger sei zu DDR-Zeiten an die öffentliche Einrichtung angeschlossen gewesen, nach dieser Regelung könne daher eine Beitragspflicht auch entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht entstehen. Soweit sich die Beitragssatzung in § 3 ferner darauf berufe, dass für Grundstücke, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Satzung bereits angeschlossen seien, eine Beitragspflicht mit dem Inkrafttreten dieser Satzung entstehe, lasse sich diese Regelung allein dahingehend auslegen, dass auch hiervon nur Grundstücke betroffen seien, die zum 03. Oktober 1990 noch nicht an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen wären.

52

Auch diesem Vortrag der Kläger vermag der Senat nicht zu folgen. Nach der ständigen Rechtsprechung des 1. und – früheren – 4. Senats betreffend die sog. Altanschließerproblematik (vgl. etwa Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris), auf die sich das Verwaltungsgericht ausdrücklich stützt, kann und darf eine kommunale Anschlussbeitragssatzung nicht die schon in der Vergangenheit, insbesondere zur Zeit der DDR tatsächlich an eine Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung angeschlossenen Grundstücke von der Beitragspflicht ausnehmen und nur neu an die Anlage angeschlossene Grundstücke zu Beiträgen heranziehen. Dies wäre willkürlich. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Im Übrigen ist der Regelung des § 3 Satz 1 BGS offensichtlich immanent, dass sie eine Anschlussmöglichkeit unter ihrer Geltung zum Gegenstand hat: Ohne wirksame satzungsrechtliche Regelung zur Entstehung der Beitragspflicht könnte die Beitragspflicht gerade nicht entstehen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V); Bedingung der Entstehung der Beitragspflicht ist folglich die Existenz einer wirksamen Satzung. Nur dieses Normverständnis harmoniert mit § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bzw. der vorher schon existierenden Rechtslage. Mangels Geltung der Satzung zu DDR-Zeiten konnte folglich auch nicht früher schon die sachliche Beitragspflicht entstanden sein; ebenso verbietet sich von Verfassungs wegen ein Normverständnis dahingehend, dass ab Inkrafttreten der Satzung nur zukünftig anschließbare Grundstücke der Beitragspflicht („Neuanschließer“) unterliegen sollen. Insoweit ist die Satzung auch in Ansehung des Wortlauts des § 3 Satz 1 BGS wirksame Rechtsgrundlage zur Heranziehung der sog. Altanschließer; eine gegenteilige Auslegung der Norm ist ausgeschlossen, da dies ihre Unwirksamkeit nach sich zöge (vgl. Senatsurteil v. 10.10.2012 – 1 L 27/09 –). Dies stellt zudem jedenfalls – nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen in der rechtlichen gebotenen Weise – § 3 Satz 2 BGS klar.

53

II. 1. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass vorliegend keine Festsetzungsverjährung eingetreten und der mit dem Beitragsbescheid vom 19. Mai 2006 geltend gemachte Beitragsanspruch des Beklagten folglich nicht wegen Festsetzungsverjährung gemäß § 47 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 und 2 KAG M-​V erloschen ist.

54

Nach Maßgabe von § 47 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-​V erlöschen Beitragsansprüche insbesondere durch Verjährung. Eine Beitragsfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist, § 169 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-​V.

55

Abweichend von § 169 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V vier Jahre; bei der Erhebung eines Anschlussbeitrages nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V endet die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008.

56

Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V). Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung; § 3 BGS stimmt hiermit – wie ausgeführt – überein. Erste wirksame Satzung des Zweckverbandes ist die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung, die am 3. Dezember 2004 vom Verbandsvorsteher ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger vom 27. Dezember 2004 öffentlich bekannt gemacht wurde und zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist; sie liegt inzwischen in der Fassung der 4. Änderungssatzung vor. Im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Beitragsbescheides am 19. Mai 2006 waren offensichtlich noch keine vier Jahre verstrichen und folglich war Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten; auf § 12 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz KAG M-V kommt es insoweit nicht an.

57

2. Der Beklagte hat den Beitragsanspruch auch nicht verwirkt. Nach Maßgabe der Senatsrechtsprechung bedeutet Verwirkung als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung) (vgl. zum Ganzen OVG Greifswald, Beschl. v. 16.09.2013 – 1 L 207/11 –; Urt. v. 02.11.2005 – 1 L 105/05 –, juris; Beschl. v. 05.11.2001 – 3 M 93/01 –, NordÖR 2001, 480 = NVwZ-​RR 2003, 15 – zitiert nach juris; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 12.01.2004 – 3 B 101.03 –, NVwZ-​RR 2004, 314; BVerwG, Urt. v. 16.05.1991 – 4 C 4.89 –, NVwZ 1991, 1182 ff.; OVG Münster, Beschl. v. 07.08.1998 – 11 B 1555/98 –, NVwZ-​RR 1999, 540; OVG Lüneburg, Urt. v. 27.11.1991 – 1 L 117/91 –).

58

Nach diesem Maßstab kommt die Annahme einer Verwirkung des Beitragsanspruchs durch den Beklagten nicht in Betracht. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Kläger aufgrund eines Verhaltens des Beklagten darauf hätten vertrauen dürfen, dass dieser den streitigen Beitragsanspruch nicht mehr geltend machen werde. Dabei ist zu beachten, dass das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern bereits mit Beschluss vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 – (juris) die Gleichheitswidrigkeit einer Nichtheranziehung von Altanschließern festgestellt und anschließend in ständiger Rechtsprechung diesen Rechtsstandpunkt immer wieder bekräftigt hat (vgl. z.B. OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 16/00 –, KStZ 2002, 132 = NVwZ-​RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83; Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; Beschl. v. 12.05.2005 – 1 L 477/04 –; Beschl. v. 11.08.2004 – 1 M 181/04 –; Beschl. v. 18.10.2005 – 1 L 197/05 –, NordÖR 2006, 160; Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris; Urt. v. 10.10.2012 – 1 L 27/09 –, juris). Folglich mussten sich auch sog. Altanschließer auf ihre Heranziehung zu einem Zeitpunkt einstellen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 16.09.2013 – 1 L 207/11 –), in dem zudem auch das Zeitmoment noch nicht gegeben war. Damit fehlt es bereits an der erforderlichen Vertrauensgrundlage. Unabhängig von der Frage, ob die Kläger tatsächlich darauf vertraut haben, der Beitragsanspruch werde ihnen gegenüber nicht mehr verfolgt, ist zudem jedenfalls für eine beachtliche Vertrauensbetätigung ihrerseits nichts ersichtlich.

59

3. Schließlich hat sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge auch nicht nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, juris; vgl. auch Beschl. v. 03.09.2013 – 1 BvR 1282/13 -, juris; Beschl. v. 11.10.2013 – 1 BvR 2616/13 –) „verflüchtig“ oder erweist sich insbesondere die landesrechtliche Bestimmung des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V als verfassungswidrig.

60

Die Kläger machen anknüpfend an diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen geltend, sie seien mit ihrem Grundstück bereits seit DDR-Zeiten bzw. jedenfalls seit der Wende an die öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen gewesen. Ohne das in § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V geregelte Erfordernis einer wirksamen Satzung hätte die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V jeweils mit der Folge früher anlaufen müssen, dass zwischenzeitlich vor Erlass des streitgegenständlichen Beitragsbescheides Festsetzungsverjährung eingetreten wäre. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bewirke rechtsstaatwidrig, dass eine Beitragserhebung zeitlich unbegrenzt nach Eintritt der Vorteilslage möglich sei. Die Kläger hätten im Zeitpunkt der Beitragserhebung nicht mehr mit einer solchen rechnen müssen. Ihr entsprechendes Vertrauen sei schutzwürdig.

61

Mit diesem Vortrag vermögen die Kläger nicht durchzudringen.

62

Die der Beitragserhebung zugrundeliegenden Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes M-​V sind wirksam. Sie verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht. Das Anschlussbeitragsrecht in Mecklenburg-​Vorpommern hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen stand. Die streitgegenständliche Beitragserhebung und auch die Bestimmung des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V verstoßen nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit. Das Regelungssystem des Kommunalabgabengesetzes M-V bringt jedenfalls im Rahmen des weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums insoweit die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und des Einzelnen an Rechtssicherheit zu einem angemessenen Ausgleich.

63

a) Der Senat hat bereits in mehreren Berufungszulassungsverfahren entschieden und hält an dieser Auffassung auch im vorliegenden Berufungsverfahren fest, dass die Feststellung einer sog. „Altanschließersituation“ isoliert betrachtet keine „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung nach sich ziehen kann.

64

Mit Blick auf den Zeitpunkt der Entstehung des beitragsrechtlichen Vorteils wurde nach ständiger Senatsrechtsprechung auch allen Eigentümern von tatsächlich bereits angeschlossenen Grundstücken („Altanschließer“) mit den jeweiligen öffentlichen Entsorgungseinrichtungen von den kommunalen Einrichtungsträgern wie dem Zweckverband erstmalig und frühestens unter dem grundlegend neuen Rechtsregime nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können (gilt entsprechend für die Versorgung mit Trinkwasser durch einen Trinkwasseranschluss). In die Beitragskalkulation zur Abgeltung dieses Vorteils fließen zudem nur sog. „Nachwendeinvestitionen“ ein, so dass auch keine Rede davon sein kann, die Eigentümer bereits zuvor tatsächlich angeschlossener Grundstücke, die ggf. in der Vergangenheit in irgendeiner Form Zahlungen für diesen früheren Anschluss geleistet haben, würden „doppelt“ zu denselben Kosten herangezogen. Entscheidend ist auf diese rechtliche Absicherung des Vorteils abzustellen, die erstmals und frühestens nach Inkrafttreten insbesondere des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – bzw. zeitlich danach mit Erlass einer wirksamen Beitragssatzung – eintreten kann. Kein taugliches Kriterium zur Differenzierung des Vorteils sind die tatsächlichen Verhältnisse, d. h. ob rein faktisch zuvor das Abwasser in der einen oder anderen Weise hat abgeleitet werden können. Daher kommt es z. B. nicht entscheidungserheblich darauf an, ob zu DDR-​Zeiten Schmutzwasserkanäle – von wem auch immer – erstellt worden sind. Ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist, ob die betreffenden Grundstückseigentümer über eine wie auch immer geartete private Kläranlage oder Sammelgrube verfügt haben (vgl. zum Ganzen bereits OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 16/00 –, NVwZ-​RR 2002, 687 – zitiert nach juris).

65

Demnach war die Vorteilslage gerade nicht schon zu DDR-Zeiten eingetreten und ist das an die Situation der Kläger als „Altanschließer“ schon in dieser Zeit anknüpfende Berufungsvorbringen für sich gesehen folglich nicht geeignet, die Entscheidungserheblichkeit der in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkret aufzuzeigen. Mit Blick darauf, dass nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts der rechtlich gesicherte Vorteil der Möglichkeit, Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können, erst mit dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern frühestmöglich entstehen konnte, hat der Senat in diesem Sinne bereits darauf hingewiesen, dass es in Ansehung der sog. Altanschließerproblematik bzw. in ausschließlicher Betrachtung des Zeitraumes zwischen einem tatsächlichen Anschluss zu DDR-Zeiten und diesem Inkrafttreten nicht entscheidungserheblich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – und den darin entwickelten Gesichtspunkt der „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Erhebung von Beiträgen ankommen kann, weil sich der so rechtlich bzw. unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung so von Verfassungs wegen (vgl. zur Gleichheitswidrigkeit einer Nichtheranziehung von „Altanschließern“ z.B. OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 16/00 –, KStZ 2002, 132 = NVwZ-​RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83; Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; Beschl. v. 12.05.2005 – 1 L 477/04 –; Beschl. v. 11.08.2004 – 1 M 181/04 –; Beschl. v. 18.10.2005 – 1 L 197/05 –, NordÖR 2006, 160; Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris; Urt. v. 10.10.2012 – 1 L 27/09 –, juris) zu definierende Vorteil nicht bereits im Moment seiner frühestmöglichen Entstehung (Inkrafttreten des KAG) wieder „verflüchtigt“ haben kann (vgl. Beschl. des Senats v. 10.06.2013 – 1 L 139/10 –; v. 21.08.2013 – 1 L 86/13 –; v. 16.09.2013 – 1 L 207/11 –; Beschl. v. 24.02.2014 – 1 L 170/13, 1 L 167/12, 1 L 175/12 –). Anders gewendet konnte in diesem frühestmöglichen Moment der Vorteilsentstehung noch kein Vertrauen gebildet worden sein, von einer Heranziehung zu Anschlussbeiträgen verschont zu bleiben. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit kann in dieser Sichtweise nicht berührt oder gar verletzt sein.

66

b) Auch im Übrigen führt die „Verflüchtigungsrechtsprechung“ des Bundesverfassungsgerichts nicht zu der Schlussfolgerung, die streitgegenständliche Beitragserhebung sei rechtswidrig. Sie ist schon nicht auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen nach Maßgabe des Kommunalabgabengesetzes M-V anwendbar (aa). Selbst wenn man die Möglichkeit der „Verflüchtigung“ einer Legitimation zur Erhebung von Anschlussbeiträgen im Grundsatz bejahte, kann diese zur Überzeugung des Senats nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls angenommen werden. Insoweit wäre keine gesetzliche Neuregelung im Kommunalabgabengesetz M-V notwendig, da der Landesgesetzgeber bereits ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt hat, um den verschiedenen Fallgestaltungen und einer im Einzelfall nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzunehmenden „Verflüchtigung“ des Vorteils bzw. zur Legitimation einer Beitragserhebung gerecht zu werden (bb). Nach den Umständen des Einzelfalles ist vorliegend eine solche „Verflüchtigung“ zu verneinen (cc).

67

aa) Zunächst ist die erörterte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Ausgangspunkt zu Bestimmungen des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes ergangen, die in wesentlicher Hinsicht vom hiesigen Landesrecht abweichen und folglich nicht ohne Weiteres auf dieses bzw. den vorliegenden Fall übertragen werden kann.

68

Bei der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b) cc) Spiegelstrich 2 Bayerisches Kommunalabgabengesetz handelt es sich um eine Verjährungsregelung, die sich in gleicher oder ähnlicher Weise im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht wiederfindet. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem bayerischen Landesrecht beitragspflichtig derjenige ist, der im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist oder war. Es kam hingegen nach der dortigen Regelung nicht darauf an, ob er im Zeitpunkt des Erlasses des Anschlussbeitragsbescheides noch Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist. Eine vergleichbare Verjährungsregelung gibt es im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht. § 12 Abs. 2 KAG M-V i.V.m. § 169 AO setzt die Verjährungsfrist für alle Fälle auf vier Jahre ab dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht fest. Die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – zugrundeliegende Fallgestaltung, dass ein früherer Grundstückseigentümer viele Jahre nach Aufgabe seines Eigentums zu einem Beitrag herangezogen wird, die Festsetzungsfrist jedoch erst mit Erlass der Heilungssatzung beginnt, kann sich nach den Bestimmungen des KAG M-V (im Regelfall) nicht ereignen. Nach Art. 5 Abs. 6 Satz 1 BayKAG ist beitragspflichtig, wer im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld Eigentümer des Grundstücks ist. Entsteht die (sachliche) Beitragspflicht – wie im vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall – aufgrund einer rückwirkenden Satzung zu einem früheren Zeitpunkt, so ist der damalige Grundstückseigentümer beitragspflichtig, auch wenn ihm zum Zeitpunkt der Erteilung des Beitragsbescheides das Grundstück nicht mehr gehört. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG MV ist beitragspflichtig, wer im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des bevorteilten Grundstückes ist. Weiter kann die Satzung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 KAG MV bestimmen, dass beitragspflichtig ist, wer im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten Eigentümer des bevorteilten Grundstückes ist. Eine solche Bestimmung enthält § 7 BGS vorliegend nicht. Trifft demnach die Beitragssatzung – wie hier – keine von § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG MV abweichende Regelung, so ist es nicht möglich, dass ein früherer Eigentümer herangezogen wird, für den sich in der Tat der Anschlussvorteil bzw. demgegenüber sich die Legitimation zur Beitragserhebung „verflüchtigt“ haben kann. Auch wenn man die gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken teilt, ist folglich ihre Übertragung auf § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V nicht überzeugend.

69

Der Schutzbereich des vom Bundesverfassungsgericht als Ausprägung des Grundsatzes der Rechtssicherheit verstandenen Gebots der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit, das davor schützt, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können, ist im Falle der Erhebung eines Anschlussbeitrags im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen bzw. im Anwendungsbereich von § 9 Abs. 3 KAG M-V nicht einschlägig bzw. berührt.

70

Die Verschaffung des Vorteils, d.h. der Möglichkeit der Inanspruchnahme (§ 7 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V) ist kein in tatsächlicher Hinsicht einmaliger, gewissermaßen in einer juristischen Sekunde abgeschlossener Vorgang, sondern dauert nach erstmaliger Anschlussmöglichkeit mehrere Jahrzehnte lang an. Schmutz- und Trinkwasserbeiträge nach § 9 KAG M-​V knüpfen nicht an in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge an. Die Legitimation des Anschlussbeitrags ergibt sich vielmehr aus der Überlegung, dass das bevorteilte Grundstück durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Anlage (§ 9 Abs. 3 KAG M-​V) einedauerhafte Erschließung erfährt. Der Vorteilsbegriff ist grundstücksbezogen, der abzugeltende Vorteil ist für das Grundstück in der positiven Veränderung der Erschließungssituation zu sehen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 20.10.1998 – 1 M 17/98 –, juris). Die Möglichkeit des Anschlusses an eine Abwasserentsorgungs- bzw. Trinkwasserversorgungsanlage ist für die ordnungsgemäße Erschließung eines Grundstücks in gleicher Weise erforderlich wie etwa das Vorhandensein einer Straße. Eine ausreichende und auf Dauer gesicherte Erschließung ist sowohl nach Bauplanungsrecht – §§ 30 ff. Baugesetzbuch (BauGB) – als auch nach Bauordnungsrecht unabdingbare Voraussetzung für die Nutzung eines Grundstücks zu baulichen Zwecken. Die Sicherung der Erschließung bezieht sich somit nicht nur auf den Zeitpunkt der erstmaligen Herstellung. Vielmehr wirkt die durch die Sicherung der Erschließung herbeigeführte Bebaubarkeit eines Grundstücks auf die Zukunft ab der erstmalig gebotenen Anschlussmöglichkeit. Beitragsfähig ist nur der Vorteil, der rechtlich sicher und auf Dauer geboten wird (vgl. Dietzel, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2013, § 8, Rn. 532 ff., 537; vgl. auch VG Ansbach, Urteil vom 29. August 2013 – AN 3 S 13.01273 –, juris, zum Erschließungsbeitragsrecht). Der Schmutz- bzw. Trinkwasserbeitrag wird nicht dafür gezahlt, dass das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen wurde oder angeschlossen werden konnte, sondern dafür, dass es angeschlossen ist oder angeschlossen werden kann und auf Dauer angeschlossen bleibt. Der Vorteil ist deshalb als Dauervorteil zu qualifizieren (vgl. nur VerfG des Landes Brandenburg, Urt. v. 21.09.2012 – 46/11 –, juris, Rn. 88).

71

In diesem Zusammenhang erscheinen die Erläuterungen des Bundesverfassungsgerichts zur Legitimation von Beiträgen (Beschl. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, juris, Rn. 45) ohnehin nicht ohne Weiteres als zwingend. Diese soll danach in der Abgeltung eines Vorteils liegen, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist. Die vom Bundesverfassungsgericht in Bezug genommenen Entscheidungen (BVerfGE 49, 343, 352; 93, 319, 344) sagen nichts dazu, dass der Vorteil „in einem bestimmten Zeitpunkt“ zugekommen sein muss. In einem bestimmten Zeitpunkt beginnt naturgemäß die Vorteilslage, aber sie dauert dann – wie zuvor gesagt – auch über einen sehr langen Zeitraum an. Der zitierte Beschluss vom 12. Oktober 1978 (2 BvR 154/74 –, BVerfGE 49, 343) betrifft auch keinen Beitrag, sondern eine Steuer und erwähnt nur allgemein das Vorteilsprinzip. In der weiter angeführten Entscheidung findet sich gleichfalls kein Beleg für den aufgestellten Rechtssatz. Dort heißt es in Übereinstimmung mit den beitragsrechtlichen Grundsätzen zur Rechtfertigung von Vorzugslasten im Präsens: „So empfängt, wer eine öffentliche Leistung in Anspruch nimmt, einen besonderen Vorteil, der es rechtfertigt, ihn zur Tragung der Kosten der öffentlichen Leistung heranzuziehen oder die durch die öffentliche Leistung gewährten Vorteile ganz oder teilweise abzuschöpfen“ (BVerfG, Beschl. v. 07.11.1995 – 2 BvR 413/88, 2 BvR 1300/93 –, BVerfGE 93, 319). Von einem abgeschlossenen Vorgang ist dort gerade nicht die Rede. Die Erhebung von Gebühren und Beiträgen wird danach dementsprechend durch ihre Ausgleichsfunktion legitimiert.

72

Die Annahme des Bundesverfassungsgerichts, die Legitimation von Beiträgen liege in der Abgeltung eines Vorteils, der dem Grundstückseigentümer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei, stellt auch unter anderem Blickwinkel eine jedenfalls im Anschlussbeitragsrecht unzulässige Fiktion dar. In Ergänzung zu den vorstehenden Ausführungen zum Gegenstand des anschlussbeitragsrechtlichen Vorteils und zu seiner Qualifizierung als Dauervorteil ist darauf zu verweisen, dass § 5 Abs. 1 der Abwasserentsorgungsatzung des Zweckverbandes – wie im Übrigen die entsprechenden Satzungen anderer Entsorgungsträger – anknüpfend an § 14 Abs. 2 Kommunalverfassung (KV M-V) bzw. als Kehrseite des Anschluss- und Benutzungszwangs gemäß § 15 KV M-V i.V.m. § 7 der Abwasserentsorgungssatzung den Klägern wie jedem Eigentümer eines im Gebiet des Verbands liegenden Grundstücks die Berechtigung einräumt, den Anschluss seines Grundstücks an die Abwasseranlage und das Einleiten der auf seinem Grundstück anfallenden Abwasser nach Maßgabe der Satzung und unter Beachtung der Einleitungseinschränkungen des § 6 verlangen zu können. Dieses Anschluss- und Benutzungsrecht unterliegt keinen Einschränkungen in zeitlicher Hinsicht und „verflüchtigt“ sich auch nicht durch schlichten Zeitablauf bzw. den Umstand, dass dem Zweckverband zunächst über längere Zeit eine Abgabenerhebung auf der Grundlage einer wirksamen Beitragssatzung nicht gelang. Genau wie im Moment des erstmaligen Anschlusses hat der Grundstückseigentümer auch Jahre und Jahrzehnte später noch den Anschlussanspruch, der sich z. B. bei Beschädigungen oder Zerstörungen der Leitungen, die sein Grundstück anschließen, aktualisieren kann. Insoweit wäre es widersprüchlich, wenn sich einerseits die Zahlungspflicht verflüchtigen, der Anschlussanspruch aber uneingeschränkt und jederzeit aktualisierbar fortbestehen soll. Der Senat hat im Zusammenhang mit den Fragen nach der Entstehung der Beitragspflichten bzw. dem tatsächlichen Angeschlossensein eines Grundstückes bereits ausgeführt (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 18.01.2013 – 1 M 185/10 –), der Grundstückseigentümer könne aufgrund seines Benutzungsrechts vom Einrichtungsträger die Instandsetzung eines Kanals zur Beseitigung etwaiger alterungs- und bauausführungsbedingter Mängel beanspruchen. Zwischen dem Eigentümer und dem Einrichtungsträger besteht ein auf dem Anschluss des Grundstücks an die Kanalisation beruhendes öffentlich-rechtlichen (Dauer-) Schuldverhältnis. Daraus ist letzterer verpflichtet, das Abwasser aus den Grundstücken aufzunehmen und abzuleiten und steht zu den Anschlussnehmern weitgehend so, wie ein eine Kanalisationsanlage betreibender Unternehmer des bürgerlichen Rechts zu seinen Kunden stünde. Dem Einrichtungsträger obliegt es daher, dafür zu sorgen, dass das Entwässerungssystem insgesamt funktioniert, denn der Grundstückseigentümer ist ohne eine ordnungsgemäß beschaffene Anschlussleitung nicht imstande, seiner Verpflichtung zur Benutzung nachzukommen und sein Benutzungsrecht auszuüben (vgl. auch BGH, Urt. v. 30.09.1970 – III ZR 87/69 –, BGHZ 54, 299, 303; Urt. v. 07.07.1983 – III ZR 119/82 –, NJW 1984, 615, 617; VGH Mannheim, Urt. v. 09.11.1990 – 8 S 1595/90 –, NVwZ-RR 1991, 325; OVG Münster, Urt. v. 25.01.1978 – II A 439/75 –, KStZ 1978, 213). Das bedeutet, dass der Einrichtungsträger auch dafür zu sorgen hätte, dass die bei Ausschöpfung der zulässigen Grundstücksnutzung anfallenden Abwässer ordnungsgemäß abgeführt werden können. Dieser auch nach Jahrzehnten fortbestehenden Pflichten-, vor allem aber auch Anspruchsbeziehung trägt die Annahme einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung keine Rechnung.

73

Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass nach dem Kommunalabgabengesetz M-V die Refinanzierung des Herstellungsaufwands kommunaler Entsorgungseinrichtungen gleichzeitig teilweise über Anschlussbeiträge und teilweise über Gebühren bzw. eine gemischte Beitrags- und Gebührenfinanzierung mit einem nur teilweisen Deckungsgrad der Beitragserhebung seit jeher zulässig, weil vom ortsgesetzgeberischen Ermessen gedeckt ist (vgl. nur OVG Greifswald, Urt. v. 03.05.2011 – 1 L 59/10 –, juris; Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, DVBl. 2005, 64; Urt. v. 15.11.2000 – 4 K 8/99 –, juris, Rn. 66; Urt. v. 25.02.1998 – 4 K 8/97 –, NordÖR 1998, 256). Da die Gebührenerhebung regelmäßig fortlaufend vom Zeitpunkt der Entstehung des Vorteils an erfolgt ist, auch wenn parallel ein Beitrag noch nicht erhoben worden ist oder – z. B. wegen einer unwirksamen Beitragssatzung – noch nicht erhoben werden konnte, ist eine „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Deckung des Herstellungsaufwandes durch Gebühren grundsätzlich nicht denkbar. In diesen Fällen erscheint es ebenfalls widersprüchlich, ab einem bestimmten Zeitpunkt einerseits die „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Deckung des Herstellungsaufwandes durch Anschlussbeiträge anzunehmen, andererseits eine solche „Verflüchtigung“ für die Deckung des Herstellungsaufwandes durch Gebühren zu verneinen.

74

Die Annahme der Möglichkeit einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung wird auch in anderer Hinsicht der Komplexität der Rechtsbeziehungen im Bereich der Refinanzierung leitungsgebundener öffentlicher Einrichtungen nicht gerecht. So „verflüchtigt“ sich jedenfalls etwa der vom Zweckverband getätigte Herstellungsaufwand nicht. Die Kosten der Herstellung müssen gedeckt werden. Fällt der Verband mit Beitragsforderungen wegen einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Erhebung derselben aus, müssen nach entsprechender Neukalkulation entweder andere Beitragspflichtige oder Gebührenschuldner diese Kosten zusätzlich tragen; soweit die Refinanzierung dann über Gebühren erfolgen sollte, müsste wohl auch der von der Pflicht zur Zahlung eines Anschlussbeitrags wegen „Verflüchtigung“ frei gewordene Grundstückseigentümer die entstandene Finanzierungslücke mittragen. Dafür, dass dieser nicht einmal teilweise mehr über Gebühren – wenn auch in voraussichtlich deutlich geringerem Umfang – zu den Herstellungskosten herangezogen werden kann, bietet die „Verflüchtigungsrechtsprechung“ des Bundesverfassungsgerichts keinen Anhaltspunkt. In letzter Konsequenz müsste ggfs. eine Finanzierung der Anlage im Umfang der Einnahmeausfälle über aus Steuermitteln gespeiste staatliche Zuschüsse erfolgen, wenn der von der „Verflüchtigung“ betroffene Refinanzierungsbetrag nicht über Beiträge und Gebühren gedeckt werden könnte. Diese Erwägungen zeigen jedenfalls handgreiflich, dass – anders als das Bundesverfassungsgericht offenbar meint – in diesem Sinne keine „zweipolige“ Rechtsbeziehung (Entsorgungsträger – Grundstückseigentümer), sondern eine „dreipolige“ dergestalt besteht, dass eine Vielzahl von privaten Dritten durch die „Verflüchtigung“ von Beitragsforderungen zusätzlich und gleichzeitig weniger vorteilsgerecht belastet wird. Auch die Lebensentwürfe dieser Dritten sind schützenswert.

75

Dass als Gegenpol zum auf Seiten des Bürgers zu berücksichtigenden Prinzip der Rechtssicherheit das Interesse an materieller Gerechtigkeit und insbesondere Belastungsgleichheit vom Bundesverfassungsgericht als ausschließlich staatliches Interesse erwähnt wird, greift nach Auffassung des Senats zu kurz. Bei der Belastungsgleichheit geht es um die gleichmäßige Belastung der Abgabenschuldner. Wenn der eine Abgabenschuldner zu einem Beitrag herangezogen wird und zahlt, der andere – vielleicht später – ebenfalls herangezogen wird, aber wegen einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung nicht zahlen muss, so ist die ungleichmäßige Belastung der Bürger evident; ihr privates und grundrechtlich geschütztes Interesse an einer Belastungsgleichheit wird beeinträchtigt. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, dass einzelne Grundstückseigentümer vollständig von der Zahlungspflicht frei werden sollen.

76

Zudem ist wie vorstehend ausgeführt insoweit eine weitere Verschärfung zu Lasten privater Gleichbehandlungsinteressen in Rechnung zu stellen, als Dritte ggf. zusätzliche Belastungen zu tragen haben. Hier tut sich im Verhältnis zwischen denen, die in der Vergangenheit einen Anschlussbeitrag gezahlt haben, und denjenigen, die nun nichts mehr zahlen müssen, eine eklatante Gerechtigkeitslücke auf. Diese kann nicht etwa dadurch gerechtfertigt werden, dass die einen Beitragsschuldner um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht haben, die anderen hingegen nicht: Denn auch diejenigen, die einen Anschlussvorteil erlangt haben, aber um Rechtsschutz gegen die Beitragserhebung nachgesucht haben, konnten grundsätzlich zu keinem Zeitpunkt erwarten, keinerlei Beiträge zahlen zu müssen. Es konnte – spätestens ab dem Zeitpunkt der obergerichtlichen Klärung der Beitragspflichtigkeit auch der sog. Altanschließer (siehe dazu vorstehend) – nie ein Vertrauen von Grundstückseigentümern dahingehend entstehen oder ihr Lebensentwurf an die Erwartung anknüpfen, keinen Beitrag bzw. einen „Null-Beitrag“ zahlen zu müssen. Mit der – im Falle unwirksamer Satzungen: wiederholten – Publizierung von Beitragssatzungen hat der Einrichtungsträger in rechtsstaatlich gebotener und zugleich grundsätzlich einwandfreier Weise seine Absicht der Beitragserhebung öffentlich bekannt gemacht. Alle Grundstückseigentümer waren hierüber informiert bzw. mussten hierüber informiert sein. Es stand – unbeschadet der gesetzlichen Bestimmungen zur Verjährung – von der Veröffentlichung der ersten Beitragssatzung an fest, dass irgendwann ein Beitrag zu zahlen sein wird. Allenfalls war mit Blick auf gegen die Beitragerhebung gerichtete Rechtsschutzverfahren – auch von Dritten – eine gewisse Erwartung gerechtfertigt, dass möglicherweise ein anderer, ggf. geringerer Betrag zu zahlen sein wird. Konnte sich ein Beitragsschuldner aber zu keinem Zeitpunkt darauf einrichten, keinen Beitrag zahlen zu müssen, bestand mit Blick auf seine Dispositionsfreiheit allenfalls eine teilweise Einschränkung wegen einer entsprechend teilweisen Unsicherheit bezüglich der Höhe seiner Beitragszahlungspflicht. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Kommunalabgabengesetz seit seinem Inkrafttreten am 11. April 1991 eine Erhebung von Beiträgen vorgesehen hat. Die Abgabenpflichtigen mussten mithin stets damit rechnen, dass die Aufgabenträger zur Finanzierung leitungsgebundener Einrichtungen Anschlussbeiträge erheben würden.

77

Jedenfalls ist in den neuen Bundesländern eine Sondersituation (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, etwa Urt. v. 14.11.2013 – OVG 9 B 35.12 –, juris Rn. 65, und Beschl. v. 10.01.2014 – OVG 9 S 64.13 –, juris Rn. 15) zu berücksichtigen, die darin besteht, dass hier nach der Wende erst funktionierende Verwaltungsstrukturen aufgebaut werden und flächendeckend „auf einen Schlag“ alle Grundstückeigentümer herangezogen werden mussten. Die kommunalen Aufgabenträger standen gleichzeitig vor der Aufgabe, zum einen eine technisch und ökologisch zeitgemäße dezentrale Abwasserentsorgung aufzubauen, zum anderen das neu geschaffene Kommunalverfassungs- und Kommunalabgabenrecht rechtmäßig anzuwenden und insbesondere auf seiner Grundlage das erforderliche Satzungsrecht ebenfalls erstmals zu schaffen und anzuwenden. Als parallele Prozesse können dabei auch die Herstellung der öffentlichen Einrichtungen zur Abwasserentsorgung samt ihrer rechtlichen Grundlagen und Folgeregelungen einerseits und die Klärung von rechtlichen Zweifelsfragen bzw. die Beseitigung von Rechtsunsicherheit durch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte des Landes andererseits beschrieben werden, die sich gegenseitig beeinflusst haben. Wie die noch immer beträchtliche Zahl von Rechtsschutzverfahren auch der jüngeren Vergangenheit zeigt, in denen die Unwirksamkeit kommunaler Abgabensatzungen angenommen wird, ist der Aufbauprozess immer noch nicht vollständig abgeschlossen.

78

Die Geschichte der Beitragserhebung im Bereich des Zweckverbandes und insbesondere seine Satzungshistorie belegen dies eindrücklich. Abgesehen davon, dass sich der Zweckverband in gerichtlichen Verfahren Angriffen gegen seine wirksame Gründung, die Grundlage jeder Beitragserhebung war, ausgesetzt sah, waren die in der Zeit von 1992 bis 2002 ergangenen verschiedenen Beitragssatzungen samt Änderungs- und Nachtragssatzungen sämtlich aus verschiedenen Gründen, alle jedoch zumindest auch wegen einer rechtlich unhaltbaren Handhabung der (Nicht-)Heranziehung der sog. Altanschließer bzw. fehlerhaften Kalkulationen wegen der Nichtberücksichtigung von Altanschließergrundstücken auf der Flächenseite unwirksam. Gerade die Frage der zulässigen bzw. sogar rechtlich gebotenen Heranziehung der sog. Altanschließer war jedenfalls solange ungeklärt, bis der Senat mit Beschluss vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 – (NordÖR 1999, 302 – zitiert nach juris) entschieden hatte, dass die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für "alt-​angeschlossene" bzw. "neu anschließbare" Grundstücke im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist. Entsprechend hat dann – soweit ersichtlich – erstmalig das Verwaltungsgericht Schwerin mit seinen Urteilen vom 24. Februar 2000 – 4 A 2022/99 – u. a. für den Bereich des Zweckverbandes anknüpfend an den vorgenannten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 13. März 1997 wegen derartig unterschiedlicher Beitragssätze unwirksam gewesen sei. Damit lagen allerdings zunächst lediglich eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren bzw. ein erstinstanzliches Urteil vor. Von einer abschließenden Klärung für das Landesrecht kann deshalb sogar erst mit den anschließend bzw. in den Folgejahren ergangenen Urteilen des Oberverwaltungsgerichts, die sich mit immer wieder neuen bzw. wiederholten Angriffen von sog. Altanschließern gegen ihre Heranziehung erneut auseinander gesetzt haben, ausgegangen werden. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass der 1. und – frühere – 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts bis in die Gegenwart mit solchen Angriffen gegen Beitragssatzungen beschäftigt waren und sind, aufgrund der hier erörterten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nunmehr erneut in steigendem Maße.

79

Nimmt man das Erschließungsbeitragsrecht in den Blick, so ist dort insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an sich ebenfalls geklärt, dass eine sachliche Beitragspflicht so lange nicht entstehen kann, wie es an einer gültigen Beitragssatzung fehlt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.1973 – IV C 39.72 –, Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 46 – zitiert nach juris; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., § 19 Rn. 15). Ebenso können Satzungsmängel nachträglich mit der Folge geheilt werden, dass erst mit Erlass einer gültigen Satzung die sachliche Beitragspflicht entsteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1981 – 8 C 14.81 -, juris, Rn. 17 ff.). Die entsprechende Änderungssatzung muss dazu nicht zurückwirken. Diese Rechtsprechung wäre denselben verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wie die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V.

80

Der Rechtsgedanke einer möglichen „Verflüchtigung“ von Vorteilen und damit letztlich Beitragspflichten berührt schließlich auch die Wurzeln der kommunalen Selbstverwaltung, da die kommunalen Normsetzungsorgane letztlich nach Jahrzehnten, in denen sie – wie der Zweckverband – wiederholt den Versuch unternommen haben, wirksames Satzungsrecht zu schaffen, im Falle einer solchen „Verflüchtigung“ vor einem Scherbenhaufen bzw. der Frage stehen, wie sie die Finanzierung ihrer Einrichtungen nach der „Verflüchtigung“ von Beitragsansprüchen sicherstellen sollen. Der erhebliche Zeitverlust, der bei der Schaffung wirksamen Satzungsrechts vielfach zu verzeichnen ist, ist zudem weniger in der Sphäre der Selbstverwaltungskörperschaften zu suchen, sondern findet nicht selten seine Ursache in der Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren. Die Verantwortung hierfür liegt jedoch nicht bei den Einrichtungsträgern. Insoweit ist es nicht nachvollziehbar, die entsprechende Zeitversäumnis bei der Heranziehung der Beitragsschuldner den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften anzulasten.

81

bb) Bejahte man im Grundsatz – entgegen den vorstehenden Erwägungen – die Möglichkeit der „Verflüchtigung“ einer Legitimation zur Erhebung von Anschlussbeiträgen, kann eine solche zur Überzeugung des Senats nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls angenommen werden. Insoweit wäre zudem keine gesetzliche Neuregelung im Kommunalabgabengesetz M-V notwendig, da der Landesgesetzgeber bereits ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt hat, mit dem den verschiedenen Fallgestaltungen und einer im Einzelfall nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzunehmenden „Verflüchtigung“ des Vorteils bzw. der Legitimation einer Beitragserhebung hinreichend Rechnung getragen werden kann.

82

Ausgangspunkt der Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner „Verflüchtigungsentscheidung“ ist die Annahme, dass Rechtssicherheit und Vertrauensschutz im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug gewährleisten. Der Anknüpfung an den Lebensentwurf des Einzelnen ist eine Bezogenheit auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Einzelfall immanent: Die Selbstbestimmtheit des Lebensentwurfs eines Beitragspflichtigen wird – unabhängig von einer ggfs. eingetretenen Verjährung oder Verwirkung – jedenfalls grundsätzlich nicht in Frage gestellt sein, wenn sie einem absolut betrachtet betragsmäßig (insbesondere im Verhältnis zu den Gesamtkosten eines Hausgrundstücks eher) niedrigen Beitrag ausgesetzt ist, sei es nun im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur erstmaligen Vorteilserlangung, sei es erst Jahre oder Jahrzehnte danach. Dies gilt umso mehr, je höher Einkommen und/oder Vermögen des Betroffenen sind. Selbst wenn es um betragsmäßig höhere Beitragsansprüche geht, ist im Hinblick auf eine Beeinträchtigung des Lebensentwurfs zum einen die Einkommens- und Vermögenssituation zu beachten, zum anderen der Umstand, dass einer vergleichsweise hohen Beitragsforderung regelmäßig in Gestalt des herangezogenen Grundstücks ein entsprechender Vermögenswert gegenüber stehen wird, der insoweit belastet werden kann. Zudem bietet das Beitragsrecht Möglichkeiten der Stundung und des Erlasses.

83

Schon aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Frage des Vertrauensschutzes – jenseits der Regelungen zur Verjährung und des Rechtsinstituts der Verwirkung – grundsätzlich nicht losgelöst von den Umständen des Einzelfalls betrachtet werden kann.

84

Diese Sichtweise wird auch unter einem anderen Blickwinkel untermauert. Bei den – im Regelfall persönlich nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V – Beitragspflichtigen kann hinsichtlich des Heranziehungsvorgangs nämlich zwischen verschiedenen Gruppen differenziert werden:

85

Es gibt zunächst etwa die Beitragspflichtigen, die zeitnah nach dem tatsächlichen Anschluss – bzw. im Fall von sog. Altanschließern nach erstmaliger Entstehung des rechtlich gesicherten Vorteils – aufgrund einer Beitragssatzung herangezogen worden sind, um Rechtsschutz nachgesucht und dabei wegen der Unwirksamkeit der Satzung obsiegt haben; dieser Vorgang kann sich anschließend noch wiederholt haben, um dann ggfs. nach mehreren Jahren/Jahrzehnten in ihre Heranziehung auf der Grundlage einer erstmalig wirksamen Beitragssatzung zu münden. In solchen Fällen erschiene die Annahme einer „Verflüchtigung“ der Legitimation der Abgaben erhebenden Körperschaften zur Beitragserhebung wenig plausibel. Solche Pflichtigen durften von vornherein nicht die Erwartung hegen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, weil der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hätte. Sie mussten im Gegenteil mit der Festsetzung des Beitrages rechnen, wenn der Hoheitsträger seine Absicht zur Beitragserhebung bereits durch – ggf. wiederholten – Erlass eines Bescheides und dessen Verteidigung im Widerspruchs- oder gerichtlichen Verfahren unter gleichzeitigen Versuchen, gültiges Satzungsrecht zu schaffen, dokumentiert hat. Die Frage, ob ein etwaiges Vertrauen der Betroffenen, wegen der Unwirksamkeit der Ausgangssatzung von einer Beitragspflicht überhaupt verschont zu bleiben, verfassungsrechtlichen (Vertrauens-)Schutz genießt, ist ohne Weiteres zu verneinen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.04.1983 – 8 C 170/81 –, BVerwGE 67, 129; Urt. v. 28.11. 1975 – IV C 45.74 –, BVerwGE 50, 2 – jeweils zitiert nach juris). Dem etwaigen Vertrauen der Betroffenen, einen Beitrag nicht zahlen zu müssen, fehlt die Schutzwürdigkeit, weil die Betroffenen mit der Heranziehung zu einem Beitrag rechnen müssen. Sie müssten damit nicht nur deshalb rechnen, weil Beiträge als Ausgleich für gewährte Sondervorteile erhoben werden und allenfalls unter ganz ungewöhnlichen Voraussetzungen schutzwürdig erwartet werden darf, dass eine nach ihrem Wesen beitragspflichtige Leistung gleichwohl beitragsfrei gewährt werden solle. Gegen die Rechtfertigung einer solchen Erwartung spricht vielmehr durchgreifend auch der vorangegangene Erlass einer (wenn auch nichtigen) Satzung, weil diese unmissverständlich den Willen der Gemeinde zum Ausdruck bringt, dass ein Beitrag erhoben werden soll. Bei der Würdigung des Schutzes eines etwaigen Vertrauens der Betroffenen ist der Umstand von besonderer Bedeutung, dass der Satzungsregelung in der Vergangenheit gleichartige Regelungsversuche vorangegangen sind und deshalb einem solchen Vertrauen, einen Beitrag nicht zahlen zu müssen, die Schutzwürdigkeit fehlt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.02.1996 – 8 B 13/96 –, juris; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 19.12.1961 – 2 BvL 6/59 –, BVerfGE 13, 261 = juris, Rn. 54).

86

Daneben gibt es Beitragspflichtige, die nicht zeitnah nach dem tatsächlichen Anschluss herangezogen worden sind, während allerdings die Abgaben erhebende Körperschaft die Beitragserhebung gegenüber Dritten erfolglos nach vorstehendem Muster betrieben hat, und die erstmalig, nachdem in einem rechtskräftigen Urteil von der Wirksamkeit der/einer Satzung ausgegangen wurde, herangezogen wurden.

87

Weiter gibt es Beitragspflichtige, die nicht zeitnah nach dem tatsächlichen Anschluss herangezogen wurden, weil die Abgaben erhebende Körperschaft die Abgabenerhebung zunächst nicht betrieben hat, und sodann erst nach mehreren Jahren/Jahrzehnten zu Beiträgen veranlagt wurden. Diese beispielhaft benannten Fallgruppen können zudem zur weiteren Ausdifferenzierung noch jeweils mit einem System der Refinanzierung von Herstellungskosten sowohl durch Beiträge als auch Gebühren kombiniert werden, wie es oben erörtert worden ist.

88

Selbst für den Fall, dass die erste Heranziehung all dieser verschiedenen Beitragspflichtigen aufgrund einer wirksamen Beitragssatzung zum gleichen Zeitpunkt bzw. nach der gleichen Zeitspanne zwischen Anschluss des Grundstücks/Erlangung des Vorteils und Ergehen des Bescheides erfolgen sollte, liegt es auf der Hand, dass ein Vertrauendürfen darauf, nicht zu einem Beitrag herangezogen zu werden, obwohl entsprechend – publiziertes – Beitragssatzungsrecht existiert, unterschiedlich stark ausgeprägt sein muss. Auch insoweit bedarf es folglich einer Einzelfallbetrachtung.

89

Der Landesgesetzgeber hat für den als Ausnahme zu qualifizierenden Fall einer in Betracht zu ziehenden „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt, um den verschiedenen Fallgestaltungen und einer im Einzelfall nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzunehmenden „Verflüchtigung“ des Vorteils gerecht werden zu können.

90

Nach § 12 Abs. 1 KAG M-V sind auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung in der jeweiligen Fassung entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Kommunalabgabengesetz M-V oder andere Gesetze besondere Vorschriften enthalten. Für die hier erörterten Einzelfälle kann eine Lösung unter Anwendung von Billigkeitsgesichtspunkten (§§ 163, 227 AO) in einer vom Bundesverfassungsgericht anderweitig selbst vorgeschlagenen Weise in Betracht kommen (vgl. im Übrigen auch BVerwG, Pressemitteilung zu Urt. v. 20.03.2014 – 4 C 11.13 – u. a., wonach eine Lösung nach Treu und Glauben in Betracht gezogen werden kann). Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungspflicht zum Billigkeitserlass festgestellt, wenn die Anwendung eines nicht zu beanstandenden Gesetzes in Einzelfällen zu einem "ungewollten Überhang" führen würde. Das aus Art. 2 Abs. 1 GG zu entnehmende Gebot, nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zur Steuerleistung herangezogen zu werden (vgl. BVerfGE 19, 206 (215); 47, 1 (37)), enthält das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot, das dahin geht, dass der Steuerpflichtige nicht zu einer unverhältnismäßigen Vermögensteuer herangezogen wird. Dieses zwingt dazu, Befreiung von einer schematisierenden Belastung zu erteilen, wenn die Folgen extrem über das normale Maß hinausschießen, das der Schematisierung zugrunde liegt, oder anders ausgedrückt: wenn die Erhebung der Steuer im Einzelfall Folgen mit sich bringt, die unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellung durch den gebotenen Anlass nicht mehr gerechtfertigt sind. Billigkeitsmaßnahmen dürfen jedoch nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen. Daraus folgt, dass mit verfassungsrechtlich gebotenen Billigkeitsmaßnahmen nicht die Geltung des ganzen Gesetzes unterlaufen werden kann. Wenn solche Maßnahmen ein derartiges Ausmaß erreichen müssten, dass sie die allgemeine Geltung des Gesetzes aufhöben, wäre das Gesetz als solches verfassungswidrig (vgl. zum Ganzen z.B. BVerfGE 99, 272; BVerfGE 48, 102 <116>).

91

Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (vgl. BFH, Urt. v. 23.07.2013 – VIII R 17/10 –, juris; BFH-​Urteil in BFH/NV 2010, 606, m.w.N.).

92

Nach Ergehen der „Verflüchtigungsentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts und mit Blick auf die gebotene Einzelfallprüfung ist davon auszugehen, dass bei Bejahung einer solchen „Verflüchtigung“ des Vorteils nach den dort formulierten Maßstäben ein entsprechender ungewollter Überhang der ansonsten verfassungsrechtlich unbedenklichen Bestimmung des § 9 Abs. 3 KAG M-V mit ihrem Anknüpfen an das Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung anzunehmen ist, der einen Billigkeitserlass wegen sachlicher Unbilligkeit gemäß § 227 AO nach sich ziehen muss (Ermessensreduktion auf Null von Verfassungs wegen) und bei Offensichtlichkeit der maßgeblichen Umstände ggfs. sogar schon eine Berücksichtigung im Erhebungsverfahren verlangt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 20.05.2003 – 1 L 137/02 –, NordÖR 2003, 365 – zitiert nach juris). Die Beitragserhebung entspräche zwar dem Wortlaut des Gesetzes, aber liefe den Wertungen des Gesetzes zuwider. Der Landesgesetzgeber hätte neben den vorhandenen Regelungen zur Verjährung die Grundlagen für die Beitragserhebung anders als tatsächlich geschehen geregelt, wenn er die Verflüchtigungsproblematik als regelungsbedürftig erkannt hätte. Der Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V liegt ersichtlich die Vorstellung zugrunde, dass es den Abgaben erhebenden Körperschaften in überschaubarer Zeit gelingt, eine wirksame Satzung zu schaffen, dass ggfs. Verwaltungsgerichte zeitnah über die Wirksamkeit von Satzungen entscheiden und dass es nicht zu „Kettenunwirksamkeiten“ von Satzungen kommt.

93

Die gesetzliche Regelung wird nicht unterlaufen, da nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen bzw. nach Auffassung des Senats eine „Verflüchtigung“ nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Bei Betrachtung des Zeitraumes zwischen erstmaliger Vorteilserlangung und Beitragserhebung muss die nach der Wiedervereinigung festzustellende „Umbruchphase“ nach Auffassung des Senats für die Frage, wann eine „Verflüchtigung“ des Vorteils und daraus resultierendes Freiwerden von der Beitragspflicht eintreten kann, außer Betracht bleiben, weil sie für jedermann offensichtlich bzw. allgemeinkundig war. In dieser Zeit, die mindestens bis 1999 angedauert hat, konnte grundsätzlich kein Vertrauenstatbestand begründet werden, der die Schlussfolgerung einer „Verflüchtigung“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hätte begründen können.

94

cc) Folglich kann unter diesen Bedingungen im vorliegenden Verfahren keine „Verflüchtigung“ eingetreten sein. Alsbald nach Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung sind die Kläger zu Anschlussbeiträgen herangezogen worden. Ihre Heranziehung liegt – vergleichsweise – wenige Jahre nach der erstmaligen Klärung der Frage nach der Beitragserhebung gegenüber sog. Altanschließern frühestens im Jahr 1999. Zudem hat der Beklagte ausweislich der Satzungshistorie des Zweckverbandes bereits seit 1992 die Erhebung von Anschlussbeiträgen betrieben. Die streitgegenständliche Beitragserhebung ist deshalb jedenfalls nicht aus sachlichen Gründen unbillig.

95

dd) Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, ob die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides jedenfalls mit Blick auf § 12 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz KAG M-V und die dort geregelte zeitliche Grenze zum 31. Dezember 2008, bis zu der Grundstückseigentümer jedenfalls mit einer Heranziehung rechnen mussten, bejaht werden kann (vgl. insoweit OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.05.2013 – 9 S 75.12 –, juris, zum Brandenburgischen KAG). Ebenso wenig bedarf es einer Erörterung, ob die Festsetzung von Anschlussbeiträgen – ohne Rücksicht auf das Entstehen der Beitragsschuld und unbeschadet der Verjährungsregelungen – analog Art. 53 Abs. 2 Satz 1 VwVfG M-V ausgeschlossen ist, wenn seit dem Entstehen der Vorteilslage mehr als 30 Jahre vergangen sind (vgl. VGH München, Urt. v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 –, juris), und darin eine hinreichende Regelung dafür erblickt werden kann, dass nicht nach einer unübersehbaren Zahl von Jahren noch Beitragsansprüche geltend gemacht werden können.

96

C. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.

97

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

98

Die Revision war mit Blick auf die Frage, ob die Regelungen des Kommunalabgabengesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern und im Besonderen § 9 Abs. 3 KAG M-V in Ansehung der Erhebung von Anschlussbeiträgen den rechtsstaatlichen, der Rechtssicherheit dienenden Geboten der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit hinreichend Rechnung tragen, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.

2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 - M 10 K 06.2850 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

I.

2

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs setzt das Entstehen einer Beitragspflicht für den Anschluss an leitungsgebundene Einrichtungen neben dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung (sogenannte Vorteilslage) zwingend das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. April 2011 - 20 BV 11.133 -, BayVBl 2012, S. 45 <46>; Urteil vom 29. April 2010 - 20 BV 09.2010 -, BayVBl 2011, S. 240; Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, juris). Eine wirksame Satzung ist somit Beitragsentstehungsvoraussetzung. Die Satzung muss nach Art. 5 Abs. 8 BayKAG nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein. Es genügt vielmehr, wenn sie nach deren Entstehung in Kraft tritt.

3

2. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BayKAG in Verbindung mit § 47 der Abgabenordnung (AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis. Die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf der Erlass eines Beitragsbescheids unzulässig ist, beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 AO einheitlich vier Jahre.

4

3. Durch das am 31. Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) wurde der Beginn der Festsetzungsfrist mit Wirkung zum 1. Januar 1993 neu geregelt. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc BayKAG erhielt folgende Fassung:

5

Art. 13

Anwendung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977)

(1) Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, sind in ihrer jeweils geltenden Fassung vorbehaltlich Absatz 6 folgende Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden:

(…)

4. aus dem Vierten Teil - Durchführung der Besteuerung -

(…)

b) über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren:

(…)

cc) § 170 Abs. 1 mit der Maßgabe,

- dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und

- dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist, (…).

6

Die in Bezug genommene Vorschrift des § 170 Abs. 1 AO lautet:

7

Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

8

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 1 BayKAG entspricht der bis dahin geltenden Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG vom 26. März 1974 (GVBl S. 109, ber. 252) in der Fassung vom 4. Februar 1977 (GVBl S. 82). Mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 wurde Spiegelstrich 2 neu in die gesetzliche Regelung eingefügt.

9

4. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs eine gesetzliche Klarstellung (LTDrucks 12/8082, S. 13). Bisher sei es in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs umstritten gewesen, ob in den Fällen, in denen eine nichtige Satzung rückwirkend durch eine gültige Satzung ersetzt werde, die Festsetzungsfrist mit dem Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Satzung (so BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60) oder erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginne, in dem die rückwirkende Satzung bekanntgemacht worden sei (so BayVGH 23. Senat, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Mit der Einfügung einer weiteren Maßgabe in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG werde die den Bedürfnissen der Praxis entgegen kommende Auffassung des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gesetzlich klargestellt. Nach der gegenteiligen Ansicht könne nämlich eine rückwirkend entstandene Forderung gleichzeitig festsetzungsverjährt sein, wenn sich die Rückwirkungsfrist über die Verjährungsfrist hinaus erstrecke.

II.

10

1. Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Gemeinde, in der das Grundstück gelegen ist (im Folgenden: Beklagte), fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

11

Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Beschwerdeführer erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € heran. Der Herstellungsbeitrag wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

12

Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 als unwirksam. Die Beklagte erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

13

2. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 geschaffen worden. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1. April 1995 entstanden. Der Beschwerdeführer sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

14

Der Beschwerdeführer könne hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, diese Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und müsse daher, insbesondere im Fall eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels, abweichend von ihrem Wortlaut einschränkend ausgelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestünden gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Gemeinden im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren. Im Übrigen sei keiner der jetzigen oder ehemaligen Grundstückseigentümer in seiner Erwartung geschützt, von der Nichtigkeit früheren Satzungsrechts profitieren zu können; denn ein abgeschlossener Beitragstatbestand liege nicht vor. Welchen der Eigentümer die Beitragspflicht treffe, hänge von der Bestimmung des Zeitpunkts der Rückwirkung ab. Sei dieser - wie im vorliegenden Fall - ohne Verstoß gegen das Willkürverbot gewählt, bestehe kein Grund für eine rechtliche Beanstandung.

15

3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids nicht verjährt gewesen sei. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber habe hiermit eine Regelung getroffen, die der bis dahin ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprochen habe (Hinweis auf BayVGH, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Die Norm enthalte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß eine klare Aussage über den Lauf der Festsetzungsfrist, gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb nicht vor, weil kein abgeschlossener Beitragstatbestand gegeben sei. Denn bei leitungsgebundenen Einrichtungen setze die Entstehung einer Beitragspflicht nach ständiger Rechtsprechung das Vorhandensein einer gültigen Abgabensatzung voraus. Eine wirksame Abgabensatzung habe erstmals im Jahr 2005 vorgelegen. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, die rückwirkende Inkraftsetzung einer Abgabensatzung müsse wenigstens zeitlich auf die einschlägigen Verjährungsvorschriften beschränkt werden, lasse er außer Acht, dass nur eine bereits entstandene Beitragsforderung verjähren könne. Bei fehlgeschlagenem Satzungsrecht müsse ein bisher nicht veranlagter Beitragspflichtiger damit rechnen, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen zu werden. Er könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

III.

16

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

1. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene uneingeschränkte Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG auf rückwirkend in Kraft gesetzte Satzungen verstoße wegen der damit verbundenen echten Rückwirkung gegen die aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei geboten, die Rückwirkung einer Satzung durch Festsetzungsfristen zu begrenzen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung dürfe nicht beliebig hinausgeschoben werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei im Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens einer Satzung entweder nicht anzuwenden oder verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung beginne.

18

2. Die Ausgangsgerichte hätten Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sie ihm nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt hätten. Er habe mit der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend gemacht, dass der Beitragsanspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen sei. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beginne die Festsetzungsfrist nur zu laufen, wenn eine wirksame Beitragssatzung vorliege. Die Beklagte und die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen hätten sich darauf berufen, dass sämtliche Satzungen, die der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 vorausgingen, nichtig gewesen seien, was durch diverse Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bereits geklärt worden sei. Er habe deshalb die Vorlage dieser Entscheidungen außergerichtlich und schließlich auch vor dem Verwaltungsgericht begehrt. Die maßgeblichen Entscheidungen seien ihm jedoch nicht vollständig zugänglich gemacht worden. Ihm sei es deshalb nicht möglich gewesen, zur Frage der Nichtigkeit sämtlicher Satzungen ausreichend Stellung zu nehmen.

IV.

19

Die Beklagte, die Bayerische Staatsregierung und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

20

1. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus sei der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer keine Anhörungsrüge erhoben habe.

21

Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen nicht begründet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn ein Vertrauen darauf, dass eine als nichtig erkannte Regelung aufrechterhalten bleibe und nicht durch eine neue, rückwirkende Satzung ersetzt werde, sei nicht schützenswert. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Grundstück veräußert habe, bedeute nicht, dass dadurch ein für seine Beitragspflicht maßgeblicher Tatbestand abgeschlossen sei und er in der Folge nicht mehr zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfe. Er habe vielmehr den für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Vorteil der Möglichkeit der Anschlussnahme entgegengenommen und mit dem Grundstücksverkauf nicht verloren. Dieser Vorteil habe den Wert seines Grundstücks erhöht mit der Folge, dass er für das Grundstück einen höheren Kaufpreis habe erzielen können.

22

2. Die Bayerische Staatsregierung hält Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG für verfassungsgemäß. Die Ersetzung einer als nichtig erkannten durch eine wirksame Beitragssatzung stelle keinen Fall einer echten, sondern allenfalls einer unechten Rückwirkung dar. Es sei kein abgeschlossener Lebenssachverhalt gegeben, in den nachträglich eingegriffen worden sei. Denn die Beitragsentstehung setze das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus. Ohne diese sei eine Berechnung des Beitrags in Ermangelung eines Beitragsmaßstabs nicht möglich.

23

Das Vertrauen des Beschwerdeführers wäre selbst bei Annahme einer echten Rückwirkung nicht schutzwürdig, weil er damit habe rechnen müssen, dass eine vorhandene, aber als nichtig erkannte Satzung durch eine gültige Satzung ersetzt werde, mit der die von Anfang an von der Gemeinde angestrebte Beitragspflicht herbeigeführt werde. Es seien keine Umstände erkennbar, die ein Vertrauen darauf rechtfertigten, dass die Gemeinde es bei einer nichtigen Beitragssatzung belassen und auf eine Beitragserhebung verzichten würde.

24

Eine zeitliche Beschränkung der Rückwirkung auf die Festsetzungsfristen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht geboten. Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG eine Lösung gewählt, die sowohl die Gemeinden vor Beitragsausfällen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung bewahre als auch dem Vorteilsgedanken Rechnung trage. Die Gemeinden würden nach Erlass der gültigen Satzung erstmals in die Lage versetzt, Beiträge nach den Maßstäben dieser gültigen Satzung korrekt festzusetzen und die öffentliche Einrichtung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Regelungen zu refinanzieren. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Interessen der betroffenen Beitragspflichtigen überwiege das öffentliche Interesse. Ein Grundstückseigentümer müsse damit rechnen, zu einem Beitrag herangezogen zu werden. Sein Vertrauen darauf, dass eine nichtige Satzung nicht durch eine gültige Satzung ersetzt werde, sei nicht schutzwürdig. Verjährungsvorschriften dienten der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Im vorliegenden Fall liege kein Vorgang vor, auf dessen Abschluss der Bürger sich einstellen und auf dessen Ende er vertrauen könne. Da dem Beitragspflichtigen kein schützenswertes Vertrauen zur Seite stehe, komme dem öffentlichen Interesse an der Beitragserhebung das entscheidende Gewicht zu.

25

3. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, es sei mit der Frage nach dem Lauf der Festsetzungsfrist bei der rückwirkenden "Reparatur" nichtiger Abgabennormen bisher nur am Rande befasst gewesen. Nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei es allerdings mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, kommunale Anschluss- und Erschließungsbeitragssatzungen rückwirkend in Kraft zu setzen, um früher erlassene, auf eine nichtige Vorgängersatzung gestützte Beitragsbescheide zu heilen (Hinweis auf BVerwGE 50, 2 <7 f.>; 67, 129 <130 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 - BVerwG 8 B 13.96 -, Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 <4>). Werde eine ungültige durch eine gültige Satzung ersetzt, liege darin keine echte Rückwirkung, da eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung entstehen könne und diese Satzung somit nicht in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife (Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1986 - BVerwG 8 B 123.84 -, NVwZ 1986, S. 483 <484>).

26

Die Festsetzungsverjährung sei im Abgabenrecht der Länder geregelt (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 - BVerwG IV C 84-92.74 -, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20, S. 20<25> sowie NJW 1977, S. 1740 <1741>). Die Anknüpfung der Verjährung an die rückwirkende Entstehung der Beitragspflicht stehe mit Bundesrecht in Einklang. Die Frage der bundesrechtlichen Unbedenklichkeit einer Anknüpfung an die Verkündung der neuen Satzung sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter problematisiert worden.

27

Gegen die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG getroffene Regelung bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das rückwirkende Inkrafttreten der neuen Satzung habe zwar zur Folge, dass bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt (frühestens zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens) die Beitragsvoraussetzungen erfüllt sein könnten. Es sei aber kein verfassungsrechtlicher Grundsatz ersichtlich, der dazu zwinge, die Festsetzungsverjährung in Rückwirkungsfällen an das Entstehen der Beitragsforderung anzuknüpfen. Da die Behörde erst mit der Verkündung der neuen Satzung in den Stand versetzt werde, einen rechtlich tragfähigen Beitragsbescheid zu erlassen, beziehungsweise erst mit der Verkündung ein auf die frühere nichtige Satzung gestützter Beitragsbescheid geheilt werde, sprächen Sachgründe für den im Bayerischen Kommunalabgabengesetz gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt der Festsetzungsverjährung. Die Regelung verstoße daher nicht gegen das Willkürverbot.

28

Mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dürfte die Regelung gleichfalls in Einklang stehen. Das Institut der Festsetzungsverjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Hinweis auf BFH, Urteil vom 15. Juni 1988 - I R 68/86 -, BFH/NV 1990, S. 128). Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Verkündung der neuen Satzung führe zwar dazu, dass ein sehr langer Zeitraum zwischen dem die Beitragsforderung begründenden Sachverhalt und dem Ablauf der Verjährungsfrist liegen könne. Es sei aber zu bedenken, dass die mit der Festsetzungsverjährung verfolgten Ziele in einem Spannungsverhältnis zu dem Belang materieller Gerechtigkeit und dem fiskalischen Interesse an der Durchsetzung des Abgabenanspruchs stünden. Für die Aufgabe, zwischen den Polen in diesem Spannungsverhältnis einen verhältnismäßigen Ausgleich zu schaffen, sei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Gehe man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass der Beitragspflichtige sich gegenüber dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Beitragssatzung nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, und berücksichtige man zusätzlich die besondere Fehleranfälligkeit kommunaler Beitragssatzungen und das daraus resultierende gesteigerte Interesse an einer effektiven Nutzbarkeit der Heilungsmöglichkeiten, dürfte sich die Verjährungsregelung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes innerhalb dieses Gestaltungsspielraums halten.

29

4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weist darauf hin, dass der rückwirkende Erlass einer Satzung, welche die "Reparatur" einer unwirksamen Satzung bezwecke, eine Ausnahme darstelle und im vorliegenden Fall verwaltungspraktische Gründe gehabt habe. Die auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 erlassenen Bescheide wären sonst im Fall eines Eigentümerwechsels bei einem Teil der früheren Eigentümer bestandskräftig geworden und hätten bei nicht bestandskräftigen Bescheiden aufgehoben und gegenüber dem neuen Eigentümer neu erlassen werden müssen. Dadurch wäre es zu Ungleichbehandlungen gekommen. Der rückwirkende Erlass einer Satzung sei in der Praxis auch dann erforderlich, wenn andernfalls die Einbringung von Forderungen, zum Beispiel wegen Insolvenz oder Zwangsversteigerungsverfahren, gefährdet wäre. Eine Rückwirkung erstrecke sich üblicherweise nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Dieser lange Zeitraum ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 den in der Vorgängersatzung normierten Rückwirkungszeitpunkt beibehalten habe, was einen atypischen, sozusagen "verdoppelten" Rückwirkungszeitraum zur Folge gehabt habe.

B.

30

Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Rügen sind nur teilweise zulässig.

I.

31

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat insoweit die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt (vgl. BVerfGE 7, 95 <99>; 60, 313 <318>; 86, 133 <147>).

II.

32

Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes betrifft, ist sie zulässig.

33

Der Beschwerdeführer war - trotz Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG - nicht gehalten, zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben. Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 f.>).

C.

34

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

I.

35

1. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verletzt im vorliegenden Fall nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze.

36

Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263>; 126, 369 <393>).

37

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG selbst entfaltet dem Beschwerdeführer gegenüber keine Rückwirkung. Die Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beiträgen, die auf Abgabensatzungen gestützt sind, welche eine frühere unwirksame Satzung wirksam heilen. Bei ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 1993 lag eine solche wirksam heilende Satzung im Fall des Beschwerdeführers noch nicht vor und wurde auch später nicht rückwirkend zum oder vor dem 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt, so dass die Verjährungsfrist unabhängig von der Neuregelung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Solange der Lauf der Verjährungsfrist mangels gültiger Satzung nicht begonnen hat, betrifft die gesetzliche Neuregelung des Beginns der Verjährung mit der Wirkung einer Verjährungsverlängerung jedoch noch nicht einmal einen in der Vergangenheit begonnenen und nicht abgeschlossenen Sachverhalt.

38

Die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits bestehende Vorteilslage begründet für den Beschwerdeführer ebenfalls keinen bereits begonnenen Sachverhalt, in den die Neuregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG im Wege einer Rückwirkung eingegriffen hätte. Denn die Neuregelung beschränkt sich auf das Hinausschieben des Beginns der Verjährung. Eine solche konnte ohne wirksame Satzung aber nicht zu laufen beginnen.

39

2. Sollte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die unwirksame Satzung auf den Schein eines Verjährungslaufs vertraut haben, so kann dahinstehen, ob und in welchem Zusammenhang das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verfassungsrechtlichen Schutz verdient. Nach den Feststellungen der Ausgangsgerichte hätte die Festsetzungsfrist selbst bei Wirksamkeit der unwirksamen Satzung frühestens mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes wurde aber bereits am 31. Dezember 1992 und damit sogar noch vor dem scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verkündet.

II.

40

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 30, 392 <403>; 43, 242 <286>; 60, 253 <267>). Er erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

41

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, DStR 2012, S. 2322 <2325>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten.

42

2. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

43

a) Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber.

44

Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

45

b) Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

46

c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

47

3. Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.

48

Der Beitragspflicht können die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 - BVerwG 3 B 36.11 -, BeckRS 2011, 53777; Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 314) und des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1986 - II R 167/84 -, BFHE 147, 409 <412>) erfordert Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung dürfte selbst in den Fällen der Beitragserhebung nach scheinbarem Ablauf der Festsetzungsfrist regelmäßig nicht erfüllt sein.

D.

I.

49

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

50

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ).

II.

51

Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

52

Die Aussetzung gibt dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa für den Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens heilender Satzungen BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60).

III.

53

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

2

Soweit sie sich gegen den Beitragsbescheid richtet, fehlt es an der Rechts-wegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

3

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen die im Eilverfahren ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen steht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, da keine selbständige Beschwer durch das Eilverfahren geltend gemacht wird. Mit dem Vorbringen, die Beitragserhebung verletze die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sowie des Rechts auf eine willkürfreie Entscheidung, erhebt die Beschwerdeführerin Rügen, die das Hauptsacheverfahren betreffen.

4

Die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung in der Hauptsache abgesehen werden kann (vgl. BVerfGE 70, 180 <186>; 79, 275 <279>; 86, 15 <22 f.>; 104, 65 <71>), liegen hier nicht vor.

5

Der Beschwerdeführerin ist die Durchführung des Hauptsacheverfahrens zumutbar. Diese ist insbesondere nicht von vornherein aussichtslos. Denn die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen - unter anderem die Fragen der Wirksamkeit der Kanalanschlussbeitragssatzung 2008 und ihrer Vorgängersatzungen - wurden im fachgerichtlichen Eilverfahren nur summarisch geprüft. Die angegriffenen Entscheidungen ergingen zudem noch vor der Veröffentlichung des Beschlusses des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (NVwZ 2013, S. 1004) mit dem der Erste Senat eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsverjährung im Bayerischen Kommunalabgabengesetz - BayKAG - (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG) für unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit erklärte, weil diese eine zeitlich unbegrenzte Inanspruchnahme der Beitragsschuldner nach Erlangung des Vorteils ermöglichte.

6

Das Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg - KAG Bbg - enthält zwar keine dem Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG vergleichbare Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsverjährung. § 8 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1 KAG Bbg fordert allerdings für das Entstehen der Beitragspflicht neben dem Eintritt der Vorteilslage das Inkrafttreten einer "rechtswirksamen" Satzung, die nicht bereits zum Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein muss; sie kann vielmehr nach § 8 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 2 KAG Bbg einen späteren Zeitpunkt für das Entstehen der Beitragspflicht bestimmen.

7

Diese Regelung ermöglicht ebenfalls eine zeitlich unbegrenzte Festsetzung von Beiträgen nach Erlangung des Vorteils und begegnet deshalb im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit verfassungsrechtlichen Bedenken. Es bedarf allerdings zunächst der Klärung im Hauptsacheverfahren, wie den Maßgaben des Senatsbeschlusses vom 5. März 2013 Rechnung getragen werden kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Mai 2013 - 9 S 75.12 -, juris, Rn. 29 a.E.). Ein schwerer, unabwendbarer Nachteil der Beschwerdeführerin durch Verweisung auf den Rechtsweg in der Hauptsache, der ihr nicht zugemutet werden könnte (vgl. BVerfGE 70, 180 <186>; 104, 65 <71>), ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

8

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die zulässige Dauer der Ablaufhemmung von Steuerfestsetzungsfristen im Falle von Außenprüfungen.

2

1. Die Frist für die Festsetzung einer Steuer endet nach den in § 169 AO genannten Zeiträumen. Die Durchführung einer Außenprüfung hemmt nach Maßgabe der in § 171 Abs. 4 Satz 1 AO beschriebenen Bedingungen den Ablauf der Festsetzungsfrist. Nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO endet die Festsetzungsfrist für Steuerbescheide spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Schlussbesprechung (§ 201 AO) stattgefunden hat, oder, wenn die Schlussbesprechung unterblieben ist, seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden haben, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen verstrichen sind.

3

2. Bei der Beschwerdeführerin wurde für die Veranlagungszeiträume 1974 bis 1978 im Jahr 1980 mit einer Außenprüfung begonnen. Die letzte Ermittlungshandlung fand im April 1989 statt. Bis 1995 erfolgten dann seitens der Finanzverwaltung keine weiteren Ermittlungshandlungen im Rahmen der Außenprüfung. 1995 wurde die Außenprüfung fortgesetzt. Die Schlussbesprechung fand Ende 1996 statt. Gegen die daraufhin ergangenen geänderten Steuerbescheide aus dem Jahre 1997 beschritt die Beschwerdeführerin erfolglos den Rechtsweg, wobei sie Verjährung einwandte. Der Bundesfinanzhof bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, dass keine Verjährung eingetreten sei. § 171 Abs. 4 Satz 3 AO sei dahingehend auszulegen, dass sich die Ablaufhemmung im vorliegenden Fall nicht nach dem Zeitpunkt der letzten Ermittlungshandlung richte, sondern nach dem Zeitpunkt der Schlussbesprechung. Durch einen Verzicht auf die Schlussbesprechung hätte die Beschwerdeführerin den Eintritt der Verjährung herbeiführen und so eine überlange Festsetzungsverjährung vermeiden können.

II.

4

Die Beschwerdeführerin macht mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor allem geltend, die genannte Auslegung von § 171 Abs. 4 Satz 3 AO verletze die Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Die Auslegung des Bundesfinanzhofs, bei der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO komme es im vorliegenden Fall auf die Schlussbesprechung im Jahr 1996 und nicht auf die letzte Ermittlungshandlung im Jahr 1989 an, führe zu einer ewigen Verjährung unter Kontrolle der Finanzverwaltung.

III.

5

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Soweit die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit, Art. 20 Abs. 3 GG) rügt, hat die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg.

6

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; 132, 302 <317 Rn. 41>; 133, 143 <158 Rn. 41>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten (vgl. BVerfGE 133, 143 <158 Rn. 41>).

7

Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber. Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat (vgl. BVerfGE 133, 143 <159 Rn. 43 f.>).

8

Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Steueraufkommen und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt (vgl. BVerfGE 133, 143 <160 Rn. 46>).

9

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die in den angegriffenen Entscheidungen gewählte Auslegung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

10

Es wäre allerdings mit den beschriebenen Grundsätzen von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz nicht vereinbar, könnte die Finanzverwaltung durch Hinauszögern der Schlussbesprechung den Ablauf der Festsetzungsfrist nach eigenem Gutdünken bestimmen und so letztlich beliebig verlängern. Weder unbegrenzte Festsetzungsfristen noch eine freie Verfügbarkeit der Finanzbehörden über deren Lauf stünden mit diesen Grundsätzen in Einklang.

11

a) Die vom Bundesfinanzhof vertretene Auslegung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO, die bei Außenprüfungen den Lauf der Festsetzungsfrist nur bei definitivem Unterbleiben der Schlussbesprechung an die letzte Ermittlungshandlung knüpft, ist unter den Gesichtspunkten von Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und führt zu keiner mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unvereinbaren Handhabung der Regeln über die Festsetzungsverjährung bei Außenprüfungen.

12

Durch die ihm nach § 201 Abs. 1 Satz 1 AO eröffnete Möglichkeit, auf die Schlussbesprechung zu verzichten, hat es der Steuerpflichtige selbst in der Hand, den Ablauf der Festsetzungsfrist aus § 169 AO herbeizuführen. Gegen den Willen des Steuerpflichtigen darf die Finanzbehörde, wie der Bundesfinanzhof in der hier angegriffenen Entscheidung bestätigt hat, keine Schlussbesprechung durchführen und kann so auch nicht den Fristlauf ab der letzten Ermittlungshandlung gegen den Willen des Steuerpflichtigen verhindern.

13

Es ist auch nicht erkennbar, dass ein Verzicht auf die Schlussbesprechung im vorliegenden Fall mit unzumutbaren Nachteilen für ihn verbunden wäre.

14

Die Schlussbesprechung dient, wie der Bundesfinanzhof in dem angegriffenen Beschluss unter Verweisung auf seine Rechtsprechung ausführt, insbesondere der Anhörung des Steuerpflichtigen. Dem Steuerpflichtigen soll durch die Schlussbesprechung die Möglichkeit gegeben werden, zu den Prüfungsfeststellungen umfassend Stellung zu nehmen, sie mit dem Außenprüfer erörtern und so auch einvernehmliche Lösungen erzielen zu können. Äußerungen des Steuerpflichtigen zur Sach- und Rechtslage, die während des Außenprüfungsverfahrens, aber außerhalb der Schlussbesprechung getätigt werden, müssen allerdings in gleicher Weise bei der Entscheidungsfindung der Finanzbehörde berücksichtigt werden wie solche, die innerhalb der Schlussbesprechung erfolgen.

15

Jedenfalls in Streitlagen wie der vorliegenden, in der seit der letzten Ermittlungshandlung im Rahmen der Außenprüfung im Sinne des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO die Festsetzungsverjährung nach § 169 AO ohne Berücksichtigung dieser Ablaufhemmung bereits abgelaufen wäre, kann der Steuerpflichtige grundsätzlich ohne erkennbaren Rechtsnachteil auf die Schlussbesprechung verzichten. Wie der Bundesfinanzhof in dem angegriffenen Beschluss ausgeführt hat, führt der Verzicht dann unmittelbar zum Eintritt der Verjährung und damit zum Erlöschen des Steueranspruchs. Der mit dem Verzicht verbundene Verlust unmittelbarer Erörterungs- und Vergleichsmöglichkeiten in der Schlussbesprechung bleibt so im Hinblick auf die dann verjährten Steueransprüche ohne Belang.

16

b) Es ist nicht erkennbar, dass der Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör bei einem Verzicht auf die Schlussbesprechung beschnitten worden wäre. Es ist aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin und den eingereichten Unterlagen ersichtlich, dass es zwischen der Beschwerdeführerin und der Finanzverwaltung während des Verlaufs der Außenprüfung auch außerhalb der Schlussbesprechung mehrfach zu einem mündlichen und schriftlichen Austausch der Rechtsauffassungen zu den streitigen Punkten kam. Der Verfassungsbeschwerde lassen sich auch sonst keine Anhaltspunkte dazu entnehmen, inwieweit bei einer durch Verzicht herbeigeführten Verjährung der Steueransprüche konkrete Nachteile für die Beschwerdeführerin wegen der Nichtdurchführung der Schlussbesprechung verblieben wären.

17

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 16. April 2013 – 4 A 1280/12 – wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten des Vollstreckungsgläubigers abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag. Sie sind Eigentümer des bebauten Grundstücks gemäß Rubrumsadresse, bestehend aus dem 490 m² großen Flurstück, Gemarkung A-Stadt.

2

Die Anschlussbeitragserhebung durch den Beklagten unterlag hinsichtlich ihrer satzungsmäßigen Rechtsgrundlage in der Vergangenheit folgender Entwicklung:

3

Vom 06. November 1992 datiert als erste entsprechende Satzung die Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung des Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverbandes Güstrow-Bützow-Sternberg (nachfolgend: Zweckverband). Am 24. Juni 1993 wurde nachfolgend die weitere Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung ausgefertigt und am 19. August 1993 (Regionalteile der „Schweriner Volkszeitung“) bzw. 22. März 1999 (Amtlicher Anzeiger Nr. 13, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern, S. 241) bekannt gemacht. Zu dieser Satzung folgten zwischen 1993 und 1995 vier Nachtragssatzungen, denen gemein war, dass auf der Flächenseite der Kalkulation Grundstücke von sog. „Altanschließern“ unberücksichtigt geblieben waren.

4

Mit der Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung vom 13. März 1997 (Amtlicher Anzeiger Nr. 13, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern 1999, S. 248) unternahm der Zweckverband erneut den Versuch, eine wirksame Rechtsgrundlage für die Beitrags- und Gebührenerhebung zu schaffen. Im Zeitraum zwischen 1997 und 1999 ergingen hierzu eine Ergänzungs- und zwei Änderungssatzungen. Nachdem das Verwaltungsgericht Schwerin u. a. mit Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 A 2022/99 – die Unwirksamkeit der Satzung vom 13. März 1997 angenommen hatte, weil die in den Regelungen zum Beitragssatz enthaltene Differenzierung zwischen erstmalig angeschlossenen und Grundstücken, die bereits vor Inkrafttreten der Satzung (teilweise) angeschlossen waren, gleichheitswidrig gewesen sei, beschloss die Verbandsversammlung des Zweckverbandes am 15. Februar 2001 die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung (Beitrags- und Gebührensatzung), die am 21. Mai 2001 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger vom 18. Juni 2001 (Amtlicher Anzeiger Nr. 29, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern, S. 671) öffentlich bekannt gemacht wurde und zum 1. Januar 2001 in Kraft trat. Mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 03. Juli 2002 – 4 K 35/01 – wurde diese Satzung rechtskräftig für nichtig erklärt (mit Ausnahme der Bestimmungen über die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Entsorgung von Niederschlagswasser und über die Erhebung von Benutzungsgebühren für die Entsorgung von Niederschlagswasser <"Benutzungsgebühr B"> sowie des § 16, hinsichtlich derer der Antrag abgelehnt wurde).

5

Die weitere Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung vom 27. März 2002 (Satzungsbeschluss v. 18.03.2002, Amtlicher Anzeiger Nr. 16, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern, S. 541), zu der in der Folgezeit noch eine Änderungssatzung erging, betrachteten das Verwaltungsgericht Schwerin (Urt. v. 23.08.2012 – 4 A 1149/12 –) bzw. der Beklagte selbst wegen einer Nichtberücksichtigung sog. „Altanschließer“ auf der Flächenseite der Kalkulation ebenfalls als unwirksam.

6

Am 2. Dezember 2004 beschloss die Verbandsversammlung des Zweckverbandes eine neue Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung, die am 3. Dezember 2004 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger vom 27. Dezember 2004 (Nr. 52, S. 1513) öffentlich bekannt gemacht wurde und zum 1. Januar 2005 in Kraft trat. Unter dem 16. November 2005 wurde hierzu die 1. Änderungssatzung beschlossen (am 23. November 2005 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 54 vom 12. Dezember 2005, S. 1606, öffentlich bekannt gemacht), mit der im Wesentlichen die Vorschriften über die Beitragserhebung für die öffentliche Niederschlagswasserbeseitigungseinrichtung gestrichen wurden. Mit der am 5. Dezember 2007 beschlossenen 2. Änderungssatzung (am 12. Dezember 2007 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 52 vom 27. Dezember 2007, S. 1577, öffentlich bekannt gemacht) wurde im Wesentlichen ein einheitlicher Beitragssatz in Höhe von 12,51 EUR geregelt. Die am 19. November 2009 beschlossene 3. Änderungssatzung (am 1. Dezember 2009 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 50 vom 14. Dezember 2009, S. 1243, öffentlich bekannt gemacht) betraf im Wesentlichen die gebührenrechtlichen Vorschriften des § 12.

7

Mit rechtskräftigem Urteil vom 12. Oktober 2011 – 4 K 31/06 – erklärte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 (BGS 04) in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 23. November 2005, der 2. Änderungssatzung vom 12. Dezember 2007 und der 3. Änderungssatzung vom 1. Dezember 2009 (nur) hinsichtlich der Regelung des § 7 Satz 1 für unwirksam.

8

Am 04. Dezember 2013 beschloss die Verbandsversammlung schließlich die Vierte Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung (am 09. Dezember 2013 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 51, S. 855, öffentlich bekannt gemacht). Die Änderung betrifft § 7 Satz 1 BGS und im Übrigen gebührenrechtliche Vorschriften.

9

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. Mai 2006 (Bescheidnummer B) zog der Beklagte die Kläger zu einem Anschlussbeitrag für das oben bezeichnete Grundstück in Höhe von 1.532,48 EUR heran.

10

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 06. Juni 2006 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006, zugestellt am 30. August 2006, zurückwies.

11

Am 29. September 2006 haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Schwerin (zunächst unter dem Aktenzeichen 4 A 1803/06) Klage erhoben. Die zwischenzeitliche Anordnung des Ruhens des Verfahrens hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. August 2012 aufgehoben. In diesem Zuge hat das Verfahren das Az. 4 A 1280/12 erhalten.

12

Die Kläger haben im Wesentlichen vorgetragen,

13

ihr Grundstück sei bereits vor dem 3. Oktober 1990 an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen. Ein Beitrag für die Herstellung der Abwasseranlagen könne nicht erhoben werden. Der Zweckverband habe das vorhandene und funktionierende Abwassernetz, das von den Bürgern der DDR bezahlt worden sei, übernommen. Ihre Inanspruchnahme verstoße deshalb auch gegen das allgemeine Rückwirkungsverbot. Unklar sei außerdem, für welche Investitionen die Beiträge erhoben werden sollen. Es werde bestritten, dass die Beiträge durch einen entsprechenden Aufwand an Investitionen gerechtfertigt seien, ebenso, dass die Beiträge zutreffend anhand des angefallenen Aufwands berechnet worden seien. Ihre Inanspruchnahme verstoße gegen § 242 Abs. 9 BauGB. Der darin enthaltene Rechtsgedanke, dass für Altanschlüsse keine Erschließungskosten mehr erhoben werden dürften, sei hier entsprechend anzuwenden. Der Anspruch des Beklagten sei verwirkt. Die Kläger seien über gute 15 Jahre nicht in Anspruch genommen worden. Es seien lediglich Beiträge von „Neuanschließern“ erhoben worden. Der Zweckverband habe damit Umstände geschaffen, aufgrund derer die Kläger darauf hätten vertrauen dürfen, nach so langer Zeit nicht noch mit Beiträgen belastet zu werden. Durch die Beitragserhebung würden einzelne Anlieger in unzumutbarer Art und Weise belastet. Als milderes Mittel hätten die Kosten über die jährlich zu erhebenden Gebühren umgelegt werden können.

14

Die Kläger haben beantragt,

15

den Bescheid des Beklagten über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. Mai 2006, Bescheidnummer B…., und seinen Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 aufzuheben.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er hat auf seine Ausführungen in den Verfahren des Verwaltungsgerichts Schwerin zu den Az. 4 A 1798/02 und 4 A 1799/02 sowie auf den Widerspruchsbescheid verwiesen. Das Grundstück befinde sich im unbeplanten Innenbereich und sei weniger als 45 m tief.

19

Mit dem angefochtenen Urteil vom 16. April 2013 – 4 A 1280/12 – hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen; zugleich hat es die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

20

Der Bescheid vom 19. Mai 2006 sei – ebenso wie der Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 – rechtmäßig und insbesondere materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die ihm zugrunde liegende Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 in der maßgeblichen Fassung der 2. Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung des Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverbandes Güstrow-Bützow-Sternberg - vom 12. Dezember 2007 (im Folgenden: BGS) sei weder in formeller noch in materieller Hinsicht rechtlich zu beanstanden. Zur Rechtmäßigkeit des beitragsrechtlichen Teils der Satzung werde insoweit zunächst auf die Ausführungen in dem rechtskräftigen Normenkontrollurteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 12. Oktober 2011 – 4 K 31/06 – hingewiesen. Ergänzend sei auszuführen, dass die Entstehung der Beitragspflicht (mit der Anschlussmöglichkeit) in der Satzung zwar für Grundstücke im Außenbereich nach § 35 BauGB vordergründig nicht korrekt beschrieben werde. Im Zusammenspiel mit der entsprechenden Regelung im Beitragsmaßstab (§ 4 Abs. 3 Buchst. h BGS) werde jedoch hinreichend verdeutlicht, dass die bloße Anschlussmöglichkeit eines Grundstücks im Außenbereich gerade noch nicht die sachliche Beitragspflicht entstehen lasse, sondern erst der vorgenommene Anschluss.

21

Die Satzung bestimme auch unmissverständlich, dass bei einem Konflikt zwischen einer beitragssatzungsrechtlichen Tiefenbegrenzung und einer gemeindlichen Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB für die Bestimmung der der Beitragsbemessung zugrunde zu legenden Grundstücksfläche allein die gemeindliche Satzung maßgebend sein soll. Diese Vorrangregelung verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

22

Mit der späteren anschlussbeitragsrechtlichen Nichtberücksichtigung unbebauter und nicht an die Kanalisation angeschlossener Grundstücke sei auch die (damals unverändert gebliebene) Globalkalkulation nicht rechtswidrig geworden. Die Kläger hätten insoweit keine Einwände erhoben. Die Beitragskalkulation gebe, soweit sie von anderen Klägern substantiiert angegriffen worden sei, keinen Anlass zu Beanstandungen. Insoweit werde etwa auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in dessen Urteil vom 12. Oktober 2011 verwiesen. Soweit die Kläger bestreiten würden, dass die Beiträge durch einen entsprechenden Aufwand an Investitionen gerechtfertigt seien, ebenso, dass sie zutreffend anhand des angefallenen Aufwands berechnet worden seien, gehe dies „ins Blaue“. Es sei ferner nicht zu beanstanden, dass der Zweckverband zunächst mehrere (fünf) öffentliche Einrichtungen zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung betrieben habe. Im Übrigen betreibe er zum 1. Januar 2008 nur noch eine öffentliche Einrichtung zur zentralen Entsorgung von Schmutzwasser (Art. 1 Ziff. 1 der 3. Änderungssatzung zur Abwasserentsorgungssatzung und Art. 1 Ziff. 1 der 2. Änderungssatzung der Beitrags- und Gebührensatzung, jeweils vom 12. Dezember 2007). Die Ermittlung der örtlichen Verhältnisse zur (hier) schlichten Tiefenbegrenzung sei ordnungsgemäß erfolgt. Ob die Fortschreibung der Globalkalkulation nach Ablauf ihres (bisherigen) Kalkulationszeitraums nach dem Jahre 2010 erforderlich sei, spiele für das vorliegende Verfahren keine Rolle, da die hier zugrunde liegende Globalkalkulation, auf der der vorliegende Beitragsbescheid beruhe, rechtlich nicht zu beanstanden sei.

23

Soweit die Kläger die sog. „Altanschließer-Rechtsprechung“ des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern kritisierten, der sich das Verwaltungsgericht bereits in zahlreichen Entscheidungen angeschlossen habe, könne dem nicht gefolgt werden. Da der Zweckverband nach der Wende neue öffentliche Einrichtungen zur Schmutzwasserentsorgung geschaffen habe, müsse ein Herstellungsbeitrag erhoben werden, und zwar sowohl von den sog. „Altanschließern“ mit faktischem Kanalnetzanschluss schon zu DDR- oder noch weiter zurückliegenden Zeiten als auch von den Eigentümern „neu“ an das Kanalnetz angeschlossener/anschließbarer Grundstücke. Denn allen angeschlossenen bzw. an die öffentliche Einrichtung anschließbaren Grundstücken werde erstmals der gleiche rechtlich dauerhaft abgesicherte Vorteil verschafft. In der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern sei ebenfalls geklärt, dass der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung sich nur auf die nach der Wende gegründeten Abgaben erhebenden Körperschaften beziehe. Selbst wenn die Kläger bzw. ihre Rechtsvorgänger im Hinblick auf das streitbefangene Grundstück während der Existenz der DDR für den Anschluss des Grundstücks Gebühren o. Ä. – ein Nachweis dafür sei nicht vorgelegt worden – gezahlt haben sollten, könne es nach der Wende zu einem Herstellungsbeitrag nach dem Kommunalabgabengesetz herangezogen werden.

24

Den Ausführungen der Kläger zu § 242 Abs. 9 BauGB bzw. einer analogen Anwendung dieser Vorschrift sei ebenfalls nicht zu folgen. Vorliegend werde kein Erschließungsbeitrag für Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB erhoben, sondern ein Anschlussbeitrag nach § 9 KAG M-V. Kommunalabgabenrechtliche Anschlussbeiträge aufgrund der Herstellung einer öffentlichen Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung unterfielen nicht der Vorschrift des § 242 Abs. 9 BauGB.

25

Dem angegriffenen Bescheid selbst hafte ebenfalls kein materieller Fehler an. Der Beitrag sei insbesondere nicht in seiner Festsetzung verjährt. Die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht setze sowohl nach dem neuen als auch nach dem alten Kommunalabgabengesetz (§ 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bzw. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F.) eine wirksame Beitragssatzung voraus. Erst mit ihrer Existenz beginne die vierjährige Festsetzungsfrist zu laufen (§ 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 170 Abs. 1 AO). Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, wonach die Festsetzungsfrist für die Erhebung eines Anschlussbeitrages erst mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung beginne. Diese Rechtsprechung habe der Landesgesetzgeber in der Neuregelung des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V ausdrücklich bestätigt. Die zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene Satzung vom 03. Dezember 2004 über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung sei die erste wirksame Satzung des Zweckverbandes. Die Satzung vom 27. März 2002 sei wegen Nichtbeachtung der sog. „Altanschließer“ auf der Flächenseite der Kalkulation ebenso unwirksam gewesen wie die Satzung vom 23. Mai 2001. Anhaltspunkte für eine Verwirkung des streitigen Anschlussbeitrags lägen nicht vor.

26

Die der Satzung zugrundeliegenden Normen, insbesondere § 9 Abs. 3 KAG M-V, verstießen auch nicht gegen höherrangiges Recht, auch nicht vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –. Zunächst handele es sich bei der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b) cc) Spiegelstrich 2 Bayerisches Kommunalabgabengesetz um eine Verjährungsregelung, die in gleicher oder ähnlicher Weise im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht existent sei. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass nach dem bayerischen Landesrecht beitragspflichtig derjenige ist, der im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist oder war. Es komme hingegen nach der dortigen Regelung nicht darauf an, ob er im Zeitpunkt des Erlasses des Anschlussbeitragsbescheides noch Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist. Eine vergleichbare Verjährungsregelung gebe es im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht. § 12 Abs. 2 KAG M-V i.V.m. § 169 AO setze die Verjährungsfrist für alle Fälle auf vier Jahre ab dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht fest. Ein beliebiges Auseinanderklaffen von Entstehung der Beitragspflicht und Eintritt der Verjährung sei damit ausgeschlossen.

27

Auch die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V unterliege keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Mit dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber in der Gesetzesnovelle von 2005 entsprechend der seit 1999 ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern zu der Vorläuferregelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 klargestellt bzw. präzisiert, dass Beiträge nur erhoben werden können, wenn sie auf eine rechtswirksame Satzung verweisen können. Auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werde seitens des Verwaltungsgerichts an dieser Rechtsprechung festgehalten. Die Regelung widerspreche nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtssicherheit. Die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern und die Regelungen im Bayerischen Kommunalabgabengesetz unterschieden sich insofern, da das Entstehen der sachlichen und persönlichen Beitragspflicht nach Artikel 5 Abs. 6 BayKAG zusammenfalle. Nach dem Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern sei nach § 7 Abs. 2 KAG M-V hingegen beitragspflichtig immer derjenige, der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides die persönlichen Kriterien der Beitragspflicht als Grundstückseigentümer oder sonstiger Pflichtiger erfüllt. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayerischen Landesrecht, das unter Umständen – wie im Fall des Bundesverfassungsgerichts – an eine längst vergangene Eigentümerstellung anknüpfe, sei deshalb nicht möglich. Eine dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtssicherheit zuwiderlaufende Regelung sei in § 9 Abs. 3 KAG M-V auch insoweit nicht zu erkennen, als dort nicht das Erfordernis der rückwirkenden Inkraftsetzung der Beitragssatzung oder aber eine starre äußerste zeitliche Grenze für das zulässige Entstehen der sachlichen Beitragspflicht durch Erlass einer wirksamen Beitragssatzung geregelt sei. Eine derartige Regelung gebiete das Verfassungsrecht nicht. Dabei sei zunächst darauf hinzuweisen, dass das bundesrechtlich geprägte (Straßen-) Erschließungsbeitragsrecht ebenfalls das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ggf. vom nachträglichen Erlass einer Erschließungsbeitragssatzung abhängig mache, ohne dass dort eine zeitliche Höchstgrenze festgelegt wäre. Diese durch das Richterrecht des Bundesverwaltungsgerichts geprägte Rechtslage sei bislang verfassungsrechtlich nicht beanstandet worden. Schließlich sei im Hinblick auf eine „Verflüchtigung“ des Vorteils für das Anschlussbeitragsrecht nach Maßgabe des Landesrechts in Mecklenburg-Vorpommern zu berücksichtigen, dass der Anschlussvorteil ein weitaus länger währender sei als beispielsweise der Anliegervorteil aus einer Straßenbaumaßnahme. Die Konzeption und Realisierung einer Trinkwasserversorgungs- bzw. Abwasserbeseitigungsanlage sei weitaus aufwändiger als z. B. die Erneuerung einer Straße. Unter diesen Rahmenbedingungen könne eine zeitliche Höchstgrenze in Ansehung der konkreten Planungs- und Realisierungserfordernisse nicht gezogen werden, ohne auf der anderen Seite den ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung zu verletzen. Eine „Verflüchtigung“ komme erst ab dem Zeitpunkt in Betracht, ab dem die Vorteile, die die Anlage bietet, den Eigentümern vollständig zugeflossen sind. Bezug zu nehmen sei dabei auf die konkrete Anlage, für die die Vorteile abgeschöpft werden. Unerheblich sei es hingegen, ob es unter früheren Rechtsregimen ähnliche Entsorgungsmöglichkeiten gegeben habe. Eine andere verfassungsrechtliche Betrachtung möge sich im Einzelfall ergeben, wenn lange Zeit – d.h. mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte – nach Abschluss des in gemeindlicher Selbstverwaltung geplanten Ausbauzustandes bzw. der Investitionsmaßnahme immer noch keine wirksame Satzung als Voraussetzung der Beitragserhebung gegeben sei. Eine starre Bestimmung dieser zeitlichen Höchstgrenze sei für das Anschlussbeitragsrecht aber verfassungsrechtlich nicht geboten.

28

Das Urteil ist den Klägern am 21. Juni 2013 zugestellt worden.

29

Am 17. Juli 2013 haben die Kläger gegen das Urteil Berufung eingelegt und am 13. August 2013 beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern. Nach antragsgemäßer Fristverlängerung bis zum 23. September 2013 haben sie am 18. September 2013 nochmals beantragt, die Frist bis zum 15. Oktober 2013 zu verlängern. Nach entsprechender Verlängerung haben die Kläger mit am 11. Oktober 2013 eingegangenem Schriftsatz ihre Berufung dann begründet.

30

Die Kläger tragen im Wesentlichen vor,

31

das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen. Der angefochtene Bescheid sowie der Widerspruchsbescheid seien rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten. Eine mit dem angefochtenen Bescheid abgerechnete Neuherstellung der Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung liege nicht vor. Das Grundstück der Kläger sei bereits vor dem 03. Oktober 1990 im damaligen Beitrittsgebiet an eine bestehende Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen gewesen. Folglich sollten sie als Grundstückseigentümer im vorliegenden Fall zweimal für eine Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung bezahlen. Das Verwaltungsgericht hätte erkennen müssen, dass die Erhebung des Beitrages zu einer unzulässigen Doppelbelastung der Eigentümer führe, da der Beklagte ein bestehendes Kanalnetz übernommen habe, welches bereits zu DDR-Zeiten über die Bevölkerung finanziert worden sei. Sie seien als Grundstückseigentümer mit ihrem Grundstück bereits zu DDR-Zeiten an die Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen gewesen. Sie hätten nicht damit rechnen müssen, ein zweites Mal für die bereits vorhandene Anlage zahlen zu müssen. Sie hätten vielmehr darauf vertrauen dürfen, für die Herstellungskosten nicht mehr herangezogen zu werden, und sich auch auf die Einreden der Verjährung und der Verwirkung berufen.

32

Die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung gebe überdies selbst auch keine Grundlage für die Festsetzung eines Herstellungsbeitrages gegenüber den Klägern. In § 3 der Satzung sei geregelt, dass die Beitragspflicht entstehe, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden könne. Das Grundstück der Kläger sei zu DDR-Zeiten an die öffentliche Einrichtung angeschlossen gewesen, nach dieser Regelung könne daher eine Beitragspflicht nicht entstehen. Soweit § 3 regele, dass für Grundstücke, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung bereits angeschlossen seien, eine Beitragspflicht mit dem Inkrafttreten dieser Satzung entstehe, lasse sich diese Regelung allein dahingehend auslegen, dass auch hiervon nur Grundstücke betroffen seien, die zum 03. Oktober 1990 noch nicht an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen seien. Eine anderweitige Auslegung würde gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen. Die Satzung stehe nicht im Einklang mit der Regelung in § 242 Abs. 9 BauGB. Die Kläger bestreiten, dass die Beiträge durch eine entsprechende Aufwandsinvestition gerechtfertigt seien. Ebenso werde bestritten, dass die Beiträge zutreffend anhand des angefallenen Aufwands berechnet worden seien. Das Verwaltungsgericht hätte diesem Bestreiten der Kläger nachgehen müssen. Die Berechnung des Beklagten könne von außenstehenden Laien kaum nachvollzogen werden. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verkenne zudem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05. März 2013 – 1 BVR 2057/08 –. Hier sei ausgeführt worden, dass sogenannte Altanschließer geschützt werden müssten und nicht unbegrenzt die Möglichkeit bestehe, weitere Abgaben zu erheben. Das Bundesverfassungsgericht verlange, dass soweit Beitragspflichten zum Vorteilsausgleich an zurückliegende Tatbestände anknüpften, diese Inanspruchnahme zeitlich begrenzt sein müsse. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete demnach, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Im vorliegenden Fall hätten die Kläger bereits vor dem 03. Oktober 1990 für die Schmutzwasserbeseitigung gezahlt. Sie hätten daher nicht damit rechnen müssen, dass sie im Jahr 2006 plötzlich zu Beiträgen herangezogen würden. Die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern verstießen gegen höherrangiges Recht, insbesondere die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V. Da letztere keine zeitliche Begrenzung für sogenannte Altfälle vorsehe, seien sie und damit auch entsprechende Satzungen rechtswidrig. Auch dem Argument des Verwaltungsgerichts, wonach sich die hiesigen Regelungen und die des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes dadurch unterscheiden würden, dass das Entstehen der sachlichen und persönlichen Beitragspflichten nach Artikel 5 Abs. 6 Bayerisches KAG zusammenfallen würden und nach dem Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern nach § 7 Abs. 2 KAG M-V hingegen beitragspflichtig immer derjenige sei, der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides die persönlichen Kriterien der Beitragspflicht erfülle, könne insoweit nicht gefolgt werden. Die Regelungen in Mecklenburg-Vorpommern ermöglichten, dass quasi ohne zeitliche Begrenzung für Altfälle noch Beiträge erhoben werden könnten. § 9 Abs. 3 KAG M-V sei eine dem Anspruch auf Rechtssicherheit zuwiderlaufende Regelung, als dort keine starre äußerste zeitliche Grenze für das Entstehen der Beitragspflicht geregelt sei.

33

Die Kläger beantragen,

34

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Schwerin Az: 4 A 1280/12 vom 16.04.2013 den Bescheid des Beklagten über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19.05.2006 (Bescheid-Nr. B…) und seinen Widerspruchsbescheid vom 28.08.2006 aufzuheben.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Berufung zurückzuweisen.

37

Der Beklagte trägt vor,

38

die Beitragserhebung sei gegenüber den Klägern auch mit Rücksicht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – rechtlich zulässig. Die rechtliche Struktur der Bestimmungen des § 9 Abs. 3 KAG M-V sowie des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b cc) Spiegelstrich 2 BayKAG sei erkennbar verschieden. In Bayern habe ein ursprünglicher Grundstückseigentümer noch jahrzehntelang zu einem Beitrag herangezogen werden können, auch wenn er etwa das Grundstück bereits verkauft gehabt und sich so der Vorteil in der Tat „verflüchtigt“ habe. In Mecklenburg-Vorpommern hingegen werde stets der aktuelle Grundstückseigentümer herangezogen, der den Vorteil des erschlossenen Grundstücks gerade noch innehabe. In rechtlicher Hinsicht sei die Situation in Mecklenburg-Vorpommern vergleichbar mit derjenigen sogenannter „verhaltener Ansprüche“, etwa Arzt- oder Architekten-Honorarforderungen, die auch erst entstehen bzw. fällig würden, wenn eine entsprechende Rechnung gestellt werde. So wie dort genüge auch im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern das Rechtsinstitut der Verwirkung, um unbillige oder rechtsstaatlich unter dem Blickpunkt der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu rechtfertigende Einzelfälle zu korrigieren. Ergänzend komme die vom Bundesverfassungsgericht nicht gesehene Regelung des § 162 BGB analog hinzu, wonach ein Bedingungseintritt nicht treuwidrig verzögert werden dürfe. Dieser Rechtsgrundsatz relativiere die Bedenken, die das Bundesverfassungsgericht gegen das Argument, das Rechtsinstitut der Verwirkung sei ausreichend, vorgebracht habe. Auch die Regelungen zur sachlichen und persönlichen Billigkeit dürften ergänzend eine Rolle spielen. Denn diese unbestimmten Rechtsbegriffe ließen eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend zu, dass erhobene Beiträge nach „Verflüchtigung“ des Vorteils nicht mehr beigetrieben werden könnten, da dies sachlich unbillig wäre.

39

Ergänzend sei von Bedeutung, dass sich der Vorteil durch das Erschlossensein durch eine leitungsgebundene Einrichtung nicht so schnell „verflüchtige“, wie das Bundesverfassungsgericht unterstelle. Die öffentliche Einrichtung mit ihren technischen Anlagen solle quasi „ewig“ vorgehalten werden. Die technischen Anlagen hätten typischerweise auch Nutzungsdauern von mehreren Jahrzehnten, die zudem durch Instandsetzungen und Erneuerungen noch verlängert würden. § 9 Abs. 3 KAG M-V wäre jedenfalls etwa dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die sachliche Beitragspflicht unabhängig von einer wirksamen Satzung entstehe, wenn die öffentliche Einrichtung endgültig hergestellt worden sei, also mit Umsetzung des jeweiligen Abwasserbeseitigungskonzeptes eines Abwasserentsorgers in Bezug auf technische Anlagen, die zu den jeweiligen öffentlichen Einrichtungen gehörten. Auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg habe mit Urteil vom 14. November 2013 – 9 B 34.12 – die mit § 9 Abs. 3 KAG M-V vergleichbare Regelung im KAG Brandenburg verfassungskonform interpretiert. Es habe den vom Bundesverfassungsgericht betonten weiten Gestaltungsspielraum herangezogen und es für ausreichend erachtet, dass § 12 Abs. 3a KAG Brandenburg grundsätzlich für Altanschließer normiert habe, dass die Festsetzungsfrist frühestens am 31. Dezember 2011 ende. Es habe dabei zutreffend auf die Besonderheiten im Gebiet der ehemaligen DDR beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung abgestellt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Urteil vom 14. November 2013 – 6 B 12.704 – verfassungskonform zu Erschließungsbeiträgen entschieden, dass diese ohne Rücksicht auf das Entstehen der Beitragsschuld und unbeschadet der Verjährungsregelungen analog der 30-jährigen Verjährungsregel des dortigen Art. 53 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG verjährten.

40

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, auf die Gerichtsakten in den Parallelverfahren Az. 1 L 139/13 und 1 L 140/13 und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Gerichtsakten bzw. Beiakten zu Gerichtsakten, die sämtlich jeweils zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, ferner auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

41

Die zulässige Berufung der Kläger hat keinen Erfolg.

42

Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet ist; der Bescheid des Beklagten über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. Mai 2006 (Bescheid-Nr. B…) und sein Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

43

Der Beitragsbescheid beruht auf einer wirksamen Rechtsgrundlage (A.); auch die Rechtsanwendung des Beklagten ist nicht zu beanstanden (B.).

44

A. Gemäß § 1 Abs. 2 Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-​Vorpommern (KAG M-​V) können Zweckverbände in Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises Abgaben mit Ausnahme von Steuern erheben. Abgaben dürfen nur aufgrund einer Satzung erhoben werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-​V). Die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Satzung des Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverbandes Güstrow-Bützow-Sternberg (nachfolgend: Zweckverband) über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 in der während des laufenden gerichtlichen Verfahrens maßgeblich gewordenen Fassung der Vierten Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 09. Dezember 2013 (im Folgenden: BGS) ist rechtlich nicht zu beanstanden.

45

Die Rüge der Kläger, die Satzung stehe nicht im Einklang mit der Regelung des § 242 Abs. 9 BauGB, dringt nicht durch. Der Senat hat bereits entschieden, dass diese Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich sein kann, weil sie ausschließlich die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung vor allem von Straßen regelt, um die es aber hier nicht geht (vgl. – auch zum Folgenden – Beschl. v. 06.02.2007 – 1 L 295/05 –, NordÖR 2007, 433; Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris). Auch die von den Klägern begehrte analoge Anwendung dieser Bestimmung kommt nicht in Betracht; ebenso wenig war der Landesgesetzgeber verpflichtet, für die Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen eine entsprechende Regelung zu treffen. Das Vorbringen der Kläger lässt die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Erschließungsbeiträgen nach den §§ 127 ff. BauGB und den Kanalanschlussbeiträgen außer Acht. Erschließungsanlagen nach § 127 Abs. 2 BauGB (zumeist öffentliche Straßen und Plätze) sind einzelne technische Einrichtungen mit bis zu ihrer endgültigen Herstellung von der Errichtung weiterer technischer Anlagen unabhängiger überschaubarer Bauzeit, die naturgemäß in dem Zeitraum vor der Wende ihren Abschluss finden konnten. In diesem Falle sollen die Anliegergrundstücke nicht mit hohen Erschließungsbeiträgen, sondern wegen des dann höheren Gemeindeanteils nur mit niedrigeren Straßenbaubeiträgen belastet und insoweit privilegiert werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.07.2007 – 9 C 5.06 –, juris, Rn. 27). Eine völlige Freistellung von Beiträgen ist demzufolge nicht geregelt. Bei der Abwasserbeseitigungseinrichtung handelt es sich um eine aus verschiedenen einzelnen technischen Bestandteilen (Leitungsnetz, Klärwerke, etc.) bestehende Gesamtanlage im rechtlichen Sinne, deren (erstmalige) Herstellung sich über Jahrzehnte erstrecken kann und deren Fertigstellungszeitpunkt als kommunale Anlage im Sinne des neuen Rechts nicht vor dem Zeitpunkt des Beitrittes liegen konnte (vgl. dazu näher nachfolgend unter B II 3 a). Infolgedessen waren Abwasserbeseitigungseinrichtungen vor dem Zeitpunkt des Beitritts noch nicht „bereits hergestellt“. Selbst wenn man das im Einzelfall aber annehmen wollte, müssten nach dem § 242 Abs. 9 BauGB zugrundeliegenden Gedanken (keine gänzliche Freistellung von Beiträgen) auch nunmehr Erneuerungsbeiträge für die umfangreichen Anlagenmodernisierungen erhoben werden. Weil jedoch ohnehin nur „Nachwendeinvestitionen“ als dem Betreiber der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage entstandener Aufwand umgelegt werden dürfen, wäre der danach zu erhebende Beitrag auch nicht geringer als der Beitrag für die Herstellung der Anlage. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht vor diesem Hintergrund angenommen, eine analoge Anwendung von § 242 Abs. 9 BauGB scheide bereits mangels planwidriger Lücke aus. Die Kläger haben gegen dessen an die Senatsrechtsprechung anknüpfenden Erwägungen im Berufungsverfahren keine substantiellen Einwände erhoben.

46

Die von den Klägern betreffend den vom Zweckverband getätigten Aufwand bzw. die Beitragskalkulation erhobenen Einwendungen gehen „ins Blaue“. Auch wenn die Kläger insoweit Laien sein mögen, konnten sie jedenfalls mit Hilfe ihrer Prozessbevollmächtigten die entsprechenden Unterlagen des Zweckverbandes sichten und hätten dann ggf. substantielle Rügen erheben können (vgl. auch OVG Greifswald, Urt. v. 12.10.2011 – 4 K 31/06 –, juris). Im Übrigen sind nach Maßgabe des vorstehend zitierten Urteils bei einer Sichtung der Kalkulation durch den 4. Senat keine Kalkulationsmängel offen zu Tage getreten; diesen Erwägungen schließt sich der erkennende Senat an.

47

Weitere Rügen unmittelbar gegen die Wirksamkeit der der Beitragserhebung zugrunde liegenden Satzung sind von den Klägern im Berufungsverfahren nicht erhoben worden; im Übrigen verweist der Senat in dieser Frage auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts (§ 130b Satz 2 VwGO).

48

B. Die Kläger sind unter Zugrundelegung der Beitragssatzung (I.) und auch im Übrigen II.) rechtmäßig zur Beitragszahlung herangezogen worden.

49

I. Entgegen dem Berufungsvorbringen unterliegen sie zunächst der Beitragspflicht nach Maßgabe von § 3 BGS.

50

Die Beitragspflicht entsteht gemäß § 3 Satz 1 BGS, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden kann. Für Grundstücke, die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieser Satzung bereits angeschlossen sind, entsteht die Beitragspflicht mit dem In-Kraft-Treten dieser Satzung (Satz 2).

51

Die Kläger machen in Ansehung dieser Bestimmung zu Unrecht geltend, sie gebe ihnen gegenüber keine Grundlage für die Festsetzung eines Herstellungsbeitrages. In § 3 der Satzung sei geregelt, dass die Beitragspflicht entstehe, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden könne. Das Grundstück der Kläger sei zu DDR-Zeiten an die öffentliche Einrichtung angeschlossen gewesen, nach dieser Regelung könne daher eine Beitragspflicht auch entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht entstehen. Soweit sich die Beitragssatzung in § 3 ferner darauf berufe, dass für Grundstücke, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Satzung bereits angeschlossen seien, eine Beitragspflicht mit dem Inkrafttreten dieser Satzung entstehe, lasse sich diese Regelung allein dahingehend auslegen, dass auch hiervon nur Grundstücke betroffen seien, die zum 03. Oktober 1990 noch nicht an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen wären.

52

Auch diesem Vortrag der Kläger vermag der Senat nicht zu folgen. Nach der ständigen Rechtsprechung des 1. und – früheren – 4. Senats betreffend die sog. Altanschließerproblematik (vgl. etwa Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris), auf die sich das Verwaltungsgericht ausdrücklich stützt, kann und darf eine kommunale Anschlussbeitragssatzung nicht die schon in der Vergangenheit, insbesondere zur Zeit der DDR tatsächlich an eine Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung angeschlossenen Grundstücke von der Beitragspflicht ausnehmen und nur neu an die Anlage angeschlossene Grundstücke zu Beiträgen heranziehen. Dies wäre willkürlich. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Im Übrigen ist der Regelung des § 3 Satz 1 BGS offensichtlich immanent, dass sie eine Anschlussmöglichkeit unter ihrer Geltung zum Gegenstand hat: Ohne wirksame satzungsrechtliche Regelung zur Entstehung der Beitragspflicht könnte die Beitragspflicht gerade nicht entstehen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V); Bedingung der Entstehung der Beitragspflicht ist folglich die Existenz einer wirksamen Satzung. Nur dieses Normverständnis harmoniert mit § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bzw. der vorher schon existierenden Rechtslage. Mangels Geltung der Satzung zu DDR-Zeiten konnte folglich auch nicht früher schon die sachliche Beitragspflicht entstanden sein; ebenso verbietet sich von Verfassungs wegen ein Normverständnis dahingehend, dass ab Inkrafttreten der Satzung nur zukünftig anschließbare Grundstücke der Beitragspflicht („Neuanschließer“) unterliegen sollen. Insoweit ist die Satzung auch in Ansehung des Wortlauts des § 3 Satz 1 BGS wirksame Rechtsgrundlage zur Heranziehung der sog. Altanschließer; eine gegenteilige Auslegung der Norm ist ausgeschlossen, da dies ihre Unwirksamkeit nach sich zöge (vgl. Senatsurteil v. 10.10.2012 – 1 L 27/09 –). Dies stellt zudem jedenfalls – nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen in der rechtlichen gebotenen Weise – § 3 Satz 2 BGS klar.

53

II. 1. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass vorliegend keine Festsetzungsverjährung eingetreten und der mit dem Beitragsbescheid vom 19. Mai 2006 geltend gemachte Beitragsanspruch des Beklagten folglich nicht wegen Festsetzungsverjährung gemäß § 47 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 und 2 KAG M-​V erloschen ist.

54

Nach Maßgabe von § 47 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-​V erlöschen Beitragsansprüche insbesondere durch Verjährung. Eine Beitragsfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist, § 169 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-​V.

55

Abweichend von § 169 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V vier Jahre; bei der Erhebung eines Anschlussbeitrages nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V endet die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008.

56

Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V). Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung; § 3 BGS stimmt hiermit – wie ausgeführt – überein. Erste wirksame Satzung des Zweckverbandes ist die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung, die am 3. Dezember 2004 vom Verbandsvorsteher ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger vom 27. Dezember 2004 öffentlich bekannt gemacht wurde und zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist; sie liegt inzwischen in der Fassung der 4. Änderungssatzung vor. Im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Beitragsbescheides am 19. Mai 2006 waren offensichtlich noch keine vier Jahre verstrichen und folglich war Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten; auf § 12 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz KAG M-V kommt es insoweit nicht an.

57

2. Der Beklagte hat den Beitragsanspruch auch nicht verwirkt. Nach Maßgabe der Senatsrechtsprechung bedeutet Verwirkung als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung) (vgl. zum Ganzen OVG Greifswald, Beschl. v. 16.09.2013 – 1 L 207/11 –; Urt. v. 02.11.2005 – 1 L 105/05 –, juris; Beschl. v. 05.11.2001 – 3 M 93/01 –, NordÖR 2001, 480 = NVwZ-​RR 2003, 15 – zitiert nach juris; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 12.01.2004 – 3 B 101.03 –, NVwZ-​RR 2004, 314; BVerwG, Urt. v. 16.05.1991 – 4 C 4.89 –, NVwZ 1991, 1182 ff.; OVG Münster, Beschl. v. 07.08.1998 – 11 B 1555/98 –, NVwZ-​RR 1999, 540; OVG Lüneburg, Urt. v. 27.11.1991 – 1 L 117/91 –).

58

Nach diesem Maßstab kommt die Annahme einer Verwirkung des Beitragsanspruchs durch den Beklagten nicht in Betracht. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Kläger aufgrund eines Verhaltens des Beklagten darauf hätten vertrauen dürfen, dass dieser den streitigen Beitragsanspruch nicht mehr geltend machen werde. Dabei ist zu beachten, dass das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern bereits mit Beschluss vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 – (juris) die Gleichheitswidrigkeit einer Nichtheranziehung von Altanschließern festgestellt und anschließend in ständiger Rechtsprechung diesen Rechtsstandpunkt immer wieder bekräftigt hat (vgl. z.B. OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 16/00 –, KStZ 2002, 132 = NVwZ-​RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83; Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; Beschl. v. 12.05.2005 – 1 L 477/04 –; Beschl. v. 11.08.2004 – 1 M 181/04 –; Beschl. v. 18.10.2005 – 1 L 197/05 –, NordÖR 2006, 160; Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris; Urt. v. 10.10.2012 – 1 L 27/09 –, juris). Folglich mussten sich auch sog. Altanschließer auf ihre Heranziehung zu einem Zeitpunkt einstellen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 16.09.2013 – 1 L 207/11 –), in dem zudem auch das Zeitmoment noch nicht gegeben war. Damit fehlt es bereits an der erforderlichen Vertrauensgrundlage. Unabhängig von der Frage, ob die Kläger tatsächlich darauf vertraut haben, der Beitragsanspruch werde ihnen gegenüber nicht mehr verfolgt, ist zudem jedenfalls für eine beachtliche Vertrauensbetätigung ihrerseits nichts ersichtlich.

59

3. Schließlich hat sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge auch nicht nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, juris; vgl. auch Beschl. v. 03.09.2013 – 1 BvR 1282/13 -, juris; Beschl. v. 11.10.2013 – 1 BvR 2616/13 –) „verflüchtig“ oder erweist sich insbesondere die landesrechtliche Bestimmung des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V als verfassungswidrig.

60

Die Kläger machen anknüpfend an diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen geltend, sie seien mit ihrem Grundstück bereits seit DDR-Zeiten bzw. jedenfalls seit der Wende an die öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen gewesen. Ohne das in § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V geregelte Erfordernis einer wirksamen Satzung hätte die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V jeweils mit der Folge früher anlaufen müssen, dass zwischenzeitlich vor Erlass des streitgegenständlichen Beitragsbescheides Festsetzungsverjährung eingetreten wäre. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bewirke rechtsstaatwidrig, dass eine Beitragserhebung zeitlich unbegrenzt nach Eintritt der Vorteilslage möglich sei. Die Kläger hätten im Zeitpunkt der Beitragserhebung nicht mehr mit einer solchen rechnen müssen. Ihr entsprechendes Vertrauen sei schutzwürdig.

61

Mit diesem Vortrag vermögen die Kläger nicht durchzudringen.

62

Die der Beitragserhebung zugrundeliegenden Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes M-​V sind wirksam. Sie verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht. Das Anschlussbeitragsrecht in Mecklenburg-​Vorpommern hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen stand. Die streitgegenständliche Beitragserhebung und auch die Bestimmung des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V verstoßen nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit. Das Regelungssystem des Kommunalabgabengesetzes M-V bringt jedenfalls im Rahmen des weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums insoweit die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und des Einzelnen an Rechtssicherheit zu einem angemessenen Ausgleich.

63

a) Der Senat hat bereits in mehreren Berufungszulassungsverfahren entschieden und hält an dieser Auffassung auch im vorliegenden Berufungsverfahren fest, dass die Feststellung einer sog. „Altanschließersituation“ isoliert betrachtet keine „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung nach sich ziehen kann.

64

Mit Blick auf den Zeitpunkt der Entstehung des beitragsrechtlichen Vorteils wurde nach ständiger Senatsrechtsprechung auch allen Eigentümern von tatsächlich bereits angeschlossenen Grundstücken („Altanschließer“) mit den jeweiligen öffentlichen Entsorgungseinrichtungen von den kommunalen Einrichtungsträgern wie dem Zweckverband erstmalig und frühestens unter dem grundlegend neuen Rechtsregime nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können (gilt entsprechend für die Versorgung mit Trinkwasser durch einen Trinkwasseranschluss). In die Beitragskalkulation zur Abgeltung dieses Vorteils fließen zudem nur sog. „Nachwendeinvestitionen“ ein, so dass auch keine Rede davon sein kann, die Eigentümer bereits zuvor tatsächlich angeschlossener Grundstücke, die ggf. in der Vergangenheit in irgendeiner Form Zahlungen für diesen früheren Anschluss geleistet haben, würden „doppelt“ zu denselben Kosten herangezogen. Entscheidend ist auf diese rechtliche Absicherung des Vorteils abzustellen, die erstmals und frühestens nach Inkrafttreten insbesondere des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – bzw. zeitlich danach mit Erlass einer wirksamen Beitragssatzung – eintreten kann. Kein taugliches Kriterium zur Differenzierung des Vorteils sind die tatsächlichen Verhältnisse, d. h. ob rein faktisch zuvor das Abwasser in der einen oder anderen Weise hat abgeleitet werden können. Daher kommt es z. B. nicht entscheidungserheblich darauf an, ob zu DDR-​Zeiten Schmutzwasserkanäle – von wem auch immer – erstellt worden sind. Ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist, ob die betreffenden Grundstückseigentümer über eine wie auch immer geartete private Kläranlage oder Sammelgrube verfügt haben (vgl. zum Ganzen bereits OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 16/00 –, NVwZ-​RR 2002, 687 – zitiert nach juris).

65

Demnach war die Vorteilslage gerade nicht schon zu DDR-Zeiten eingetreten und ist das an die Situation der Kläger als „Altanschließer“ schon in dieser Zeit anknüpfende Berufungsvorbringen für sich gesehen folglich nicht geeignet, die Entscheidungserheblichkeit der in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkret aufzuzeigen. Mit Blick darauf, dass nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts der rechtlich gesicherte Vorteil der Möglichkeit, Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können, erst mit dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern frühestmöglich entstehen konnte, hat der Senat in diesem Sinne bereits darauf hingewiesen, dass es in Ansehung der sog. Altanschließerproblematik bzw. in ausschließlicher Betrachtung des Zeitraumes zwischen einem tatsächlichen Anschluss zu DDR-Zeiten und diesem Inkrafttreten nicht entscheidungserheblich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – und den darin entwickelten Gesichtspunkt der „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Erhebung von Beiträgen ankommen kann, weil sich der so rechtlich bzw. unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung so von Verfassungs wegen (vgl. zur Gleichheitswidrigkeit einer Nichtheranziehung von „Altanschließern“ z.B. OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 16/00 –, KStZ 2002, 132 = NVwZ-​RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83; Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; Beschl. v. 12.05.2005 – 1 L 477/04 –; Beschl. v. 11.08.2004 – 1 M 181/04 –; Beschl. v. 18.10.2005 – 1 L 197/05 –, NordÖR 2006, 160; Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris; Urt. v. 10.10.2012 – 1 L 27/09 –, juris) zu definierende Vorteil nicht bereits im Moment seiner frühestmöglichen Entstehung (Inkrafttreten des KAG) wieder „verflüchtigt“ haben kann (vgl. Beschl. des Senats v. 10.06.2013 – 1 L 139/10 –; v. 21.08.2013 – 1 L 86/13 –; v. 16.09.2013 – 1 L 207/11 –; Beschl. v. 24.02.2014 – 1 L 170/13, 1 L 167/12, 1 L 175/12 –). Anders gewendet konnte in diesem frühestmöglichen Moment der Vorteilsentstehung noch kein Vertrauen gebildet worden sein, von einer Heranziehung zu Anschlussbeiträgen verschont zu bleiben. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit kann in dieser Sichtweise nicht berührt oder gar verletzt sein.

66

b) Auch im Übrigen führt die „Verflüchtigungsrechtsprechung“ des Bundesverfassungsgerichts nicht zu der Schlussfolgerung, die streitgegenständliche Beitragserhebung sei rechtswidrig. Sie ist schon nicht auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen nach Maßgabe des Kommunalabgabengesetzes M-V anwendbar (aa). Selbst wenn man die Möglichkeit der „Verflüchtigung“ einer Legitimation zur Erhebung von Anschlussbeiträgen im Grundsatz bejahte, kann diese zur Überzeugung des Senats nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls angenommen werden. Insoweit wäre keine gesetzliche Neuregelung im Kommunalabgabengesetz M-V notwendig, da der Landesgesetzgeber bereits ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt hat, um den verschiedenen Fallgestaltungen und einer im Einzelfall nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzunehmenden „Verflüchtigung“ des Vorteils bzw. zur Legitimation einer Beitragserhebung gerecht zu werden (bb). Nach den Umständen des Einzelfalles ist vorliegend eine solche „Verflüchtigung“ zu verneinen (cc).

67

aa) Zunächst ist die erörterte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Ausgangspunkt zu Bestimmungen des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes ergangen, die in wesentlicher Hinsicht vom hiesigen Landesrecht abweichen und folglich nicht ohne Weiteres auf dieses bzw. den vorliegenden Fall übertragen werden kann.

68

Bei der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b) cc) Spiegelstrich 2 Bayerisches Kommunalabgabengesetz handelt es sich um eine Verjährungsregelung, die sich in gleicher oder ähnlicher Weise im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht wiederfindet. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem bayerischen Landesrecht beitragspflichtig derjenige ist, der im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist oder war. Es kam hingegen nach der dortigen Regelung nicht darauf an, ob er im Zeitpunkt des Erlasses des Anschlussbeitragsbescheides noch Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist. Eine vergleichbare Verjährungsregelung gibt es im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht. § 12 Abs. 2 KAG M-V i.V.m. § 169 AO setzt die Verjährungsfrist für alle Fälle auf vier Jahre ab dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht fest. Die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – zugrundeliegende Fallgestaltung, dass ein früherer Grundstückseigentümer viele Jahre nach Aufgabe seines Eigentums zu einem Beitrag herangezogen wird, die Festsetzungsfrist jedoch erst mit Erlass der Heilungssatzung beginnt, kann sich nach den Bestimmungen des KAG M-V (im Regelfall) nicht ereignen. Nach Art. 5 Abs. 6 Satz 1 BayKAG ist beitragspflichtig, wer im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld Eigentümer des Grundstücks ist. Entsteht die (sachliche) Beitragspflicht – wie im vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall – aufgrund einer rückwirkenden Satzung zu einem früheren Zeitpunkt, so ist der damalige Grundstückseigentümer beitragspflichtig, auch wenn ihm zum Zeitpunkt der Erteilung des Beitragsbescheides das Grundstück nicht mehr gehört. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG MV ist beitragspflichtig, wer im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des bevorteilten Grundstückes ist. Weiter kann die Satzung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 KAG MV bestimmen, dass beitragspflichtig ist, wer im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten Eigentümer des bevorteilten Grundstückes ist. Eine solche Bestimmung enthält § 7 BGS vorliegend nicht. Trifft demnach die Beitragssatzung – wie hier – keine von § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG MV abweichende Regelung, so ist es nicht möglich, dass ein früherer Eigentümer herangezogen wird, für den sich in der Tat der Anschlussvorteil bzw. demgegenüber sich die Legitimation zur Beitragserhebung „verflüchtigt“ haben kann. Auch wenn man die gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken teilt, ist folglich ihre Übertragung auf § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V nicht überzeugend.

69

Der Schutzbereich des vom Bundesverfassungsgericht als Ausprägung des Grundsatzes der Rechtssicherheit verstandenen Gebots der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit, das davor schützt, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können, ist im Falle der Erhebung eines Anschlussbeitrags im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen bzw. im Anwendungsbereich von § 9 Abs. 3 KAG M-V nicht einschlägig bzw. berührt.

70

Die Verschaffung des Vorteils, d.h. der Möglichkeit der Inanspruchnahme (§ 7 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V) ist kein in tatsächlicher Hinsicht einmaliger, gewissermaßen in einer juristischen Sekunde abgeschlossener Vorgang, sondern dauert nach erstmaliger Anschlussmöglichkeit mehrere Jahrzehnte lang an. Schmutz- und Trinkwasserbeiträge nach § 9 KAG M-​V knüpfen nicht an in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge an. Die Legitimation des Anschlussbeitrags ergibt sich vielmehr aus der Überlegung, dass das bevorteilte Grundstück durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Anlage (§ 9 Abs. 3 KAG M-​V) einedauerhafte Erschließung erfährt. Der Vorteilsbegriff ist grundstücksbezogen, der abzugeltende Vorteil ist für das Grundstück in der positiven Veränderung der Erschließungssituation zu sehen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 20.10.1998 – 1 M 17/98 –, juris). Die Möglichkeit des Anschlusses an eine Abwasserentsorgungs- bzw. Trinkwasserversorgungsanlage ist für die ordnungsgemäße Erschließung eines Grundstücks in gleicher Weise erforderlich wie etwa das Vorhandensein einer Straße. Eine ausreichende und auf Dauer gesicherte Erschließung ist sowohl nach Bauplanungsrecht – §§ 30 ff. Baugesetzbuch (BauGB) – als auch nach Bauordnungsrecht unabdingbare Voraussetzung für die Nutzung eines Grundstücks zu baulichen Zwecken. Die Sicherung der Erschließung bezieht sich somit nicht nur auf den Zeitpunkt der erstmaligen Herstellung. Vielmehr wirkt die durch die Sicherung der Erschließung herbeigeführte Bebaubarkeit eines Grundstücks auf die Zukunft ab der erstmalig gebotenen Anschlussmöglichkeit. Beitragsfähig ist nur der Vorteil, der rechtlich sicher und auf Dauer geboten wird (vgl. Dietzel, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2013, § 8, Rn. 532 ff., 537; vgl. auch VG Ansbach, Urteil vom 29. August 2013 – AN 3 S 13.01273 –, juris, zum Erschließungsbeitragsrecht). Der Schmutz- bzw. Trinkwasserbeitrag wird nicht dafür gezahlt, dass das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen wurde oder angeschlossen werden konnte, sondern dafür, dass es angeschlossen ist oder angeschlossen werden kann und auf Dauer angeschlossen bleibt. Der Vorteil ist deshalb als Dauervorteil zu qualifizieren (vgl. nur VerfG des Landes Brandenburg, Urt. v. 21.09.2012 – 46/11 –, juris, Rn. 88).

71

In diesem Zusammenhang erscheinen die Erläuterungen des Bundesverfassungsgerichts zur Legitimation von Beiträgen (Beschl. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, juris, Rn. 45) ohnehin nicht ohne Weiteres als zwingend. Diese soll danach in der Abgeltung eines Vorteils liegen, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist. Die vom Bundesverfassungsgericht in Bezug genommenen Entscheidungen (BVerfGE 49, 343, 352; 93, 319, 344) sagen nichts dazu, dass der Vorteil „in einem bestimmten Zeitpunkt“ zugekommen sein muss. In einem bestimmten Zeitpunkt beginnt naturgemäß die Vorteilslage, aber sie dauert dann – wie zuvor gesagt – auch über einen sehr langen Zeitraum an. Der zitierte Beschluss vom 12. Oktober 1978 (2 BvR 154/74 –, BVerfGE 49, 343) betrifft auch keinen Beitrag, sondern eine Steuer und erwähnt nur allgemein das Vorteilsprinzip. In der weiter angeführten Entscheidung findet sich gleichfalls kein Beleg für den aufgestellten Rechtssatz. Dort heißt es in Übereinstimmung mit den beitragsrechtlichen Grundsätzen zur Rechtfertigung von Vorzugslasten im Präsens: „So empfängt, wer eine öffentliche Leistung in Anspruch nimmt, einen besonderen Vorteil, der es rechtfertigt, ihn zur Tragung der Kosten der öffentlichen Leistung heranzuziehen oder die durch die öffentliche Leistung gewährten Vorteile ganz oder teilweise abzuschöpfen“ (BVerfG, Beschl. v. 07.11.1995 – 2 BvR 413/88, 2 BvR 1300/93 –, BVerfGE 93, 319). Von einem abgeschlossenen Vorgang ist dort gerade nicht die Rede. Die Erhebung von Gebühren und Beiträgen wird danach dementsprechend durch ihre Ausgleichsfunktion legitimiert.

72

Die Annahme des Bundesverfassungsgerichts, die Legitimation von Beiträgen liege in der Abgeltung eines Vorteils, der dem Grundstückseigentümer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei, stellt auch unter anderem Blickwinkel eine jedenfalls im Anschlussbeitragsrecht unzulässige Fiktion dar. In Ergänzung zu den vorstehenden Ausführungen zum Gegenstand des anschlussbeitragsrechtlichen Vorteils und zu seiner Qualifizierung als Dauervorteil ist darauf zu verweisen, dass § 5 Abs. 1 der Abwasserentsorgungsatzung des Zweckverbandes – wie im Übrigen die entsprechenden Satzungen anderer Entsorgungsträger – anknüpfend an § 14 Abs. 2 Kommunalverfassung (KV M-V) bzw. als Kehrseite des Anschluss- und Benutzungszwangs gemäß § 15 KV M-V i.V.m. § 7 der Abwasserentsorgungssatzung den Klägern wie jedem Eigentümer eines im Gebiet des Verbands liegenden Grundstücks die Berechtigung einräumt, den Anschluss seines Grundstücks an die Abwasseranlage und das Einleiten der auf seinem Grundstück anfallenden Abwasser nach Maßgabe der Satzung und unter Beachtung der Einleitungseinschränkungen des § 6 verlangen zu können. Dieses Anschluss- und Benutzungsrecht unterliegt keinen Einschränkungen in zeitlicher Hinsicht und „verflüchtigt“ sich auch nicht durch schlichten Zeitablauf bzw. den Umstand, dass dem Zweckverband zunächst über längere Zeit eine Abgabenerhebung auf der Grundlage einer wirksamen Beitragssatzung nicht gelang. Genau wie im Moment des erstmaligen Anschlusses hat der Grundstückseigentümer auch Jahre und Jahrzehnte später noch den Anschlussanspruch, der sich z. B. bei Beschädigungen oder Zerstörungen der Leitungen, die sein Grundstück anschließen, aktualisieren kann. Insoweit wäre es widersprüchlich, wenn sich einerseits die Zahlungspflicht verflüchtigen, der Anschlussanspruch aber uneingeschränkt und jederzeit aktualisierbar fortbestehen soll. Der Senat hat im Zusammenhang mit den Fragen nach der Entstehung der Beitragspflichten bzw. dem tatsächlichen Angeschlossensein eines Grundstückes bereits ausgeführt (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 18.01.2013 – 1 M 185/10 –), der Grundstückseigentümer könne aufgrund seines Benutzungsrechts vom Einrichtungsträger die Instandsetzung eines Kanals zur Beseitigung etwaiger alterungs- und bauausführungsbedingter Mängel beanspruchen. Zwischen dem Eigentümer und dem Einrichtungsträger besteht ein auf dem Anschluss des Grundstücks an die Kanalisation beruhendes öffentlich-rechtlichen (Dauer-) Schuldverhältnis. Daraus ist letzterer verpflichtet, das Abwasser aus den Grundstücken aufzunehmen und abzuleiten und steht zu den Anschlussnehmern weitgehend so, wie ein eine Kanalisationsanlage betreibender Unternehmer des bürgerlichen Rechts zu seinen Kunden stünde. Dem Einrichtungsträger obliegt es daher, dafür zu sorgen, dass das Entwässerungssystem insgesamt funktioniert, denn der Grundstückseigentümer ist ohne eine ordnungsgemäß beschaffene Anschlussleitung nicht imstande, seiner Verpflichtung zur Benutzung nachzukommen und sein Benutzungsrecht auszuüben (vgl. auch BGH, Urt. v. 30.09.1970 – III ZR 87/69 –, BGHZ 54, 299, 303; Urt. v. 07.07.1983 – III ZR 119/82 –, NJW 1984, 615, 617; VGH Mannheim, Urt. v. 09.11.1990 – 8 S 1595/90 –, NVwZ-RR 1991, 325; OVG Münster, Urt. v. 25.01.1978 – II A 439/75 –, KStZ 1978, 213). Das bedeutet, dass der Einrichtungsträger auch dafür zu sorgen hätte, dass die bei Ausschöpfung der zulässigen Grundstücksnutzung anfallenden Abwässer ordnungsgemäß abgeführt werden können. Dieser auch nach Jahrzehnten fortbestehenden Pflichten-, vor allem aber auch Anspruchsbeziehung trägt die Annahme einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung keine Rechnung.

73

Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass nach dem Kommunalabgabengesetz M-V die Refinanzierung des Herstellungsaufwands kommunaler Entsorgungseinrichtungen gleichzeitig teilweise über Anschlussbeiträge und teilweise über Gebühren bzw. eine gemischte Beitrags- und Gebührenfinanzierung mit einem nur teilweisen Deckungsgrad der Beitragserhebung seit jeher zulässig, weil vom ortsgesetzgeberischen Ermessen gedeckt ist (vgl. nur OVG Greifswald, Urt. v. 03.05.2011 – 1 L 59/10 –, juris; Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, DVBl. 2005, 64; Urt. v. 15.11.2000 – 4 K 8/99 –, juris, Rn. 66; Urt. v. 25.02.1998 – 4 K 8/97 –, NordÖR 1998, 256). Da die Gebührenerhebung regelmäßig fortlaufend vom Zeitpunkt der Entstehung des Vorteils an erfolgt ist, auch wenn parallel ein Beitrag noch nicht erhoben worden ist oder – z. B. wegen einer unwirksamen Beitragssatzung – noch nicht erhoben werden konnte, ist eine „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Deckung des Herstellungsaufwandes durch Gebühren grundsätzlich nicht denkbar. In diesen Fällen erscheint es ebenfalls widersprüchlich, ab einem bestimmten Zeitpunkt einerseits die „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Deckung des Herstellungsaufwandes durch Anschlussbeiträge anzunehmen, andererseits eine solche „Verflüchtigung“ für die Deckung des Herstellungsaufwandes durch Gebühren zu verneinen.

74

Die Annahme der Möglichkeit einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung wird auch in anderer Hinsicht der Komplexität der Rechtsbeziehungen im Bereich der Refinanzierung leitungsgebundener öffentlicher Einrichtungen nicht gerecht. So „verflüchtigt“ sich jedenfalls etwa der vom Zweckverband getätigte Herstellungsaufwand nicht. Die Kosten der Herstellung müssen gedeckt werden. Fällt der Verband mit Beitragsforderungen wegen einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Erhebung derselben aus, müssen nach entsprechender Neukalkulation entweder andere Beitragspflichtige oder Gebührenschuldner diese Kosten zusätzlich tragen; soweit die Refinanzierung dann über Gebühren erfolgen sollte, müsste wohl auch der von der Pflicht zur Zahlung eines Anschlussbeitrags wegen „Verflüchtigung“ frei gewordene Grundstückseigentümer die entstandene Finanzierungslücke mittragen. Dafür, dass dieser nicht einmal teilweise mehr über Gebühren – wenn auch in voraussichtlich deutlich geringerem Umfang – zu den Herstellungskosten herangezogen werden kann, bietet die „Verflüchtigungsrechtsprechung“ des Bundesverfassungsgerichts keinen Anhaltspunkt. In letzter Konsequenz müsste ggfs. eine Finanzierung der Anlage im Umfang der Einnahmeausfälle über aus Steuermitteln gespeiste staatliche Zuschüsse erfolgen, wenn der von der „Verflüchtigung“ betroffene Refinanzierungsbetrag nicht über Beiträge und Gebühren gedeckt werden könnte. Diese Erwägungen zeigen jedenfalls handgreiflich, dass – anders als das Bundesverfassungsgericht offenbar meint – in diesem Sinne keine „zweipolige“ Rechtsbeziehung (Entsorgungsträger – Grundstückseigentümer), sondern eine „dreipolige“ dergestalt besteht, dass eine Vielzahl von privaten Dritten durch die „Verflüchtigung“ von Beitragsforderungen zusätzlich und gleichzeitig weniger vorteilsgerecht belastet wird. Auch die Lebensentwürfe dieser Dritten sind schützenswert.

75

Dass als Gegenpol zum auf Seiten des Bürgers zu berücksichtigenden Prinzip der Rechtssicherheit das Interesse an materieller Gerechtigkeit und insbesondere Belastungsgleichheit vom Bundesverfassungsgericht als ausschließlich staatliches Interesse erwähnt wird, greift nach Auffassung des Senats zu kurz. Bei der Belastungsgleichheit geht es um die gleichmäßige Belastung der Abgabenschuldner. Wenn der eine Abgabenschuldner zu einem Beitrag herangezogen wird und zahlt, der andere – vielleicht später – ebenfalls herangezogen wird, aber wegen einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung nicht zahlen muss, so ist die ungleichmäßige Belastung der Bürger evident; ihr privates und grundrechtlich geschütztes Interesse an einer Belastungsgleichheit wird beeinträchtigt. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, dass einzelne Grundstückseigentümer vollständig von der Zahlungspflicht frei werden sollen.

76

Zudem ist wie vorstehend ausgeführt insoweit eine weitere Verschärfung zu Lasten privater Gleichbehandlungsinteressen in Rechnung zu stellen, als Dritte ggf. zusätzliche Belastungen zu tragen haben. Hier tut sich im Verhältnis zwischen denen, die in der Vergangenheit einen Anschlussbeitrag gezahlt haben, und denjenigen, die nun nichts mehr zahlen müssen, eine eklatante Gerechtigkeitslücke auf. Diese kann nicht etwa dadurch gerechtfertigt werden, dass die einen Beitragsschuldner um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht haben, die anderen hingegen nicht: Denn auch diejenigen, die einen Anschlussvorteil erlangt haben, aber um Rechtsschutz gegen die Beitragserhebung nachgesucht haben, konnten grundsätzlich zu keinem Zeitpunkt erwarten, keinerlei Beiträge zahlen zu müssen. Es konnte – spätestens ab dem Zeitpunkt der obergerichtlichen Klärung der Beitragspflichtigkeit auch der sog. Altanschließer (siehe dazu vorstehend) – nie ein Vertrauen von Grundstückseigentümern dahingehend entstehen oder ihr Lebensentwurf an die Erwartung anknüpfen, keinen Beitrag bzw. einen „Null-Beitrag“ zahlen zu müssen. Mit der – im Falle unwirksamer Satzungen: wiederholten – Publizierung von Beitragssatzungen hat der Einrichtungsträger in rechtsstaatlich gebotener und zugleich grundsätzlich einwandfreier Weise seine Absicht der Beitragserhebung öffentlich bekannt gemacht. Alle Grundstückseigentümer waren hierüber informiert bzw. mussten hierüber informiert sein. Es stand – unbeschadet der gesetzlichen Bestimmungen zur Verjährung – von der Veröffentlichung der ersten Beitragssatzung an fest, dass irgendwann ein Beitrag zu zahlen sein wird. Allenfalls war mit Blick auf gegen die Beitragerhebung gerichtete Rechtsschutzverfahren – auch von Dritten – eine gewisse Erwartung gerechtfertigt, dass möglicherweise ein anderer, ggf. geringerer Betrag zu zahlen sein wird. Konnte sich ein Beitragsschuldner aber zu keinem Zeitpunkt darauf einrichten, keinen Beitrag zahlen zu müssen, bestand mit Blick auf seine Dispositionsfreiheit allenfalls eine teilweise Einschränkung wegen einer entsprechend teilweisen Unsicherheit bezüglich der Höhe seiner Beitragszahlungspflicht. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Kommunalabgabengesetz seit seinem Inkrafttreten am 11. April 1991 eine Erhebung von Beiträgen vorgesehen hat. Die Abgabenpflichtigen mussten mithin stets damit rechnen, dass die Aufgabenträger zur Finanzierung leitungsgebundener Einrichtungen Anschlussbeiträge erheben würden.

77

Jedenfalls ist in den neuen Bundesländern eine Sondersituation (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, etwa Urt. v. 14.11.2013 – OVG 9 B 35.12 –, juris Rn. 65, und Beschl. v. 10.01.2014 – OVG 9 S 64.13 –, juris Rn. 15) zu berücksichtigen, die darin besteht, dass hier nach der Wende erst funktionierende Verwaltungsstrukturen aufgebaut werden und flächendeckend „auf einen Schlag“ alle Grundstückeigentümer herangezogen werden mussten. Die kommunalen Aufgabenträger standen gleichzeitig vor der Aufgabe, zum einen eine technisch und ökologisch zeitgemäße dezentrale Abwasserentsorgung aufzubauen, zum anderen das neu geschaffene Kommunalverfassungs- und Kommunalabgabenrecht rechtmäßig anzuwenden und insbesondere auf seiner Grundlage das erforderliche Satzungsrecht ebenfalls erstmals zu schaffen und anzuwenden. Als parallele Prozesse können dabei auch die Herstellung der öffentlichen Einrichtungen zur Abwasserentsorgung samt ihrer rechtlichen Grundlagen und Folgeregelungen einerseits und die Klärung von rechtlichen Zweifelsfragen bzw. die Beseitigung von Rechtsunsicherheit durch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte des Landes andererseits beschrieben werden, die sich gegenseitig beeinflusst haben. Wie die noch immer beträchtliche Zahl von Rechtsschutzverfahren auch der jüngeren Vergangenheit zeigt, in denen die Unwirksamkeit kommunaler Abgabensatzungen angenommen wird, ist der Aufbauprozess immer noch nicht vollständig abgeschlossen.

78

Die Geschichte der Beitragserhebung im Bereich des Zweckverbandes und insbesondere seine Satzungshistorie belegen dies eindrücklich. Abgesehen davon, dass sich der Zweckverband in gerichtlichen Verfahren Angriffen gegen seine wirksame Gründung, die Grundlage jeder Beitragserhebung war, ausgesetzt sah, waren die in der Zeit von 1992 bis 2002 ergangenen verschiedenen Beitragssatzungen samt Änderungs- und Nachtragssatzungen sämtlich aus verschiedenen Gründen, alle jedoch zumindest auch wegen einer rechtlich unhaltbaren Handhabung der (Nicht-)Heranziehung der sog. Altanschließer bzw. fehlerhaften Kalkulationen wegen der Nichtberücksichtigung von Altanschließergrundstücken auf der Flächenseite unwirksam. Gerade die Frage der zulässigen bzw. sogar rechtlich gebotenen Heranziehung der sog. Altanschließer war jedenfalls solange ungeklärt, bis der Senat mit Beschluss vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 – (NordÖR 1999, 302 – zitiert nach juris) entschieden hatte, dass die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für "alt-​angeschlossene" bzw. "neu anschließbare" Grundstücke im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist. Entsprechend hat dann – soweit ersichtlich – erstmalig das Verwaltungsgericht Schwerin mit seinen Urteilen vom 24. Februar 2000 – 4 A 2022/99 – u. a. für den Bereich des Zweckverbandes anknüpfend an den vorgenannten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 13. März 1997 wegen derartig unterschiedlicher Beitragssätze unwirksam gewesen sei. Damit lagen allerdings zunächst lediglich eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren bzw. ein erstinstanzliches Urteil vor. Von einer abschließenden Klärung für das Landesrecht kann deshalb sogar erst mit den anschließend bzw. in den Folgejahren ergangenen Urteilen des Oberverwaltungsgerichts, die sich mit immer wieder neuen bzw. wiederholten Angriffen von sog. Altanschließern gegen ihre Heranziehung erneut auseinander gesetzt haben, ausgegangen werden. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass der 1. und – frühere – 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts bis in die Gegenwart mit solchen Angriffen gegen Beitragssatzungen beschäftigt waren und sind, aufgrund der hier erörterten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nunmehr erneut in steigendem Maße.

79

Nimmt man das Erschließungsbeitragsrecht in den Blick, so ist dort insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an sich ebenfalls geklärt, dass eine sachliche Beitragspflicht so lange nicht entstehen kann, wie es an einer gültigen Beitragssatzung fehlt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.1973 – IV C 39.72 –, Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 46 – zitiert nach juris; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., § 19 Rn. 15). Ebenso können Satzungsmängel nachträglich mit der Folge geheilt werden, dass erst mit Erlass einer gültigen Satzung die sachliche Beitragspflicht entsteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1981 – 8 C 14.81 -, juris, Rn. 17 ff.). Die entsprechende Änderungssatzung muss dazu nicht zurückwirken. Diese Rechtsprechung wäre denselben verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wie die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V.

80

Der Rechtsgedanke einer möglichen „Verflüchtigung“ von Vorteilen und damit letztlich Beitragspflichten berührt schließlich auch die Wurzeln der kommunalen Selbstverwaltung, da die kommunalen Normsetzungsorgane letztlich nach Jahrzehnten, in denen sie – wie der Zweckverband – wiederholt den Versuch unternommen haben, wirksames Satzungsrecht zu schaffen, im Falle einer solchen „Verflüchtigung“ vor einem Scherbenhaufen bzw. der Frage stehen, wie sie die Finanzierung ihrer Einrichtungen nach der „Verflüchtigung“ von Beitragsansprüchen sicherstellen sollen. Der erhebliche Zeitverlust, der bei der Schaffung wirksamen Satzungsrechts vielfach zu verzeichnen ist, ist zudem weniger in der Sphäre der Selbstverwaltungskörperschaften zu suchen, sondern findet nicht selten seine Ursache in der Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren. Die Verantwortung hierfür liegt jedoch nicht bei den Einrichtungsträgern. Insoweit ist es nicht nachvollziehbar, die entsprechende Zeitversäumnis bei der Heranziehung der Beitragsschuldner den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften anzulasten.

81

bb) Bejahte man im Grundsatz – entgegen den vorstehenden Erwägungen – die Möglichkeit der „Verflüchtigung“ einer Legitimation zur Erhebung von Anschlussbeiträgen, kann eine solche zur Überzeugung des Senats nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls angenommen werden. Insoweit wäre zudem keine gesetzliche Neuregelung im Kommunalabgabengesetz M-V notwendig, da der Landesgesetzgeber bereits ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt hat, mit dem den verschiedenen Fallgestaltungen und einer im Einzelfall nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzunehmenden „Verflüchtigung“ des Vorteils bzw. der Legitimation einer Beitragserhebung hinreichend Rechnung getragen werden kann.

82

Ausgangspunkt der Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner „Verflüchtigungsentscheidung“ ist die Annahme, dass Rechtssicherheit und Vertrauensschutz im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug gewährleisten. Der Anknüpfung an den Lebensentwurf des Einzelnen ist eine Bezogenheit auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Einzelfall immanent: Die Selbstbestimmtheit des Lebensentwurfs eines Beitragspflichtigen wird – unabhängig von einer ggfs. eingetretenen Verjährung oder Verwirkung – jedenfalls grundsätzlich nicht in Frage gestellt sein, wenn sie einem absolut betrachtet betragsmäßig (insbesondere im Verhältnis zu den Gesamtkosten eines Hausgrundstücks eher) niedrigen Beitrag ausgesetzt ist, sei es nun im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur erstmaligen Vorteilserlangung, sei es erst Jahre oder Jahrzehnte danach. Dies gilt umso mehr, je höher Einkommen und/oder Vermögen des Betroffenen sind. Selbst wenn es um betragsmäßig höhere Beitragsansprüche geht, ist im Hinblick auf eine Beeinträchtigung des Lebensentwurfs zum einen die Einkommens- und Vermögenssituation zu beachten, zum anderen der Umstand, dass einer vergleichsweise hohen Beitragsforderung regelmäßig in Gestalt des herangezogenen Grundstücks ein entsprechender Vermögenswert gegenüber stehen wird, der insoweit belastet werden kann. Zudem bietet das Beitragsrecht Möglichkeiten der Stundung und des Erlasses.

83

Schon aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Frage des Vertrauensschutzes – jenseits der Regelungen zur Verjährung und des Rechtsinstituts der Verwirkung – grundsätzlich nicht losgelöst von den Umständen des Einzelfalls betrachtet werden kann.

84

Diese Sichtweise wird auch unter einem anderen Blickwinkel untermauert. Bei den – im Regelfall persönlich nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V – Beitragspflichtigen kann hinsichtlich des Heranziehungsvorgangs nämlich zwischen verschiedenen Gruppen differenziert werden:

85

Es gibt zunächst etwa die Beitragspflichtigen, die zeitnah nach dem tatsächlichen Anschluss – bzw. im Fall von sog. Altanschließern nach erstmaliger Entstehung des rechtlich gesicherten Vorteils – aufgrund einer Beitragssatzung herangezogen worden sind, um Rechtsschutz nachgesucht und dabei wegen der Unwirksamkeit der Satzung obsiegt haben; dieser Vorgang kann sich anschließend noch wiederholt haben, um dann ggfs. nach mehreren Jahren/Jahrzehnten in ihre Heranziehung auf der Grundlage einer erstmalig wirksamen Beitragssatzung zu münden. In solchen Fällen erschiene die Annahme einer „Verflüchtigung“ der Legitimation der Abgaben erhebenden Körperschaften zur Beitragserhebung wenig plausibel. Solche Pflichtigen durften von vornherein nicht die Erwartung hegen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, weil der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hätte. Sie mussten im Gegenteil mit der Festsetzung des Beitrages rechnen, wenn der Hoheitsträger seine Absicht zur Beitragserhebung bereits durch – ggf. wiederholten – Erlass eines Bescheides und dessen Verteidigung im Widerspruchs- oder gerichtlichen Verfahren unter gleichzeitigen Versuchen, gültiges Satzungsrecht zu schaffen, dokumentiert hat. Die Frage, ob ein etwaiges Vertrauen der Betroffenen, wegen der Unwirksamkeit der Ausgangssatzung von einer Beitragspflicht überhaupt verschont zu bleiben, verfassungsrechtlichen (Vertrauens-)Schutz genießt, ist ohne Weiteres zu verneinen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.04.1983 – 8 C 170/81 –, BVerwGE 67, 129; Urt. v. 28.11. 1975 – IV C 45.74 –, BVerwGE 50, 2 – jeweils zitiert nach juris). Dem etwaigen Vertrauen der Betroffenen, einen Beitrag nicht zahlen zu müssen, fehlt die Schutzwürdigkeit, weil die Betroffenen mit der Heranziehung zu einem Beitrag rechnen müssen. Sie müssten damit nicht nur deshalb rechnen, weil Beiträge als Ausgleich für gewährte Sondervorteile erhoben werden und allenfalls unter ganz ungewöhnlichen Voraussetzungen schutzwürdig erwartet werden darf, dass eine nach ihrem Wesen beitragspflichtige Leistung gleichwohl beitragsfrei gewährt werden solle. Gegen die Rechtfertigung einer solchen Erwartung spricht vielmehr durchgreifend auch der vorangegangene Erlass einer (wenn auch nichtigen) Satzung, weil diese unmissverständlich den Willen der Gemeinde zum Ausdruck bringt, dass ein Beitrag erhoben werden soll. Bei der Würdigung des Schutzes eines etwaigen Vertrauens der Betroffenen ist der Umstand von besonderer Bedeutung, dass der Satzungsregelung in der Vergangenheit gleichartige Regelungsversuche vorangegangen sind und deshalb einem solchen Vertrauen, einen Beitrag nicht zahlen zu müssen, die Schutzwürdigkeit fehlt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.02.1996 – 8 B 13/96 –, juris; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 19.12.1961 – 2 BvL 6/59 –, BVerfGE 13, 261 = juris, Rn. 54).

86

Daneben gibt es Beitragspflichtige, die nicht zeitnah nach dem tatsächlichen Anschluss herangezogen worden sind, während allerdings die Abgaben erhebende Körperschaft die Beitragserhebung gegenüber Dritten erfolglos nach vorstehendem Muster betrieben hat, und die erstmalig, nachdem in einem rechtskräftigen Urteil von der Wirksamkeit der/einer Satzung ausgegangen wurde, herangezogen wurden.

87

Weiter gibt es Beitragspflichtige, die nicht zeitnah nach dem tatsächlichen Anschluss herangezogen wurden, weil die Abgaben erhebende Körperschaft die Abgabenerhebung zunächst nicht betrieben hat, und sodann erst nach mehreren Jahren/Jahrzehnten zu Beiträgen veranlagt wurden. Diese beispielhaft benannten Fallgruppen können zudem zur weiteren Ausdifferenzierung noch jeweils mit einem System der Refinanzierung von Herstellungskosten sowohl durch Beiträge als auch Gebühren kombiniert werden, wie es oben erörtert worden ist.

88

Selbst für den Fall, dass die erste Heranziehung all dieser verschiedenen Beitragspflichtigen aufgrund einer wirksamen Beitragssatzung zum gleichen Zeitpunkt bzw. nach der gleichen Zeitspanne zwischen Anschluss des Grundstücks/Erlangung des Vorteils und Ergehen des Bescheides erfolgen sollte, liegt es auf der Hand, dass ein Vertrauendürfen darauf, nicht zu einem Beitrag herangezogen zu werden, obwohl entsprechend – publiziertes – Beitragssatzungsrecht existiert, unterschiedlich stark ausgeprägt sein muss. Auch insoweit bedarf es folglich einer Einzelfallbetrachtung.

89

Der Landesgesetzgeber hat für den als Ausnahme zu qualifizierenden Fall einer in Betracht zu ziehenden „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt, um den verschiedenen Fallgestaltungen und einer im Einzelfall nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzunehmenden „Verflüchtigung“ des Vorteils gerecht werden zu können.

90

Nach § 12 Abs. 1 KAG M-V sind auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung in der jeweiligen Fassung entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Kommunalabgabengesetz M-V oder andere Gesetze besondere Vorschriften enthalten. Für die hier erörterten Einzelfälle kann eine Lösung unter Anwendung von Billigkeitsgesichtspunkten (§§ 163, 227 AO) in einer vom Bundesverfassungsgericht anderweitig selbst vorgeschlagenen Weise in Betracht kommen (vgl. im Übrigen auch BVerwG, Pressemitteilung zu Urt. v. 20.03.2014 – 4 C 11.13 – u. a., wonach eine Lösung nach Treu und Glauben in Betracht gezogen werden kann). Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungspflicht zum Billigkeitserlass festgestellt, wenn die Anwendung eines nicht zu beanstandenden Gesetzes in Einzelfällen zu einem "ungewollten Überhang" führen würde. Das aus Art. 2 Abs. 1 GG zu entnehmende Gebot, nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zur Steuerleistung herangezogen zu werden (vgl. BVerfGE 19, 206 (215); 47, 1 (37)), enthält das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot, das dahin geht, dass der Steuerpflichtige nicht zu einer unverhältnismäßigen Vermögensteuer herangezogen wird. Dieses zwingt dazu, Befreiung von einer schematisierenden Belastung zu erteilen, wenn die Folgen extrem über das normale Maß hinausschießen, das der Schematisierung zugrunde liegt, oder anders ausgedrückt: wenn die Erhebung der Steuer im Einzelfall Folgen mit sich bringt, die unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellung durch den gebotenen Anlass nicht mehr gerechtfertigt sind. Billigkeitsmaßnahmen dürfen jedoch nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen. Daraus folgt, dass mit verfassungsrechtlich gebotenen Billigkeitsmaßnahmen nicht die Geltung des ganzen Gesetzes unterlaufen werden kann. Wenn solche Maßnahmen ein derartiges Ausmaß erreichen müssten, dass sie die allgemeine Geltung des Gesetzes aufhöben, wäre das Gesetz als solches verfassungswidrig (vgl. zum Ganzen z.B. BVerfGE 99, 272; BVerfGE 48, 102 <116>).

91

Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (vgl. BFH, Urt. v. 23.07.2013 – VIII R 17/10 –, juris; BFH-​Urteil in BFH/NV 2010, 606, m.w.N.).

92

Nach Ergehen der „Verflüchtigungsentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts und mit Blick auf die gebotene Einzelfallprüfung ist davon auszugehen, dass bei Bejahung einer solchen „Verflüchtigung“ des Vorteils nach den dort formulierten Maßstäben ein entsprechender ungewollter Überhang der ansonsten verfassungsrechtlich unbedenklichen Bestimmung des § 9 Abs. 3 KAG M-V mit ihrem Anknüpfen an das Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung anzunehmen ist, der einen Billigkeitserlass wegen sachlicher Unbilligkeit gemäß § 227 AO nach sich ziehen muss (Ermessensreduktion auf Null von Verfassungs wegen) und bei Offensichtlichkeit der maßgeblichen Umstände ggfs. sogar schon eine Berücksichtigung im Erhebungsverfahren verlangt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 20.05.2003 – 1 L 137/02 –, NordÖR 2003, 365 – zitiert nach juris). Die Beitragserhebung entspräche zwar dem Wortlaut des Gesetzes, aber liefe den Wertungen des Gesetzes zuwider. Der Landesgesetzgeber hätte neben den vorhandenen Regelungen zur Verjährung die Grundlagen für die Beitragserhebung anders als tatsächlich geschehen geregelt, wenn er die Verflüchtigungsproblematik als regelungsbedürftig erkannt hätte. Der Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V liegt ersichtlich die Vorstellung zugrunde, dass es den Abgaben erhebenden Körperschaften in überschaubarer Zeit gelingt, eine wirksame Satzung zu schaffen, dass ggfs. Verwaltungsgerichte zeitnah über die Wirksamkeit von Satzungen entscheiden und dass es nicht zu „Kettenunwirksamkeiten“ von Satzungen kommt.

93

Die gesetzliche Regelung wird nicht unterlaufen, da nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen bzw. nach Auffassung des Senats eine „Verflüchtigung“ nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Bei Betrachtung des Zeitraumes zwischen erstmaliger Vorteilserlangung und Beitragserhebung muss die nach der Wiedervereinigung festzustellende „Umbruchphase“ nach Auffassung des Senats für die Frage, wann eine „Verflüchtigung“ des Vorteils und daraus resultierendes Freiwerden von der Beitragspflicht eintreten kann, außer Betracht bleiben, weil sie für jedermann offensichtlich bzw. allgemeinkundig war. In dieser Zeit, die mindestens bis 1999 angedauert hat, konnte grundsätzlich kein Vertrauenstatbestand begründet werden, der die Schlussfolgerung einer „Verflüchtigung“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hätte begründen können.

94

cc) Folglich kann unter diesen Bedingungen im vorliegenden Verfahren keine „Verflüchtigung“ eingetreten sein. Alsbald nach Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung sind die Kläger zu Anschlussbeiträgen herangezogen worden. Ihre Heranziehung liegt – vergleichsweise – wenige Jahre nach der erstmaligen Klärung der Frage nach der Beitragserhebung gegenüber sog. Altanschließern frühestens im Jahr 1999. Zudem hat der Beklagte ausweislich der Satzungshistorie des Zweckverbandes bereits seit 1992 die Erhebung von Anschlussbeiträgen betrieben. Die streitgegenständliche Beitragserhebung ist deshalb jedenfalls nicht aus sachlichen Gründen unbillig.

95

dd) Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, ob die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides jedenfalls mit Blick auf § 12 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz KAG M-V und die dort geregelte zeitliche Grenze zum 31. Dezember 2008, bis zu der Grundstückseigentümer jedenfalls mit einer Heranziehung rechnen mussten, bejaht werden kann (vgl. insoweit OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.05.2013 – 9 S 75.12 –, juris, zum Brandenburgischen KAG). Ebenso wenig bedarf es einer Erörterung, ob die Festsetzung von Anschlussbeiträgen – ohne Rücksicht auf das Entstehen der Beitragsschuld und unbeschadet der Verjährungsregelungen – analog Art. 53 Abs. 2 Satz 1 VwVfG M-V ausgeschlossen ist, wenn seit dem Entstehen der Vorteilslage mehr als 30 Jahre vergangen sind (vgl. VGH München, Urt. v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 –, juris), und darin eine hinreichende Regelung dafür erblickt werden kann, dass nicht nach einer unübersehbaren Zahl von Jahren noch Beitragsansprüche geltend gemacht werden können.

96

C. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.

97

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

98

Die Revision war mit Blick auf die Frage, ob die Regelungen des Kommunalabgabengesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern und im Besonderen § 9 Abs. 3 KAG M-V in Ansehung der Erhebung von Anschlussbeiträgen den rechtsstaatlichen, der Rechtssicherheit dienenden Geboten der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit hinreichend Rechnung tragen, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Tenor

1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.

2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 - M 10 K 06.2850 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

I.

2

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs setzt das Entstehen einer Beitragspflicht für den Anschluss an leitungsgebundene Einrichtungen neben dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung (sogenannte Vorteilslage) zwingend das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. April 2011 - 20 BV 11.133 -, BayVBl 2012, S. 45 <46>; Urteil vom 29. April 2010 - 20 BV 09.2010 -, BayVBl 2011, S. 240; Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, juris). Eine wirksame Satzung ist somit Beitragsentstehungsvoraussetzung. Die Satzung muss nach Art. 5 Abs. 8 BayKAG nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein. Es genügt vielmehr, wenn sie nach deren Entstehung in Kraft tritt.

3

2. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BayKAG in Verbindung mit § 47 der Abgabenordnung (AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis. Die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf der Erlass eines Beitragsbescheids unzulässig ist, beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 AO einheitlich vier Jahre.

4

3. Durch das am 31. Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) wurde der Beginn der Festsetzungsfrist mit Wirkung zum 1. Januar 1993 neu geregelt. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc BayKAG erhielt folgende Fassung:

5

Art. 13

Anwendung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977)

(1) Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, sind in ihrer jeweils geltenden Fassung vorbehaltlich Absatz 6 folgende Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden:

(…)

4. aus dem Vierten Teil - Durchführung der Besteuerung -

(…)

b) über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren:

(…)

cc) § 170 Abs. 1 mit der Maßgabe,

- dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und

- dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist, (…).

6

Die in Bezug genommene Vorschrift des § 170 Abs. 1 AO lautet:

7

Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

8

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 1 BayKAG entspricht der bis dahin geltenden Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG vom 26. März 1974 (GVBl S. 109, ber. 252) in der Fassung vom 4. Februar 1977 (GVBl S. 82). Mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 wurde Spiegelstrich 2 neu in die gesetzliche Regelung eingefügt.

9

4. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs eine gesetzliche Klarstellung (LTDrucks 12/8082, S. 13). Bisher sei es in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs umstritten gewesen, ob in den Fällen, in denen eine nichtige Satzung rückwirkend durch eine gültige Satzung ersetzt werde, die Festsetzungsfrist mit dem Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Satzung (so BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60) oder erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginne, in dem die rückwirkende Satzung bekanntgemacht worden sei (so BayVGH 23. Senat, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Mit der Einfügung einer weiteren Maßgabe in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG werde die den Bedürfnissen der Praxis entgegen kommende Auffassung des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gesetzlich klargestellt. Nach der gegenteiligen Ansicht könne nämlich eine rückwirkend entstandene Forderung gleichzeitig festsetzungsverjährt sein, wenn sich die Rückwirkungsfrist über die Verjährungsfrist hinaus erstrecke.

II.

10

1. Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Gemeinde, in der das Grundstück gelegen ist (im Folgenden: Beklagte), fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

11

Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Beschwerdeführer erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € heran. Der Herstellungsbeitrag wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

12

Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 als unwirksam. Die Beklagte erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

13

2. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 geschaffen worden. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1. April 1995 entstanden. Der Beschwerdeführer sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

14

Der Beschwerdeführer könne hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, diese Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und müsse daher, insbesondere im Fall eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels, abweichend von ihrem Wortlaut einschränkend ausgelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestünden gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Gemeinden im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren. Im Übrigen sei keiner der jetzigen oder ehemaligen Grundstückseigentümer in seiner Erwartung geschützt, von der Nichtigkeit früheren Satzungsrechts profitieren zu können; denn ein abgeschlossener Beitragstatbestand liege nicht vor. Welchen der Eigentümer die Beitragspflicht treffe, hänge von der Bestimmung des Zeitpunkts der Rückwirkung ab. Sei dieser - wie im vorliegenden Fall - ohne Verstoß gegen das Willkürverbot gewählt, bestehe kein Grund für eine rechtliche Beanstandung.

15

3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids nicht verjährt gewesen sei. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber habe hiermit eine Regelung getroffen, die der bis dahin ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprochen habe (Hinweis auf BayVGH, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Die Norm enthalte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß eine klare Aussage über den Lauf der Festsetzungsfrist, gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb nicht vor, weil kein abgeschlossener Beitragstatbestand gegeben sei. Denn bei leitungsgebundenen Einrichtungen setze die Entstehung einer Beitragspflicht nach ständiger Rechtsprechung das Vorhandensein einer gültigen Abgabensatzung voraus. Eine wirksame Abgabensatzung habe erstmals im Jahr 2005 vorgelegen. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, die rückwirkende Inkraftsetzung einer Abgabensatzung müsse wenigstens zeitlich auf die einschlägigen Verjährungsvorschriften beschränkt werden, lasse er außer Acht, dass nur eine bereits entstandene Beitragsforderung verjähren könne. Bei fehlgeschlagenem Satzungsrecht müsse ein bisher nicht veranlagter Beitragspflichtiger damit rechnen, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen zu werden. Er könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

III.

16

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

1. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene uneingeschränkte Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG auf rückwirkend in Kraft gesetzte Satzungen verstoße wegen der damit verbundenen echten Rückwirkung gegen die aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei geboten, die Rückwirkung einer Satzung durch Festsetzungsfristen zu begrenzen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung dürfe nicht beliebig hinausgeschoben werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei im Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens einer Satzung entweder nicht anzuwenden oder verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung beginne.

18

2. Die Ausgangsgerichte hätten Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sie ihm nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt hätten. Er habe mit der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend gemacht, dass der Beitragsanspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen sei. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beginne die Festsetzungsfrist nur zu laufen, wenn eine wirksame Beitragssatzung vorliege. Die Beklagte und die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen hätten sich darauf berufen, dass sämtliche Satzungen, die der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 vorausgingen, nichtig gewesen seien, was durch diverse Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bereits geklärt worden sei. Er habe deshalb die Vorlage dieser Entscheidungen außergerichtlich und schließlich auch vor dem Verwaltungsgericht begehrt. Die maßgeblichen Entscheidungen seien ihm jedoch nicht vollständig zugänglich gemacht worden. Ihm sei es deshalb nicht möglich gewesen, zur Frage der Nichtigkeit sämtlicher Satzungen ausreichend Stellung zu nehmen.

IV.

19

Die Beklagte, die Bayerische Staatsregierung und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

20

1. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus sei der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer keine Anhörungsrüge erhoben habe.

21

Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen nicht begründet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn ein Vertrauen darauf, dass eine als nichtig erkannte Regelung aufrechterhalten bleibe und nicht durch eine neue, rückwirkende Satzung ersetzt werde, sei nicht schützenswert. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Grundstück veräußert habe, bedeute nicht, dass dadurch ein für seine Beitragspflicht maßgeblicher Tatbestand abgeschlossen sei und er in der Folge nicht mehr zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfe. Er habe vielmehr den für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Vorteil der Möglichkeit der Anschlussnahme entgegengenommen und mit dem Grundstücksverkauf nicht verloren. Dieser Vorteil habe den Wert seines Grundstücks erhöht mit der Folge, dass er für das Grundstück einen höheren Kaufpreis habe erzielen können.

22

2. Die Bayerische Staatsregierung hält Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG für verfassungsgemäß. Die Ersetzung einer als nichtig erkannten durch eine wirksame Beitragssatzung stelle keinen Fall einer echten, sondern allenfalls einer unechten Rückwirkung dar. Es sei kein abgeschlossener Lebenssachverhalt gegeben, in den nachträglich eingegriffen worden sei. Denn die Beitragsentstehung setze das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus. Ohne diese sei eine Berechnung des Beitrags in Ermangelung eines Beitragsmaßstabs nicht möglich.

23

Das Vertrauen des Beschwerdeführers wäre selbst bei Annahme einer echten Rückwirkung nicht schutzwürdig, weil er damit habe rechnen müssen, dass eine vorhandene, aber als nichtig erkannte Satzung durch eine gültige Satzung ersetzt werde, mit der die von Anfang an von der Gemeinde angestrebte Beitragspflicht herbeigeführt werde. Es seien keine Umstände erkennbar, die ein Vertrauen darauf rechtfertigten, dass die Gemeinde es bei einer nichtigen Beitragssatzung belassen und auf eine Beitragserhebung verzichten würde.

24

Eine zeitliche Beschränkung der Rückwirkung auf die Festsetzungsfristen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht geboten. Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG eine Lösung gewählt, die sowohl die Gemeinden vor Beitragsausfällen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung bewahre als auch dem Vorteilsgedanken Rechnung trage. Die Gemeinden würden nach Erlass der gültigen Satzung erstmals in die Lage versetzt, Beiträge nach den Maßstäben dieser gültigen Satzung korrekt festzusetzen und die öffentliche Einrichtung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Regelungen zu refinanzieren. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Interessen der betroffenen Beitragspflichtigen überwiege das öffentliche Interesse. Ein Grundstückseigentümer müsse damit rechnen, zu einem Beitrag herangezogen zu werden. Sein Vertrauen darauf, dass eine nichtige Satzung nicht durch eine gültige Satzung ersetzt werde, sei nicht schutzwürdig. Verjährungsvorschriften dienten der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Im vorliegenden Fall liege kein Vorgang vor, auf dessen Abschluss der Bürger sich einstellen und auf dessen Ende er vertrauen könne. Da dem Beitragspflichtigen kein schützenswertes Vertrauen zur Seite stehe, komme dem öffentlichen Interesse an der Beitragserhebung das entscheidende Gewicht zu.

25

3. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, es sei mit der Frage nach dem Lauf der Festsetzungsfrist bei der rückwirkenden "Reparatur" nichtiger Abgabennormen bisher nur am Rande befasst gewesen. Nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei es allerdings mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, kommunale Anschluss- und Erschließungsbeitragssatzungen rückwirkend in Kraft zu setzen, um früher erlassene, auf eine nichtige Vorgängersatzung gestützte Beitragsbescheide zu heilen (Hinweis auf BVerwGE 50, 2 <7 f.>; 67, 129 <130 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 - BVerwG 8 B 13.96 -, Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 <4>). Werde eine ungültige durch eine gültige Satzung ersetzt, liege darin keine echte Rückwirkung, da eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung entstehen könne und diese Satzung somit nicht in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife (Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1986 - BVerwG 8 B 123.84 -, NVwZ 1986, S. 483 <484>).

26

Die Festsetzungsverjährung sei im Abgabenrecht der Länder geregelt (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 - BVerwG IV C 84-92.74 -, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20, S. 20<25> sowie NJW 1977, S. 1740 <1741>). Die Anknüpfung der Verjährung an die rückwirkende Entstehung der Beitragspflicht stehe mit Bundesrecht in Einklang. Die Frage der bundesrechtlichen Unbedenklichkeit einer Anknüpfung an die Verkündung der neuen Satzung sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter problematisiert worden.

27

Gegen die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG getroffene Regelung bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das rückwirkende Inkrafttreten der neuen Satzung habe zwar zur Folge, dass bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt (frühestens zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens) die Beitragsvoraussetzungen erfüllt sein könnten. Es sei aber kein verfassungsrechtlicher Grundsatz ersichtlich, der dazu zwinge, die Festsetzungsverjährung in Rückwirkungsfällen an das Entstehen der Beitragsforderung anzuknüpfen. Da die Behörde erst mit der Verkündung der neuen Satzung in den Stand versetzt werde, einen rechtlich tragfähigen Beitragsbescheid zu erlassen, beziehungsweise erst mit der Verkündung ein auf die frühere nichtige Satzung gestützter Beitragsbescheid geheilt werde, sprächen Sachgründe für den im Bayerischen Kommunalabgabengesetz gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt der Festsetzungsverjährung. Die Regelung verstoße daher nicht gegen das Willkürverbot.

28

Mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dürfte die Regelung gleichfalls in Einklang stehen. Das Institut der Festsetzungsverjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Hinweis auf BFH, Urteil vom 15. Juni 1988 - I R 68/86 -, BFH/NV 1990, S. 128). Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Verkündung der neuen Satzung führe zwar dazu, dass ein sehr langer Zeitraum zwischen dem die Beitragsforderung begründenden Sachverhalt und dem Ablauf der Verjährungsfrist liegen könne. Es sei aber zu bedenken, dass die mit der Festsetzungsverjährung verfolgten Ziele in einem Spannungsverhältnis zu dem Belang materieller Gerechtigkeit und dem fiskalischen Interesse an der Durchsetzung des Abgabenanspruchs stünden. Für die Aufgabe, zwischen den Polen in diesem Spannungsverhältnis einen verhältnismäßigen Ausgleich zu schaffen, sei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Gehe man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass der Beitragspflichtige sich gegenüber dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Beitragssatzung nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, und berücksichtige man zusätzlich die besondere Fehleranfälligkeit kommunaler Beitragssatzungen und das daraus resultierende gesteigerte Interesse an einer effektiven Nutzbarkeit der Heilungsmöglichkeiten, dürfte sich die Verjährungsregelung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes innerhalb dieses Gestaltungsspielraums halten.

29

4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weist darauf hin, dass der rückwirkende Erlass einer Satzung, welche die "Reparatur" einer unwirksamen Satzung bezwecke, eine Ausnahme darstelle und im vorliegenden Fall verwaltungspraktische Gründe gehabt habe. Die auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 erlassenen Bescheide wären sonst im Fall eines Eigentümerwechsels bei einem Teil der früheren Eigentümer bestandskräftig geworden und hätten bei nicht bestandskräftigen Bescheiden aufgehoben und gegenüber dem neuen Eigentümer neu erlassen werden müssen. Dadurch wäre es zu Ungleichbehandlungen gekommen. Der rückwirkende Erlass einer Satzung sei in der Praxis auch dann erforderlich, wenn andernfalls die Einbringung von Forderungen, zum Beispiel wegen Insolvenz oder Zwangsversteigerungsverfahren, gefährdet wäre. Eine Rückwirkung erstrecke sich üblicherweise nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Dieser lange Zeitraum ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 den in der Vorgängersatzung normierten Rückwirkungszeitpunkt beibehalten habe, was einen atypischen, sozusagen "verdoppelten" Rückwirkungszeitraum zur Folge gehabt habe.

B.

30

Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Rügen sind nur teilweise zulässig.

I.

31

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat insoweit die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt (vgl. BVerfGE 7, 95 <99>; 60, 313 <318>; 86, 133 <147>).

II.

32

Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes betrifft, ist sie zulässig.

33

Der Beschwerdeführer war - trotz Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG - nicht gehalten, zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben. Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 f.>).

C.

34

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

I.

35

1. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verletzt im vorliegenden Fall nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze.

36

Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263>; 126, 369 <393>).

37

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG selbst entfaltet dem Beschwerdeführer gegenüber keine Rückwirkung. Die Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beiträgen, die auf Abgabensatzungen gestützt sind, welche eine frühere unwirksame Satzung wirksam heilen. Bei ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 1993 lag eine solche wirksam heilende Satzung im Fall des Beschwerdeführers noch nicht vor und wurde auch später nicht rückwirkend zum oder vor dem 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt, so dass die Verjährungsfrist unabhängig von der Neuregelung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Solange der Lauf der Verjährungsfrist mangels gültiger Satzung nicht begonnen hat, betrifft die gesetzliche Neuregelung des Beginns der Verjährung mit der Wirkung einer Verjährungsverlängerung jedoch noch nicht einmal einen in der Vergangenheit begonnenen und nicht abgeschlossenen Sachverhalt.

38

Die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits bestehende Vorteilslage begründet für den Beschwerdeführer ebenfalls keinen bereits begonnenen Sachverhalt, in den die Neuregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG im Wege einer Rückwirkung eingegriffen hätte. Denn die Neuregelung beschränkt sich auf das Hinausschieben des Beginns der Verjährung. Eine solche konnte ohne wirksame Satzung aber nicht zu laufen beginnen.

39

2. Sollte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die unwirksame Satzung auf den Schein eines Verjährungslaufs vertraut haben, so kann dahinstehen, ob und in welchem Zusammenhang das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verfassungsrechtlichen Schutz verdient. Nach den Feststellungen der Ausgangsgerichte hätte die Festsetzungsfrist selbst bei Wirksamkeit der unwirksamen Satzung frühestens mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes wurde aber bereits am 31. Dezember 1992 und damit sogar noch vor dem scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verkündet.

II.

40

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 30, 392 <403>; 43, 242 <286>; 60, 253 <267>). Er erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

41

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, DStR 2012, S. 2322 <2325>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten.

42

2. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

43

a) Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber.

44

Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

45

b) Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

46

c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

47

3. Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.

48

Der Beitragspflicht können die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 - BVerwG 3 B 36.11 -, BeckRS 2011, 53777; Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 314) und des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1986 - II R 167/84 -, BFHE 147, 409 <412>) erfordert Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung dürfte selbst in den Fällen der Beitragserhebung nach scheinbarem Ablauf der Festsetzungsfrist regelmäßig nicht erfüllt sein.

D.

I.

49

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

50

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ).

II.

51

Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

52

Die Aussetzung gibt dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa für den Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens heilender Satzungen BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60).

III.

53

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.