Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 30. Sept. 2010 - 1 Ws 108/10

ECLI:ECLI:DE:OLGKOBL:2010:0930.1WS108.10.0A
30.09.2010

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Tenor

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

Ist in den Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet worden ist, die vor dem 31. Januar 1998 begangen wurden, die Maßregel nach zehnjährigem Vollzug wegen Erreichens der Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB in der bis zum 31. Januar 1998 gültigen Fassung für erledigt zu erklären oder ist auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) in diesen Fällen weiterhin § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB anzuwenden?

Gründe

I.

A.

1

Der heute 58 Jahre alte Untergebrachte ist in den Jahren 1976, 1977 und 1983 mit insgesamt sechs schweren Gewaltverbrechen, darunter drei Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung, strafrechtlich in Erscheinung getreten:

2

1.

        

2.

        

3.

3

Der Untergebrachte, der sich seit dem 5. September 1983 in Untersuchungshaft befand, verbüßte die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Zweibrücken bis zum 3. September 1990 in der Justizvollzugsanstalt Diez.

B.

4

Seit dem 4. September 1990 – mithin seit 20 Jahren – wird die Sicherungsverwahrung vollzogen, die nach damaligem Recht bei der ersten Unterbringung höchstens zehn Jahre lang vollstreckt werden durfte. Das Vollzugsverhalten des Untergebrachten war stets beanstandungsfrei.

5

1. Mit Beschluss vom 26. November 1990 hat die Strafvollstreckungskammer es erstmals abgelehnt, den Vollzug der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen (VH Bl. 61 ff.). Sie hat sich dabei auf eine psychologische Stellungnahme des Anstaltspsychologen Dr. ...[A] gestützt (VH Bl. 54 ff.). Nach dessen Einschätzung lag bei dem Untergebrachten eine in der Persönlichkeitsstruktur angelegte Bereitschaft zur Aggression als Reaktion auf menschliche Zurückweisung vor, die noch untherapiert war.

6

Seine Ankündigungen gegenüber dem Anstaltspsychologen, sich psychologischer und sozialtherapeutischer Aufarbeitung stellen zu wollen (VH Bl. 56), setzte der Untergebrachte nur kurzfristig um. Im Dezember 1990 begann er eine Gesprächstherapie mit einer externen Psychologin. Die Maßnahme endete im Juni 1991 mit der Weigerung des Untergebrachten, sie fortzusetzen (Bl. 89 d.A.). Stattdessen beschrieb er den Vollzugsbeamten Halluzinationen, zog sich zurück und äußerte schließlich paranoide Wahnideen (Stellungnahme Dr. ...[A] vom 22.04.1993, VH Bl. 88 <90>). Mit Beschluss vom 12. Juli 1993 lehnte die Strafvollstreckungskammer Diez es erneut ab, den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen (VH Bl. 97 ff.). Zur Bekämpfung der – wie sich später herausstellte – simulierten Wahnvorstellungen des Untergebrachten empfahl sie eine intensive psychiatrische Behandlung. Der Untergebrachte wurde daraufhin einer eingehenden psychiatrischen Untersuchung durch Dr. med. ...[B] in ...[Z] unterzogen, der im April 1994 zu dem Ergebnis kam, in den Jahren 1992/1993 habe – auch wenn der Untergebrachte dies nunmehr abstreite – eine akute paranoide Psychose bestanden, die am ehesten als psychogene Psychose bzw. akute paranoide Reaktion einzustufen sei (Stellungnahme Dr. ...[A] vom 06.07.1994, VH Bl. 114 <115>). Durch Beschluss vom 1. September 1994 lehnte die Strafvollstreckungskammer Diez die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung abermals ab, weil sich infolge jeglicher Mitarbeit am Vollzugsziel zwischenzeitlich keine positiven Veränderungen ergeben hätten (VH Bl. 122 ff.).

7

2. Am 23. März 1995 wurde der Untergebrachte aufgrund eines Verwaltungsabkommens zwischen den Ländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in die Justizvollzugsanstalt ...[W] verlegt (VH Bl. 133, 139), wo die Maßregel weiter vollzogen wurde. Im Zuge der Aufnahme führte er einige Gespräche mit dem Anstaltspsychologen OPR ...[C] (VH Bl. 139 <140>). Mit Beschluss vom 22. April 1996 beauftragte die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg den Sachverständigen Dipl. Psychologe Dr. ...[D], JVA … [Y], mit der Erstellung eines Prognosegutachtens (VH Bl. 150), das dieser unter dem 6. Mai 1996 erstattete (VH Bl. 152-187). Nach den Ausführungen Dr. ...[D] liegen bei dem Untergebrachten keine psychischen Beeinträchtigungen im Sinne der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB vor. Der Untergebrachte räumte gegenüber diesem Sachverständigen überzeugend ein, in den Jahren 1991 – 1993 in der JVA Diez eine paranoide Psychose nur vorgespielt zu haben, um in den Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhauses überwiesen zu werden. Für die berichteten Halluzinationen habe ihm ein konkreter Film als Vorlage gedient. Nach Einschätzung dieses Sachverständigen ist der Untergebrachte „im Kern dem Typ des Vergewaltigers zuzurechnen, der wegen seiner brüchigen männlichen Identität straffällig wird“ (VH Bl. 152 <180>). Bei der letzten Tat habe er sich allerdings als der aus Wut und Hass agierende Vergewaltiger gezeigt (VH Bl. 152 <181>). Obwohl der Untergebrachte sich ihm gegenüber ebenso wenig über emotionale Prozesse und das Erleben der Tathandlungen geäußert hatte wie gegenüber anderen Sachverständigen und „viele Fragen offen“ blieben (VH Bl. 152 <182, 185>), schlug Dr. ...[D] vor, den Untergebrachten nach sorgfältiger Vorbereitung durch psychologische Einzelgespräche in eine Übergangseinrichtung zu entlassen, in der die Gespräche fortgesetzt werden sollten (VH Bl. 152 <187>). Mit Beschluss vom 24. Juni 1996 lehnte die Strafvollstreckungskammer eine bedingte Entlassung des Untergebrachten ab (VH Bl. 195 ff.), weil nach dem Gutachten des Sachverständigen die die Straftat bestimmenden Emotionen und Aggressionen bisher unzureichend aufgearbeitet seien und Wert auf eine Aufarbeitung der aggressiv-sadistischen Reaktionstendenzen zu legen sei.

8

Zwei Jahre später stellte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 1. April 1998 – vor dessen Erlass dem Untergebrachten erstmals ein Pflichtverteidiger bestellt worden war – fest, dass wegen der Weigerungshaltung des Untergebrachten nach wie vor keine Aufarbeitung der Sexualprobleme stattgefunden habe (VH Bl. 213 f.).

9

Obwohl der Untergebrachte bei seiner Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer im Frühjahr 1998 in Aussicht gestellt hatte, nunmehr doch psychologische Gespräche führen zu wollen, änderte sich an seiner Weigerungshaltung nichts (Stellungnahme der JVA ...[W] vom 30.05.2000, VH Bl. 228 <228a>). Der Untergebrachte hatte nur mehr den 3. September 2000 im Blick, an dem die nach § 67d Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB a.F. geltende Höchstfrist von 10 Jahren für den Vollzug der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung enden sollte (Gutachten Dr. ...[D] vom 14.12.2000, VH Bl. 274 <286>). Aber auch nach Wegfall dieser Höchstfrist durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 änderte sich an der Weigerungshaltung des Untergebrachten nichts. Das von der Strafvollstreckungskammer in Auftrag gegebene Gutachten des Dipl. Psychologen Dr. ...[D], das dieser unter dem 14. Dezember 2000 fertigte (VH Bl. 274 – 293), fiel deutlich zurückhaltender als das 1996 von demselben Sachverständigen erstattete aus. Der Sachverständige beschrieb den Untergebrachten, der inzwischen bei einer Körpergröße von 163 cm 115 kg wog, als äußerst kontaktarm. Seine Außenkontakte beschränkten sich – wie seit Beginn der Haft im Jahr 1983 – auf monatliche Telefonate mit den Eltern, insbesondere der Mutter (die Geschwister hatten sich schon bei seiner ersten Inhaftierung von ihm abgewandt). In der Vollzugsanstalt ging er seit April 1999 wieder einer Arbeit (Montage von Elektrokleinteilen) nach. Darüber hinaus hielt er lediglich mit einem Sozialarbeiter und einigen Mitverwahrten Kontakt, mit denen er Schach spielte, die ihm aber zuweilen „auf die Nerven gingen.“ An Freizeitveranstaltungen nahm er mit Ausnahme einer einmal monatlich stattfindenden Gruppenstunde für Sicherungsverwahrte nicht teil. In seinem Haftraum, den er ordentlich und sauber hielt, lenkte er sich mit seinen im Käfig gehaltenen Vögeln ab (Bl. 274 <286>). Nach der Einschätzung des Sachverständigen, die sich weitgehend mit seinem ersten Gutachten deckt, ist „der Verurteilte dem ‘Typ’ des ‘Vergewaltigers’ zuzurechnen, der sich durch Kontaktarmut, Gehemmtheit, Selbstunsicherheit und Depression auszeichnet, dessen männliche Identität brüchig ist und nach Bestätigung sucht. Allerdings zeig(e) er sich in der letzten Tat … auch als der ‘Typ’, der all seine Enttäuschung über misslungene Kontaktversuche an seinem Opfer auslässt, indem er dieses mit brutaler Gewalt, geradezu zerstörerisch und mit erniedrigenden Handlungen sexuell unterdrückt“ (VH Bl. 274 <288>). Der Sachverständige sprach dem Untergebrachten eine gewisse Einsicht in die Tatmotive nicht ab (VH Bl. 274 <290>). Er vermerkte auch positiv, dass der Untergebrachte selbst davon ausging, bei dem Opfer seiner letzten Straftat dauerhaft psychische Schäden verursacht zu haben (VH Bl. 274 <284>). Der Sachverständige hob aber hervor, dass jegliche Einsicht in die bei den Sexualstraftaten wirkenden überschießenden Aggressionen fehle (VH Bl. 274 <290>). Auf der Grundlage dieses Gutachtens und der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt ...[W] vom 24. Januar 2001 (VH Bl. 303 ff.), in der betont wird, dass die Durchführung einer Therapie nicht an einer Verweigerung der Anstalt, sondern allein des immer wieder darauf angesprochenen Untergebrachten gescheitert ist, fiel die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 21. Februar 2001 erneut negativ aus (VH Bl. 310 f.).

10

Unter dem Druck der Gutachterempfehlung erklärte sich der Untergebrachte nach langem Zögern im September 2001 bereit, an einer Psychotherapie durch einen externen Psychotherapeuten teilzunehmen. Er beendete die im März 2002 begonnene Therapie aber nach einigen Sitzungen. Er war nicht in der Lage gewesen, über die seinen Straftaten zu Grunde liegende Motivation zu sprechen. Nachdem ihm nochmals deutlich vor Augen gehalten worden war, dass es nicht ausreiche, sich widerwillig einer als Auflage empfundenen Therapie auszusetzen, er vielmehr Eigenmotivation und Eigenengagement entwickeln müsse, erklärte er sich bereit, einen neuen Versuch mit einem anderen Therapeuten zu unternehmen. Die ihm für die Zwischenzeit angebotene Teilnahme an einem „sozialen Training“ lehnte er mit dem Hinweis ab, dass eine solche Maßnahme bei ihm nicht notwendig sei (VH Bl. 323 <324, 326>; Bl. 361). Angesichts dieser Entwicklung fiel auch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 19. März 2003 negativ aus (VH Bl. 343 f.).

11

3. Am 19. Januar 2004 wurde der Untergebrachte nach Ablauf des Verwaltungsabkommens der beteiligten Bundesländer in die Justizvollzugsanstalt Diez zurückverlegt. Aus gesundheitlichen Gründen arbeitete er seitdem nicht mehr. Ab Frühjahr 2004 führte er mit dem Anstaltspsychologen OPR ...[E] therapeutische Gespräche (VH Bl. 358 <359>; 363 <363R>; 365; 379). Das ihm zur Steigerung der Therapiebereitschaft unterbreitete Angebot einer Ausführung nahm er nicht wahr (VH Bl. 363 <363R>; 379 <379R>). Im Termin zur mündlichen Anhörung durch die Strafvollsteckungskammer Diez des Landgerichts Koblenz erklärte er, nach so langer Zeit alles selbst aufgearbeitet zu haben. Gleichwohl meinte er, früher eine falsche Einstellung gehabt zu haben. Die Therapie helfe ihm. Er gewinne durch sie neue Erkenntnisse. Mit Beschluss vom 10. Februar 2005 ordnete die Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung an (VH Bl. 380 ff.). Ausschlaggebend war auch bei dieser Entscheidung, dass eine ausreichende Aufarbeitung der Sexualdelinquenz nicht stattgefunden hatte. Die Strafvollstreckungskammer erachtete die weitere Teilnahme an psychologischen Gesprächen für unabdingbar, um zu einer günstigen Prognose zu gelangen.

12

In der Folgezeit führte der Untergebrachte die Gesprächstherapie weiter durch. Er nahm im Frühjahr 2005 auch an einem einmonatigen Training „Soziale Beziehungen“ teil. Im Herbst 2005 wurden die mit OPR ...[E] geführten, einmal wöchentlich stattfindenden Einzelgespräche abgeschlossen, nachdem der Therapeut damals keinen Ansatz für weitergehende Gespräche sah. Der Anregung des Therapeuten, seine Verlegung in den offenen Vollzug zu beantragen, kam der Untergebrachte jedoch nicht nach. Einen Grund für dieses Verhalten teilte er auch auf Nachfrage nicht mit. Die angebotene Ausführung nahm er unter Berufung auf orthopädische Probleme nicht wahr (VH Bl. 394 <395>; 399 <399R>). Nachdem die Strafvollstreckungskammer Termin zur mündlichen Anhörung des Untergebrachten und des Therapeuten OPR ...[E] bestimmt hatte (VH Bl. 414), teilte der Untergebrachte in einem maschinenschriftlichen – von einem Mitverwahrten gefertigten (s. VH Bl. 428, 599) – Schreiben vom 29. Januar 2007 der Strafvollstreckungskammer mit, dass er OPR ...[E] das Vertrauen entziehe. Nach den geführten Gesprächen habe sich der Vollzugsverlauf nicht zum Positiven gewandelt. Statt weitere Gespräche mit ihm zu führen, habe man ihn dahinsiechen lassen (VH Bl. 422). Im Anhörungstermin vom 15. Februar 2007 erläuterte OPR ...[E], dass der selbstunsichere Untergebrachte nach seiner Einschätzung aus Angst bisher keinen Antrag auf Verlegung in den offenen Vollzug gestellt habe, während der Untergebrachte das abstritt und zur Begründung seines Verhaltens angab, er habe sich angesichts seiner (arthrosebedingten) Gehbehinderung vom offenen Vollzug nichts versprochen, werde aber nunmehr einen Antrag stellen. Eine Erklärung für sein Schreiben vom 29. Januar 2007 blieb er schuldig und blickte stattdessen nur unter sich (VH Bl. 423 f.). Mit Beschluss vom 15. Februar 2007 ordnete die Strafvollstreckungskammer den weiteren Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an (VH Bl. 425 ff.). Das Verhalten des Untergebrachten zeige deutlich, dass die im Gutachten des Sachverständigen Dr. ...[D] vom 14. Dezember 2000 festgestellte Gehemmtheit und Selbstunsicherheit, die zu seinen Taten geführt hätten, immer noch festzustellen sei. Es sei unerlässlich, den Untergebrachten im offenen Vollzug zu erproben, wo er sich begleitend weiteren therapeutischen Gesprächen unterziehen müsse.

13

Bereits am Tag der Anhörung stellte sein damaliger Verteidiger bei der Justizvollzugsanstalt Diez Antrag auf Verlegung des Untergebrachten in den offenen Vollzug. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 22. November 2007 wegen Missbrauchsgefahr abgelehnt (VH Bl. 470 ff.). Grundlage war eine ausführliche psychologische Stellungnahme des Anstaltspsychologen OPR ...[F] vom 11. September 2007 (VH Bl. 460 - 469), wonach bei dem Untergebrachten eine auf eine Entwicklungsstörung im frühen Kindesalter zurückgehende Störung im Sozialverhalten und eine dissoziale Störung mit Elementen des sadistischen Handelns vorlägen, die sich durch Kontakt- und Beziehungsprobleme, Vereinsamung und partielle Verwahrlosung auszeichneten. Der Untergebrachte verfüge über keine sozialadäquaten Regulierungs- und Kompensationsmöglichkeiten als Reaktion auf Zurückweisung und Kränkung. Für den offenen Vollzug sei der Untergebrachte mangels Eigeninitiative sowie wegen fehlenden Interesses an Außenbeziehungen und an einem Arbeitsplatz nicht geeignet. Die therapeutischen Gespräche, die der Untergebrachte eineinhalb Jahre lang wöchentlich geführt habe, seien nicht ausreichend gewesen, um die bestehende Problematik zu behandeln.

14

In der Folgezeit lehnte der Untergebrachte die ihm angebotenen weiteren therapeutischen Gespräche ab (VH Bl. 598).

C.

15

Vor der letzten zweijährigen Regelüberprüfung sprachen sich sowohl die Justizvollzugsanstalt Diez in ihrer – auf die Ausführungen des Anstaltspsychologen OPR ...[F] vom 11. September 2007 gestützten – Stellungnahme vom 27. November 2008 (VH Bl. 450 ff.) als auch die Staatsanwaltschaft Zweibrücken (VH Bl. 475) gegen eine Aussetzung der Maßregel aus.

16

Im Anhörungstermin vor der Strafvollstreckungskammer vom 12. Februar 2009 machte der Untergebrachte deutlich, dass er keine weiteren therapeutischen Gespräche führen wolle. Auch ein weiteres soziales Training lehnte er ab. Ausführungen kämen wegen seiner Knie- und Hüftarthrose – aufgrund derer er Unterarmgehstützen benutzt – nicht in Betracht. Darüber, wie es weitergehen solle, habe er sich keine Gedanken gemacht (VH Bl. 484 f.). Die Strafvollstreckungskammer beschloss daraufhin am selben Tag, ein externes Gutachten zu den Voraussetzungen des § 67d Abs. 3 StGB einzuholen (VH Bl. 486 f.). Mit der Erstattung wurde letztlich Prof. Dr. ...[H] beauftragt (VH Bl. 492), nachdem das – von einem Mitverwahrten gefertigte – Ablehnungsgesuch gegen diesen Sachverständigen rechtskräftig zurückgewiesen worden war (VH Bl. 495 f., 498 f., 512 f.).

17

Am 28. Mai 2009 erlitt der Untergebrachte einen akuten Vorderwandinfarkt. Nach erfolgreicher Stentung im St. ...[G]-Krankenhaus in ...[X] wurde er vom 30. Mai 2009 bis zum 18. Juni 2009 in das Justizvollzugskrankenhaus …[W] verlegt, wo außerdem eine chronische Bronchitis, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2 bei Adipositas und erhöhten Blutfettwerten, ein Glaukom, Alterssichtigkeit und eine Prostatavergrößerung diagnostiziert wurden (VH Bl. 644 f.).

18

Prof. Dr. ...[H] erstattete am 11. September 2009 sein schriftliches Gutachten (VH Bl. 518 - 549), in dem er ausführt, „die Taten zeigten von Fall zu Fall deutlicher ihren Charakter als zumindest mitbegründet in einem abweichenden Sexualverhalten in Form des Sadismus“, das therapeutisch nicht habe bearbeitet werden können (Gutachten S. 26, Bl. 518 <543> VH).

19

In der Folge verzögerte sich die mündliche Anhörung des Sachverständigen und des Untergebrachten durch die Strafvollstreckungskammer wegen erneut erforderlicher medizinischer Untersuchungen und Behandlungen des Untergebrachten (VH Bl. 565 ff.). Er befand sich in der Zeit vom 5. November 2009 bis zum 10. Dezember 2009 und vom 5. bis zum 21. Januar 2010 im Justizvollzugskrankenhaus ...[S] (VH Bl. 644 ff.). Der Verdacht auf eine Darmkrebserkrankung bestätigte sich nicht (VH Bl. 569, 599). Am 6. Januar 2010 wurden im Krankenhaus …[I] in …[V] zwei Herzkranzgefäß-Erweiterungen mit Stent-Implantationen bei dem Untergebrachten durchgeführt. Außerdem wurde eine beginnende Coxarthrose des Hüftgelenks mit noch gut erhaltenem Gelenkspalt und am linken Kniegelenk eine fortgeschrittene drittgradige Varusgonarthrose mit arthrotisierter Randwulstbildung festgestellt, die nach kardialer Ausbehandlung mit einer Knieprothese behandelt werden kann (VH Bl. 644 ff.).

20

Am 18. Februar 2010 hörte die Strafvollstreckungskammer den Untergebrachten und den Sachverständigen Prof. Dr. ...[H] mündlich an (VH Bl. 598 ff.). Der Untergebrachte lehnte dabei weiterhin erneute therapeutische Gespräche ab und gab an, im Falle seiner Entlassung – schon aus gesundheitlichen Gründen – in eine Einrichtung für betreutes Wohnen zu wollen.

21

Mit Beschluss vom 18. Februar 2010 ordnete die Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung an. Trotz Ablauf der Regeldauer einer Sicherungsverwahrung von zehn Jahren bestünden konkrete Anhaltspunkte für eine fortdauernde Gefährlichkeit des Untergebrachten. Von ihm seien weitere Sexualstraftaten im Sinne der Anlasstaten mit der Gefahr schwerer körperlicher und seelischer Schäden für die Opfer zu erwarten. Zwar sei das Vollzugsverhalten des Untergebrachten beanstandungsfrei. Auch habe er über eineinhalb Jahre therapeutische Gespräche geführt, die jedoch nicht zu einer ausreichenden Aufarbeitung der sexuellen Deviation geführt hätten. Die Strafvollstreckungskammer stützt ihre Prognose auf das zur Vorbereitung der Entscheidung eingeholte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ...[H]. Danach verwiesen die 1983 begangenen Sexualdelikte auf eine handlungsbestimmende sexuelle Deviation im Sinne eines sexuellen Sadismus, die nicht ansatzweise therapeutisch bearbeitet sei. Der Untergebrachte schildere nur den äußeren Ablauf der Taten und lege seine Tatmotive nicht offen. Diese seien mithin in den therapeutischen Gesprächen mit OPR ...[E] nicht bearbeitet worden. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen, die Anlass für die Anordnung der Sicherungsverwahrung waren, unverändert fortbestehen. Auch eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung komme nicht in Betracht. Der Untergebrachte müsse sich zunächst einer Aufarbeitung seiner Störung durch weitere therapeutische Gespräche stellen und in Lockerungen erprobt werden (VH Bl. 601 ff.).

22

Gegen die dem Verteidiger am 1. März 2010 zugestellte (VH Bl. 613) Entscheidung richtet sich die mit Verteidigerschriftsatz vom 8. März 2010 eingelegte, nicht näher ausgeführte sofortige Beschwerde des Untergebrachten, die am selben Tag bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen ist (VH Bl. 625).

23

Der Senat hat den physischen Gesundheitszustand des Untergebrachten näher aufgeklärt (VH Bl. 629). Nach Auffassung des Anstaltsarztes der Justizvollzugsanstalt Diez kann er mit den bereits oben dargestellten Diagnosen unter ärztlicher Kontrolle und regelmäßiger Therapie ein normales Leben führen (Stellungnahme des Anstaltsarztes vom 08.04.2010, VH Bl. 642). Die Justizvollzugsanstalt hat mit Schreiben vom 15. April 2010 zusätzlich mitgeteilt, der Untergebrachte kümmere sich nur unzureichend um seine gesundheitlichen Belange, etwa die Kontrolle des Blutzuckerspiegels. An der Hofstunde nehme er selten, am Sport nie teil. Mangels Training und Alltagsbelastungen verfüge er deshalb derzeit nur über wenig Ausdauer und gerate beim Treppensteigen leicht außer Atem (VH Bl. 638 f.). Am 14. April 2010 hat der Senat darüber hinaus beschlossen, ein internistisches Gutachten des Leiters der inneren Abteilung des Justizvollzugskrankenhauses ...[S], Dr. med. ...[J], zu der Frage einzuholen, ob und inwieweit der Untergebrachte aufgrund seines physischen Gesundheitszustandes noch zu massivem fremdaggressivem Verhalten in Verbindung mit der Begehung von Sexualstraftaten in der Lage ist (VH BL. 635 f.). Der internistische Sachverständige hat sein schriftliches Gutachten am 6. Mai 2010 gefertigt. Danach haben die behandelnden Kardiologen in einem Arztbrief vom 6. Januar 2010 mitgeteilt: „Bei dem Patienten besteht ein unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund, insbesondere keine kardiopulmonalen Dekompensationszeichen“, d.h. keine die Funktion massiv behindernden Schädigungen des Herzens und der Lunge. Das deckt sich mit den anschließend im Justizvollzugskrankenhaus durchgeführten Kontrolluntersuchungen. Das EKG ergab keine akute Ischämie, das Langzeit-EKG keine höhergradigen Herzrhythmusstörungen. Der Blutdruck war gut eingestellt, die Blutzuckereinstellung zufriedenstellend. An den Hüftgelenken und am rechten Knie fanden sich die bereits beschriebenen degenerativen Veränderungen. Danach ist der Untergebrachte nach Einschätzung des internistischen Sachverständigen aufgrund seiner Herzleistung und seiner orthopädischen Beeinträchtigung nicht als Invalide zu bezeichnen. Er habe in den Räumen des Justizvollzugskrankenhauses frei gehen können, wenn er auch zuweilen über Schmerzen in den Gelenken geklagt habe. Auch zu massivem fremdaggressivem Verhalten, auch in Verbindung mit der Begehung von Sexualstraftaten, ist er nach der Beurteilung des Sachverständigen, der den Untergebrachten bei seinen insgesamt mehrmonatigen Aufenthalten im Justizvollzugskrankenhaus regelmäßig visitiert hat, in der Lage. Inwieweit der Untergebrachte infolge seines Diabetes mellitus möglicherweise unter Potenzstörungen leidet, die ihm den Geschlechtsakt – nicht aber physische Gewalteinwirkung – unmöglich machen könnten, vermochte der internistische Sachverständige nicht zu beurteilen (VH Bl. 644 - 648).

24

Mit Beschluss vom 7. Juni 2010 (VH Bl. 658 - 670) hat der Senat festgestellt, dass die weitere Vollstreckung der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung nicht aufgrund des seit dem 10. Mai 2010 endgültigen Kammerurteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 für erledigt zu erklären ist. In derselben Entscheidung hat der Senat beschlossen, ein neues psychiatrisches Gutachten eines Sachverständigen zu der Frage einzuholen, ob und gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit welche rechtswidrigen Taten von dem Untergebrachten aufgrund seines Hanges weiterhin zu erwarten sind (§§ 463 Abs. 3 Satz 4 StPO, 67d Abs. 3 Satz 1 StGB). Zur Begründung dieser Entscheidung hat er im Einzelnen ausgeführt, dass das von der Strafvollstreckungskammer verwertete Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ...[H] nicht den an ein Prognosegutachten zu stellenden Anforderungen der Vollständigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit entspricht. Mit Beschluss vom 15. Juni 2010 hat der Senat nach Anhörung des Untergebrachten und der Generalstaatsanwaltschaft den Sachverständigen Dr. med. …[K] aus ...[U] mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt.

25

Das Gutachten hat Dr. ...[K] am 13. August 2010 erstellt (VH Bl. 699 - 879).

26

Am 29. September 2010 hat der Senat die Sachverständigen Dr. ...[K] und Dr. ...[J] unter Mitwirkung des Beschwerdeführers und seines Verteidigers sowie den Beschwerdeführer selbst mündlich angehört. Dieser hält sich nach wie vor nicht mehr für therapiebedürftig und will allenfalls unter dem Druck der weiteren Vorstreckung der Unterbringung eine neue Therapie durchführen. Er ist der Auffassung aufgrund des Urteils des EGMR vom 17. Dezember 2009 und aufgrund seines körperlichen Gesundheitszustands aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden zu müssen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Anhörungsprotokoll Bezug genommen (VH Bl. 895 - 902).

27

Der Senat hat den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör zur beabsichtigten Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG in der Fassung des am 30. Juli 2010 in Kraft getretenen Vierten Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 24. Juli 2010 gewährt. Der Verteidiger und der Beschwerdeführer haben bereits im Anhörungstermin mitgeteilt, dass sie keine Stellungnahme abgeben (VH Bl. 894 <901 f.>). Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Anfrage mitgeteilt, dass sie der beabsichtigten Vorlage zustimme. Eine weitergehende Stellungnahme ist von ihr nicht beabsichtigt (VH Bl. 904).

II.

28

Der Senat beabsichtigt, die gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Untergebrachten als unbegründet zu verwerfen.

A.

29

Bereits durch den in vorliegender Sache ergangenen Beschluss vom 7. Juni 2010 hat der Senat festgestellt, dass die weitere Vollstreckung der durch Urteil der 1. Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 5. Juni 1984 – 6 Js 7461/83.1 KLs – angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht allein aufgrund des seit dem 10. Mai 2010 endgültigen Kammerurteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 – Individualbeschwerde Nr. 19359/04 – (NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig a.a.O. S. 233 ff.) für erledigt zu erklären ist. Zu der entscheidungserheblichen Frage haben sich der Senat im Beschluss vom 7. Juni 2010 und der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz in seinem Beschluss vom 16. Juli 2010 – 2 Ws 253/10 – übereinstimmend wie folgt geäußert:

30

„Der Senat sieht sich nicht daran gehindert, die Fortdauer der Unterbringung nach Maßgabe des § 67d Abs. 3 StGB über zehn Jahre hinaus fortdauern zu lassen, auch wenn diese Vorschrift erst durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) mit Wirkung zum 31. Januar 1998, mithin nach den Anlasstaten und Erlass des dem Maßregelvollzug zugrunde liegenden Urteils […], in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden ist und in der zur Zeit der Taten und des Urteilserlasses geltenden Fassung des § 67d StGB die Dauer der erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung selbst bei fortbestehender Gefährlichkeit des Untergebrachten auf zehn Jahre begrenzt war (§ 67d Abs.1 StGB a.F.). Art. 1a EGStGB sah nach Inkrafttreten des bezeichneten Gesetzes vom 26. Januar 1998 bis zum Jahr 2004 ausdrücklich vor, dass die Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB uneingeschränkt Anwendung findet. Demzufolge betraf der Wegfall der Zehnjahresgrenze auch Straftäter, die ihre Tat vor Verkündung und Inkrafttreten der Neufassung begangen hatten und vor diesem Zeitpunkt verurteilt worden waren.

31

Diese Regelung nach Art. 1a EGStGB findet ihre Fortsetzung in § 2 Abs. 6 StGB. Danach ist über Maßregeln der Besserung und Sicherung, zu denen gem. § 61 Nr. 3 StGB die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zählt, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Diese Vorschrift bezieht sich sowohl auf die Anordnung als auch auf die Vollstreckung der Maßregeln (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 - Absatz-Nr. 182 m.w.N., BVerfGE 109, 133 ff. = NJW 2004, 739 ff.), so dass sie, da anders lautende Gesetzesbestimmungen fehlen, auch für die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung die Anwendung des zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechts bestimmt.

32

Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit inzwischen endgültigem Kammerurteil vom 17. Dezember 2009 - Individualbeschwerde Nr. 19359/04 - (NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig a.a.O. S. 233 ff.) in einem gleich gelagerten Fall, in dem Anordnung der Sicherungsverwahrung und Anlasstat ebenfalls zeitlich vor Inkrafttreten der Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB lagen, die Fortdauer der Unterbringung über zehn Jahre hinaus als unvereinbar mit Artikel 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) angesehen hat. Der Gerichtshof verneint einen Kausalzusammenhang zwischen dem die Sicherungsverwahrung anordnenden Urteil des Tatgerichts und der Fortdauer der Maßregel über zehn Jahre hinaus, weil die Fortdauer nur durch die nachfolgende Gesetzesänderung im Jahr 1998 ermöglicht wurde. Damit fehlt dem Freiheitsentzug der in Betracht zu ziehende Rechtfertigungsgrund gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 lit.a. EMRK (EGMR a.a.O. Ziff. 100, 105). Darüber hinaus bewertet der Gerichtshof die Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Konvention, die Verlängerung der Unterbringung nach § 67d Abs. 3 StGB nicht als bloße Vollstreckungsmaßnahme, sondern als zusätzliche Strafe, die gegen den Beschwerdeführer nachträglich nach einem Gesetz verhängt wurde, das erst nach Begehung der Anlasstat in Kraft trat. Darin sieht er konventionswidrige Rückwirkung, da die zur Tatzeit geltenden Strafbestimmungen klar und unmissverständlich eine Höchstfrist von zehn Jahren für eine erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung festlegten (EGMR a.a.O. Ziff. 133 - 136).

33

Das Urteil des EGMR gibt jedoch keine Veranlassung, anders als auf Grundlage des geltenden § 67d Abs. 3 StGB über die Fortdauer der Unterbringung zu entscheiden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 25. Mai 2010 - 2 Ws 169 und 170/10 -; s. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 1. Juni 2010 - 1 Ws 57/10 -, wonach das Urteil des EGMR jedenfalls nicht die sofortige Freilassung in Parallelfällen zur Folge hat; a.A. - obiter dictum - OLG Hamm, Beschluss vom 12. Mai 2010 - III-4 Ws 114/10 -):

34

1. Das Urteil entfaltet Rechtskraft- und unmittelbare Bindungswirkung nur innerhalb des Beschwerdegegenstands (§ 46 Abs. 1 EMRK). Sie geht über den konkret entschiedenen Fall nicht hinaus, so dass Dritten, auch wenn sie sich auf einen gleich gelagerten Sachverhalt berufen können, daraus keine Rechte entstehen.

35

Zwar folgt aus Art. 1 EMRK eine Verpflichtung des verurteilten Mitgliedstaats, eine durch den Gerichtshof festgestellte Konventionsverletzung auch in Parallelfällen zu beenden. Urteile des EGMR haben jedoch keine Gesetzeskraft. Sie wirken nicht unmittelbar in die nationale Rechtsordnung hinein und können damit eine konventionskonforme innerstaatliche Rechtslage nicht erzeugen. Eine innerstaatliche Bindungswirkung geht von ihnen insoweit aus, als sie von allen staatlichen Organen innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs und der rechtsstaatlichen Kompetenzordnung zu beachten sind (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - Absatz-Nr. 45, 46, 47, BVerfGE 111, 307 ff. = NJW 2004, 3407 ff.).

36

Gerichte als Träger der rechtsprechenden Gewalt haben die Europäische Menschenrechtskonvention, die - in der Auslegung durch den EGMR - innerstaatlich im Range eines förmlichen Bundesgesetzes gilt, im Rahmen ihrer Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG zu berücksichtigen. Das bedeutet aber nicht, dass die Rechtsprechung Urteile des EGMR ungeachtet der staatlichen Kompetenzverteilung und der Rechtsordnung im Übrigen schematisch umzusetzen hätte. Entscheidungen des EGMR können die Gerichte nur insoweit beachten, als dies innerhalb der bestehenden Rechtsordnung im Wege einer methodisch vertretbaren Gesetzesauslegung möglich ist (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 47, 50, 53; vgl. auch OLG Celle a.a.O. mit Ausführungen zur abweichenden Auffassung Kinzig a.a.O. S. 238).

37

2. Eine Umsetzung der festgestellten Konventionsverstöße dahingehend, dass in den Fällen einer erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung, in denen Anlasstat und Urteil zeitlich vor dem 31. Januar 1998 liegen („Altfälle“), eine Höchstdauer der Unterbringung von zehn Jahren gilt und nach deren Ablauf die Maßnahme für erledigt zu erklären ist, kann durch Auslegung der gegebenen Gesetzeslage jedoch nicht erreicht werden.

38

a) Einer Auslegung der §§ 67d Abs. 3, 2 Abs. 6 StGB in diesem Sinn steht schon der Wortlaut dieser Vorschriften entgegen. Er schließt alle Fälle der Sicherungsverwahrung in die Gesetzesregelung mit ein und lässt eine Ausnahme für die Altfälle nicht zu. Eine abweichende Interpretation dieser Vorschriften, die mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar wäre, scheidet damit von vornherein aus. Der Wortlaut bildet die Grenze jeder Auslegung (vgl. nur Fischer, StGB, 57. Aufl., § 1 Rn. 10; Dannecker in LK, StGB, 12. Aufl., § 1 Rn. 307, jeweils m.w.N.).

39

Dem Wortlaut der Vorschriften kann nicht dadurch entsprochen werden, dass dem Urteil des EGMR die Wirkung einer „anderen gesetzlichen Bestimmung“ beigemessen wird, die eine Ausnahme von dem in § 2 Abs. 6 StGB enthaltenen Grundsatz anordnet, bei Entscheidungen über Maßregeln der Besserung und Sicherung das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht anzuwenden (so Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15. Januar 2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009, S. 39 - 45). Abgesehen davon, dass die EMRK in Ausgestaltung durch den EGMR zwar im Rang eines förmlichen Bundesgesetzes zu beachten ist, jedoch nicht rechtsgestaltend in die innerstaatliche Rechtsordnung hineinwirken kann, trifft das Urteil des EGMR keine Aussage zum Regelungsinhalt des § 2 Abs. 6 StGB. Es sieht die Sicherungsverwahrung vielmehr als Strafe, die Verlängerung der Unterbringung über zehn Jahre hinaus als zusätzliche Bestrafung an und betrifft damit den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 StGB, so dass es schon inhaltlich nicht als ausdrückliche Gesetzesbestimmung im Sinne des für die Maßregeln der Besserung und Sicherung geltenden Absatzes 6 angesehen werden kann.

40

b) § 67d Abs. 4 StGB kann gleichfalls nicht im dargestellten Sinn ausgelegt werden (so aber Grabenwarter a.a.O. S. 46 - 48). Der Wortlaut der Vorschrift, wonach der Untergebrachte nach Ablauf der Höchstfrist zu entlassen und die Maßregel damit erledigt ist, ließe sich zwar für sich betrachtet auch, da er keine Einschränkung auf bestimmte Unterbringungsmaßregeln enthält, auf die Sicherungsverwahrung beziehen. Einer solchen Auslegung stünde jedoch der Grundsatz der Gesetzeseinheit entgegen. Eine Einzelnorm ist nicht isoliert, sondern im Gesetzeskontext auszulegen. Nach der Gesetzessystematik regelt § 67d Abs. 4 StGB allein die Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Denn nur für diese sieht § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB eine Höchstfrist vor.

41

Darüber hinaus widerspräche eine solche Auslegung der Regelungsabsicht des Gesetzgebers, die der Neuregelung des § 67d StGB durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 zugrunde liegt. Es war sein erklärter Wille, dass der Wegfall der Zehnjahresdauer gem. § 67d Abs. 1 StGB a.F. nicht nur für künftige Anordnungen der Sicherungsverwahrung, sondern auch für „Altfälle“ gilt. Im Gegensatz zur Neuregelung in § 66 Abs. 3 StGB sollten die Änderungen in § 67d StGB durch Art. 1a Abs. 3 EGStGB uneingeschränkt rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Da diese Änderungen im Gegensatz zur Regelung in § 66 Abs. 3 StGB nicht die Anordnung, sondern lediglich die Dauer der Sicherungsverwahrung betreffen, sah der Gesetzgeber darin keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot (BT-Drucksache 13/9062 S. 12).

42

Zugleich stehen Sinn und Zweck des Gesetzes einer die „Altfälle“ der Sicherungsverwahrung in die Regelung des § 67d Abs. 4 StGB mit einbeziehenden Auslegung entgegen. Es war das gesetzgeberische Ziel, mit der Neuregelung einen möglichst umfassenden Schutz der Allgemeinheit vor drohenden schwersten Rückfalltaten bereits als gefährlich bekannter, in der Sicherungsverwahrung untergebrachter Gewalt- und Sexualstraftäter zu gewährleisten (BT-Drucksache 13/9062 S. 10; BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 - Absatz-Nr. 189 a.a.O.). Eine Gesetzesauslegung, die dazu führte, die vom Gesetzgeber aufgegebene Zehnjahreshöchstdauer für die erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung wieder zur Geltung zu bringen und die vor der Gesetzesänderung untergebrachten Straftäter zu entlassen, wäre mit diesem Schutzzweck des Gesetzes nicht vereinbar.

43

Über den erklärten Willen des Gesetzgebers und die von ihm verfolgten Zwecke kann sich eine Gesetzesauslegung nicht hinwegsetzen. Aus der gesetzgeberischen Entscheidung, die Änderungen in § 67d StGB uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen, ergibt sich zugleich, dass hinsichtlich der „Altfälle“ keine planwidrige Regelungslücke im Gesetz besteht, die durch eine analoge Anwendung des § 67d Abs. 4 StGB zu füllen wäre.

44

c) Der Weg, den Konventionsverstößen durch eine verfassungskonforme Auslegung der Gesetzeslage Geltung zu verschaffen und bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung über das grundgesetzlich verankerte Rückwirkungsverbot und Rechtsstaatsprinzip zur Anwendung des Tatzeitrechts gem. § 2 Abs. 1 StGB zu gelangen, ist dem Senat von Gesetzes wegen verschlossen. Zwar beeinflussen die Gewährleistungen der EMRK die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des EGMR dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen, sofern dies nicht zu einer - von der Konvention selbst nicht gewollten - Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes führt (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - Absatz-Nr. 32 a.a.O.).

45

Die Rückwirkung des § 67d Abs. 3 StGB auf die bereits abgeurteilten „Altfälle“ ist jedoch durch das Bundesverfassungsgericht gerade in dem vom EGMR entschiedenen Fall für verfassungsgemäß erklärt worden (Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 -, BVerfGE 109, 133 ff. = NJW 2004, 739 ff.). Es hat die Regelung sowohl am absoluten Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 123 - 165) als auch unter dem Gesichtspunkt einer „echten“ und „unechten“ Rückwirkung am rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot nach Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gemessen (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 166 - 189). Es hat die Sicherungsverwahrung nicht als staatliche Eingriffsmaßnahme im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG angesehen und in der ab 31. Januar 1998 auch für „Altfälle“ gültigen Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB und Art. 1a Abs. 3 EGStGB lediglich eine tatbestandliche Rückanknüpfung („unechte“ Rückwirkung) erkannt, die weder die Rechtsfolge aus der Anlasstat nachträglich ändert noch die im Strafurteil rechtskräftig festgesetzten Rechtsfolgen revidiert (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 176, 177).

46

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (veröffentlicht in BGBl. I 2004, 1069) hat Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG). Sie lässt daher nicht zu, entsprechend der Vorgabe des EGMR die Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG und die Anordnung der Maßregelfortdauer über zehn Jahre hinaus als weitere, nicht mehr auf das Strafurteil zurückzuführende Bestrafung zu bewerten.

47

Abgesehen davon könnte auch eine verfassungskonforme Gesetzesauslegung zu keinem Normverständnis führen, das im Widerspruch zu dem klar und eindeutig geäußerten Willen des Gesetzgebers steht. Ebenso wenig wie die übrigen Auslegungsmethoden darf sie den normativen Gehalt der auszulegenden Vorschriften grundlegend neu bestimmen und das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 1 BvR 2269/07 - Absatz-Nr. 4, BauR 2009, 1424 f.; Dannecker in LK, a.a.O. § 1 Rn. 329, jeweils m.w.N.).

48

3. Nach alledem besteht keine Möglichkeit, die EMRK in der Ausgestaltung durch das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 im Wege der Gesetzesauslegung mit den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs in Einklang zu bringen. Der Hinweis Grabenwarters (a.a.O. S. 29), dass die vom zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgehende Bindungswirkung sich nicht auf die gegebene Gesetzeslage bezieht, sondern auch andere Gesetzesregelungen oder die Rückkehr zur früheren Lösung des Gesetzgebers zulässt, vermag daran nichts zu ändern. Die Suche nach neuen Gesetzeslösungen oder die Entscheidung, bezüglich der „Altfälle“ zur früheren Rechtslage zurückzukehren, fällt, da sie die Grenzen der Gesetzesauslegung überschreitet, nicht mehr in den Aufgabenbereich der Gerichte. Eine Umsetzung des Urteils des EGMR in das innerstaatliche Recht muss daher dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

49

4. Die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB). Zwar wird der Gesetzgeber aufgrund der von dem Urteil des EGMR ausgehenden Bindungswirkung die vor dem 31. Januar 1998 gültig gewesene Zehnjahresdauer bei Regelung der „Altfälle“ wieder beachten müssen. Das führt jedoch nicht dazu, dass die Maßregel schon vor einer gesetzlichen Neuregelung für unverhältnismäßig zu erklären und der Untergebrachte zu entlassen ist. Denn die sofortige Beendigung der Freiheitsentziehung würde dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls zuwiderlaufen und ihm in Bezug auf die „Altfälle“ die vom Gesetzgeber durch rückwirkenden Wegfall der Zehnjahresdauer geschaffene Grundlage entziehen. Dieses Gemeinwohlinteresse, das darin besteht, die Allgemeinheit vor drohenden schwersten Rückfalltaten gefährlicher Gewalt- und Sexualstraftäter zu schützen, ist dem Freiheitsanspruch des Untergebrachten gegenüberzustellen. Ebenso wie der Staat die Grundrechte des Einzelnen zu wahren hat, ist er nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet, sich schützend und fördernd vor das Leben potentieller Opfer zu stellen und deren Leben insbesondere vor rechtswidrigen Angriffen von Seiten anderer zu bewahren (BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 2 BvR 2307/06 - Absatz-Nr. 19, EuGRZ 2010, 145 ff.; Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834/02 u. 1588/02 - Absatz-Nr. 163, 164 jeweils m.w.N., BVerfGE 109, 190 ff. = NJW 2004, 750 ff.; BGH, Beschluss vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 - Absatz-Nr. 68, NJW 2010, 1539 <1544>).

50

Der Schutz vor Verurteilten, von denen auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen und zehnjähriger Sicherungsverwahrung die Gefahr erheblicher Straftaten ausgeht, durch welche die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden, stellt ein überragendes Gemeinwohlinteresse dar.Die Abwägung der Rechtsgüter ergibt daher, dass der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten bis zu einer gesetzlichen Neuregelung (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834/02 u. 1588/02 - Absatz-Nr. 164 a.a.O.) bzw. bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den bereits anhängigen Hauptsacheverfahren 2 BvR 769/10 und 2 BvR 2365/09 (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Dezember 2009 - 2 BvR 2365/09 - und vom 19. Mai 2010 - 2 BvR 769/10 -, beide in juris) hinzunehmen ist. Nach dem angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom [..] und deren vorangegangenem rechtskräftigen Beschluss vom [..] geht von dem Verurteilten nach wie vor die hohe Gefahr gravierender Sexualstraftaten aus, durch die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden. Eine sofortige Entlassung, auf die weder der Untergebrachte selbst noch die Allgemeinheit vorbereitet ist, würde die von ihm ohnehin ausgehende Gefährlichkeit nochmals erheblich erhöhen. Es kann erwartet werden, dass der Gesetzgeber die Entlassung der Straftäter aus der Unterbringung in den „Altfällen“ so regeln wird, dass der Schutz der Allgemeinheit so weit als möglich gewährleistet wird. Bis dahin muss der Freiheitsanspruch hinter dem Gemeinwohlinteresse zurücktreten.“

51

An dieser Rechtsauffassung hat der Senat in Kenntnis der zwischenzeitlich veröffentlichten Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs 4 StR 577/09 vom 12. Mai 2010 in mehreren Parallelverfahren festgehalten (Beschlüsse 1 Ws 240/10 und 1 Ws 248/10 vom 22.06.2010 sowie 1 Ws 249/10 vom 01.07.2010). Aufgrund der inzwischen ergangenen anders lautenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt 3 Ws 485/10 vom 24. Juni 2010 hat der Senat ebenfalls keine Veranlassung gesehen, seine Auffassung zu ändern und hat ergänzend ausgeführt (Beschluss 1 Ws 249/10 vom 01.07.2010):

52

„1. Die zwischenzeitlich veröffentliche Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2010 (Az.: 4 StR 577/09) gibt dazu keine Veranlassung.

53

In seiner Entscheidung, die keine Bindungswirkung entfaltet, vertritt der Bundesgerichtshof die Auffassung, § 2 Abs. 6 StGB sei mit Blick auf die Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden dürfe. Das nationale Recht sei wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der EMRK auszulegen. Nach Maßgabe dieser Grundsätze sei bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK als (einfach-) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsehe (BGH a.a.O.). Die Anwendung des Tatzeitrechts würde im vorliegenden Fall die Dauer der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzen.

54

Der Senat vermag diese Rechtsansicht nicht zu teilen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Entscheidung vom 14. Oktober 2004 (BVerfGE 111, 307 ff. = NJW 2004, 3407 ff.) mit der Frage auseinander gesetzt, in welcher Weise deutsche Gerichte Entscheidungen des EGMR berücksichtigen müssen. Es hat hierzu ausgeführt, dass die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Range eines Bundesgesetzes stünden. Diese Rangzuweisung führe dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden hätten. Die Konvention verhalte sich aber grundsätzlich indifferent zur innerstaatlichen Rechtsordnung und solle anders als das Recht einer supranationalen Organisation nicht in die staatliche Rechtsordnung unmittelbar eingreifen. Innerstaatlich würden durch entsprechende Konventionsbestimmungen in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz sowie durch rechtsstaatliche Anforderungen (Art. 20 Abs. 3, 59 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG) alle Träger der deutschen öffentlichen Gewalt grundsätzlich an die Entscheidungen des Gerichtshofs gebunden. Danach unterlägen auch die deutschen Gerichte einer Pflicht zur Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofs. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische „Vollstreckung” könne aber gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen. Wenn der Gerichtshof in einem konkreten Beschwerdeverfahren unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland einen Konventionsverstoß festgestellt habe und dieser Verstoß andauere, sei die Entscheidung des Gerichtshofs im innerstaatlichen Bereich zu berücksichtigen. Das bedeute, die zuständigen Behörden oder Gerichte müssten sich mit der Entscheidung erkennbar auseinander setzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (vgl. BVerfG a.a.O.).

55

Eben dies hat der Senat in seiner Entscheidung vom 7. Juni 2010 getan und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die schematische Umsetzung der Entscheidung des EGMR mit der bestehenden Gesetzeslage nicht vereinbar ist. Daher vermag sich der Senat auch der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht anzuschließen.

56

Hinzu kommt, dass offenbar auch der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Rechtsauffassung des 4. Strafsenats nicht teilt. In einer ebenfalls am 12. Mai 2010 erlassenen Entscheidung (Az.: 2 StR 171/10) hat der 2. Strafsenat keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 66b StGB geäußert, obwohl diese Norm auch in dem von ihm entschiedenen Fall zum Zeitpunkt des Anlassurteils, das am 14. September 1995 erging, noch nicht in Kraft getreten war. Wäre nach Auffassung des 2. Strafsenats das Tatzeitrecht für die Anordnung der Sicherungsverwahrung maßgeblich, so hätte die von dem Senat getroffene Entscheidung, die auf die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 66b Abs. 2 StGB gestützt wird und eine Zurückverweisung zur neuen Sachverhaltsfeststellung beinhaltet, nicht ergehen dürfen, da die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung erst mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 2004, S. 1838 ff.) geschaffen wurde.

57

2. Der zwischenzeitlich ergangene Beschluss des 3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 24. Juni 2010 (Az.: 3 Ws 485/10) vermag den Senat ebenfalls nicht zu einer Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung zu bewegen.

58

Das Oberlandesgericht Frankfurt hält in seiner Entscheidung eine Berücksichtigung der Entscheidung des EGMR im Zuge der Auslegung von § 2 Abs. 6 StGB dergestalt für möglich, dass für „Altfälle“ die zur Tatzeit geltende Vorschrift des § 67d Abs. 1 S. 1 StGB a.F. zur Anwendung zu bringen sei, die die Dauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzt habe. Dieser Auslegung stehe weder der Wille des Gesetzgebers noch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen.

59

Dem vermag der Senat nicht beizutreten. Es war bei der gesetzlichen Neureglung des Jahres 1998 gerade der erklärte Wille des Gesetzgebers, die neue Rechtslage auch auf Fälle zur Anwendung zu bringen, in denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits in zuvor ergangenen Urteilen getroffen worden war.

60

Davon gehen nun auch der 1. und der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg in zwei ebenfalls am 24. Juni 2010 getroffenen Entscheidungen (Az.: 1 Ws 315/10 und 2 Ws 78/10) aus. Die Senate haben jeweils ausgeführt, dass es im Wege der Auslegung nicht möglich sei, die Regelungen von Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRK nach Maßgabe der Rechtsprechung des EGMR mit der derzeit gültigen deutschen Rechtslage, wie sie vom Bundesverfassungsgericht interpretiert werde, in Einklang zu bringen. Daher verbleibe es bei der Anwendbarkeit der vom Gesetzgeber in § 67d StGB angeordneten Anwendung der Neuregelung auch auf „Altfälle“. Aus Art. 1 a Abs. 3 EGStGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 und aus § 2 Abs. 6 StGB n.F. werde der Wille des Gesetzgebers erkennbar, die Verlängerung der Sicherungsverwahrung auch auf „Altfälle“ anzuwenden. Außerdem müsse der gegenüber den Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRG höherrangige Art. 2 Abs. 2 GG mit der dort vorzunehmenden Berücksichtigung der Grundrechte Dritter – und der sich daraus ergebenden Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor das Leben potentieller Opfer zu stellen und deren Leben vor rechtswidrigen Angriffen Dritter zu bewahren – angewendet und zur Geltung gebracht werden, was ebenfalls einer Umsetzung der Entscheidung des EGMR durch Auslegung entgegen stehe.“

61

Dem hat sich der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz in seinem Beschluss vom 16. Juli 2010 – 2 Ws 253/10 – angeschlossen und nach erneuter Überprüfung der Rechtslage unter Berücksichtigung weiterer, eine andere Meinung vertretender Entscheidungen der Oberlandesgerichte Frankfurt, Schleswig und Karlsruhe zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass gesehen. In seiner Divergenzvorlage gem. § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG vom 1. September 2010 – 2 Ws 370/10 – hat der 2. Strafsenat an der dargestellten Auffassung weiter festgehalten und ergänzend ausgeführt (Beschluss S. 28 f.):

62

„Er sieht die Regelung der „Altfälle“ weiterhin als Aufgabe des Gesetzgebers an. Ohne eine gesetzliche Regelung ist es auch fraglich, ob im Fall einer Erledigung der Unterbringung wegen Erreichens der Höchstfrist gem. § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. dem Schutz der Allgemeinheit zumindest durch Anordnung der Führungsaufsicht Rechnung getragen werden könnte. Das setzte nach § 68 Abs. 2 StGB eine entsprechende Gesetzesvorschrift voraus. Das gem. § 2 Abs. 6 StGB insoweit anzuwendende geltende Recht kennt keine Höchstfrist für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und dementsprechend auch keine Regelung der Führungsaufsicht für eine Erledigung wegen Fristablaufs mehr, so dass in den „Altfällen“ weder § 67d Abs. 3 Satz 2 noch § 67d Abs. 4 Satz 3 StGB unmittelbar einschlägig wären. § 67d Abs. 4 StGB in der vor dem 31. Januar 1998 gültig gewesenen Fassung, der den Eintritt der Führungsaufsicht nach Ablauf der zehnjährigen Höchstfrist für die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorschrieb, ist durch Art. 1 Nr. 4 Buchst. e) des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 aufgehoben worden. Ob das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009, selbst wenn es als „andere gesetzliche Bestimmung“ im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB aufzufassen wäre, die alte Rechtslage nicht nur zur Höchstfrist der Sicherungsverwahrung, sondern auch zur Führungsaufsicht, zu der es sich nicht verhält, wieder aufleben ließe, erscheint zumindest zweifelhaft.

63

Nach Ansicht des Senats kann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung daher nicht allein aufgrund der Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 für erledigt erklärt werden.“

64

Dem schließt sich der 1. Strafsenat an. Er hält nach erneuter Überprüfung der Rechtslage unter Berücksichtigung sämtlicher im folgenden genannter, der beabsichtigten Entscheidung entgegenstehender Beschlüsse der Oberlandesgerichte Frankfurt, Hamm, Schleswig und Karlsruhe an seiner Rechtsprechung fest, dass in Altfällen die erstmalige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug der Maßregel nicht allein wegen Erreichens der Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB in der bis zum 31. Januar 1998 gültigen Fassung für erledigt zu erklären, sondern auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) in diesen Fällen weiterhin § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB anzuwenden ist.

B.

65

Die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung kann nicht für erledigt erklärt werden.

66

§ 67d Abs. 3 Satz 1 StGB bestimmt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis dahingehend, dass die Unterbringung nach einer zehnjährigen Vollzugsdauer zwingend für erledigt erklärt werden muss, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hangs weitere erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Danach setzt die Erledigung der Maßregel keine positive Prognose voraus. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, dass sich die Gefährlichkeit nach Ablauf von zehn Jahren regelmäßig erledigt hat. Zweifel an der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten müssen sich daher zugunsten des Untergebrachten auswirken. Der Fortbestand der Unterbringung ist nur gerechtfertigt, wenn konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte vorliegen, dass die Gefährlichkeit des Untergebrachten entgegen der gesetzlichen Vermutung weiter fortbesteht (BVerfG, Beschluss vom 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, Absatz-Nr. 111; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 67d Rn. 15).

67

Eine solche negative Prognose ist dem Beschwerdeführer vorliegend zu stellen. Der Untergebrachte ist nach wie vor gefährlich. Der Senat ist davon überzeugt, dass von dem Untergebrachten auch nach zwanzigjährigem Maßregelvollzug infolge seines Hanges noch eine hohe Gefahr weiterer schwerer Gewaltstraftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erwachsener Frauen ausgeht. Von ihm sind weitere Straftaten der schweren und der besonders schweren Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3, Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2 lit. a StGB zu erwarten. Die Vergewaltigung zählt als Verbrechen zu den Katalogtaten gem. § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB, der, ebenso wie § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB, durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden ist. Aus der darin zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers folgt, dass bereits die nicht nach § 177 Abs. 3 oder 4 StGB qualifizierte Vergewaltigung als erhebliche Straftat mit der Gefahr schwerer körperlicher oder seelischer Schäden für die Opfer im Sinne der genannten Vorschrift des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB einzustufen ist. Das gilt hier umso mehr, als von dem Untergebrachten mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin Vergewaltigungen unter Einsatz gefährlicher Werkzeuge, wie Messer und Schraubenzieher – wie bei den Taten vom 14. Juni 1976, vom 1. - 4. September 1983 und vom 5. September 1983 – und weiterhin auch Vergewaltigungen drohen, die – wie die Tat vom 1. - 4. September 1983 – das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringen oder bei denen das Opfer – wie bei der Tat vom 5. September 1983 – körperlich schwer misshandelt wird.

68

Die negative Prognose ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. ...[K], das den Senat uneingeschränkt in die Lage versetzt, die Rechtsfrage des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB eigenverantwortlich zu beantworten.

69

1. Das Gutachten hält der richterlichen Kontrolle stand. Es entspricht den an ein Prognosegutachten zu stellenden Anforderungen der Vollständigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit (BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 -, Absatz-Nr. 120 - 123, BVerfGE 109, 133 ff. = NJW 2004, 739 ff.; Senat StV 1999, 496, 497 und Beschluss 1 Ws 141/07 vom 19.11.2007; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2006, 90 <92 f.>; KG NStZ 1999, 319, 320; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537 ff.).

70

a) Die vom Sachverständigen verwerteten Erkenntnisquellen sind offen gelegt. Sie werden auf Seite 8 bis 135 des Gutachtens ausführlich dargestellt. Die Aufstellung verdeutlicht, dass alle Möglichkeiten der Sachaufklärung genutzt worden sind.

71

b) Die aus diesen Quellen erlangten Anknüpfungs- und Befundtatsachen hat der Sachverständige ausführlich beschrieben. Die Darstellung der aus dem Aktenmaterial gewonnenen Informationen (Gutachten Punkt 1., Seite 8 – 85) lässt erkennen, dass die zur Verfügung stehenden schriftlichen Unterlagen umfassend und sorgfältig ausgewertet worden sind. Insbesondere hat der Sachverständige über die Akte des Erkenntnisverfahrens und das Vollstreckungsheft hinaus die erste Vorstrafakte – 5 Js 6822/76 StA Kaiserslautern – nebst Vollstreckungsheften und Führungsaufsichtakte, weiter die vollständige Gefangenenpersonalakte und die in der Justizvollzugsanstalt Diez geführte Gesundheitsakte durchgearbeitet. Bei der zweiten Vorstrafakte – 13 Js 9300/77 StA Zweibrücken –, die der Sachverständige gleichfalls angefordert hatte, war das indes nicht möglich, weil sie bereits vernichtet worden ist (vgl. Akte 6 Js 7461/83 VRs 2783/84 StA Zweibrücken, Bl. 256R). Der Sachverständige hat sich mit allen psychiatrischen und psychologischen Vorgutachten und Befunden befasst. Er hat am 22. Juni 2010 und am 5. Juli 2010 ausführliche Explorationsgespräche mit dem Untergebrachten geführt (Gutachten Punkt 2. und 3., Seite 85 - 124) und hat ihn an diesen Tagen neurologisch, psychiatrisch und testpsychologisch untersucht (Gutachten Punkt 4.1. - 4.3., Seite 124 - 130). Auf Grundlage der durchgeführten Aktenanalyse sowie der Exploration und Untersuchung des Beschwerdeführers hat er seine ärztliche Diagnose nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 gestellt und sie anhand der Anknüpfungs- und Befundtatsachen eingehend, verständlich und überzeugend erläutert (Gutachten Punkt 5., Seite 135 - 147 des Gutachtens). Ihr vorangestellt hat er eine Persönlichkeitsanalyse nach wissenschaftlich anerkannten Verfahren. Unter Anwendung des SVR 20 hat er das vom Untergebrachten ausgehende Risiko sexueller Gewalttätigkeit untersucht (Gutachten Punkt 4.4.1., Seite 130 - 133) und mit dem HCR-20+3 das in seiner Person bestehende allgemeine Gewaltrisiko erfasst (Gutachten Punkt 4.4.2., Seite 133 - 135).

72

c) Die Auswertung der Erkenntnisquellen und die Bewertung der Ergebnisse zeigen, dass die Begutachtung sich nicht nur auf Teilaspekte der prognoserelevanten Umstände beschränkt, sondern das feststellbare Verhalten des Untergebrachten und die sich darin abbildende Persönlichkeitsentwicklung über seine gesamte Lebenszeit in Breite und Tiefe beleuchtet hat. Die erforderliche Auseinandersetzung mit den Anlassdelikten, der prädeliktischen Persönlichkeit des Untergebrachten, seiner postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung, dem sozialen Empfangsraum im Fall seiner Freilassung und seinem Verhalten während des Vollzugs einschließlich etwaigen gewährten Lockerungen (vgl. BVerfG a.a.O.) ist darin enthalten. Das Gutachten stützt sich damit auf eine tragfähige Prognosebasis.

73

d) Zur Beantwortung der entscheidenden Prognosefrage hat der Sachverständige die erzielten Ergebnisse einer zusammenfassenden Gesamtschau unterzogen. Er hat dabei die in der forensisch-psychiatrischen Praxis und Fachliteratur anerkannten Kriterien zur Beurteilung des Rückfallrisikos besonders gefährlicher Straftäter nach Dittmann angewandt und anhand dieser eine sowohl delikts- als auch persönlichkeitsspezifische Individualprognose angestrebt. Er hat versucht, zu jedem Kriterium günstige und ungünstige Faktoren zu benennen. Diese hat er unterschieden in statische, unveränderbare, im Wesentlichen aus der Vorgeschichte des Probanden ableitbare Faktoren, von deren Gewicht es abhängt, ob eine Verhaltensbeeinflussung überhaupt möglich ist, und dynamische Faktoren, die durch Therapie und andere Maßnahmen in bestimmten Grenzen modifizierbar sind.

74

2. Keines der anerkannten wissenschaftlichen Kriterien spricht für eine günstige Prognose.

75

a)Negativ fällt zunächst die dem Untergebrachten zu stellende Diagnose ins Gewicht.

76

Bei ihm besteht eine kombinierte Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 F 61.0 mit ängstlich-vermeidenden (ICD-10 F 60.6), passiv aggressiven und dissozialen Anteilen (ICD-10 F 60.2). Diese bestand bereits zur Zeit seiner Delinquenz, und zwar nicht nur der Anlasstaten, sondern auch der früheren Straftaten und besteht unverändert und auch durch Therapieversuche unkorrigiert fort. Diese Zeit überdauernde Störung erfüllt nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit gem. § 20 StGB. Davon war auch das im Erkenntnisverfahren eingeholte psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Dr. ...[L] nicht ausgegangen. Solches lässt sich auch den im Maßregelvollstreckungsverfahren eingeholten Gutachten anderer Sachverständiger nicht entnehmen. Der zeitweilig bestehende Verdacht einer Psychose mit paranoiden Wahnideen hat sich nicht bestätigt. Wenn der Störung auch der Krankheitswert in diesem engeren Sinne fehlt, so hat sie aber doch den Untergebrachten dauerhaft in seinem Erleben und Verhalten geprägt.

77

aa) Die allgemeinen Kriterien für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 F 60.- sind gegeben. Bei dem Untergebrachten bestehen charakteristische und dauerhafte Erfahrens- und Verhaltensmuster, die deutlich von allgemein erwarteten und akzeptierten Vorgaben abweichen, wobei sich diese Entwicklung sowohl in Intensität und Angemessenheit der emotionalen Ansprechbarkeit und Reagibilität als auch in der geminderten Impulskontrolle und der Bedürfnisbefriedigung wie auch im Umgang mit anderen Menschen und in der Handhabung zwischenmenschlicher Beziehungen äußert. Bei dem Untergebrachten besteht ein persönlicher Leidensdruck, den er aufgrund seiner massiven Ängste und Hemmungen bislang in einer Therapie nicht klären und überwinden konnte. Die psychischen Abweichungen sind stabil und Zeit überdauernd, wobei sie in Kindheit und Adoleszenz zurückreichen. Der Untergebrachte hat gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen angegeben, bereits in der Grundschule unter dramatischer Schulangst, Gehemmtheit, Selbstunsicherheit und Kontaktschwierigkeiten zu Mitschülern gelitten zu haben. Bereits zu dieser Zeit setzten soziale Isolierung und emotionale Vereinsamung ein. Verstärkt wurde die Problematik zunächst im Alter von 8 oder 9 Jahren, als er nach einer Gehirnerschütterung zu stottern begann. Dieses Sprachproblem besteht noch heute. Im Alter von 15 Jahren trat bei ihm auf die Dauer von 10 Jahren eine schwere Form der Gesichtsakne auf, die zu weiteren Hemmungen führte, Beziehungen zum weiblichen Geschlecht aufzubauen. Er zog sich mehr und mehr zurück, fühlte sich depressiv und minderwertig. Weiter verstärkt wurde die Problematik durch einen bereits mit 17 Jahren einsetzenden Haarausfall. Zu dieser Zeit unternahm er den ersten Suizidversuch mit Schmerzmitteln. Mitte der 1970er Jahre folgten zwei weitere Suizidversuche mit Schlaftabletten und im Frühjahr 1976 – wenige Wochen vor seinen ersten Straftaten – ein Suizidversuch mit Autoabgasen. Die Ängste haben sich durch sein ganzes Leben fortgesetzt und bestehen – auch nach eigenen Angaben des Untergebrachten gegenüber dem Sachverständigen – bis heute.

78

bb) Innerhalb der allgemeinen Persönlichkeitsstörung des Untergebrachten besteht als Akzentuierung eine ängstlich vermeidende Komponente (ICD-10 F 60.6). Aus Furcht vor Kritik, Missbilligung und Ablehnung vermied der Untergebrachte Zeit seines Lebens berufliche und soziale Aktivitäten, die intensiven zwischenmenschlichen Kontakt erfordern. Außer zum Vater und seiner – zwischenzeitlich verstorbenen – Mutter ist er noch keine weiteren längerfristigen intensiven persönlichen Kontakte eingegangen. Lediglich im Jugendlichenalter hatte er eine Beziehung zu einer jungen Frau, die allerdings nur ein Jahr anhielt. Auch im Maßregelvollzug bestand stets eine ausgeprägte Rückzugstendenz.

79

cc) Als Akzentuierung der Persönlichkeitsstörung besteht ferner eine passiv aggressiv (Untergruppe der sonstigen spezifischen Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10 F 60.8) und sadistisch geprägte dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F-60.2).

80

Der Untergebrachte verhält sich vorwiegend ängstlich-vermeidend. Dahinter verbirgt sich indes eine Innenwelt, über die er nicht spricht, die aber in einer – erstmals von dem Sachverständigen Dr. ...[K] näher untersuchten – Notiz, die der Untergebrachte selbst handschriftlich verfasst hatte und bei der Ausführung der letzten Anlasstat mit sich führte, bei der er mit rigoroser Gewalt gegen das Opfer vorging und es schwer verletzte. Die Notiz (Original Hülle Bl. 10der Akte 4066 Js 7461/83; Fotokopie VH Bl. 879) hat folgenden – vom Untergebrachten im Anhörungstermin bestätigten – Wortlaut:

81

„Habe niemals Mitleid oder Gewissensbisse (Jack Mesrin). Besser tot, als dieses Leben weiterzuführen. Heute ist der Tag gekommen, an welchem du alles zum Ende bringen kannst. Die letzte Chance, denn ein Leben ohne Liebe ist ein Leben ohne Sinn. Nur wenn du etwas mit Freude tust, wirst du feststellen, dass du, wenn du es immer fort tust, es dir auch mehr Freude bereitet. Für ein Verbrechen gibt es nur eine Alternative, Verbrechen oder Tod.“

82

Im Anhörungstermin vor dem Senat hat der Untergebrachte glaubhaft angegeben, die Notiz am 5. September 1983 unmittelbar vor seiner letzten Tat auf der Bahnfahrt von …[T] nach …[S] gefertigt zu haben. „Jack Mesrin“ (gemeint ist Jacques Mesrine) sei ein französischer Krimineller, dessen Buch „Der Todestrieb“ er 1980 während seiner ersten Inhaftierung in der Gefängnisbücherei der Justizvollzugsanstalt Diez ausgeliehen und gelesen habe. Aus diesem Buch, das ihn beeindruckt habe, habe er in der Notiz seiner Erinnerung entsprechend zitiert.

83

Bei Jacques Mesrine handelt es sich tatsächlich um einen Kriminellen, der in den 1970er Jahren aufgrund seiner bei Raubüberfällen, Entführungen, Gefangenenbefreiungen und auf der Flucht demonstrierten Gewalttätigkeit einschließlich mehrerer Morde zum französischen „Staatsfeind Nr. 1“ avancierte und Ende 1979 von der französischen Polizei getötet wurde.

84

Die vom Untergebrachten gefertigte Notiz spiegelt nicht nur seine Innenwelt zur Zeit der letzten Anlasstat wider. Er hat sich vielmehr spätestens seit 1980 mit Vernichtungsphantasien beschäftigt, die er zumindest bei der zweiten Anlasstat unmittelbar ausgelebt hat. Sie macht die impulsive und eruptive Gewaltanwendung gegenüber seinen weiblichen Opfern aus diagnostischer Sicht verständlich. Diese Innenwelt ist bislang nicht aufgearbeitet und verbirgt sich hinter der Ängstlichkeit und Passivität vor einer entsprechenden Therapie. Während er der Frau bei der zweiten Anlasstat mit einem Schraubenzieher schwere, bis zu 15 cm lange Schnitt- und Stichverletzungen an Schultern, Rücken, Hals und Brust sowie Prellungen am ganzen Körper zugeführt, ihr mit seinen Fingern in die Augen gestochen, ihr Haare ausgerissen und ihr gedroht hatte, den Schraubenzieher in ihr Geschlechtsteil zu stoßen, während er sie würgte und zum Oralverkehr zwang, und schließlich während des Vaginalverkehrs weiter auf sie eingestochen hatte, erklärte er dem Sachverständigen Dr. ...[K], das Opfer habe „ein Paar Kratzer“ davongetragen. Auch im Anhörungstermin war er zu einer anderen Sicht nicht fähig, wobei sich die fehlende Opferempathie eindrucksvoll auch darin widerspiegelt, dass er ausgeführt hat, er habe dem Opfer immerhin 800 DM Schmerzensgeld zukommen lassen.

85

Zugleich offenbaren die Anlasstaten und die frühere Vergewaltigung eine massive sadistische Komponente der Persönlichkeitsstörung, die zu massiven dissozialen und impulsiven Handlungen führt. Überwindet der Untergebrachte seine sonst gegebenen Ängste, so fehlen ihm Regulierungs- und Kompensationsmöglichkeiten, sobald es zu sexuellen Übergriffen kommt. Denn durch das übermäßige Anwenden von Gewalt wird sein Selbstwertgefühl stabilisiert und Opferempathie ist ihm fremd. Während der Sachverständige Prof. Dr. ...[H] die in den Anlasstaten zu Tage getretene sadistische Komponente einer Störung der Sexualpräferenz zuordnet, hat Dr. ...[K] sie der Persönlichkeitsstörung zugeordnet, was angesichts der mit diesen Handlungsweisen zu stabilisierenden Selbstunsicherheit des Untergebrachten nahe liegt. Für die Annahme einer Störung der Sexualpräferenz im Sinne eines Sadismus (ICD-10 F 65.5) fehlen zureichende weitere Anhaltspunkte. Insbesondere ist nicht geklärt, ob die sadistischen Handlungsweisen mit einem Lustgewinn des Untergebrachten verbunden waren. Das könnte nur festgestellt werden, wenn dieser sich öffnen würde und über die Beweggründe seiner Verhaltensweisen Auskunft gäbe.

86

dd) Die in der Vergangenheit zu Tage getretenen Persönlichkeitsstörungen haben im Vollzug auch nach 27 Jahren keine Abmilderung erfahren.Sie sind auch in der prognostischen Einschätzung des Untergebrachten nicht zu relativieren.Denn eine Korrektur der Störung hat weder durch eine therapeutische Aufarbeitung noch in sonstiger Weise stattgefunden. Bedingt durch seine ängstlich vermeidende Störung hat sich der Untergebrachte bislang jeglichem therapeutischen Zugang verschlossen. Die von Dezember 1990 bis Juni 1991 mit einer externen Therapeutin in der Justizvollzugsanstalt Diez geführten Gespräche brach er ebenso ab wie die unmittelbar nach Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt ...[W] aufgenommenen Gespräche mit dem Anstaltspsychologen. Die im März 2002 begonnenen Gespräche mit einem externen Therapeuten mussten alsbald beendet werden, weil der Beschwerdeführer nicht über die seinen Taten zugrunde liegenden Probleme sprach. Aus diesem Grund konnten auch die therapeutischen Gespräche, die er von Frühjahr 2004 bis Herbst 2005 wöchentlich mit OPR ...[E] in der Justizvollzugsanstalt Diez geführt hatte, die grundlegende Primärpersönlichkeit nicht erreichen und blieben deshalb ohne irgendeinen Therapieerfolg. Das gilt insbesondere für die aggressiv-sadistischen Reaktionstendenzen im Zusammenhang mit dem Ausleben der Sexualität. Auch gegenüber diesem Therapeuten gelang es dem Untergebrachten ebenso wenig, über sein Inneres und seine Innenwelt zu sprechen, wie gegenüber dem Sachverständigen Dr. ...[K]. Von diesem auf seine Ängste angesprochen, verharrte er – wie auch in verschiedenen Anhörungsterminen vor den Strafvollstreckungskammern – in Schweigen, um schließlich die Frage des Sachverständigen, ob er überhaupt in der Lage sei, dies mitzuteilen, mit Erleichterung zu verneinen, weil damit jeder weiteren Befragung zu diesem Thema die Grundlage entzogen war. Der Sachverständige fand den Untergebrachten in der Exploration genau so vor, wie er zur Zeit seiner schweren Sexualstraftaten war. Er ist weiterhin sozial isoliert, emotional vollkommen reduziert und kann keine Opferempathie darstellen. Er war nicht einmal in der Lage, über die Anlasstaten und seine früheren Straftaten zu sprechen, und zeigte in den Explorationsgesprächen oberflächliche Verleugnungs- und Verdrängungstendenzen. An der Ausgangsproblematik hat sich demnach nichts geändert. Die sich jetzt darstellende Persönlichkeit ist mithin – entgegen der Annahme des während der Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt ...[W] zweimal mit Prognosegutachten beauftragten Sachverständigen Dr. ...[D] – kein Ausdruck der langen Unterbringung. Nach wie vor besteht eine zwingende Therapienotwendigkeit. Eine Veränderungsbereitschaft hat der Verurteilte in den Gesprächen mit dem Sachverständigen nicht erkennen lassen. Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist es im Gegenteil zu einer „Zementierung“ der Abwehrhaltung gekommen. Der Beschwerdeführer geht nämlich davon aus, dass er aufgrund dieser Entscheidung alsbald freigelassen werden müsse und Anspruch auf eine Haftentschädigung von 150.000 € habe.

87

Auch im Anhörungstermin hat der Untergebrachte über die sadistischen Verhaltensweisen und die ihnen zugrundeliegende Motivation nicht sprechen können. Er erklärte lediglich, damals sei eine andere Situation gewesen. Wegen seiner Akne sei er vereinsamt gewesen und habe deswegen mehrere Suizidversuche unternommen gehabt. Außerdem habe er bei den Anlasstaten unter der Wirkung von Lexotanil und Alkohol gestanden. Auf den Vorhalt, dass dies allein die sadistischen Handlungsweisen nicht erklären könne, blieb er weitere Erklärungen schuldig.

88

b) Sämtliche Kriterien zur Beurteilung des Rückfallrisikos besonders gefährlicher Straftäter nach Dittmann sind prognostisch ungünstig, überwiegend sogar außerordentlich ungünstig, so dass nach diesen Kriterien insgesamt eine außerordentlich ungünstige Prognose zu stellen ist.

89

aa) Die Analyse der beiden Anlasstaten (Gutachten Punkt 6.1.1, S. 149 - 156), die sich vom 1. bis 4. September 1983 und am 5. September 1983, mithin in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang ereignet haben, ergibt, dass es sich um Seriendelikte von besonders brutalen Vergewaltigungen mit übermäßiger Gewaltanwendung im Sinne eines Overkills gehandelt hat, bei denen eine sadistische Komponente des Untergebrachten zum Durchbruch gekommen ist. Er hat beide Opfer vollkommen unterworfen und erniedrigt, hat ihnen Schmerzen zugefügt und sie – bei der ersten Anlasstat über mehrere Tage fortdauernd – mit dem Tod bedroht. Das erste Opfer betäubte er außerdem mit Beruhigungstabletten. Dem zweiten Tatopfer fügte er durch wahlloses Einstechen schwerste Ritzverletzungen mit einem Schraubenzieher zu. Angesichts des Inhalts des Notizzettels, den der Untergebrachte bei der letzten Anlasstat mitgeführt hat, ist es eher dem Zufall zu verdanken, dass das Opfer dieser Tat nicht zu Tode gekommen ist. Die Opferwahl war vollkommen zufällig. In beiden Taten kamen einerseits impulsive Elemente zum Tragen, andererseits aber auch gezielt planerisches Handeln, denn er führte Messer bzw. einen Schraubenzieher als Tatwerkzeuge mit. Gegenüber beiden Opfern zeigte er keinerlei Empathie. Beide Taten gingen mit Devianzelementen einher, indem er dem ersten Opfer das Ejakulat ins Gesicht spritze, ihm beim Verrichten der Notdurft zusah und mit dem Messer an der Scheide des Opfers manipulierte. Dem zweiten Opfer drohte er, den Schraubenzieher in das Geschlechtsteil zu stoßen. Die gesamte Konstellation der Anlasstaten spricht damit für die Handlung einer gravierend gestörten dissozialen Persönlichkeit. Die Ergebnisse der Analyse der Anlasstaten wirken sich prognostisch außerordentlich ungünstig aus.

90

Die statistische Rückfallquote für Sexualdelikte beziffert der Sachverständige auf der Grundlage der in der Literatur speziell für die Fälle aggressiver Sexualstraftäter dargestellten Raten auf 76% bei einer Beobachtungsdauer von 30 Jahren.

91

bb) Der sich aus der Analyse der Anlasstaten ergebende Negativaspekt wird verstärkt durch die bisherige Kriminalitätsentwicklung des Untergebrachten (Gutachten Punkt 6.1.2 S. 156 - 158).

92

Auch die früheren Straftaten des Untergebrachten – zwei Fälle des schweren Raubes, eine Vergewaltigung und eine schwere Brandstiftung – gingen mit teils übermäßiger Gewaltanwendung einher. Bei den ersten drei Taten handelte es sich wie bei den Anlasstaten um eine Deliktserie, bei der er planerisch vorging, indem er eine Schusswaffe und Messer mit sich führte und sein Fahrzeug dergestalt präpariert hatte, dass die Opfer es nicht verlassen konnten. Die schwere Brandstiftung war impulsiv von Rache geprägt. Bei allen Taten fällt das rigorose Vorgehen auf. Dieses fest gefügte Verhaltensmuster begründet verbunden mit der Tatsache, dass er sich durch die Verbüßung von insgesamt viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe nicht hat beeindrucken lassen, sondern nur 15 Monate nach der Haftentlassung die Anlasstaten begangen hat, einen besonders ungünstigen Prognoseaspekt.

93

cc)Außerordentlich ungünstig auf die Prognose wirkt sich auch die Persönlichkeit des Untergebrachten aus (Gutachten Punkt 6.1.3, S. 158 - 161).

94

Wie bereits dargelegt, leidet der Untergebrachte an einer chronifizierten kombinierten Persönlichkeitsstörung mit ängstlich vermeidenden, passiv aggressiven und dissozialen Anteilen, die einen unmittelbaren Bezug zur Delinquenz, insbesondere zu den begangenen Sexualstraftaten hat, und nach wie vor unverändert fortbesteht. Sie ist verbunden mit einer falschen Selbsteinschätzung in Bezug auf Risikosituationen. Sein sexuelles Interesse, das er – wie im Explorationsgespräch mit dem Sachverständigen und bei seiner Anhörung durch den Senat deutlich gemacht hat – in Freiheit auch ausleben möchte, gilt nach wie vor erwachsenen Frauen. Regulierungsmechanismen, die erneute Sexualstraftaten verhindern könnten, kann er nicht formulieren. Die Gefahr, dass er zur Stabilisierung des eigenen Selbstwertgefühls erneut schwerste Sexualstraftaten begehen wird, ist deshalb außerordentlich hoch. Das gilt umso mehr, als er die therapeutisch völlig unbearbeitete aggressiv-sadistische Komponente in seinen Handlungsweisen nicht realisiert, sie vielmehr dissimuliert und behauptet, das Opfer der zweiten Anlasstat habe allenfalls ein Paar Kratzer abbekommen. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Untergebrachte jedenfalls im Zusammenhang mit der zweiten Anlasstat Todes- und Vernichtungsphantasien aufwies.

95

Die Gefahr neuer schwerer Sexualstraftaten wird durch den physischen Gesundheitszustand des Untergebrachten nicht gemindert. Nach dem unten I. C. dargestellten Gutachten des internistischen Sachverständigen Dr. ...[J] ist der Untergebrachte trotz seiner internistischen und orthopädischen Erkrankungen durchaus zu massiven Gewalthandlungen in der Lage. Diese Einschätzung stimmt mit dem Eindruck überein, den der Senat im Anhörungstermin von der körperlichen Verfassung des Beschwerdeführers gewonnen hat. Dieser konnte sich im Gerichtsgebäude mit Hilfe seiner Unterarmgehstützen ausgesprochen flink fortbewegen und ließ dabei keine Kurzatmigkeit erkennen. Die Möglichkeit einer erektilen Dysfunktion bei dem Untergebrachten aufgrund seiner Diabeteserkrankung, auf die der internistische Sachverständige hingewiesen hat, ist nur theoretischer Natur. Der Untergebrachte hat dem psychiatrischen Sachverständigen nämlich ausdrücklich erklärt, derzeit etwa wöchentlich mit Samenerguss zu onanieren, wobei die Erektion nicht mehr so wie früher sei. Er wolle nach wie vor den Geschlechtsverkehr mit einer erwachsenen Frau ausführen, was er sich in seiner Phantasie auch vorstelle. Das traue er sich trotz seiner körperlichen Behinderungen zu. Wenn seine Erektion nicht ausreiche, werde er Viagra nehmen, worüber er sich im Gespräch mit dem Sachverständigen sehr gut informiert zeigte. Eine nachhaltige Abmilderung des sexuellen Verlangens oder der Möglichkeit, Sexualität auszuüben, ist mithin nicht gegeben. Die Angaben gegenüber dem Sachverständigen hat der Untergebrachte bei seiner Anhörung durch den Senat bestätigt. Dabei zeigte er sich auch hinsichtlich der gesundheitlichen Risiken beim Einsatz von Viagra bei bestehender Herzerkrankung informiert, weshalb er dieses Medikament nur „notfalls“ einsetzen will.

96

dd) Auch das Prognosekriterium der Einsicht in die tatauslösenden Umstände ist ungünstig zu gewichten (Gutachten Punkt 6.1.4, S. 161 f.). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegt bei dem Untergebrachten keine ausreichende Einsicht vor. Die Fragen des Sachverständigen nach den auslösenden Umständen und dem genauen Hergang der Taten versuchte er im Explorationsgespräch abzuwehren, indem er sich teilweise auf Erinnerungslosigkeit berief oder die Taten bagatellisierte („ein Paar Kratzer“). Er erkennt seine gestörte Persönlichkeitsdisposition nicht und hat selbst keinen Zugang zu seiner Innenwelt. Die fehlende Einsicht des Untergebrachten hat im Anhörungstermin vor dem Senat ihre Bestätigung gefunden (s. dazu oben II. B. 2. a. dd.).

97

ee)Das Prognosekriterium der sozialen Kompetenz (Gutachten Punkt 6.1.5, S. 162 f.) ist nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen außerordentlich negativ. Bedingt durch die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung mit einem geringen Selbstvertrauen ist der Untergebrachte nicht in der Lage, sich an wechselnde Situationen anzupassen. Schon vor der Inhaftierung war er aufgrund seiner Persönlichkeitsdefizite sozial desintegriert und in seiner Kommunikationsfähigkeit gestört. Außer einer kurzzeitigen Beziehung in seiner Jugend hatte er keine Partnerschaften. Auch zu stabilen Arbeitsverhältnissen war er nicht in der Lage. Die Defizite in der sozialen Kompetenz zeigen sich auch in seinem Rückzugsverhalten im Maßregelvollzug und im Ausweichen vor Therapien.

98

ff)Die gleiche außerordentlich ungünstige prognostische Gewichtung ergibt sich für das spezifische Konfliktverhalten (Gutachten Punkt 6.1.6, S. 163 f.). Der Untergebrachte weist eine störungstypische geringe Frustrationstoleranz und eine übersteigerte Impulsivität auf. Letztere zeigt sich nicht nur in den Anlasstaten, sondern auch in seinen vier früheren Straftaten. Seine Taten zeigen, dass er nicht nur immer wieder in Konfliktsituationen gerät, sondern sie regelmäßig gezielt herbeiführt, um in stereotyper Weise mit außerordentlich gewalttätigem Verhalten zu reagieren.

99

gg)Auch eine Auseinandersetzung mit der Tat (Gutachten Punkt 6.1.7, S. 164 f.) ist noch nicht in dem gebotenen Maß erfolgt, weshalb auch dieses Prognosekriterium prognostisch ungünstig zu gewichten ist. Der Beschwerdeführer bagatellisiert die Anlasstaten ebenso wie die den Vorstrafen zugrunde liegenden Taten. Er beruft sich entweder auf fehlende Erinnerung oder verharmlost sie in einer Weise, dass Reue oder Opferempathie nicht im Ansatz vorliegen. Er hat sich auch bei den längerfristig durchgeführten therapeutischen Gesprächen mit OPR ...[E] nicht differenzierter mit den eigenen Motiven und Beweggründen der Anlasstaten auseinandergesetzt.

100

hh) Die Untersuchung der Therapiemöglichkeiten (Gutachten Punkt 6.1.8 – 6.1.10, S. 165 f.) führt zu keiner Verbesserung der Zukunftsprognose. Die bei dem Untergebrachten vorliegende kombinierte Persönlichkeitsstörung mit den bereits dargestellten Komponenten ist nach dem gegenwärtigen Stand der psychiatrischen, psycho- und soziotherapeutischen Verfahren nur außerordentlich schwer, möglicherweise gar nicht behandelbar. Bereits der Gutachter des Erkenntnisverfahrens hatte darauf hingewiesen, dass die Störung nach seiner Einschätzung jeder Therapie unzugänglich sei. Vollzugsinterne Angebote lehnt der Untergebrachte ab. Eine Institution, in der der Beschwerdeführer zum gegenwärtigen Zeitpunkt außerhalb der Sicherungsverwahrung behandelt werden könnte, steht wegen mangelnden Angebots nicht zur Verfügung. Er lässt – blockiert durch innerseelische Mechanismen – keine Bereitschaft erkennen, sich nunmehr ernsthaft mit seiner Störung auseinanderzusetzen. Auch im Anhörungstermin vor dem Senat hat er die Ansicht vertreten, keiner weiteren Therapie zu bedürfen. Er hat deutlich gemacht, allenfalls dann eine weitere Therapie durchzuführen, wenn das Gericht das von ihm verlange. Auf die Frage, ob er sich dann bemühen wolle, für seine Taten in den konkreten sadistischen Ausführungsformen nicht nur vordergründige Erklärungen zu liefern („damals bestehende“ Vereinsamung bzw. Lexotanil-/Alkoholwirkung), ist er eine Antwort schuldig geblieben.

101

ii)Unter den gegenwärtigen Umständen ist auch ein sozialer Empfangsraum für den Untergebrachten noch nicht gegeben (Gutachten Punkt 6.1.11, S. 166 - 168). Der Beschwerdeführer hat keine sozialen Kontakte und Bindungen außerhalb des Vollzugs. Die Mutter, mit der er früher zumindest telefonierte, ist inzwischen verstorben. Im Explorationsgespräch konnte er gegenüber dem Sachverständigen noch gar keine konkreten und realisierbaren Pläne formulieren. Bei seiner Anhörung durch den Senat konnte er immerhin berichten, dass er sich auf Initiative einer Sozialarbeiterin der Justizvollzugsanstalt Diez in einem Pflegeheim für Senioren in …[T] vorgestellt habe, eine Kostenzusage aber noch fehle. Selbst wenn der Untergebrachte über eine Wohnung und finanzielle Absicherung verfügen würde, wäre damit kein sozialer Empfangsraum gegeben. Dieser müsste zwingend Kontrollmöglichkeiten umfassen. Der Untergebrachte ist trotz seiner Gehbeeinträchtigung und kardiologischen Probleme keineswegs immobil. Er kann längere Strecken innerhalb der Justizvollzugsanstalt mit Hilfe von Unterarmgehstützen zurücklegen. Er selbst möchte Geschlechtsverkehr mit einer erwachsenen Frau und dafür notfalls auf Viagra zurückgreifen. Potentielle Opfer könnte er sich – etwa unter Vorgabe anderer Gründe – auch in seine Wohnung einbestellen. Auch zu Gewalthandlungen ist er nach der überzeugenden Einschätzung des internistischen Sachverständigen körperlich ohne weiteres in der Lage. Auch dieses Prognosekriterium ist deshalb ungünstig zu gewichten.

102

jj)Schließlich ergibt sich auch aus dem letzten Prognosekriterium, dem Entwicklungsverlauf nach den Taten (Gutachten Punkt 6.1.12, S. 168 f.), kein positiver, sondern ein weiterer ungünstiger Aspekt. Wie bereits ausgeführt, ist seit den Anlasstaten keine Veränderung der Verhaltensdisposition und der Persönlichkeitsstruktur eingetreten. Er weist nach wie vor diejenige kombinierte Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden, passiv-aggressiven und dissozialen Anteilen auf, wie sie sich durchgängig seit der Kindheit auch in der bisherigen Kriminalitätsentwicklung gezeigt hat. Sein äußerlich angepasstes Vollzugsverhalten kann sich prognostisch nicht günstig auswirken. Es ist geradezu typisch für die ängstlich-vermeidende Komponente seiner Störung.

103

c) Die außerordentlich ungünstige Prognose anhand der Kriterien nach Dittmann findet Bestätigung in den vom Sachverständigen weiter angewendeten aktuarischen Verfahren.

104

aa) Das gilt zunächst für das Prognose-Verfahren HCR-20+3, mit dem das Gewaltrisiko erfasst wird (Gutachten Punkt 4.4.2, S. 133 - 135).

105

Der Beschwerdeführer erreicht einen Punktewert von insgesamt 29 von maximal erreichbaren 44 Punkten, aufgeteilt auf 11 von 24 möglichen für die statischen, nicht abänderbaren Variablen der Vergangenheit (erfasst werden Alter bei Erstdelinquenz, Alter bei erster Gewalttat, frühere Gewaltanwendung, Stabilität in Paarbeziehungen, Stabilität in Arbeitsverhältnissen, Vorgeschichte von Alkoholabusus, Vorgeschichte von Drogenabusus, Vorhandensein einer psychischen Störung, Vorhandensein einer Psychopathy-Persönlichkeit, Anpassungsstörungen in Kindheit und Jugend, Vorhandensein einer Persönlichkeitsstörung, Verstöße gegen Bewährungsauflagen), 8 von 10 möglichen für die klinischen Variablen der Gegenwart (erfasst werden Mangel an Einsicht, grundsätzliche Lebenseinstellungen, aktive Symptomatik, Impulsivität, fehlender Behandlungserfolg) und 10 von 10 möglichen für die Risikovariablen der Zukunft (erfasst werden Realisierbarkeit von Plänen, Zugangsmöglichkeiten zu Risiken, Unterstützung, Überwachung, Mitarbeit). Die statischen Variablen der Vergangenheit sind nicht abänderbar. Prognostisch ungünstig sind die klinischen Variablen der Gegenwart zu gewichten. Es ist ein Mangel an Einsicht gegeben, der Untergebrachte weist nach wie vor aktive Symptome seiner Persönlichkeitsstörung und ferner Impulsivität auf und ein Behandlungserfolg fehlt. Dasselbe gilt für die o.g. Risikovariablen der Zukunft, die sämtlich ungünstig sind.

106

bb) Eine außerordentlich ungünstige Prognose ergibt sich auch nach dem SVR 20, einem Verfahren für die Vorhersage sexueller Gewalttaten, das auf breiter wissenschaftlicher Basis und umfangreicher Erfahrung beruht.

107

In diesem Verfahren erreicht der Untergebrachte einen Punktewert von insgesamt 31 von maximal 40 erreichbaren Punkten, aufgeteilt auf 11 von 22 für die psychosoziale Anpassung (erfasst werden sexuelle Deviation, Opfereigenschaft von sexuellem Missbrauch, Psychopathy-Persönlichkeit, Substanzproblematik, suizidale Gedanken, Beziehungsprobleme, Beschäftigungsprobleme, nicht sexuelle gewalttätige Vordelinquenz, gewaltfreie Vordelikte, früheres Bewährungsversagen), 12 von 14 für die Sexualdelinquenz (erfasst werden hohe Deliktfrequenz, multiple Formen der Sexualdelinquenz, physische Verletzung der Opfer, Waffengebrauch bzw. Todesdrohung gegen Opfer, Zunahme der Deliktfrequenz bzw. Deliktschwere, extremes Bagatellisieren oder Leugnen, deliktfördernde Ansichten), 4 von 4 für die Zukunftspläne (erfasst werden Fehlen realistischer Pläne, Ablehnung weiterer Interventionen) und 2 weitere Shore-Punkte für die gravierende Persönlichkeitsstörung. Daraus ergibt sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ein hohes Rückfallrisiko. Insbesondere betrifft dies die Sexualdelinquenz. Prognostisch ungünstig sind die hohe Deliktfrequenz in der Vergangenheit, die multiplen Formen der Sexualdelinquenz, die physischen Verletzung der Opfer, der Waffengebrauch und die Todesdrohung gegen die Opfer, die Zunahme der Deliktfrequenz und der Deliktschwere, das extreme Bagatellisieren und Leugnen. Prognostisch ungünstig sind auch seine Zukunftspläne. Er hat keine eigenen realistischen Zukunftspläne und lehnt weitere Interventionen ab.

108

d) Zusammenfassend gelangt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass dem Untergebrachten eine außerordentlich ungünstige Prognose zu stellen ist. Nach seiner Einschätzung ist von dem Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Reproduktion der Anlasstaten zu erwarten, wobei der Sachverständige im Falle einer erneuten Sexualstraftat angesichts der fehlenden Aufarbeitung der innerseelischen Disposition und der in der am 5. September 1983 aufgefundenen Notiz geäußerten Tötungsphantasien auch ein Tötungsdelikt im Bereich des Wahrscheinlichen hält. Zu dem Wahrscheinlichkeitsurteil „mit an Sicherheit grenzend“ gelangt er nur wegen der langen Zeitdauer zwischen Anlasstaten und aktueller Disposition nicht (Gutachten Punkt 6.2, S. 176 f.).

C.

109

Ebenso wenig kann die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 67d Abs. 2 Satz 1 StGB). Angesichts des außerordentlich hohen Rückfallrisikos ist die Überstellung des Untergebrachten in eine betreute Einrichtung verbunden mit weiteren Bewährungsauflagen schlechterdings nicht vertretbar.

D.

110

Die nach § 67a Abs. 2 Satz 1 StGB bestehende Möglichkeit der Überweisung des Untergebrachten in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus scheidet aus. Es kann hier offen bleiben, ob eine solche Überweisung auch dann in Betracht kommt, wenn die psychische Störung, an der ein Untergebrachter leidet, wie hier keinem Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB unterfällt. Im Anhörungstermin hat der Sachverständige klargestellt, dass die künftige Eingliederung des Untergebrachten in die Gesellschaft durch eine Überweisung in den Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht besser gefördert werden könnte. Voraussetzung für die dringend erforderliche therapeutische Aufarbeitung ist die Mitwirkungs-/Öffnungsbereitschaft des Untergebrachten. Diese ist nicht abhängig von der Art der Einrichtung in der die Therapie stattfindet. Gleich gute bzw. gleich schlechte Förderung der Resozialisierungsmöglichkeiten rechtfertigen nicht die Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel (vgl. 2. Strafsenat des OLG Koblenz, Beschluss 2 Ws 92/09 vom 09.03.2009).

111

Eine solche Überweisung würde die Vorlegungsfrage in Übrigen nicht obsolet machen (a.A. OLG Braunschweig, Beschluss Ws 220/10 vom 27.08.2010). Denn die Fristen der Dauer der Unterbringung richten sich gem. § 67a Abs. 4 Satz 1 StGB auch dann nach den Vorschriften, die für die im Urteil angeordnete Maßregel gelten. Diese Regelung bestand auch nach sämtlichen früheren Fassungen dieser Norm.

E.

112

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt.

113

a) Nach § 62 StGB darf eine Maßregel nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Danach sind auch bei der nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB zu treffenden Prognoseentscheidung die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen. Je länger der Freiheitsentzug dauert, umso strenger sind die dabei zu stellenden Anforderungen (BVerfGE 70, 297 <310>; 109, 133 <159> = NJW 2004, 739 ff.; StV 2009, 38; Senatsbeschluss 1 Ws 723/05 vom 20.10.2005).

114

Der Beschwerdeführer befindet sich nach Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren zwar schon zwanzig Jahre in der Sicherungsverwahrung. Seine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden, passiv-aggressiven und dissozialen Anteilen, die einen unmittelbaren Bezug zur Delinquenz, insbesondere zu den durch sadistische Handlungselemente geprägten Sexualstraftaten hat, konnte in diesen 27 Jahren nicht relativiert oder abgemildert werden. Versäumnisse während des Maßregelvollzugs liegen dem nicht zugrunde. Die Dauer des Maßregelvollzugs ist vielmehr allein darauf zurückzuführen, dass der Untergebrachte bedingt durch die ängstlich-vermeidende Komponente seiner Persönlichkeitsstörung bislang nicht in der Lage gewesen ist, in Therapien über sein Innenleben, insbesondere über den Umgang mit sexuellen Impulsen und die aggressiv-sadistische Komponente in seinen Handlungsweisen zu sprechen. Im Juni 1991 weigerte er sich ohne Angabe von Gründen, die im Dezember 1990 in der Justizvollzugsanstalt Diez mit einer externen Therapeutin begonnene Therapie fortzusetzen. Im Frühjahr 1995 und im März 2002 in der Justizvollzugsanstalt ...[W] unternommene Therapieversuche mussten alsbald abgebrochen werden, weil sich der Untergebrachte nicht öffnete. Auch die in der Zeit von Frühjahr 2004 bis Herbst 2005 mit OPR ...[E] in der Justizvollzugsanstalt Diez durchgeführte Therapie blieb erfolglos, weil der Untergebrachte nicht über seine Innenwelt sprach und deshalb keine Korrektur in der Persönlichkeitsdisposition erreicht werden konnte. Das Rückfallrisiko ist außerordentlich ungünstig. Von ihm drohen nach wie vor mit hoher Wahrscheinlichkeit schwerste Sexualstraftaten mit Devianzelementen und sadistischen Handlungsweisen gegen erwachsene Frauen, bei denen die Opfer nicht nur schwere psychische Schäden, sondern durch den Einsatz von Stichwerkzeugen auch schwere körperliche Schäden davontragen.

115

Unter diesen Umständen kann der Freiheitsanspruch des Untergebrachten auch nach der langen Vollzugsdauer gegenüber dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit an der Verhinderung nochmaliger schwerer Vergewaltigungen durch den Untergebrachten keine überwiegende Bedeutung gewinnen (vgl. BVerfGE 109, 133m.w.N; Senat a.a.O.).

116

b) An dieser Beurteilung der Verhältnismäßigkeit kann im Ergebnis auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 nichts ändern, aufgrund dessen der Gesetzgeber die vor dem 31. Januar 1998 gültig gewesene Zehnjahresdauer bei Regelung der „Altfälle“ wieder wird beachten müssen. Bereits in seinem unter Abschnitt II. A. wiedergegebenen, in vorliegender Sache ergangenen Beschluss vom 7. Juni 2010 hat der Senat dargelegt, dass dies nicht dazu führt, die Maßregel schon vor einer gesetzlichen Neuregelung für unverhältnismäßig erklären und den Untergebrachten entlassen zu müssen. Nachdem sich die hohe Gefährlichkeit des Untergebrachten im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens bestätigt hat, wird mit dieser Maßgabe auf die Ausführungen in der genannten Entscheidung Bezug genommen (Ziffer 4. des Zitats).

III.

117

1. Der Senat sieht sich an der beabsichtigten Entscheidung gehindert durch die Beschlüsse

118

des Oberlandesgerichts Frankfurt

119

- 3 Ws 539/10 vom 01. Juli 2010,

- 3 Ws 598/10 vom 13. Juli 2010,

- 3 Ws 608/10 vom 13. Juli 2010,

- 3 Ws 619-620/10 vom 15. Juli 2010,

- 3 Ws 638-639/10 vom 20. Juli 2010,

120

des Oberlandesgerichts Hamm

121

- III-4 Ws 157/10 vom 6. Juli 2010,

- III-4 Ws 180/10 vom 22. Juli 2010,

- III-4 Ws 193/10 vom 29. Juli 2010,

122

des Oberlandesgerichts Karlsruhe

123

- 2 Ws 458/09 vom 15. Juli 2010,

- 2 Ws 44/10 vom 15. Juli 2010,

- 2 Ws 227/10 vom 4. August 2010,

- 2 Ws 334/10 vom 28. September 2010,

124

des Oberlandesgerichts Schleswig

125

- 1 OJs 2/10 (1 Ws 267/10) vom 15. Juli 2010,

- 1 OJs 3/10 (1 Ws 268/10) vom 15. Juli 2010.

126

Diese Gerichte haben in den Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet worden ist, die vor dem 31. Januar 1998 begangen wurden, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug aufgrund des Urteils des EGMR vom 17. Dezember 2009 für erledigt erklärt. Sie verschaffen der Entscheidung des EGMR durch Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB eine unmittelbare Wirkung auf die innerstaatliche Rechtsordnung. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 MRK in der Auslegung durch den EGMR sei eine „andere gesetzliche Bestimmung“ im Sinne der genannten Vorschrift, so dass bei der Fortdauerentscheidung nicht der geltende § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB anzuwenden, sondern die Höchstfrist des bis zum 31. Januar 1998 gültig gewesenen § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB maßgebend sei. Teilweise wird der weitere Vollzug der Unterbringung auch als nicht mehr verhältnismäßig angesehen, da er menschenrechtswidrig sei (OLG Hamm a.a.O.).

127

Im Einzelnen werden die abweichenden Meinungen wie folgt begründet:

128

a) OLG Frankfurt, Beschluss 3 Ws 539/10 vom 1. Juli 2010:

129

„Der Senat hat im oben genannten Verfahren gegen A, in dessen Sache die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 ergangen ist, mit Beschluss vom 24.06.2010 folgendes ausgeführt:

130

Gem. § 2 Abs. 6 StGB i. V. m. Art. 7 Abs. 1 S. 2 MRK ist für die gegen den Untergebrachten angeordnete Sicherungsverwahrung nicht § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB n. F., sondern die zur Tatzeit geltende Regelung des § 67 d Abs. 1 S. 1 StGB a. F. anzuwenden.

131

Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 17.12.2009 die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als Maßregel der Sicherung und Besserung - als Strafe i. S. v. Art. 7 Abs. 1 MRK qualifiziert. Im Wegfall der Höchstfrist sieht er eine konventionswidrige Rückwirkung, da der zur Tatzeit geltende § 67 d Abs. 1 StGB eine Höchstfrist von 10 Jahren für die erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung vorsah (EGMR, NStZ 2010, 263 ff).

132

Strafvollstreckungskammer und Senat sind zur Berücksichtigung dieses Urteils des EGMR, das einen von ihnen bereits entschiedenen Fall betrifft, verpflichtet, wenn sie in verfahrensrechtlich zulässiger Weise erneut über den Gegenstand zu befinden haben (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3407 ff.). Dies ist hier auf Grund des gestellten Antrags nach § 458 Abs. 1 StPO der Fall. Bei der erneuten Befassung besteht die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung der anzuwendenden innerstaatlichen Vorschriften den Vorrang zu gewähren, wenn diese nicht eindeutig dem – ranggleichen – Gesetzesrecht des Bundes oder Verfassungsrecht - namentlich den Grundrechten Dritter - widerspricht (BVerfG, NJW 2004, 3407, 3411).

133

§ 2 Abs. 6 StGB ermöglicht eine derartige Berücksichtigung des Urteils des EGMR. Nach § 2 Abs. 6 StGB ist zwar über Maßregeln der Sicherung und Besserung grundsätzlich nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Art. 7 Abs. 1 MRK in der nunmehrigen Auslegung durch den EGMR ist aber eine andere gesetzliche Bestimmung i. S. von § 2 Abs. 6 StGB (vgl. BGH, Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09, Rn 14 ff. – Juris; Grabenwarter, Rechtsgutachten zu den Rechtsfolgen des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 [Nr. 19359/04] v. 15.01.2010 [unv.], S. 45).Die Konvention gilt innerstaatlich als Bundesrecht. Entscheidungen des EGMR haben zwar keine Gesetzeswirkung, Inhalt und aktueller Entwicklungsstand seiner Rechtsprechung bestimmen aber den Gehalt der (einfach-gesetzlichen) Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 MRK (BGH, a. a. O. Rn 16; Grabenwarter, S. 27). Das Bundesverfassungsgericht formuliert demzufolge auch ausdrücklich, dass die „MRK – in der Auslegung durch den EGMR – im Range des Bundesgesetzes gilt“ und deshalb „in den Vorrang des Gesetzes einbezogen“ ist und insoweit von der rechtsprechenden Gewalt beachtet werden“ muss (NJW 2004, 3407 [3410]).

134

Da der EGMR aber im vorliegenden Fall ausgesprochen hat, dass § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB nicht rückwirkend angewandt werden darf, weil die Sicherungsverwahrung gegen den Untergebrachten faktisch wie eine Strafe vollzogen wird, ist § 2 Abs. 6 StGB dahin auszulegen, dass statt dessen die zur Tatzeit geltende Vorschrift des § 67 d Abs. 1 S. 1 a. F. StGB gilt, der gemäß die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre begrenzt ist.

135

Methodische Bedenken stehen dieser Auslegung nicht entgegen. Insbesondere ist der Senat an ihr – entgegen der Ansicht der Oberlandesgerichte Celle (Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169 - 170/10), Stuttgart (Beschl. v. 01.06.2010 – 1 Ws 57/10) und Koblenz (Beschl. v. 07.06.2010 – 1 Ws 108/10) durch Art. 1 a EGStGB i. d. F. des Gesetzes vom 26.01.1998 nicht gehindert. Zwar ist in Abs. 3 dieser Vorschrift ausdrücklich festgelegt, dass § 67 d i. d. F. dieses Gesetzes uneingeschränkt Anwendung finden soll. Der Gesetzgeber hat damit diese Vorschrift bewusst uneingeschränkt mit Rückwirkung in Kraft gesetzt (BT 13/9062 S. 12). Der Gesetzgeber hat sich von der Vorstellung leiten lassen, dass die Neuregelung nicht die Anordnung der Sicherungsverwahrung, sondern lediglich deren Dauer betreffe, weshalb von Verfassungs wegen an den Rückwirkungsschutz geringere Anforderungen zu stellen seien.

136

Dies bedeutet indes nicht, dass der Gesetzgeber auch ausschließen wollte, dass eine den Anforderungen der MRK in der Ausprägung durch die Rechtsprechung des EMRG entsprechende Auslegung der Vorbehalts in § 2 Abs. 6 StGB durch die Gerichte praktiziert wird (vgl. Grabenwarter, S. 45).

137

Zudem wurde Art. 1 a EGStGB mit der darin enthaltenen Differenzierung durch das Gesetz vom 23.07.2004 ersatzlos gestrichen. Die Vorschriften erschienen dem Gesetzgeber im Lichte der Entscheidungen des BVerfG vom 05.02.2004 (also in vorliegender Sache) und vom 10.02.2004 (zu den landesrechtlich geregelten Straftäterunterbringungsgesetzen) verzichtbar. Zwar hat der Gesetzgeber damit an seinem Willen zur Rückwirkung des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB n. F. festgehalten, aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass er diesen einer anders lautenden verfassungsgerichtlichen Entscheidung angepasst hätte. Es erscheint vor diesem Hintergrund ausgeschlossen, dass er sich demgegenüber einer Klärung durch den EGMR verschließen und damit dauerhaft konventionswidrig verhalten wollte.

138

Der vorgenommene Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht auch die Bindungswirkung des Urteils des BVerfG vom 05.02.2004 in vorliegender Sache nicht entgegen. Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB für eine Maßregel der Besserung und Sicherung in Abweichung vom Grundsatz der Geltung des Rechts des Entscheidungszeitpunktes das günstigere Tatzeitrecht gilt, handelt es sich um eine Frage des einfachen Rechts. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.05.2010 a. a. O. Rn 18).

139

Die vorgenommen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist schließlich auch mit der Rechtsprechung des BVerfG vereinbar. Das BVerfG hat zwar in seiner Entscheidung in vorliegender Sache ausdrücklich festgehalten, dass der Staat die Aufgabe hat, die Grundrechte potentieller Opfer vor der Verletzung durch potentielle Straftäter zu schützen und dass sich seine Schutzpflicht umso intensiver ausgestaltet, je mehr sich die Gefährlichkeit der potentiellen Täter konkretisiert und individualisiert und je stärker die Gefährdung elementare Lebensbereiche betrifft (Beschl. v. 05.05.2004 – 2 BVR 2029/01 –Juris Rn 185). Dieser Schutzpflicht kommt auch Verfassungsrang zu.

140

Hieraus ist aber entgegen der Auffassung der Oberlandesgerichte Celle (Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169 - 170/10), Stuttgart ( Beschl. v. 01.06.2010 – 1 Ws 57/10) und Koblenz (Beschl. v. 07.06.2010 – 1 Ws 108/10) nicht der Schluss zu ziehen, diese Schutzpflicht müsse in eine „Abwägung“ mit dem gegenläufigen Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten und dem grundrechtsgleichen Rückwirkungsverbot mit einbezogen werden und erst Recht nicht, dass dieser Schutzpflicht der Vorrang zukommen müsse.

141

Das vom BVerfG in Sachen X aufgeworfene Problem, dass ein Grundrechtsträger am Verfahren vor dem EGMR nicht beteiligt ist (NJW 2004, 3407 [3410]) und deshalb als Verfahrenssubjekt nicht in Erscheinung treten und seine Rechte geltend machen konnte, stellt sich hier nicht. Denn Träger der staatlichen Schutzpflicht ist die Bundesrepublik und diese war Verfahrensgegner im Verfahren vor dem EGMR.

142

Die Rückwirkung des § 67 d Abs. 3 S. 1 n. F. StGB war zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht verfassungsrechtlich nicht geboten, d.h. die darin erfolgte Aufhebung der Zehnjahreshöchstfrist zum Schutz der potentiellen Opfer nicht unabdingbar. Ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der früheren gesetzlichen Regelung des § 67 Abs. 1 S. 1 StGB a. F., welche die erste Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre begrenzte, bestehen in der Tat nicht. Bei ihrer Fortgeltung mit der flankierenden Maßnahme der Führungsaufsicht wird der gesetzgeberische Beurteilungsspielraum vielmehr ebenfalls eingehalten.

143

Im Übrigen kommt eine Abwägung verschiedener Grundrechte hier nicht in Betracht. Denn das Rückwirkungsverbot aus Art. 7 MRK ist – ebenso wie das absolute Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG (BVerfG a. a. O. Rn 137) einer Abwägung gerade nicht zugänglich (vgl. auch Kadelbach in: EMRK/gg Konkordanzkommentar Kap 15 Rn 46 zu Art. 15 Abs. 2 MRK).’

144

Diese Erwägungen gelten auch im hier zur Entscheidung anstehenden Fall. Allerdings wirkt die Entscheidung des EGMR im vorliegenden Verfahren nicht unmittelbar. Aus Art. 1 EMRK ist aber eine Verpflichtung des verurteilten Mitgliedstaats abzuleiten, festgestellte Konventionsverletzungen auch in Parallelfällen zu beenden (vgl. OLG Koblenz, Beschl. vom 07.06.2010, Az. 1 Ws 108/10). Auch insoweit haben Gerichte als Träger der rechtsprechenden Gewalt die Europäische Menschenrechtskonvention - in der Ausgestaltung, die sie durch die Entscheidungen des EGMR gefunden hat - im Rahmen der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschl. vom 12.05.2010, Az. 4 StR 577/09; OLG Hamm, Beschl. vom 12.05.2010, Az. III – 4 Ws 114/10).

145

Ausgehend hiervon greifen die obigen Erwägungen des Senats aus seinem Beschluss 24.06.2010 zur Auslegung von § 2 Abs. 6 StGB auch hier Platz. Es liegt ein Parallelfall zum vom EGMR entschiedenen Fall A vor. Auch beim Beschwerdegegner galt zum Zeitpunkt der Begehung der Straftaten und zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts Stuttgart vom 14.02.1996 § 67 d Abs. 1 S. 1 StGB a. F., d.h. auch hier war die Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre begrenzt. Diese alte Fassung von § 67 d Abs. 1 S. 1 StGB ist damit aber nach obigen Erwägungen auch auf hiesigen Fall anzuwenden.

146

Hieran vermögen auch die Erwägungen des OLG Nürnberg aus seinen Beschlüssen vom 24.06.2010 (1 Ws 315/10, 2 Ws 78/10) zur Gesetzeskraft der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nichts zu ändern. Zwar mögen die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur Einordnung der Sicherungsverwahrung als Maßregel und nicht als Strafe gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG in Gesetzeskraft erwachsen, allerdings handelt es sich hierbei um einfaches Gesetzesrecht und nicht etwa um Verfassungsrecht. Insoweit schließt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Annahme einer für den Verurteilten günstigeren Wertung auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts gerade nicht aus.

147

Soweit das OLG Koblenz (vgl. Beschluss vom 22.06.2010, Az. 1 Ws 240/10), die Ansicht vertritt, die Rechtsauffassung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs aus seinem Beschluss vom 12.05.2010 werde vom 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nicht geteilt, so ist darauf zu verweisen, dass sich die Entscheidung des 2. Strafsenats vom 12.05.2010 (Az. 2 StR 171/10) mit der Problematik der Rückwirkung von § 66 b StGB n.F. auf Sachverhalte, die vor seiner Einführung durch Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 liegen, nicht ausdrücklich auseinandersetzt und auch keinen Bezug auf die oben genannte Entscheidung des EGMR nimmt.

148

Nach alledem ist die unter Anwendung von § 67 Abs. 1 S. 1 StGB a. F. geregelte Höchstfrist der Sicherungsverwahrung am 28.07.2009 abgelaufen. Die Maßregel ist damit aber voll verbüßt und darf nicht weiter vollstreckt werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, Rn 10 zu § 458). Daher war sie für unzulässig zu erklären. Der Untergebrachte ist zu entlassen. Einer Erledigungserklärung bedarf es vor dem Hintergrund des Ablaufs der Höchstfrist nicht.“

149

Auf diese Begründung hat das Oberlandesgericht Frankfurt in seinen nachfolgenden Beschlüssen 3 Ws 598/10 vom 13.07.2010, 3 Ws 608/10 vom 13.07.2010, 3 Ws 619-620/10 vom 15.07.2010 und 3 Ws 638-639/10 vom 20.07.2010 Bezug genommen. Auch in seinem das Beschwerdeverfahren allerdings nicht abschließenden Beschluss 3 Ws 688-689/10 vom 19. August 2010 hält das Oberlandesgericht Frankfurt an dieser Auffassung fest (s. dazu unten V. 2.).

150

b) OLG Hamm, Beschluss III-4 Ws 157/10 vom 6. Juli 2010:

151

„Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung war gemäß § 67 d Abs. 1 StGB in der seit 1975 bis 1998 geltenden Fassung für erledigt zu erklären. Diese Norm findet trotz der durch das Gesetz vom 26.01.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, in Kraft getreten am 31.01.1998, erfolgten Änderung der Gesetzeslage Anwendung. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az.: 19359/04) nach der der im Jahre 1998 angeordnete rückwirkende Wegfall der 10-Jahres-Frist für die erste Sicherungsverwahrung menschenrechtswidrig ist. Diese Entscheidung ist seit dem 10. Mai 2010 endgültig. Danach verstößt die Vollstreckung über den 10-Jahres-Zeitpunkt, der bei dem Untergebrachten bereits seit fünf Jahren verstrichen ist, hinaus sowohl gegen Art. 5 EMRK als auch gegen Art. 7 EMRK. Denn zu dem Zeitpunkt, als der Untergebrachte zur Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, galt noch die 10-Jahres-Frist. Durch den im Jahre 1998 angeordneten Wegfall wurde gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen, da nach der nachvollziehbaren Wertung des EGMR die Sicherungsverwahrung keine Maßregel, sondern eine "Strafe" im Sinne des Art. 7 EMRK darstellt (vgl. EGMR, Entscheidung vom 17.12.2009, beckRS 2010, 01692 Rn.122 ff). Ferner beruht die weitere Vollziehung nicht mehr auf dem ursprünglichen Urteil des Landgerichts Duisburg, da dieses nur eine Sicherungsverwahrung für die Dauer von 10 Jahren angeordnet hatte, auch wenn dies sich nicht unmittelbar dem Tenor entnehmen lässt. Somit lässt sich die weitere Freiheitsentziehung nicht mehr auf eine Verurteilung "durch ein zuständiges Gericht" stützen, so dass sie nicht durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 a EMRK gerechtfertigt sein kann (EGMR aaO Rn 87 und 96).

152

Zwar wirkt die Entscheidung des EGMR unmittelbar nur zwischen dem Beschwerdeführer und der Bundesrepublik Deutschland; sie hat keine "erga omnes"-Wirkung für alle Untergebrachten, die sich nach Ablauf der 10-Jahres-Frist noch in der Unterbringung befinden. Dennoch müssen die Bundesrepublik und ihre staatlichen Organe - somit auch die Vollstreckungsgerichte - als verpflichtet angesehen werden, zu verhindern, dass es in gleichgelagerten Fällen zu einer entsprechenden Verletzung des EMRK kommt (vgl. Kinzig, NStZ 2010, 233, 238; LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., Verfahren MRK RN 77 d). Der Gesetzgeber ist allerdings bislang nicht tätig geworden. Soweit es den Äußerungen der Bundesjustizministerin zu entnehmen ist, soll die Verantwortung auf die Gerichte abgeschoben werden.

153

Der Senat sieht daher keinen Anlass, eine Entscheidung des Gesetzgebers zur Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abzuwarten, da solche offensichtlich nicht vorgesehen sind. Er legt daher die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dahin aus, dass der Wegfall der 10-Jahres-Frist in § 67 d Abs. 1 a.F. keine Rückwirkung haben darf, so dass auf Straftaten, die vor dem 31.01.1998 begangen wurden, die alte Norm Anwendung finden muss (so auch BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010, 4 StR 577/09 für den parallel gelagerten Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. 06. 2010, 3 Ws 485/10; LG Koblenz, Beschluss vom 19. Mai 2010, 7 StVK 139/10; LG Marburg, Beschluss vom 17. Mai 2010, 7 StVK 220/10, LG Kassel, Beschluss vom 15. 06. 2010, 34 StVK 162/10; sowie Grabenwarter in seinem Rechtsgutachten für die Bundesregierung zu den Rechtsfolgen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte S. 42 ff.).

154

Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. Doch steht dies unter dem Vorbehalt: "wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist". Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 S. 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof dar (so BGH 4 StR 577/09 Rn. 15 bei juris).

155

Bei der Menschenrechtskonvention handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Bundesrecht im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegungen zu beachten und anzuwenden (vgl. BGH a.a.O. Rn. 16, BVerfGE 111, 307, 316; Gollwitzer a.a.O. Einführung Rdnr. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei ist nicht nur die Menschenrechtskonvention selbst, sondern auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Somit können als "abweichende" gesetzliche Regelungen nicht allein ausdrückliche Regelungen des Gesetzgebers, die eine Ausnahme vom Grundsatz der Anwendbarkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Gesetzes anordnen, angesehen werden. Vielmehr sind auch anderweitige Regelungen im Gesetzesrang, insbesondere konventionsrechtliche Auslegungen durch den EGMR, erfasst.

156

Die gegen eine solche Gesetzesauslegung geäußerten Bedenken der Oberlandesgerichte Celle (Beschluss vom 25.05.2010, 2 Ws 169 u. 170/2010) und Stuttgart (Beschluss vom 1. Juni 2010, 1 Ws 57/10) vermögen nicht zu überzeugen. Sie verneinen die Möglichkeit einer solchen Auslegung, da sie gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers bei der Änderung der Höchstfrist im Jahre 1998 verstoße. Dieser habe bewusst in § 1 a Abs. 3 EGStGB die uneingeschränkte und damit rückwirkende Änderung des § 67 d StGB angeordnet. Allerdings ist diese ausdrückliche Regelung - wie die Oberlandesgerichte in ihren Beschlüssen selbst sehen - mit dem Gesetz über die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung 2004 wieder gestrichen worden, so dass eine Gesetzesauslegung, wie sie durch den Senat erfolgt, nicht dem derzeitigen Gesetzeswortlaut widerspricht. Zuzugeben ist allerdings, dass sie dem Willen des Gesetzgebers bei Erlass des Gesetzes nicht entspricht. Allerdings darf auf den damaligen Willen des Gesetzgebers nicht abgestellt werden. Denn dieser ging ersichtlich davon aus, dass ein Verstoß gegen Art. 7 EMRK durch seine getroffene Regelung nicht vorliege. Zwischenzeitlich ist ein solcher Verstoß jedoch bindend festgestellt. Damit haben sich die wesentlichen Grundlagen seit Erlass des Gesetzes geändert. Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber in Kenntnis dieses Umstandes gleichwohl unter bewusstem Verstoß gegen die Konvention eine solche Regelung hätte treffen wollen. Daher kann der damalige Wille des Gesetzgebers bei der heutigen Auslegung der Norm keine Rolle mehr spielen.

157

Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht auch nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133 ff.) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstelle und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstoße (BVerfGE a.a.O., 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts zum Zeitpunkt der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Im Rahmen des einfachen Rechts steht es dem Gesetzgeber frei, abweichend von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 18).

158

Eine andere Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Schutzpflicht des Staates hinsichtlich der Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch gefährliche Straftäter ist nicht geboten. Der Staat hat insoweit einen weiten Ermessensspielraum. Dass die vor Änderung der Gesetzeslage im Jahre 1998 bestehende Begrenzung der ersten Sicherungsverwahrung gegen Vorgaben des Grundgesetzes verstoßen hat, ist bislang nie ernstlich vertreten worden (vgl. OLG Frankfurt Beschluss vom 24. 06. 2010 S. 6)

159

Selbst wenn man der vom Senat vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht folgen wollte, ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche bei lang andauerndem Freiheitsentzug immer anzustellen ist (BVerfGE 109, 133, 159; Beschluss des Senats vom 12. Mai 2010, 4 Ws 114/10), zu berücksichtigen. Dies führt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die weitere Vollstreckung, da menschenrechtswidrig, nicht mehr als verhältnismäßig angesehen werden kann. Sie ist daher auch aus diesem Grunde für erledigt zu erklären“.

160

Auf diese Begründung hat das Oberlandesgericht Hamm in seinen nachfolgenden Beschlüssen III-4 Ws 180/10 vom 22. Juli 2010 und III-4 Ws 193/10 vom 29. Juli 2010 Bezug genommen und sie weiter aufrechterhalten.

161

c) OLG Karlsruhe, Beschluss 2 Ws 458/09 vom 15. Juli 2010:

162

„Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az 19359/04, StV 2010, 181) ist die mit Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vorgenommene Änderung des § 67d, mit der die Befristung der ersten angeordneten Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 1 StGB a.F. auf zehn Jahre entfallen ist und die in Verbindung mit § 2 Abs. 6 StGB auch diejenigen Sicherungsverwahrten erfasst, für die die Befristung zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung noch bestand, mit dem Freiheitsrecht des Art. 5 EMRK und dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK nicht vereinbar. Die Anordnung der Fortdauer der zum Tat- und Verurteilungszeitpunkt auf 10 Jahre begrenzten Sicherungsverwahrung über diesen Zeitraum hinaus stelle keine Freiheitsentziehung nach einer Verurteilung durch ein zuständiges Gericht (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Buchst. a EMRK) dar, da kein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen dem Urteil des erkennenden Gerichts und der Fortdauer der Freiheitsentziehung nach Ablauf von 10 Jahren in der Sicherungsverwahrung mehr bestehe. Darüber hinaus sei die Maßregel der Sicherungsverwahrung in ihrer konkreten Ausgestaltung in der autonomen Auslegung durch den Gerichtshof als Strafe zu werten, so dass das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK eingreife. Nachdem eine mit fünf Richtern besetzte Kammer am 10.5.2010 entschieden hat, den Antrag der Bundesregierung auf Entscheidung der Großen Kammer des EGMR nicht anzunehmen, ist die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 rechtskräftig geworden.

163

Diese Rechtsprechung gilt auch für die gegen den Untergebrachten verhängte Sicherungsverwahrung, da bei Tatbegehung und Aburteilung die zehnjährige Befristung des § 67d Abs. 1 StGB a.F. galt.

164

Die Entscheidungen des EGMR binden nach Art. 46 EMRK zwar zunächst nur die Parteien in der konkret entschiedenen Sache. Doch kommt den Urteilen des EGMR bei der Auslegung der EMRK, die im innerstaatlichen Recht zwar keinen Verfassungsrang, in der Folge des Ratifikationsgesetzes des Bundestages aber der Rang eines einfachen Gesetzes besitzt und damit am Vorrang des Gesetzes teilnimmt (Art. 20 Abs. 3 GG), eine sog. Orientierungsfunktion zu (SK-Paeffgen, EMRK, Einleitung Rn 383; vgl. auch LR-Gollwitzer, MRK Verfahren, Rn 77b; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2005, 15, 18f.; Esser StV 2005, 348, 349, 354), da sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfG NJW 2004, 3407, 3408; BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS). Gleichzeitig verpflichtet die Völkerrechtsfreundlichkeit der grundgesetzlichen Ordnung die Gerichte, das nationale Recht möglichst in Einklang mit dem Völkerrecht, zu dem auch die EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR zählt, auszulegen (vgl. BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Die EMRK ist mithin in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof im Range eines förmlichen Bundesgesetzes in den Vorrang des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG einbezogen und muss von der Rechtsprechung sowohl bei der Auslegung der Konventionsvorschriften als auch des innerstaatlichen Rechts beachtet werden (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410; im Ergebnis auch OLG Stuttgart, 1 Ws 57/10, Beschluss vom 1.6.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 539/10, Beschluss vom 1.7.2010, bei JURIS; OLG Hamm, 4 Ws 157/10 , Beschluss vom 6.7.2010, S. 5). Allerdings setzt die Gesetzesbindung der Umsetzung der Entscheidungen des Gerichtshofs auch Grenzen, weil die Gerichte sich nicht unter Berufung auf eine Entscheidung des EGMR von der rechtsstaatlichen Kompetenzordnung und der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) lösen können. Deshalb kann sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische Umsetzung verfassungsrechtliche Vorgaben verletzen (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Die Entscheidungen des EGMR können deshalb nur im Rahmen einer methodisch vertretbaren Auslegung Beachtung finden. Wenn eine solche völkerrechtskonforme Auslegung eines Gesetzes nicht möglich ist, muss der Gesetzgeber tätig werden (NJW 2004, 3407, 3410).

165

Damit scheidet vorliegend eine konventionskonforme Auslegung der eindeutigen Regelung des § 67d Abs. 3 StGB, wonach die Sicherungsverwahrung bis zur ihrer Erledigung dauert, die nach dieser Vorschrift erst ausgesprochen werden darf, wenn die in der Tat zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit nicht mehr besteht, aus. Dagegen ist die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB, wonach - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - über Maßregeln der Sicherung und Besserung nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt, einer Auslegung zugänglich. Denn Art. 7 EMRK ist als andere gesetzliche Regelung im Sinne dieser Vorschrift zu werten, die in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof als Ausnahme vom Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB, bei Entscheidungen über Maßregeln das Gesetz anzuwenden, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt, für die Sicherungsverwahrung ein Rückwirkungsverbot begründet (BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS; OLG Hamm, 4 Ws 157/10, Beschluss vom 6.7.2010, S. 6 ff.; Rechtsgutachten Prof. Grabenwarter, S. 40 ff.). Diese Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist mit dem Wortlaut der Vorschrift ohne weiteres zu vereinbaren. Soweit das Oberlandesgericht Koblenz (1 Ws 108/10; Beschluss vom 7.6.2010, bei JURIS) argumentiert, der EGMR sehe in der Sicherungsverwahrung eine Strafe und keine Maßregel, so dass unter Berücksichtigung dieser Auffassung § 2 Abs. 6 StGB nicht einschlägig und folglich auch nicht auszulegen sei, übersieht es - abgesehen davon, dass dann ohne weiteres das Rückwirkungsverbot des § 2 Abs. 1 StGB eingriffe -, dass der Gerichtshof den Begriff der Strafe in Art. 7 EMRK autonom, d.h. unabhängig von seiner Bedeutung im nationalen Recht, auslegt (vgl. Nr. 120 der Entscheidung), so dass die Definition der Sicherungsverwahrung als Maßregel in § 61 Nr. 3 StGB davon unberührt bleibt. Ebenso steht der Zweck der Vorschrift einer solchen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht entgegen, der Sonderregelungen für bestimmte Maßregeln ermöglichen will, von denen auch die Sicherungsverwahrung nicht ausgenommen werden kann (vgl. Rechtsgutachten Prof. Grabenwarter, S. 43). Allerdings wollte der historische Gesetzgeber § 67d Abs. 3 StGB dezidiert uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen (BT-Drs 13/9062, S. 12; OLG Celle, 2 Ws 169-170/10, Beschluss vom 25.5.2010 bei JURIS; OLG Stuttgart, 1 Ws 57/10, Beschluss vom 1.6.2010, bei JURIS; vgl. auch OLG Koblenz, 1 Ws 108/10, Beschluss vom 7.6.2010, bei JURIS). Die mit dem Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten eingeführte Vorschrift des Art. 1 a EGStGB sah in Abs. 3 gerade für die Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB eine uneingeschränkte Rückwirkung vor. Doch muss die historische Auslegung vorliegend hinter einer völkerrechtskonformen Auslegung zurückstehen, da die Gerichte in Fällen wie dem vorliegenden verpflichtet sind, das nationale Recht möglichst im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Dies gilt umso mehr, als der historische Gesetzgeber, der sich im Zusammenhang mit dem nachträglichen Entfallen der 10-Jahresfrist ausdrücklich mit dem Rückwirkungsverbot bzw. - weil er dieses bei Maßregeln nicht für anwendbar hielt - dem Vertrauensgrundsatz befasst hat, sich dem Rückwirkungsschutz im Bereich des § 67d Abs. 3 StGB verfassungsrechtlich nicht allzu hoch verpflichtet glaubte, weil es nicht um die Anordnung, sondern nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe. Dass der der EMRK in der Auslegung durch den EGMR ebenfalls verpflichtete Gesetzgeber eine menschenrechtswidrige Rückwirkung auch unter Missachtung völkerrechtlichen Vorgaben anordnen wollte, kann dem gerade nicht entnommen werden (so auch OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Auch die eindeutige Vorschrift des Art. 1 a EGStGB steht nach ihrer Streichung einer konventionskonformen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht mehr entgegen.

166

Ebenso verbietet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.2.2004 (NJW 2004, 739ff.), dass der rückwirkende Wegfall der Befristung der ersten Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich unbedenklich ist, eine solche Auslegung nicht, da diese Entscheidung nach § 31 BVerfGG nur insoweit bindet, als das Bundesverfassungsgericht die Regelung als verfassungsmäßig angesehen hat. Eine über die grundgesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehende einfachgesetzliche Regelung - keine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot bei der Maßregel der Sicherungsverwahrung - schließt die verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht aus (vgl. auch BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS).

167

Da das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK absolut gilt, bleibt für eine Abwägung mit dem Schutz der Allgemeinheit im vorliegenden Zusammenhang kein Raum (OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Ein sog. mehrpoliges Grundrechtsverhältnis, das einer konventionskonformen Auslegung Grenzen setzen könnte, ist vorliegend nicht gegeben (a.A. OLG Celle, Beschluss vom 25.5.2010, 2 Ws 169 - 170/10 bei JURIS). Hiervon wäre nämlich nur dann auszugehen, wenn bei der vorliegenden Entscheidung die subjektiven Rechtspositionen mehrerer Grundrechtsinhaber in Einklang gebracht werden müssten, von denen nur einer einen günstigen Urteilsspruch des EGMR ins Feld führen könnte, so dass der andere, der vom EGMR nicht gehört wurde, möglicherweise als Verfahrenssubjekt nicht mehr in Erscheinung träte (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Davon kann hier nicht die Rede sein. Der Schutz der Allgemeinheit ist Aufgabe des Staates, der am Verfahren vor dem EGMR beteiligt war und dort seine Position einbringen konnte (OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Ebenso wenig verbietet die Verpflichtung, bei der Umsetzung der Entscheidungen des EGMR die Auswirkungen auf ausbalancierte Teilsysteme der nationalen Rechtsordnung, die verschiedene Grundrechtspositionen miteinander zum Ausgleich bringen, zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2004, 4407, 3410), die Annahme eines Rückwirkungsverbotes. Denn wenn auch der staatliche Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit eine Einschränkung des Freiheitsgrundrechtes erlaubt, so ist doch nicht ersichtlich, dass die Aufhebung der Zehnjahresfrist zum Schutze der Grundrechte potentieller Opfer (vgl. BGH NJW 2010, 1539 f.; OLG Celle, Beschluss vom 25.5.2010, 2 Ws 169 - 170/10 bei JURIS) verfassungsrechtlich geboten war (BVerfG, Entscheidung vom 5.2.2004 - NJW 2004, 739ff. -, Rn 189, zitiert nach JURIS; vgl. OLG ...[Z], Beschluss vom 1.6.2010, 1 Ws 57/10, bei JURIS).

168

Da die konventionskonforme Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB damit zu dem Ergebnis führt, dass bei der Vollstreckung der Maßregel der Sicherungsverwahrung das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK eingreift, gilt insoweit die bei Tatbegehung gültige Fassung des § 67d StGB, wonach nach Abs. 1 die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zehn Jahre nicht übersteigen darf. Damit ist die Maßregel erledigt. Eine Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB in der aktuellen Fassung kommt deshalb nicht mehr in Betracht. Das aus der von Gesetzes wegen eingetretenen Erledigung (OLG Frankfurt, 3 Ws 539/10, Entscheidung vom 1.7.2010, bei JURIS) folgende Vollstreckungshindernis (SK-Paeffgen zu § 458 Rn 8) ist von der Vollstreckungsbehörde zu beachten, die deshalb die Freilassung veranlassen muss“.

169

Diese Auffassung vertritt das Oberlandesgericht Karlsruhe auch in seiner Entscheidung 2 Ws 44/10 vom selben Tag sowie in seinen Beschlüssen 2 Ws 227/10 vom 4. August 2010 und 2 Ws 334/10 vom 28. September 2010.

170

d) Das Oberlandesgericht Schleswig (Beschlüsse 1 OJs 2/10 [1 Ws 267/10] und 1 OJs 3/10 [1 Ws 268/10] vom 15. Juli 2010) hat sich ausdrücklich der dargestellten Ansicht und Argumentation der Oberlandesgerichte Frankfurt und Hamm angeschlossen. Ergänzend hat es die Gründe der Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs 4 StR 577/09 vom 12. Mai 2010 herangezogen.

171

2. In dem bereits erwähnten Beschluss 4 StR 577/09 vom 12. Mai 2010 hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem Fall, der eine nachträgliche Anordnung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB betraf, die Auffassung vertreten, dass Art. 7 MRK gesetzliche Bestimmung im Sinne von § 2 Abs. 6 StGB sei. Dem hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss 5 StR 60/10 vom 21. Juli 2010 in einem Fall, der eine nachträgliche Anordnung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB betraf, widersprochen. Zu der Vorlegungsfrage liegt hingegen noch keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor. Allerdings geht das Oberlandesgericht Karlsruhe in seinen Beschlüssen 2 Ws 227/10 vom 4. August 2010 und 2 Ws 334/10 vom 28. September 2010 davon aus, der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs habe die Rechtsfrage in seiner vorgenannten Entscheidung implizit auch für § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB beantwortet. Es hat deshalb die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG ebenso verneint, wie das Oberlandesgericht Hamm in seinen Beschlüssen III-4 Ws 180/10 vom 22. Juli 2010 und III-4 Ws 193/10 vom 29. Juli 2010. Dieses Oberlandesgericht hat sich gestützt auf die Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht veranlasst gesehen, vor Erlass der Beschwerdeentscheidungen das Inkrafttreten des Vierten Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 24. Juli 2010 am 30. Juli 2010 abzuwarten. Wenn dies zutreffend wäre, so würde die beabsichtigte Entscheidung des Senats auch von der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs abweichen.

IV.

172

Die von der Auffassung des Senats abweichenden Meinungen stehen der beabsichtigten Verwerfung der sofortigen Beschwerde des Untergebrachten entgegen. Gem. § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG ist daher der Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die streitige Rechtsfrage berufen.

173

Mit seiner Vorlage folgt der Senat dem 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg (Beschlüsse 1 Ws 404/10 vom 04.08.2010 und – mit unkenntlichem Aktenzeichen – vom 12.08.2010), dem 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart (Beschluss 1 Ws 57/10 vom 19.08.2010) und dem 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz (Beschluss 2 Ws 370/10 vom 01.09.2010), die bereits die gleiche bzw. eine gegenstandsgleiche Frage vorgelegt haben. Anders als das Oberlandesgericht Frankfurt, das in seinem Beschluss 3 Ws 688-689/10 vom 19. August 2010 die Voraussetzungen einer Divergenzvorlage gem. § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG grundsätzlich als gegeben ansieht, es indes für ausreichend erachtet, dass die streitige Rechtsfrage bereits von einem anderen Oberlandesgericht vorgelegt worden ist, sieht sich der Senat zu einer eigenen Vorlage veranlasst. Sie ist wegen der Möglichkeit einer eigenen Sachentscheidung des Bundesgerichtshofs (vgl. LR-Franke, StPO, § 121 GVG Rn. 81 m.w.N.) zur Wahrung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) geboten.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2010 - 5 StR 60/10

bei uns veröffentlicht am 21.07.2010

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB § 66 Abs. 2 StGB Zur Ermessensausübung bei Anwendung der §§ 66b Abs. 1 Satz 2, 66 Abs. 2 StGB nach der Entscheidung EGMR EuGRZ 2010, 25. BGH, Beschluss vom 21. Juli

BVERFG 2 BvR 2365/09

bei uns veröffentlicht am 19.07.2011

Tenor Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 250.000 € (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) festgesetzt.

Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 30. Sept. 2010 - 1 Ws 108/10

bei uns veröffentlicht am 30.09.2010

Diese Entscheidung wird zitiert Tenor Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: Ist in den Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung weg

Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 01. Sept. 2010 - 2 Ws 370/10

bei uns veröffentlicht am 01.09.2010

Tenor Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: Ist in den Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet worden ist, die

Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 15. Juli 2010 - 2 Ws 458/09

bei uns veröffentlicht am 15.07.2010

Tenor Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - F. vom 7. Dezember 2009 aufgehoben. Die Sicherungsverwahrung ist erledigt. Es

Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 01. Juni 2010 - 1 Ws 57/10

bei uns veröffentlicht am 01.06.2010

Tenor Der Antrag des Verurteilten, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären und anzuordnen, dass er aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist, wird z u r ü c k g e w i e s e n. Gründe   I.

Bundesverfassungsgericht Ablehnung einstweilige Anordnung, 19. Mai 2010 - 2 BvR 769/10

bei uns veröffentlicht am 19.05.2010

Tenor Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Gründe 1
4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 30. Sept. 2010 - 1 Ws 108/10.

Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 28. Okt. 2011 - 3 Ws 398/11; 3 Ws 413/11

bei uns veröffentlicht am 28.10.2011

Tenor Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde vom Gericht nicht mitgeteilt. Gründe   I. 1 M.K. wurde - nach Zurückverweisung der Sache gem. § 354 Abs. 2 StPO durch Beschluss des Senats vom 7.3.2006 - durch r

Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 30. Sept. 2010 - 1 Ws 108/10

bei uns veröffentlicht am 30.09.2010

Diese Entscheidung wird zitiert Tenor Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: Ist in den Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung weg

Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 01. Sept. 2010 - 2 Ws 370/10

bei uns veröffentlicht am 01.09.2010

Tenor Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: Ist in den Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet worden ist, die

Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 15. Juli 2010 - 2 Ws 458/09

bei uns veröffentlicht am 15.07.2010

Tenor Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - F. vom 7. Dezember 2009 aufgehoben. Die Sicherungsverwahrung ist erledigt. Es

Referenzen

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Vorschriften über die Strafvollstreckung gelten für die Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) § 453 gilt auch für die nach den §§ 68a bis 68d des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen.

(3) § 454 Abs. 1, 3 und 4 gilt auch für die nach § 67c Abs. 1, § 67d Abs. 2 und 3, § 67e Abs. 3, den §§ 68e, 68f Abs. 2 und § 72 Abs. 3 des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 68e des Strafgesetzbuches bedarf es einer mündlichen Anhörung des Verurteilten nicht. § 454 Abs. 2 findet in den Fällen des § 67d Absatz 2 und 3 und des § 72 Absatz 3 des Strafgesetzbuches unabhängig von den dort genannten Straftaten sowie bei Prüfung der Voraussetzungen des § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches auch unabhängig davon, ob das Gericht eine Aussetzung erwägt, entsprechende Anwendung, soweit das Gericht über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden hat; im Übrigen findet § 454 Abs. 2 bei den dort genannten Straftaten Anwendung. Zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 des Strafgesetzbuches sowie der nachfolgenden Entscheidungen nach § 67d Abs. 2 des Strafgesetzbuches hat das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen namentlich zu der Frage einzuholen, ob von dem Verurteilten weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, rechtzeitig vor einer Entscheidung nach § 67c Absatz 1 des Strafgesetzbuches einen Verteidiger.

(4) Im Rahmen der Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 des Strafgesetzbuches) nach § 67e des Strafgesetzbuches ist eine gutachterliche Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung einzuholen, in der der Verurteilte untergebracht ist. Das Gericht soll nach jeweils drei Jahren, ab einer Dauer der Unterbringung von sechs Jahren nach jeweils zwei Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen. Der Sachverständige darf weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten, in dem sich die untergebrachte Person befindet, noch soll er das letzte Gutachten bei einer vorangegangenen Überprüfung erstellt haben. Der Sachverständige, der für das erste Gutachten im Rahmen einer Überprüfung der Unterbringung herangezogen wird, soll auch nicht das Gutachten in dem Verfahren erstellt haben, in dem die Unterbringung oder deren späterer Vollzug angeordnet worden ist. Mit der Begutachtung sollen nur ärztliche oder psychologische Sachverständige beauftragt werden, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen. Dem Sachverständigen ist Einsicht in die Patientendaten des Krankenhauses über die untergebrachte Person zu gewähren. § 454 Abs. 2 gilt entsprechend. Der untergebrachten Person, die keinen Verteidiger hat, bestellt das Gericht für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach Satz 2 das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden soll, einen Verteidiger.

(5) § 455 Abs. 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet ist. Ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden und verfällt der Verurteilte in Geisteskrankheit, so kann die Vollstreckung der Maßregel aufgeschoben werden. § 456 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist.

(6) § 462 gilt auch für die nach § 67 Absatz 3, 5 Satz 2 und Absatz 6, den §§ 67a und 67c Abs. 2, § 67d Abs. 5 und 6, den §§ 67g, 67h und 69a Abs. 7 sowie den §§ 70a und 70b des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches ist der Verurteilte mündlich zu hören. Das Gericht erklärt die Anordnung von Maßnahmen nach § 67h Abs. 1 Satz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs für sofort vollziehbar, wenn erhebliche rechtswidrige Taten des Verurteilten drohen.

(7) Für die Anwendung des § 462a Abs. 1 steht die Führungsaufsicht in den Fällen des § 67c Abs. 1, des § 67d Abs. 2 bis 6 und des § 68f des Strafgesetzbuches der Aussetzung eines Strafrestes gleich.

(8) Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollstreckt, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, für die Verfahren über die auf dem Gebiet der Vollstreckung zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen einen Verteidiger. Die Bestellung hat rechtzeitig vor der ersten gerichtlichen Entscheidung zu erfolgen und gilt auch für jedes weitere Verfahren, solange die Bestellung nicht aufgehoben wird.

(1) Die Oberlandesgerichte sind in Strafsachen ferner zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel:

1.
der Revision gegen
a)
die mit der Berufung nicht anfechtbaren Urteile des Strafrichters;
b)
die Berufungsurteile der kleinen und großen Strafkammern;
c)
die Urteile des Landgerichts im ersten Rechtszug, wenn die Revision ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt wird;
2.
der Beschwerde gegen strafrichterliche Entscheidungen, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafkammern oder des Bundesgerichtshofes begründet ist;
3.
der Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern nach den § 50 Abs. 5, §§ 116, 138 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes und der Jugendkammern nach § 92 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes;
4.
des Einwands gegen die Besetzung einer Strafkammer im Fall des § 222b Absatz 3 Satz 1 der Strafprozessordnung.

(2) Will ein Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung

1.
nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder Buchstabe b von einer nach dem 1. April 1950 ergangenen Entscheidung,
2.
nach Absatz 1 Nummer 3 von einer nach dem 1. Januar 1977 ergangenen Entscheidung,
3.
nach Absatz 1 Nummer 2 über die Erledigung einer Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder in einem psychiatrischen Krankenhaus oder über die Zulässigkeit ihrer weiteren Vollstreckung von einer nach dem 1. Januar 2010 ergangenen Entscheidung oder
4.
nach Absatz 1 Nummer 4 von einer Entscheidung
eines anderen Oberlandesgerichtes oder von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes abweichen, so hat es die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen.

(3) Ein Land, in dem mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, kann durch Rechtsverordnung der Landesregierung die Entscheidungen nach Absatz 1 Nr. 3 einem Oberlandesgericht für die Bezirke mehrerer Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht zuweisen, sofern die Zuweisung für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren zweckmäßig ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

(1) Die Vorschriften über die Strafvollstreckung gelten für die Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) § 453 gilt auch für die nach den §§ 68a bis 68d des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen.

(3) § 454 Abs. 1, 3 und 4 gilt auch für die nach § 67c Abs. 1, § 67d Abs. 2 und 3, § 67e Abs. 3, den §§ 68e, 68f Abs. 2 und § 72 Abs. 3 des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 68e des Strafgesetzbuches bedarf es einer mündlichen Anhörung des Verurteilten nicht. § 454 Abs. 2 findet in den Fällen des § 67d Absatz 2 und 3 und des § 72 Absatz 3 des Strafgesetzbuches unabhängig von den dort genannten Straftaten sowie bei Prüfung der Voraussetzungen des § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches auch unabhängig davon, ob das Gericht eine Aussetzung erwägt, entsprechende Anwendung, soweit das Gericht über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden hat; im Übrigen findet § 454 Abs. 2 bei den dort genannten Straftaten Anwendung. Zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 des Strafgesetzbuches sowie der nachfolgenden Entscheidungen nach § 67d Abs. 2 des Strafgesetzbuches hat das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen namentlich zu der Frage einzuholen, ob von dem Verurteilten weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, rechtzeitig vor einer Entscheidung nach § 67c Absatz 1 des Strafgesetzbuches einen Verteidiger.

(4) Im Rahmen der Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 des Strafgesetzbuches) nach § 67e des Strafgesetzbuches ist eine gutachterliche Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung einzuholen, in der der Verurteilte untergebracht ist. Das Gericht soll nach jeweils drei Jahren, ab einer Dauer der Unterbringung von sechs Jahren nach jeweils zwei Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen. Der Sachverständige darf weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten, in dem sich die untergebrachte Person befindet, noch soll er das letzte Gutachten bei einer vorangegangenen Überprüfung erstellt haben. Der Sachverständige, der für das erste Gutachten im Rahmen einer Überprüfung der Unterbringung herangezogen wird, soll auch nicht das Gutachten in dem Verfahren erstellt haben, in dem die Unterbringung oder deren späterer Vollzug angeordnet worden ist. Mit der Begutachtung sollen nur ärztliche oder psychologische Sachverständige beauftragt werden, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen. Dem Sachverständigen ist Einsicht in die Patientendaten des Krankenhauses über die untergebrachte Person zu gewähren. § 454 Abs. 2 gilt entsprechend. Der untergebrachten Person, die keinen Verteidiger hat, bestellt das Gericht für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach Satz 2 das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden soll, einen Verteidiger.

(5) § 455 Abs. 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet ist. Ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden und verfällt der Verurteilte in Geisteskrankheit, so kann die Vollstreckung der Maßregel aufgeschoben werden. § 456 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist.

(6) § 462 gilt auch für die nach § 67 Absatz 3, 5 Satz 2 und Absatz 6, den §§ 67a und 67c Abs. 2, § 67d Abs. 5 und 6, den §§ 67g, 67h und 69a Abs. 7 sowie den §§ 70a und 70b des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches ist der Verurteilte mündlich zu hören. Das Gericht erklärt die Anordnung von Maßnahmen nach § 67h Abs. 1 Satz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs für sofort vollziehbar, wenn erhebliche rechtswidrige Taten des Verurteilten drohen.

(7) Für die Anwendung des § 462a Abs. 1 steht die Führungsaufsicht in den Fällen des § 67c Abs. 1, des § 67d Abs. 2 bis 6 und des § 68f des Strafgesetzbuches der Aussetzung eines Strafrestes gleich.

(8) Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollstreckt, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, für die Verfahren über die auf dem Gebiet der Vollstreckung zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen einen Verteidiger. Die Bestellung hat rechtzeitig vor der ersten gerichtlichen Entscheidung zu erfolgen und gilt auch für jedes weitere Verfahren, solange die Bestellung nicht aufgehoben wird.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

Maßregeln der Besserung und Sicherung sind

1.
die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus,
2.
die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt,
3.
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung,
4.
die Führungsaufsicht,
5.
die Entziehung der Fahrerlaubnis,
6.
das Berufsverbot.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Tenor

Der Antrag des Verurteilten, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären und anzuordnen, dass er aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist, wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

Gründe

 
I.
Der heute 63 Jahre alte Verurteilte ist erstmals mit 21 Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten und vielfach vorbestraft. Seit 1971, also seit seinem 24. Lebensjahr, hat er sich – für den Zeitraum bis 1979 mit einigen Unterbrechungen – in Untersuchungs- oder Strafhaft befunden. Seit 1988 bis heute, also über 21 Jahre lang, ist er in Sicherungsverwahrung untergebracht. Sie beruht auf drei Verurteilungen wegen 1973, 1978 und 1983 begangener schwerer Sexualdelikte.
1. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 25.04.1975 – 1 Kls 30/74 – wurde der Verurteilte wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Entführung gegen den Willen der Entführten, sowie versuchter Vergewaltigung (Tatzeiten: 12.04., 22./23.04. sowie 11.07.1973) zu Einzelstrafen von zwei Jahren, drei Jahren und einem Jahr verurteilt; er verbüßte die Gesamtstrafe von fünf Jahren in der Zeit vom 22.10.1975 bis zum 30.09.1977 und nach Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung vom 12.01.1982 bis 03.09.1983. Sodann wurde er durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.09.1979 – III Kls 21/79 – wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch von Kindern (Tatzeit: 23.12.1978) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt; er verbüßte die Strafe vom 12.01.1979 bis zum 11.01.1982 und vom 04.09.1983 bis zum 25.03.1985. Am 09.01.1983 vergewaltigte er während eines Hafturlaubes in Backnang eine siebzehnjährige Frau, nötigte sie sexuell und würgte und verletzte sie dabei erheblich. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27.09.1985 – 2 Kls 279/84 – verurteilte das Landgericht Stuttgart ihn deshalb wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und ordnete Sicherungsverwahrung an. Das Landgericht stellte eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur und eine sowohl histrionische als auch antisoziale schwere Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB fest, durch welche die Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war. Ein therapeutisches Vorgehen erschien nicht ansatzweise erfolgversprechend, und sämtliche vorherigen Bemühungen waren gescheitert, weshalb eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht kam. Zur Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB a. F. führte das Landgericht u. a. aus:
„In den Straftaten zeigt sich der offensichtliche Hang des Angeklagten, erst nach einer Demonstration der Macht und Stärke zu sexueller Befriedigung zu gelangen. Das Maß der von ihm an seinen Opfern vorgenommenen Gewaltanwendung nimmt stetig zu. Der Angeklagte bricht jeden Widerstand seines Opfers dadurch, dass er es aufs heftigste am Hals würgt oder ihm sonst die Luft nimmt. Wie sein neuerliches Vorgehen gegen die Zeugin (…) zeigt, ist dies für ihn geradezu symptomatisch geworden, weshalb er für die Allgemeinheit eine ganz erhebliche Gefahr darstellt. Angesichts der von den Sachverständigen (…) festgestellten schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit fast zwanghaftem Handeln zur Sicherung seiner Ziele ist von ihm die Begehung künftiger schwerwiegender Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Der Angeklagte ist – wie auch in seinem äußerst aggressiven und feindseligen Verhalten vor und während der Hauptverhandlung immer wieder deutlich wurde – in den Lage, bei einem seiner Vorstellung zuwider laufenden Geschehensablauf in kürzester Zeit Feindbilder aufzubauen und diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es muss deshalb ernsthaft befürchtet werden, dass ein neues Opfer des Angeklagten, welches sich seinen Wünschen widersetzt, möglicherweise sein Leben lassen müsste“ (S. 125 f.).
Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem Urteil vom 27.09.1985 vollständig bis zum 24.09.1988. Mit Beschluss vom 03.08.1988 ordnete das Landgericht Karlsruhe den anschließenden Vollzug der Sicherungsverwahrung an, die nach damaligem Recht bei der ersten Unterbringung höchstens zehn Jahre lang vollzogen werden durfte. Diese Höchstfrist fiel mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) fort. Daher erklärte das Landgericht Freiburg nach Vollzug von zehn Jahren Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 09.03.1999 die Sicherungsverwahrung nicht für erledigt und ordnete deren Fortdauer an. Seitdem befindet sich der Verurteilte ununterbrochen in Sicherungsverwahrung. Insgesamt sind derzeit – im Anschluss an die voll verbüßte Freiheitsstrafe – über 21 Jahre Sicherungsverwahrung vollzogen worden.
2. Der Verurteilte ist vielfach nervenärztlich und kriminalprognostisch begutachtet worden. Allerdings liegt das letzte auf einer eingehenden Exploration des Verurteilten beruhende Gutachten des Dr. H E B, Ärztlicher Direktor des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg, vom 18.08.1999 mittlerweile über 10 Jahre zurück. Seither hat der Verurteilte jeden Versuch einer eingehenden gutachterlichen Untersuchung durch die gerichtlich beauftragten Sachverständigen entschieden abgelehnt. Das derzeit aktuellste jüngste „nervenärztliche Gutachten nach Aktenlage“ des Dr. T H, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt der Klinik für Suchttherapie des Klinikums am W., W., datiert vom 04.02.2010. Diesem Gutachten lässt sich das Folgende entnehmen:
a) Gutachtengrundlage, fehlende Bereitschaft des Verurteilten, sich begutachten zu lassen
Der Verurteilte sei (auch) 2005 bis 2010 nicht bereit gewesen, sich begutachten zu lassen. Deshalb hätten keine Untersuchungen stattfinden können. Es habe mehrere (teils aber recht kurze) persönliche Kontakte gegeben, teils auch im Rahmen von Anhörungen durch die Strafvollstreckungskammer. Das Gutachten beruhe auf einer Aktenauswertung, wobei bestimmte Akten (Gefangenenpersonalakte, Krankenakte) wegen der Weigerung des Verurteilten nicht zugänglich gewesen seien.
b) Verhalten im Vollzug und außerhalb des Vollzugs
In der Justizvollzugsanstalt Freiburg hätten gegen den Verurteilten über längere Zeit besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden müssen. Er habe 1998 seinen Haftraum in Brand gesteckt; gegen die dadurch veranlasste Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er u. a. mit einer Eisenstange Widerstand geleistet. In der Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich damals verfolgt gefühlt und jeden Kontakt mit Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdiensts abgelehnt. Am 30.05.2002 sei in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ein beleidigendes und bedrohliches Verhalten dokumentiert worden. Nach seiner Zurückverlegung in die Justizvollzugsanstalt Freiburg im Jahr 2003 habe er dort einen Löffel verschluckt, und bei einer Kontrolle sei eine Schlinge gefunden worden, mit der er sich habe erhängen wollen. Als er daraufhin in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt werden sollte, habe er die Bediensteten angegriffen und einen von ihnen in den Fuß gebissen; trotz Fesselung habe er das Krankentransportfahrzeug demoliert. Im weiteren Verlauf habe sich das Verhalten des Verurteilten stabilisiert. Nach Wiederverlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich dort disziplinarisch unauffällig oder weitgehend unauffällig verhalten. Nach Auskunft des ärztlichen Dienstes und der Anstaltsärztin passe sich er derzeit gut an, fühle sich in der Justizvollzugsanstalt sogar „glücklich und zufrieden“. Er lasse dabei keinerlei Tendenzen erkennen, dass er sich ein Leben draußen vorstellen könne oder gar wünsche. Hilfreich sei, dass er mittlerweile Psychopharmaka in kleiner Menge einnehme, was ursächlich für seine Stabilisierung sein dürfte. Insgesamt sei laut einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, die allerdings gleichwohl einer Aussetzung der Sicherungsverwahrung mit Nachdruck entgegen getreten sei, seine Verhaltensentwicklung als äußerst positiv zu beurteilen. Allerdings führe er das Leben eines Einzelgängers und habe wenige Kontakte im Vollzug. Mangels Vollzugslockerungen habe eine Erprobung des Verhaltens außerhalb des Vollzugs bislang noch nicht erfolgen können. Ob der Verurteilte überhaupt ein Leben außerhalb des Vollzuges anstrebe, sei nach Eindruck des Gutachters offen.
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c) Psychische bzw. psychiatrische Befunde
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Eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10 F 10.1) sei auch rückblickend nicht ganz eindeutig festzustellen. Eine psychotische Erkrankung im engeren Sinne etwa aus dem schizophrenen Formenkreis könne nicht festgestellt werden, desgleichen keine fixierte sexuelle Devianz bzw. psychosexuelle Störung. Es gebe aber eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (histrionisch-dissozial) (ICD 10 F 61.0) mit dissozialen Persönlichkeitselementen (Mangel an Empathie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Unvermögen zu längerfristigen Beziehungen, niedrige Schwelle für aggressives und auch gewalttätiges Handeln, verminderte Lernfähigkeit, Neigung, andere zu beschuldigen oder eigenes Fehlverhalten zu rationalisieren) und histrionischen Persönlichkeitselementen (theatralisch anmutendes Verhalten, oberflächliche Affektivität, Egozentrik, manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse). Es seien Teilelemente des „Psychopathy-Konzepts“ erfüllt, das freilich keine klinische diagnostische Einordnung sei. Hinzu komme zunehmend eine haftreaktive wahnhafte Störung (ICD 10 F 22) mit lang andauernden Wahninhalten, die medikamentöser Behandlung nur schwierig zugänglich seien. Paranoider Wahninhalt sei, dass der Verurteilte annehme, von der Justiz bewusst und gezielt und wiederholt bzw. anhaltend zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein. Es trete immer wieder eine sehr abwertende Haltung gegenüber mit ihm in der Justiz befassten Personen zutage, wobei hier auch ausgeprägte aggressive Strebungen (Gereiztheit, laut werden, jedenfalls tendenziell bedrohlich anmutende Gestik) wahrnehmbar seien.
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d) Kriminalprognostische Faktoren
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Positive kriminalprognostische Faktoren seien, dass Hinweise auf gehäuftes delinquentes Verhalten in der Herkunftsfamilie oder ein „broken home“ nicht vorlägen; dass sich der Verurteilte nicht in Heimen aufgehalten und die Regelschule erfolgreich abgeschlossen habe; und dass im Vollzug der letzten Jahre keine bedeutsamen disziplinarischen Schwierigkeiten aufgetreten seien. Negative kriminalprognostische Faktoren seien, dass der Verurteilte nur eine längere partnerschaftliche Beziehung im Jugendalter, ansonsten nur kurze Beziehungen gehabt habe; dass ab 1967 exzessiver schädlicher Gebrauch von Alkohol aufgetreten sein solle; dass die Delinquenz früh begonnen habe und die Zahl der Vorstrafen hoch gewesen sei, mehrfach gewalttätige Sexualdelikte begangen worden seien, weswegen mehrere Verurteilungen zu Freiheitsstrafe erfolgt seien; dass es ein abwertend negativ geprägtes Frauenbild gebe und der Verurteilte sexuelle Interessen jedenfalls teilweise in brutaler Weise mit nahezu sadistischen Zügen durchgesetzt habe, wobei dem Streben nach Macht und Dominanz wesentliche Bedeutung zukommen dürfte; dass ein paranoider Wahn vorhanden sei, von der Justiz zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein; dass die Basisraten für Rückfälligkeit im Hinblick auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung zwischen 10 % und 25 % lägen und hier individuell erhöht seien; und dass es augenscheinlich unmöglich sei, den Verurteilten in Vollzugslockerungen zu erproben.
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3. Als Dezember 2005 die Überprüfung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 67e Abs. 2 StGB anstand, legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn die Akten vor, um über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, und regte an, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Nachdem zahlreiche Versuche gescheitert waren, den Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration zu bewegen, ordnete das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn mit Beschluss vom 03.12.2008, den Verfahrensbeteiligten aufgrund Begleitverfügung vom 26.02.2009 am 27.02.2009 zugestellt, die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ohne Gutachten an. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob der Senat diesen Beschluss mit Beschluss vom 07.08.2009 auf und verwies die Sache an das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn zurück. Es sei unvertretbar und rechtswidrig gewesen, die Frist des § 67e Abs. 2 StGB um drei Jahre zu überschreiten. Die ablehnende Haltung des Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration rechtfertige nicht die gesetzwidrige Fristüberschreitung; in solchen Fällen seien sog. Aktengutachten möglich. Nach Einholung eines solchen Gutachtens, nämlich des oben I. 3. geschilderten Gutachtens, beschloss das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn am 19.03.2010, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung fortzudauern habe, weil ernstlich zu befürchten sei, dass der Verurteilte außerhalb der Justizvollzugsanstalt erneut straffällig werde; das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGRM) vom 17.12.2009 ändere nichts an der Rechtslage, weil es noch nicht rechtskräftig sei. Dagegen hat der Verurteilte durch seine Verteidigerin sofortige Beschwerde eingelegt. Auf Anregung der Verteidigerin hat der Senat mit Beschluss vom 30.04.2010 Dr. R-D S, Zentrum für Psychiatrie Wiesloch, mit der Erstattung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens zur Kriminalprognose des Verurteilten beauftragt. Dieser Auftrag ist ausdrücklich an die nunmehr erklärte Bereitschaft des Verurteilten geknüpft, sich einer eingehenden Exploration durch Dr. S zu unterziehen. Im Falle verweigerter Mitwirkung sei ein weiteres Gutachten nach Aktenlage nicht veranlasst. Das Gutachten liegt noch nicht vor.
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4. Mit Faxschreiben vom 12.05.2010 an den Senat im Beschwerdeverfahren beantragt die Verteidigerin des Verurteilten unter Hinweis auf das seit dem 10.05.2010 rechtskräftige Urteil des EGMR vom 17.12.2009 festzustellen, dass die Sicherungsverwahrung erledigt ist, und anzuordnen, dass der Verurteilte aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist.
16 
Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart tritt dem Antrag entgegen, weil das genannte Urteil keine Bindungswirkung habe.
II.
17 
Zwar spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ersten Zehnjahresfrist im Jahr 1998 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 2002 II S. 1054 – MRK) widerspricht (1.). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens aus der Unterbringung zu entlassen wäre (2.).
18 
1. Nach Maßgabe der Entscheidung des EGMR (Kammer der fünften Sektion), Urt. v. 17.12.2009 „M. ./. Deutschland“ – 19359/04 –, NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig aaO. S. 233 ff. spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ursprünglich geltenden Zehnjahresfrist im Jahr 1998 konventionswidrig ist, nämlich Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) und Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) verletzt.
19 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hatte der EGMR über die Beschwerde des Herrn M. zu entscheiden, gegen den 1986 die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war und der nach Ablauf der Zehnjahresfrist für die erstmalige Unterbringung im Jahr 2001 nicht entlassen worden war, weil diese Höchstfrist 1998 fortgefallen ist. Die Kammer stellte einstimmig sowohl eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) als auch des Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) fest und sprach dem Beschwerdeführer in Anwendung des Art. 41 MRK eine Entschädigung von 50.000,- EUR für erlittene Nicht-Vermögensschäden zu. Das Urteil ist gemäß Art. 44 Abs. 2 c) MRK am 10.05.2010 rechtskräftig geworden, nachdem der Antrag der Bundesrepublik Deutschland, die Sache gemäß Art. 43 MRK an die Große Kammer zu verweisen, an diesem Tag von dem Ausschuss der Großen Kammer einstimmig zurückgewiesen worden ist.
20 
b) Die Gründe, aus denen der EGMR eine Rechtfertigung der mit Sicherungsverwahrung verbundenen Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a) MRK abgelehnt hat (Ziff. 87 ff.), treffen im Wesentlichen auch hier zu; insbesondere gilt das für die Bedenken, die der EGMR hinsichtlich der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern (vgl. Ziff. 96 des Urteils) und hinsichtlich des Kausalzusammenhanges (Ziff. 100) sowie der Vorhersehbarkeit (Ziff. 101 des Urteils) angemeldet hat. Bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c) MRK, wonach Freiheitsentziehungen u. a. zulässig sind, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, eine Person an der Begehung einer Straftat zu hindern, muss diese Straftat konkret individualisiert sein (Ziff. 102); gefährliche Personen in Haft zu nehmen, weil ein allgemeiner Verdacht besteht, sie könnten strafbare Handlungen begehen, ist nicht von der Vorschrift gedeckt (EGMR, Urt. v. 06.11.1980 – 7367/76 – Guzzardi ./. Italien, Ziff. 102). Allerdings lässt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e) MRK rechtmäßige Freiheitsentziehungen u. a. auch bei psychisch Kranken zu, was, wie sich aus Ziff. 103 des genannten Urteils ergibt, auch als Rechtfertigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommen kann, und anders als im Fall des Herrn M. ist der hier Verurteilte nach den derzeit vorliegenden Gutachten psychisch krank, leidet nämlich an einer Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F 61.0) und einer wahnhaften Störung (ICD 10 F 22). Jedoch verlangt der EGMR (Urt. v. 20.02.2003 – 50272/99 – Hutchinson Reid ./. Vereinigtes Königreich Ziff. 47 f.) in solchen Fällen grundsätzlich die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer entsprechenden anderen geeigneten Einrichtung und lässt die Unterbringung in einem Gefängnis nur übergangsweise – für wenige Monate – zu (EGMR, Urt. v. 11.05.2004 – 48865/99 – Morsink ./. Niederlande Ziff. 61 ff.; s. weiterhin Urt. v. 11.05.2004 – Brand ./. Niederlande – 49902/99 Ziff. 66).
21 
c) Weiterhin spricht Einiges dafür, dass nach Maßgabe der Gründe des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 (Ziff. 106 ff.) eine Verletzung des in Art. 7 Abs. 1 MRK garantierten Verbots rückwirkender Strafschärfung vorliegt. Die gegen den Verurteilten angeordnete Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgrund des Fortfalls der zum Tatzeitpunkt geltenden Höchstfrist verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 MRK in der durch den EGMR vorgenommenen Auslegung, weil Sicherungsverwahrung als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 MRK zu bewerten sei. Die vom EGMR dazu angestellten Erwägungen treffen weitgehend auch auf den vorliegenden Fall zu. Hier wie dort handelt es sich um einen sog. Zehnjahresfall, in dem die Sicherungsverwahrung erstmalig wegen einer Alttat nach altem Recht beschränkt auf eine Höchstdauer von zehn Jahren angeordnet wurde. Hier wie dort gilt, „dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung“ gab (Ziff. 127). Weder hier noch dort gab es in überzeugendem Ausmaß besondere, auf Sicherungsverwahrte gerichtete Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die zum Ziel hatten, die von ihnen ausgehende Gefahr zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich ist, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (Ziff. 127). Hier wie dort war und ist die Sicherungsverwahrung unbefristet (Ziff. 130), und ihre Fortdauer ist von den Gerichten angeordnet worden, die auch für die Strafvollstreckung zuständig sind (Ziff. 131). Hier wie dort haben die Verurteilten durch die Unterbringung in Sicherungsverwahrung „einen schwerwiegenderen Nachteil erlitten als durch die Freiheitsstrafe selbst“ (Ziff. 132). Allerdings betont der Senat, dass es sich vorliegend – anders als in dem vom EGMR entschiedenen Fall – um einen Verurteilten handelt, der sich über viele Jahre hinweg gegenüber jeglichen therapeutischen Bemühungen oder sonstigen Maßnahmen unter dem Aspekt einer Resozialisierung ablehnend verhalten hat (s. hierzu auch OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 14 f.).
22 
2. Aus einer Konventionswidrigkeit folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne nähere Prüfung allein aufgrund der Entscheidung des EGMR zu entlassen ist.
23 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hat der EGMR eine solche Rechtsfolge nicht aus- oder angesprochen. Auch die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat in ihrem Beschluss vom 19.05.2010 – 2 BvR 769/10 – den Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung, sofort aus der Unterbringung in der Sicherungshaft entlassen zu werden, aufgrund einer Folgenabwägung abgelehnt. Dem Verfahren lag der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 17.05.2010 – 2 Ws 573/09 – zugrunde, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers, ihn im Hinblick auf die Endgültigkeit des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 sofort aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen, abgelehnt wurde. Auch das OLG Celle, Beschluss vom 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – hat die Entlassung eines in Sicherungsverwahrung Untergebrachten abgelehnt. Anders entschieden hat allerdings das Landgericht (LG) Marburg in seinem Beschluss vom 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – im Fall des Herrn M., der dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zugrunde lag; dieser Beschluss ist unbeschadet der dort anders gelagerten Bindungswirkung freilich von der Staatsanwaltschaft angefochten worden. Auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einem Revisionsverfahren, das die allerdings abweichende Fallkonstellation einer nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft, den Betroffenen sofort auf freien Fuß gesetzt (Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09 –; Gründe liegen dem Senat nicht vor).
24 
b) Der Senat bezweifelt, ob völker-, nämlich konventionsrechtlich in Fällen der vorliegenden Art eine Beendigung der Freiheitsentziehung unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens geboten ist.
25 
aa) Allerdings entfaltet das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 für den hier vorliegenden Fall völker- und konventionsrechtlich eine Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Stellen. Diese Bindungswirkung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 46 Abs. 1 MRK, der – in persönlicher Hinsicht – nur eine Bindungswirkung inter partes anordnet. Jedoch handelt es sich vorliegend weitgehend um einen „Parallelfall“, der unter Beachtung der Entscheidungsgründe des EGMR zu beurteilen ist (hierzu eingehend Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15.01.2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009 [19359/04] S. 20-23 mit Nachweisen). In sachlicher Hinsicht beinhaltet die Bindungswirkung, dass die festgestellte Konventionsverletzung, falls sie noch andauert, unverzüglich zu beenden ist (s. nur EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198; BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – [„Görgülü“], BVerfGE 111, 307 [321]). In der Art und Weise, wie die Konventionsverletzung beendet wird, haben die Vertragsstaaten der MRK allerdings grundsätzlich Wahlfreiheit; es ist ihre Sache, jene Mittel zu wählen, die im Rahmen ihrer Rechtsordnung ergriffen werden können und müssen, um den aus einem Urteil des EGMR folgenden Anforderungen zu entsprechen; dabei kann ein Vertragsstaat verpflichtet sein, Hindernisse in seiner Rechtsordnung zu beseitigen, die einer angemessenen Bereinigung der Situation des Beschwerdeführers im Wege stehen (EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 203). Nach diesen Maßstäben ist es völker- und konventionsrechtlich unbedenklich, das beim Senat anhängige Beschwerdeverfahrens fortzuführen: Dieses Verfahren ist das in der deutschen Rechtsordnung vorgesehene Verfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unter Beachtung der MRK und des anwendbaren deutschen Rechts.
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bb) Der Umstand, dass die Konventionsverletzung in einer Freiheitsentziehung besteht, ändert in Fällen der vorliegenden Art hieran nichts. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 f. aus:
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„Im Falle der Inhaftierung eines Beschwerdeführers entgegen den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 EMRK hat der EGMR festgestellt, dass aus der Feststellung der Konventionsverletzung eine Pflicht zur sofortigen Freilassung des Betroffen folgt. (…) Bei einem Widerspruch der Inhaftierung eines Betroffenen zu den Bestimmungen der Konvention ist keine Alternative zur Freilassung denkbar, um die Konventionsverletzung abzustellen“ (Unterstreichungen vom Senat).
28 
Das überzeugt den Senat für Fälle der vorliegenden Art nicht. Die beiden angeführten Urteile des EGMR, nämlich EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198, 202 f. und Urt. v. 08.07.2004 – 48787/99 – Ilaşcu ./. Moldawien und Russland Ziff. 490, betrafen Fälle, in denen die andauernde Inhaftierung der Beschwerdeführer vor der MRK in keiner Weise (mehr) zu rechtfertigen war und es keines (weiteren) Verfahrens mehr für die Freilassung bedurfte: Herr Ilaşcu war 1992 in Moldawien von Rebellen willkürlich in Haft genommen, gefoltert und von einem verfassungswidrigen Gericht zu Tode verurteilt worden; obwohl das verfassungsgemäße Gericht dieses Urteil 1994 aufgehoben hatte, wurde er erst 2001 auf freien Fuß gesetzt. Herr Assanidze war vom Präsidenten von Georgien begnadigt und von einem Gericht rechtskräftig freigesprochen worden; gleichwohl wurde er weiterhin in Strafhaft gehalten. In solchen Fällen steht außer Frage, dass eine Freilassung „as early as possible“ erfolgen muss; davon unterscheidet sich der Fall, dass in dem verurteilten Vertragsstaat ein Beschwerdeverfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anhängig ist, in dem die Konventionswidrigkeit der Unterbringung ein wesentlicher Verfahrensgegenstand ist.
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cc) Im Übrigen ist zu fragen, ob es in Fällen der vorliegenden Art Möglichkeiten gibt, konventionswidrige Zustände auch anders als durch Freilassung der Betroffenen zu beenden. Insoweit gesteht auch Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 in Fn. 17 zu, dass es konventionsgemäße Möglichkeiten geben kann, den Betroffenen nach Freilassung erneut in Haft zu nehmen. Werden solche Möglichkeiten (z. B. nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e) EMRK) unverzüglich genutzt oder geschaffen oder wird die Sicherungsverwahrung unverzüglich in einer Weise umgestaltet, die ihr auch nach den Maßstäben des EGMR-Urteils den „Straf“charakter nimmt, erscheint eine Pflicht, Betroffene zunächst auf freien Fuß zu setzen und ihnen sogleich wieder die Freiheit zu entziehen, nicht als einleuchtend. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Freilassung gegebenenfalls hoch gefährlicher Straftäter ihrerseits eine Konventionsverletzung beinhalten könnte, wenn und soweit es daraufhin zu Straftaten kommt, deren Opfer eine Verletzung der in den Konventionsgarantien mit enthaltenen staatlichen Schutzpflicht geltend machen könnten (vgl. hierzu EGMR [Große Kammer], Urt. v. 24.10.2002 – 37703/97 Mastromatteo ./. Italien Ziff. 67 = NJW 2003, 3259 [3260]; OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 12 f.; s. auch BGH, Urt. v. 09.03.2010 – 1 StR 554/10 – Tz. 68).
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c) Selbst wenn es völker- und konventionsrechtlich geboten wäre, eine konventionswidrige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sofort zu beenden, könnte dies nach Auffassung des Senats im derzeitigen innerstaatlichen deutschen Recht weder methodisch vertretbar noch im Einklang mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip umgesetzt werden (im Ergebnis und weithin in der Begründung wie hier OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 7 ff.).
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aa) Durch den „Görgülü-Beschluss“ des Zweiten Senats des BVerfG vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 –, BVerfGE 111, 307 sind Art und Umfang der Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR weitgehend geklärt: Deutsche Gerichte haben die Konvention, die formell den Rang einfachen Bundesrechts hat, in der Auslegung durch den EGMR wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfG aaO. S. 317). Insbesondere gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges deutsches Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (BVerfG aaO. S. 323 f.). Hat der EGMR einen Konventionsverstoß der Bundesrepublik Deutschland festgestellt und dauert dieser Verstoß an, so ist die Entscheidung zu berücksichtigen; die Fachgerichte müssen sich mit ihr auseinandersetzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (BVerfG aaO. S. 324). Eine Abweichung kommt insbesondere in Betracht, wenn deutsche Gerichte mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben und sensible Abwägungen zwischen verschiedenen subjektiven Rechtspositionen erforderlich sind; es wäre verfassungsrechtlich problematisch, wenn einer der Grundrechtsträger einen für ihn günstigen Urteilsspruch des EGMR gegen die Bundesrepublik Deutschland erstreitet und deutsche Gerichte diese Entscheidung schematisch anwenden, mit der Folge, dass der insofern „unterlegene“ und möglicherweise nicht im Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligte Grundrechtsträger gar nicht mehr als Verfahrenssubjekt wirksam in Erscheinung treten könnte (BVerfG aaO. S. 326 f.).
32 
bb) Der Senat bezweifelt, dass es eine methodisch vertretbare Auslegung des geltenden StGB gibt, die dazu führt, dass in einem sog. Zehnjahresfall, wie er hier verfahrensgegenständlich ist, im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 ohne Weiteres die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt und der Untergebrachte auf freien Fuß gesetzt werden muss. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO S. 38-48, aus, es sei eine methodisch vertretbare Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB, durch Art. 5 und 7 MRK in der Auslegung durch das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 „gesetzlich“ etwas „anderes bestimmt“ zu sehen. Dann würde für sog. Zehnjahresfälle wie hier das alte Recht gelten, das bei erstmaliger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Höchstfrist von zehn Jahren vorgesehen habe, die im Sinne von § 67d Abs. 4 StGB „abgelaufen“ sei, weshalb die Sicherungsverwahrung erledigt und der Verurteilte zu entlassen sei. Diese Auffassung (in der Sache wohl ebenso LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – S. 16, hier als „verfassungskonforme Auslegung“; zu deren Grenzen, wenn der Wille des Gesetzgebers bestimmt und eindeutig ist, s. aber OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 10 mit Nachw.) verkehrt den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil (ebenso OLG Celle aaO. BU S. 9 f.). Der Gesetzgeber sah Art. 7 MRK gerade nicht als Schranke des § 2 Abs. 6 StGB an (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 108). Vor allem spricht gegen die von Grabenwarter für möglich gehaltene Auslegung das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160): Mit Art. 2 Nr. 2 und 3 dieses Gesetzes wurden an den damaligen Art. 1a EGStGB, der zum neuen Absatz 1 wurde, als neue Absätze 2 und 3 die folgenden Bestimmungen angefügt:
33 
„(2) § 66 Abs. 3 des Strafgesetzbuches findet nur Anwendung, wenn der Täter eine der Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art nach dem 31. Januar 1998 begangen hat.
34 
(3) § 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) findet uneingeschränkt Anwendung.“
35 
Mit dem neuen Art. 1a Abs. 3 EGStGB war ausdrücklich bezweckt, die Änderungen des § 67d StGB „uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen“, was verfassungsrechtlich möglich sei, weil es nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe (s. BT-Drucks. 13/9062 S. 12). Damit ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers, das neue Fristenrecht des § 67d StGB auf Altfälle anzuwenden, sogar Gesetz geworden. Die spätere Streichung der Art. 1a Abs. 2 und 3 EGStGB durch Art. 8 Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 (BGBl. I S. 1838) berührt diesen Willen nicht (ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 9 f.). Denn der Gesetzgeber ging lediglich davon aus, dass die Regelung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG, namentlich den Beschluss vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 verzichtbar erscheine (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 20). Eine Auslegung wie bei Grabenwarter, die alles das überspielt, erscheint methodisch nicht mehr vertretbar.
36 
cc) Zudem ist der Senat der Auffassung, dass eine schematische „Vollstreckung“ des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 in der Weise, dass sog. Zehnjahresfälle nunmehr ohne Weiteres zu entlassen wären, die Frage aufwerfen würde, ob dies mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar wäre. Zwar dürfte es dem deutschen Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt sein, zu dem vor 1998 geltenden Rechtszustand zurückzukehren (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 [187]; s. auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 13 f.). Nach dem nunmehr geltenden Recht, das weder von der MRK noch von dem EGMR-Urteil außer Kraft gesetzt wird, ist aber durch § 67d Abs. 3 StGB den Fachgerichten auch und gerade nach Ablauf der Zehnjahresfrist die der Sicherungsverwahrung immanente sensible Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für die Allgemeinheit andererseits verfassungsrechtlich aufgegeben:
37 
„Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen. Diese Schutzpflicht des Staates ist umso intensiver, je mehr die Gefährdung sich konkretisiert und individualisiert und je stärker sie die Gefährdung elementarer Lebensbereiche betrifft. (…) Hinter dieses öffentliche Interesse tritt das Freiheitsgrundrecht (…) trotz seines hohen Wertes zurück. (…) Der Gesetzgeber (hat) mit der Regelung des § 67d Abs. 3 StGB nicht gegen das freiheitsschützende Übermaßverbot verstoßen. Die inhaltliche Konzeption als Regel-Ausnahme-Vorschrift sowie die flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien für die Betroffenen verschaffen deren Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichende Geltung (…)“ (BVerfG aaO. S. 186 f.).
38 
Eine schematische „Vollstreckung“ des EGMR-Urteils in Gestalt sofortiger Entlassung selbst hoch gefährlicher Untergebrachter brächte diese Abwägung in einer Art und Weise aus dem Gleichgewicht, die verfassungsrechtlich jedenfalls bedenklich wäre und – im Sinne des Monitums des „Görgülü-Beschlusses“ – darauf hinauslaufen würde, dass die schutzwürdige Allgemeinheit und damit nicht am Verfahren vor dem EGMR beteiligte Grundrechtsträger nicht mehr als Verfahrenssubjekte wirksam in Erscheinung treten könnten. Entgegen Kinzig NStZ 2010, 233 (238) beziehen sich dieses Monitum sowie der Vorbehalt betreffend mehrpolige Grundrechtsverhältnisse nicht ausschließlich aufs Privatrecht, sondern auf alle Fälle, in denen staatliche Gerichte „wie im Privatrecht“ mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben (s. BVerfGE 111, 307 [324]; ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 11 f.).
III.
39 
Auch deutsches Verfassungsrecht gebietet nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne weitere inhaltliche Überprüfung aus der Unterbringung zu entlassen wäre.
40 
1. Die vom EGMR als konventionswidrig erkannte geltende deutsche Gesetzeslage ist vom Zweiten Senat des BVerfG in seinem Urteil vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 für verfassungsgemäß erachtet worden. Für sich gesehen ändert das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 hieran nichts. Das Konventionsrecht einerseits und das deutsche Verfassungsrecht andererseits sind nicht deckungsgleich, und der EGMR urteilt nicht nach deutschem Verfassungsrecht.
41 
2. Allerdings beeinflussen die Gewährleistungen der Konvention die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes, und die Rechtsprechung des EGMR dient auch auf der Ebene des Verfassungsrechts als „Auslegungshilfe“ für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern das nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – „Görgülü“, BVerfGE 111, 307 [317]). Der Senat hat daher erwogen, ob im Lichte der Erwägungen, die der EGMR in seinem Urteil vom 17.12.2009 angestellt hat, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des geltenden deutschen Rechts insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 (hierzu BVerfGE 109, 133 [156 ff.]) und auf Art. 103 Abs. 2 GG (hierzu BVerfGE 109, 133 [167 ff.]) anders als in BVerfGE 109, 133 zu beantworten ist. Für das Freiheitsgrundrecht verneint der Senat die Frage, da das jeweilige Schranken- und Schranken-Schranken-Regime zu unterschiedlich ist. Für die Frage des Rückwirkungsverbots und des verfassungsrechtlichen Strafbegriffs sieht der Senat hingegen Erörterungsbedarf. Ihm erscheint aber zweifelhaft, ob das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zu der Annahme zwingt, entgegen BVerfGE 109, 133 (167 ff.) sei Art. 103 Abs. 2 GG verletzt. Diese Verfassungsbestimmung steht in einer bestimmten verfassungs- und einfachrechtlichen Tradition des deutschen Rechts (s. hierzu BVerfG aaO. S. 168 ff.). Ihre traditionell enge Auslegung begründet sich auch aus der grundsätzlichen Absolutheit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots und den hohen Anforderungen an eine parlamentsgesetzliche Strafbarkeitsgrundlage, die sich so nicht bei Art. 7 MRK finden. Zudem kennt das deutsche Verfassungsrecht ein allgemeines rechtsstaatliches Vertrauensschutzgebot, das als verfassungsrechtlicher Auffangtatbestand eingreifen kann (s. hierzu BVerfG aaO. S. 180 ff.) und in der MRK nicht in gleicher Weise ausgeprägt ist. Deshalb ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass er das Gesetzesrecht, aufgrund dessen der Verurteilte sich (noch) in Sicherungsverwahrung befindet, für verfassungswidrig hält, und sieht deshalb von einer Vorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80-82 BVerfGG) ab (s. hierzu auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 8 ff.). Im Übrigen dürfte die Frage in dem beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 769/10 baldiger verfassungsgerichtlicher Klärung zugeführt werden. Der in diesem Verfahren ergangene Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19.05.2010 lässt erstens erkennen, dass die Kammer die verfassungsrechtliche Frage für offen hält, andernfalls sie nicht in eine Folgenabwägung hätte eintreten können, und fasst zweitens die Möglichkeit ins Auge, dass sich das geltende Recht zwar als verfassungswidrig erweisen, es jedoch gleichwohl nicht zu Entlassungen kommen könnte, beispielsweise weil für eine Übergangszeit die ggf. bedingte Fortgeltung des bisherigen Rechts angeordnet werden könnte. Drittens zeigt der Beschluss, dass es im Ergebnis verfassungsrechtlich verantwortbar ist, Verurteilte jedenfalls vorläufig in Sicherungsverwahrung zu belassen. Die Folgenabwägung fällt auch im vorliegenden Fall gegen eine sofortige Entlassung aus: Wäre es bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, den Verurteilten sofort zu entlassen, so würde ihn die hier getroffene Entscheidung in seinem Freiheitsgrundrecht verletzen. Wäre es hingegen auch bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen, und würde der Senat ihn jetzt entlassen, so wäre die Allgemeinheit bis zur Wiederergreifung des Verurteilten nach der derzeitigen Gutachtenlage der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten ausgesetzt, seien es Sexualdelikte, seien es Gewaltdelikte gegen Justizangehörige, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Dann aber muss das Freiheitsgrundrecht jedenfalls bis auf Weiteres zurücktreten.
IV.
42 
Nach alledem ist eine sofortige Entlassung des Verurteilten unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens nicht veranlasst. Das bedeutet freilich nicht, dass die konventionsrechtlichen Vorgaben, wie sie im Urteil des EGMR vom 17.12.2009 enthalten sind, und die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie insbesondere im Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 enthalten sind, nicht zu beachten wären. Im Gegenteil ist es Aufgabe des Senats wie aller nationalen Gerichte, das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 im weiteren Verfahren „in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung“, nämlich das Recht der Sicherungsverwahrung, „einzupassen“ (BVerfGE 111, 307 [327]) und – selbstverständlich – deutsches Verfassungsrecht zur Anwendung zu bringen. Insbesondere wird es geboten sein, etwaige Konventionsverletzungen ausdrücklich festzustellen (vgl. für die konventionswidrige Verfahrensverzögerung BVerfG, Beschl. v. 19.04.1992 – 2 BvR 1487/90, NJW 1993, 3254 [3255]) und das geltende deutsche Recht, insbesondere §§ 67d Abs. 2 und 3, 67e Abs. 1 Satz 1 StGB, auf einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BVerfGE 109, 133 [162 ff.]) im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung konventions- und verfassungskonform (vgl. BVerfG aaO. S. 159, 161) zu handhaben (s. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 12.05.2010 – III-4 Ws 114/10 S. 3 f.).

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 250.000 € (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) festgesetzt.

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Auch in einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (vgl. BVerfGE 66, 39 <56>; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Etwas anderes gilt nur, wenn sich die Verfassungsbeschwerde von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht dagegen die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 87, 334 <338>; 89, 109 <110>; stRspr). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt dabei nur in Betracht, wenn die für den Erlass sprechenden Gründe deutlich überwiegen (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Oktober 2008 - 2 BvR 236/08 -, NVwZ 2009, S. 103 <104>).

2

2. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung bleibt aufgrund der gebotenen Folgenabwägung ohne Erfolg. Die durch das - nach Ablehnung des Antrags auf Verweisung an die Große Kammer am 10. Mai 2010 nunmehr endgültige - Kammerurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 (Beschwerde Nr. 19359/04) zur Sicherungsverwahrung aufgeworfenen Rechtsfragen werden im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

3

a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später die Verfassungsbeschwerde aber als begründet, so entstünde dem Beschwerdeführer durch die Fortsetzung der Freiheitsentziehung ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Verlust an persönlicher Freiheit (vgl. BVerfGE 22, 178 <180>; 84, 341 <344>). Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) hat unter den grundrechtlich verbürgten Rechten besonderes Gewicht (vgl. BVerfGE 65, 317 <322>; 104, 220 <234>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Dezember 2009 - 2 BvR 2365/09 -, juris, Rn. 3).

4

b) Erginge die einstweilige Anordnung, wiese aber das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde später als unbegründet zurück oder gäbe ihr ohne die Folge einer Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Maßregelvollzug statt, so entstünden ebenfalls schwerwiegende Nachteile. Die Fachgerichte haben die Gefahr bejaht, dass der seit über 10 Jahren in der Sicherungsverwahrung befindliche Beschwerdeführer - der 1996 unter anderem wegen versuchten schweren Menschenhandels, Körperverletzung, Freiheitsberaubung, sexueller Nötigung und Förderung der Prostitution strafgerichtlich verurteilt worden war - infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Die Fachgerichte haben insoweit auf drohende Straftaten des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und ähnliche Delikte abgestellt. Diese Annahme ist nachvollziehbar begründet. In Anbetracht dessen und angesichts der Schwere der drohenden Taten überwiegt das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegenüber dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers.

5

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Oberlandesgerichte sind in Strafsachen ferner zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel:

1.
der Revision gegen
a)
die mit der Berufung nicht anfechtbaren Urteile des Strafrichters;
b)
die Berufungsurteile der kleinen und großen Strafkammern;
c)
die Urteile des Landgerichts im ersten Rechtszug, wenn die Revision ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt wird;
2.
der Beschwerde gegen strafrichterliche Entscheidungen, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafkammern oder des Bundesgerichtshofes begründet ist;
3.
der Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern nach den § 50 Abs. 5, §§ 116, 138 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes und der Jugendkammern nach § 92 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes;
4.
des Einwands gegen die Besetzung einer Strafkammer im Fall des § 222b Absatz 3 Satz 1 der Strafprozessordnung.

(2) Will ein Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung

1.
nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder Buchstabe b von einer nach dem 1. April 1950 ergangenen Entscheidung,
2.
nach Absatz 1 Nummer 3 von einer nach dem 1. Januar 1977 ergangenen Entscheidung,
3.
nach Absatz 1 Nummer 2 über die Erledigung einer Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder in einem psychiatrischen Krankenhaus oder über die Zulässigkeit ihrer weiteren Vollstreckung von einer nach dem 1. Januar 2010 ergangenen Entscheidung oder
4.
nach Absatz 1 Nummer 4 von einer Entscheidung
eines anderen Oberlandesgerichtes oder von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes abweichen, so hat es die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen.

(3) Ein Land, in dem mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, kann durch Rechtsverordnung der Landesregierung die Entscheidungen nach Absatz 1 Nr. 3 einem Oberlandesgericht für die Bezirke mehrerer Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht zuweisen, sofern die Zuweisung für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren zweckmäßig ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.


Tenor

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

Ist in den Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet worden ist, die vor dem 31. Januar 1998 begangen wurden, die Maßregel nach zehnjährigem Vollzug wegen Erreichens der Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB in der bis zum 31. Januar 1998 gültigen Fassung für erledigt zu erklären oder ist auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) in diesen Fällen weiterhin § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB anzuwenden?

Gründe

I.

1

Das Landgericht Mainz verurteilte den vielfach, überwiegend wegen Diebstahls, durch Urteil des Amtsgerichts Frankenthal vom 5. Oktober 1972 auch schon wegen versuchter Notzucht in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung vorbestraften Untergebrachten am 22. Februar 1988 und 13. Juni 1996 wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

1.

2

Mit Urteil vom 22. Februar 1988 sprach es ihn der Vergewaltigung in zwei Fällen sowie der versuchten Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung schuldig und verhängte gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren. Darüber hinaus ordnete es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an.

3

2.

4

Am 13. Juni 1996 verurteilte das Landgericht den Untergebrachten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten. Darin wurden die Einzelstrafen des vorgenannten Urteils vom 22. Februar 1988 mit einbezogen. Die dort angeordnete Sicherungsverwahrung blieb aufrecht erhalten.

5

6

Wegen der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Gründe der Urteile Bezug genommen.

II.

7

Die Freiheitsstrafe wurde in der Zeit vom 29. Juni 1988 bis 18. Januar 1999 vollstreckt. Seit dem 19. Januar 1999 wird die Sicherungsverwahrung vollzogen.

8

Mit Beschluss vom 19. Januar 2000 hat die Strafvollstreckungskammer es abgelehnt, den Vollzug der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen. Sie hat sich dabei auf ein weiteres Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ...[A] vom 20. August 1999 gestützt. Er ist bei seiner Einschätzung des Untergebrachten als dissoziale Persönlichkeit geblieben. Da dieser in den Jahren des Vollzugs alle Angebote einer therapeutischen Hilfe zurückgewiesen hat, bestehe die in den Straftaten deutlich gewordene spezifische Deliktsbereitschaft unverändert fort.

9

In der Zeit vom 27. Januar 2000 bis 19. Januar 2004 befand sich der Untergebrachte in der Sicherungsverwahrung der nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt ...[W]. Mit Beschluss vom 13. Dezember 2000 beauftragte die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg den Sachverständigen Prof. Dr. ...[B] in ...[Z] mit der Erstellung eines Prognosegutachtens, das dieser unter dem 30. Januar 2001 erstattete. Auf Grundlage des Gutachtenergebnisses lehnte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 18. April 2001 eine bedingte Entlassung des Untergebrachten ab. Danach wolle und könne er seinen Anteil an dem Fehlverhalten nicht sehen und bestreite eine persönliche Schuld gänzlich. Viele der hochproblematischen Einstellungen, Neigungen und Verhaltensweisen seien weiter vorhanden, auch wenn bestimmte triebhafte Verhaltensweisen durch den Alterungsprozess eine Abflachung erfahren hätten. Im Kern bestehe seine Gefährlichkeit weiter fort, weil er sich mit seinen Straftaten kaum auseinandergesetzt habe. Dem Ratschlag des Sachverständigen folgend sprach sich die Kammer für eine behutsame Erprobung von Absprache- und Abstinenzfähigkeit des Untergebrachten aus. Zwei Jahre später stellte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 9. April 2003 fest, dass sich nichts geändert habe und die Gründe der Entscheidung vom 18. April 2001 weiter fortbestehen. Es sei dringend erforderlich, dass der Untergebrachte seine Alkohol- und Persönlichkeitsproblematik mit fachlicher Hilfe aufarbeite.

10

Nach seiner Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt Diez beschloss die nunmehr wieder zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz am 24. März 2005, die weitere Vollstreckung der Unterbringung nicht zur Bewährung auszusetzen. Der Untergebrachte habe zwischenzeitlich keine ernsthafte Aufarbeitung der Taten und seiner Persönlichkeitsproblematik geleistet. Das Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter besuchte er lediglich siebenmal, danach brach er die Therapie aus eigenem Entschluss ab. Auch eine ihm angebotene Einzeltherapie nutzte er nicht. Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass sich an der Persönlichkeitsproblematik des Untergebrachten seit Erstellung des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. ...[B] in ...[Z] vom 30. Januar 2001 keine Änderung zum Positiven ergeben habe. Dieser Ansicht schloss sich der Senat auf Rechtsmittel des Untergebrachten mit Beschluss vom 7. Juni 2005 an.

11

Zu dem gleichen Ergebnis gelangte die Strafvollstreckungskammer bei der Überprüfung der Vollzugsfortdauer zwei Jahre später. Mit Beschluss vom 20. April 2007 stellte sie fest, dass sich der Untergebrachte trotz entsprechender Therapieangebote weiterhin nicht um eine Aufarbeitung seines delinquenten Verhaltens und seiner Persönlichkeitsdefizite bemüht habe. Eine Beeindruckung durch den bis dahin erfolgten Freiheitsentzug, eine selbstkritische Reflektion und Auseinandersetzung mit seiner Delinquenz sowie ein Aufkommen von Schuld- oder Reuegefühlen seien bei ihm noch nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Diese Einschätzung teilte der Senat in seinem auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten ergangenen Beschluss vom 18. Juli 2007.

III.

12

Zuletzt ordnete die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 16. September 2009 die Fortdauer der Unterbringung an. Trotz Ablauf der Regeldauer einer Sicherungsverwahrung von zehn Jahren bestünden konkrete Anhaltspunkte für eine fortdauernde Gefährlichkeit des Untergebrachten. Die Gründe, die zur vorangegangenen Entscheidung vom 20. April 2007 geführt haben, bestünden unverändert fort. Positiv sei lediglich zu vermerken, dass das Vollzugsverhalten des Untergebrachten einwandfrei sei. Auch die zur Erhaltung seiner Lebenstüchtigkeit durchgeführten Ausführungen, die er wunschgemäß zum Angeln nutzen durfte, seien beanstandungsfrei verlaufen. Angebote der Justizvollzugsanstalt zur Aufarbeitung seiner Persönlichkeitsproblematik habe er jedoch weiterhin nicht angenommen. Darüber hinaus stützte die Strafvollstreckungskammer ihre Prognose auf ein zur Vorbereitung der Entscheidung eingeholtes Gutachten eines medizinischen Sachverständigen. Dieser schätze das Rückfallrisiko im mittleren Bereich ein. Die Tatmotive des Untergebrachten, der die Taten leugne, seien dem Sachverständigen unklar. Ob sich etwas bei ihm verändert habe, könne er nicht feststellen. Die unter Haftbedingungen für ihn nicht belegbare Persönlichkeitsstörung könne außerhalb des Vollzugs unter ungünstigen Bedingungen erneut zu Tage treten. Die Prognose hänge daher davon ab, in welchen Empfangsraum der Untergebrachte entlassen werde. Auf Grundlage der gutachterlichen Ausführungen hielt es die Kammer daher für erforderlich, vor einer Entlassung des Untergebrachten dessen Lebenstauglichkeit durch Vollzugslockerungen zu verbessern und einen günstigen sozialen Empfangsraum zu schaffen.

13

Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten beschloss der Senat, zunächst ein neues psychiatrisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob und gegebenenfalls welche rechtswidrigen Taten von dem Untergebrachten aufgrund seines Hanges weiterhin zu erwarten sind (§§ 463 Abs. 3 Satz 4 StPO, 67d Abs. 3 Satz 1 StGB). Der von der Strafvollstreckungskammer herangezogene Sachverständige hatte nach Auffassung des Senats die an ein Prognosegutachten zu stellenden Anforderungen nicht ausreichend beachtet.

14

Das am 6. April 2010 schriftlich erstellte Gutachten des vom Senat beauftragten Sachverständigen Dr. ...[C] gelangte zu einer außerordentlich ungünstigen Kriminalprognose. Er sieht ein sehr hohes Rückfallrisiko für Gewaltdelikte, insbesondere im sexuellen Bereich. Der Untergebrachte weise eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.2) auf, der zeitüberdauernde innere Erfahrens- und Verhaltensmuster zugrunde liegen, die bis in die Adoleszentenzeit zurückreichten und bei dem Probanden kontinuierlich zu einer Beeinträchtigung der Impulskontrolle und zur rigorosen Bedürfnisbefriedigung gegenüber anderen Menschen, insbesondere im Sexualbereich, aber auch in anderen Bereichen kriminellen Handelns geführt hätten. Die Persönlichkeitsstörung sei in der Vergangenheit durch dauernde Missachtung von sozialen Normen, Regeln und Verpflichtungen zum Ausdruck gekommen. Unabhängig von den Sexualstraftaten zeige sich dies in der Begehung von Delikten wie Diebstahl, Unterschlagung, Hehlerei und Verletzung der Unterhaltspflicht. Diese Verhaltensauffälligkeiten hätten sich während des Vollzugs der Freiheitsentziehung, erkennbar in der Bedrohung von Justizvollzugsbeamten und in der rigiden Ablehnung von therapeutischen Maßnahmen, fortgesetzt. Zu dem zeitüberdauernden inneren Erfahrens- und Verhaltensmuster gehöre das gesamte gestörte Sexualverhalten des Untergebrachten, das er über Jahre hinweg gezeigt habe. Dieses habe bei ihm zu rigorosen Vorgehensweisen und zur Durchsetzung der eigenen sexuellen Impulse gegenüber seinen Opfern geführt. Die Tathandlungen zeigten, dass er vollkommen herzlos gegenüber den Gefühlen anderer Menschen ist. Er lasse keinerlei Schuldeinsicht erkennen, vielmehr leugne er die Anlasstaten und neige dazu, andere zu beschuldigen. Aus dieser Persönlichkeitsstörung ergebe sich ein Höchstrisikofaktor, zumal der Untergebrachte auch eine sogenannte Psychopathy-Persönlichkeit darstelle, bei der sich bestimmte Persönlichkeitsmerkmale so verdichtet haben, dass sich daraus zusätzlich ein hohes Rückfallrisiko für kriminelle Handlungen ergebe.

15

Nach Erhalt des Gutachtens nahm der Untergebrachte noch vor Durchführung des anberaumten Anhörungstermins sein Rechtsmittel zurück.

IV.

16

Auf Anregung der Staatsanwaltschaft vom 9. Juni 2010 ist die große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz in Diez erneut in die Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung eingetreten. Anlass dafür hat ihr das seit dem 10. Mai 2010 endgültige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) gegeben.

17

Nach Anhörung des Untergebrachten hat sie mit Beschluss vom 20. Juli 2010 die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt. Sie hat – unter Bezugnahme auf ihre Entscheidung vom 16. September 2009 und das Gutachten des Sachverständigen Dr. ...[C] vom 6. April 2010 – zwar weiterhin das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des § 67d Abs. 3 StGB und damit ein Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit zum Schutz vor erheblichen Straftaten durch den Verurteilten bejaht. Aufgrund der genannten Entscheidung des EGMR ist die Kammer jedoch zu der Auffassung gelangt, dass die nach dem Tatzeitrecht gültig gewesene Höchstfrist von zehn Jahren für eine erstmals angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu gelten habe und diese im Sinne des § 67d Abs. 4 StGB als abgelaufen anzusehen sei. Dies sei geboten, um dem nach Ansicht des EGMR fehlenden Kausalzusammenhang nach Art. 5 Abs. 1a EMRK zwischen dem der Unterbringung zugrunde liegenden Urteil und der Fortdauer der Freiheitsentziehung über zehn Jahre hinaus Rechnung zu tragen. Soweit der EGMR in der Fortdauer der Unterbringung auch einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot gem. Art. 7 EMRK gesehen hat, müsse dies bei Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB berücksichtigt werden. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK in der Auslegung durch den EGMR sei als einfachgesetzliche Ausnahmeregelung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB aufzufassen, die für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsehe. Die Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB finde bei der Fortdauerentscheidung keine Anwendung mehr. Wörtlich lauten die Rechtsausführungen der Strafvollstreckungskammer wie folgt:

18

„Im Zeitpunkt der der Verurteilung zugrunde liegenden Taten galt für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung eine Höchstfrist von zehn Jahren. Aufgrund der Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB und des Art. la Abs. 3 EGStGB durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGB1. 1 1998, 5. 160) ist diese Höchstfrist auch für diejenigen Straftäter entfallen, die ihre Tat vor Verkündung und Inkrafttreten der Novelle begangen haben und vor diesem Zeitpunkt, wie vorliegend, verurteilt worden sind.

19

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 17.12.2009 in der Rechtssache M. gegen Deutschland (Nr. 19359/04) für Recht erkannt, dass die Vollstreckung der vor dem 31.01.1998 erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung über die zum Zeitpunkt der Verurteilung zulässigen Höchstdauer von zehn Jahren hinaus eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK (Recht auf Freiheit) und Art. 7 Abs. 1 EMRK (keine Strafe ohne Gesetz) darstelle. Unter den Bedingungen der Vollzugswirklichkeit sei die Maßregel der Sicherungsverwahrung eine Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 EMRK. Diese Entscheidung ist seit dem 10.05.2010 endgültig.

II.

20

Die Strafvollstreckungskammer hat gemäß den § 463, 462a StPO als zuständiges Gericht zu prüfen, ob im vorliegenden Fall gemäß § 67e Abs. 1 StGB neue Anhaltspunkte oder Tatsachen vorliegen, die eine Erledigung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung im Sinne des § 67d Abs. 3 StGB rechtfertigen.

21

Eine derartige Prüfung ist aufgrund der zuvor zitierten Entscheidung des EGMR veranlasst, da dieser die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus für menschenrechtswidrig hält.

22

Die Strafvollstreckungskammer ist zwar nicht unmittelbar an die Entscheidung der 5. Kammer des EGMR gebunden. Sie hat keine unmittelbare “erga omnes“ - Wirkung, sondern nur unmittelbare Bindungswirkung im Fall des dortigen Beschwerdeführers “inter partes“ (vgl. hierzu Kinzig, NStZ 2010, 5. 233, 238 m.w.N.).

23

Dennoch ist die Strafvollstreckungskammer als staatliches Organ der Rechtspflege verpflichtet, im Rahmen der Prüfung des § 67d Abs. 3 StGB zu beachten, dass es in gleichgelagerten Fällen nicht zu einer entsprechenden Verletzung der EMRK kommt. Dies ergibt sich aus Art. 46 Abs. 1 EMRK, wonach die Hohen Vertragsparteien sich verpflichten, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen. Die Gerichte sind somit verpflichtet, die Entscheidung des EGMR im Rahmen der Gesetzesauslegung zur Wirksamkeit zu verhelfen und das geltende Recht konventionskonform auszulegen und anzuwenden. Hierbei sind folgende Grundsätze nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerfG zu beachten:

24

“Die Bindungswirkung einer Entscheidung des Gerichtshofs erstreckt sich auf alle staatlichen Organe und verpflichtet diese grundsätzlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ohne Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG einen fortdauernden Konventionsverstoß zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen.

25

…Gerichte sind zur Berücksichtigung eines Urteils, das einen von ihnen bereits entschiedenen Fall betrifft, jedenfalls dann verpflichtet, wenn sie in verfahrensrechtlich zulässiger Weise erneut über den Gegenstand entscheiden und dem Urteil ohne materiellen Verfassungsverstoß Rechnung tragen können.

26

…Die Gerichte haben die Konventionsbestimmung in der Auslegung des Gerichtshofs zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden, soweit die Anwendung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Verfassungsrecht verstößt“ (BVerfG, Beschluss v. 05.04.2005 - 1 BvR 1664/04).

27

Diese Entscheidung einer Kammer des 1. Senates des BVerfG entspricht der ständigen Rechtsprechung der Senate des BVerfG in der Frage des Schutzes der Grundrechte durch internationale Gerichte, wie den für Fragen des EU-Rechts zuständigen Europäischen Gerichtshof (EuGH) und auch den über die EU hinaus zuständigen EGMR (vgl. BVerfG, Beschluss v. 22.10.1986 - 2 BvR 197/93 und vom 21.12.1997 - 1 BvR 1/75).

28

Die Staatsanwaltschaft Mainz hat indes in ihrer Verfügung vom 09.06.2010 beantragt, die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nicht für erledigt zu erklären und nicht zur Bewährung auszusetzen.

29

Der Verurteilte wurde am heutigen Tage im Beisein seiner Verteidigerin durch die Kammer mündlich angehört. Auf die Niederschrift wird verwiesen.

III.

30

Nach der Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB erklärt das Gericht nach Ablauf von zehn Jahren die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass die untergebrachte Person infolge ihres Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden. Diese Norm trägt somit der verstärkten Geltung des Freiheitsanspruches nach zehnjähriger Verwahrdauer Rechnung, in dem sie erhöhte Anforderungen an das bedrohte Rechtsgut und den Nachweis der Gefährlichkeit der untergebrachten Person stellt und nur ausnahmsweise die Fortsetzung der Vollstreckung gestattet (vgl. BVerfG, NJW 2004, 739 ff.)

31

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG). Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Straf- und Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit; zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkungen bestimmen (BVerfG-Entscheidungen 70, 297, 307). Das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich.

32

Vorliegend können die materiellen Voraussetzungen des § 67d Abs. 3 StGB und damit ein Sicherungsinteresse der Allgemeinheit vor erheblichen Straftaten durch den Verurteilten bejaht werden. Insoweit wird Bezug genommen auf die letzte ablehnende Entscheidung vom 16.09.2009 und das Sachverständigengutachten vom 06.04.2010, das zu einer außerordentlich ungünstigen Kriminalprognose gelangt.

33

Unter Beachtung des rechtskräftigen Urteils des EGMR vom 17.12.2009 und einer nunmehr konventionskonformen Interpretation des § 67d Abs. 3 StGB stellt die Strafvollstreckungskammer im vorliegenden Falle allerdings fest, dass die Höchstfrist für die Sicherungsverwahrung als abgelaufen im Sinne des § 67d Abs. 4 StGB anzusehen ist.

34

Zu diesem Zeitpunkt ist keiner der Gründe des Art. 5 Abs. 1 EMRK gegeben. Die Strafvollstreckungskammer schließt sich insoweit den Ausführungen des EGMR an, dass weder ein Eingriffsgrund nach Art. 5 Abs. la EMRK noch nach Art. 5 Abs. lc EMRK vorliegt, der die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus rechtfertigen würde.

35

Gemäß Art. 5 Abs. la EMRK ist ein Eingriffsgrund in die persönliche Freiheit des Verurteilten dann gerechtfertigt, wenn ein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen der ursprünglichen Verurteilung und der in Rede stehenden Freiheitsentziehung besteht (s. oben genanntes Urteil des EGMR § 87 ff.). Des Weiteren muss der Verurteilte voraussehen können, welche Folgen eine bestimmte Handlung nach sich ziehen kann, um jegliche Gefahr der Willkür zu vermeiden (s. oben genanntes Urteil des EGMR § 90). Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts Mainz vom 13.06.1996 galt der § 67d Abs. 1 StGB a.F. Der Verurteilte hätte nach den damals geltenden Bestimmungen nach zehn Jahren der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen. Die darüber hinausgehende Verwahrung ist nur durch die Gesetzesänderung aus dem Jahre 1998 möglich geworden. Eine solche Änderung der Gesetzeslage zu seinen Lasten konnte der Verurteilte zum Tatzeitpunkt in keiner Weise vorhersehen. Diese Dauer der Unterbringung war auch nicht von dem erkennenden Gericht angeordnet worden. Damit fehlt der erforderliche Kausalzusammenhang auch nach Auffassung des EGMR zwischen der Verurteilung und der über zehn Jahre dauernden Sicherungsverwahrung. Die Vorschrift des Art. 5 Abs. la EMRK greift somit nicht.

36

Daneben ist bei konventions- und damit menschenrechtskonformer Anwendung des § 67d Abs. 3 StGB zu beachten, dass dieser ebenfalls gegen das in Art. 7 Abs. 1 EMRK verankerte Rückwirkungsverbot verstößt. Insoweit wird auf die Begründung des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 (s. oben genanntes Urteil des EGMR § 117 ff.) verwiesen. Das Tatzeitrecht drohte für die Anlasstaten nicht die Anordnung von Sicherungsverwahrung über die Dauer von mehr als zehn Jahren an.

37

Da die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung - bei der Auslegung innerdeutschen Rechtes zu berücksichtigen ist, muss die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB mit Blick auf die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 dahingehend ausgelegt werden, dass § 67d Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.

38

Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts jedoch nur vor, “wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 S 2 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR dar.

39

Bei der EMRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die EMRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (vgl. BVerfG-Entscheidung 111, 307, 316 ff.) Dabei sind auch die Entscheidungen des EGMR zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention wiederspiegelt. Das nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen des EMRK auszulegen.

40

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 5. 2 EMRK als (einfach-) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch – wie bereits ausgeführt – die Dauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzt.

41

Nach alledem kann die Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB keine Anwendung mehr finden.“

42

Gegen den ihr am 27. Juli 2010 zugestellten Beschluss der Strafvollstreckungskammer hat die Staatsanwaltschaft am 29. Juli 2010 sofortige Beschwerde eingelegt.

43

Die Generalstaatsanwaltschaft weist auf die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bestehende Divergenz zur Frage der rechtlichen Auswirkungen des genannten Urteils des EGMR auf die Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den Fällen der vorliegenden Art und die diesbezüglich seit dem 30. Juli 2010 bestehende Vorlagepflicht gem. § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG hin.

44

Die Verteidigerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie beantragt, die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen.

V.

45

Die Sache ist gemäß der genannten Vorschrift dem Bundesgerichtshof vorzulegen.

1.

46

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist gem. §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und in zulässiger Weise eingelegt worden. Der Senat möchte ihr stattgeben und den angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer aufheben.

47

Beschwerdegegenstand ist allein die Entscheidung über die Unterbringungsfortdauer auf Grundlage der Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009. Auf die materiellen Fortdauervoraussetzungen gem. § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB ist nicht einzugehen. Damit hat sich die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen Beschluss nicht auseinander gesetzt, sondern insoweit auf ihre letzte, rechtskräftige Fortdauerentscheidung vom 16. September 2009 verwiesen. Der Senat sieht keinen Anlass, seinerseits im Beschwerdeverfahren in eine materielle Prüfung einzutreten. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich die nach der genannten Vorschrift zu treffende Prognose seit der letzten Fortdauerentscheidung zu Gunsten des Untergebrachten verbessert haben und der Beschluss der Strafvollstreckungskammer deswegen im Ergebnis zutreffen könnte. Dagegen spricht das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. ...[C] vom 6. April 2010, das nach derzeitiger Bewertung des Senats dem Gebot der Vollständigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit (vgl. BVerfG 2 BvR 2029/01 vom 5.2.2004 Absatz-Nr. 121, 122; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 90, 91/92; Senat StV 1999, 496, 497; KG NStZ 1999, 319, 320) entspricht. Die materiellen Fortdauervoraussetzungen werden daher voraussichtlich erst wieder nach Ablauf des zweijährigen Regelüberprüfungszeitraums (§ 67e Abs. 2 StGB) zu untersuchen sein.

48

Die zu der entscheidungserheblichen Frage vertretene Auffassung der Strafvollstreckungskammer teilt der Senat nicht. Insoweit haben sich beide Strafsenate des Oberlandesgerichts Koblenz übereinstimmend bereits wie folgt geäußert (1. Strafsenat Beschluss 1 Ws 108/10 vom 7.6.2010; 2. Strafsenat Beschluss 2 Ws 253/10 vom 16.7.2010):

49

„Der Senat sieht sich nicht daran gehindert, die Fortdauer der Unterbringung nach Maßgabe des § 67d Abs. 3 StGB über zehn Jahre hinaus fortdauern zu lassen, auch wenn diese Vorschrift erst durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) mit Wirkung zum 31. Januar 1998, mithin nach den Anlasstaten und Erlass des dem Maßregelvollzug zugrunde liegenden Urteils […], in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden ist und in der zur Zeit der Taten und des Urteilserlasses geltenden Fassung des § 67d StGB die Dauer der erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung selbst bei fortbestehender Gefährlichkeit des Untergebrachten auf zehn Jahre begrenzt war (§ 67d Abs.1 StGB a.F.). Art. 1a EGStGB sah nach Inkrafttreten des bezeichneten Gesetzes vom 26. Januar 1998 bis zum Jahr 2004 ausdrücklich vor, dass die Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB uneingeschränkt Anwendung findet. Demzufolge betraf der Wegfall der Zehnjahresgrenze auch Straftäter, die ihre Tat vor Verkündung und Inkrafttreten der Neufassung begangen hatten und vor diesem Zeitpunkt verurteilt worden waren.

50

Diese Regelung nach Art. 1a EGStGB findet ihre Fortsetzung in § 2 Abs. 6 StGB. Danach ist über Maßregeln der Besserung und Sicherung, zu denen gem. § 61 Nr. 3 StGB die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zählt, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Diese Vorschrift bezieht sich sowohl auf die Anordnung als auch auf die Vollstreckung der Maßregeln (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 - Absatz-Nr. 182 m.w.N., BVerfGE 109, 133 ff. = NJW 2004, 739 ff.), so dass sie, da anders lautende Gesetzesbestimmungen fehlen, auch für die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung die Anwendung des zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechts bestimmt.

51

Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit inzwischen endgültigem Kammerurteil vom 17. Dezember 2009 - Individualbeschwerde Nr. 19359/04 - (NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig a.a.O. S. 233 ff.) in einem gleich gelagerten Fall, in dem Anordnung der Sicherungsverwahrung und Anlasstat ebenfalls zeitlich vor Inkrafttreten der Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB lagen, die Fortdauer der Unterbringung über zehn Jahre hinaus als unvereinbar mit Artikel 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) angesehen hat. Der Gerichtshof verneint einen Kausalzusammenhang zwischen dem die Sicherungsverwahrung anordnenden Urteil des Tatgerichts und der Fortdauer der Maßregel über zehn Jahre hinaus, weil die Fortdauer nur durch die nachfolgende Gesetzesänderung im Jahr 1998 ermöglicht wurde. Damit fehlt dem Freiheitsentzug der in Betracht zu ziehende Rechtfertigungsgrund gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 lit.a. EMRK (EGMR a.a.O. Ziff. 100, 105). Darüber hinaus bewertet der Gerichtshof die Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Konvention, die Verlängerung der Unterbringung nach § 67d Abs. 3 StGB nicht als bloße Vollstreckungsmaßnahme, sondern als zusätzliche Strafe, die gegen den Beschwerdeführer nachträglich nach einem Gesetz verhängt wurde, das erst nach Begehung der Anlasstat in Kraft trat. Darin sieht er konventionswidrige Rückwirkung, da die zur Tatzeit geltenden Strafbestimmungen klar und unmissverständlich eine Höchstfrist von zehn Jahren für eine erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung festlegten (EGMR a.a.O. Ziff. 133 - 136).

52

Das Urteil des EGMR gibt jedoch keine Veranlassung, anders als auf Grundlage des geltenden § 67d Abs. 3 StGB über die Fortdauer der Unterbringung zu entscheiden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 25. Mai 2010 - 2 Ws 169 und 170/10 -; s. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 1. Juni 2010 - 1 Ws 57/10 -, wonach das Urteil des EGMR jedenfalls nicht die sofortige Freilassung in Parallelfällen zur Folge hat; a.A. - obiter dictum - OLG Hamm, Beschluss vom 12. Mai 2010 - III-4 Ws 114/10 -):

53

1. Das Urteil entfaltet Rechtskraft- und unmittelbare Bindungswirkung nur innerhalb des Beschwerdegegenstands (§ 46 Abs. 1 EMRK). Sie geht über den konkret entschiedenen Fall nicht hinaus, so dass Dritten, auch wenn sie sich auf einen gleich gelagerten Sachverhalt berufen können, daraus keine Rechte entstehen.

54

Zwar folgt aus Art. 1 EMRK eine Verpflichtung des verurteilten Mitgliedstaats, eine durch den Gerichtshof festgestellte Konventionsverletzung auch in Parallelfällen zu beenden. Urteile des EGMR haben jedoch keine Gesetzeskraft. Sie wirken nicht unmittelbar in die nationale Rechtsordnung hinein und können damit eine konventionskonforme innerstaatliche Rechtslage nicht erzeugen. Eine innerstaatliche Bindungswirkung geht von ihnen insoweit aus, als sie von allen staatlichen Organen innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs und der rechtsstaatlichen Kompetenzordnung zu beachten sind (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - Absatz-Nr. 45, 46, 47, BVerfGE 111, 307 ff. = NJW 2004, 3407 ff.).

55

Gerichte als Träger der rechtsprechenden Gewalt haben die Europäische Menschenrechtskonvention, die - in der Auslegung durch den EGMR - innerstaatlich im Range eines förmlichen Bundesgesetzes gilt, im Rahmen ihrer Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG zu berücksichtigen. Das bedeutet aber nicht, dass die Rechtsprechung Urteile des EGMR ungeachtet der staatlichen Kompetenzverteilung und der Rechtsordnung im Übrigen schematisch umzusetzen hätte. Entscheidungen des EGMR können die Gerichte nur insoweit beachten, als dies innerhalb der bestehenden Rechtsordnung im Wege einer methodisch vertretbaren Gesetzesauslegung möglich ist (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 47, 50, 53; vgl. auch OLG Celle a.a.O. mit Ausführungen zur abweichenden Auffassung Kinzig a.a.O. S. 238).

56

2. Eine Umsetzung der festgestellten Konventionsverstöße dahingehend, dass in den Fällen einer erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung, in denen Anlasstat und Urteil zeitlich vor dem 31. Januar 1998 liegen („Altfälle“), eine Höchstdauer der Unterbringung von zehn Jahren gilt und nach deren Ablauf die Maßnahme für erledigt zu erklären ist, kann durch Auslegung der gegebenen Gesetzeslage jedoch nicht erreicht werden.

57

a) Einer Auslegung der §§ 67d Abs. 3, 2 Abs. 6 StGB in diesem Sinn steht schon der Wortlaut dieser Vorschriften entgegen. Er schließt alle Fälle der Sicherungsverwahrung in die Gesetzesregelung mit ein und lässt eine Ausnahme für die Altfälle nicht zu. Eine abweichende Interpretation dieser Vorschriften, die mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar wäre, scheidet damit von vornherein aus. Der Wortlaut bildet die Grenze jeder Auslegung (vgl. nur Fischer, StGB, 57. Aufl., § 1 Rn. 10; Dannecker in LK, StGB, 12. Aufl., § 1 Rn. 307, jeweils m.w.N.).

58

Dem Wortlaut der Vorschriften kann nicht dadurch entsprochen werden, dass dem Urteil des EGMR die Wirkung einer „anderen gesetzlichen Bestimmung“ beigemessen wird, die eine Ausnahme von dem in § 2 Abs. 6 StGB enthaltenen Grundsatz anordnet, bei Entscheidungen über Maßregeln der Besserung und Sicherung das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht anzuwenden (so Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15. Januar 2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009, S. 39 - 45). Abgesehen davon, dass die EMRK in Ausgestaltung durch den EGMR zwar im Rang eines förmlichen Bundesgesetzes zu beachten ist, jedoch nicht rechtsgestaltend in die innerstaatliche Rechtsordnung hineinwirken kann, trifft das Urteil des EGMR keine Aussage zum Regelungsinhalt des § 2 Abs. 6 StGB. Es sieht die Sicherungsverwahrung vielmehr als Strafe, die Verlängerung der Unterbringung über zehn Jahre hinaus als zusätzliche Bestrafung an und betrifft damit den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 StGB, so dass es schon inhaltlich nicht als ausdrückliche Gesetzesbestimmung im Sinne des für die Maßregeln der Besserung und Sicherung geltenden Absatzes 6 angesehen werden kann.

59

b) § 67d Abs. 4 StGB kann gleichfalls nicht im dargestellten Sinn ausgelegt werden (so aber Grabenwarter a.a.O. S. 46 - 48). Der Wortlaut der Vorschrift, wonach der Untergebrachte nach Ablauf der Höchstfrist zu entlassen und die Maßregel damit erledigt ist, ließe sich zwar für sich betrachtet auch, da er keine Einschränkung auf bestimmte Unterbringungsmaßregeln enthält, auf die Sicherungsverwahrung beziehen. Einer solchen Auslegung stünde jedoch der Grundsatz der Gesetzeseinheit entgegen. Eine Einzelnorm ist nicht isoliert, sondern im Gesetzeskontext auszulegen. Nach der Gesetzessystematik regelt § 67d Abs. 4 StGB allein die Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Denn nur für diese sieht § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB eine Höchstfrist vor.

60

Darüber hinaus widerspräche eine solche Auslegung der Regelungsabsicht des Gesetzgebers, die der Neuregelung des § 67d StGB durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 zugrunde liegt. Es war sein erklärter Wille, dass der Wegfall der Zehnjahresdauer gem. § 67d Abs. 1 StGB a.F. nicht nur für künftige Anordnungen der Sicherungsverwahrung, sondern auch für „Altfälle“ gilt. Im Gegensatz zur Neuregelung in § 66 Abs. 3 StGB sollten die Änderungen in § 67d StGB durch Art. 1a Abs. 3 EGStGB uneingeschränkt rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Da diese Änderungen im Gegensatz zur Regelung in § 66 Abs. 3 StGB nicht die Anordnung, sondern lediglich die Dauer der Sicherungsverwahrung betreffen, sah der Gesetzgeber darin keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot (BT-Drucksache 13/9062 S. 12).

61

Zugleich stehen Sinn und Zweck des Gesetzes einer die „Altfälle“ der Sicherungsverwahrung in die Regelung des § 67d Abs. 4 StGB mit einbeziehenden Auslegung entgegen. Es war das gesetzgeberische Ziel, mit der Neuregelung einen möglichst umfassenden Schutz der Allgemeinheit vor drohenden schwersten Rückfalltaten bereits als gefährlich bekannter, in der Sicherungsverwahrung untergebrachter Gewalt- und Sexualstraftäter zu gewährleisten (BT-Drucksache 13/9062 S. 10; BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 - Absatz-Nr. 189 a.a.O.). Eine Gesetzesauslegung, die dazu führte, die vom Gesetzgeber aufgegebene Zehnjahreshöchstdauer für die erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung wieder zur Geltung zu bringen und die vor der Gesetzesänderung untergebrachten Straftäter zu entlassen, wäre mit diesem Schutzzweck des Gesetzes nicht vereinbar.

62

Über den erklärten Willen des Gesetzgebers und die von ihm verfolgten Zwecke kann sich eine Gesetzesauslegung nicht hinwegsetzen. Aus der gesetzgeberischen Entscheidung, die Änderungen in § 67d StGB uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen, ergibt sich zugleich, dass hinsichtlich der „Altfälle“ keine planwidrige Regelungslücke im Gesetz besteht, die durch eine analoge Anwendung des § 67d Abs. 4 StGB zu füllen wäre.

63

c) Der Weg, den Konventionsverstößen durch eine verfassungskonforme Auslegung der Gesetzeslage Geltung zu verschaffen und bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung über das grundgesetzlich verankerte Rückwirkungsverbot und Rechtsstaatsprinzip zur Anwendung des Tatzeitrechts gem. § 2 Abs. 1 StGB zu gelangen, ist dem Senat von Gesetzes wegen verschlossen. Zwar beeinflussen die Gewährleistungen der EMRK die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des EGMR dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen, sofern dies nicht zu einer - von der Konvention selbst nicht gewollten - Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes führt (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - Absatz-Nr. 32 a.a.O.).

64

Die Rückwirkung des § 67d Abs. 3 StGB auf die bereits abgeurteilten „Altfälle“ ist jedoch durch das Bundesverfassungsgericht gerade in dem vom EGMR entschiedenen Fall für verfassungsgemäß erklärt worden (Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 -, BVerfGE 109, 133 ff. = NJW 2004, 739 ff.). Es hat die Regelung sowohl am absoluten Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 123 - 165) als auch unter dem Gesichtspunkt einer „echten“ und „unechten“ Rückwirkung am rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot nach Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gemessen (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 166 - 189). Es hat die Sicherungsverwahrung nicht als staatliche Eingriffsmaßnahme im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG angesehen und in der ab 31. Januar 1998 auch für „Altfälle“ gültigen Neuregelung des § 67d Abs. 3 StGB und Art. 1a Abs. 3 EGStGB lediglich eine tatbestandliche Rückanknüpfung („unechte“ Rückwirkung) erkannt, die weder die Rechtsfolge aus der Anlasstat nachträglich ändert noch die im Strafurteil rechtskräftig festgesetzten Rechtsfolgen revidiert (BVerfG a.a.O. Absatz-Nr. 176, 177).

65

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (veröffentlicht in BGBl. I 2004, 1069) hat Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG). Sie lässt daher nicht zu, entsprechend der Vorgabe des EGMR die Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG und die Anordnung der Maßregelfortdauer über zehn Jahre hinaus als weitere, nicht mehr auf das Strafurteil zurückzuführende Bestrafung zu bewerten.

66

Abgesehen davon könnte auch eine verfassungskonforme Gesetzesauslegung zu keinem Normverständnis führen, das im Widerspruch zu dem klar und eindeutig geäußerten Willen des Gesetzgebers steht. Ebenso wenig wie die übrigen Auslegungsmethoden darf sie den normativen Gehalt der auszulegenden Vorschriften grundlegend neu bestimmen und das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 1 BvR 2269/07 - Absatz-Nr. 4, BauR 2009, 1424 f.; Dannecker in LK, a.a.O. § 1 Rn. 329, jeweils m.w.N.).

67

3. Nach alledem besteht keine Möglichkeit, die EMRK in der Ausgestaltung durch das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 im Wege der Gesetzesauslegung mit den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs in Einklang zu bringen. Der Hinweis Grabenwarters (a.a.O. S. 29), dass die vom zitierten Urteil des Bundesverfassungs-gerichts ausgehende Bindungswirkung sich nicht auf die gegebene Gesetzeslage bezieht, sondern auch andere Gesetzesregelungen oder die Rückkehr zur früheren Lösung des Gesetzgebers zulässt, vermag daran nichts zu ändern. Die Suche nach neuen Gesetzeslösungen oder die Entscheidung, bezüglich der „Altfälle“ zur früheren Rechtslage zurückzukehren, fällt, da sie die Grenzen der Gesetzesauslegung überschreitet, nicht mehr in den Aufgabenbereich der Gerichte. Eine Umsetzung des Urteils des EGMR in das innerstaatliche Recht muss daher dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

68

4. Die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB). Zwar wird der Gesetzgeber aufgrund der von dem Urteil des EGMR ausgehenden Bindungswirkung die vor dem 31. Januar 1998 gültig gewesene Zehnjahresdauer bei Regelung der „Altfälle“ wieder beachten müssen. Das führt jedoch nicht dazu, dass die Maßregel schon vor einer gesetzlichen Neuregelung für unverhältnismäßig zu erklären und der Untergebrachte zu entlassen ist. Denn die sofortige Beendigung der Freiheitsentziehung würde dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls zuwiderlaufen und ihm in Bezug auf die „Altfälle“ die vom Gesetzgeber durch rückwirkenden Wegfall der Zehnjahresdauer geschaffene Grundlage entziehen. Dieses Gemeinwohlinteresse, das darin besteht, die Allgemeinheit vor drohenden schwersten Rückfalltaten gefährlicher Gewalt- und Sexualstraftäter zu schützen, ist dem Freiheitsanspruch des Untergebrachten gegenüberzustellen. Ebenso wie der Staat die Grundrechte des Einzelnen zu wahren hat, ist er nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet, sich schützend und fördernd vor das Leben potentieller Opfer zu stellen und deren Leben insbesondere vor rechtswidrigen Angriffen von Seiten anderer zu bewahren (BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 2 BvR 2307/06 - Absatz-Nr. 19, EuGRZ 2010, 145 ff.; Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834/02 u. 1588/02 - Absatz-Nr. 163, 164 jeweils m.w.N., BVerfGE 109, 190 ff. = NJW 2004, 750 ff.; BGH, Beschluss vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 - Absatz-Nr. 68, NJW 2010, 1539 <1544>).

69

Der Schutz vor Verurteilten, von denen auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen und zehnjähriger Sicherungsverwahrung die Gefahr erheblicher Straftaten ausgeht, durch welche die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden, stellt ein überragendes Gemeinwohlinteresse dar.Die Abwägung der Rechtsgüter ergibt daher, dass der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten bis zu einer gesetzlichen Neuregelung (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834/02 u. 1588/02 - Absatz-Nr. 164 a.a.O.) bzw. bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den bereits anhängigen Hauptsacheverfahren 2 BvR 769/10 und 2 BvR 2365/09 (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Dezember 2009 - 2 BvR 2365/09 - und vom 19. Mai 2010 - 2 BvR 769/10 -, beide in juris) hinzunehmen ist. Nach dem angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom [..] und deren vorangegangenem rechtskräftigen Beschluss vom [..] geht von dem Verurteilten nach wie vor die hohe Gefahr gravierender Sexualstraftaten aus, durch die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden. Eine sofortige Entlassung, auf die weder der Untergebrachte selbst noch die Allgemeinheit vorbereitet ist, würde die von ihm ohnehin ausgehende Gefährlichkeit nochmals erheblich erhöhen. Es kann erwartet werden, dass der Gesetzgeber die Entlassung der Straftäter aus der Unterbringung in den „Altfällen“ so regeln wird, dass der Schutz der Allgemeinheit so weit als möglich gewährleistet wird. Bis dahin muss der Freiheitsanspruch hinter dem Gemeinwohlinteresse zurücktreten.“

70

Daran hat das Oberlandesgericht Koblenz in Kenntnis zwischenzeitlich ergangener, anderslautender Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs (4. Strafsenat) festgehalten. Der 1. Strafsenat (Beschluss 1 Ws 249/10 vom 1. Juli 2010) hat ergänzend ausgeführt:

71

„1. Die zwischenzeitlich veröffentliche Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2010 (Az.: 4 StR 577/09) gibt dazu keine Veranlassung.

72

In seiner Entscheidung, die keine Bindungswirkung entfaltet, vertritt der Bundesgerichtshof die Auffassung, § 2 Abs. 6 StGB sei mit Blick auf die Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden dürfe. Das nationale Recht sei wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der EMRK auszulegen. Nach Maßgabe dieser Grundsätze sei bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK als (einfach-) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsehe (BGH a.a.O.). Die Anwendung des Tatzeitrechts würde im vorliegenden Fall die Dauer der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzen.

73

Der Senat vermag diese Rechtsansicht nicht zu teilen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Entscheidung vom 14. Oktober 2004 (BVerfGE 111, 307 ff. = NJW 2004, 3407 ff.) mit der Frage auseinander gesetzt, in welcher Weise deutsche Gerichte Entscheidungen des EGMR berücksichtigen müssen. Es hat hierzu ausgeführt, dass die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Range eines Bundesgesetzes stünden. Diese Rangzuweisung führe dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden hätten. Die Konvention verhalte sich aber grundsätzlich indifferent zur innerstaatlichen Rechtsordnung und solle anders als das Recht einer supranationalen Organisation nicht in die staatliche Rechtsordnung unmittelbar eingreifen. Innerstaatlich würden durch entsprechende Konventionsbestimmungen in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz sowie durch rechtsstaatliche Anforderungen (Art. 20 Abs. 3, 59 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG) alle Träger der deutschen öffentlichen Gewalt grundsätzlich an die Entscheidungen des Gerichtshofs gebunden. Danach unterlägen auch die deutschen Gerichte einer Pflicht zur Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofs. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische „Vollstreckung” könne aber gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen. Wenn der Gerichtshof in einem konkreten Beschwerdeverfahren unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland einen Konventionsverstoß festgestellt habe und dieser Verstoß andauere, sei die Entscheidung des Gerichtshofs im innerstaatlichen Bereich zu berücksichtigen. Das bedeute, die zuständigen Behörden oder Gerichte müssten sich mit der Entscheidung erkennbar auseinander setzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (vgl. BVerfG a.a.O.).

74

Eben dies hat der Senat in seiner Entscheidung vom 7. Juni 2010 getan und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die schematische Umsetzung der Entscheidung des EGMR mit der bestehenden Gesetzeslage nicht vereinbar ist. Daher vermag sich der Senat auch der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht anzuschließen.

75

Hinzu kommt, dass offenbar auch der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Rechtsauffassung des 4. Strafsenats nicht teilt. In einer ebenfalls am 12. Mai 2010 erlassenen Entscheidung (Az.: 2 StR 171/10) hat der 2. Strafsenat keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 66b StGB geäußert, obwohl diese Norm auch in dem von ihm entschiedenen Fall zum Zeitpunkt des Anlassurteils, das am 14. September 1995 erging, noch nicht in Kraft getreten war. Wäre nach Auffassung des 2. Strafsenats das Tatzeitrecht für die Anordnung der Sicherungsverwahrung maßgeblich, so hätte die von dem Senat getroffene Entscheidung, die auf die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 66b Abs. 2 StGB gestützt wird und eine Zurückverweisung zur neuen Sachverhaltsfeststellung beinhaltet, nicht ergehen dürfen, da die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung erst mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 2004, S. 1838 ff.) geschaffen wurde.

76

2. Der zwischenzeitlich ergangene Beschluss des 3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 24. Juni 2010 (Az.: 3 Ws 485/10) vermag den Senat ebenfalls nicht zu einer Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung zu bewegen.

77

Das Oberlandesgericht Frankfurt hält in seiner Entscheidung eine Berücksichtigung der Entscheidung des EGMR im Zuge der Auslegung von § 2 Abs. 6 StGB dergestalt für möglich, dass für „Altfälle“ die zur Tatzeit geltende Vorschrift des § 67d Abs. 1 S. 1 StGB a.F. zur Anwendung zu bringen sei, die die Dauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzt habe. Dieser Auslegung stehe weder der Wille des Gesetzgebers noch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen.

78

Dem vermag der Senat nicht beizutreten. Es war bei der gesetzlichen Neureglung des Jahres 1998 gerade der erklärte Wille des Gesetzgebers, die neue Rechtslage auch auf Fälle zur Anwendung zu bringen, in denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits in zuvor ergangenen Urteilen getroffen worden war.

79

Davon gehen nun auch der 1. und der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg in zwei ebenfalls am 24. Juni 2010 getroffenen Entscheidungen (Az.: 1 Ws 315/10 und 2 Ws 78/10) aus. Die Senate haben jeweils ausgeführt, dass es im Wege der Auslegung nicht möglich sei, die Regelungen von Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRK nach Maßgabe der Rechtsprechung des EGMR mit der derzeit gültigen deutschen Rechtslage, wie sie vom Bundesverfassungsgericht interpretiert werde, in Einklang zu bringen. Daher verbleibe es bei der Anwendbarkeit der vom Gesetzgeber in § 67d StGB angeordneten Anwendung der Neuregelung auch auf „Altfälle“. Aus Art. 1 a Abs. 3 EGStGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 und aus § 2 Abs. 6 StGB n.F. werde der Wille des Gesetzgebers erkennbar, die Verlängerung der Sicherungsverwahrung auch auf „Altfälle“ anzuwenden. Außerdem müsse der gegenüber den Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRG höherrangige Art. 2 Abs. 2 GG mit der dort vorzunehmenden Berücksichtigung der Grundrechte Dritter – und der sich daraus ergebenden Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor das Leben potentieller Opfer zu stellen und deren Leben vor rechtswidrigen Angriffen Dritter zu bewahren – angewendet und zur Geltung gebracht werden, was ebenfalls einer Umsetzung der Entscheidung des EGMR durch Auslegung entgegen stehe.

80

3. Schließlich verstößt auch in diesem Fall die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB). In der am [..] ergangenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer zuletzt das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung bejaht. Daher gelten die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit betreffenden Ausführungen des Senats in seiner Entscheidung vom 7. Juni 2010 auch für den vorliegenden Fall sinngemäß.“

81

Dem hat sich der 2. Strafsenat (a.a.O.) angeschlossen und auch nach erneuter Überprüfung der Rechtslage unter Berücksichtigung weiterer, eine andere Meinung vertretender Entscheidungen der Oberlandesgerichte Frankfurt, Schleswig und Karlsruhe (OLG Frankfurt, Beschluss 3 Ws 619-620/10 vom 15.7.2010; OLG Schleswig, Beschlüsse 1 OJs 2/10 (1 Ws 267/10) und 1 OJs 3/10 (1 Ws 268/10) vom 15.7.2010; OLG Karlsruhe, Beschlüsse 2 Ws 458/09 und 2 Ws 44/10 vom 15.7.2010) zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass gesehen.

82

Er hält an der dargestellten Auffassung weiter fest. Er sieht die Regelung der „Altfälle“ weiterhin als Aufgabe des Gesetzgebers an. Ohne eine gesetzliche Regelung ist es auch fraglich, ob im Fall einer Erledigung der Unterbringung wegen Erreichens der Höchstfrist gem. § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. dem Schutz der Allgemeinheit zumindest durch Anordnung der Führungsaufsicht Rechnung getragen werden könnte. Das setzte nach § 68 Abs. 2 StGB eine entsprechende Gesetzesvorschrift voraus. Das gem. § 2 Abs. 6 StGB insoweit anzuwendende geltende Recht kennt keine Höchstfrist für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und dementsprechend auch keine Regelung der Führungsaufsicht für eine Erledigung wegen Fristablaufs mehr, so dass in den „Altfällen“ weder § 67d Abs. 3 Satz 2 noch § 67d Abs. 4 Satz 3 StGB unmittelbar einschlägig wären. § 67d Abs. 4 StGB in der vor dem 31. Januar 1998 gültig gewesenen Fassung, der den Eintritt der Führungsaufsicht nach Ablauf der zehnjährigen Höchstfrist für die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorschrieb, ist durch Art. 1 Nr. 4 Buchst. e) des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 aufgehoben worden. Ob das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009, selbst wenn es als „andere gesetzliche Bestimmung“ im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB aufzufassen wäre, die alte Rechtslage nicht nur zur Höchstfrist der Sicherungsverwahrung, sondern auch zur Führungsaufsicht, zu der es sich nicht verhält, wieder aufleben ließe, erscheint zumindest zweifelhaft.

83

Nach Ansicht des Senats kann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung daher nicht allein aufgrund der Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 für erledigt erklärt werden. Der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer wäre aufzuheben.

2.

84

Der Senat sieht sich an der beabsichtigten Entscheidung gehindert durch die Beschlüsse der Oberlandesgerichte Frankfurt (Beschlüsse 3 Ws 485/10 vom 24.6.2010, 3 Ws 598/10 vom 13.7.2010, 3 Ws 608/10 vom 13.7.2010, 3 Ws 619-620/10 vom 15.7.2010, 3 Ws 638-639/10 vom 20.7.2010), Hamm (Beschluss III-4 Ws 157/10 vom 6.7.2010), Karlsruhe (Beschlüsse 2 Ws 458/09 und 2 Ws 44/10 vom 15.7.2010) und Schleswig (Beschlüsse 1 OJs 2/10 [1 Ws 267/10] und 1 OJs 3/10 [1 Ws 268/10] vom 15.7.2010).

85

a) Diese Gerichte haben in den „Altfällen“ der in den zitierten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Koblenz beschriebenen Art die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug aufgrund des Urteils des EGMR vom 17. Dezember 2009 für erledigt erklärt. Sie verschaffen, wie im vorliegenden Fall die Strafvollstreckungskammer, der Entscheidung des EGMR durch Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB eine unmittelbare Wirkung auf die innerstaatliche Rechtsordnung. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 MRK in der Auslegung durch den EGMR sei eine „andere gesetzliche Bestimmung“ im Sinne der genannten Vorschrift, so dass bei der Fortdauerentscheidung nicht der geltende § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB anzuwenden, sondern die Höchstfrist des bis zum 31. Januar 1998 gültig gewesenen § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB maßgebend sei. Teilweise wird der weitere Vollzug der Unterbringung auch als nicht mehr verhältnismäßig angesehen, da er menschenrechtswidrig sei (OLG Hamm a.a.O.).

86

b) Im Einzelnen werden die abweichenden Meinungen wie folgt begründet:

87

aa) OLG Frankfurt Beschluss 3 Ws 485/10 vom 24. Juni 2010:

88

„1. Gem. § 2 Abs. 6 StGB i. V. m. Art. 7 Abs. 1 S. 2 MRK ist für die gegen den Untergebrachten angeordnete Sicherungsverwahrung nicht § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB n. F., sondern die zur Tatzeit geltende Regelung des § 67 d Abs. 1 S. 1 StGB a. F. anzuwenden.

89

Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 17.12.2009 die Sicherungsverwahrung – ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als Maßregel der Sicherung und Besserung - als Strafe i. S. v. Art. 7 Abs. 1 MRK qualifiziert. Im Wegfall der Höchstfrist sieht er eine konventionswidrige Rückwirkung, da der zur Tatzeit geltende § 67 d Abs. 1 StGB eine Höchstfrist von 10 Jahren für die erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung vorsah (EGMR, NStZ 2010, 263 ff).

90

Strafvollstreckungskammer und Senat sind zur Berücksichtigung dieses Urteils des EGMR, das einen von ihnen bereits entschiedenen Fall betrifft, verpflichtet, wenn sie in verfahrensrechtlich zulässiger Weise erneut über den Gegenstand zu befinden haben (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3407 ff.) Dies ist hier auf Grund des gestellten Antrags nach § 458 Abs. 1 StPO der Fall. Bei der erneuten Befassung besteht die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung der anzuwendenden innerstaatlichen Vorschriften den Vorrang zu gewähren, wenn diese nicht eindeutig dem – ranggleichen – Gesetzesrecht des Bundes oder Verfassungsrecht - namentlich den Grundrechten Dritter - widerspricht (BVerfG, NJW 2004, 3407, 3411).

91

§ 2 Abs. 6 StGB ermöglicht eine derartige Berücksichtigung des Urteils des EGMR.

92

Nach § 2 Abs. 6 StGB ist zwar über Maßregeln der Sicherung und Besserung grundsätzlich nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Art. 7 Abs. 1 MRK in der nunmehrigen Auslegung durch den EGMR ist aber eine andere gesetzliche Bestimmung i. S. von § 2 Abs. 6 StGB (vgl. BGH, Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09, Rn 14 ff. – Juris; Grabenwarter, Rechtsgutachten zu den Rechtsfolgen des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 [Nr. 19359/04] v. 15.01.2010 [unv.], S. 45).Die Konvention gilt innerstaatlich als Bundesrecht. Entscheidungen des EGMR haben zwar keine Gesetzeswirkung, Inhalt und aktueller Entwicklungsstand seiner Rechtsprechung bestimmen aber den Gehalt der (einfach-gesetzlichen) Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 MRK (BGH, a. a. O. Rn 16; Grabenwarter, S. 27). Das Bundesverfassungsgericht formuliert demzufolge auch ausdrücklich, dass die „MRK – in der Auslegung durch den EGMR – im Range des Bundesgesetzes gilt“ und deshalb „in den Vorrang des Gesetzes einbezogen“ ist und insoweit von der rechtsprechenden Gewalt beachtet werden“ muss (NJW 2004, 3407 [3410]).

93

Da der EGMR aber im vorliegenden Fall ausgesprochen hat, dass § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB nicht rückwirkend angewandt werden darf, weil die Sicherungsverwahrung gegen den Untergebrachten faktisch wie eine Strafe vollzogen wird, ist § 2 Abs. 6 StGB dahin auszulegen, dass statt dessen die zur Tatzeit geltende Vorschrift des § 67 d Abs. 1 S. 1 a. F. StGB gilt, der gemäß die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre begrenzt ist.

94

Methodische Bedenken stehen dieser Auslegung nicht entgegen. Insbesondere ist der Senat an ihr – entgegen der Ansicht der Oberlandesgerichte Celle (Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169 - 170/10), Stuttgart (Beschl. v. 01.06.2010 – 1 Ws 57/10) und Koblenz (Beschl. v. 07.06.2010 – 1 Ws 108/10) durch Art. 1 a EGStGB i. d. F. des Gesetzes vom 26.01.1998 nicht gehindert. Zwar ist in Abs. 3 dieser Vorschrift ausdrücklich festgelegt, dass § 67 d i. d. F. dieses Gesetzes uneingeschränkt Anwendung finden soll. Der Gesetzgeber hat damit diese Vorschrift bewusst uneingeschränkt mit Rückwirkung in Kraft gesetzt (BT 13/9062 S. 12). Der Gesetzgeber hat sich von der Vorstellung leiten lassen, dass die Neuregelung nicht die Anordnung der Sicherungsverwahrung, sondern lediglich deren Dauer betreffe, weshalb von Verfassungs wegen an den Rückwirkungsschutz geringere Anforderungen zu stellen seien.

95

Dies bedeutet indes nicht, dass der Gesetzgeber auch ausschließen wollte, dass eine den Anforderungen der MRK in der Ausprägung durch die Rechtsprechung des EMRG entsprechende Auslegung der Vorbehalts in § 2 Abs. 6 StGB durch die Gerichte praktiziert wird (vgl. Grabenwarter, S. 45).

96

Zudem wurde Art. 1 a EGStGB mit der darin enthaltenen Differenzierung durch das Gesetz vom 23.07.2004 ersatzlos gestrichen. Die Vorschriften erschienen dem Gesetzgeber im Lichte der Entscheidungen des BVerfG vom 05.02.2004 (also in vorliegender Sache) und vom 10.02.2004 (zu den landesrechtlich geregelten Straftäterunterbringungsgesetzen) verzichtbar. Zwar hat der Gesetzgeber damit an seinem Willen zur Rückwirkung des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB n. F. festgehalten, aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass er diesen einer anders lautenden verfassungsgerichtlichen Entscheidung angepasst hätte. Es erscheint vor diesem Hintergrund ausgeschlossen, dass er sich demgegenüber einer Klärung durch den EGMR verschließen und damit dauerhaft konventionswidrig verhalten wollte.

97

Der vorgenommene Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht auch die Bindungswirkung des Urteils des BVerfG vom 05.02.2004 in vorliegender Sache nicht entgegen. Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB für eine Maßregel der Besserung und Sicherung in Abweichung vom Grundsatz der Geltung des Rechts des Entscheidungszeitpunktes das günstigere Tatzeitrecht gilt, handelt es sich um eine Frage des einfachen Rechts. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.05.2010 a. a. O. Rn 18).

98

Die vorgenommen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist schließlich auch mit der Rechtsprechung des BVerfG vereinbar. Das BVerfG hat zwar in seiner Entscheidung in vorliegender Sache ausdrücklich festgehalten, dass der Staat die Aufgabe hat, die Grundrechte potentieller Opfer vor der Verletzung durch potentielle Straftäter zu schützen und dass sich seine Schutzpflicht umso intensiver ausgestaltet, je mehr sich die Gefährlichkeit der potentiellen Täter konkretisiert und individualisiert und je stärker die Gefährdung elementare Lebensbereiche betrifft (Beschl. v. 05.05.2004 – 2 BVR 2029/01 –Juris Rn 185). Dieser Schutzpflicht kommt auch Verfassungsrang zu.

99

Hieraus ist aber entgegen der Auffassung der Oberlandesgerichte Celle (Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169 - 170/10), Stuttgart ( Beschl. v. 01.06.2010 – 1 Ws 57/10) und Koblenz (Beschl. v. 07.06.2010 – 1 Ws 108/10) nicht der Schluss zu ziehen, diese Schutzpflicht müsse in eine „Abwägung“ mit dem gegenläufigen Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten und dem grundrechtsgleichen Rückwirkungsverbot mit einbezogen werden und erst Recht nicht, dass dieser Schutzpflicht der Vorrang zukommen müsse.

100

Das vom BVerfG in Sachen X aufgeworfene Problem, dass ein Grundrechtsträger am Verfahren vor dem EGMR nicht beteiligt ist (NJW 2004, 3407 [3410]) und deshalb als Verfahrenssubjekt nicht in Erscheinung treten und seine Rechte geltend machen konnte, stellt sich hier nicht. Denn Träger der staatlichen Schutzpflicht ist die Bundesrepublik und diese war Verfahrensgegner im Verfahren vor dem EGMR.

101

Die Rückwirkung des § 67 d Abs. 3 S. 1 n. F. StGB war zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht verfassungsrechtlich nicht geboten, d.h. die darin erfolgte Aufhebung der Zehnjahreshöchstfrist zum Schutz der potentiellen Opfer nicht unabdingbar.

102

Ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der früheren gesetzlichen Regelung des § 67 Abs. 1 S. 1 StGB a. F., welche die erste Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre begrenzte, bestehen in der Tat nicht. Bei ihrer Fortgeltung mit der flankierenden Maßnahme der Führungsaufsicht wird der gesetzgeberische Beurteilungsspielraum vielmehr ebenfalls eingehalten.

103

Im Übrigen kommt eine Abwägung verschiedener Grundrechte hier nicht in Betracht. Denn das Rückwirkungsverbot aus Art. 7 MRK ist – ebenso wie das absolute Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG (BVerfG a. a. O. Rn 137) einer Abwägung gerade nicht zugänglich (vgl. auch Kadelbach in: EMRK/GG Konkordanzkommentar Kap 15 Rn 46 zu Art. 15 Abs. 2 MRK).

104

2. Weil die Höchstfrist abgelaufen ist, ist die Maßregel voll verbüßt. Sie darf daher nicht weiter vollstreckt werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, Rn 10 zu § 458). Daher war sie für unzulässig zu erklären. Der Untergebrachte ist zu entlassen“.

105

Auf diese Begründung hat das Oberlandesgericht Frankfurt in seinen nachfolgenden Beschlüssen 3 Ws 598/10 vom 13.7.2010, 3 Ws 608/10 vom 13.7.2010, 3 Ws 619-620/10 vom 15.7.2010 und 3 Ws 638-639/10 vom 20.7.2010 Bezug genommen und sie weiter aufrechterhalten.

106

bb) OLG Hamm Beschluss III-4 Ws 157/10 vom 6. Juli 2010:

107

„Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung war gemäß § 67 d Abs. 1 StGB in der seit 1975 bis 1998 geltenden Fassung für erledigt zu erklären. Diese Norm findet trotz der durch das Gesetz vom 26.01.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, in Kraft getreten am 31.01.1998, erfolgten Änderung der Gesetzeslage Anwendung. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az.: 19359/04) nach der der im Jahre 1998 angeordnete rückwirkende Wegfall der 10-Jahres-Frist für die erste Sicherungsverwahrung menschenrechtswidrig ist. Diese Entscheidung ist seit dem 10. Mai 2010 endgültig. Danach verstößt die Vollstreckung über den 10-Jahres-Zeitpunkt, der bei dem Untergebrachten bereits seit fünf Jahren verstrichen ist, hinaus sowohl gegen Art. 5 EMRK als auch gegen Art. 7 EMRK. Denn zu dem Zeitpunkt, als der Untergebrachte zur Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, galt noch die 10-Jahres-Frist. Durch den im Jahre 1998 angeordneten Wegfall wurde gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen, da nach der nachvollziehbaren Wertung des EGMR die Sicherungsverwahrung keine Maßregel, sondern eine "Strafe" im Sinne des Art. 7 EMRK darstellt (vgl. EGMR, Entscheidung vom 17.12.2009, beckRS 2010, 01692 Rn.122 ff). Ferner beruht die weitere Vollziehung nicht mehr auf dem ursprünglichen Urteil des Landgerichts Duisburg, da dieses nur eine Sicherungsverwahrung für die Dauer von 10 Jahren angeordnet hatte, auch wenn dies sich nicht unmittelbar dem Tenor entnehmen lässt. Somit lässt sich die weitere Freiheitsentziehung nicht mehr auf eine Verurteilung "durch ein zuständiges Gericht" stützen, so dass sie nicht durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 a EMRK gerechtfertigt sein kann (EGMR aaO Rn 87 und 96).

108

Zwar wirkt die Entscheidung des EGMR unmittelbar nur zwischen dem Beschwerdeführer und der Bundesrepublik Deutschland; sie hat keine "erga omnes"-Wirkung für alle Untergebrachten, die sich nach Ablauf der 10-Jahres-Frist noch in der Unterbringung befinden. Dennoch müssen die Bundesrepublik und ihre staatlichen Organe - somit auch die Vollstreckungsgerichte - als verpflichtet angesehen werden, zu verhindern, dass es in gleichgelagerten Fällen zu einer entsprechenden Verletzung des EMRK kommt (vgl. Kinzig, NStZ 2010, 233, 238; LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., Verfahren MRK RN 77 d). Der Gesetzgeber ist allerdings bislang nicht tätig geworden. Soweit es den Äußerungen der Bundesjustizministerin zu entnehmen ist, soll die Verantwortung auf die Gerichte abgeschoben werden.

109

Der Senat sieht daher keinen Anlass, eine Entscheidung des Gesetzgebers zur Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abzuwarten, da solche offensichtlich nicht vorgesehen sind. Er legt daher die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dahin aus, dass der Wegfall der 10-Jahres-Frist in § 67 d Abs. 1 a.F. keine Rückwirkung haben darf, so dass auf Straftaten, die vor dem 31.01.1998 begangen wurden, die alte Norm Anwendung finden muss (so auch BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010, 4 StR 577/09 für den parallel gelagerten Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. 06. 2010, 3 Ws 485/10; LG Koblenz, Beschluss vom 19. Mai 2010, 7 StVK 139/10; LG Marburg, Beschluss vom 17. Mai 2010, 7 StVK 220/10, LG Kassel, Beschluss vom 15. 06. 2010, 34 StVK 162/10; sowie Grabenwarter in seinem Rechtsgutachten für die Bundesregierung zu den Rechtsfolgen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte S. 42 ff.).

110

Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. Doch steht dies unter dem Vorbehalt: "wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist". Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 S. 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof dar (so BGH 4 StR 577/09 Rn. 15 bei juris).

111

Bei der Menschenrechtskonvention handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Bundesrecht im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegungen zu beachten und anzuwenden (vgl. BGH a.a.O. Rn. 16, BVerfGE 111, 307, 316; Gollwitzer a.a.O. Einführung Rdnr. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei ist nicht nur die Menschenrechtskonvention selbst, sondern auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Somit können als "abweichende" gesetzliche Regelungen nicht allein ausdrückliche Regelungen des Gesetzgebers, die eine Ausnahme vom Grundsatz der Anwendbarkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Gesetzes anordnen, angesehen werden. Vielmehr sind auch anderweitige Regelungen im Gesetzesrang, insbesondere konventionsrechtliche Auslegungen durch den EGMR, erfasst.

112

Die gegen eine solche Gesetzesauslegung geäußerten Bedenken der Oberlandesgerichte Celle (Beschluss vom 25.05.2010, 2 Ws 169 u. 170/2010) und Stuttgart (Beschluss vom 1. Juni 2010, 1 Ws 57/10) vermögen nicht zu überzeugen. Sie verneinen die Möglichkeit einer solchen Auslegung, da sie gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers bei der Änderung der Höchstfrist im Jahre 1998 verstoße. Dieser habe bewusst in § 1 a Abs. 3 EGStGB die uneingeschränkte und damit rückwirkende Änderung des § 67 d StGB angeordnet. Allerdings ist diese ausdrückliche Regelung - wie die Oberlandesgerichte in ihren Beschlüssen selbst sehen - mit dem Gesetz über die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung 2004 wieder gestrichen worden, so dass eine Gesetzesauslegung, wie sie durch den Senat erfolgt, nicht dem derzeitigen Gesetzeswortlaut widerspricht. Zuzugeben ist allerdings, dass sie dem Willen des Gesetzgebers bei Erlass des Gesetzes nicht entspricht. Allerdings darf auf den damaligen Willen des Gesetzgebers nicht abgestellt werden. Denn dieser ging ersichtlich davon aus, dass ein Verstoß gegen Art. 7 EMRK durch seine getroffene Regelung nicht vorliege. Zwischenzeitlich ist ein solcher Verstoß jedoch bindend festgestellt. Damit haben sich die wesentlichen Grundlagen seit Erlass des Gesetzes geändert. Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber in Kenntnis dieses Umstandes gleichwohl unter bewusstem Verstoß gegen die Konvention eine solche Regelung hätte treffen wollen. Daher kann der damalige Wille des Gesetzgebers bei der heutigen Auslegung der Norm keine Rolle mehr spielen.

113

Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht auch nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133 ff.) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstelle und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstoße (BVerfGE a.a.O., 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts zum Zeitpunkt der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Im Rahmen des einfachen Rechts steht es dem Gesetzgeber frei, abweichend von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 18).

114

Eine andere Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Schutzpflicht des Staates hinsichtlich der Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch gefährliche Straftäter ist nicht geboten. Der Staat hat insoweit einen weiten Ermessensspielraum. Dass die vor Änderung der Gesetzeslage im Jahre 1998 bestehende Begrenzung der ersten Sicherungsverwahrung gegen Vorgaben des Grundgesetzes verstoßen hat, ist bislang nie ernstlich vertreten worden (vgl. OLG Frankfurt Beschluss vom 24. 06. 2010 S. 6)

115

Selbst wenn man der vom Senat vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht folgen wollte, ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche bei lang andauerndem Freiheitsentzug immer anzustellen ist (BVerfGE 109, 133, 159; Beschluss des Senats vom 12. Mai 2010, 4 Ws 114/10), zu berücksichtigen. Dies führt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die weitere Vollstreckung, da menschenrechtswidrig, nicht mehr als verhältnismäßig angesehen werden kann. Sie ist daher auch aus diesem Grunde für erledigt zu erklären“.

116

cc) Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss 2 Ws 458/09 vom 15. Juli 2010:

117

„Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az 19359/04, StV 2010, 181) ist die mit Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vorgenommene Änderung des § 67d, mit der die Befristung der ersten angeordneten Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 1 StGB a.F. auf zehn Jahre entfallen ist und die in Verbindung mit § 2 Abs. 6 StGB auch diejenigen Sicherungsverwahrten erfasst, für die die Befristung zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung noch bestand, mit dem Freiheitsrecht des Art. 5 EMRK und dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK nicht vereinbar. Die Anordnung der Fortdauer der zum Tat- und Verurteilungszeitpunkt auf 10 Jahre begrenzten Sicherungsverwahrung über diesen Zeitraum hinaus stelle keine Freiheitsentziehung nach einer Verurteilung durch ein zuständiges Gericht (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Buchst. a EMRK) dar, da kein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen dem Urteil des erkennenden Gerichts und der Fortdauer der Freiheitsentziehung nach Ablauf von 10 Jahren in der Sicherungsverwahrung mehr bestehe. Darüber hinaus sei die Maßregel der Sicherungsverwahrung in ihrer konkreten Ausgestaltung in der autonomen Auslegung durch den Gerichtshof als Strafe zu werten, so dass das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK eingreife. Nachdem eine mit fünf Richtern besetzte Kammer am 10.5.2010 entschieden hat, den Antrag der Bundesregierung auf Entscheidung der Großen Kammer des EGMR nicht anzunehmen, ist die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 rechtskräftig geworden.

118

Diese Rechtsprechung gilt auch für die gegen den Untergebrachten verhängte Sicherungsverwahrung, da bei Tatbegehung und Aburteilung die zehnjährige Befristung des § 67d Abs. 1 StGB a.F. galt.

119

Die Entscheidungen des EGMR binden nach Art. 46 EMRK zwar zunächst nur die Parteien in der konkret entschiedenen Sache. Doch kommt den Urteilen des EGMR bei der Auslegung der EMRK, die im innerstaatlichen Recht zwar keinen Verfassungsrang, in der Folge des Ratifikationsgesetzes des Bundestages aber der Rang eines einfachen Gesetzes besitzt und damit am Vorrang des Gesetzes teilnimmt (Art. 20 Abs. 3 GG), eine sog. Orientierungsfunktion zu (SK-Paeffgen, EMRK, Einleitung Rn 383; vgl. auch LR-Gollwitzer, MRK Verfahren, Rn 77b; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2005, 15, 18f.; Esser StV 2005, 348, 349, 354), da sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfG NJW 2004, 3407, 3408; BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS). Gleichzeitig verpflichtet die Völkerrechtsfreundlichkeit der grundgesetzlichen Ordnung die Gerichte, das nationale Recht möglichst in Einklang mit dem Völkerrecht, zu dem auch die EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR zählt, auszulegen (vgl. BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Die EMRK ist mithin in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof im Range eines förmlichen Bundesgesetzes in den Vorrang des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG einbezogen und muss von der Rechtsprechung sowohl bei der Auslegung der Konventionsvorschriften als auch des innerstaatlichen Rechts beachtet werden (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410; im Ergebnis auch OLG Stuttgart, 1 Ws 57/10, Beschluss vom 1.6.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 539/10, Beschluss vom 1.7.2010, bei JURIS; OLG Hamm, 4 Ws 157/10 , Beschluss vom 6.7.2010, S. 5). Allerdings setzt die Gesetzesbindung der Umsetzung der Entscheidungen des Gerichtshofs auch Grenzen, weil die Gerichte sich nicht unter Berufung auf eine Entscheidung des EGMR von der rechtsstaatlichen Kompetenzordnung und der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) lösen können. Deshalb kann sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische Umsetzung verfassungsrechtliche Vorgaben verletzen (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Die Entscheidungen des EGMR können deshalb nur im Rahmen einer methodisch vertretbaren Auslegung Beachtung finden. Wenn eine solche völkerrechtskonforme Auslegung eines Gesetzes nicht möglich ist, muss der Gesetzgeber tätig werden (NJW 2004, 3407, 3410).

120

Damit scheidet vorliegend eine konventionskonforme Auslegung der eindeutigen Regelung des § 67d Abs. 3 StGB, wonach die Sicherungsverwahrung bis zur ihrer Erledigung dauert, die nach dieser Vorschrift erst ausgesprochen werden darf, wenn die in der Tat zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit nicht mehr besteht, aus. Dagegen ist die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB, wonach - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - über Maßregeln der Sicherung und Besserung nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt, einer Auslegung zugänglich. Denn Art. 7 EMRK ist als andere gesetzliche Regelung im Sinne dieser Vorschrift zu werten, die in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof als Ausnahme vom Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB, bei Entscheidungen über Maßregeln das Gesetz anzuwenden, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt, für die Sicherungsverwahrung ein Rückwirkungsverbot begründet (BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS; OLG Hamm, 4 Ws 157/10 , Beschluss vom 6.7.2010, S. 6 ff.; Rechtsgutachten Prof. Grabenwarter, S. 40 ff.). Diese Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist mit dem Wortlaut der Vorschrift ohne weiteres zu vereinbaren. Soweit das Oberlandesgericht Koblenz (1 Ws 108/10; Beschluss vom 7.6.2010, bei JURIS) argumentiert, der EGMR sehe in der Sicherungsverwahrung eine Strafe und keine Maßregel, so dass unter Berücksichtigung dieser Auffassung § 2 Abs. 6 StGB nicht einschlägig und folglich auch nicht auszulegen sei, übersieht es - abgesehen davon, dass dann ohne weiteres das Rückwirkungsverbot des § 2 Abs. 1 StGB eingriffe -, dass der Gerichtshof den Begriff der Strafe in Art. 7 EMRK autonom, d.h. unabhängig von seiner Bedeutung im nationalen Recht, auslegt (vgl. Nr. 120 der Entscheidung), so dass die Definition der Sicherungsverwahrung als Maßregel in § 61 Nr. 3 StGB davon unberührt bleibt. Ebenso steht der Zweck der Vorschrift einer solchen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht entgegen, der Sonderregelungen für bestimmte Maßregeln ermöglichen will, von denen auch die Sicherungsverwahrung nicht ausgenommen werden kann (vgl. Rechtsgutachten Prof. Grabenwarter, S. 43). Allerdings wollte der historische Gesetzgeber § 67d Abs. 3 StGB dezidiert uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen (BT-Drs 13/9062, S. 12; OLG Celle, 2 Ws 169-170/10, Beschluss vom 25.5.2010 bei JURIS; OLG Stuttgart, 1 Ws 57/10, Beschluss vom 1.6.2010, bei JURIS; vgl. auch OLG Koblenz, 1 Ws 108/10, Beschluss vom 7.6.2010, bei JURIS). Die mit dem Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten eingeführte Vorschrift des Art. 1 a EGStGB sah in Abs. 3 gerade für die Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB eine uneingeschränkte Rückwirkung vor. Doch muss die historische Auslegung vorliegend hinter einer völkerrechtskonformen Auslegung zurückstehen, da die Gerichte in Fällen wie dem vorliegenden verpflichtet sind, das nationale Recht möglichst im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Dies gilt umso mehr, als der historische Gesetzgeber, der sich im Zusammenhang mit dem nachträglichen Entfallen der 10-Jahresfrist ausdrücklich mit dem Rückwirkungsverbot bzw. - weil er dieses bei Maßregeln nicht für anwendbar hielt - dem Vertrauensgrundsatz befasst hat, sich dem Rückwirkungsschutz im Bereich des § 67d Abs. 3 StGB verfassungsrechtlich nicht allzu hoch verpflichtet glaubte, weil es nicht um die Anordnung, sondern nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe. Dass der der EMRK in der Auslegung durch den EGMR ebenfalls verpflichtete Gesetzgeber eine menschenrechtswidrige Rückwirkung auch unter Missachtung völkerrechtlichen Vorgaben anordnen wollte, kann dem gerade nicht entnommen werden (so auch OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Auch die eindeutige Vorschrift des Art. 1 a EGStGB steht nach ihrer Streichung einer konventionskonformen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht mehr entgegen.

121

Ebenso verbietet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.2.2004 (NJW 2004, 739ff.), dass der rückwirkende Wegfall der Befristung der ersten Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich unbedenklich ist, eine solche Auslegung nicht, da diese Entscheidung nach § 31 BVerfGG nur insoweit bindet, als das Bundesverfassungsgericht die Regelung als verfassungsmäßig angesehen hat. Eine über die grundgesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehende einfachgesetzliche Regelung - keine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot bei der Maßregel der Sicherungsverwahrung - schließt die verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht aus (vgl. auch BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS).

122

Da das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK absolut gilt, bleibt für eine Abwägung mit dem Schutz der Allgemeinheit im vorliegenden Zusammenhang kein Raum (OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Ein sog. mehrpoliges Grundrechtsverhältnis, das einer konventionskonformen Auslegung Grenzen setzen könnte, ist vorliegend nicht gegeben (a.A. OLG Celle, Beschluss vom 25.5.2010, 2 Ws 169 - 170/10 bei JURIS). Hiervon wäre nämlich nur dann auszugehen, wenn bei der vorliegenden Entscheidung die subjektiven Rechtspositionen mehrerer Grundrechtsinhaber in Einklang gebracht werden müssten, von denen nur einer einen günstigen Urteilsspruch des EGMR ins Feld führen könnte, so dass der andere, der vom EGMR nicht gehört wurde, möglicherweise als Verfahrenssubjekt nicht mehr in Erscheinung träte (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Davon kann hier nicht die Rede sein. Der Schutz der Allgemeinheit ist Aufgabe des Staates, der am Verfahren vor dem EGMR beteiligt war und dort seine Position einbringen konnte (OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Ebenso wenig verbietet die Verpflichtung, bei der Umsetzung der Entscheidungen des EGMR die Auswirkungen auf ausbalancierte Teilsysteme der nationalen Rechtsordnung, die verschiedene Grundrechtspositionen miteinander zum Ausgleich bringen, zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2004, 4407, 3410), die Annahme eines Rückwirkungsverbotes. Denn wenn auch der staatliche Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit eine Einschränkung des Freiheitsgrundrechtes erlaubt, so ist doch nicht ersichtlich, dass die Aufhebung der Zehnjahresfrist zum Schutze der Grundrechte potentieller Opfer (vgl. BGH NJW 2010, 1539 f.; OLG Celle, Beschluss vom 25.5.2010, 2 Ws 169 - 170/10 bei JURIS) verfassungsrechtlich geboten war (BVerfG, Entscheidung vom 5.2.2004 - NJW 2004, 739ff. -, Rn 189, zitiert nach JURIS; vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 1.6.2010, 1 Ws 57/10, bei JURIS).

123

Da die konventionskonforme Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB damit zu dem Ergebnis führt, dass bei der Vollstreckung der Maßregel der Sicherungsverwahrung das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK eingreift, gilt insoweit die bei Tatbegehung gültige Fassung des § 67d StGB, wonach nach Abs. 1 die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zehn Jahre nicht übersteigen darf. Damit ist die Maßregel erledigt. Eine Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB in der aktuellen Fassung kommt deshalb nicht mehr in Betracht. Das aus der von Gesetzes wegen eingetretenen Erledigung (OLG Frankfurt, 3 Ws 539/10, Entscheidung vom 1.7.2010, bei JURIS) folgende Vollstreckungshindernis (SK-Paeffgen zu § 458 Rn 8) ist von der Vollstreckungsbehörde zu beachten, die deshalb die Freilassung veranlassen muss“.

124

Diese Auffassung vertritt das Oberlandesgericht Karlsruhe auch in seiner Entscheidung 2 Ws 44/10 vom selben Tag.

125

dd) Das Oberlandesgericht Schleswig (Beschlüsse 1 OJs 2/10 [1 Ws 267/10] und 1 OJs 3/10 [1 Ws 268/10] vom 15.7.2010) hat sich ausdrücklich der dargestellten Ansicht und Argumentation der Oberlandesgerichte Frankfurt und Hamm angeschlossen. Ergänzend hat es die Gründe der Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs 4 StR 577/09 vom 12. Mai 2010 herangezogen.

IV.

126

Diese von der Auffassung des Senats abweichenden Meinungen stehen der beabsichtigten Aufhebung des angefochtenen Beschlusses entgegen. Gem. § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG ist daher der Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die streitige Rechtsfrage berufen.

127

Mit seiner Vorlage folgt der Senat den Oberlandesgerichten Nürnberg und Stuttgart, die bereits eine gegenstandsgleiche Frage vorgelegt haben (OLG Nürnberg Beschlüsse 1 Ws 404/10 vom 4.8.2010 und - mit unkenntlichem Aktenzeichen - vom 12.8.2010; OLG Stuttgart Beschluss 1 Ws 57/10 vom 19.8.2010). Er sieht sich jedoch (anders als OLG Frankfurt Beschluss 3 Ws 688-689/10 vom 19.8.2010) zu einer eigenen Vorlage veranlasst.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Hat jemand wegen einer Straftat, bei der das Gesetz Führungsaufsicht besonders vorsieht, zeitige Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verwirkt, so kann das Gericht neben der Strafe Führungsaufsicht anordnen, wenn die Gefahr besteht, daß er weitere Straftaten begehen wird.

(2) Die Vorschriften über die Führungsaufsicht kraft Gesetzes (§§ 67b, 67c, 67d Abs. 2 bis 6 und § 68f) bleiben unberührt.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet worden, so kann das Gericht die untergebrachte Person nachträglich in den Vollzug der anderen Maßregel überweisen, wenn ihre Resozialisierung dadurch besser gefördert werden kann.

(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 kann das Gericht nachträglich auch eine Person, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, in den Vollzug einer der in Absatz 1 genannten Maßregeln überweisen. Die Möglichkeit einer nachträglichen Überweisung besteht, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen und die Überweisung zur Durchführung einer Heilbehandlung oder Entziehungskur angezeigt ist, auch bei einer Person, die sich noch im Strafvollzug befindet und deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten worden ist.

(3) Das Gericht kann eine Entscheidung nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Resozialisierung der untergebrachten Person dadurch besser gefördert werden kann. Eine Entscheidung nach Absatz 2 kann das Gericht ferner aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass mit dem Vollzug der in Absatz 1 genannten Maßregeln kein Erfolg erzielt werden kann.

(4) Die Fristen für die Dauer der Unterbringung und die Überprüfung richten sich nach den Vorschriften, die für die im Urteil angeordnete Unterbringung gelten. Im Falle des Absatzes 2 Satz 2 hat das Gericht bis zum Beginn der Vollstreckung der Unterbringung jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Absatz 3 Satz 2 vorliegen.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet worden, so kann das Gericht die untergebrachte Person nachträglich in den Vollzug der anderen Maßregel überweisen, wenn ihre Resozialisierung dadurch besser gefördert werden kann.

(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 kann das Gericht nachträglich auch eine Person, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, in den Vollzug einer der in Absatz 1 genannten Maßregeln überweisen. Die Möglichkeit einer nachträglichen Überweisung besteht, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen und die Überweisung zur Durchführung einer Heilbehandlung oder Entziehungskur angezeigt ist, auch bei einer Person, die sich noch im Strafvollzug befindet und deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten worden ist.

(3) Das Gericht kann eine Entscheidung nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Resozialisierung der untergebrachten Person dadurch besser gefördert werden kann. Eine Entscheidung nach Absatz 2 kann das Gericht ferner aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass mit dem Vollzug der in Absatz 1 genannten Maßregeln kein Erfolg erzielt werden kann.

(4) Die Fristen für die Dauer der Unterbringung und die Überprüfung richten sich nach den Vorschriften, die für die im Urteil angeordnete Unterbringung gelten. Im Falle des Absatzes 2 Satz 2 hat das Gericht bis zum Beginn der Vollstreckung der Unterbringung jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Absatz 3 Satz 2 vorliegen.

Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - F. vom 7. Dezember 2009 aufgehoben.

Die Sicherungsverwahrung ist erledigt.

Es tritt Führungsaufsicht ein, deren Ausgestaltung der Strafvollstreckungskammer F. übertragen wird.

Der Untergebrachte wird der Bewährungshilfe unterstellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Untergebrachten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
Mit Urteil des Landgerichts H. vom 12.2.1981 wurde der Untergebrachte wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wurde verhängt. Nach Anordnung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung durch Beschluss des Landgerichts K. vom 30.3.1988 wird diese seit dem 3.6.1988 in der Justizvollzugsanstalt F. vollstreckt. Zehn Jahre der Sicherungsverwahrung waren am 2.6.1998 verbüßt. Mit Beschlüssen vom 24.9.1990, 17.11.1992, 24.8.1994, 8.7.1996, 10.11.1998, 15.11.2000, 25.10.2002, 22.4.2005, 5.11.2007 und zuletzt mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht F. die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg. Die der Prüfung einer fortbestehenden Gefahr weiterer erheblicher Straftaten nach § 67 d Abs. 3 StGB vorausgehende Überprüfung auf Vollstreckungshindernisse hat ergeben, dass die Sicherungsverwahrung erledigt ist.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az 19359/04, StV 2010, 181) ist die mit Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vorgenommene Änderung des § 67d, mit der die Befristung der ersten angeordneten Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 1 StGB a.F. auf zehn Jahre entfallen ist und die in Verbindung mit § 2 Abs. 6 StGB auch diejenigen Sicherungsverwahrten erfasst, für die die Befristung zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung noch bestand, mit dem Freiheitsrecht des Art. 5 EMRK und dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK nicht vereinbar. Die Anordnung der Fortdauer der zum Tat- und Verurteilungszeitpunkt auf 10 Jahre begrenzten Sicherungsverwahrung über diesen Zeitraum hinaus stelle keine Freiheitsentziehung nach einer Verurteilung durch ein zuständiges Gericht (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Buchst. a EMRK) dar, da kein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen dem Urteil des erkennenden Gerichts und der Fortdauer der Freiheitsentziehung nach Ablauf von 10 Jahren in der Sicherungsverwahrung mehr bestehe. Darüber hinaus sei die Maßregel der Sicherungsverwahrung in ihrer konkreten Ausgestaltung in der autonomen Auslegung durch den Gerichtshof als Strafe zu werten, so dass das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK eingreife. Nachdem eine mit fünf Richtern besetzte Kammer am 10.5.2010 entschieden hat, den Antrag der Bundesregierung auf Entscheidung der Großen Kammer des EGMR nicht anzunehmen, ist die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 rechtskräftig geworden.
Diese Rechtsprechung gilt auch für die gegen den Untergebrachten verhängte Sicherungsverwahrung, da bei Tatbegehung und Aburteilung die zehnjährige Befristung des § 67d Abs. 1 StGB a.F. galt.
Die Entscheidungen des EGMR binden nach Art. 46 EMRK zwar zunächst nur die Parteien in der konkret entschiedenen Sache. Doch kommt den Urteilen des EGMR bei der Auslegung der EMRK, die im innerstaatlichen Recht zwar keinen Verfassungsrang, in der Folge des Ratifikationsgesetzes des Bundestages aber der Rang eines einfachen Gesetzes besitzt und damit am Vorrang des Gesetzes teilnimmt (Art. 20 Abs. 3 GG), eine sog. Orientierungsfunktion zu (SK-Paeffgen, EMRK, Einleitung Rn 383; vgl. auch LR-Gollwitzer, MRK Verfahren, Rn 77b; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2005, 15, 18f.; Esser StV 2005, 348, 349, 354), da sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfG NJW 2004, 3407, 3408; BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS). Gleichzeitig verpflichtet die Völkerrechtsfreundlichkeit der grundgesetzlichen Ordnung die Gerichte, das nationale Recht möglichst in Einklang mit dem Völkerrecht, zu dem auch die EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR zählt, auszulegen (vgl. BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Die EMRK ist mithin in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof im Range eines förmlichen Bundesgesetzes in den Vorrang des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG einbezogen und muss von der Rechtsprechung sowohl bei der Auslegung der Konventionsvorschriften als auch des innerstaatlichen Rechts beachtet werden (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410; im Ergebnis auch OLG Stuttgart, 1 Ws 57/10, Beschluss vom 1.6.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 539/10, Beschluss vom 1.7.2010, bei JURIS; OLG Hamm, 4 Ws 157/10, Beschluss vom 6.7.2010, S. 5). Allerdings setzt die Gesetzesbindung der Umsetzung der Entscheidungen des Gerichtshofs auch Grenzen, weil die Gerichte sich nicht unter Berufung auf eine Entscheidung des EGMR von der rechtsstaatlichen Kompetenzordnung und der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) lösen können. Deshalb kann sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische Umsetzung verfassungsrechtliche Vorgaben verletzen (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Die Entscheidungen des EGMR können deshalb nur im Rahmen einer methodisch vertretbaren Auslegung Beachtung finden. Wenn eine solche völkerrechtskonforme Auslegung eines Gesetzes nicht möglich ist, muss der Gesetzgeber tätig werden (NJW 2004, 3407, 3410).
Damit scheidet vorliegend eine konventionskonforme Auslegung der eindeutigen Regelung des § 67d Abs. 3 StGB, wonach die Sicherungsverwahrung bis zur ihrer Erledigung dauert, die nach dieser Vorschrift erst ausgesprochen werden darf, wenn die in der Tat zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit nicht mehr besteht, aus. Dagegen ist die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB, wonach - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - über Maßregeln der Sicherung und Besserung nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt, einer Auslegung zugänglich. Denn Art. 7 EMRK ist als andere gesetzliche Regelung im Sinne dieser Vorschrift zu werten, die in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof als Ausnahme vom Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB, bei Entscheidungen über Maßregeln das Gesetz anzuwenden, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt, für die Sicherungsverwahrung ein Rückwirkungsverbot begründet (BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS; OLG Hamm, 4 Ws 157/10, Beschluss vom 6.7.2010, S. 6 ff.; Rechtsgutachten Prof. Grabenwarter, S. 40 ff.). Diese Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist mit dem Wortlaut der Vorschrift ohne weiteres zu vereinbaren. Soweit das Oberlandesgericht Koblenz (1 Ws 108/10; Beschluss vom 7.6.2010, bei JURIS) argumentiert, der EGMR sehe in der Sicherungsverwahrung eine Strafe und keine Maßregel, so dass unter Berücksichtigung dieser Auffassung § 2 Abs. 6 StGB nicht einschlägig und folglich auch nicht auszulegen sei, übersieht es - abgesehen davon, dass dann ohne weiteres das Rückwirkungsverbot des § 2 Abs. 1 StGB eingriffe -, dass der Gerichtshof den Begriff der Strafe in Art. 7 EMRK autonom, d.h. unabhängig von seiner Bedeutung im nationalen Recht, auslegt (vgl. Nr. 120 der Entscheidung), so dass die Definition der Sicherungsverwahrung als Maßregel in § 61 Nr. 3 StGB davon unberührt bleibt. Ebenso steht der Zweck der Vorschrift einer solchen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht entgegen, der Sonderregelungen für bestimmte Maßregeln ermöglichen will, von denen auch die Sicherungsverwahrung nicht ausgenommen werden kann (vgl. Rechtsgutachten Prof. Grabenwarter, S. 43). Allerdings wollte der historische Gesetzgeber § 67d Abs. 3 StGB dezidiert uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen (BT-Drs 13/9062, S. 12; OLG Celle, 2 Ws 169-170/10, Beschluss vom 25.5.2010 bei JURIS; OLG Stuttgart, 1 Ws 57/10, Beschluss vom 1.6.2010, bei JURIS; vgl. auch OLG Koblenz, 1 Ws 108/10, Beschluss vom 7.6.2010, bei JURIS). Die mit dem Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten eingeführte Vorschrift des Art. 1 a EGStGB sah in Abs. 3 gerade für die Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB eine uneingeschränkte Rückwirkung vor. Doch muss die historische Auslegung vorliegend hinter einer völkerrechtskonformen Auslegung zurückstehen, da die Gerichte in Fällen wie dem vorliegenden verpflichtet sind, das nationale Recht möglichst im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Dies gilt umso mehr, als der historische Gesetzgeber, der sich im Zusammenhang mit dem nachträglichen Entfallen der 10-Jahresfrist ausdrücklich mit dem Rückwirkungsverbot bzw. - weil er dieses bei Maßregeln nicht für anwendbar hielt - dem Vertrauensgrundsatz befasst hat, sich dem Rückwirkungsschutz im Bereich des § 67d Abs. 3 StGB verfassungsrechtlich nicht allzu hoch verpflichtet glaubte, weil es nicht um die Anordnung, sondern nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe. Dass der der EMRK in der Auslegung durch den EGMR ebenfalls verpflichtete Gesetzgeber eine menschenrechtswidrige Rückwirkung auch unter Missachtung völkerrechtlichen Vorgaben anordnen wollte, kann dem gerade nicht entnommen werden (so auch OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Auch die eindeutige Vorschrift des Art. 1 a EGStGB steht nach ihrer Streichung einer konventionskonformen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht mehr entgegen.
Ebenso verbietet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.2.2004 (NJW 2004, 739ff.), dass der rückwirkende Wegfall der Befristung der ersten Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich unbedenklich ist, eine solche Auslegung nicht, da diese Entscheidung nach § 31 BVerfGG nur insoweit bindet, als das Bundesverfassungsgericht die Regelung als verfassungsmäßig angesehen hat. Eine über die grundgesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehende einfachgesetzliche Regelung - keine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot bei der Maßregel der Sicherungsverwahrung - schließt die verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht aus (vgl. auch BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS).
Da das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK absolut gilt, bleibt für eine Abwägung mit dem Schutz der Allgemeinheit im vorliegenden Zusammenhang kein Raum (OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Ein sog. mehrpoliges Grundrechtsverhältnis, das einer konventionskonformen Auslegung Grenzen setzen könnte, ist vorliegend nicht gegeben (a.A. OLG Celle, Beschluss vom 25.5.2010, 2 Ws 169 - 170/10 bei JURIS). Hiervon wäre nämlich nur dann auszugehen, wenn bei der vorliegenden Entscheidung die subjektiven Rechtspositionen mehrerer Grundrechtsinhaber in Einklang gebracht werden müssten, von denen nur einer einen günstigen Urteilsspruch des EGMR ins Feld führen könnte, so dass der andere, der vom EGMR nicht gehört wurde, möglicherweise als Verfahrenssubjekt nicht mehr in Erscheinung träte (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Davon kann hier nicht die Rede sein. Der Schutz der Allgemeinheit ist Aufgabe des Staates, der am Verfahren vor dem EGMR beteiligt war und dort seine Position einbringen konnte (OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Ebensowenig verbietet die Verpflichtung, bei der Umsetzung der Entscheidungen des EGMR die Auswirkungen auf ausbalancierte Teilsysteme der nationalen Rechtsordnung, die verschiedene Grundrechtspositionen miteinander zum Ausgleich bringen, zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2004, 4407, 3410), die Annahme eines Rückwirkungsverbotes. Denn wenn auch der staatliche Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit eine Einschränkung des Freiheitsgrundrechtes erlaubt, so ist doch nicht ersichtlich, dass die Aufhebung der Zehnjahresfrist zum Schutze der Grundrechte potentieller Opfer (vgl. BGH NJW 2010, 1539 f.; OLG Celle, Beschluss vom 25.5.2010, 2 Ws 169 - 170/10 bei JURIS) verfassungsrechtlich geboten war (BVerfG, Entscheidung vom 5.2.2004 - NJW 2004, 739ff. -, Rn 189, zitiert nach JURIS; vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 1.6.2010, 1 Ws 57/10, bei JURIS).
Da die konventionskonforme Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB damit zu dem Ergebnis führt, dass bei der Vollstreckung der Maßregel der Sicherungsverwahrung das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK eingreift, gilt insoweit die bei Tatbegehung gültige Fassung des § 67d StGB, wonach nach Abs. 1 die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zehn Jahre nicht übersteigen darf. Damit ist die Maßregel erledigt. Eine Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB in der aktuellen Fassung kommt deshalb nicht mehr in Betracht. Das aus der von Gesetzes wegen eingetretenen Erledigung (OLG Frankfurt, 3 Ws 539/10, Entscheidung vom 1.7.2010, bei JURIS) folgende Vollstreckungshindernis (SK-Paeffgen zu § 458 Rn 8) ist von der Vollstreckungsbehörde zu beachten, die deshalb die Freilassung veranlassen muss.
10 
Es tritt nach § 67d Abs. 4 S. 3 StGB Führungsaufsicht ein. Der Wortlaut dieser Vorschrift erlaubt ihre Anwendung auf die durch konventionskonforme Auslegung gewonnene Erledigung der Sicherungsverwahrung. Im übrigen sah auch § 67d StGB a.F. in Absatz 4 Führungsaufsicht bei Entlassung nach dem Ablauf der zehnjährigen Höchstdauer der Sicherungsverwahrung vor, so dass unter dem Aspekt der Meistbegünstigung die Führungsaufsicht ebenfalls nicht entfiele. Die Ausgestaltung der Führungsaufsicht hat der Senat wegen der Sachnähe der Strafvollstreckungskammer übertragen, zumal bisher lediglich unzureichende Informationen über die Entlassungssituation vorliegen. Er weist allerdings darauf hin, dass insoweit nach § 2 Abs. 6 StGB die aktuelle Gesetzeslage gilt, da die Erwägungen, mit denen der EGMR die Sicherungsverwahrung unter den Begriff der Strafe im Sinne des Art. 7 EMRK subsumiert hat, auf die Maßregel der Führungsaufsicht nicht zutreffen. Damit sind auch die Regelungen zur forensischen Ambulanz anwendbar.
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden, so ist die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.

(2) Das Gericht entscheidet ferner, wenn in den Fällen des § 454b Absatz 1 bis 3 sowie der §§ 455, 456 und 456c Abs. 2 Einwendungen gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde erhoben werden oder wenn die Vollstreckungsbehörde anordnet, daß an einem Ausgelieferten, Abgeschobenen, Zurückgeschobenen oder Zurückgewiesenen die Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung nachgeholt werden soll, und Einwendungen gegen diese Anordnung erhoben werden.

(3) Der Fortgang der Vollstreckung wird hierdurch nicht gehemmt; das Gericht kann jedoch einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen. In den Fällen des § 456c Abs. 2 kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 577/09
vom
12. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Mai 2010 gemäß §§ 349
Abs. 4, 126 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juli 2009 aufgehoben.
2. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom 15. Juni 2007 wird aufgehoben. Der Betroffene ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:


1
Das Landgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 17. Juli 2009 gegen den Betroffenen (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwah- rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.

I.


2
Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Betroffene war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte nach Ansicht der damals erkennenden Strafkammer in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht. Die Anordnung der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster , sexuell motivierter Straftaten neige.
3
Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
4
Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum 22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5 StPO).
5
Mit Urteil vom 4. April 2007 hatte das Landgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2006 im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 gegen den Betroffenen gemäß § 66 b Abs. 3 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hatte der Senat durch Beschluss vom 10. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, dass der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - (BGHSt 52, 379) entschieden hatte, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht auf Fälle anwendbar ist, in denen der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
6
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht erneut die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet und nunmehr die Anordnung der Unterbringung auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 gestützt, in der gegen den Betroffenen - weil schuldlos handelnd - nur auf die Unterbringung nach § 63 StGB erkannt worden war.

II.


7
Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind.
8
1. a) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdnrn. 124 - 133). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdnrn. 127 bis 130). Er hat daher in jenem Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den dortigen Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67 d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. abgeschafft worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdnrn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtsache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 Buchst. c MRK).
9
b) Nach Maßgabe dieses Urteils verstößt im vorliegenden Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, da das Tatzeitrecht für die Anlasstat nicht die Anordnung von Sicherungsverwahrung androhte.
10
Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990 begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987 (BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h. schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss.
11
Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der (neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Zwar war er - neben der Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 - weiterhin durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9. Mai 1980 wegen einer am 30. Juli 1979 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Tat wäre indes nach § 66 Abs. 3 Satz 3 und 4 StGB a.F. (= § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB in der jetzt geltenden Fassung ) nicht berücksichtigungsfähig gewesen, da der Betroffene nach Verbüßung der damals erkannten Freiheitsstrafe für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nicht wieder straffällig geworden war.
12
Erstmals § 66 b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK entgegen.
13
c) Dass gegen den Betroffenen - anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall - bereits mit der Anlassverurteilung auf eine von vorneherein zeitlich nicht befristete Maßregel (vgl. § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB in der auch zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) erkannt worden war, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung (anders OLG Saarbrücken , Beschluss vom 7. April 2010 - 1 Ws 73/10). Insoweit ist zu berücksichtigen , dass schon vor Einführung des § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB nach der Rechtsprechung der Vollstreckungsgerichte die Erledigung der Maßregel bei Wegfall einer ihrer Voraussetzungen auch dann zu beschließen war, wenn die Gefährlichkeit des Untergebrachten fortbestand (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 sowie hierzu auch BVerfG NStZ 1995, 174, 175). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 67 d Abs. 6 StGB lediglich festschreiben wollen (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13 f.). Nach dem zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Recht hätte somit die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt werden und der Betroffene in Freiheit entlassen werden müssen, ohne dass an ihre Stelle die Sicherungsverwahrung treten konnte.
14
d) Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdnr. 76) - bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.
15
Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts jedoch nur vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte dar.
16
Bei der MRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 316 ff.; BVerfG EuGRZ 2010, 145, 147; Gollwitzer aaO Einführung Rdnrn. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Das nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der MRK auszulegen (BVerfGE 111, 307, 324; Gollwitzer aaO).
17
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach -) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch - wie bereits ausgeführt - die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich.
18
2. Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (BVerfGE 109, 133, 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts des Zeitpunkts der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens frei, für einzelne Maßregeln der Besserung und Sicherung in Abweichung von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen; er hat hiervon in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Aufl. § 2 Rdnr. 15 und speziell Art. 93 des 1. StrRG). Ebenso kann dies Folge der gebotenen Berücksichtigung einer ebenfalls im Range einfachen Bundesrechts stehenden Bestimmung der MRK sein. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
19
3. Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs steht der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK einer Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB auf Altfälle entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 595/09 [zu § 66 b Abs. 2 StGB] mögliche Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 auf den zu entscheidenden Fall offen gelassen und dies mit der fehlenden Endgültigkeit der Entscheidung begründet. Soweit der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen in der - damals ebenfalls noch nicht endgültigen - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG auf einen Altfall nicht entgegenstehen, hat er dies mit hier nicht einschlägigen Besonderheiten des Jugendstrafrechts begründet. Im Übrigen ist, nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 10. Mai 2010 gemäß Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 Buchst. c MRK endgültig gewor- den ist, eine neue Rechtslage gegeben, die eine etwaige Bindung an frühere entgegenstehende Rechtsprechung entfallen lassen würde (vgl. hierzu Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdnr. 8).
20
4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben; gleichzeitig war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und der Betroffene sofort auf freien Fuß zu setzen.
21
Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
RiBGH Athing ist im Ernemann Solin-Stojanović Ruhestand und daher an der Unterschrift gehindert Ernemann Cierniak Franke

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

Tenor

Der Antrag des Verurteilten, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären und anzuordnen, dass er aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist, wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

Gründe

 
I.
Der heute 63 Jahre alte Verurteilte ist erstmals mit 21 Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten und vielfach vorbestraft. Seit 1971, also seit seinem 24. Lebensjahr, hat er sich – für den Zeitraum bis 1979 mit einigen Unterbrechungen – in Untersuchungs- oder Strafhaft befunden. Seit 1988 bis heute, also über 21 Jahre lang, ist er in Sicherungsverwahrung untergebracht. Sie beruht auf drei Verurteilungen wegen 1973, 1978 und 1983 begangener schwerer Sexualdelikte.
1. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 25.04.1975 – 1 Kls 30/74 – wurde der Verurteilte wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Entführung gegen den Willen der Entführten, sowie versuchter Vergewaltigung (Tatzeiten: 12.04., 22./23.04. sowie 11.07.1973) zu Einzelstrafen von zwei Jahren, drei Jahren und einem Jahr verurteilt; er verbüßte die Gesamtstrafe von fünf Jahren in der Zeit vom 22.10.1975 bis zum 30.09.1977 und nach Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung vom 12.01.1982 bis 03.09.1983. Sodann wurde er durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.09.1979 – III Kls 21/79 – wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch von Kindern (Tatzeit: 23.12.1978) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt; er verbüßte die Strafe vom 12.01.1979 bis zum 11.01.1982 und vom 04.09.1983 bis zum 25.03.1985. Am 09.01.1983 vergewaltigte er während eines Hafturlaubes in Backnang eine siebzehnjährige Frau, nötigte sie sexuell und würgte und verletzte sie dabei erheblich. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27.09.1985 – 2 Kls 279/84 – verurteilte das Landgericht Stuttgart ihn deshalb wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und ordnete Sicherungsverwahrung an. Das Landgericht stellte eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur und eine sowohl histrionische als auch antisoziale schwere Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB fest, durch welche die Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war. Ein therapeutisches Vorgehen erschien nicht ansatzweise erfolgversprechend, und sämtliche vorherigen Bemühungen waren gescheitert, weshalb eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht kam. Zur Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB a. F. führte das Landgericht u. a. aus:
„In den Straftaten zeigt sich der offensichtliche Hang des Angeklagten, erst nach einer Demonstration der Macht und Stärke zu sexueller Befriedigung zu gelangen. Das Maß der von ihm an seinen Opfern vorgenommenen Gewaltanwendung nimmt stetig zu. Der Angeklagte bricht jeden Widerstand seines Opfers dadurch, dass er es aufs heftigste am Hals würgt oder ihm sonst die Luft nimmt. Wie sein neuerliches Vorgehen gegen die Zeugin (…) zeigt, ist dies für ihn geradezu symptomatisch geworden, weshalb er für die Allgemeinheit eine ganz erhebliche Gefahr darstellt. Angesichts der von den Sachverständigen (…) festgestellten schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit fast zwanghaftem Handeln zur Sicherung seiner Ziele ist von ihm die Begehung künftiger schwerwiegender Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Der Angeklagte ist – wie auch in seinem äußerst aggressiven und feindseligen Verhalten vor und während der Hauptverhandlung immer wieder deutlich wurde – in den Lage, bei einem seiner Vorstellung zuwider laufenden Geschehensablauf in kürzester Zeit Feindbilder aufzubauen und diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es muss deshalb ernsthaft befürchtet werden, dass ein neues Opfer des Angeklagten, welches sich seinen Wünschen widersetzt, möglicherweise sein Leben lassen müsste“ (S. 125 f.).
Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem Urteil vom 27.09.1985 vollständig bis zum 24.09.1988. Mit Beschluss vom 03.08.1988 ordnete das Landgericht Karlsruhe den anschließenden Vollzug der Sicherungsverwahrung an, die nach damaligem Recht bei der ersten Unterbringung höchstens zehn Jahre lang vollzogen werden durfte. Diese Höchstfrist fiel mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) fort. Daher erklärte das Landgericht Freiburg nach Vollzug von zehn Jahren Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 09.03.1999 die Sicherungsverwahrung nicht für erledigt und ordnete deren Fortdauer an. Seitdem befindet sich der Verurteilte ununterbrochen in Sicherungsverwahrung. Insgesamt sind derzeit – im Anschluss an die voll verbüßte Freiheitsstrafe – über 21 Jahre Sicherungsverwahrung vollzogen worden.
2. Der Verurteilte ist vielfach nervenärztlich und kriminalprognostisch begutachtet worden. Allerdings liegt das letzte auf einer eingehenden Exploration des Verurteilten beruhende Gutachten des Dr. H E B, Ärztlicher Direktor des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg, vom 18.08.1999 mittlerweile über 10 Jahre zurück. Seither hat der Verurteilte jeden Versuch einer eingehenden gutachterlichen Untersuchung durch die gerichtlich beauftragten Sachverständigen entschieden abgelehnt. Das derzeit aktuellste jüngste „nervenärztliche Gutachten nach Aktenlage“ des Dr. T H, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt der Klinik für Suchttherapie des Klinikums am W., W., datiert vom 04.02.2010. Diesem Gutachten lässt sich das Folgende entnehmen:
a) Gutachtengrundlage, fehlende Bereitschaft des Verurteilten, sich begutachten zu lassen
Der Verurteilte sei (auch) 2005 bis 2010 nicht bereit gewesen, sich begutachten zu lassen. Deshalb hätten keine Untersuchungen stattfinden können. Es habe mehrere (teils aber recht kurze) persönliche Kontakte gegeben, teils auch im Rahmen von Anhörungen durch die Strafvollstreckungskammer. Das Gutachten beruhe auf einer Aktenauswertung, wobei bestimmte Akten (Gefangenenpersonalakte, Krankenakte) wegen der Weigerung des Verurteilten nicht zugänglich gewesen seien.
b) Verhalten im Vollzug und außerhalb des Vollzugs
In der Justizvollzugsanstalt Freiburg hätten gegen den Verurteilten über längere Zeit besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden müssen. Er habe 1998 seinen Haftraum in Brand gesteckt; gegen die dadurch veranlasste Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er u. a. mit einer Eisenstange Widerstand geleistet. In der Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich damals verfolgt gefühlt und jeden Kontakt mit Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdiensts abgelehnt. Am 30.05.2002 sei in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ein beleidigendes und bedrohliches Verhalten dokumentiert worden. Nach seiner Zurückverlegung in die Justizvollzugsanstalt Freiburg im Jahr 2003 habe er dort einen Löffel verschluckt, und bei einer Kontrolle sei eine Schlinge gefunden worden, mit der er sich habe erhängen wollen. Als er daraufhin in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt werden sollte, habe er die Bediensteten angegriffen und einen von ihnen in den Fuß gebissen; trotz Fesselung habe er das Krankentransportfahrzeug demoliert. Im weiteren Verlauf habe sich das Verhalten des Verurteilten stabilisiert. Nach Wiederverlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich dort disziplinarisch unauffällig oder weitgehend unauffällig verhalten. Nach Auskunft des ärztlichen Dienstes und der Anstaltsärztin passe sich er derzeit gut an, fühle sich in der Justizvollzugsanstalt sogar „glücklich und zufrieden“. Er lasse dabei keinerlei Tendenzen erkennen, dass er sich ein Leben draußen vorstellen könne oder gar wünsche. Hilfreich sei, dass er mittlerweile Psychopharmaka in kleiner Menge einnehme, was ursächlich für seine Stabilisierung sein dürfte. Insgesamt sei laut einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, die allerdings gleichwohl einer Aussetzung der Sicherungsverwahrung mit Nachdruck entgegen getreten sei, seine Verhaltensentwicklung als äußerst positiv zu beurteilen. Allerdings führe er das Leben eines Einzelgängers und habe wenige Kontakte im Vollzug. Mangels Vollzugslockerungen habe eine Erprobung des Verhaltens außerhalb des Vollzugs bislang noch nicht erfolgen können. Ob der Verurteilte überhaupt ein Leben außerhalb des Vollzuges anstrebe, sei nach Eindruck des Gutachters offen.
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c) Psychische bzw. psychiatrische Befunde
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Eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10 F 10.1) sei auch rückblickend nicht ganz eindeutig festzustellen. Eine psychotische Erkrankung im engeren Sinne etwa aus dem schizophrenen Formenkreis könne nicht festgestellt werden, desgleichen keine fixierte sexuelle Devianz bzw. psychosexuelle Störung. Es gebe aber eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (histrionisch-dissozial) (ICD 10 F 61.0) mit dissozialen Persönlichkeitselementen (Mangel an Empathie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Unvermögen zu längerfristigen Beziehungen, niedrige Schwelle für aggressives und auch gewalttätiges Handeln, verminderte Lernfähigkeit, Neigung, andere zu beschuldigen oder eigenes Fehlverhalten zu rationalisieren) und histrionischen Persönlichkeitselementen (theatralisch anmutendes Verhalten, oberflächliche Affektivität, Egozentrik, manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse). Es seien Teilelemente des „Psychopathy-Konzepts“ erfüllt, das freilich keine klinische diagnostische Einordnung sei. Hinzu komme zunehmend eine haftreaktive wahnhafte Störung (ICD 10 F 22) mit lang andauernden Wahninhalten, die medikamentöser Behandlung nur schwierig zugänglich seien. Paranoider Wahninhalt sei, dass der Verurteilte annehme, von der Justiz bewusst und gezielt und wiederholt bzw. anhaltend zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein. Es trete immer wieder eine sehr abwertende Haltung gegenüber mit ihm in der Justiz befassten Personen zutage, wobei hier auch ausgeprägte aggressive Strebungen (Gereiztheit, laut werden, jedenfalls tendenziell bedrohlich anmutende Gestik) wahrnehmbar seien.
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d) Kriminalprognostische Faktoren
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Positive kriminalprognostische Faktoren seien, dass Hinweise auf gehäuftes delinquentes Verhalten in der Herkunftsfamilie oder ein „broken home“ nicht vorlägen; dass sich der Verurteilte nicht in Heimen aufgehalten und die Regelschule erfolgreich abgeschlossen habe; und dass im Vollzug der letzten Jahre keine bedeutsamen disziplinarischen Schwierigkeiten aufgetreten seien. Negative kriminalprognostische Faktoren seien, dass der Verurteilte nur eine längere partnerschaftliche Beziehung im Jugendalter, ansonsten nur kurze Beziehungen gehabt habe; dass ab 1967 exzessiver schädlicher Gebrauch von Alkohol aufgetreten sein solle; dass die Delinquenz früh begonnen habe und die Zahl der Vorstrafen hoch gewesen sei, mehrfach gewalttätige Sexualdelikte begangen worden seien, weswegen mehrere Verurteilungen zu Freiheitsstrafe erfolgt seien; dass es ein abwertend negativ geprägtes Frauenbild gebe und der Verurteilte sexuelle Interessen jedenfalls teilweise in brutaler Weise mit nahezu sadistischen Zügen durchgesetzt habe, wobei dem Streben nach Macht und Dominanz wesentliche Bedeutung zukommen dürfte; dass ein paranoider Wahn vorhanden sei, von der Justiz zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein; dass die Basisraten für Rückfälligkeit im Hinblick auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung zwischen 10 % und 25 % lägen und hier individuell erhöht seien; und dass es augenscheinlich unmöglich sei, den Verurteilten in Vollzugslockerungen zu erproben.
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3. Als Dezember 2005 die Überprüfung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 67e Abs. 2 StGB anstand, legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn die Akten vor, um über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, und regte an, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Nachdem zahlreiche Versuche gescheitert waren, den Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration zu bewegen, ordnete das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn mit Beschluss vom 03.12.2008, den Verfahrensbeteiligten aufgrund Begleitverfügung vom 26.02.2009 am 27.02.2009 zugestellt, die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ohne Gutachten an. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob der Senat diesen Beschluss mit Beschluss vom 07.08.2009 auf und verwies die Sache an das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn zurück. Es sei unvertretbar und rechtswidrig gewesen, die Frist des § 67e Abs. 2 StGB um drei Jahre zu überschreiten. Die ablehnende Haltung des Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration rechtfertige nicht die gesetzwidrige Fristüberschreitung; in solchen Fällen seien sog. Aktengutachten möglich. Nach Einholung eines solchen Gutachtens, nämlich des oben I. 3. geschilderten Gutachtens, beschloss das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn am 19.03.2010, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung fortzudauern habe, weil ernstlich zu befürchten sei, dass der Verurteilte außerhalb der Justizvollzugsanstalt erneut straffällig werde; das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGRM) vom 17.12.2009 ändere nichts an der Rechtslage, weil es noch nicht rechtskräftig sei. Dagegen hat der Verurteilte durch seine Verteidigerin sofortige Beschwerde eingelegt. Auf Anregung der Verteidigerin hat der Senat mit Beschluss vom 30.04.2010 Dr. R-D S, Zentrum für Psychiatrie Wiesloch, mit der Erstattung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens zur Kriminalprognose des Verurteilten beauftragt. Dieser Auftrag ist ausdrücklich an die nunmehr erklärte Bereitschaft des Verurteilten geknüpft, sich einer eingehenden Exploration durch Dr. S zu unterziehen. Im Falle verweigerter Mitwirkung sei ein weiteres Gutachten nach Aktenlage nicht veranlasst. Das Gutachten liegt noch nicht vor.
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4. Mit Faxschreiben vom 12.05.2010 an den Senat im Beschwerdeverfahren beantragt die Verteidigerin des Verurteilten unter Hinweis auf das seit dem 10.05.2010 rechtskräftige Urteil des EGMR vom 17.12.2009 festzustellen, dass die Sicherungsverwahrung erledigt ist, und anzuordnen, dass der Verurteilte aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist.
16 
Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart tritt dem Antrag entgegen, weil das genannte Urteil keine Bindungswirkung habe.
II.
17 
Zwar spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ersten Zehnjahresfrist im Jahr 1998 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 2002 II S. 1054 – MRK) widerspricht (1.). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens aus der Unterbringung zu entlassen wäre (2.).
18 
1. Nach Maßgabe der Entscheidung des EGMR (Kammer der fünften Sektion), Urt. v. 17.12.2009 „M. ./. Deutschland“ – 19359/04 –, NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig aaO. S. 233 ff. spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ursprünglich geltenden Zehnjahresfrist im Jahr 1998 konventionswidrig ist, nämlich Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) und Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) verletzt.
19 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hatte der EGMR über die Beschwerde des Herrn M. zu entscheiden, gegen den 1986 die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war und der nach Ablauf der Zehnjahresfrist für die erstmalige Unterbringung im Jahr 2001 nicht entlassen worden war, weil diese Höchstfrist 1998 fortgefallen ist. Die Kammer stellte einstimmig sowohl eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) als auch des Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) fest und sprach dem Beschwerdeführer in Anwendung des Art. 41 MRK eine Entschädigung von 50.000,- EUR für erlittene Nicht-Vermögensschäden zu. Das Urteil ist gemäß Art. 44 Abs. 2 c) MRK am 10.05.2010 rechtskräftig geworden, nachdem der Antrag der Bundesrepublik Deutschland, die Sache gemäß Art. 43 MRK an die Große Kammer zu verweisen, an diesem Tag von dem Ausschuss der Großen Kammer einstimmig zurückgewiesen worden ist.
20 
b) Die Gründe, aus denen der EGMR eine Rechtfertigung der mit Sicherungsverwahrung verbundenen Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a) MRK abgelehnt hat (Ziff. 87 ff.), treffen im Wesentlichen auch hier zu; insbesondere gilt das für die Bedenken, die der EGMR hinsichtlich der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern (vgl. Ziff. 96 des Urteils) und hinsichtlich des Kausalzusammenhanges (Ziff. 100) sowie der Vorhersehbarkeit (Ziff. 101 des Urteils) angemeldet hat. Bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c) MRK, wonach Freiheitsentziehungen u. a. zulässig sind, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, eine Person an der Begehung einer Straftat zu hindern, muss diese Straftat konkret individualisiert sein (Ziff. 102); gefährliche Personen in Haft zu nehmen, weil ein allgemeiner Verdacht besteht, sie könnten strafbare Handlungen begehen, ist nicht von der Vorschrift gedeckt (EGMR, Urt. v. 06.11.1980 – 7367/76 – Guzzardi ./. Italien, Ziff. 102). Allerdings lässt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e) MRK rechtmäßige Freiheitsentziehungen u. a. auch bei psychisch Kranken zu, was, wie sich aus Ziff. 103 des genannten Urteils ergibt, auch als Rechtfertigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommen kann, und anders als im Fall des Herrn M. ist der hier Verurteilte nach den derzeit vorliegenden Gutachten psychisch krank, leidet nämlich an einer Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F 61.0) und einer wahnhaften Störung (ICD 10 F 22). Jedoch verlangt der EGMR (Urt. v. 20.02.2003 – 50272/99 – Hutchinson Reid ./. Vereinigtes Königreich Ziff. 47 f.) in solchen Fällen grundsätzlich die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer entsprechenden anderen geeigneten Einrichtung und lässt die Unterbringung in einem Gefängnis nur übergangsweise – für wenige Monate – zu (EGMR, Urt. v. 11.05.2004 – 48865/99 – Morsink ./. Niederlande Ziff. 61 ff.; s. weiterhin Urt. v. 11.05.2004 – Brand ./. Niederlande – 49902/99 Ziff. 66).
21 
c) Weiterhin spricht Einiges dafür, dass nach Maßgabe der Gründe des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 (Ziff. 106 ff.) eine Verletzung des in Art. 7 Abs. 1 MRK garantierten Verbots rückwirkender Strafschärfung vorliegt. Die gegen den Verurteilten angeordnete Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgrund des Fortfalls der zum Tatzeitpunkt geltenden Höchstfrist verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 MRK in der durch den EGMR vorgenommenen Auslegung, weil Sicherungsverwahrung als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 MRK zu bewerten sei. Die vom EGMR dazu angestellten Erwägungen treffen weitgehend auch auf den vorliegenden Fall zu. Hier wie dort handelt es sich um einen sog. Zehnjahresfall, in dem die Sicherungsverwahrung erstmalig wegen einer Alttat nach altem Recht beschränkt auf eine Höchstdauer von zehn Jahren angeordnet wurde. Hier wie dort gilt, „dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung“ gab (Ziff. 127). Weder hier noch dort gab es in überzeugendem Ausmaß besondere, auf Sicherungsverwahrte gerichtete Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die zum Ziel hatten, die von ihnen ausgehende Gefahr zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich ist, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (Ziff. 127). Hier wie dort war und ist die Sicherungsverwahrung unbefristet (Ziff. 130), und ihre Fortdauer ist von den Gerichten angeordnet worden, die auch für die Strafvollstreckung zuständig sind (Ziff. 131). Hier wie dort haben die Verurteilten durch die Unterbringung in Sicherungsverwahrung „einen schwerwiegenderen Nachteil erlitten als durch die Freiheitsstrafe selbst“ (Ziff. 132). Allerdings betont der Senat, dass es sich vorliegend – anders als in dem vom EGMR entschiedenen Fall – um einen Verurteilten handelt, der sich über viele Jahre hinweg gegenüber jeglichen therapeutischen Bemühungen oder sonstigen Maßnahmen unter dem Aspekt einer Resozialisierung ablehnend verhalten hat (s. hierzu auch OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 14 f.).
22 
2. Aus einer Konventionswidrigkeit folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne nähere Prüfung allein aufgrund der Entscheidung des EGMR zu entlassen ist.
23 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hat der EGMR eine solche Rechtsfolge nicht aus- oder angesprochen. Auch die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat in ihrem Beschluss vom 19.05.2010 – 2 BvR 769/10 – den Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung, sofort aus der Unterbringung in der Sicherungshaft entlassen zu werden, aufgrund einer Folgenabwägung abgelehnt. Dem Verfahren lag der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 17.05.2010 – 2 Ws 573/09 – zugrunde, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers, ihn im Hinblick auf die Endgültigkeit des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 sofort aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen, abgelehnt wurde. Auch das OLG Celle, Beschluss vom 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – hat die Entlassung eines in Sicherungsverwahrung Untergebrachten abgelehnt. Anders entschieden hat allerdings das Landgericht (LG) Marburg in seinem Beschluss vom 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – im Fall des Herrn M., der dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zugrunde lag; dieser Beschluss ist unbeschadet der dort anders gelagerten Bindungswirkung freilich von der Staatsanwaltschaft angefochten worden. Auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einem Revisionsverfahren, das die allerdings abweichende Fallkonstellation einer nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft, den Betroffenen sofort auf freien Fuß gesetzt (Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09 –; Gründe liegen dem Senat nicht vor).
24 
b) Der Senat bezweifelt, ob völker-, nämlich konventionsrechtlich in Fällen der vorliegenden Art eine Beendigung der Freiheitsentziehung unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens geboten ist.
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aa) Allerdings entfaltet das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 für den hier vorliegenden Fall völker- und konventionsrechtlich eine Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Stellen. Diese Bindungswirkung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 46 Abs. 1 MRK, der – in persönlicher Hinsicht – nur eine Bindungswirkung inter partes anordnet. Jedoch handelt es sich vorliegend weitgehend um einen „Parallelfall“, der unter Beachtung der Entscheidungsgründe des EGMR zu beurteilen ist (hierzu eingehend Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15.01.2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009 [19359/04] S. 20-23 mit Nachweisen). In sachlicher Hinsicht beinhaltet die Bindungswirkung, dass die festgestellte Konventionsverletzung, falls sie noch andauert, unverzüglich zu beenden ist (s. nur EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198; BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – [„Görgülü“], BVerfGE 111, 307 [321]). In der Art und Weise, wie die Konventionsverletzung beendet wird, haben die Vertragsstaaten der MRK allerdings grundsätzlich Wahlfreiheit; es ist ihre Sache, jene Mittel zu wählen, die im Rahmen ihrer Rechtsordnung ergriffen werden können und müssen, um den aus einem Urteil des EGMR folgenden Anforderungen zu entsprechen; dabei kann ein Vertragsstaat verpflichtet sein, Hindernisse in seiner Rechtsordnung zu beseitigen, die einer angemessenen Bereinigung der Situation des Beschwerdeführers im Wege stehen (EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 203). Nach diesen Maßstäben ist es völker- und konventionsrechtlich unbedenklich, das beim Senat anhängige Beschwerdeverfahrens fortzuführen: Dieses Verfahren ist das in der deutschen Rechtsordnung vorgesehene Verfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unter Beachtung der MRK und des anwendbaren deutschen Rechts.
26 
bb) Der Umstand, dass die Konventionsverletzung in einer Freiheitsentziehung besteht, ändert in Fällen der vorliegenden Art hieran nichts. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 f. aus:
27 
„Im Falle der Inhaftierung eines Beschwerdeführers entgegen den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 EMRK hat der EGMR festgestellt, dass aus der Feststellung der Konventionsverletzung eine Pflicht zur sofortigen Freilassung des Betroffen folgt. (…) Bei einem Widerspruch der Inhaftierung eines Betroffenen zu den Bestimmungen der Konvention ist keine Alternative zur Freilassung denkbar, um die Konventionsverletzung abzustellen“ (Unterstreichungen vom Senat).
28 
Das überzeugt den Senat für Fälle der vorliegenden Art nicht. Die beiden angeführten Urteile des EGMR, nämlich EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198, 202 f. und Urt. v. 08.07.2004 – 48787/99 – Ilaşcu ./. Moldawien und Russland Ziff. 490, betrafen Fälle, in denen die andauernde Inhaftierung der Beschwerdeführer vor der MRK in keiner Weise (mehr) zu rechtfertigen war und es keines (weiteren) Verfahrens mehr für die Freilassung bedurfte: Herr Ilaşcu war 1992 in Moldawien von Rebellen willkürlich in Haft genommen, gefoltert und von einem verfassungswidrigen Gericht zu Tode verurteilt worden; obwohl das verfassungsgemäße Gericht dieses Urteil 1994 aufgehoben hatte, wurde er erst 2001 auf freien Fuß gesetzt. Herr Assanidze war vom Präsidenten von Georgien begnadigt und von einem Gericht rechtskräftig freigesprochen worden; gleichwohl wurde er weiterhin in Strafhaft gehalten. In solchen Fällen steht außer Frage, dass eine Freilassung „as early as possible“ erfolgen muss; davon unterscheidet sich der Fall, dass in dem verurteilten Vertragsstaat ein Beschwerdeverfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anhängig ist, in dem die Konventionswidrigkeit der Unterbringung ein wesentlicher Verfahrensgegenstand ist.
29 
cc) Im Übrigen ist zu fragen, ob es in Fällen der vorliegenden Art Möglichkeiten gibt, konventionswidrige Zustände auch anders als durch Freilassung der Betroffenen zu beenden. Insoweit gesteht auch Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 in Fn. 17 zu, dass es konventionsgemäße Möglichkeiten geben kann, den Betroffenen nach Freilassung erneut in Haft zu nehmen. Werden solche Möglichkeiten (z. B. nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e) EMRK) unverzüglich genutzt oder geschaffen oder wird die Sicherungsverwahrung unverzüglich in einer Weise umgestaltet, die ihr auch nach den Maßstäben des EGMR-Urteils den „Straf“charakter nimmt, erscheint eine Pflicht, Betroffene zunächst auf freien Fuß zu setzen und ihnen sogleich wieder die Freiheit zu entziehen, nicht als einleuchtend. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Freilassung gegebenenfalls hoch gefährlicher Straftäter ihrerseits eine Konventionsverletzung beinhalten könnte, wenn und soweit es daraufhin zu Straftaten kommt, deren Opfer eine Verletzung der in den Konventionsgarantien mit enthaltenen staatlichen Schutzpflicht geltend machen könnten (vgl. hierzu EGMR [Große Kammer], Urt. v. 24.10.2002 – 37703/97 Mastromatteo ./. Italien Ziff. 67 = NJW 2003, 3259 [3260]; OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 12 f.; s. auch BGH, Urt. v. 09.03.2010 – 1 StR 554/10 – Tz. 68).
30 
c) Selbst wenn es völker- und konventionsrechtlich geboten wäre, eine konventionswidrige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sofort zu beenden, könnte dies nach Auffassung des Senats im derzeitigen innerstaatlichen deutschen Recht weder methodisch vertretbar noch im Einklang mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip umgesetzt werden (im Ergebnis und weithin in der Begründung wie hier OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 7 ff.).
31 
aa) Durch den „Görgülü-Beschluss“ des Zweiten Senats des BVerfG vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 –, BVerfGE 111, 307 sind Art und Umfang der Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR weitgehend geklärt: Deutsche Gerichte haben die Konvention, die formell den Rang einfachen Bundesrechts hat, in der Auslegung durch den EGMR wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfG aaO. S. 317). Insbesondere gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges deutsches Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (BVerfG aaO. S. 323 f.). Hat der EGMR einen Konventionsverstoß der Bundesrepublik Deutschland festgestellt und dauert dieser Verstoß an, so ist die Entscheidung zu berücksichtigen; die Fachgerichte müssen sich mit ihr auseinandersetzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (BVerfG aaO. S. 324). Eine Abweichung kommt insbesondere in Betracht, wenn deutsche Gerichte mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben und sensible Abwägungen zwischen verschiedenen subjektiven Rechtspositionen erforderlich sind; es wäre verfassungsrechtlich problematisch, wenn einer der Grundrechtsträger einen für ihn günstigen Urteilsspruch des EGMR gegen die Bundesrepublik Deutschland erstreitet und deutsche Gerichte diese Entscheidung schematisch anwenden, mit der Folge, dass der insofern „unterlegene“ und möglicherweise nicht im Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligte Grundrechtsträger gar nicht mehr als Verfahrenssubjekt wirksam in Erscheinung treten könnte (BVerfG aaO. S. 326 f.).
32 
bb) Der Senat bezweifelt, dass es eine methodisch vertretbare Auslegung des geltenden StGB gibt, die dazu führt, dass in einem sog. Zehnjahresfall, wie er hier verfahrensgegenständlich ist, im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 ohne Weiteres die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt und der Untergebrachte auf freien Fuß gesetzt werden muss. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO S. 38-48, aus, es sei eine methodisch vertretbare Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB, durch Art. 5 und 7 MRK in der Auslegung durch das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 „gesetzlich“ etwas „anderes bestimmt“ zu sehen. Dann würde für sog. Zehnjahresfälle wie hier das alte Recht gelten, das bei erstmaliger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Höchstfrist von zehn Jahren vorgesehen habe, die im Sinne von § 67d Abs. 4 StGB „abgelaufen“ sei, weshalb die Sicherungsverwahrung erledigt und der Verurteilte zu entlassen sei. Diese Auffassung (in der Sache wohl ebenso LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – S. 16, hier als „verfassungskonforme Auslegung“; zu deren Grenzen, wenn der Wille des Gesetzgebers bestimmt und eindeutig ist, s. aber OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 10 mit Nachw.) verkehrt den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil (ebenso OLG Celle aaO. BU S. 9 f.). Der Gesetzgeber sah Art. 7 MRK gerade nicht als Schranke des § 2 Abs. 6 StGB an (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 108). Vor allem spricht gegen die von Grabenwarter für möglich gehaltene Auslegung das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160): Mit Art. 2 Nr. 2 und 3 dieses Gesetzes wurden an den damaligen Art. 1a EGStGB, der zum neuen Absatz 1 wurde, als neue Absätze 2 und 3 die folgenden Bestimmungen angefügt:
33 
„(2) § 66 Abs. 3 des Strafgesetzbuches findet nur Anwendung, wenn der Täter eine der Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art nach dem 31. Januar 1998 begangen hat.
34 
(3) § 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) findet uneingeschränkt Anwendung.“
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Mit dem neuen Art. 1a Abs. 3 EGStGB war ausdrücklich bezweckt, die Änderungen des § 67d StGB „uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen“, was verfassungsrechtlich möglich sei, weil es nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe (s. BT-Drucks. 13/9062 S. 12). Damit ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers, das neue Fristenrecht des § 67d StGB auf Altfälle anzuwenden, sogar Gesetz geworden. Die spätere Streichung der Art. 1a Abs. 2 und 3 EGStGB durch Art. 8 Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 (BGBl. I S. 1838) berührt diesen Willen nicht (ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 9 f.). Denn der Gesetzgeber ging lediglich davon aus, dass die Regelung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG, namentlich den Beschluss vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 verzichtbar erscheine (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 20). Eine Auslegung wie bei Grabenwarter, die alles das überspielt, erscheint methodisch nicht mehr vertretbar.
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cc) Zudem ist der Senat der Auffassung, dass eine schematische „Vollstreckung“ des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 in der Weise, dass sog. Zehnjahresfälle nunmehr ohne Weiteres zu entlassen wären, die Frage aufwerfen würde, ob dies mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar wäre. Zwar dürfte es dem deutschen Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt sein, zu dem vor 1998 geltenden Rechtszustand zurückzukehren (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 [187]; s. auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 13 f.). Nach dem nunmehr geltenden Recht, das weder von der MRK noch von dem EGMR-Urteil außer Kraft gesetzt wird, ist aber durch § 67d Abs. 3 StGB den Fachgerichten auch und gerade nach Ablauf der Zehnjahresfrist die der Sicherungsverwahrung immanente sensible Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für die Allgemeinheit andererseits verfassungsrechtlich aufgegeben:
37 
„Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen. Diese Schutzpflicht des Staates ist umso intensiver, je mehr die Gefährdung sich konkretisiert und individualisiert und je stärker sie die Gefährdung elementarer Lebensbereiche betrifft. (…) Hinter dieses öffentliche Interesse tritt das Freiheitsgrundrecht (…) trotz seines hohen Wertes zurück. (…) Der Gesetzgeber (hat) mit der Regelung des § 67d Abs. 3 StGB nicht gegen das freiheitsschützende Übermaßverbot verstoßen. Die inhaltliche Konzeption als Regel-Ausnahme-Vorschrift sowie die flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien für die Betroffenen verschaffen deren Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichende Geltung (…)“ (BVerfG aaO. S. 186 f.).
38 
Eine schematische „Vollstreckung“ des EGMR-Urteils in Gestalt sofortiger Entlassung selbst hoch gefährlicher Untergebrachter brächte diese Abwägung in einer Art und Weise aus dem Gleichgewicht, die verfassungsrechtlich jedenfalls bedenklich wäre und – im Sinne des Monitums des „Görgülü-Beschlusses“ – darauf hinauslaufen würde, dass die schutzwürdige Allgemeinheit und damit nicht am Verfahren vor dem EGMR beteiligte Grundrechtsträger nicht mehr als Verfahrenssubjekte wirksam in Erscheinung treten könnten. Entgegen Kinzig NStZ 2010, 233 (238) beziehen sich dieses Monitum sowie der Vorbehalt betreffend mehrpolige Grundrechtsverhältnisse nicht ausschließlich aufs Privatrecht, sondern auf alle Fälle, in denen staatliche Gerichte „wie im Privatrecht“ mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben (s. BVerfGE 111, 307 [324]; ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 11 f.).
III.
39 
Auch deutsches Verfassungsrecht gebietet nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne weitere inhaltliche Überprüfung aus der Unterbringung zu entlassen wäre.
40 
1. Die vom EGMR als konventionswidrig erkannte geltende deutsche Gesetzeslage ist vom Zweiten Senat des BVerfG in seinem Urteil vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 für verfassungsgemäß erachtet worden. Für sich gesehen ändert das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 hieran nichts. Das Konventionsrecht einerseits und das deutsche Verfassungsrecht andererseits sind nicht deckungsgleich, und der EGMR urteilt nicht nach deutschem Verfassungsrecht.
41 
2. Allerdings beeinflussen die Gewährleistungen der Konvention die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes, und die Rechtsprechung des EGMR dient auch auf der Ebene des Verfassungsrechts als „Auslegungshilfe“ für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern das nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – „Görgülü“, BVerfGE 111, 307 [317]). Der Senat hat daher erwogen, ob im Lichte der Erwägungen, die der EGMR in seinem Urteil vom 17.12.2009 angestellt hat, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des geltenden deutschen Rechts insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 (hierzu BVerfGE 109, 133 [156 ff.]) und auf Art. 103 Abs. 2 GG (hierzu BVerfGE 109, 133 [167 ff.]) anders als in BVerfGE 109, 133 zu beantworten ist. Für das Freiheitsgrundrecht verneint der Senat die Frage, da das jeweilige Schranken- und Schranken-Schranken-Regime zu unterschiedlich ist. Für die Frage des Rückwirkungsverbots und des verfassungsrechtlichen Strafbegriffs sieht der Senat hingegen Erörterungsbedarf. Ihm erscheint aber zweifelhaft, ob das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zu der Annahme zwingt, entgegen BVerfGE 109, 133 (167 ff.) sei Art. 103 Abs. 2 GG verletzt. Diese Verfassungsbestimmung steht in einer bestimmten verfassungs- und einfachrechtlichen Tradition des deutschen Rechts (s. hierzu BVerfG aaO. S. 168 ff.). Ihre traditionell enge Auslegung begründet sich auch aus der grundsätzlichen Absolutheit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots und den hohen Anforderungen an eine parlamentsgesetzliche Strafbarkeitsgrundlage, die sich so nicht bei Art. 7 MRK finden. Zudem kennt das deutsche Verfassungsrecht ein allgemeines rechtsstaatliches Vertrauensschutzgebot, das als verfassungsrechtlicher Auffangtatbestand eingreifen kann (s. hierzu BVerfG aaO. S. 180 ff.) und in der MRK nicht in gleicher Weise ausgeprägt ist. Deshalb ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass er das Gesetzesrecht, aufgrund dessen der Verurteilte sich (noch) in Sicherungsverwahrung befindet, für verfassungswidrig hält, und sieht deshalb von einer Vorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80-82 BVerfGG) ab (s. hierzu auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 8 ff.). Im Übrigen dürfte die Frage in dem beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 769/10 baldiger verfassungsgerichtlicher Klärung zugeführt werden. Der in diesem Verfahren ergangene Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19.05.2010 lässt erstens erkennen, dass die Kammer die verfassungsrechtliche Frage für offen hält, andernfalls sie nicht in eine Folgenabwägung hätte eintreten können, und fasst zweitens die Möglichkeit ins Auge, dass sich das geltende Recht zwar als verfassungswidrig erweisen, es jedoch gleichwohl nicht zu Entlassungen kommen könnte, beispielsweise weil für eine Übergangszeit die ggf. bedingte Fortgeltung des bisherigen Rechts angeordnet werden könnte. Drittens zeigt der Beschluss, dass es im Ergebnis verfassungsrechtlich verantwortbar ist, Verurteilte jedenfalls vorläufig in Sicherungsverwahrung zu belassen. Die Folgenabwägung fällt auch im vorliegenden Fall gegen eine sofortige Entlassung aus: Wäre es bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, den Verurteilten sofort zu entlassen, so würde ihn die hier getroffene Entscheidung in seinem Freiheitsgrundrecht verletzen. Wäre es hingegen auch bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen, und würde der Senat ihn jetzt entlassen, so wäre die Allgemeinheit bis zur Wiederergreifung des Verurteilten nach der derzeitigen Gutachtenlage der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten ausgesetzt, seien es Sexualdelikte, seien es Gewaltdelikte gegen Justizangehörige, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Dann aber muss das Freiheitsgrundrecht jedenfalls bis auf Weiteres zurücktreten.
IV.
42 
Nach alledem ist eine sofortige Entlassung des Verurteilten unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens nicht veranlasst. Das bedeutet freilich nicht, dass die konventionsrechtlichen Vorgaben, wie sie im Urteil des EGMR vom 17.12.2009 enthalten sind, und die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie insbesondere im Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 enthalten sind, nicht zu beachten wären. Im Gegenteil ist es Aufgabe des Senats wie aller nationalen Gerichte, das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 im weiteren Verfahren „in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung“, nämlich das Recht der Sicherungsverwahrung, „einzupassen“ (BVerfGE 111, 307 [327]) und – selbstverständlich – deutsches Verfassungsrecht zur Anwendung zu bringen. Insbesondere wird es geboten sein, etwaige Konventionsverletzungen ausdrücklich festzustellen (vgl. für die konventionswidrige Verfahrensverzögerung BVerfG, Beschl. v. 19.04.1992 – 2 BvR 1487/90, NJW 1993, 3254 [3255]) und das geltende deutsche Recht, insbesondere §§ 67d Abs. 2 und 3, 67e Abs. 1 Satz 1 StGB, auf einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BVerfGE 109, 133 [162 ff.]) im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung konventions- und verfassungskonform (vgl. BVerfG aaO. S. 159, 161) zu handhaben (s. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 12.05.2010 – III-4 Ws 114/10 S. 3 f.).

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

Tenor

Der Antrag des Verurteilten, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären und anzuordnen, dass er aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist, wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

Gründe

 
I.
Der heute 63 Jahre alte Verurteilte ist erstmals mit 21 Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten und vielfach vorbestraft. Seit 1971, also seit seinem 24. Lebensjahr, hat er sich – für den Zeitraum bis 1979 mit einigen Unterbrechungen – in Untersuchungs- oder Strafhaft befunden. Seit 1988 bis heute, also über 21 Jahre lang, ist er in Sicherungsverwahrung untergebracht. Sie beruht auf drei Verurteilungen wegen 1973, 1978 und 1983 begangener schwerer Sexualdelikte.
1. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 25.04.1975 – 1 Kls 30/74 – wurde der Verurteilte wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Entführung gegen den Willen der Entführten, sowie versuchter Vergewaltigung (Tatzeiten: 12.04., 22./23.04. sowie 11.07.1973) zu Einzelstrafen von zwei Jahren, drei Jahren und einem Jahr verurteilt; er verbüßte die Gesamtstrafe von fünf Jahren in der Zeit vom 22.10.1975 bis zum 30.09.1977 und nach Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung vom 12.01.1982 bis 03.09.1983. Sodann wurde er durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.09.1979 – III Kls 21/79 – wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch von Kindern (Tatzeit: 23.12.1978) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt; er verbüßte die Strafe vom 12.01.1979 bis zum 11.01.1982 und vom 04.09.1983 bis zum 25.03.1985. Am 09.01.1983 vergewaltigte er während eines Hafturlaubes in Backnang eine siebzehnjährige Frau, nötigte sie sexuell und würgte und verletzte sie dabei erheblich. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27.09.1985 – 2 Kls 279/84 – verurteilte das Landgericht Stuttgart ihn deshalb wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und ordnete Sicherungsverwahrung an. Das Landgericht stellte eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur und eine sowohl histrionische als auch antisoziale schwere Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB fest, durch welche die Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war. Ein therapeutisches Vorgehen erschien nicht ansatzweise erfolgversprechend, und sämtliche vorherigen Bemühungen waren gescheitert, weshalb eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht kam. Zur Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB a. F. führte das Landgericht u. a. aus:
„In den Straftaten zeigt sich der offensichtliche Hang des Angeklagten, erst nach einer Demonstration der Macht und Stärke zu sexueller Befriedigung zu gelangen. Das Maß der von ihm an seinen Opfern vorgenommenen Gewaltanwendung nimmt stetig zu. Der Angeklagte bricht jeden Widerstand seines Opfers dadurch, dass er es aufs heftigste am Hals würgt oder ihm sonst die Luft nimmt. Wie sein neuerliches Vorgehen gegen die Zeugin (…) zeigt, ist dies für ihn geradezu symptomatisch geworden, weshalb er für die Allgemeinheit eine ganz erhebliche Gefahr darstellt. Angesichts der von den Sachverständigen (…) festgestellten schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit fast zwanghaftem Handeln zur Sicherung seiner Ziele ist von ihm die Begehung künftiger schwerwiegender Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Der Angeklagte ist – wie auch in seinem äußerst aggressiven und feindseligen Verhalten vor und während der Hauptverhandlung immer wieder deutlich wurde – in den Lage, bei einem seiner Vorstellung zuwider laufenden Geschehensablauf in kürzester Zeit Feindbilder aufzubauen und diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es muss deshalb ernsthaft befürchtet werden, dass ein neues Opfer des Angeklagten, welches sich seinen Wünschen widersetzt, möglicherweise sein Leben lassen müsste“ (S. 125 f.).
Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem Urteil vom 27.09.1985 vollständig bis zum 24.09.1988. Mit Beschluss vom 03.08.1988 ordnete das Landgericht Karlsruhe den anschließenden Vollzug der Sicherungsverwahrung an, die nach damaligem Recht bei der ersten Unterbringung höchstens zehn Jahre lang vollzogen werden durfte. Diese Höchstfrist fiel mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) fort. Daher erklärte das Landgericht Freiburg nach Vollzug von zehn Jahren Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 09.03.1999 die Sicherungsverwahrung nicht für erledigt und ordnete deren Fortdauer an. Seitdem befindet sich der Verurteilte ununterbrochen in Sicherungsverwahrung. Insgesamt sind derzeit – im Anschluss an die voll verbüßte Freiheitsstrafe – über 21 Jahre Sicherungsverwahrung vollzogen worden.
2. Der Verurteilte ist vielfach nervenärztlich und kriminalprognostisch begutachtet worden. Allerdings liegt das letzte auf einer eingehenden Exploration des Verurteilten beruhende Gutachten des Dr. H E B, Ärztlicher Direktor des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg, vom 18.08.1999 mittlerweile über 10 Jahre zurück. Seither hat der Verurteilte jeden Versuch einer eingehenden gutachterlichen Untersuchung durch die gerichtlich beauftragten Sachverständigen entschieden abgelehnt. Das derzeit aktuellste jüngste „nervenärztliche Gutachten nach Aktenlage“ des Dr. T H, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt der Klinik für Suchttherapie des Klinikums am W., W., datiert vom 04.02.2010. Diesem Gutachten lässt sich das Folgende entnehmen:
a) Gutachtengrundlage, fehlende Bereitschaft des Verurteilten, sich begutachten zu lassen
Der Verurteilte sei (auch) 2005 bis 2010 nicht bereit gewesen, sich begutachten zu lassen. Deshalb hätten keine Untersuchungen stattfinden können. Es habe mehrere (teils aber recht kurze) persönliche Kontakte gegeben, teils auch im Rahmen von Anhörungen durch die Strafvollstreckungskammer. Das Gutachten beruhe auf einer Aktenauswertung, wobei bestimmte Akten (Gefangenenpersonalakte, Krankenakte) wegen der Weigerung des Verurteilten nicht zugänglich gewesen seien.
b) Verhalten im Vollzug und außerhalb des Vollzugs
In der Justizvollzugsanstalt Freiburg hätten gegen den Verurteilten über längere Zeit besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden müssen. Er habe 1998 seinen Haftraum in Brand gesteckt; gegen die dadurch veranlasste Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er u. a. mit einer Eisenstange Widerstand geleistet. In der Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich damals verfolgt gefühlt und jeden Kontakt mit Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdiensts abgelehnt. Am 30.05.2002 sei in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ein beleidigendes und bedrohliches Verhalten dokumentiert worden. Nach seiner Zurückverlegung in die Justizvollzugsanstalt Freiburg im Jahr 2003 habe er dort einen Löffel verschluckt, und bei einer Kontrolle sei eine Schlinge gefunden worden, mit der er sich habe erhängen wollen. Als er daraufhin in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt werden sollte, habe er die Bediensteten angegriffen und einen von ihnen in den Fuß gebissen; trotz Fesselung habe er das Krankentransportfahrzeug demoliert. Im weiteren Verlauf habe sich das Verhalten des Verurteilten stabilisiert. Nach Wiederverlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich dort disziplinarisch unauffällig oder weitgehend unauffällig verhalten. Nach Auskunft des ärztlichen Dienstes und der Anstaltsärztin passe sich er derzeit gut an, fühle sich in der Justizvollzugsanstalt sogar „glücklich und zufrieden“. Er lasse dabei keinerlei Tendenzen erkennen, dass er sich ein Leben draußen vorstellen könne oder gar wünsche. Hilfreich sei, dass er mittlerweile Psychopharmaka in kleiner Menge einnehme, was ursächlich für seine Stabilisierung sein dürfte. Insgesamt sei laut einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, die allerdings gleichwohl einer Aussetzung der Sicherungsverwahrung mit Nachdruck entgegen getreten sei, seine Verhaltensentwicklung als äußerst positiv zu beurteilen. Allerdings führe er das Leben eines Einzelgängers und habe wenige Kontakte im Vollzug. Mangels Vollzugslockerungen habe eine Erprobung des Verhaltens außerhalb des Vollzugs bislang noch nicht erfolgen können. Ob der Verurteilte überhaupt ein Leben außerhalb des Vollzuges anstrebe, sei nach Eindruck des Gutachters offen.
10 
c) Psychische bzw. psychiatrische Befunde
11 
Eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10 F 10.1) sei auch rückblickend nicht ganz eindeutig festzustellen. Eine psychotische Erkrankung im engeren Sinne etwa aus dem schizophrenen Formenkreis könne nicht festgestellt werden, desgleichen keine fixierte sexuelle Devianz bzw. psychosexuelle Störung. Es gebe aber eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (histrionisch-dissozial) (ICD 10 F 61.0) mit dissozialen Persönlichkeitselementen (Mangel an Empathie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Unvermögen zu längerfristigen Beziehungen, niedrige Schwelle für aggressives und auch gewalttätiges Handeln, verminderte Lernfähigkeit, Neigung, andere zu beschuldigen oder eigenes Fehlverhalten zu rationalisieren) und histrionischen Persönlichkeitselementen (theatralisch anmutendes Verhalten, oberflächliche Affektivität, Egozentrik, manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse). Es seien Teilelemente des „Psychopathy-Konzepts“ erfüllt, das freilich keine klinische diagnostische Einordnung sei. Hinzu komme zunehmend eine haftreaktive wahnhafte Störung (ICD 10 F 22) mit lang andauernden Wahninhalten, die medikamentöser Behandlung nur schwierig zugänglich seien. Paranoider Wahninhalt sei, dass der Verurteilte annehme, von der Justiz bewusst und gezielt und wiederholt bzw. anhaltend zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein. Es trete immer wieder eine sehr abwertende Haltung gegenüber mit ihm in der Justiz befassten Personen zutage, wobei hier auch ausgeprägte aggressive Strebungen (Gereiztheit, laut werden, jedenfalls tendenziell bedrohlich anmutende Gestik) wahrnehmbar seien.
12 
d) Kriminalprognostische Faktoren
13 
Positive kriminalprognostische Faktoren seien, dass Hinweise auf gehäuftes delinquentes Verhalten in der Herkunftsfamilie oder ein „broken home“ nicht vorlägen; dass sich der Verurteilte nicht in Heimen aufgehalten und die Regelschule erfolgreich abgeschlossen habe; und dass im Vollzug der letzten Jahre keine bedeutsamen disziplinarischen Schwierigkeiten aufgetreten seien. Negative kriminalprognostische Faktoren seien, dass der Verurteilte nur eine längere partnerschaftliche Beziehung im Jugendalter, ansonsten nur kurze Beziehungen gehabt habe; dass ab 1967 exzessiver schädlicher Gebrauch von Alkohol aufgetreten sein solle; dass die Delinquenz früh begonnen habe und die Zahl der Vorstrafen hoch gewesen sei, mehrfach gewalttätige Sexualdelikte begangen worden seien, weswegen mehrere Verurteilungen zu Freiheitsstrafe erfolgt seien; dass es ein abwertend negativ geprägtes Frauenbild gebe und der Verurteilte sexuelle Interessen jedenfalls teilweise in brutaler Weise mit nahezu sadistischen Zügen durchgesetzt habe, wobei dem Streben nach Macht und Dominanz wesentliche Bedeutung zukommen dürfte; dass ein paranoider Wahn vorhanden sei, von der Justiz zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein; dass die Basisraten für Rückfälligkeit im Hinblick auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung zwischen 10 % und 25 % lägen und hier individuell erhöht seien; und dass es augenscheinlich unmöglich sei, den Verurteilten in Vollzugslockerungen zu erproben.
14 
3. Als Dezember 2005 die Überprüfung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 67e Abs. 2 StGB anstand, legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn die Akten vor, um über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, und regte an, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Nachdem zahlreiche Versuche gescheitert waren, den Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration zu bewegen, ordnete das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn mit Beschluss vom 03.12.2008, den Verfahrensbeteiligten aufgrund Begleitverfügung vom 26.02.2009 am 27.02.2009 zugestellt, die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ohne Gutachten an. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob der Senat diesen Beschluss mit Beschluss vom 07.08.2009 auf und verwies die Sache an das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn zurück. Es sei unvertretbar und rechtswidrig gewesen, die Frist des § 67e Abs. 2 StGB um drei Jahre zu überschreiten. Die ablehnende Haltung des Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration rechtfertige nicht die gesetzwidrige Fristüberschreitung; in solchen Fällen seien sog. Aktengutachten möglich. Nach Einholung eines solchen Gutachtens, nämlich des oben I. 3. geschilderten Gutachtens, beschloss das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn am 19.03.2010, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung fortzudauern habe, weil ernstlich zu befürchten sei, dass der Verurteilte außerhalb der Justizvollzugsanstalt erneut straffällig werde; das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGRM) vom 17.12.2009 ändere nichts an der Rechtslage, weil es noch nicht rechtskräftig sei. Dagegen hat der Verurteilte durch seine Verteidigerin sofortige Beschwerde eingelegt. Auf Anregung der Verteidigerin hat der Senat mit Beschluss vom 30.04.2010 Dr. R-D S, Zentrum für Psychiatrie Wiesloch, mit der Erstattung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens zur Kriminalprognose des Verurteilten beauftragt. Dieser Auftrag ist ausdrücklich an die nunmehr erklärte Bereitschaft des Verurteilten geknüpft, sich einer eingehenden Exploration durch Dr. S zu unterziehen. Im Falle verweigerter Mitwirkung sei ein weiteres Gutachten nach Aktenlage nicht veranlasst. Das Gutachten liegt noch nicht vor.
15 
4. Mit Faxschreiben vom 12.05.2010 an den Senat im Beschwerdeverfahren beantragt die Verteidigerin des Verurteilten unter Hinweis auf das seit dem 10.05.2010 rechtskräftige Urteil des EGMR vom 17.12.2009 festzustellen, dass die Sicherungsverwahrung erledigt ist, und anzuordnen, dass der Verurteilte aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist.
16 
Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart tritt dem Antrag entgegen, weil das genannte Urteil keine Bindungswirkung habe.
II.
17 
Zwar spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ersten Zehnjahresfrist im Jahr 1998 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 2002 II S. 1054 – MRK) widerspricht (1.). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens aus der Unterbringung zu entlassen wäre (2.).
18 
1. Nach Maßgabe der Entscheidung des EGMR (Kammer der fünften Sektion), Urt. v. 17.12.2009 „M. ./. Deutschland“ – 19359/04 –, NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig aaO. S. 233 ff. spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ursprünglich geltenden Zehnjahresfrist im Jahr 1998 konventionswidrig ist, nämlich Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) und Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) verletzt.
19 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hatte der EGMR über die Beschwerde des Herrn M. zu entscheiden, gegen den 1986 die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war und der nach Ablauf der Zehnjahresfrist für die erstmalige Unterbringung im Jahr 2001 nicht entlassen worden war, weil diese Höchstfrist 1998 fortgefallen ist. Die Kammer stellte einstimmig sowohl eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) als auch des Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) fest und sprach dem Beschwerdeführer in Anwendung des Art. 41 MRK eine Entschädigung von 50.000,- EUR für erlittene Nicht-Vermögensschäden zu. Das Urteil ist gemäß Art. 44 Abs. 2 c) MRK am 10.05.2010 rechtskräftig geworden, nachdem der Antrag der Bundesrepublik Deutschland, die Sache gemäß Art. 43 MRK an die Große Kammer zu verweisen, an diesem Tag von dem Ausschuss der Großen Kammer einstimmig zurückgewiesen worden ist.
20 
b) Die Gründe, aus denen der EGMR eine Rechtfertigung der mit Sicherungsverwahrung verbundenen Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a) MRK abgelehnt hat (Ziff. 87 ff.), treffen im Wesentlichen auch hier zu; insbesondere gilt das für die Bedenken, die der EGMR hinsichtlich der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern (vgl. Ziff. 96 des Urteils) und hinsichtlich des Kausalzusammenhanges (Ziff. 100) sowie der Vorhersehbarkeit (Ziff. 101 des Urteils) angemeldet hat. Bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c) MRK, wonach Freiheitsentziehungen u. a. zulässig sind, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, eine Person an der Begehung einer Straftat zu hindern, muss diese Straftat konkret individualisiert sein (Ziff. 102); gefährliche Personen in Haft zu nehmen, weil ein allgemeiner Verdacht besteht, sie könnten strafbare Handlungen begehen, ist nicht von der Vorschrift gedeckt (EGMR, Urt. v. 06.11.1980 – 7367/76 – Guzzardi ./. Italien, Ziff. 102). Allerdings lässt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e) MRK rechtmäßige Freiheitsentziehungen u. a. auch bei psychisch Kranken zu, was, wie sich aus Ziff. 103 des genannten Urteils ergibt, auch als Rechtfertigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommen kann, und anders als im Fall des Herrn M. ist der hier Verurteilte nach den derzeit vorliegenden Gutachten psychisch krank, leidet nämlich an einer Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F 61.0) und einer wahnhaften Störung (ICD 10 F 22). Jedoch verlangt der EGMR (Urt. v. 20.02.2003 – 50272/99 – Hutchinson Reid ./. Vereinigtes Königreich Ziff. 47 f.) in solchen Fällen grundsätzlich die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer entsprechenden anderen geeigneten Einrichtung und lässt die Unterbringung in einem Gefängnis nur übergangsweise – für wenige Monate – zu (EGMR, Urt. v. 11.05.2004 – 48865/99 – Morsink ./. Niederlande Ziff. 61 ff.; s. weiterhin Urt. v. 11.05.2004 – Brand ./. Niederlande – 49902/99 Ziff. 66).
21 
c) Weiterhin spricht Einiges dafür, dass nach Maßgabe der Gründe des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 (Ziff. 106 ff.) eine Verletzung des in Art. 7 Abs. 1 MRK garantierten Verbots rückwirkender Strafschärfung vorliegt. Die gegen den Verurteilten angeordnete Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgrund des Fortfalls der zum Tatzeitpunkt geltenden Höchstfrist verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 MRK in der durch den EGMR vorgenommenen Auslegung, weil Sicherungsverwahrung als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 MRK zu bewerten sei. Die vom EGMR dazu angestellten Erwägungen treffen weitgehend auch auf den vorliegenden Fall zu. Hier wie dort handelt es sich um einen sog. Zehnjahresfall, in dem die Sicherungsverwahrung erstmalig wegen einer Alttat nach altem Recht beschränkt auf eine Höchstdauer von zehn Jahren angeordnet wurde. Hier wie dort gilt, „dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung“ gab (Ziff. 127). Weder hier noch dort gab es in überzeugendem Ausmaß besondere, auf Sicherungsverwahrte gerichtete Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die zum Ziel hatten, die von ihnen ausgehende Gefahr zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich ist, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (Ziff. 127). Hier wie dort war und ist die Sicherungsverwahrung unbefristet (Ziff. 130), und ihre Fortdauer ist von den Gerichten angeordnet worden, die auch für die Strafvollstreckung zuständig sind (Ziff. 131). Hier wie dort haben die Verurteilten durch die Unterbringung in Sicherungsverwahrung „einen schwerwiegenderen Nachteil erlitten als durch die Freiheitsstrafe selbst“ (Ziff. 132). Allerdings betont der Senat, dass es sich vorliegend – anders als in dem vom EGMR entschiedenen Fall – um einen Verurteilten handelt, der sich über viele Jahre hinweg gegenüber jeglichen therapeutischen Bemühungen oder sonstigen Maßnahmen unter dem Aspekt einer Resozialisierung ablehnend verhalten hat (s. hierzu auch OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 14 f.).
22 
2. Aus einer Konventionswidrigkeit folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne nähere Prüfung allein aufgrund der Entscheidung des EGMR zu entlassen ist.
23 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hat der EGMR eine solche Rechtsfolge nicht aus- oder angesprochen. Auch die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat in ihrem Beschluss vom 19.05.2010 – 2 BvR 769/10 – den Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung, sofort aus der Unterbringung in der Sicherungshaft entlassen zu werden, aufgrund einer Folgenabwägung abgelehnt. Dem Verfahren lag der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 17.05.2010 – 2 Ws 573/09 – zugrunde, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers, ihn im Hinblick auf die Endgültigkeit des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 sofort aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen, abgelehnt wurde. Auch das OLG Celle, Beschluss vom 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – hat die Entlassung eines in Sicherungsverwahrung Untergebrachten abgelehnt. Anders entschieden hat allerdings das Landgericht (LG) Marburg in seinem Beschluss vom 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – im Fall des Herrn M., der dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zugrunde lag; dieser Beschluss ist unbeschadet der dort anders gelagerten Bindungswirkung freilich von der Staatsanwaltschaft angefochten worden. Auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einem Revisionsverfahren, das die allerdings abweichende Fallkonstellation einer nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft, den Betroffenen sofort auf freien Fuß gesetzt (Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09 –; Gründe liegen dem Senat nicht vor).
24 
b) Der Senat bezweifelt, ob völker-, nämlich konventionsrechtlich in Fällen der vorliegenden Art eine Beendigung der Freiheitsentziehung unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens geboten ist.
25 
aa) Allerdings entfaltet das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 für den hier vorliegenden Fall völker- und konventionsrechtlich eine Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Stellen. Diese Bindungswirkung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 46 Abs. 1 MRK, der – in persönlicher Hinsicht – nur eine Bindungswirkung inter partes anordnet. Jedoch handelt es sich vorliegend weitgehend um einen „Parallelfall“, der unter Beachtung der Entscheidungsgründe des EGMR zu beurteilen ist (hierzu eingehend Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15.01.2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009 [19359/04] S. 20-23 mit Nachweisen). In sachlicher Hinsicht beinhaltet die Bindungswirkung, dass die festgestellte Konventionsverletzung, falls sie noch andauert, unverzüglich zu beenden ist (s. nur EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198; BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – [„Görgülü“], BVerfGE 111, 307 [321]). In der Art und Weise, wie die Konventionsverletzung beendet wird, haben die Vertragsstaaten der MRK allerdings grundsätzlich Wahlfreiheit; es ist ihre Sache, jene Mittel zu wählen, die im Rahmen ihrer Rechtsordnung ergriffen werden können und müssen, um den aus einem Urteil des EGMR folgenden Anforderungen zu entsprechen; dabei kann ein Vertragsstaat verpflichtet sein, Hindernisse in seiner Rechtsordnung zu beseitigen, die einer angemessenen Bereinigung der Situation des Beschwerdeführers im Wege stehen (EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 203). Nach diesen Maßstäben ist es völker- und konventionsrechtlich unbedenklich, das beim Senat anhängige Beschwerdeverfahrens fortzuführen: Dieses Verfahren ist das in der deutschen Rechtsordnung vorgesehene Verfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unter Beachtung der MRK und des anwendbaren deutschen Rechts.
26 
bb) Der Umstand, dass die Konventionsverletzung in einer Freiheitsentziehung besteht, ändert in Fällen der vorliegenden Art hieran nichts. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 f. aus:
27 
„Im Falle der Inhaftierung eines Beschwerdeführers entgegen den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 EMRK hat der EGMR festgestellt, dass aus der Feststellung der Konventionsverletzung eine Pflicht zur sofortigen Freilassung des Betroffen folgt. (…) Bei einem Widerspruch der Inhaftierung eines Betroffenen zu den Bestimmungen der Konvention ist keine Alternative zur Freilassung denkbar, um die Konventionsverletzung abzustellen“ (Unterstreichungen vom Senat).
28 
Das überzeugt den Senat für Fälle der vorliegenden Art nicht. Die beiden angeführten Urteile des EGMR, nämlich EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198, 202 f. und Urt. v. 08.07.2004 – 48787/99 – Ilaşcu ./. Moldawien und Russland Ziff. 490, betrafen Fälle, in denen die andauernde Inhaftierung der Beschwerdeführer vor der MRK in keiner Weise (mehr) zu rechtfertigen war und es keines (weiteren) Verfahrens mehr für die Freilassung bedurfte: Herr Ilaşcu war 1992 in Moldawien von Rebellen willkürlich in Haft genommen, gefoltert und von einem verfassungswidrigen Gericht zu Tode verurteilt worden; obwohl das verfassungsgemäße Gericht dieses Urteil 1994 aufgehoben hatte, wurde er erst 2001 auf freien Fuß gesetzt. Herr Assanidze war vom Präsidenten von Georgien begnadigt und von einem Gericht rechtskräftig freigesprochen worden; gleichwohl wurde er weiterhin in Strafhaft gehalten. In solchen Fällen steht außer Frage, dass eine Freilassung „as early as possible“ erfolgen muss; davon unterscheidet sich der Fall, dass in dem verurteilten Vertragsstaat ein Beschwerdeverfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anhängig ist, in dem die Konventionswidrigkeit der Unterbringung ein wesentlicher Verfahrensgegenstand ist.
29 
cc) Im Übrigen ist zu fragen, ob es in Fällen der vorliegenden Art Möglichkeiten gibt, konventionswidrige Zustände auch anders als durch Freilassung der Betroffenen zu beenden. Insoweit gesteht auch Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 in Fn. 17 zu, dass es konventionsgemäße Möglichkeiten geben kann, den Betroffenen nach Freilassung erneut in Haft zu nehmen. Werden solche Möglichkeiten (z. B. nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e) EMRK) unverzüglich genutzt oder geschaffen oder wird die Sicherungsverwahrung unverzüglich in einer Weise umgestaltet, die ihr auch nach den Maßstäben des EGMR-Urteils den „Straf“charakter nimmt, erscheint eine Pflicht, Betroffene zunächst auf freien Fuß zu setzen und ihnen sogleich wieder die Freiheit zu entziehen, nicht als einleuchtend. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Freilassung gegebenenfalls hoch gefährlicher Straftäter ihrerseits eine Konventionsverletzung beinhalten könnte, wenn und soweit es daraufhin zu Straftaten kommt, deren Opfer eine Verletzung der in den Konventionsgarantien mit enthaltenen staatlichen Schutzpflicht geltend machen könnten (vgl. hierzu EGMR [Große Kammer], Urt. v. 24.10.2002 – 37703/97 Mastromatteo ./. Italien Ziff. 67 = NJW 2003, 3259 [3260]; OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 12 f.; s. auch BGH, Urt. v. 09.03.2010 – 1 StR 554/10 – Tz. 68).
30 
c) Selbst wenn es völker- und konventionsrechtlich geboten wäre, eine konventionswidrige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sofort zu beenden, könnte dies nach Auffassung des Senats im derzeitigen innerstaatlichen deutschen Recht weder methodisch vertretbar noch im Einklang mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip umgesetzt werden (im Ergebnis und weithin in der Begründung wie hier OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 7 ff.).
31 
aa) Durch den „Görgülü-Beschluss“ des Zweiten Senats des BVerfG vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 –, BVerfGE 111, 307 sind Art und Umfang der Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR weitgehend geklärt: Deutsche Gerichte haben die Konvention, die formell den Rang einfachen Bundesrechts hat, in der Auslegung durch den EGMR wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfG aaO. S. 317). Insbesondere gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges deutsches Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (BVerfG aaO. S. 323 f.). Hat der EGMR einen Konventionsverstoß der Bundesrepublik Deutschland festgestellt und dauert dieser Verstoß an, so ist die Entscheidung zu berücksichtigen; die Fachgerichte müssen sich mit ihr auseinandersetzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (BVerfG aaO. S. 324). Eine Abweichung kommt insbesondere in Betracht, wenn deutsche Gerichte mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben und sensible Abwägungen zwischen verschiedenen subjektiven Rechtspositionen erforderlich sind; es wäre verfassungsrechtlich problematisch, wenn einer der Grundrechtsträger einen für ihn günstigen Urteilsspruch des EGMR gegen die Bundesrepublik Deutschland erstreitet und deutsche Gerichte diese Entscheidung schematisch anwenden, mit der Folge, dass der insofern „unterlegene“ und möglicherweise nicht im Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligte Grundrechtsträger gar nicht mehr als Verfahrenssubjekt wirksam in Erscheinung treten könnte (BVerfG aaO. S. 326 f.).
32 
bb) Der Senat bezweifelt, dass es eine methodisch vertretbare Auslegung des geltenden StGB gibt, die dazu führt, dass in einem sog. Zehnjahresfall, wie er hier verfahrensgegenständlich ist, im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 ohne Weiteres die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt und der Untergebrachte auf freien Fuß gesetzt werden muss. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO S. 38-48, aus, es sei eine methodisch vertretbare Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB, durch Art. 5 und 7 MRK in der Auslegung durch das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 „gesetzlich“ etwas „anderes bestimmt“ zu sehen. Dann würde für sog. Zehnjahresfälle wie hier das alte Recht gelten, das bei erstmaliger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Höchstfrist von zehn Jahren vorgesehen habe, die im Sinne von § 67d Abs. 4 StGB „abgelaufen“ sei, weshalb die Sicherungsverwahrung erledigt und der Verurteilte zu entlassen sei. Diese Auffassung (in der Sache wohl ebenso LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – S. 16, hier als „verfassungskonforme Auslegung“; zu deren Grenzen, wenn der Wille des Gesetzgebers bestimmt und eindeutig ist, s. aber OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 10 mit Nachw.) verkehrt den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil (ebenso OLG Celle aaO. BU S. 9 f.). Der Gesetzgeber sah Art. 7 MRK gerade nicht als Schranke des § 2 Abs. 6 StGB an (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 108). Vor allem spricht gegen die von Grabenwarter für möglich gehaltene Auslegung das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160): Mit Art. 2 Nr. 2 und 3 dieses Gesetzes wurden an den damaligen Art. 1a EGStGB, der zum neuen Absatz 1 wurde, als neue Absätze 2 und 3 die folgenden Bestimmungen angefügt:
33 
„(2) § 66 Abs. 3 des Strafgesetzbuches findet nur Anwendung, wenn der Täter eine der Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art nach dem 31. Januar 1998 begangen hat.
34 
(3) § 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) findet uneingeschränkt Anwendung.“
35 
Mit dem neuen Art. 1a Abs. 3 EGStGB war ausdrücklich bezweckt, die Änderungen des § 67d StGB „uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen“, was verfassungsrechtlich möglich sei, weil es nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe (s. BT-Drucks. 13/9062 S. 12). Damit ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers, das neue Fristenrecht des § 67d StGB auf Altfälle anzuwenden, sogar Gesetz geworden. Die spätere Streichung der Art. 1a Abs. 2 und 3 EGStGB durch Art. 8 Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 (BGBl. I S. 1838) berührt diesen Willen nicht (ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 9 f.). Denn der Gesetzgeber ging lediglich davon aus, dass die Regelung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG, namentlich den Beschluss vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 verzichtbar erscheine (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 20). Eine Auslegung wie bei Grabenwarter, die alles das überspielt, erscheint methodisch nicht mehr vertretbar.
36 
cc) Zudem ist der Senat der Auffassung, dass eine schematische „Vollstreckung“ des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 in der Weise, dass sog. Zehnjahresfälle nunmehr ohne Weiteres zu entlassen wären, die Frage aufwerfen würde, ob dies mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar wäre. Zwar dürfte es dem deutschen Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt sein, zu dem vor 1998 geltenden Rechtszustand zurückzukehren (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 [187]; s. auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 13 f.). Nach dem nunmehr geltenden Recht, das weder von der MRK noch von dem EGMR-Urteil außer Kraft gesetzt wird, ist aber durch § 67d Abs. 3 StGB den Fachgerichten auch und gerade nach Ablauf der Zehnjahresfrist die der Sicherungsverwahrung immanente sensible Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für die Allgemeinheit andererseits verfassungsrechtlich aufgegeben:
37 
„Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen. Diese Schutzpflicht des Staates ist umso intensiver, je mehr die Gefährdung sich konkretisiert und individualisiert und je stärker sie die Gefährdung elementarer Lebensbereiche betrifft. (…) Hinter dieses öffentliche Interesse tritt das Freiheitsgrundrecht (…) trotz seines hohen Wertes zurück. (…) Der Gesetzgeber (hat) mit der Regelung des § 67d Abs. 3 StGB nicht gegen das freiheitsschützende Übermaßverbot verstoßen. Die inhaltliche Konzeption als Regel-Ausnahme-Vorschrift sowie die flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien für die Betroffenen verschaffen deren Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichende Geltung (…)“ (BVerfG aaO. S. 186 f.).
38 
Eine schematische „Vollstreckung“ des EGMR-Urteils in Gestalt sofortiger Entlassung selbst hoch gefährlicher Untergebrachter brächte diese Abwägung in einer Art und Weise aus dem Gleichgewicht, die verfassungsrechtlich jedenfalls bedenklich wäre und – im Sinne des Monitums des „Görgülü-Beschlusses“ – darauf hinauslaufen würde, dass die schutzwürdige Allgemeinheit und damit nicht am Verfahren vor dem EGMR beteiligte Grundrechtsträger nicht mehr als Verfahrenssubjekte wirksam in Erscheinung treten könnten. Entgegen Kinzig NStZ 2010, 233 (238) beziehen sich dieses Monitum sowie der Vorbehalt betreffend mehrpolige Grundrechtsverhältnisse nicht ausschließlich aufs Privatrecht, sondern auf alle Fälle, in denen staatliche Gerichte „wie im Privatrecht“ mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben (s. BVerfGE 111, 307 [324]; ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 11 f.).
III.
39 
Auch deutsches Verfassungsrecht gebietet nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne weitere inhaltliche Überprüfung aus der Unterbringung zu entlassen wäre.
40 
1. Die vom EGMR als konventionswidrig erkannte geltende deutsche Gesetzeslage ist vom Zweiten Senat des BVerfG in seinem Urteil vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 für verfassungsgemäß erachtet worden. Für sich gesehen ändert das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 hieran nichts. Das Konventionsrecht einerseits und das deutsche Verfassungsrecht andererseits sind nicht deckungsgleich, und der EGMR urteilt nicht nach deutschem Verfassungsrecht.
41 
2. Allerdings beeinflussen die Gewährleistungen der Konvention die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes, und die Rechtsprechung des EGMR dient auch auf der Ebene des Verfassungsrechts als „Auslegungshilfe“ für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern das nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – „Görgülü“, BVerfGE 111, 307 [317]). Der Senat hat daher erwogen, ob im Lichte der Erwägungen, die der EGMR in seinem Urteil vom 17.12.2009 angestellt hat, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des geltenden deutschen Rechts insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 (hierzu BVerfGE 109, 133 [156 ff.]) und auf Art. 103 Abs. 2 GG (hierzu BVerfGE 109, 133 [167 ff.]) anders als in BVerfGE 109, 133 zu beantworten ist. Für das Freiheitsgrundrecht verneint der Senat die Frage, da das jeweilige Schranken- und Schranken-Schranken-Regime zu unterschiedlich ist. Für die Frage des Rückwirkungsverbots und des verfassungsrechtlichen Strafbegriffs sieht der Senat hingegen Erörterungsbedarf. Ihm erscheint aber zweifelhaft, ob das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zu der Annahme zwingt, entgegen BVerfGE 109, 133 (167 ff.) sei Art. 103 Abs. 2 GG verletzt. Diese Verfassungsbestimmung steht in einer bestimmten verfassungs- und einfachrechtlichen Tradition des deutschen Rechts (s. hierzu BVerfG aaO. S. 168 ff.). Ihre traditionell enge Auslegung begründet sich auch aus der grundsätzlichen Absolutheit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots und den hohen Anforderungen an eine parlamentsgesetzliche Strafbarkeitsgrundlage, die sich so nicht bei Art. 7 MRK finden. Zudem kennt das deutsche Verfassungsrecht ein allgemeines rechtsstaatliches Vertrauensschutzgebot, das als verfassungsrechtlicher Auffangtatbestand eingreifen kann (s. hierzu BVerfG aaO. S. 180 ff.) und in der MRK nicht in gleicher Weise ausgeprägt ist. Deshalb ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass er das Gesetzesrecht, aufgrund dessen der Verurteilte sich (noch) in Sicherungsverwahrung befindet, für verfassungswidrig hält, und sieht deshalb von einer Vorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80-82 BVerfGG) ab (s. hierzu auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 8 ff.). Im Übrigen dürfte die Frage in dem beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 769/10 baldiger verfassungsgerichtlicher Klärung zugeführt werden. Der in diesem Verfahren ergangene Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19.05.2010 lässt erstens erkennen, dass die Kammer die verfassungsrechtliche Frage für offen hält, andernfalls sie nicht in eine Folgenabwägung hätte eintreten können, und fasst zweitens die Möglichkeit ins Auge, dass sich das geltende Recht zwar als verfassungswidrig erweisen, es jedoch gleichwohl nicht zu Entlassungen kommen könnte, beispielsweise weil für eine Übergangszeit die ggf. bedingte Fortgeltung des bisherigen Rechts angeordnet werden könnte. Drittens zeigt der Beschluss, dass es im Ergebnis verfassungsrechtlich verantwortbar ist, Verurteilte jedenfalls vorläufig in Sicherungsverwahrung zu belassen. Die Folgenabwägung fällt auch im vorliegenden Fall gegen eine sofortige Entlassung aus: Wäre es bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, den Verurteilten sofort zu entlassen, so würde ihn die hier getroffene Entscheidung in seinem Freiheitsgrundrecht verletzen. Wäre es hingegen auch bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen, und würde der Senat ihn jetzt entlassen, so wäre die Allgemeinheit bis zur Wiederergreifung des Verurteilten nach der derzeitigen Gutachtenlage der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten ausgesetzt, seien es Sexualdelikte, seien es Gewaltdelikte gegen Justizangehörige, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Dann aber muss das Freiheitsgrundrecht jedenfalls bis auf Weiteres zurücktreten.
IV.
42 
Nach alledem ist eine sofortige Entlassung des Verurteilten unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens nicht veranlasst. Das bedeutet freilich nicht, dass die konventionsrechtlichen Vorgaben, wie sie im Urteil des EGMR vom 17.12.2009 enthalten sind, und die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie insbesondere im Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 enthalten sind, nicht zu beachten wären. Im Gegenteil ist es Aufgabe des Senats wie aller nationalen Gerichte, das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 im weiteren Verfahren „in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung“, nämlich das Recht der Sicherungsverwahrung, „einzupassen“ (BVerfGE 111, 307 [327]) und – selbstverständlich – deutsches Verfassungsrecht zur Anwendung zu bringen. Insbesondere wird es geboten sein, etwaige Konventionsverletzungen ausdrücklich festzustellen (vgl. für die konventionswidrige Verfahrensverzögerung BVerfG, Beschl. v. 19.04.1992 – 2 BvR 1487/90, NJW 1993, 3254 [3255]) und das geltende deutsche Recht, insbesondere §§ 67d Abs. 2 und 3, 67e Abs. 1 Satz 1 StGB, auf einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BVerfGE 109, 133 [162 ff.]) im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung konventions- und verfassungskonform (vgl. BVerfG aaO. S. 159, 161) zu handhaben (s. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 12.05.2010 – III-4 Ws 114/10 S. 3 f.).

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 577/09
vom
12. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Mai 2010 gemäß §§ 349
Abs. 4, 126 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juli 2009 aufgehoben.
2. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom 15. Juni 2007 wird aufgehoben. Der Betroffene ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:


1
Das Landgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 17. Juli 2009 gegen den Betroffenen (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwah- rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.

I.


2
Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Betroffene war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte nach Ansicht der damals erkennenden Strafkammer in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht. Die Anordnung der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster , sexuell motivierter Straftaten neige.
3
Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
4
Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum 22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5 StPO).
5
Mit Urteil vom 4. April 2007 hatte das Landgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2006 im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 gegen den Betroffenen gemäß § 66 b Abs. 3 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hatte der Senat durch Beschluss vom 10. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, dass der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - (BGHSt 52, 379) entschieden hatte, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht auf Fälle anwendbar ist, in denen der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
6
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht erneut die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet und nunmehr die Anordnung der Unterbringung auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 gestützt, in der gegen den Betroffenen - weil schuldlos handelnd - nur auf die Unterbringung nach § 63 StGB erkannt worden war.

II.


7
Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind.
8
1. a) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdnrn. 124 - 133). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdnrn. 127 bis 130). Er hat daher in jenem Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den dortigen Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67 d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. abgeschafft worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdnrn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtsache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 Buchst. c MRK).
9
b) Nach Maßgabe dieses Urteils verstößt im vorliegenden Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, da das Tatzeitrecht für die Anlasstat nicht die Anordnung von Sicherungsverwahrung androhte.
10
Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990 begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987 (BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h. schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss.
11
Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der (neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Zwar war er - neben der Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 - weiterhin durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9. Mai 1980 wegen einer am 30. Juli 1979 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Tat wäre indes nach § 66 Abs. 3 Satz 3 und 4 StGB a.F. (= § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB in der jetzt geltenden Fassung ) nicht berücksichtigungsfähig gewesen, da der Betroffene nach Verbüßung der damals erkannten Freiheitsstrafe für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nicht wieder straffällig geworden war.
12
Erstmals § 66 b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK entgegen.
13
c) Dass gegen den Betroffenen - anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall - bereits mit der Anlassverurteilung auf eine von vorneherein zeitlich nicht befristete Maßregel (vgl. § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB in der auch zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) erkannt worden war, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung (anders OLG Saarbrücken , Beschluss vom 7. April 2010 - 1 Ws 73/10). Insoweit ist zu berücksichtigen , dass schon vor Einführung des § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB nach der Rechtsprechung der Vollstreckungsgerichte die Erledigung der Maßregel bei Wegfall einer ihrer Voraussetzungen auch dann zu beschließen war, wenn die Gefährlichkeit des Untergebrachten fortbestand (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 sowie hierzu auch BVerfG NStZ 1995, 174, 175). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 67 d Abs. 6 StGB lediglich festschreiben wollen (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13 f.). Nach dem zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Recht hätte somit die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt werden und der Betroffene in Freiheit entlassen werden müssen, ohne dass an ihre Stelle die Sicherungsverwahrung treten konnte.
14
d) Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdnr. 76) - bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.
15
Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts jedoch nur vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte dar.
16
Bei der MRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 316 ff.; BVerfG EuGRZ 2010, 145, 147; Gollwitzer aaO Einführung Rdnrn. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Das nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der MRK auszulegen (BVerfGE 111, 307, 324; Gollwitzer aaO).
17
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach -) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch - wie bereits ausgeführt - die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich.
18
2. Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (BVerfGE 109, 133, 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts des Zeitpunkts der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens frei, für einzelne Maßregeln der Besserung und Sicherung in Abweichung von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen; er hat hiervon in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Aufl. § 2 Rdnr. 15 und speziell Art. 93 des 1. StrRG). Ebenso kann dies Folge der gebotenen Berücksichtigung einer ebenfalls im Range einfachen Bundesrechts stehenden Bestimmung der MRK sein. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
19
3. Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs steht der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK einer Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB auf Altfälle entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 595/09 [zu § 66 b Abs. 2 StGB] mögliche Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 auf den zu entscheidenden Fall offen gelassen und dies mit der fehlenden Endgültigkeit der Entscheidung begründet. Soweit der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen in der - damals ebenfalls noch nicht endgültigen - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG auf einen Altfall nicht entgegenstehen, hat er dies mit hier nicht einschlägigen Besonderheiten des Jugendstrafrechts begründet. Im Übrigen ist, nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 10. Mai 2010 gemäß Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 Buchst. c MRK endgültig gewor- den ist, eine neue Rechtslage gegeben, die eine etwaige Bindung an frühere entgegenstehende Rechtsprechung entfallen lassen würde (vgl. hierzu Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdnr. 8).
20
4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben; gleichzeitig war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und der Betroffene sofort auf freien Fuß zu setzen.
21
Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
RiBGH Athing ist im Ernemann Solin-Stojanović Ruhestand und daher an der Unterschrift gehindert Ernemann Cierniak Franke

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 577/09
vom
12. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Mai 2010 gemäß §§ 349
Abs. 4, 126 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juli 2009 aufgehoben.
2. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom 15. Juni 2007 wird aufgehoben. Der Betroffene ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:


1
Das Landgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 17. Juli 2009 gegen den Betroffenen (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwah- rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.

I.


2
Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Betroffene war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte nach Ansicht der damals erkennenden Strafkammer in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht. Die Anordnung der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster , sexuell motivierter Straftaten neige.
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Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
4
Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum 22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5 StPO).
5
Mit Urteil vom 4. April 2007 hatte das Landgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2006 im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 gegen den Betroffenen gemäß § 66 b Abs. 3 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hatte der Senat durch Beschluss vom 10. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, dass der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - (BGHSt 52, 379) entschieden hatte, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht auf Fälle anwendbar ist, in denen der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
6
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht erneut die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet und nunmehr die Anordnung der Unterbringung auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 gestützt, in der gegen den Betroffenen - weil schuldlos handelnd - nur auf die Unterbringung nach § 63 StGB erkannt worden war.

II.


7
Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind.
8
1. a) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdnrn. 124 - 133). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdnrn. 127 bis 130). Er hat daher in jenem Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den dortigen Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67 d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. abgeschafft worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdnrn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtsache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 Buchst. c MRK).
9
b) Nach Maßgabe dieses Urteils verstößt im vorliegenden Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, da das Tatzeitrecht für die Anlasstat nicht die Anordnung von Sicherungsverwahrung androhte.
10
Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990 begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987 (BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h. schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss.
11
Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der (neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Zwar war er - neben der Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 - weiterhin durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9. Mai 1980 wegen einer am 30. Juli 1979 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Tat wäre indes nach § 66 Abs. 3 Satz 3 und 4 StGB a.F. (= § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB in der jetzt geltenden Fassung ) nicht berücksichtigungsfähig gewesen, da der Betroffene nach Verbüßung der damals erkannten Freiheitsstrafe für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nicht wieder straffällig geworden war.
12
Erstmals § 66 b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK entgegen.
13
c) Dass gegen den Betroffenen - anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall - bereits mit der Anlassverurteilung auf eine von vorneherein zeitlich nicht befristete Maßregel (vgl. § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB in der auch zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) erkannt worden war, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung (anders OLG Saarbrücken , Beschluss vom 7. April 2010 - 1 Ws 73/10). Insoweit ist zu berücksichtigen , dass schon vor Einführung des § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB nach der Rechtsprechung der Vollstreckungsgerichte die Erledigung der Maßregel bei Wegfall einer ihrer Voraussetzungen auch dann zu beschließen war, wenn die Gefährlichkeit des Untergebrachten fortbestand (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 sowie hierzu auch BVerfG NStZ 1995, 174, 175). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 67 d Abs. 6 StGB lediglich festschreiben wollen (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13 f.). Nach dem zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Recht hätte somit die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt werden und der Betroffene in Freiheit entlassen werden müssen, ohne dass an ihre Stelle die Sicherungsverwahrung treten konnte.
14
d) Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdnr. 76) - bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.
15
Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts jedoch nur vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte dar.
16
Bei der MRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 316 ff.; BVerfG EuGRZ 2010, 145, 147; Gollwitzer aaO Einführung Rdnrn. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Das nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der MRK auszulegen (BVerfGE 111, 307, 324; Gollwitzer aaO).
17
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach -) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch - wie bereits ausgeführt - die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich.
18
2. Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (BVerfGE 109, 133, 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts des Zeitpunkts der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens frei, für einzelne Maßregeln der Besserung und Sicherung in Abweichung von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen; er hat hiervon in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Aufl. § 2 Rdnr. 15 und speziell Art. 93 des 1. StrRG). Ebenso kann dies Folge der gebotenen Berücksichtigung einer ebenfalls im Range einfachen Bundesrechts stehenden Bestimmung der MRK sein. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
19
3. Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs steht der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK einer Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB auf Altfälle entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 595/09 [zu § 66 b Abs. 2 StGB] mögliche Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 auf den zu entscheidenden Fall offen gelassen und dies mit der fehlenden Endgültigkeit der Entscheidung begründet. Soweit der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen in der - damals ebenfalls noch nicht endgültigen - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG auf einen Altfall nicht entgegenstehen, hat er dies mit hier nicht einschlägigen Besonderheiten des Jugendstrafrechts begründet. Im Übrigen ist, nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 10. Mai 2010 gemäß Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 Buchst. c MRK endgültig gewor- den ist, eine neue Rechtslage gegeben, die eine etwaige Bindung an frühere entgegenstehende Rechtsprechung entfallen lassen würde (vgl. hierzu Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdnr. 8).
20
4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben; gleichzeitig war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und der Betroffene sofort auf freien Fuß zu setzen.
21
Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
RiBGH Athing ist im Ernemann Solin-Stojanović Ruhestand und daher an der Unterschrift gehindert Ernemann Cierniak Franke

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

Tenor

Der Antrag des Verurteilten, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären und anzuordnen, dass er aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist, wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

Gründe

 
I.
Der heute 63 Jahre alte Verurteilte ist erstmals mit 21 Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten und vielfach vorbestraft. Seit 1971, also seit seinem 24. Lebensjahr, hat er sich – für den Zeitraum bis 1979 mit einigen Unterbrechungen – in Untersuchungs- oder Strafhaft befunden. Seit 1988 bis heute, also über 21 Jahre lang, ist er in Sicherungsverwahrung untergebracht. Sie beruht auf drei Verurteilungen wegen 1973, 1978 und 1983 begangener schwerer Sexualdelikte.
1. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 25.04.1975 – 1 Kls 30/74 – wurde der Verurteilte wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Entführung gegen den Willen der Entführten, sowie versuchter Vergewaltigung (Tatzeiten: 12.04., 22./23.04. sowie 11.07.1973) zu Einzelstrafen von zwei Jahren, drei Jahren und einem Jahr verurteilt; er verbüßte die Gesamtstrafe von fünf Jahren in der Zeit vom 22.10.1975 bis zum 30.09.1977 und nach Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung vom 12.01.1982 bis 03.09.1983. Sodann wurde er durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.09.1979 – III Kls 21/79 – wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch von Kindern (Tatzeit: 23.12.1978) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt; er verbüßte die Strafe vom 12.01.1979 bis zum 11.01.1982 und vom 04.09.1983 bis zum 25.03.1985. Am 09.01.1983 vergewaltigte er während eines Hafturlaubes in Backnang eine siebzehnjährige Frau, nötigte sie sexuell und würgte und verletzte sie dabei erheblich. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27.09.1985 – 2 Kls 279/84 – verurteilte das Landgericht Stuttgart ihn deshalb wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und ordnete Sicherungsverwahrung an. Das Landgericht stellte eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur und eine sowohl histrionische als auch antisoziale schwere Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB fest, durch welche die Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war. Ein therapeutisches Vorgehen erschien nicht ansatzweise erfolgversprechend, und sämtliche vorherigen Bemühungen waren gescheitert, weshalb eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht kam. Zur Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB a. F. führte das Landgericht u. a. aus:
„In den Straftaten zeigt sich der offensichtliche Hang des Angeklagten, erst nach einer Demonstration der Macht und Stärke zu sexueller Befriedigung zu gelangen. Das Maß der von ihm an seinen Opfern vorgenommenen Gewaltanwendung nimmt stetig zu. Der Angeklagte bricht jeden Widerstand seines Opfers dadurch, dass er es aufs heftigste am Hals würgt oder ihm sonst die Luft nimmt. Wie sein neuerliches Vorgehen gegen die Zeugin (…) zeigt, ist dies für ihn geradezu symptomatisch geworden, weshalb er für die Allgemeinheit eine ganz erhebliche Gefahr darstellt. Angesichts der von den Sachverständigen (…) festgestellten schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit fast zwanghaftem Handeln zur Sicherung seiner Ziele ist von ihm die Begehung künftiger schwerwiegender Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Der Angeklagte ist – wie auch in seinem äußerst aggressiven und feindseligen Verhalten vor und während der Hauptverhandlung immer wieder deutlich wurde – in den Lage, bei einem seiner Vorstellung zuwider laufenden Geschehensablauf in kürzester Zeit Feindbilder aufzubauen und diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es muss deshalb ernsthaft befürchtet werden, dass ein neues Opfer des Angeklagten, welches sich seinen Wünschen widersetzt, möglicherweise sein Leben lassen müsste“ (S. 125 f.).
Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem Urteil vom 27.09.1985 vollständig bis zum 24.09.1988. Mit Beschluss vom 03.08.1988 ordnete das Landgericht Karlsruhe den anschließenden Vollzug der Sicherungsverwahrung an, die nach damaligem Recht bei der ersten Unterbringung höchstens zehn Jahre lang vollzogen werden durfte. Diese Höchstfrist fiel mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) fort. Daher erklärte das Landgericht Freiburg nach Vollzug von zehn Jahren Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 09.03.1999 die Sicherungsverwahrung nicht für erledigt und ordnete deren Fortdauer an. Seitdem befindet sich der Verurteilte ununterbrochen in Sicherungsverwahrung. Insgesamt sind derzeit – im Anschluss an die voll verbüßte Freiheitsstrafe – über 21 Jahre Sicherungsverwahrung vollzogen worden.
2. Der Verurteilte ist vielfach nervenärztlich und kriminalprognostisch begutachtet worden. Allerdings liegt das letzte auf einer eingehenden Exploration des Verurteilten beruhende Gutachten des Dr. H E B, Ärztlicher Direktor des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg, vom 18.08.1999 mittlerweile über 10 Jahre zurück. Seither hat der Verurteilte jeden Versuch einer eingehenden gutachterlichen Untersuchung durch die gerichtlich beauftragten Sachverständigen entschieden abgelehnt. Das derzeit aktuellste jüngste „nervenärztliche Gutachten nach Aktenlage“ des Dr. T H, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt der Klinik für Suchttherapie des Klinikums am W., W., datiert vom 04.02.2010. Diesem Gutachten lässt sich das Folgende entnehmen:
a) Gutachtengrundlage, fehlende Bereitschaft des Verurteilten, sich begutachten zu lassen
Der Verurteilte sei (auch) 2005 bis 2010 nicht bereit gewesen, sich begutachten zu lassen. Deshalb hätten keine Untersuchungen stattfinden können. Es habe mehrere (teils aber recht kurze) persönliche Kontakte gegeben, teils auch im Rahmen von Anhörungen durch die Strafvollstreckungskammer. Das Gutachten beruhe auf einer Aktenauswertung, wobei bestimmte Akten (Gefangenenpersonalakte, Krankenakte) wegen der Weigerung des Verurteilten nicht zugänglich gewesen seien.
b) Verhalten im Vollzug und außerhalb des Vollzugs
In der Justizvollzugsanstalt Freiburg hätten gegen den Verurteilten über längere Zeit besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden müssen. Er habe 1998 seinen Haftraum in Brand gesteckt; gegen die dadurch veranlasste Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er u. a. mit einer Eisenstange Widerstand geleistet. In der Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich damals verfolgt gefühlt und jeden Kontakt mit Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdiensts abgelehnt. Am 30.05.2002 sei in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ein beleidigendes und bedrohliches Verhalten dokumentiert worden. Nach seiner Zurückverlegung in die Justizvollzugsanstalt Freiburg im Jahr 2003 habe er dort einen Löffel verschluckt, und bei einer Kontrolle sei eine Schlinge gefunden worden, mit der er sich habe erhängen wollen. Als er daraufhin in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt werden sollte, habe er die Bediensteten angegriffen und einen von ihnen in den Fuß gebissen; trotz Fesselung habe er das Krankentransportfahrzeug demoliert. Im weiteren Verlauf habe sich das Verhalten des Verurteilten stabilisiert. Nach Wiederverlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich dort disziplinarisch unauffällig oder weitgehend unauffällig verhalten. Nach Auskunft des ärztlichen Dienstes und der Anstaltsärztin passe sich er derzeit gut an, fühle sich in der Justizvollzugsanstalt sogar „glücklich und zufrieden“. Er lasse dabei keinerlei Tendenzen erkennen, dass er sich ein Leben draußen vorstellen könne oder gar wünsche. Hilfreich sei, dass er mittlerweile Psychopharmaka in kleiner Menge einnehme, was ursächlich für seine Stabilisierung sein dürfte. Insgesamt sei laut einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, die allerdings gleichwohl einer Aussetzung der Sicherungsverwahrung mit Nachdruck entgegen getreten sei, seine Verhaltensentwicklung als äußerst positiv zu beurteilen. Allerdings führe er das Leben eines Einzelgängers und habe wenige Kontakte im Vollzug. Mangels Vollzugslockerungen habe eine Erprobung des Verhaltens außerhalb des Vollzugs bislang noch nicht erfolgen können. Ob der Verurteilte überhaupt ein Leben außerhalb des Vollzuges anstrebe, sei nach Eindruck des Gutachters offen.
10 
c) Psychische bzw. psychiatrische Befunde
11 
Eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10 F 10.1) sei auch rückblickend nicht ganz eindeutig festzustellen. Eine psychotische Erkrankung im engeren Sinne etwa aus dem schizophrenen Formenkreis könne nicht festgestellt werden, desgleichen keine fixierte sexuelle Devianz bzw. psychosexuelle Störung. Es gebe aber eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (histrionisch-dissozial) (ICD 10 F 61.0) mit dissozialen Persönlichkeitselementen (Mangel an Empathie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Unvermögen zu längerfristigen Beziehungen, niedrige Schwelle für aggressives und auch gewalttätiges Handeln, verminderte Lernfähigkeit, Neigung, andere zu beschuldigen oder eigenes Fehlverhalten zu rationalisieren) und histrionischen Persönlichkeitselementen (theatralisch anmutendes Verhalten, oberflächliche Affektivität, Egozentrik, manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse). Es seien Teilelemente des „Psychopathy-Konzepts“ erfüllt, das freilich keine klinische diagnostische Einordnung sei. Hinzu komme zunehmend eine haftreaktive wahnhafte Störung (ICD 10 F 22) mit lang andauernden Wahninhalten, die medikamentöser Behandlung nur schwierig zugänglich seien. Paranoider Wahninhalt sei, dass der Verurteilte annehme, von der Justiz bewusst und gezielt und wiederholt bzw. anhaltend zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein. Es trete immer wieder eine sehr abwertende Haltung gegenüber mit ihm in der Justiz befassten Personen zutage, wobei hier auch ausgeprägte aggressive Strebungen (Gereiztheit, laut werden, jedenfalls tendenziell bedrohlich anmutende Gestik) wahrnehmbar seien.
12 
d) Kriminalprognostische Faktoren
13 
Positive kriminalprognostische Faktoren seien, dass Hinweise auf gehäuftes delinquentes Verhalten in der Herkunftsfamilie oder ein „broken home“ nicht vorlägen; dass sich der Verurteilte nicht in Heimen aufgehalten und die Regelschule erfolgreich abgeschlossen habe; und dass im Vollzug der letzten Jahre keine bedeutsamen disziplinarischen Schwierigkeiten aufgetreten seien. Negative kriminalprognostische Faktoren seien, dass der Verurteilte nur eine längere partnerschaftliche Beziehung im Jugendalter, ansonsten nur kurze Beziehungen gehabt habe; dass ab 1967 exzessiver schädlicher Gebrauch von Alkohol aufgetreten sein solle; dass die Delinquenz früh begonnen habe und die Zahl der Vorstrafen hoch gewesen sei, mehrfach gewalttätige Sexualdelikte begangen worden seien, weswegen mehrere Verurteilungen zu Freiheitsstrafe erfolgt seien; dass es ein abwertend negativ geprägtes Frauenbild gebe und der Verurteilte sexuelle Interessen jedenfalls teilweise in brutaler Weise mit nahezu sadistischen Zügen durchgesetzt habe, wobei dem Streben nach Macht und Dominanz wesentliche Bedeutung zukommen dürfte; dass ein paranoider Wahn vorhanden sei, von der Justiz zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein; dass die Basisraten für Rückfälligkeit im Hinblick auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung zwischen 10 % und 25 % lägen und hier individuell erhöht seien; und dass es augenscheinlich unmöglich sei, den Verurteilten in Vollzugslockerungen zu erproben.
14 
3. Als Dezember 2005 die Überprüfung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 67e Abs. 2 StGB anstand, legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn die Akten vor, um über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, und regte an, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Nachdem zahlreiche Versuche gescheitert waren, den Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration zu bewegen, ordnete das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn mit Beschluss vom 03.12.2008, den Verfahrensbeteiligten aufgrund Begleitverfügung vom 26.02.2009 am 27.02.2009 zugestellt, die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ohne Gutachten an. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob der Senat diesen Beschluss mit Beschluss vom 07.08.2009 auf und verwies die Sache an das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn zurück. Es sei unvertretbar und rechtswidrig gewesen, die Frist des § 67e Abs. 2 StGB um drei Jahre zu überschreiten. Die ablehnende Haltung des Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration rechtfertige nicht die gesetzwidrige Fristüberschreitung; in solchen Fällen seien sog. Aktengutachten möglich. Nach Einholung eines solchen Gutachtens, nämlich des oben I. 3. geschilderten Gutachtens, beschloss das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn am 19.03.2010, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung fortzudauern habe, weil ernstlich zu befürchten sei, dass der Verurteilte außerhalb der Justizvollzugsanstalt erneut straffällig werde; das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGRM) vom 17.12.2009 ändere nichts an der Rechtslage, weil es noch nicht rechtskräftig sei. Dagegen hat der Verurteilte durch seine Verteidigerin sofortige Beschwerde eingelegt. Auf Anregung der Verteidigerin hat der Senat mit Beschluss vom 30.04.2010 Dr. R-D S, Zentrum für Psychiatrie Wiesloch, mit der Erstattung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens zur Kriminalprognose des Verurteilten beauftragt. Dieser Auftrag ist ausdrücklich an die nunmehr erklärte Bereitschaft des Verurteilten geknüpft, sich einer eingehenden Exploration durch Dr. S zu unterziehen. Im Falle verweigerter Mitwirkung sei ein weiteres Gutachten nach Aktenlage nicht veranlasst. Das Gutachten liegt noch nicht vor.
15 
4. Mit Faxschreiben vom 12.05.2010 an den Senat im Beschwerdeverfahren beantragt die Verteidigerin des Verurteilten unter Hinweis auf das seit dem 10.05.2010 rechtskräftige Urteil des EGMR vom 17.12.2009 festzustellen, dass die Sicherungsverwahrung erledigt ist, und anzuordnen, dass der Verurteilte aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist.
16 
Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart tritt dem Antrag entgegen, weil das genannte Urteil keine Bindungswirkung habe.
II.
17 
Zwar spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ersten Zehnjahresfrist im Jahr 1998 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 2002 II S. 1054 – MRK) widerspricht (1.). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens aus der Unterbringung zu entlassen wäre (2.).
18 
1. Nach Maßgabe der Entscheidung des EGMR (Kammer der fünften Sektion), Urt. v. 17.12.2009 „M. ./. Deutschland“ – 19359/04 –, NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig aaO. S. 233 ff. spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ursprünglich geltenden Zehnjahresfrist im Jahr 1998 konventionswidrig ist, nämlich Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) und Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) verletzt.
19 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hatte der EGMR über die Beschwerde des Herrn M. zu entscheiden, gegen den 1986 die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war und der nach Ablauf der Zehnjahresfrist für die erstmalige Unterbringung im Jahr 2001 nicht entlassen worden war, weil diese Höchstfrist 1998 fortgefallen ist. Die Kammer stellte einstimmig sowohl eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) als auch des Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) fest und sprach dem Beschwerdeführer in Anwendung des Art. 41 MRK eine Entschädigung von 50.000,- EUR für erlittene Nicht-Vermögensschäden zu. Das Urteil ist gemäß Art. 44 Abs. 2 c) MRK am 10.05.2010 rechtskräftig geworden, nachdem der Antrag der Bundesrepublik Deutschland, die Sache gemäß Art. 43 MRK an die Große Kammer zu verweisen, an diesem Tag von dem Ausschuss der Großen Kammer einstimmig zurückgewiesen worden ist.
20 
b) Die Gründe, aus denen der EGMR eine Rechtfertigung der mit Sicherungsverwahrung verbundenen Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a) MRK abgelehnt hat (Ziff. 87 ff.), treffen im Wesentlichen auch hier zu; insbesondere gilt das für die Bedenken, die der EGMR hinsichtlich der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern (vgl. Ziff. 96 des Urteils) und hinsichtlich des Kausalzusammenhanges (Ziff. 100) sowie der Vorhersehbarkeit (Ziff. 101 des Urteils) angemeldet hat. Bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c) MRK, wonach Freiheitsentziehungen u. a. zulässig sind, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, eine Person an der Begehung einer Straftat zu hindern, muss diese Straftat konkret individualisiert sein (Ziff. 102); gefährliche Personen in Haft zu nehmen, weil ein allgemeiner Verdacht besteht, sie könnten strafbare Handlungen begehen, ist nicht von der Vorschrift gedeckt (EGMR, Urt. v. 06.11.1980 – 7367/76 – Guzzardi ./. Italien, Ziff. 102). Allerdings lässt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e) MRK rechtmäßige Freiheitsentziehungen u. a. auch bei psychisch Kranken zu, was, wie sich aus Ziff. 103 des genannten Urteils ergibt, auch als Rechtfertigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommen kann, und anders als im Fall des Herrn M. ist der hier Verurteilte nach den derzeit vorliegenden Gutachten psychisch krank, leidet nämlich an einer Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F 61.0) und einer wahnhaften Störung (ICD 10 F 22). Jedoch verlangt der EGMR (Urt. v. 20.02.2003 – 50272/99 – Hutchinson Reid ./. Vereinigtes Königreich Ziff. 47 f.) in solchen Fällen grundsätzlich die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer entsprechenden anderen geeigneten Einrichtung und lässt die Unterbringung in einem Gefängnis nur übergangsweise – für wenige Monate – zu (EGMR, Urt. v. 11.05.2004 – 48865/99 – Morsink ./. Niederlande Ziff. 61 ff.; s. weiterhin Urt. v. 11.05.2004 – Brand ./. Niederlande – 49902/99 Ziff. 66).
21 
c) Weiterhin spricht Einiges dafür, dass nach Maßgabe der Gründe des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 (Ziff. 106 ff.) eine Verletzung des in Art. 7 Abs. 1 MRK garantierten Verbots rückwirkender Strafschärfung vorliegt. Die gegen den Verurteilten angeordnete Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgrund des Fortfalls der zum Tatzeitpunkt geltenden Höchstfrist verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 MRK in der durch den EGMR vorgenommenen Auslegung, weil Sicherungsverwahrung als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 MRK zu bewerten sei. Die vom EGMR dazu angestellten Erwägungen treffen weitgehend auch auf den vorliegenden Fall zu. Hier wie dort handelt es sich um einen sog. Zehnjahresfall, in dem die Sicherungsverwahrung erstmalig wegen einer Alttat nach altem Recht beschränkt auf eine Höchstdauer von zehn Jahren angeordnet wurde. Hier wie dort gilt, „dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung“ gab (Ziff. 127). Weder hier noch dort gab es in überzeugendem Ausmaß besondere, auf Sicherungsverwahrte gerichtete Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die zum Ziel hatten, die von ihnen ausgehende Gefahr zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich ist, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (Ziff. 127). Hier wie dort war und ist die Sicherungsverwahrung unbefristet (Ziff. 130), und ihre Fortdauer ist von den Gerichten angeordnet worden, die auch für die Strafvollstreckung zuständig sind (Ziff. 131). Hier wie dort haben die Verurteilten durch die Unterbringung in Sicherungsverwahrung „einen schwerwiegenderen Nachteil erlitten als durch die Freiheitsstrafe selbst“ (Ziff. 132). Allerdings betont der Senat, dass es sich vorliegend – anders als in dem vom EGMR entschiedenen Fall – um einen Verurteilten handelt, der sich über viele Jahre hinweg gegenüber jeglichen therapeutischen Bemühungen oder sonstigen Maßnahmen unter dem Aspekt einer Resozialisierung ablehnend verhalten hat (s. hierzu auch OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 14 f.).
22 
2. Aus einer Konventionswidrigkeit folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne nähere Prüfung allein aufgrund der Entscheidung des EGMR zu entlassen ist.
23 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hat der EGMR eine solche Rechtsfolge nicht aus- oder angesprochen. Auch die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat in ihrem Beschluss vom 19.05.2010 – 2 BvR 769/10 – den Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung, sofort aus der Unterbringung in der Sicherungshaft entlassen zu werden, aufgrund einer Folgenabwägung abgelehnt. Dem Verfahren lag der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 17.05.2010 – 2 Ws 573/09 – zugrunde, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers, ihn im Hinblick auf die Endgültigkeit des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 sofort aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen, abgelehnt wurde. Auch das OLG Celle, Beschluss vom 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – hat die Entlassung eines in Sicherungsverwahrung Untergebrachten abgelehnt. Anders entschieden hat allerdings das Landgericht (LG) Marburg in seinem Beschluss vom 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – im Fall des Herrn M., der dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zugrunde lag; dieser Beschluss ist unbeschadet der dort anders gelagerten Bindungswirkung freilich von der Staatsanwaltschaft angefochten worden. Auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einem Revisionsverfahren, das die allerdings abweichende Fallkonstellation einer nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft, den Betroffenen sofort auf freien Fuß gesetzt (Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09 –; Gründe liegen dem Senat nicht vor).
24 
b) Der Senat bezweifelt, ob völker-, nämlich konventionsrechtlich in Fällen der vorliegenden Art eine Beendigung der Freiheitsentziehung unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens geboten ist.
25 
aa) Allerdings entfaltet das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 für den hier vorliegenden Fall völker- und konventionsrechtlich eine Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Stellen. Diese Bindungswirkung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 46 Abs. 1 MRK, der – in persönlicher Hinsicht – nur eine Bindungswirkung inter partes anordnet. Jedoch handelt es sich vorliegend weitgehend um einen „Parallelfall“, der unter Beachtung der Entscheidungsgründe des EGMR zu beurteilen ist (hierzu eingehend Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15.01.2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009 [19359/04] S. 20-23 mit Nachweisen). In sachlicher Hinsicht beinhaltet die Bindungswirkung, dass die festgestellte Konventionsverletzung, falls sie noch andauert, unverzüglich zu beenden ist (s. nur EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198; BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – [„Görgülü“], BVerfGE 111, 307 [321]). In der Art und Weise, wie die Konventionsverletzung beendet wird, haben die Vertragsstaaten der MRK allerdings grundsätzlich Wahlfreiheit; es ist ihre Sache, jene Mittel zu wählen, die im Rahmen ihrer Rechtsordnung ergriffen werden können und müssen, um den aus einem Urteil des EGMR folgenden Anforderungen zu entsprechen; dabei kann ein Vertragsstaat verpflichtet sein, Hindernisse in seiner Rechtsordnung zu beseitigen, die einer angemessenen Bereinigung der Situation des Beschwerdeführers im Wege stehen (EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 203). Nach diesen Maßstäben ist es völker- und konventionsrechtlich unbedenklich, das beim Senat anhängige Beschwerdeverfahrens fortzuführen: Dieses Verfahren ist das in der deutschen Rechtsordnung vorgesehene Verfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unter Beachtung der MRK und des anwendbaren deutschen Rechts.
26 
bb) Der Umstand, dass die Konventionsverletzung in einer Freiheitsentziehung besteht, ändert in Fällen der vorliegenden Art hieran nichts. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 f. aus:
27 
„Im Falle der Inhaftierung eines Beschwerdeführers entgegen den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 EMRK hat der EGMR festgestellt, dass aus der Feststellung der Konventionsverletzung eine Pflicht zur sofortigen Freilassung des Betroffen folgt. (…) Bei einem Widerspruch der Inhaftierung eines Betroffenen zu den Bestimmungen der Konvention ist keine Alternative zur Freilassung denkbar, um die Konventionsverletzung abzustellen“ (Unterstreichungen vom Senat).
28 
Das überzeugt den Senat für Fälle der vorliegenden Art nicht. Die beiden angeführten Urteile des EGMR, nämlich EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198, 202 f. und Urt. v. 08.07.2004 – 48787/99 – Ilaşcu ./. Moldawien und Russland Ziff. 490, betrafen Fälle, in denen die andauernde Inhaftierung der Beschwerdeführer vor der MRK in keiner Weise (mehr) zu rechtfertigen war und es keines (weiteren) Verfahrens mehr für die Freilassung bedurfte: Herr Ilaşcu war 1992 in Moldawien von Rebellen willkürlich in Haft genommen, gefoltert und von einem verfassungswidrigen Gericht zu Tode verurteilt worden; obwohl das verfassungsgemäße Gericht dieses Urteil 1994 aufgehoben hatte, wurde er erst 2001 auf freien Fuß gesetzt. Herr Assanidze war vom Präsidenten von Georgien begnadigt und von einem Gericht rechtskräftig freigesprochen worden; gleichwohl wurde er weiterhin in Strafhaft gehalten. In solchen Fällen steht außer Frage, dass eine Freilassung „as early as possible“ erfolgen muss; davon unterscheidet sich der Fall, dass in dem verurteilten Vertragsstaat ein Beschwerdeverfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anhängig ist, in dem die Konventionswidrigkeit der Unterbringung ein wesentlicher Verfahrensgegenstand ist.
29 
cc) Im Übrigen ist zu fragen, ob es in Fällen der vorliegenden Art Möglichkeiten gibt, konventionswidrige Zustände auch anders als durch Freilassung der Betroffenen zu beenden. Insoweit gesteht auch Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 in Fn. 17 zu, dass es konventionsgemäße Möglichkeiten geben kann, den Betroffenen nach Freilassung erneut in Haft zu nehmen. Werden solche Möglichkeiten (z. B. nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e) EMRK) unverzüglich genutzt oder geschaffen oder wird die Sicherungsverwahrung unverzüglich in einer Weise umgestaltet, die ihr auch nach den Maßstäben des EGMR-Urteils den „Straf“charakter nimmt, erscheint eine Pflicht, Betroffene zunächst auf freien Fuß zu setzen und ihnen sogleich wieder die Freiheit zu entziehen, nicht als einleuchtend. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Freilassung gegebenenfalls hoch gefährlicher Straftäter ihrerseits eine Konventionsverletzung beinhalten könnte, wenn und soweit es daraufhin zu Straftaten kommt, deren Opfer eine Verletzung der in den Konventionsgarantien mit enthaltenen staatlichen Schutzpflicht geltend machen könnten (vgl. hierzu EGMR [Große Kammer], Urt. v. 24.10.2002 – 37703/97 Mastromatteo ./. Italien Ziff. 67 = NJW 2003, 3259 [3260]; OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 12 f.; s. auch BGH, Urt. v. 09.03.2010 – 1 StR 554/10 – Tz. 68).
30 
c) Selbst wenn es völker- und konventionsrechtlich geboten wäre, eine konventionswidrige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sofort zu beenden, könnte dies nach Auffassung des Senats im derzeitigen innerstaatlichen deutschen Recht weder methodisch vertretbar noch im Einklang mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip umgesetzt werden (im Ergebnis und weithin in der Begründung wie hier OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 7 ff.).
31 
aa) Durch den „Görgülü-Beschluss“ des Zweiten Senats des BVerfG vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 –, BVerfGE 111, 307 sind Art und Umfang der Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR weitgehend geklärt: Deutsche Gerichte haben die Konvention, die formell den Rang einfachen Bundesrechts hat, in der Auslegung durch den EGMR wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfG aaO. S. 317). Insbesondere gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges deutsches Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (BVerfG aaO. S. 323 f.). Hat der EGMR einen Konventionsverstoß der Bundesrepublik Deutschland festgestellt und dauert dieser Verstoß an, so ist die Entscheidung zu berücksichtigen; die Fachgerichte müssen sich mit ihr auseinandersetzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (BVerfG aaO. S. 324). Eine Abweichung kommt insbesondere in Betracht, wenn deutsche Gerichte mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben und sensible Abwägungen zwischen verschiedenen subjektiven Rechtspositionen erforderlich sind; es wäre verfassungsrechtlich problematisch, wenn einer der Grundrechtsträger einen für ihn günstigen Urteilsspruch des EGMR gegen die Bundesrepublik Deutschland erstreitet und deutsche Gerichte diese Entscheidung schematisch anwenden, mit der Folge, dass der insofern „unterlegene“ und möglicherweise nicht im Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligte Grundrechtsträger gar nicht mehr als Verfahrenssubjekt wirksam in Erscheinung treten könnte (BVerfG aaO. S. 326 f.).
32 
bb) Der Senat bezweifelt, dass es eine methodisch vertretbare Auslegung des geltenden StGB gibt, die dazu führt, dass in einem sog. Zehnjahresfall, wie er hier verfahrensgegenständlich ist, im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 ohne Weiteres die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt und der Untergebrachte auf freien Fuß gesetzt werden muss. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO S. 38-48, aus, es sei eine methodisch vertretbare Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB, durch Art. 5 und 7 MRK in der Auslegung durch das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 „gesetzlich“ etwas „anderes bestimmt“ zu sehen. Dann würde für sog. Zehnjahresfälle wie hier das alte Recht gelten, das bei erstmaliger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Höchstfrist von zehn Jahren vorgesehen habe, die im Sinne von § 67d Abs. 4 StGB „abgelaufen“ sei, weshalb die Sicherungsverwahrung erledigt und der Verurteilte zu entlassen sei. Diese Auffassung (in der Sache wohl ebenso LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – S. 16, hier als „verfassungskonforme Auslegung“; zu deren Grenzen, wenn der Wille des Gesetzgebers bestimmt und eindeutig ist, s. aber OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 10 mit Nachw.) verkehrt den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil (ebenso OLG Celle aaO. BU S. 9 f.). Der Gesetzgeber sah Art. 7 MRK gerade nicht als Schranke des § 2 Abs. 6 StGB an (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 108). Vor allem spricht gegen die von Grabenwarter für möglich gehaltene Auslegung das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160): Mit Art. 2 Nr. 2 und 3 dieses Gesetzes wurden an den damaligen Art. 1a EGStGB, der zum neuen Absatz 1 wurde, als neue Absätze 2 und 3 die folgenden Bestimmungen angefügt:
33 
„(2) § 66 Abs. 3 des Strafgesetzbuches findet nur Anwendung, wenn der Täter eine der Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art nach dem 31. Januar 1998 begangen hat.
34 
(3) § 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) findet uneingeschränkt Anwendung.“
35 
Mit dem neuen Art. 1a Abs. 3 EGStGB war ausdrücklich bezweckt, die Änderungen des § 67d StGB „uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen“, was verfassungsrechtlich möglich sei, weil es nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe (s. BT-Drucks. 13/9062 S. 12). Damit ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers, das neue Fristenrecht des § 67d StGB auf Altfälle anzuwenden, sogar Gesetz geworden. Die spätere Streichung der Art. 1a Abs. 2 und 3 EGStGB durch Art. 8 Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 (BGBl. I S. 1838) berührt diesen Willen nicht (ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 9 f.). Denn der Gesetzgeber ging lediglich davon aus, dass die Regelung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG, namentlich den Beschluss vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 verzichtbar erscheine (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 20). Eine Auslegung wie bei Grabenwarter, die alles das überspielt, erscheint methodisch nicht mehr vertretbar.
36 
cc) Zudem ist der Senat der Auffassung, dass eine schematische „Vollstreckung“ des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 in der Weise, dass sog. Zehnjahresfälle nunmehr ohne Weiteres zu entlassen wären, die Frage aufwerfen würde, ob dies mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar wäre. Zwar dürfte es dem deutschen Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt sein, zu dem vor 1998 geltenden Rechtszustand zurückzukehren (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 [187]; s. auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 13 f.). Nach dem nunmehr geltenden Recht, das weder von der MRK noch von dem EGMR-Urteil außer Kraft gesetzt wird, ist aber durch § 67d Abs. 3 StGB den Fachgerichten auch und gerade nach Ablauf der Zehnjahresfrist die der Sicherungsverwahrung immanente sensible Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für die Allgemeinheit andererseits verfassungsrechtlich aufgegeben:
37 
„Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen. Diese Schutzpflicht des Staates ist umso intensiver, je mehr die Gefährdung sich konkretisiert und individualisiert und je stärker sie die Gefährdung elementarer Lebensbereiche betrifft. (…) Hinter dieses öffentliche Interesse tritt das Freiheitsgrundrecht (…) trotz seines hohen Wertes zurück. (…) Der Gesetzgeber (hat) mit der Regelung des § 67d Abs. 3 StGB nicht gegen das freiheitsschützende Übermaßverbot verstoßen. Die inhaltliche Konzeption als Regel-Ausnahme-Vorschrift sowie die flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien für die Betroffenen verschaffen deren Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichende Geltung (…)“ (BVerfG aaO. S. 186 f.).
38 
Eine schematische „Vollstreckung“ des EGMR-Urteils in Gestalt sofortiger Entlassung selbst hoch gefährlicher Untergebrachter brächte diese Abwägung in einer Art und Weise aus dem Gleichgewicht, die verfassungsrechtlich jedenfalls bedenklich wäre und – im Sinne des Monitums des „Görgülü-Beschlusses“ – darauf hinauslaufen würde, dass die schutzwürdige Allgemeinheit und damit nicht am Verfahren vor dem EGMR beteiligte Grundrechtsträger nicht mehr als Verfahrenssubjekte wirksam in Erscheinung treten könnten. Entgegen Kinzig NStZ 2010, 233 (238) beziehen sich dieses Monitum sowie der Vorbehalt betreffend mehrpolige Grundrechtsverhältnisse nicht ausschließlich aufs Privatrecht, sondern auf alle Fälle, in denen staatliche Gerichte „wie im Privatrecht“ mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben (s. BVerfGE 111, 307 [324]; ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 11 f.).
III.
39 
Auch deutsches Verfassungsrecht gebietet nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne weitere inhaltliche Überprüfung aus der Unterbringung zu entlassen wäre.
40 
1. Die vom EGMR als konventionswidrig erkannte geltende deutsche Gesetzeslage ist vom Zweiten Senat des BVerfG in seinem Urteil vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 für verfassungsgemäß erachtet worden. Für sich gesehen ändert das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 hieran nichts. Das Konventionsrecht einerseits und das deutsche Verfassungsrecht andererseits sind nicht deckungsgleich, und der EGMR urteilt nicht nach deutschem Verfassungsrecht.
41 
2. Allerdings beeinflussen die Gewährleistungen der Konvention die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes, und die Rechtsprechung des EGMR dient auch auf der Ebene des Verfassungsrechts als „Auslegungshilfe“ für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern das nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – „Görgülü“, BVerfGE 111, 307 [317]). Der Senat hat daher erwogen, ob im Lichte der Erwägungen, die der EGMR in seinem Urteil vom 17.12.2009 angestellt hat, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des geltenden deutschen Rechts insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 (hierzu BVerfGE 109, 133 [156 ff.]) und auf Art. 103 Abs. 2 GG (hierzu BVerfGE 109, 133 [167 ff.]) anders als in BVerfGE 109, 133 zu beantworten ist. Für das Freiheitsgrundrecht verneint der Senat die Frage, da das jeweilige Schranken- und Schranken-Schranken-Regime zu unterschiedlich ist. Für die Frage des Rückwirkungsverbots und des verfassungsrechtlichen Strafbegriffs sieht der Senat hingegen Erörterungsbedarf. Ihm erscheint aber zweifelhaft, ob das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zu der Annahme zwingt, entgegen BVerfGE 109, 133 (167 ff.) sei Art. 103 Abs. 2 GG verletzt. Diese Verfassungsbestimmung steht in einer bestimmten verfassungs- und einfachrechtlichen Tradition des deutschen Rechts (s. hierzu BVerfG aaO. S. 168 ff.). Ihre traditionell enge Auslegung begründet sich auch aus der grundsätzlichen Absolutheit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots und den hohen Anforderungen an eine parlamentsgesetzliche Strafbarkeitsgrundlage, die sich so nicht bei Art. 7 MRK finden. Zudem kennt das deutsche Verfassungsrecht ein allgemeines rechtsstaatliches Vertrauensschutzgebot, das als verfassungsrechtlicher Auffangtatbestand eingreifen kann (s. hierzu BVerfG aaO. S. 180 ff.) und in der MRK nicht in gleicher Weise ausgeprägt ist. Deshalb ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass er das Gesetzesrecht, aufgrund dessen der Verurteilte sich (noch) in Sicherungsverwahrung befindet, für verfassungswidrig hält, und sieht deshalb von einer Vorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80-82 BVerfGG) ab (s. hierzu auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 8 ff.). Im Übrigen dürfte die Frage in dem beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 769/10 baldiger verfassungsgerichtlicher Klärung zugeführt werden. Der in diesem Verfahren ergangene Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19.05.2010 lässt erstens erkennen, dass die Kammer die verfassungsrechtliche Frage für offen hält, andernfalls sie nicht in eine Folgenabwägung hätte eintreten können, und fasst zweitens die Möglichkeit ins Auge, dass sich das geltende Recht zwar als verfassungswidrig erweisen, es jedoch gleichwohl nicht zu Entlassungen kommen könnte, beispielsweise weil für eine Übergangszeit die ggf. bedingte Fortgeltung des bisherigen Rechts angeordnet werden könnte. Drittens zeigt der Beschluss, dass es im Ergebnis verfassungsrechtlich verantwortbar ist, Verurteilte jedenfalls vorläufig in Sicherungsverwahrung zu belassen. Die Folgenabwägung fällt auch im vorliegenden Fall gegen eine sofortige Entlassung aus: Wäre es bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, den Verurteilten sofort zu entlassen, so würde ihn die hier getroffene Entscheidung in seinem Freiheitsgrundrecht verletzen. Wäre es hingegen auch bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen, und würde der Senat ihn jetzt entlassen, so wäre die Allgemeinheit bis zur Wiederergreifung des Verurteilten nach der derzeitigen Gutachtenlage der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten ausgesetzt, seien es Sexualdelikte, seien es Gewaltdelikte gegen Justizangehörige, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Dann aber muss das Freiheitsgrundrecht jedenfalls bis auf Weiteres zurücktreten.
IV.
42 
Nach alledem ist eine sofortige Entlassung des Verurteilten unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens nicht veranlasst. Das bedeutet freilich nicht, dass die konventionsrechtlichen Vorgaben, wie sie im Urteil des EGMR vom 17.12.2009 enthalten sind, und die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie insbesondere im Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 enthalten sind, nicht zu beachten wären. Im Gegenteil ist es Aufgabe des Senats wie aller nationalen Gerichte, das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 im weiteren Verfahren „in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung“, nämlich das Recht der Sicherungsverwahrung, „einzupassen“ (BVerfGE 111, 307 [327]) und – selbstverständlich – deutsches Verfassungsrecht zur Anwendung zu bringen. Insbesondere wird es geboten sein, etwaige Konventionsverletzungen ausdrücklich festzustellen (vgl. für die konventionswidrige Verfahrensverzögerung BVerfG, Beschl. v. 19.04.1992 – 2 BvR 1487/90, NJW 1993, 3254 [3255]) und das geltende deutsche Recht, insbesondere §§ 67d Abs. 2 und 3, 67e Abs. 1 Satz 1 StGB, auf einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BVerfGE 109, 133 [162 ff.]) im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung konventions- und verfassungskonform (vgl. BVerfG aaO. S. 159, 161) zu handhaben (s. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 12.05.2010 – III-4 Ws 114/10 S. 3 f.).

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - F. vom 7. Dezember 2009 aufgehoben.

Die Sicherungsverwahrung ist erledigt.

Es tritt Führungsaufsicht ein, deren Ausgestaltung der Strafvollstreckungskammer F. übertragen wird.

Der Untergebrachte wird der Bewährungshilfe unterstellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Untergebrachten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
Mit Urteil des Landgerichts H. vom 12.2.1981 wurde der Untergebrachte wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wurde verhängt. Nach Anordnung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung durch Beschluss des Landgerichts K. vom 30.3.1988 wird diese seit dem 3.6.1988 in der Justizvollzugsanstalt F. vollstreckt. Zehn Jahre der Sicherungsverwahrung waren am 2.6.1998 verbüßt. Mit Beschlüssen vom 24.9.1990, 17.11.1992, 24.8.1994, 8.7.1996, 10.11.1998, 15.11.2000, 25.10.2002, 22.4.2005, 5.11.2007 und zuletzt mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht F. die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg. Die der Prüfung einer fortbestehenden Gefahr weiterer erheblicher Straftaten nach § 67 d Abs. 3 StGB vorausgehende Überprüfung auf Vollstreckungshindernisse hat ergeben, dass die Sicherungsverwahrung erledigt ist.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az 19359/04, StV 2010, 181) ist die mit Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vorgenommene Änderung des § 67d, mit der die Befristung der ersten angeordneten Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 1 StGB a.F. auf zehn Jahre entfallen ist und die in Verbindung mit § 2 Abs. 6 StGB auch diejenigen Sicherungsverwahrten erfasst, für die die Befristung zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung noch bestand, mit dem Freiheitsrecht des Art. 5 EMRK und dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK nicht vereinbar. Die Anordnung der Fortdauer der zum Tat- und Verurteilungszeitpunkt auf 10 Jahre begrenzten Sicherungsverwahrung über diesen Zeitraum hinaus stelle keine Freiheitsentziehung nach einer Verurteilung durch ein zuständiges Gericht (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Buchst. a EMRK) dar, da kein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen dem Urteil des erkennenden Gerichts und der Fortdauer der Freiheitsentziehung nach Ablauf von 10 Jahren in der Sicherungsverwahrung mehr bestehe. Darüber hinaus sei die Maßregel der Sicherungsverwahrung in ihrer konkreten Ausgestaltung in der autonomen Auslegung durch den Gerichtshof als Strafe zu werten, so dass das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK eingreife. Nachdem eine mit fünf Richtern besetzte Kammer am 10.5.2010 entschieden hat, den Antrag der Bundesregierung auf Entscheidung der Großen Kammer des EGMR nicht anzunehmen, ist die Entscheidung des EGMR vom 17.12.2009 rechtskräftig geworden.
Diese Rechtsprechung gilt auch für die gegen den Untergebrachten verhängte Sicherungsverwahrung, da bei Tatbegehung und Aburteilung die zehnjährige Befristung des § 67d Abs. 1 StGB a.F. galt.
Die Entscheidungen des EGMR binden nach Art. 46 EMRK zwar zunächst nur die Parteien in der konkret entschiedenen Sache. Doch kommt den Urteilen des EGMR bei der Auslegung der EMRK, die im innerstaatlichen Recht zwar keinen Verfassungsrang, in der Folge des Ratifikationsgesetzes des Bundestages aber der Rang eines einfachen Gesetzes besitzt und damit am Vorrang des Gesetzes teilnimmt (Art. 20 Abs. 3 GG), eine sog. Orientierungsfunktion zu (SK-Paeffgen, EMRK, Einleitung Rn 383; vgl. auch LR-Gollwitzer, MRK Verfahren, Rn 77b; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2005, 15, 18f.; Esser StV 2005, 348, 349, 354), da sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfG NJW 2004, 3407, 3408; BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS). Gleichzeitig verpflichtet die Völkerrechtsfreundlichkeit der grundgesetzlichen Ordnung die Gerichte, das nationale Recht möglichst in Einklang mit dem Völkerrecht, zu dem auch die EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR zählt, auszulegen (vgl. BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Die EMRK ist mithin in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof im Range eines förmlichen Bundesgesetzes in den Vorrang des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG einbezogen und muss von der Rechtsprechung sowohl bei der Auslegung der Konventionsvorschriften als auch des innerstaatlichen Rechts beachtet werden (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410; im Ergebnis auch OLG Stuttgart, 1 Ws 57/10, Beschluss vom 1.6.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 539/10, Beschluss vom 1.7.2010, bei JURIS; OLG Hamm, 4 Ws 157/10, Beschluss vom 6.7.2010, S. 5). Allerdings setzt die Gesetzesbindung der Umsetzung der Entscheidungen des Gerichtshofs auch Grenzen, weil die Gerichte sich nicht unter Berufung auf eine Entscheidung des EGMR von der rechtsstaatlichen Kompetenzordnung und der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) lösen können. Deshalb kann sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische Umsetzung verfassungsrechtliche Vorgaben verletzen (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Die Entscheidungen des EGMR können deshalb nur im Rahmen einer methodisch vertretbaren Auslegung Beachtung finden. Wenn eine solche völkerrechtskonforme Auslegung eines Gesetzes nicht möglich ist, muss der Gesetzgeber tätig werden (NJW 2004, 3407, 3410).
Damit scheidet vorliegend eine konventionskonforme Auslegung der eindeutigen Regelung des § 67d Abs. 3 StGB, wonach die Sicherungsverwahrung bis zur ihrer Erledigung dauert, die nach dieser Vorschrift erst ausgesprochen werden darf, wenn die in der Tat zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit nicht mehr besteht, aus. Dagegen ist die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB, wonach - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - über Maßregeln der Sicherung und Besserung nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt, einer Auslegung zugänglich. Denn Art. 7 EMRK ist als andere gesetzliche Regelung im Sinne dieser Vorschrift zu werten, die in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof als Ausnahme vom Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB, bei Entscheidungen über Maßregeln das Gesetz anzuwenden, das zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt, für die Sicherungsverwahrung ein Rückwirkungsverbot begründet (BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS; OLG Hamm, 4 Ws 157/10, Beschluss vom 6.7.2010, S. 6 ff.; Rechtsgutachten Prof. Grabenwarter, S. 40 ff.). Diese Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist mit dem Wortlaut der Vorschrift ohne weiteres zu vereinbaren. Soweit das Oberlandesgericht Koblenz (1 Ws 108/10; Beschluss vom 7.6.2010, bei JURIS) argumentiert, der EGMR sehe in der Sicherungsverwahrung eine Strafe und keine Maßregel, so dass unter Berücksichtigung dieser Auffassung § 2 Abs. 6 StGB nicht einschlägig und folglich auch nicht auszulegen sei, übersieht es - abgesehen davon, dass dann ohne weiteres das Rückwirkungsverbot des § 2 Abs. 1 StGB eingriffe -, dass der Gerichtshof den Begriff der Strafe in Art. 7 EMRK autonom, d.h. unabhängig von seiner Bedeutung im nationalen Recht, auslegt (vgl. Nr. 120 der Entscheidung), so dass die Definition der Sicherungsverwahrung als Maßregel in § 61 Nr. 3 StGB davon unberührt bleibt. Ebenso steht der Zweck der Vorschrift einer solchen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht entgegen, der Sonderregelungen für bestimmte Maßregeln ermöglichen will, von denen auch die Sicherungsverwahrung nicht ausgenommen werden kann (vgl. Rechtsgutachten Prof. Grabenwarter, S. 43). Allerdings wollte der historische Gesetzgeber § 67d Abs. 3 StGB dezidiert uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen (BT-Drs 13/9062, S. 12; OLG Celle, 2 Ws 169-170/10, Beschluss vom 25.5.2010 bei JURIS; OLG Stuttgart, 1 Ws 57/10, Beschluss vom 1.6.2010, bei JURIS; vgl. auch OLG Koblenz, 1 Ws 108/10, Beschluss vom 7.6.2010, bei JURIS). Die mit dem Gesetz vom 26.1.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten eingeführte Vorschrift des Art. 1 a EGStGB sah in Abs. 3 gerade für die Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB eine uneingeschränkte Rückwirkung vor. Doch muss die historische Auslegung vorliegend hinter einer völkerrechtskonformen Auslegung zurückstehen, da die Gerichte in Fällen wie dem vorliegenden verpflichtet sind, das nationale Recht möglichst im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Dies gilt umso mehr, als der historische Gesetzgeber, der sich im Zusammenhang mit dem nachträglichen Entfallen der 10-Jahresfrist ausdrücklich mit dem Rückwirkungsverbot bzw. - weil er dieses bei Maßregeln nicht für anwendbar hielt - dem Vertrauensgrundsatz befasst hat, sich dem Rückwirkungsschutz im Bereich des § 67d Abs. 3 StGB verfassungsrechtlich nicht allzu hoch verpflichtet glaubte, weil es nicht um die Anordnung, sondern nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe. Dass der der EMRK in der Auslegung durch den EGMR ebenfalls verpflichtete Gesetzgeber eine menschenrechtswidrige Rückwirkung auch unter Missachtung völkerrechtlichen Vorgaben anordnen wollte, kann dem gerade nicht entnommen werden (so auch OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Auch die eindeutige Vorschrift des Art. 1 a EGStGB steht nach ihrer Streichung einer konventionskonformen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB nicht mehr entgegen.
Ebenso verbietet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.2.2004 (NJW 2004, 739ff.), dass der rückwirkende Wegfall der Befristung der ersten Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich unbedenklich ist, eine solche Auslegung nicht, da diese Entscheidung nach § 31 BVerfGG nur insoweit bindet, als das Bundesverfassungsgericht die Regelung als verfassungsmäßig angesehen hat. Eine über die grundgesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehende einfachgesetzliche Regelung - keine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot bei der Maßregel der Sicherungsverwahrung - schließt die verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht aus (vgl. auch BGH, 4 StR 577/09, Beschluss vom 12.5.2010, bei JURIS; OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS).
Da das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK absolut gilt, bleibt für eine Abwägung mit dem Schutz der Allgemeinheit im vorliegenden Zusammenhang kein Raum (OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Ein sog. mehrpoliges Grundrechtsverhältnis, das einer konventionskonformen Auslegung Grenzen setzen könnte, ist vorliegend nicht gegeben (a.A. OLG Celle, Beschluss vom 25.5.2010, 2 Ws 169 - 170/10 bei JURIS). Hiervon wäre nämlich nur dann auszugehen, wenn bei der vorliegenden Entscheidung die subjektiven Rechtspositionen mehrerer Grundrechtsinhaber in Einklang gebracht werden müssten, von denen nur einer einen günstigen Urteilsspruch des EGMR ins Feld führen könnte, so dass der andere, der vom EGMR nicht gehört wurde, möglicherweise als Verfahrenssubjekt nicht mehr in Erscheinung träte (BVerfG NJW 2004, 3407, 3410). Davon kann hier nicht die Rede sein. Der Schutz der Allgemeinheit ist Aufgabe des Staates, der am Verfahren vor dem EGMR beteiligt war und dort seine Position einbringen konnte (OLG Frankfurt, 3 Ws 485/10, Beschluss vom 24.6.2010, bei JURIS). Ebensowenig verbietet die Verpflichtung, bei der Umsetzung der Entscheidungen des EGMR die Auswirkungen auf ausbalancierte Teilsysteme der nationalen Rechtsordnung, die verschiedene Grundrechtspositionen miteinander zum Ausgleich bringen, zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2004, 4407, 3410), die Annahme eines Rückwirkungsverbotes. Denn wenn auch der staatliche Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit eine Einschränkung des Freiheitsgrundrechtes erlaubt, so ist doch nicht ersichtlich, dass die Aufhebung der Zehnjahresfrist zum Schutze der Grundrechte potentieller Opfer (vgl. BGH NJW 2010, 1539 f.; OLG Celle, Beschluss vom 25.5.2010, 2 Ws 169 - 170/10 bei JURIS) verfassungsrechtlich geboten war (BVerfG, Entscheidung vom 5.2.2004 - NJW 2004, 739ff. -, Rn 189, zitiert nach JURIS; vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 1.6.2010, 1 Ws 57/10, bei JURIS).
Da die konventionskonforme Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB damit zu dem Ergebnis führt, dass bei der Vollstreckung der Maßregel der Sicherungsverwahrung das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK eingreift, gilt insoweit die bei Tatbegehung gültige Fassung des § 67d StGB, wonach nach Abs. 1 die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zehn Jahre nicht übersteigen darf. Damit ist die Maßregel erledigt. Eine Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB in der aktuellen Fassung kommt deshalb nicht mehr in Betracht. Das aus der von Gesetzes wegen eingetretenen Erledigung (OLG Frankfurt, 3 Ws 539/10, Entscheidung vom 1.7.2010, bei JURIS) folgende Vollstreckungshindernis (SK-Paeffgen zu § 458 Rn 8) ist von der Vollstreckungsbehörde zu beachten, die deshalb die Freilassung veranlassen muss.
10 
Es tritt nach § 67d Abs. 4 S. 3 StGB Führungsaufsicht ein. Der Wortlaut dieser Vorschrift erlaubt ihre Anwendung auf die durch konventionskonforme Auslegung gewonnene Erledigung der Sicherungsverwahrung. Im übrigen sah auch § 67d StGB a.F. in Absatz 4 Führungsaufsicht bei Entlassung nach dem Ablauf der zehnjährigen Höchstdauer der Sicherungsverwahrung vor, so dass unter dem Aspekt der Meistbegünstigung die Führungsaufsicht ebenfalls nicht entfiele. Die Ausgestaltung der Führungsaufsicht hat der Senat wegen der Sachnähe der Strafvollstreckungskammer übertragen, zumal bisher lediglich unzureichende Informationen über die Entlassungssituation vorliegen. Er weist allerdings darauf hin, dass insoweit nach § 2 Abs. 6 StGB die aktuelle Gesetzeslage gilt, da die Erwägungen, mit denen der EGMR die Sicherungsverwahrung unter den Begriff der Strafe im Sinne des Art. 7 EMRK subsumiert hat, auf die Maßregel der Führungsaufsicht nicht zutreffen. Damit sind auch die Regelungen zur forensischen Ambulanz anwendbar.
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 577/09
vom
12. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Mai 2010 gemäß §§ 349
Abs. 4, 126 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juli 2009 aufgehoben.
2. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom 15. Juni 2007 wird aufgehoben. Der Betroffene ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:


1
Das Landgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 17. Juli 2009 gegen den Betroffenen (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwah- rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.

I.


2
Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Betroffene war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte nach Ansicht der damals erkennenden Strafkammer in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht. Die Anordnung der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster , sexuell motivierter Straftaten neige.
3
Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
4
Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum 22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5 StPO).
5
Mit Urteil vom 4. April 2007 hatte das Landgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2006 im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 gegen den Betroffenen gemäß § 66 b Abs. 3 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hatte der Senat durch Beschluss vom 10. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, dass der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - (BGHSt 52, 379) entschieden hatte, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht auf Fälle anwendbar ist, in denen der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
6
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht erneut die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet und nunmehr die Anordnung der Unterbringung auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 gestützt, in der gegen den Betroffenen - weil schuldlos handelnd - nur auf die Unterbringung nach § 63 StGB erkannt worden war.

II.


7
Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind.
8
1. a) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdnrn. 124 - 133). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdnrn. 127 bis 130). Er hat daher in jenem Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den dortigen Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67 d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. abgeschafft worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdnrn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtsache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 Buchst. c MRK).
9
b) Nach Maßgabe dieses Urteils verstößt im vorliegenden Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, da das Tatzeitrecht für die Anlasstat nicht die Anordnung von Sicherungsverwahrung androhte.
10
Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990 begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987 (BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h. schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss.
11
Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der (neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Zwar war er - neben der Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 - weiterhin durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9. Mai 1980 wegen einer am 30. Juli 1979 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Tat wäre indes nach § 66 Abs. 3 Satz 3 und 4 StGB a.F. (= § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB in der jetzt geltenden Fassung ) nicht berücksichtigungsfähig gewesen, da der Betroffene nach Verbüßung der damals erkannten Freiheitsstrafe für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nicht wieder straffällig geworden war.
12
Erstmals § 66 b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK entgegen.
13
c) Dass gegen den Betroffenen - anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall - bereits mit der Anlassverurteilung auf eine von vorneherein zeitlich nicht befristete Maßregel (vgl. § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB in der auch zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) erkannt worden war, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung (anders OLG Saarbrücken , Beschluss vom 7. April 2010 - 1 Ws 73/10). Insoweit ist zu berücksichtigen , dass schon vor Einführung des § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB nach der Rechtsprechung der Vollstreckungsgerichte die Erledigung der Maßregel bei Wegfall einer ihrer Voraussetzungen auch dann zu beschließen war, wenn die Gefährlichkeit des Untergebrachten fortbestand (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 sowie hierzu auch BVerfG NStZ 1995, 174, 175). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 67 d Abs. 6 StGB lediglich festschreiben wollen (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13 f.). Nach dem zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Recht hätte somit die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt werden und der Betroffene in Freiheit entlassen werden müssen, ohne dass an ihre Stelle die Sicherungsverwahrung treten konnte.
14
d) Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdnr. 76) - bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.
15
Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts jedoch nur vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte dar.
16
Bei der MRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 316 ff.; BVerfG EuGRZ 2010, 145, 147; Gollwitzer aaO Einführung Rdnrn. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Das nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der MRK auszulegen (BVerfGE 111, 307, 324; Gollwitzer aaO).
17
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach -) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch - wie bereits ausgeführt - die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich.
18
2. Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (BVerfGE 109, 133, 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts des Zeitpunkts der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens frei, für einzelne Maßregeln der Besserung und Sicherung in Abweichung von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen; er hat hiervon in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Aufl. § 2 Rdnr. 15 und speziell Art. 93 des 1. StrRG). Ebenso kann dies Folge der gebotenen Berücksichtigung einer ebenfalls im Range einfachen Bundesrechts stehenden Bestimmung der MRK sein. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
19
3. Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs steht der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK einer Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB auf Altfälle entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 595/09 [zu § 66 b Abs. 2 StGB] mögliche Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 auf den zu entscheidenden Fall offen gelassen und dies mit der fehlenden Endgültigkeit der Entscheidung begründet. Soweit der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen in der - damals ebenfalls noch nicht endgültigen - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG auf einen Altfall nicht entgegenstehen, hat er dies mit hier nicht einschlägigen Besonderheiten des Jugendstrafrechts begründet. Im Übrigen ist, nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 10. Mai 2010 gemäß Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 Buchst. c MRK endgültig gewor- den ist, eine neue Rechtslage gegeben, die eine etwaige Bindung an frühere entgegenstehende Rechtsprechung entfallen lassen würde (vgl. hierzu Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdnr. 8).
20
4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben; gleichzeitig war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und der Betroffene sofort auf freien Fuß zu setzen.
21
Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
RiBGH Athing ist im Ernemann Solin-Stojanović Ruhestand und daher an der Unterschrift gehindert Ernemann Cierniak Franke

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Der Antrag des Verurteilten, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären und anzuordnen, dass er aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist, wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

Gründe

 
I.
Der heute 63 Jahre alte Verurteilte ist erstmals mit 21 Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten und vielfach vorbestraft. Seit 1971, also seit seinem 24. Lebensjahr, hat er sich – für den Zeitraum bis 1979 mit einigen Unterbrechungen – in Untersuchungs- oder Strafhaft befunden. Seit 1988 bis heute, also über 21 Jahre lang, ist er in Sicherungsverwahrung untergebracht. Sie beruht auf drei Verurteilungen wegen 1973, 1978 und 1983 begangener schwerer Sexualdelikte.
1. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 25.04.1975 – 1 Kls 30/74 – wurde der Verurteilte wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Entführung gegen den Willen der Entführten, sowie versuchter Vergewaltigung (Tatzeiten: 12.04., 22./23.04. sowie 11.07.1973) zu Einzelstrafen von zwei Jahren, drei Jahren und einem Jahr verurteilt; er verbüßte die Gesamtstrafe von fünf Jahren in der Zeit vom 22.10.1975 bis zum 30.09.1977 und nach Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung vom 12.01.1982 bis 03.09.1983. Sodann wurde er durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.09.1979 – III Kls 21/79 – wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch von Kindern (Tatzeit: 23.12.1978) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt; er verbüßte die Strafe vom 12.01.1979 bis zum 11.01.1982 und vom 04.09.1983 bis zum 25.03.1985. Am 09.01.1983 vergewaltigte er während eines Hafturlaubes in Backnang eine siebzehnjährige Frau, nötigte sie sexuell und würgte und verletzte sie dabei erheblich. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27.09.1985 – 2 Kls 279/84 – verurteilte das Landgericht Stuttgart ihn deshalb wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und ordnete Sicherungsverwahrung an. Das Landgericht stellte eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur und eine sowohl histrionische als auch antisoziale schwere Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB fest, durch welche die Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war. Ein therapeutisches Vorgehen erschien nicht ansatzweise erfolgversprechend, und sämtliche vorherigen Bemühungen waren gescheitert, weshalb eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht kam. Zur Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB a. F. führte das Landgericht u. a. aus:
„In den Straftaten zeigt sich der offensichtliche Hang des Angeklagten, erst nach einer Demonstration der Macht und Stärke zu sexueller Befriedigung zu gelangen. Das Maß der von ihm an seinen Opfern vorgenommenen Gewaltanwendung nimmt stetig zu. Der Angeklagte bricht jeden Widerstand seines Opfers dadurch, dass er es aufs heftigste am Hals würgt oder ihm sonst die Luft nimmt. Wie sein neuerliches Vorgehen gegen die Zeugin (…) zeigt, ist dies für ihn geradezu symptomatisch geworden, weshalb er für die Allgemeinheit eine ganz erhebliche Gefahr darstellt. Angesichts der von den Sachverständigen (…) festgestellten schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit fast zwanghaftem Handeln zur Sicherung seiner Ziele ist von ihm die Begehung künftiger schwerwiegender Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Der Angeklagte ist – wie auch in seinem äußerst aggressiven und feindseligen Verhalten vor und während der Hauptverhandlung immer wieder deutlich wurde – in den Lage, bei einem seiner Vorstellung zuwider laufenden Geschehensablauf in kürzester Zeit Feindbilder aufzubauen und diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es muss deshalb ernsthaft befürchtet werden, dass ein neues Opfer des Angeklagten, welches sich seinen Wünschen widersetzt, möglicherweise sein Leben lassen müsste“ (S. 125 f.).
Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem Urteil vom 27.09.1985 vollständig bis zum 24.09.1988. Mit Beschluss vom 03.08.1988 ordnete das Landgericht Karlsruhe den anschließenden Vollzug der Sicherungsverwahrung an, die nach damaligem Recht bei der ersten Unterbringung höchstens zehn Jahre lang vollzogen werden durfte. Diese Höchstfrist fiel mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) fort. Daher erklärte das Landgericht Freiburg nach Vollzug von zehn Jahren Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 09.03.1999 die Sicherungsverwahrung nicht für erledigt und ordnete deren Fortdauer an. Seitdem befindet sich der Verurteilte ununterbrochen in Sicherungsverwahrung. Insgesamt sind derzeit – im Anschluss an die voll verbüßte Freiheitsstrafe – über 21 Jahre Sicherungsverwahrung vollzogen worden.
2. Der Verurteilte ist vielfach nervenärztlich und kriminalprognostisch begutachtet worden. Allerdings liegt das letzte auf einer eingehenden Exploration des Verurteilten beruhende Gutachten des Dr. H E B, Ärztlicher Direktor des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg, vom 18.08.1999 mittlerweile über 10 Jahre zurück. Seither hat der Verurteilte jeden Versuch einer eingehenden gutachterlichen Untersuchung durch die gerichtlich beauftragten Sachverständigen entschieden abgelehnt. Das derzeit aktuellste jüngste „nervenärztliche Gutachten nach Aktenlage“ des Dr. T H, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt der Klinik für Suchttherapie des Klinikums am W., W., datiert vom 04.02.2010. Diesem Gutachten lässt sich das Folgende entnehmen:
a) Gutachtengrundlage, fehlende Bereitschaft des Verurteilten, sich begutachten zu lassen
Der Verurteilte sei (auch) 2005 bis 2010 nicht bereit gewesen, sich begutachten zu lassen. Deshalb hätten keine Untersuchungen stattfinden können. Es habe mehrere (teils aber recht kurze) persönliche Kontakte gegeben, teils auch im Rahmen von Anhörungen durch die Strafvollstreckungskammer. Das Gutachten beruhe auf einer Aktenauswertung, wobei bestimmte Akten (Gefangenenpersonalakte, Krankenakte) wegen der Weigerung des Verurteilten nicht zugänglich gewesen seien.
b) Verhalten im Vollzug und außerhalb des Vollzugs
In der Justizvollzugsanstalt Freiburg hätten gegen den Verurteilten über längere Zeit besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden müssen. Er habe 1998 seinen Haftraum in Brand gesteckt; gegen die dadurch veranlasste Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er u. a. mit einer Eisenstange Widerstand geleistet. In der Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich damals verfolgt gefühlt und jeden Kontakt mit Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdiensts abgelehnt. Am 30.05.2002 sei in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ein beleidigendes und bedrohliches Verhalten dokumentiert worden. Nach seiner Zurückverlegung in die Justizvollzugsanstalt Freiburg im Jahr 2003 habe er dort einen Löffel verschluckt, und bei einer Kontrolle sei eine Schlinge gefunden worden, mit der er sich habe erhängen wollen. Als er daraufhin in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt werden sollte, habe er die Bediensteten angegriffen und einen von ihnen in den Fuß gebissen; trotz Fesselung habe er das Krankentransportfahrzeug demoliert. Im weiteren Verlauf habe sich das Verhalten des Verurteilten stabilisiert. Nach Wiederverlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich dort disziplinarisch unauffällig oder weitgehend unauffällig verhalten. Nach Auskunft des ärztlichen Dienstes und der Anstaltsärztin passe sich er derzeit gut an, fühle sich in der Justizvollzugsanstalt sogar „glücklich und zufrieden“. Er lasse dabei keinerlei Tendenzen erkennen, dass er sich ein Leben draußen vorstellen könne oder gar wünsche. Hilfreich sei, dass er mittlerweile Psychopharmaka in kleiner Menge einnehme, was ursächlich für seine Stabilisierung sein dürfte. Insgesamt sei laut einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, die allerdings gleichwohl einer Aussetzung der Sicherungsverwahrung mit Nachdruck entgegen getreten sei, seine Verhaltensentwicklung als äußerst positiv zu beurteilen. Allerdings führe er das Leben eines Einzelgängers und habe wenige Kontakte im Vollzug. Mangels Vollzugslockerungen habe eine Erprobung des Verhaltens außerhalb des Vollzugs bislang noch nicht erfolgen können. Ob der Verurteilte überhaupt ein Leben außerhalb des Vollzuges anstrebe, sei nach Eindruck des Gutachters offen.
10 
c) Psychische bzw. psychiatrische Befunde
11 
Eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10 F 10.1) sei auch rückblickend nicht ganz eindeutig festzustellen. Eine psychotische Erkrankung im engeren Sinne etwa aus dem schizophrenen Formenkreis könne nicht festgestellt werden, desgleichen keine fixierte sexuelle Devianz bzw. psychosexuelle Störung. Es gebe aber eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (histrionisch-dissozial) (ICD 10 F 61.0) mit dissozialen Persönlichkeitselementen (Mangel an Empathie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Unvermögen zu längerfristigen Beziehungen, niedrige Schwelle für aggressives und auch gewalttätiges Handeln, verminderte Lernfähigkeit, Neigung, andere zu beschuldigen oder eigenes Fehlverhalten zu rationalisieren) und histrionischen Persönlichkeitselementen (theatralisch anmutendes Verhalten, oberflächliche Affektivität, Egozentrik, manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse). Es seien Teilelemente des „Psychopathy-Konzepts“ erfüllt, das freilich keine klinische diagnostische Einordnung sei. Hinzu komme zunehmend eine haftreaktive wahnhafte Störung (ICD 10 F 22) mit lang andauernden Wahninhalten, die medikamentöser Behandlung nur schwierig zugänglich seien. Paranoider Wahninhalt sei, dass der Verurteilte annehme, von der Justiz bewusst und gezielt und wiederholt bzw. anhaltend zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein. Es trete immer wieder eine sehr abwertende Haltung gegenüber mit ihm in der Justiz befassten Personen zutage, wobei hier auch ausgeprägte aggressive Strebungen (Gereiztheit, laut werden, jedenfalls tendenziell bedrohlich anmutende Gestik) wahrnehmbar seien.
12 
d) Kriminalprognostische Faktoren
13 
Positive kriminalprognostische Faktoren seien, dass Hinweise auf gehäuftes delinquentes Verhalten in der Herkunftsfamilie oder ein „broken home“ nicht vorlägen; dass sich der Verurteilte nicht in Heimen aufgehalten und die Regelschule erfolgreich abgeschlossen habe; und dass im Vollzug der letzten Jahre keine bedeutsamen disziplinarischen Schwierigkeiten aufgetreten seien. Negative kriminalprognostische Faktoren seien, dass der Verurteilte nur eine längere partnerschaftliche Beziehung im Jugendalter, ansonsten nur kurze Beziehungen gehabt habe; dass ab 1967 exzessiver schädlicher Gebrauch von Alkohol aufgetreten sein solle; dass die Delinquenz früh begonnen habe und die Zahl der Vorstrafen hoch gewesen sei, mehrfach gewalttätige Sexualdelikte begangen worden seien, weswegen mehrere Verurteilungen zu Freiheitsstrafe erfolgt seien; dass es ein abwertend negativ geprägtes Frauenbild gebe und der Verurteilte sexuelle Interessen jedenfalls teilweise in brutaler Weise mit nahezu sadistischen Zügen durchgesetzt habe, wobei dem Streben nach Macht und Dominanz wesentliche Bedeutung zukommen dürfte; dass ein paranoider Wahn vorhanden sei, von der Justiz zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein; dass die Basisraten für Rückfälligkeit im Hinblick auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung zwischen 10 % und 25 % lägen und hier individuell erhöht seien; und dass es augenscheinlich unmöglich sei, den Verurteilten in Vollzugslockerungen zu erproben.
14 
3. Als Dezember 2005 die Überprüfung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 67e Abs. 2 StGB anstand, legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn die Akten vor, um über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, und regte an, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Nachdem zahlreiche Versuche gescheitert waren, den Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration zu bewegen, ordnete das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn mit Beschluss vom 03.12.2008, den Verfahrensbeteiligten aufgrund Begleitverfügung vom 26.02.2009 am 27.02.2009 zugestellt, die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ohne Gutachten an. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob der Senat diesen Beschluss mit Beschluss vom 07.08.2009 auf und verwies die Sache an das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn zurück. Es sei unvertretbar und rechtswidrig gewesen, die Frist des § 67e Abs. 2 StGB um drei Jahre zu überschreiten. Die ablehnende Haltung des Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration rechtfertige nicht die gesetzwidrige Fristüberschreitung; in solchen Fällen seien sog. Aktengutachten möglich. Nach Einholung eines solchen Gutachtens, nämlich des oben I. 3. geschilderten Gutachtens, beschloss das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn am 19.03.2010, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung fortzudauern habe, weil ernstlich zu befürchten sei, dass der Verurteilte außerhalb der Justizvollzugsanstalt erneut straffällig werde; das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGRM) vom 17.12.2009 ändere nichts an der Rechtslage, weil es noch nicht rechtskräftig sei. Dagegen hat der Verurteilte durch seine Verteidigerin sofortige Beschwerde eingelegt. Auf Anregung der Verteidigerin hat der Senat mit Beschluss vom 30.04.2010 Dr. R-D S, Zentrum für Psychiatrie Wiesloch, mit der Erstattung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens zur Kriminalprognose des Verurteilten beauftragt. Dieser Auftrag ist ausdrücklich an die nunmehr erklärte Bereitschaft des Verurteilten geknüpft, sich einer eingehenden Exploration durch Dr. S zu unterziehen. Im Falle verweigerter Mitwirkung sei ein weiteres Gutachten nach Aktenlage nicht veranlasst. Das Gutachten liegt noch nicht vor.
15 
4. Mit Faxschreiben vom 12.05.2010 an den Senat im Beschwerdeverfahren beantragt die Verteidigerin des Verurteilten unter Hinweis auf das seit dem 10.05.2010 rechtskräftige Urteil des EGMR vom 17.12.2009 festzustellen, dass die Sicherungsverwahrung erledigt ist, und anzuordnen, dass der Verurteilte aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist.
16 
Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart tritt dem Antrag entgegen, weil das genannte Urteil keine Bindungswirkung habe.
II.
17 
Zwar spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ersten Zehnjahresfrist im Jahr 1998 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 2002 II S. 1054 – MRK) widerspricht (1.). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens aus der Unterbringung zu entlassen wäre (2.).
18 
1. Nach Maßgabe der Entscheidung des EGMR (Kammer der fünften Sektion), Urt. v. 17.12.2009 „M. ./. Deutschland“ – 19359/04 –, NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig aaO. S. 233 ff. spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ursprünglich geltenden Zehnjahresfrist im Jahr 1998 konventionswidrig ist, nämlich Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) und Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) verletzt.
19 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hatte der EGMR über die Beschwerde des Herrn M. zu entscheiden, gegen den 1986 die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war und der nach Ablauf der Zehnjahresfrist für die erstmalige Unterbringung im Jahr 2001 nicht entlassen worden war, weil diese Höchstfrist 1998 fortgefallen ist. Die Kammer stellte einstimmig sowohl eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) als auch des Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) fest und sprach dem Beschwerdeführer in Anwendung des Art. 41 MRK eine Entschädigung von 50.000,- EUR für erlittene Nicht-Vermögensschäden zu. Das Urteil ist gemäß Art. 44 Abs. 2 c) MRK am 10.05.2010 rechtskräftig geworden, nachdem der Antrag der Bundesrepublik Deutschland, die Sache gemäß Art. 43 MRK an die Große Kammer zu verweisen, an diesem Tag von dem Ausschuss der Großen Kammer einstimmig zurückgewiesen worden ist.
20 
b) Die Gründe, aus denen der EGMR eine Rechtfertigung der mit Sicherungsverwahrung verbundenen Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a) MRK abgelehnt hat (Ziff. 87 ff.), treffen im Wesentlichen auch hier zu; insbesondere gilt das für die Bedenken, die der EGMR hinsichtlich der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern (vgl. Ziff. 96 des Urteils) und hinsichtlich des Kausalzusammenhanges (Ziff. 100) sowie der Vorhersehbarkeit (Ziff. 101 des Urteils) angemeldet hat. Bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c) MRK, wonach Freiheitsentziehungen u. a. zulässig sind, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, eine Person an der Begehung einer Straftat zu hindern, muss diese Straftat konkret individualisiert sein (Ziff. 102); gefährliche Personen in Haft zu nehmen, weil ein allgemeiner Verdacht besteht, sie könnten strafbare Handlungen begehen, ist nicht von der Vorschrift gedeckt (EGMR, Urt. v. 06.11.1980 – 7367/76 – Guzzardi ./. Italien, Ziff. 102). Allerdings lässt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e) MRK rechtmäßige Freiheitsentziehungen u. a. auch bei psychisch Kranken zu, was, wie sich aus Ziff. 103 des genannten Urteils ergibt, auch als Rechtfertigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommen kann, und anders als im Fall des Herrn M. ist der hier Verurteilte nach den derzeit vorliegenden Gutachten psychisch krank, leidet nämlich an einer Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F 61.0) und einer wahnhaften Störung (ICD 10 F 22). Jedoch verlangt der EGMR (Urt. v. 20.02.2003 – 50272/99 – Hutchinson Reid ./. Vereinigtes Königreich Ziff. 47 f.) in solchen Fällen grundsätzlich die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer entsprechenden anderen geeigneten Einrichtung und lässt die Unterbringung in einem Gefängnis nur übergangsweise – für wenige Monate – zu (EGMR, Urt. v. 11.05.2004 – 48865/99 – Morsink ./. Niederlande Ziff. 61 ff.; s. weiterhin Urt. v. 11.05.2004 – Brand ./. Niederlande – 49902/99 Ziff. 66).
21 
c) Weiterhin spricht Einiges dafür, dass nach Maßgabe der Gründe des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 (Ziff. 106 ff.) eine Verletzung des in Art. 7 Abs. 1 MRK garantierten Verbots rückwirkender Strafschärfung vorliegt. Die gegen den Verurteilten angeordnete Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgrund des Fortfalls der zum Tatzeitpunkt geltenden Höchstfrist verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 MRK in der durch den EGMR vorgenommenen Auslegung, weil Sicherungsverwahrung als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 MRK zu bewerten sei. Die vom EGMR dazu angestellten Erwägungen treffen weitgehend auch auf den vorliegenden Fall zu. Hier wie dort handelt es sich um einen sog. Zehnjahresfall, in dem die Sicherungsverwahrung erstmalig wegen einer Alttat nach altem Recht beschränkt auf eine Höchstdauer von zehn Jahren angeordnet wurde. Hier wie dort gilt, „dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung“ gab (Ziff. 127). Weder hier noch dort gab es in überzeugendem Ausmaß besondere, auf Sicherungsverwahrte gerichtete Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die zum Ziel hatten, die von ihnen ausgehende Gefahr zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich ist, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (Ziff. 127). Hier wie dort war und ist die Sicherungsverwahrung unbefristet (Ziff. 130), und ihre Fortdauer ist von den Gerichten angeordnet worden, die auch für die Strafvollstreckung zuständig sind (Ziff. 131). Hier wie dort haben die Verurteilten durch die Unterbringung in Sicherungsverwahrung „einen schwerwiegenderen Nachteil erlitten als durch die Freiheitsstrafe selbst“ (Ziff. 132). Allerdings betont der Senat, dass es sich vorliegend – anders als in dem vom EGMR entschiedenen Fall – um einen Verurteilten handelt, der sich über viele Jahre hinweg gegenüber jeglichen therapeutischen Bemühungen oder sonstigen Maßnahmen unter dem Aspekt einer Resozialisierung ablehnend verhalten hat (s. hierzu auch OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 14 f.).
22 
2. Aus einer Konventionswidrigkeit folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne nähere Prüfung allein aufgrund der Entscheidung des EGMR zu entlassen ist.
23 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hat der EGMR eine solche Rechtsfolge nicht aus- oder angesprochen. Auch die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat in ihrem Beschluss vom 19.05.2010 – 2 BvR 769/10 – den Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung, sofort aus der Unterbringung in der Sicherungshaft entlassen zu werden, aufgrund einer Folgenabwägung abgelehnt. Dem Verfahren lag der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 17.05.2010 – 2 Ws 573/09 – zugrunde, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers, ihn im Hinblick auf die Endgültigkeit des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 sofort aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen, abgelehnt wurde. Auch das OLG Celle, Beschluss vom 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – hat die Entlassung eines in Sicherungsverwahrung Untergebrachten abgelehnt. Anders entschieden hat allerdings das Landgericht (LG) Marburg in seinem Beschluss vom 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – im Fall des Herrn M., der dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zugrunde lag; dieser Beschluss ist unbeschadet der dort anders gelagerten Bindungswirkung freilich von der Staatsanwaltschaft angefochten worden. Auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einem Revisionsverfahren, das die allerdings abweichende Fallkonstellation einer nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft, den Betroffenen sofort auf freien Fuß gesetzt (Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09 –; Gründe liegen dem Senat nicht vor).
24 
b) Der Senat bezweifelt, ob völker-, nämlich konventionsrechtlich in Fällen der vorliegenden Art eine Beendigung der Freiheitsentziehung unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens geboten ist.
25 
aa) Allerdings entfaltet das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 für den hier vorliegenden Fall völker- und konventionsrechtlich eine Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Stellen. Diese Bindungswirkung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 46 Abs. 1 MRK, der – in persönlicher Hinsicht – nur eine Bindungswirkung inter partes anordnet. Jedoch handelt es sich vorliegend weitgehend um einen „Parallelfall“, der unter Beachtung der Entscheidungsgründe des EGMR zu beurteilen ist (hierzu eingehend Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15.01.2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009 [19359/04] S. 20-23 mit Nachweisen). In sachlicher Hinsicht beinhaltet die Bindungswirkung, dass die festgestellte Konventionsverletzung, falls sie noch andauert, unverzüglich zu beenden ist (s. nur EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198; BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – [„Görgülü“], BVerfGE 111, 307 [321]). In der Art und Weise, wie die Konventionsverletzung beendet wird, haben die Vertragsstaaten der MRK allerdings grundsätzlich Wahlfreiheit; es ist ihre Sache, jene Mittel zu wählen, die im Rahmen ihrer Rechtsordnung ergriffen werden können und müssen, um den aus einem Urteil des EGMR folgenden Anforderungen zu entsprechen; dabei kann ein Vertragsstaat verpflichtet sein, Hindernisse in seiner Rechtsordnung zu beseitigen, die einer angemessenen Bereinigung der Situation des Beschwerdeführers im Wege stehen (EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 203). Nach diesen Maßstäben ist es völker- und konventionsrechtlich unbedenklich, das beim Senat anhängige Beschwerdeverfahrens fortzuführen: Dieses Verfahren ist das in der deutschen Rechtsordnung vorgesehene Verfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unter Beachtung der MRK und des anwendbaren deutschen Rechts.
26 
bb) Der Umstand, dass die Konventionsverletzung in einer Freiheitsentziehung besteht, ändert in Fällen der vorliegenden Art hieran nichts. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 f. aus:
27 
„Im Falle der Inhaftierung eines Beschwerdeführers entgegen den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 EMRK hat der EGMR festgestellt, dass aus der Feststellung der Konventionsverletzung eine Pflicht zur sofortigen Freilassung des Betroffen folgt. (…) Bei einem Widerspruch der Inhaftierung eines Betroffenen zu den Bestimmungen der Konvention ist keine Alternative zur Freilassung denkbar, um die Konventionsverletzung abzustellen“ (Unterstreichungen vom Senat).
28 
Das überzeugt den Senat für Fälle der vorliegenden Art nicht. Die beiden angeführten Urteile des EGMR, nämlich EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198, 202 f. und Urt. v. 08.07.2004 – 48787/99 – Ilaşcu ./. Moldawien und Russland Ziff. 490, betrafen Fälle, in denen die andauernde Inhaftierung der Beschwerdeführer vor der MRK in keiner Weise (mehr) zu rechtfertigen war und es keines (weiteren) Verfahrens mehr für die Freilassung bedurfte: Herr Ilaşcu war 1992 in Moldawien von Rebellen willkürlich in Haft genommen, gefoltert und von einem verfassungswidrigen Gericht zu Tode verurteilt worden; obwohl das verfassungsgemäße Gericht dieses Urteil 1994 aufgehoben hatte, wurde er erst 2001 auf freien Fuß gesetzt. Herr Assanidze war vom Präsidenten von Georgien begnadigt und von einem Gericht rechtskräftig freigesprochen worden; gleichwohl wurde er weiterhin in Strafhaft gehalten. In solchen Fällen steht außer Frage, dass eine Freilassung „as early as possible“ erfolgen muss; davon unterscheidet sich der Fall, dass in dem verurteilten Vertragsstaat ein Beschwerdeverfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anhängig ist, in dem die Konventionswidrigkeit der Unterbringung ein wesentlicher Verfahrensgegenstand ist.
29 
cc) Im Übrigen ist zu fragen, ob es in Fällen der vorliegenden Art Möglichkeiten gibt, konventionswidrige Zustände auch anders als durch Freilassung der Betroffenen zu beenden. Insoweit gesteht auch Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 in Fn. 17 zu, dass es konventionsgemäße Möglichkeiten geben kann, den Betroffenen nach Freilassung erneut in Haft zu nehmen. Werden solche Möglichkeiten (z. B. nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e) EMRK) unverzüglich genutzt oder geschaffen oder wird die Sicherungsverwahrung unverzüglich in einer Weise umgestaltet, die ihr auch nach den Maßstäben des EGMR-Urteils den „Straf“charakter nimmt, erscheint eine Pflicht, Betroffene zunächst auf freien Fuß zu setzen und ihnen sogleich wieder die Freiheit zu entziehen, nicht als einleuchtend. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Freilassung gegebenenfalls hoch gefährlicher Straftäter ihrerseits eine Konventionsverletzung beinhalten könnte, wenn und soweit es daraufhin zu Straftaten kommt, deren Opfer eine Verletzung der in den Konventionsgarantien mit enthaltenen staatlichen Schutzpflicht geltend machen könnten (vgl. hierzu EGMR [Große Kammer], Urt. v. 24.10.2002 – 37703/97 Mastromatteo ./. Italien Ziff. 67 = NJW 2003, 3259 [3260]; OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 12 f.; s. auch BGH, Urt. v. 09.03.2010 – 1 StR 554/10 – Tz. 68).
30 
c) Selbst wenn es völker- und konventionsrechtlich geboten wäre, eine konventionswidrige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sofort zu beenden, könnte dies nach Auffassung des Senats im derzeitigen innerstaatlichen deutschen Recht weder methodisch vertretbar noch im Einklang mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip umgesetzt werden (im Ergebnis und weithin in der Begründung wie hier OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 7 ff.).
31 
aa) Durch den „Görgülü-Beschluss“ des Zweiten Senats des BVerfG vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 –, BVerfGE 111, 307 sind Art und Umfang der Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR weitgehend geklärt: Deutsche Gerichte haben die Konvention, die formell den Rang einfachen Bundesrechts hat, in der Auslegung durch den EGMR wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfG aaO. S. 317). Insbesondere gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges deutsches Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (BVerfG aaO. S. 323 f.). Hat der EGMR einen Konventionsverstoß der Bundesrepublik Deutschland festgestellt und dauert dieser Verstoß an, so ist die Entscheidung zu berücksichtigen; die Fachgerichte müssen sich mit ihr auseinandersetzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (BVerfG aaO. S. 324). Eine Abweichung kommt insbesondere in Betracht, wenn deutsche Gerichte mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben und sensible Abwägungen zwischen verschiedenen subjektiven Rechtspositionen erforderlich sind; es wäre verfassungsrechtlich problematisch, wenn einer der Grundrechtsträger einen für ihn günstigen Urteilsspruch des EGMR gegen die Bundesrepublik Deutschland erstreitet und deutsche Gerichte diese Entscheidung schematisch anwenden, mit der Folge, dass der insofern „unterlegene“ und möglicherweise nicht im Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligte Grundrechtsträger gar nicht mehr als Verfahrenssubjekt wirksam in Erscheinung treten könnte (BVerfG aaO. S. 326 f.).
32 
bb) Der Senat bezweifelt, dass es eine methodisch vertretbare Auslegung des geltenden StGB gibt, die dazu führt, dass in einem sog. Zehnjahresfall, wie er hier verfahrensgegenständlich ist, im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 ohne Weiteres die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt und der Untergebrachte auf freien Fuß gesetzt werden muss. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO S. 38-48, aus, es sei eine methodisch vertretbare Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB, durch Art. 5 und 7 MRK in der Auslegung durch das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 „gesetzlich“ etwas „anderes bestimmt“ zu sehen. Dann würde für sog. Zehnjahresfälle wie hier das alte Recht gelten, das bei erstmaliger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Höchstfrist von zehn Jahren vorgesehen habe, die im Sinne von § 67d Abs. 4 StGB „abgelaufen“ sei, weshalb die Sicherungsverwahrung erledigt und der Verurteilte zu entlassen sei. Diese Auffassung (in der Sache wohl ebenso LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – S. 16, hier als „verfassungskonforme Auslegung“; zu deren Grenzen, wenn der Wille des Gesetzgebers bestimmt und eindeutig ist, s. aber OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 10 mit Nachw.) verkehrt den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil (ebenso OLG Celle aaO. BU S. 9 f.). Der Gesetzgeber sah Art. 7 MRK gerade nicht als Schranke des § 2 Abs. 6 StGB an (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 108). Vor allem spricht gegen die von Grabenwarter für möglich gehaltene Auslegung das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160): Mit Art. 2 Nr. 2 und 3 dieses Gesetzes wurden an den damaligen Art. 1a EGStGB, der zum neuen Absatz 1 wurde, als neue Absätze 2 und 3 die folgenden Bestimmungen angefügt:
33 
„(2) § 66 Abs. 3 des Strafgesetzbuches findet nur Anwendung, wenn der Täter eine der Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art nach dem 31. Januar 1998 begangen hat.
34 
(3) § 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) findet uneingeschränkt Anwendung.“
35 
Mit dem neuen Art. 1a Abs. 3 EGStGB war ausdrücklich bezweckt, die Änderungen des § 67d StGB „uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen“, was verfassungsrechtlich möglich sei, weil es nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe (s. BT-Drucks. 13/9062 S. 12). Damit ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers, das neue Fristenrecht des § 67d StGB auf Altfälle anzuwenden, sogar Gesetz geworden. Die spätere Streichung der Art. 1a Abs. 2 und 3 EGStGB durch Art. 8 Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 (BGBl. I S. 1838) berührt diesen Willen nicht (ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 9 f.). Denn der Gesetzgeber ging lediglich davon aus, dass die Regelung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG, namentlich den Beschluss vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 verzichtbar erscheine (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 20). Eine Auslegung wie bei Grabenwarter, die alles das überspielt, erscheint methodisch nicht mehr vertretbar.
36 
cc) Zudem ist der Senat der Auffassung, dass eine schematische „Vollstreckung“ des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 in der Weise, dass sog. Zehnjahresfälle nunmehr ohne Weiteres zu entlassen wären, die Frage aufwerfen würde, ob dies mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar wäre. Zwar dürfte es dem deutschen Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt sein, zu dem vor 1998 geltenden Rechtszustand zurückzukehren (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 [187]; s. auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 13 f.). Nach dem nunmehr geltenden Recht, das weder von der MRK noch von dem EGMR-Urteil außer Kraft gesetzt wird, ist aber durch § 67d Abs. 3 StGB den Fachgerichten auch und gerade nach Ablauf der Zehnjahresfrist die der Sicherungsverwahrung immanente sensible Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für die Allgemeinheit andererseits verfassungsrechtlich aufgegeben:
37 
„Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen. Diese Schutzpflicht des Staates ist umso intensiver, je mehr die Gefährdung sich konkretisiert und individualisiert und je stärker sie die Gefährdung elementarer Lebensbereiche betrifft. (…) Hinter dieses öffentliche Interesse tritt das Freiheitsgrundrecht (…) trotz seines hohen Wertes zurück. (…) Der Gesetzgeber (hat) mit der Regelung des § 67d Abs. 3 StGB nicht gegen das freiheitsschützende Übermaßverbot verstoßen. Die inhaltliche Konzeption als Regel-Ausnahme-Vorschrift sowie die flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien für die Betroffenen verschaffen deren Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichende Geltung (…)“ (BVerfG aaO. S. 186 f.).
38 
Eine schematische „Vollstreckung“ des EGMR-Urteils in Gestalt sofortiger Entlassung selbst hoch gefährlicher Untergebrachter brächte diese Abwägung in einer Art und Weise aus dem Gleichgewicht, die verfassungsrechtlich jedenfalls bedenklich wäre und – im Sinne des Monitums des „Görgülü-Beschlusses“ – darauf hinauslaufen würde, dass die schutzwürdige Allgemeinheit und damit nicht am Verfahren vor dem EGMR beteiligte Grundrechtsträger nicht mehr als Verfahrenssubjekte wirksam in Erscheinung treten könnten. Entgegen Kinzig NStZ 2010, 233 (238) beziehen sich dieses Monitum sowie der Vorbehalt betreffend mehrpolige Grundrechtsverhältnisse nicht ausschließlich aufs Privatrecht, sondern auf alle Fälle, in denen staatliche Gerichte „wie im Privatrecht“ mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben (s. BVerfGE 111, 307 [324]; ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 11 f.).
III.
39 
Auch deutsches Verfassungsrecht gebietet nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne weitere inhaltliche Überprüfung aus der Unterbringung zu entlassen wäre.
40 
1. Die vom EGMR als konventionswidrig erkannte geltende deutsche Gesetzeslage ist vom Zweiten Senat des BVerfG in seinem Urteil vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 für verfassungsgemäß erachtet worden. Für sich gesehen ändert das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 hieran nichts. Das Konventionsrecht einerseits und das deutsche Verfassungsrecht andererseits sind nicht deckungsgleich, und der EGMR urteilt nicht nach deutschem Verfassungsrecht.
41 
2. Allerdings beeinflussen die Gewährleistungen der Konvention die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes, und die Rechtsprechung des EGMR dient auch auf der Ebene des Verfassungsrechts als „Auslegungshilfe“ für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern das nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – „Görgülü“, BVerfGE 111, 307 [317]). Der Senat hat daher erwogen, ob im Lichte der Erwägungen, die der EGMR in seinem Urteil vom 17.12.2009 angestellt hat, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des geltenden deutschen Rechts insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 (hierzu BVerfGE 109, 133 [156 ff.]) und auf Art. 103 Abs. 2 GG (hierzu BVerfGE 109, 133 [167 ff.]) anders als in BVerfGE 109, 133 zu beantworten ist. Für das Freiheitsgrundrecht verneint der Senat die Frage, da das jeweilige Schranken- und Schranken-Schranken-Regime zu unterschiedlich ist. Für die Frage des Rückwirkungsverbots und des verfassungsrechtlichen Strafbegriffs sieht der Senat hingegen Erörterungsbedarf. Ihm erscheint aber zweifelhaft, ob das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zu der Annahme zwingt, entgegen BVerfGE 109, 133 (167 ff.) sei Art. 103 Abs. 2 GG verletzt. Diese Verfassungsbestimmung steht in einer bestimmten verfassungs- und einfachrechtlichen Tradition des deutschen Rechts (s. hierzu BVerfG aaO. S. 168 ff.). Ihre traditionell enge Auslegung begründet sich auch aus der grundsätzlichen Absolutheit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots und den hohen Anforderungen an eine parlamentsgesetzliche Strafbarkeitsgrundlage, die sich so nicht bei Art. 7 MRK finden. Zudem kennt das deutsche Verfassungsrecht ein allgemeines rechtsstaatliches Vertrauensschutzgebot, das als verfassungsrechtlicher Auffangtatbestand eingreifen kann (s. hierzu BVerfG aaO. S. 180 ff.) und in der MRK nicht in gleicher Weise ausgeprägt ist. Deshalb ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass er das Gesetzesrecht, aufgrund dessen der Verurteilte sich (noch) in Sicherungsverwahrung befindet, für verfassungswidrig hält, und sieht deshalb von einer Vorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80-82 BVerfGG) ab (s. hierzu auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 8 ff.). Im Übrigen dürfte die Frage in dem beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 769/10 baldiger verfassungsgerichtlicher Klärung zugeführt werden. Der in diesem Verfahren ergangene Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19.05.2010 lässt erstens erkennen, dass die Kammer die verfassungsrechtliche Frage für offen hält, andernfalls sie nicht in eine Folgenabwägung hätte eintreten können, und fasst zweitens die Möglichkeit ins Auge, dass sich das geltende Recht zwar als verfassungswidrig erweisen, es jedoch gleichwohl nicht zu Entlassungen kommen könnte, beispielsweise weil für eine Übergangszeit die ggf. bedingte Fortgeltung des bisherigen Rechts angeordnet werden könnte. Drittens zeigt der Beschluss, dass es im Ergebnis verfassungsrechtlich verantwortbar ist, Verurteilte jedenfalls vorläufig in Sicherungsverwahrung zu belassen. Die Folgenabwägung fällt auch im vorliegenden Fall gegen eine sofortige Entlassung aus: Wäre es bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, den Verurteilten sofort zu entlassen, so würde ihn die hier getroffene Entscheidung in seinem Freiheitsgrundrecht verletzen. Wäre es hingegen auch bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen, und würde der Senat ihn jetzt entlassen, so wäre die Allgemeinheit bis zur Wiederergreifung des Verurteilten nach der derzeitigen Gutachtenlage der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten ausgesetzt, seien es Sexualdelikte, seien es Gewaltdelikte gegen Justizangehörige, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Dann aber muss das Freiheitsgrundrecht jedenfalls bis auf Weiteres zurücktreten.
IV.
42 
Nach alledem ist eine sofortige Entlassung des Verurteilten unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens nicht veranlasst. Das bedeutet freilich nicht, dass die konventionsrechtlichen Vorgaben, wie sie im Urteil des EGMR vom 17.12.2009 enthalten sind, und die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie insbesondere im Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 enthalten sind, nicht zu beachten wären. Im Gegenteil ist es Aufgabe des Senats wie aller nationalen Gerichte, das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 im weiteren Verfahren „in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung“, nämlich das Recht der Sicherungsverwahrung, „einzupassen“ (BVerfGE 111, 307 [327]) und – selbstverständlich – deutsches Verfassungsrecht zur Anwendung zu bringen. Insbesondere wird es geboten sein, etwaige Konventionsverletzungen ausdrücklich festzustellen (vgl. für die konventionswidrige Verfahrensverzögerung BVerfG, Beschl. v. 19.04.1992 – 2 BvR 1487/90, NJW 1993, 3254 [3255]) und das geltende deutsche Recht, insbesondere §§ 67d Abs. 2 und 3, 67e Abs. 1 Satz 1 StGB, auf einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BVerfGE 109, 133 [162 ff.]) im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung konventions- und verfassungskonform (vgl. BVerfG aaO. S. 159, 161) zu handhaben (s. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 12.05.2010 – III-4 Ws 114/10 S. 3 f.).

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

Maßregeln der Besserung und Sicherung sind

1.
die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus,
2.
die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt,
3.
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung,
4.
die Führungsaufsicht,
5.
die Entziehung der Fahrerlaubnis,
6.
das Berufsverbot.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Tenor

Der Antrag des Verurteilten, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären und anzuordnen, dass er aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist, wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

Gründe

 
I.
Der heute 63 Jahre alte Verurteilte ist erstmals mit 21 Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten und vielfach vorbestraft. Seit 1971, also seit seinem 24. Lebensjahr, hat er sich – für den Zeitraum bis 1979 mit einigen Unterbrechungen – in Untersuchungs- oder Strafhaft befunden. Seit 1988 bis heute, also über 21 Jahre lang, ist er in Sicherungsverwahrung untergebracht. Sie beruht auf drei Verurteilungen wegen 1973, 1978 und 1983 begangener schwerer Sexualdelikte.
1. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 25.04.1975 – 1 Kls 30/74 – wurde der Verurteilte wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Entführung gegen den Willen der Entführten, sowie versuchter Vergewaltigung (Tatzeiten: 12.04., 22./23.04. sowie 11.07.1973) zu Einzelstrafen von zwei Jahren, drei Jahren und einem Jahr verurteilt; er verbüßte die Gesamtstrafe von fünf Jahren in der Zeit vom 22.10.1975 bis zum 30.09.1977 und nach Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung vom 12.01.1982 bis 03.09.1983. Sodann wurde er durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.09.1979 – III Kls 21/79 – wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch von Kindern (Tatzeit: 23.12.1978) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt; er verbüßte die Strafe vom 12.01.1979 bis zum 11.01.1982 und vom 04.09.1983 bis zum 25.03.1985. Am 09.01.1983 vergewaltigte er während eines Hafturlaubes in Backnang eine siebzehnjährige Frau, nötigte sie sexuell und würgte und verletzte sie dabei erheblich. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27.09.1985 – 2 Kls 279/84 – verurteilte das Landgericht Stuttgart ihn deshalb wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und ordnete Sicherungsverwahrung an. Das Landgericht stellte eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur und eine sowohl histrionische als auch antisoziale schwere Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB fest, durch welche die Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war. Ein therapeutisches Vorgehen erschien nicht ansatzweise erfolgversprechend, und sämtliche vorherigen Bemühungen waren gescheitert, weshalb eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht kam. Zur Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB a. F. führte das Landgericht u. a. aus:
„In den Straftaten zeigt sich der offensichtliche Hang des Angeklagten, erst nach einer Demonstration der Macht und Stärke zu sexueller Befriedigung zu gelangen. Das Maß der von ihm an seinen Opfern vorgenommenen Gewaltanwendung nimmt stetig zu. Der Angeklagte bricht jeden Widerstand seines Opfers dadurch, dass er es aufs heftigste am Hals würgt oder ihm sonst die Luft nimmt. Wie sein neuerliches Vorgehen gegen die Zeugin (…) zeigt, ist dies für ihn geradezu symptomatisch geworden, weshalb er für die Allgemeinheit eine ganz erhebliche Gefahr darstellt. Angesichts der von den Sachverständigen (…) festgestellten schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit fast zwanghaftem Handeln zur Sicherung seiner Ziele ist von ihm die Begehung künftiger schwerwiegender Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Der Angeklagte ist – wie auch in seinem äußerst aggressiven und feindseligen Verhalten vor und während der Hauptverhandlung immer wieder deutlich wurde – in den Lage, bei einem seiner Vorstellung zuwider laufenden Geschehensablauf in kürzester Zeit Feindbilder aufzubauen und diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es muss deshalb ernsthaft befürchtet werden, dass ein neues Opfer des Angeklagten, welches sich seinen Wünschen widersetzt, möglicherweise sein Leben lassen müsste“ (S. 125 f.).
Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem Urteil vom 27.09.1985 vollständig bis zum 24.09.1988. Mit Beschluss vom 03.08.1988 ordnete das Landgericht Karlsruhe den anschließenden Vollzug der Sicherungsverwahrung an, die nach damaligem Recht bei der ersten Unterbringung höchstens zehn Jahre lang vollzogen werden durfte. Diese Höchstfrist fiel mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) fort. Daher erklärte das Landgericht Freiburg nach Vollzug von zehn Jahren Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 09.03.1999 die Sicherungsverwahrung nicht für erledigt und ordnete deren Fortdauer an. Seitdem befindet sich der Verurteilte ununterbrochen in Sicherungsverwahrung. Insgesamt sind derzeit – im Anschluss an die voll verbüßte Freiheitsstrafe – über 21 Jahre Sicherungsverwahrung vollzogen worden.
2. Der Verurteilte ist vielfach nervenärztlich und kriminalprognostisch begutachtet worden. Allerdings liegt das letzte auf einer eingehenden Exploration des Verurteilten beruhende Gutachten des Dr. H E B, Ärztlicher Direktor des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg, vom 18.08.1999 mittlerweile über 10 Jahre zurück. Seither hat der Verurteilte jeden Versuch einer eingehenden gutachterlichen Untersuchung durch die gerichtlich beauftragten Sachverständigen entschieden abgelehnt. Das derzeit aktuellste jüngste „nervenärztliche Gutachten nach Aktenlage“ des Dr. T H, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt der Klinik für Suchttherapie des Klinikums am W., W., datiert vom 04.02.2010. Diesem Gutachten lässt sich das Folgende entnehmen:
a) Gutachtengrundlage, fehlende Bereitschaft des Verurteilten, sich begutachten zu lassen
Der Verurteilte sei (auch) 2005 bis 2010 nicht bereit gewesen, sich begutachten zu lassen. Deshalb hätten keine Untersuchungen stattfinden können. Es habe mehrere (teils aber recht kurze) persönliche Kontakte gegeben, teils auch im Rahmen von Anhörungen durch die Strafvollstreckungskammer. Das Gutachten beruhe auf einer Aktenauswertung, wobei bestimmte Akten (Gefangenenpersonalakte, Krankenakte) wegen der Weigerung des Verurteilten nicht zugänglich gewesen seien.
b) Verhalten im Vollzug und außerhalb des Vollzugs
In der Justizvollzugsanstalt Freiburg hätten gegen den Verurteilten über längere Zeit besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden müssen. Er habe 1998 seinen Haftraum in Brand gesteckt; gegen die dadurch veranlasste Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er u. a. mit einer Eisenstange Widerstand geleistet. In der Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich damals verfolgt gefühlt und jeden Kontakt mit Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdiensts abgelehnt. Am 30.05.2002 sei in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ein beleidigendes und bedrohliches Verhalten dokumentiert worden. Nach seiner Zurückverlegung in die Justizvollzugsanstalt Freiburg im Jahr 2003 habe er dort einen Löffel verschluckt, und bei einer Kontrolle sei eine Schlinge gefunden worden, mit der er sich habe erhängen wollen. Als er daraufhin in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt werden sollte, habe er die Bediensteten angegriffen und einen von ihnen in den Fuß gebissen; trotz Fesselung habe er das Krankentransportfahrzeug demoliert. Im weiteren Verlauf habe sich das Verhalten des Verurteilten stabilisiert. Nach Wiederverlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich dort disziplinarisch unauffällig oder weitgehend unauffällig verhalten. Nach Auskunft des ärztlichen Dienstes und der Anstaltsärztin passe sich er derzeit gut an, fühle sich in der Justizvollzugsanstalt sogar „glücklich und zufrieden“. Er lasse dabei keinerlei Tendenzen erkennen, dass er sich ein Leben draußen vorstellen könne oder gar wünsche. Hilfreich sei, dass er mittlerweile Psychopharmaka in kleiner Menge einnehme, was ursächlich für seine Stabilisierung sein dürfte. Insgesamt sei laut einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, die allerdings gleichwohl einer Aussetzung der Sicherungsverwahrung mit Nachdruck entgegen getreten sei, seine Verhaltensentwicklung als äußerst positiv zu beurteilen. Allerdings führe er das Leben eines Einzelgängers und habe wenige Kontakte im Vollzug. Mangels Vollzugslockerungen habe eine Erprobung des Verhaltens außerhalb des Vollzugs bislang noch nicht erfolgen können. Ob der Verurteilte überhaupt ein Leben außerhalb des Vollzuges anstrebe, sei nach Eindruck des Gutachters offen.
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c) Psychische bzw. psychiatrische Befunde
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Eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10 F 10.1) sei auch rückblickend nicht ganz eindeutig festzustellen. Eine psychotische Erkrankung im engeren Sinne etwa aus dem schizophrenen Formenkreis könne nicht festgestellt werden, desgleichen keine fixierte sexuelle Devianz bzw. psychosexuelle Störung. Es gebe aber eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (histrionisch-dissozial) (ICD 10 F 61.0) mit dissozialen Persönlichkeitselementen (Mangel an Empathie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Unvermögen zu längerfristigen Beziehungen, niedrige Schwelle für aggressives und auch gewalttätiges Handeln, verminderte Lernfähigkeit, Neigung, andere zu beschuldigen oder eigenes Fehlverhalten zu rationalisieren) und histrionischen Persönlichkeitselementen (theatralisch anmutendes Verhalten, oberflächliche Affektivität, Egozentrik, manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse). Es seien Teilelemente des „Psychopathy-Konzepts“ erfüllt, das freilich keine klinische diagnostische Einordnung sei. Hinzu komme zunehmend eine haftreaktive wahnhafte Störung (ICD 10 F 22) mit lang andauernden Wahninhalten, die medikamentöser Behandlung nur schwierig zugänglich seien. Paranoider Wahninhalt sei, dass der Verurteilte annehme, von der Justiz bewusst und gezielt und wiederholt bzw. anhaltend zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein. Es trete immer wieder eine sehr abwertende Haltung gegenüber mit ihm in der Justiz befassten Personen zutage, wobei hier auch ausgeprägte aggressive Strebungen (Gereiztheit, laut werden, jedenfalls tendenziell bedrohlich anmutende Gestik) wahrnehmbar seien.
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d) Kriminalprognostische Faktoren
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Positive kriminalprognostische Faktoren seien, dass Hinweise auf gehäuftes delinquentes Verhalten in der Herkunftsfamilie oder ein „broken home“ nicht vorlägen; dass sich der Verurteilte nicht in Heimen aufgehalten und die Regelschule erfolgreich abgeschlossen habe; und dass im Vollzug der letzten Jahre keine bedeutsamen disziplinarischen Schwierigkeiten aufgetreten seien. Negative kriminalprognostische Faktoren seien, dass der Verurteilte nur eine längere partnerschaftliche Beziehung im Jugendalter, ansonsten nur kurze Beziehungen gehabt habe; dass ab 1967 exzessiver schädlicher Gebrauch von Alkohol aufgetreten sein solle; dass die Delinquenz früh begonnen habe und die Zahl der Vorstrafen hoch gewesen sei, mehrfach gewalttätige Sexualdelikte begangen worden seien, weswegen mehrere Verurteilungen zu Freiheitsstrafe erfolgt seien; dass es ein abwertend negativ geprägtes Frauenbild gebe und der Verurteilte sexuelle Interessen jedenfalls teilweise in brutaler Weise mit nahezu sadistischen Zügen durchgesetzt habe, wobei dem Streben nach Macht und Dominanz wesentliche Bedeutung zukommen dürfte; dass ein paranoider Wahn vorhanden sei, von der Justiz zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein; dass die Basisraten für Rückfälligkeit im Hinblick auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung zwischen 10 % und 25 % lägen und hier individuell erhöht seien; und dass es augenscheinlich unmöglich sei, den Verurteilten in Vollzugslockerungen zu erproben.
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3. Als Dezember 2005 die Überprüfung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 67e Abs. 2 StGB anstand, legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn die Akten vor, um über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, und regte an, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Nachdem zahlreiche Versuche gescheitert waren, den Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration zu bewegen, ordnete das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn mit Beschluss vom 03.12.2008, den Verfahrensbeteiligten aufgrund Begleitverfügung vom 26.02.2009 am 27.02.2009 zugestellt, die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ohne Gutachten an. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob der Senat diesen Beschluss mit Beschluss vom 07.08.2009 auf und verwies die Sache an das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn zurück. Es sei unvertretbar und rechtswidrig gewesen, die Frist des § 67e Abs. 2 StGB um drei Jahre zu überschreiten. Die ablehnende Haltung des Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration rechtfertige nicht die gesetzwidrige Fristüberschreitung; in solchen Fällen seien sog. Aktengutachten möglich. Nach Einholung eines solchen Gutachtens, nämlich des oben I. 3. geschilderten Gutachtens, beschloss das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn am 19.03.2010, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung fortzudauern habe, weil ernstlich zu befürchten sei, dass der Verurteilte außerhalb der Justizvollzugsanstalt erneut straffällig werde; das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGRM) vom 17.12.2009 ändere nichts an der Rechtslage, weil es noch nicht rechtskräftig sei. Dagegen hat der Verurteilte durch seine Verteidigerin sofortige Beschwerde eingelegt. Auf Anregung der Verteidigerin hat der Senat mit Beschluss vom 30.04.2010 Dr. R-D S, Zentrum für Psychiatrie Wiesloch, mit der Erstattung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens zur Kriminalprognose des Verurteilten beauftragt. Dieser Auftrag ist ausdrücklich an die nunmehr erklärte Bereitschaft des Verurteilten geknüpft, sich einer eingehenden Exploration durch Dr. S zu unterziehen. Im Falle verweigerter Mitwirkung sei ein weiteres Gutachten nach Aktenlage nicht veranlasst. Das Gutachten liegt noch nicht vor.
15 
4. Mit Faxschreiben vom 12.05.2010 an den Senat im Beschwerdeverfahren beantragt die Verteidigerin des Verurteilten unter Hinweis auf das seit dem 10.05.2010 rechtskräftige Urteil des EGMR vom 17.12.2009 festzustellen, dass die Sicherungsverwahrung erledigt ist, und anzuordnen, dass der Verurteilte aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist.
16 
Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart tritt dem Antrag entgegen, weil das genannte Urteil keine Bindungswirkung habe.
II.
17 
Zwar spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ersten Zehnjahresfrist im Jahr 1998 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 2002 II S. 1054 – MRK) widerspricht (1.). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens aus der Unterbringung zu entlassen wäre (2.).
18 
1. Nach Maßgabe der Entscheidung des EGMR (Kammer der fünften Sektion), Urt. v. 17.12.2009 „M. ./. Deutschland“ – 19359/04 –, NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig aaO. S. 233 ff. spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ursprünglich geltenden Zehnjahresfrist im Jahr 1998 konventionswidrig ist, nämlich Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) und Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) verletzt.
19 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hatte der EGMR über die Beschwerde des Herrn M. zu entscheiden, gegen den 1986 die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war und der nach Ablauf der Zehnjahresfrist für die erstmalige Unterbringung im Jahr 2001 nicht entlassen worden war, weil diese Höchstfrist 1998 fortgefallen ist. Die Kammer stellte einstimmig sowohl eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) als auch des Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) fest und sprach dem Beschwerdeführer in Anwendung des Art. 41 MRK eine Entschädigung von 50.000,- EUR für erlittene Nicht-Vermögensschäden zu. Das Urteil ist gemäß Art. 44 Abs. 2 c) MRK am 10.05.2010 rechtskräftig geworden, nachdem der Antrag der Bundesrepublik Deutschland, die Sache gemäß Art. 43 MRK an die Große Kammer zu verweisen, an diesem Tag von dem Ausschuss der Großen Kammer einstimmig zurückgewiesen worden ist.
20 
b) Die Gründe, aus denen der EGMR eine Rechtfertigung der mit Sicherungsverwahrung verbundenen Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a) MRK abgelehnt hat (Ziff. 87 ff.), treffen im Wesentlichen auch hier zu; insbesondere gilt das für die Bedenken, die der EGMR hinsichtlich der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern (vgl. Ziff. 96 des Urteils) und hinsichtlich des Kausalzusammenhanges (Ziff. 100) sowie der Vorhersehbarkeit (Ziff. 101 des Urteils) angemeldet hat. Bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c) MRK, wonach Freiheitsentziehungen u. a. zulässig sind, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, eine Person an der Begehung einer Straftat zu hindern, muss diese Straftat konkret individualisiert sein (Ziff. 102); gefährliche Personen in Haft zu nehmen, weil ein allgemeiner Verdacht besteht, sie könnten strafbare Handlungen begehen, ist nicht von der Vorschrift gedeckt (EGMR, Urt. v. 06.11.1980 – 7367/76 – Guzzardi ./. Italien, Ziff. 102). Allerdings lässt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e) MRK rechtmäßige Freiheitsentziehungen u. a. auch bei psychisch Kranken zu, was, wie sich aus Ziff. 103 des genannten Urteils ergibt, auch als Rechtfertigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommen kann, und anders als im Fall des Herrn M. ist der hier Verurteilte nach den derzeit vorliegenden Gutachten psychisch krank, leidet nämlich an einer Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F 61.0) und einer wahnhaften Störung (ICD 10 F 22). Jedoch verlangt der EGMR (Urt. v. 20.02.2003 – 50272/99 – Hutchinson Reid ./. Vereinigtes Königreich Ziff. 47 f.) in solchen Fällen grundsätzlich die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer entsprechenden anderen geeigneten Einrichtung und lässt die Unterbringung in einem Gefängnis nur übergangsweise – für wenige Monate – zu (EGMR, Urt. v. 11.05.2004 – 48865/99 – Morsink ./. Niederlande Ziff. 61 ff.; s. weiterhin Urt. v. 11.05.2004 – Brand ./. Niederlande – 49902/99 Ziff. 66).
21 
c) Weiterhin spricht Einiges dafür, dass nach Maßgabe der Gründe des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 (Ziff. 106 ff.) eine Verletzung des in Art. 7 Abs. 1 MRK garantierten Verbots rückwirkender Strafschärfung vorliegt. Die gegen den Verurteilten angeordnete Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgrund des Fortfalls der zum Tatzeitpunkt geltenden Höchstfrist verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 MRK in der durch den EGMR vorgenommenen Auslegung, weil Sicherungsverwahrung als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 MRK zu bewerten sei. Die vom EGMR dazu angestellten Erwägungen treffen weitgehend auch auf den vorliegenden Fall zu. Hier wie dort handelt es sich um einen sog. Zehnjahresfall, in dem die Sicherungsverwahrung erstmalig wegen einer Alttat nach altem Recht beschränkt auf eine Höchstdauer von zehn Jahren angeordnet wurde. Hier wie dort gilt, „dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung“ gab (Ziff. 127). Weder hier noch dort gab es in überzeugendem Ausmaß besondere, auf Sicherungsverwahrte gerichtete Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die zum Ziel hatten, die von ihnen ausgehende Gefahr zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich ist, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (Ziff. 127). Hier wie dort war und ist die Sicherungsverwahrung unbefristet (Ziff. 130), und ihre Fortdauer ist von den Gerichten angeordnet worden, die auch für die Strafvollstreckung zuständig sind (Ziff. 131). Hier wie dort haben die Verurteilten durch die Unterbringung in Sicherungsverwahrung „einen schwerwiegenderen Nachteil erlitten als durch die Freiheitsstrafe selbst“ (Ziff. 132). Allerdings betont der Senat, dass es sich vorliegend – anders als in dem vom EGMR entschiedenen Fall – um einen Verurteilten handelt, der sich über viele Jahre hinweg gegenüber jeglichen therapeutischen Bemühungen oder sonstigen Maßnahmen unter dem Aspekt einer Resozialisierung ablehnend verhalten hat (s. hierzu auch OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 14 f.).
22 
2. Aus einer Konventionswidrigkeit folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne nähere Prüfung allein aufgrund der Entscheidung des EGMR zu entlassen ist.
23 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hat der EGMR eine solche Rechtsfolge nicht aus- oder angesprochen. Auch die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat in ihrem Beschluss vom 19.05.2010 – 2 BvR 769/10 – den Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung, sofort aus der Unterbringung in der Sicherungshaft entlassen zu werden, aufgrund einer Folgenabwägung abgelehnt. Dem Verfahren lag der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 17.05.2010 – 2 Ws 573/09 – zugrunde, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers, ihn im Hinblick auf die Endgültigkeit des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 sofort aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen, abgelehnt wurde. Auch das OLG Celle, Beschluss vom 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – hat die Entlassung eines in Sicherungsverwahrung Untergebrachten abgelehnt. Anders entschieden hat allerdings das Landgericht (LG) Marburg in seinem Beschluss vom 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – im Fall des Herrn M., der dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zugrunde lag; dieser Beschluss ist unbeschadet der dort anders gelagerten Bindungswirkung freilich von der Staatsanwaltschaft angefochten worden. Auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einem Revisionsverfahren, das die allerdings abweichende Fallkonstellation einer nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft, den Betroffenen sofort auf freien Fuß gesetzt (Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09 –; Gründe liegen dem Senat nicht vor).
24 
b) Der Senat bezweifelt, ob völker-, nämlich konventionsrechtlich in Fällen der vorliegenden Art eine Beendigung der Freiheitsentziehung unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens geboten ist.
25 
aa) Allerdings entfaltet das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 für den hier vorliegenden Fall völker- und konventionsrechtlich eine Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Stellen. Diese Bindungswirkung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 46 Abs. 1 MRK, der – in persönlicher Hinsicht – nur eine Bindungswirkung inter partes anordnet. Jedoch handelt es sich vorliegend weitgehend um einen „Parallelfall“, der unter Beachtung der Entscheidungsgründe des EGMR zu beurteilen ist (hierzu eingehend Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15.01.2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009 [19359/04] S. 20-23 mit Nachweisen). In sachlicher Hinsicht beinhaltet die Bindungswirkung, dass die festgestellte Konventionsverletzung, falls sie noch andauert, unverzüglich zu beenden ist (s. nur EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198; BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – [„Görgülü“], BVerfGE 111, 307 [321]). In der Art und Weise, wie die Konventionsverletzung beendet wird, haben die Vertragsstaaten der MRK allerdings grundsätzlich Wahlfreiheit; es ist ihre Sache, jene Mittel zu wählen, die im Rahmen ihrer Rechtsordnung ergriffen werden können und müssen, um den aus einem Urteil des EGMR folgenden Anforderungen zu entsprechen; dabei kann ein Vertragsstaat verpflichtet sein, Hindernisse in seiner Rechtsordnung zu beseitigen, die einer angemessenen Bereinigung der Situation des Beschwerdeführers im Wege stehen (EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 203). Nach diesen Maßstäben ist es völker- und konventionsrechtlich unbedenklich, das beim Senat anhängige Beschwerdeverfahrens fortzuführen: Dieses Verfahren ist das in der deutschen Rechtsordnung vorgesehene Verfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unter Beachtung der MRK und des anwendbaren deutschen Rechts.
26 
bb) Der Umstand, dass die Konventionsverletzung in einer Freiheitsentziehung besteht, ändert in Fällen der vorliegenden Art hieran nichts. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 f. aus:
27 
„Im Falle der Inhaftierung eines Beschwerdeführers entgegen den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 EMRK hat der EGMR festgestellt, dass aus der Feststellung der Konventionsverletzung eine Pflicht zur sofortigen Freilassung des Betroffen folgt. (…) Bei einem Widerspruch der Inhaftierung eines Betroffenen zu den Bestimmungen der Konvention ist keine Alternative zur Freilassung denkbar, um die Konventionsverletzung abzustellen“ (Unterstreichungen vom Senat).
28 
Das überzeugt den Senat für Fälle der vorliegenden Art nicht. Die beiden angeführten Urteile des EGMR, nämlich EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198, 202 f. und Urt. v. 08.07.2004 – 48787/99 – Ilaşcu ./. Moldawien und Russland Ziff. 490, betrafen Fälle, in denen die andauernde Inhaftierung der Beschwerdeführer vor der MRK in keiner Weise (mehr) zu rechtfertigen war und es keines (weiteren) Verfahrens mehr für die Freilassung bedurfte: Herr Ilaşcu war 1992 in Moldawien von Rebellen willkürlich in Haft genommen, gefoltert und von einem verfassungswidrigen Gericht zu Tode verurteilt worden; obwohl das verfassungsgemäße Gericht dieses Urteil 1994 aufgehoben hatte, wurde er erst 2001 auf freien Fuß gesetzt. Herr Assanidze war vom Präsidenten von Georgien begnadigt und von einem Gericht rechtskräftig freigesprochen worden; gleichwohl wurde er weiterhin in Strafhaft gehalten. In solchen Fällen steht außer Frage, dass eine Freilassung „as early as possible“ erfolgen muss; davon unterscheidet sich der Fall, dass in dem verurteilten Vertragsstaat ein Beschwerdeverfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anhängig ist, in dem die Konventionswidrigkeit der Unterbringung ein wesentlicher Verfahrensgegenstand ist.
29 
cc) Im Übrigen ist zu fragen, ob es in Fällen der vorliegenden Art Möglichkeiten gibt, konventionswidrige Zustände auch anders als durch Freilassung der Betroffenen zu beenden. Insoweit gesteht auch Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 in Fn. 17 zu, dass es konventionsgemäße Möglichkeiten geben kann, den Betroffenen nach Freilassung erneut in Haft zu nehmen. Werden solche Möglichkeiten (z. B. nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e) EMRK) unverzüglich genutzt oder geschaffen oder wird die Sicherungsverwahrung unverzüglich in einer Weise umgestaltet, die ihr auch nach den Maßstäben des EGMR-Urteils den „Straf“charakter nimmt, erscheint eine Pflicht, Betroffene zunächst auf freien Fuß zu setzen und ihnen sogleich wieder die Freiheit zu entziehen, nicht als einleuchtend. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Freilassung gegebenenfalls hoch gefährlicher Straftäter ihrerseits eine Konventionsverletzung beinhalten könnte, wenn und soweit es daraufhin zu Straftaten kommt, deren Opfer eine Verletzung der in den Konventionsgarantien mit enthaltenen staatlichen Schutzpflicht geltend machen könnten (vgl. hierzu EGMR [Große Kammer], Urt. v. 24.10.2002 – 37703/97 Mastromatteo ./. Italien Ziff. 67 = NJW 2003, 3259 [3260]; OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 12 f.; s. auch BGH, Urt. v. 09.03.2010 – 1 StR 554/10 – Tz. 68).
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c) Selbst wenn es völker- und konventionsrechtlich geboten wäre, eine konventionswidrige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sofort zu beenden, könnte dies nach Auffassung des Senats im derzeitigen innerstaatlichen deutschen Recht weder methodisch vertretbar noch im Einklang mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip umgesetzt werden (im Ergebnis und weithin in der Begründung wie hier OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 7 ff.).
31 
aa) Durch den „Görgülü-Beschluss“ des Zweiten Senats des BVerfG vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 –, BVerfGE 111, 307 sind Art und Umfang der Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR weitgehend geklärt: Deutsche Gerichte haben die Konvention, die formell den Rang einfachen Bundesrechts hat, in der Auslegung durch den EGMR wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfG aaO. S. 317). Insbesondere gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges deutsches Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (BVerfG aaO. S. 323 f.). Hat der EGMR einen Konventionsverstoß der Bundesrepublik Deutschland festgestellt und dauert dieser Verstoß an, so ist die Entscheidung zu berücksichtigen; die Fachgerichte müssen sich mit ihr auseinandersetzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (BVerfG aaO. S. 324). Eine Abweichung kommt insbesondere in Betracht, wenn deutsche Gerichte mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben und sensible Abwägungen zwischen verschiedenen subjektiven Rechtspositionen erforderlich sind; es wäre verfassungsrechtlich problematisch, wenn einer der Grundrechtsträger einen für ihn günstigen Urteilsspruch des EGMR gegen die Bundesrepublik Deutschland erstreitet und deutsche Gerichte diese Entscheidung schematisch anwenden, mit der Folge, dass der insofern „unterlegene“ und möglicherweise nicht im Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligte Grundrechtsträger gar nicht mehr als Verfahrenssubjekt wirksam in Erscheinung treten könnte (BVerfG aaO. S. 326 f.).
32 
bb) Der Senat bezweifelt, dass es eine methodisch vertretbare Auslegung des geltenden StGB gibt, die dazu führt, dass in einem sog. Zehnjahresfall, wie er hier verfahrensgegenständlich ist, im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 ohne Weiteres die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt und der Untergebrachte auf freien Fuß gesetzt werden muss. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO S. 38-48, aus, es sei eine methodisch vertretbare Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB, durch Art. 5 und 7 MRK in der Auslegung durch das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 „gesetzlich“ etwas „anderes bestimmt“ zu sehen. Dann würde für sog. Zehnjahresfälle wie hier das alte Recht gelten, das bei erstmaliger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Höchstfrist von zehn Jahren vorgesehen habe, die im Sinne von § 67d Abs. 4 StGB „abgelaufen“ sei, weshalb die Sicherungsverwahrung erledigt und der Verurteilte zu entlassen sei. Diese Auffassung (in der Sache wohl ebenso LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – S. 16, hier als „verfassungskonforme Auslegung“; zu deren Grenzen, wenn der Wille des Gesetzgebers bestimmt und eindeutig ist, s. aber OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 10 mit Nachw.) verkehrt den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil (ebenso OLG Celle aaO. BU S. 9 f.). Der Gesetzgeber sah Art. 7 MRK gerade nicht als Schranke des § 2 Abs. 6 StGB an (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 108). Vor allem spricht gegen die von Grabenwarter für möglich gehaltene Auslegung das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160): Mit Art. 2 Nr. 2 und 3 dieses Gesetzes wurden an den damaligen Art. 1a EGStGB, der zum neuen Absatz 1 wurde, als neue Absätze 2 und 3 die folgenden Bestimmungen angefügt:
33 
„(2) § 66 Abs. 3 des Strafgesetzbuches findet nur Anwendung, wenn der Täter eine der Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art nach dem 31. Januar 1998 begangen hat.
34 
(3) § 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) findet uneingeschränkt Anwendung.“
35 
Mit dem neuen Art. 1a Abs. 3 EGStGB war ausdrücklich bezweckt, die Änderungen des § 67d StGB „uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen“, was verfassungsrechtlich möglich sei, weil es nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe (s. BT-Drucks. 13/9062 S. 12). Damit ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers, das neue Fristenrecht des § 67d StGB auf Altfälle anzuwenden, sogar Gesetz geworden. Die spätere Streichung der Art. 1a Abs. 2 und 3 EGStGB durch Art. 8 Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 (BGBl. I S. 1838) berührt diesen Willen nicht (ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 9 f.). Denn der Gesetzgeber ging lediglich davon aus, dass die Regelung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG, namentlich den Beschluss vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 verzichtbar erscheine (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 20). Eine Auslegung wie bei Grabenwarter, die alles das überspielt, erscheint methodisch nicht mehr vertretbar.
36 
cc) Zudem ist der Senat der Auffassung, dass eine schematische „Vollstreckung“ des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 in der Weise, dass sog. Zehnjahresfälle nunmehr ohne Weiteres zu entlassen wären, die Frage aufwerfen würde, ob dies mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar wäre. Zwar dürfte es dem deutschen Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt sein, zu dem vor 1998 geltenden Rechtszustand zurückzukehren (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 [187]; s. auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 13 f.). Nach dem nunmehr geltenden Recht, das weder von der MRK noch von dem EGMR-Urteil außer Kraft gesetzt wird, ist aber durch § 67d Abs. 3 StGB den Fachgerichten auch und gerade nach Ablauf der Zehnjahresfrist die der Sicherungsverwahrung immanente sensible Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für die Allgemeinheit andererseits verfassungsrechtlich aufgegeben:
37 
„Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen. Diese Schutzpflicht des Staates ist umso intensiver, je mehr die Gefährdung sich konkretisiert und individualisiert und je stärker sie die Gefährdung elementarer Lebensbereiche betrifft. (…) Hinter dieses öffentliche Interesse tritt das Freiheitsgrundrecht (…) trotz seines hohen Wertes zurück. (…) Der Gesetzgeber (hat) mit der Regelung des § 67d Abs. 3 StGB nicht gegen das freiheitsschützende Übermaßverbot verstoßen. Die inhaltliche Konzeption als Regel-Ausnahme-Vorschrift sowie die flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien für die Betroffenen verschaffen deren Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichende Geltung (…)“ (BVerfG aaO. S. 186 f.).
38 
Eine schematische „Vollstreckung“ des EGMR-Urteils in Gestalt sofortiger Entlassung selbst hoch gefährlicher Untergebrachter brächte diese Abwägung in einer Art und Weise aus dem Gleichgewicht, die verfassungsrechtlich jedenfalls bedenklich wäre und – im Sinne des Monitums des „Görgülü-Beschlusses“ – darauf hinauslaufen würde, dass die schutzwürdige Allgemeinheit und damit nicht am Verfahren vor dem EGMR beteiligte Grundrechtsträger nicht mehr als Verfahrenssubjekte wirksam in Erscheinung treten könnten. Entgegen Kinzig NStZ 2010, 233 (238) beziehen sich dieses Monitum sowie der Vorbehalt betreffend mehrpolige Grundrechtsverhältnisse nicht ausschließlich aufs Privatrecht, sondern auf alle Fälle, in denen staatliche Gerichte „wie im Privatrecht“ mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben (s. BVerfGE 111, 307 [324]; ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 11 f.).
III.
39 
Auch deutsches Verfassungsrecht gebietet nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne weitere inhaltliche Überprüfung aus der Unterbringung zu entlassen wäre.
40 
1. Die vom EGMR als konventionswidrig erkannte geltende deutsche Gesetzeslage ist vom Zweiten Senat des BVerfG in seinem Urteil vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 für verfassungsgemäß erachtet worden. Für sich gesehen ändert das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 hieran nichts. Das Konventionsrecht einerseits und das deutsche Verfassungsrecht andererseits sind nicht deckungsgleich, und der EGMR urteilt nicht nach deutschem Verfassungsrecht.
41 
2. Allerdings beeinflussen die Gewährleistungen der Konvention die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes, und die Rechtsprechung des EGMR dient auch auf der Ebene des Verfassungsrechts als „Auslegungshilfe“ für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern das nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – „Görgülü“, BVerfGE 111, 307 [317]). Der Senat hat daher erwogen, ob im Lichte der Erwägungen, die der EGMR in seinem Urteil vom 17.12.2009 angestellt hat, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des geltenden deutschen Rechts insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 (hierzu BVerfGE 109, 133 [156 ff.]) und auf Art. 103 Abs. 2 GG (hierzu BVerfGE 109, 133 [167 ff.]) anders als in BVerfGE 109, 133 zu beantworten ist. Für das Freiheitsgrundrecht verneint der Senat die Frage, da das jeweilige Schranken- und Schranken-Schranken-Regime zu unterschiedlich ist. Für die Frage des Rückwirkungsverbots und des verfassungsrechtlichen Strafbegriffs sieht der Senat hingegen Erörterungsbedarf. Ihm erscheint aber zweifelhaft, ob das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zu der Annahme zwingt, entgegen BVerfGE 109, 133 (167 ff.) sei Art. 103 Abs. 2 GG verletzt. Diese Verfassungsbestimmung steht in einer bestimmten verfassungs- und einfachrechtlichen Tradition des deutschen Rechts (s. hierzu BVerfG aaO. S. 168 ff.). Ihre traditionell enge Auslegung begründet sich auch aus der grundsätzlichen Absolutheit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots und den hohen Anforderungen an eine parlamentsgesetzliche Strafbarkeitsgrundlage, die sich so nicht bei Art. 7 MRK finden. Zudem kennt das deutsche Verfassungsrecht ein allgemeines rechtsstaatliches Vertrauensschutzgebot, das als verfassungsrechtlicher Auffangtatbestand eingreifen kann (s. hierzu BVerfG aaO. S. 180 ff.) und in der MRK nicht in gleicher Weise ausgeprägt ist. Deshalb ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass er das Gesetzesrecht, aufgrund dessen der Verurteilte sich (noch) in Sicherungsverwahrung befindet, für verfassungswidrig hält, und sieht deshalb von einer Vorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80-82 BVerfGG) ab (s. hierzu auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 8 ff.). Im Übrigen dürfte die Frage in dem beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 769/10 baldiger verfassungsgerichtlicher Klärung zugeführt werden. Der in diesem Verfahren ergangene Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19.05.2010 lässt erstens erkennen, dass die Kammer die verfassungsrechtliche Frage für offen hält, andernfalls sie nicht in eine Folgenabwägung hätte eintreten können, und fasst zweitens die Möglichkeit ins Auge, dass sich das geltende Recht zwar als verfassungswidrig erweisen, es jedoch gleichwohl nicht zu Entlassungen kommen könnte, beispielsweise weil für eine Übergangszeit die ggf. bedingte Fortgeltung des bisherigen Rechts angeordnet werden könnte. Drittens zeigt der Beschluss, dass es im Ergebnis verfassungsrechtlich verantwortbar ist, Verurteilte jedenfalls vorläufig in Sicherungsverwahrung zu belassen. Die Folgenabwägung fällt auch im vorliegenden Fall gegen eine sofortige Entlassung aus: Wäre es bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, den Verurteilten sofort zu entlassen, so würde ihn die hier getroffene Entscheidung in seinem Freiheitsgrundrecht verletzen. Wäre es hingegen auch bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen, und würde der Senat ihn jetzt entlassen, so wäre die Allgemeinheit bis zur Wiederergreifung des Verurteilten nach der derzeitigen Gutachtenlage der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten ausgesetzt, seien es Sexualdelikte, seien es Gewaltdelikte gegen Justizangehörige, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Dann aber muss das Freiheitsgrundrecht jedenfalls bis auf Weiteres zurücktreten.
IV.
42 
Nach alledem ist eine sofortige Entlassung des Verurteilten unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens nicht veranlasst. Das bedeutet freilich nicht, dass die konventionsrechtlichen Vorgaben, wie sie im Urteil des EGMR vom 17.12.2009 enthalten sind, und die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie insbesondere im Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 enthalten sind, nicht zu beachten wären. Im Gegenteil ist es Aufgabe des Senats wie aller nationalen Gerichte, das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 im weiteren Verfahren „in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung“, nämlich das Recht der Sicherungsverwahrung, „einzupassen“ (BVerfGE 111, 307 [327]) und – selbstverständlich – deutsches Verfassungsrecht zur Anwendung zu bringen. Insbesondere wird es geboten sein, etwaige Konventionsverletzungen ausdrücklich festzustellen (vgl. für die konventionswidrige Verfahrensverzögerung BVerfG, Beschl. v. 19.04.1992 – 2 BvR 1487/90, NJW 1993, 3254 [3255]) und das geltende deutsche Recht, insbesondere §§ 67d Abs. 2 und 3, 67e Abs. 1 Satz 1 StGB, auf einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BVerfGE 109, 133 [162 ff.]) im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung konventions- und verfassungskonform (vgl. BVerfG aaO. S. 159, 161) zu handhaben (s. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 12.05.2010 – III-4 Ws 114/10 S. 3 f.).

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

Tenor

Der Antrag des Verurteilten, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären und anzuordnen, dass er aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist, wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

Gründe

 
I.
Der heute 63 Jahre alte Verurteilte ist erstmals mit 21 Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten und vielfach vorbestraft. Seit 1971, also seit seinem 24. Lebensjahr, hat er sich – für den Zeitraum bis 1979 mit einigen Unterbrechungen – in Untersuchungs- oder Strafhaft befunden. Seit 1988 bis heute, also über 21 Jahre lang, ist er in Sicherungsverwahrung untergebracht. Sie beruht auf drei Verurteilungen wegen 1973, 1978 und 1983 begangener schwerer Sexualdelikte.
1. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 25.04.1975 – 1 Kls 30/74 – wurde der Verurteilte wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Entführung gegen den Willen der Entführten, sowie versuchter Vergewaltigung (Tatzeiten: 12.04., 22./23.04. sowie 11.07.1973) zu Einzelstrafen von zwei Jahren, drei Jahren und einem Jahr verurteilt; er verbüßte die Gesamtstrafe von fünf Jahren in der Zeit vom 22.10.1975 bis zum 30.09.1977 und nach Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung vom 12.01.1982 bis 03.09.1983. Sodann wurde er durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.09.1979 – III Kls 21/79 – wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch von Kindern (Tatzeit: 23.12.1978) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt; er verbüßte die Strafe vom 12.01.1979 bis zum 11.01.1982 und vom 04.09.1983 bis zum 25.03.1985. Am 09.01.1983 vergewaltigte er während eines Hafturlaubes in Backnang eine siebzehnjährige Frau, nötigte sie sexuell und würgte und verletzte sie dabei erheblich. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27.09.1985 – 2 Kls 279/84 – verurteilte das Landgericht Stuttgart ihn deshalb wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und ordnete Sicherungsverwahrung an. Das Landgericht stellte eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur und eine sowohl histrionische als auch antisoziale schwere Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB fest, durch welche die Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war. Ein therapeutisches Vorgehen erschien nicht ansatzweise erfolgversprechend, und sämtliche vorherigen Bemühungen waren gescheitert, weshalb eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht kam. Zur Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB a. F. führte das Landgericht u. a. aus:
„In den Straftaten zeigt sich der offensichtliche Hang des Angeklagten, erst nach einer Demonstration der Macht und Stärke zu sexueller Befriedigung zu gelangen. Das Maß der von ihm an seinen Opfern vorgenommenen Gewaltanwendung nimmt stetig zu. Der Angeklagte bricht jeden Widerstand seines Opfers dadurch, dass er es aufs heftigste am Hals würgt oder ihm sonst die Luft nimmt. Wie sein neuerliches Vorgehen gegen die Zeugin (…) zeigt, ist dies für ihn geradezu symptomatisch geworden, weshalb er für die Allgemeinheit eine ganz erhebliche Gefahr darstellt. Angesichts der von den Sachverständigen (…) festgestellten schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit fast zwanghaftem Handeln zur Sicherung seiner Ziele ist von ihm die Begehung künftiger schwerwiegender Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Der Angeklagte ist – wie auch in seinem äußerst aggressiven und feindseligen Verhalten vor und während der Hauptverhandlung immer wieder deutlich wurde – in den Lage, bei einem seiner Vorstellung zuwider laufenden Geschehensablauf in kürzester Zeit Feindbilder aufzubauen und diese mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Es muss deshalb ernsthaft befürchtet werden, dass ein neues Opfer des Angeklagten, welches sich seinen Wünschen widersetzt, möglicherweise sein Leben lassen müsste“ (S. 125 f.).
Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem Urteil vom 27.09.1985 vollständig bis zum 24.09.1988. Mit Beschluss vom 03.08.1988 ordnete das Landgericht Karlsruhe den anschließenden Vollzug der Sicherungsverwahrung an, die nach damaligem Recht bei der ersten Unterbringung höchstens zehn Jahre lang vollzogen werden durfte. Diese Höchstfrist fiel mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) fort. Daher erklärte das Landgericht Freiburg nach Vollzug von zehn Jahren Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 09.03.1999 die Sicherungsverwahrung nicht für erledigt und ordnete deren Fortdauer an. Seitdem befindet sich der Verurteilte ununterbrochen in Sicherungsverwahrung. Insgesamt sind derzeit – im Anschluss an die voll verbüßte Freiheitsstrafe – über 21 Jahre Sicherungsverwahrung vollzogen worden.
2. Der Verurteilte ist vielfach nervenärztlich und kriminalprognostisch begutachtet worden. Allerdings liegt das letzte auf einer eingehenden Exploration des Verurteilten beruhende Gutachten des Dr. H E B, Ärztlicher Direktor des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg, vom 18.08.1999 mittlerweile über 10 Jahre zurück. Seither hat der Verurteilte jeden Versuch einer eingehenden gutachterlichen Untersuchung durch die gerichtlich beauftragten Sachverständigen entschieden abgelehnt. Das derzeit aktuellste jüngste „nervenärztliche Gutachten nach Aktenlage“ des Dr. T H, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt der Klinik für Suchttherapie des Klinikums am W., W., datiert vom 04.02.2010. Diesem Gutachten lässt sich das Folgende entnehmen:
a) Gutachtengrundlage, fehlende Bereitschaft des Verurteilten, sich begutachten zu lassen
Der Verurteilte sei (auch) 2005 bis 2010 nicht bereit gewesen, sich begutachten zu lassen. Deshalb hätten keine Untersuchungen stattfinden können. Es habe mehrere (teils aber recht kurze) persönliche Kontakte gegeben, teils auch im Rahmen von Anhörungen durch die Strafvollstreckungskammer. Das Gutachten beruhe auf einer Aktenauswertung, wobei bestimmte Akten (Gefangenenpersonalakte, Krankenakte) wegen der Weigerung des Verurteilten nicht zugänglich gewesen seien.
b) Verhalten im Vollzug und außerhalb des Vollzugs
In der Justizvollzugsanstalt Freiburg hätten gegen den Verurteilten über längere Zeit besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden müssen. Er habe 1998 seinen Haftraum in Brand gesteckt; gegen die dadurch veranlasste Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er u. a. mit einer Eisenstange Widerstand geleistet. In der Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich damals verfolgt gefühlt und jeden Kontakt mit Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdiensts abgelehnt. Am 30.05.2002 sei in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ein beleidigendes und bedrohliches Verhalten dokumentiert worden. Nach seiner Zurückverlegung in die Justizvollzugsanstalt Freiburg im Jahr 2003 habe er dort einen Löffel verschluckt, und bei einer Kontrolle sei eine Schlinge gefunden worden, mit der er sich habe erhängen wollen. Als er daraufhin in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt werden sollte, habe er die Bediensteten angegriffen und einen von ihnen in den Fuß gebissen; trotz Fesselung habe er das Krankentransportfahrzeug demoliert. Im weiteren Verlauf habe sich das Verhalten des Verurteilten stabilisiert. Nach Wiederverlegung in die Justizvollzugsanstalt Heilbronn habe er sich dort disziplinarisch unauffällig oder weitgehend unauffällig verhalten. Nach Auskunft des ärztlichen Dienstes und der Anstaltsärztin passe sich er derzeit gut an, fühle sich in der Justizvollzugsanstalt sogar „glücklich und zufrieden“. Er lasse dabei keinerlei Tendenzen erkennen, dass er sich ein Leben draußen vorstellen könne oder gar wünsche. Hilfreich sei, dass er mittlerweile Psychopharmaka in kleiner Menge einnehme, was ursächlich für seine Stabilisierung sein dürfte. Insgesamt sei laut einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, die allerdings gleichwohl einer Aussetzung der Sicherungsverwahrung mit Nachdruck entgegen getreten sei, seine Verhaltensentwicklung als äußerst positiv zu beurteilen. Allerdings führe er das Leben eines Einzelgängers und habe wenige Kontakte im Vollzug. Mangels Vollzugslockerungen habe eine Erprobung des Verhaltens außerhalb des Vollzugs bislang noch nicht erfolgen können. Ob der Verurteilte überhaupt ein Leben außerhalb des Vollzuges anstrebe, sei nach Eindruck des Gutachters offen.
10 
c) Psychische bzw. psychiatrische Befunde
11 
Eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10 F 10.1) sei auch rückblickend nicht ganz eindeutig festzustellen. Eine psychotische Erkrankung im engeren Sinne etwa aus dem schizophrenen Formenkreis könne nicht festgestellt werden, desgleichen keine fixierte sexuelle Devianz bzw. psychosexuelle Störung. Es gebe aber eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (histrionisch-dissozial) (ICD 10 F 61.0) mit dissozialen Persönlichkeitselementen (Mangel an Empathie, deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Normen, Unvermögen zu längerfristigen Beziehungen, niedrige Schwelle für aggressives und auch gewalttätiges Handeln, verminderte Lernfähigkeit, Neigung, andere zu beschuldigen oder eigenes Fehlverhalten zu rationalisieren) und histrionischen Persönlichkeitselementen (theatralisch anmutendes Verhalten, oberflächliche Affektivität, Egozentrik, manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse). Es seien Teilelemente des „Psychopathy-Konzepts“ erfüllt, das freilich keine klinische diagnostische Einordnung sei. Hinzu komme zunehmend eine haftreaktive wahnhafte Störung (ICD 10 F 22) mit lang andauernden Wahninhalten, die medikamentöser Behandlung nur schwierig zugänglich seien. Paranoider Wahninhalt sei, dass der Verurteilte annehme, von der Justiz bewusst und gezielt und wiederholt bzw. anhaltend zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein. Es trete immer wieder eine sehr abwertende Haltung gegenüber mit ihm in der Justiz befassten Personen zutage, wobei hier auch ausgeprägte aggressive Strebungen (Gereiztheit, laut werden, jedenfalls tendenziell bedrohlich anmutende Gestik) wahrnehmbar seien.
12 
d) Kriminalprognostische Faktoren
13 
Positive kriminalprognostische Faktoren seien, dass Hinweise auf gehäuftes delinquentes Verhalten in der Herkunftsfamilie oder ein „broken home“ nicht vorlägen; dass sich der Verurteilte nicht in Heimen aufgehalten und die Regelschule erfolgreich abgeschlossen habe; und dass im Vollzug der letzten Jahre keine bedeutsamen disziplinarischen Schwierigkeiten aufgetreten seien. Negative kriminalprognostische Faktoren seien, dass der Verurteilte nur eine längere partnerschaftliche Beziehung im Jugendalter, ansonsten nur kurze Beziehungen gehabt habe; dass ab 1967 exzessiver schädlicher Gebrauch von Alkohol aufgetreten sein solle; dass die Delinquenz früh begonnen habe und die Zahl der Vorstrafen hoch gewesen sei, mehrfach gewalttätige Sexualdelikte begangen worden seien, weswegen mehrere Verurteilungen zu Freiheitsstrafe erfolgt seien; dass es ein abwertend negativ geprägtes Frauenbild gebe und der Verurteilte sexuelle Interessen jedenfalls teilweise in brutaler Weise mit nahezu sadistischen Zügen durchgesetzt habe, wobei dem Streben nach Macht und Dominanz wesentliche Bedeutung zukommen dürfte; dass ein paranoider Wahn vorhanden sei, von der Justiz zu Unrecht verurteilt und inhaftiert worden zu sein; dass die Basisraten für Rückfälligkeit im Hinblick auf Vergewaltigung und sexuelle Nötigung zwischen 10 % und 25 % lägen und hier individuell erhöht seien; und dass es augenscheinlich unmöglich sei, den Verurteilten in Vollzugslockerungen zu erproben.
14 
3. Als Dezember 2005 die Überprüfung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 67e Abs. 2 StGB anstand, legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn die Akten vor, um über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, und regte an, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Nachdem zahlreiche Versuche gescheitert waren, den Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration zu bewegen, ordnete das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn mit Beschluss vom 03.12.2008, den Verfahrensbeteiligten aufgrund Begleitverfügung vom 26.02.2009 am 27.02.2009 zugestellt, die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ohne Gutachten an. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob der Senat diesen Beschluss mit Beschluss vom 07.08.2009 auf und verwies die Sache an das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn zurück. Es sei unvertretbar und rechtswidrig gewesen, die Frist des § 67e Abs. 2 StGB um drei Jahre zu überschreiten. Die ablehnende Haltung des Verurteilten zu einer psychiatrischen Exploration rechtfertige nicht die gesetzwidrige Fristüberschreitung; in solchen Fällen seien sog. Aktengutachten möglich. Nach Einholung eines solchen Gutachtens, nämlich des oben I. 3. geschilderten Gutachtens, beschloss das Landgericht – Strafvollstreckungskammer – Heilbronn am 19.03.2010, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung fortzudauern habe, weil ernstlich zu befürchten sei, dass der Verurteilte außerhalb der Justizvollzugsanstalt erneut straffällig werde; das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGRM) vom 17.12.2009 ändere nichts an der Rechtslage, weil es noch nicht rechtskräftig sei. Dagegen hat der Verurteilte durch seine Verteidigerin sofortige Beschwerde eingelegt. Auf Anregung der Verteidigerin hat der Senat mit Beschluss vom 30.04.2010 Dr. R-D S, Zentrum für Psychiatrie Wiesloch, mit der Erstattung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens zur Kriminalprognose des Verurteilten beauftragt. Dieser Auftrag ist ausdrücklich an die nunmehr erklärte Bereitschaft des Verurteilten geknüpft, sich einer eingehenden Exploration durch Dr. S zu unterziehen. Im Falle verweigerter Mitwirkung sei ein weiteres Gutachten nach Aktenlage nicht veranlasst. Das Gutachten liegt noch nicht vor.
15 
4. Mit Faxschreiben vom 12.05.2010 an den Senat im Beschwerdeverfahren beantragt die Verteidigerin des Verurteilten unter Hinweis auf das seit dem 10.05.2010 rechtskräftige Urteil des EGMR vom 17.12.2009 festzustellen, dass die Sicherungsverwahrung erledigt ist, und anzuordnen, dass der Verurteilte aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen ist.
16 
Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart tritt dem Antrag entgegen, weil das genannte Urteil keine Bindungswirkung habe.
II.
17 
Zwar spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ersten Zehnjahresfrist im Jahr 1998 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 2002 II S. 1054 – MRK) widerspricht (1.). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens aus der Unterbringung zu entlassen wäre (2.).
18 
1. Nach Maßgabe der Entscheidung des EGMR (Kammer der fünften Sektion), Urt. v. 17.12.2009 „M. ./. Deutschland“ – 19359/04 –, NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig aaO. S. 233 ff. spricht Einiges dafür, dass die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung seit Ablauf der ursprünglich geltenden Zehnjahresfrist im Jahr 1998 konventionswidrig ist, nämlich Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) und Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) verletzt.
19 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hatte der EGMR über die Beschwerde des Herrn M. zu entscheiden, gegen den 1986 die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war und der nach Ablauf der Zehnjahresfrist für die erstmalige Unterbringung im Jahr 2001 nicht entlassen worden war, weil diese Höchstfrist 1998 fortgefallen ist. Die Kammer stellte einstimmig sowohl eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 MRK (Recht auf Freiheit) als auch des Art. 7 Abs. 1 MRK (keine Strafe ohne Gesetz) fest und sprach dem Beschwerdeführer in Anwendung des Art. 41 MRK eine Entschädigung von 50.000,- EUR für erlittene Nicht-Vermögensschäden zu. Das Urteil ist gemäß Art. 44 Abs. 2 c) MRK am 10.05.2010 rechtskräftig geworden, nachdem der Antrag der Bundesrepublik Deutschland, die Sache gemäß Art. 43 MRK an die Große Kammer zu verweisen, an diesem Tag von dem Ausschuss der Großen Kammer einstimmig zurückgewiesen worden ist.
20 
b) Die Gründe, aus denen der EGMR eine Rechtfertigung der mit Sicherungsverwahrung verbundenen Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a) MRK abgelehnt hat (Ziff. 87 ff.), treffen im Wesentlichen auch hier zu; insbesondere gilt das für die Bedenken, die der EGMR hinsichtlich der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern (vgl. Ziff. 96 des Urteils) und hinsichtlich des Kausalzusammenhanges (Ziff. 100) sowie der Vorhersehbarkeit (Ziff. 101 des Urteils) angemeldet hat. Bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe c) MRK, wonach Freiheitsentziehungen u. a. zulässig sind, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, eine Person an der Begehung einer Straftat zu hindern, muss diese Straftat konkret individualisiert sein (Ziff. 102); gefährliche Personen in Haft zu nehmen, weil ein allgemeiner Verdacht besteht, sie könnten strafbare Handlungen begehen, ist nicht von der Vorschrift gedeckt (EGMR, Urt. v. 06.11.1980 – 7367/76 – Guzzardi ./. Italien, Ziff. 102). Allerdings lässt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e) MRK rechtmäßige Freiheitsentziehungen u. a. auch bei psychisch Kranken zu, was, wie sich aus Ziff. 103 des genannten Urteils ergibt, auch als Rechtfertigung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommen kann, und anders als im Fall des Herrn M. ist der hier Verurteilte nach den derzeit vorliegenden Gutachten psychisch krank, leidet nämlich an einer Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F 61.0) und einer wahnhaften Störung (ICD 10 F 22). Jedoch verlangt der EGMR (Urt. v. 20.02.2003 – 50272/99 – Hutchinson Reid ./. Vereinigtes Königreich Ziff. 47 f.) in solchen Fällen grundsätzlich die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer entsprechenden anderen geeigneten Einrichtung und lässt die Unterbringung in einem Gefängnis nur übergangsweise – für wenige Monate – zu (EGMR, Urt. v. 11.05.2004 – 48865/99 – Morsink ./. Niederlande Ziff. 61 ff.; s. weiterhin Urt. v. 11.05.2004 – Brand ./. Niederlande – 49902/99 Ziff. 66).
21 
c) Weiterhin spricht Einiges dafür, dass nach Maßgabe der Gründe des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 (Ziff. 106 ff.) eine Verletzung des in Art. 7 Abs. 1 MRK garantierten Verbots rückwirkender Strafschärfung vorliegt. Die gegen den Verurteilten angeordnete Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgrund des Fortfalls der zum Tatzeitpunkt geltenden Höchstfrist verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 MRK in der durch den EGMR vorgenommenen Auslegung, weil Sicherungsverwahrung als „Strafe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 MRK zu bewerten sei. Die vom EGMR dazu angestellten Erwägungen treffen weitgehend auch auf den vorliegenden Fall zu. Hier wie dort handelt es sich um einen sog. Zehnjahresfall, in dem die Sicherungsverwahrung erstmalig wegen einer Alttat nach altem Recht beschränkt auf eine Höchstdauer von zehn Jahren angeordnet wurde. Hier wie dort gilt, „dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem Vollzug einer angeordneten Sicherungsverwahrung“ gab (Ziff. 127). Weder hier noch dort gab es in überzeugendem Ausmaß besondere, auf Sicherungsverwahrte gerichtete Maßnahmen, Instrumente oder Einrichtungen, die zum Ziel hatten, die von ihnen ausgehende Gefahr zu verringern und damit ihre Haft auf die Dauer zu beschränken, die unbedingt erforderlich ist, um sie von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (Ziff. 127). Hier wie dort war und ist die Sicherungsverwahrung unbefristet (Ziff. 130), und ihre Fortdauer ist von den Gerichten angeordnet worden, die auch für die Strafvollstreckung zuständig sind (Ziff. 131). Hier wie dort haben die Verurteilten durch die Unterbringung in Sicherungsverwahrung „einen schwerwiegenderen Nachteil erlitten als durch die Freiheitsstrafe selbst“ (Ziff. 132). Allerdings betont der Senat, dass es sich vorliegend – anders als in dem vom EGMR entschiedenen Fall – um einen Verurteilten handelt, der sich über viele Jahre hinweg gegenüber jeglichen therapeutischen Bemühungen oder sonstigen Maßnahmen unter dem Aspekt einer Resozialisierung ablehnend verhalten hat (s. hierzu auch OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 14 f.).
22 
2. Aus einer Konventionswidrigkeit folgt jedoch nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne nähere Prüfung allein aufgrund der Entscheidung des EGMR zu entlassen ist.
23 
a) In seinem Urteil vom 17.12.2009 hat der EGMR eine solche Rechtsfolge nicht aus- oder angesprochen. Auch die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat in ihrem Beschluss vom 19.05.2010 – 2 BvR 769/10 – den Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung, sofort aus der Unterbringung in der Sicherungshaft entlassen zu werden, aufgrund einer Folgenabwägung abgelehnt. Dem Verfahren lag der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 17.05.2010 – 2 Ws 573/09 – zugrunde, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers, ihn im Hinblick auf die Endgültigkeit des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 sofort aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen, abgelehnt wurde. Auch das OLG Celle, Beschluss vom 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – hat die Entlassung eines in Sicherungsverwahrung Untergebrachten abgelehnt. Anders entschieden hat allerdings das Landgericht (LG) Marburg in seinem Beschluss vom 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – im Fall des Herrn M., der dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zugrunde lag; dieser Beschluss ist unbeschadet der dort anders gelagerten Bindungswirkung freilich von der Staatsanwaltschaft angefochten worden. Auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in einem Revisionsverfahren, das die allerdings abweichende Fallkonstellation einer nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft, den Betroffenen sofort auf freien Fuß gesetzt (Beschl. v. 12.05.2010 – 4 StR 577/09 –; Gründe liegen dem Senat nicht vor).
24 
b) Der Senat bezweifelt, ob völker-, nämlich konventionsrechtlich in Fällen der vorliegenden Art eine Beendigung der Freiheitsentziehung unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens geboten ist.
25 
aa) Allerdings entfaltet das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 für den hier vorliegenden Fall völker- und konventionsrechtlich eine Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Stellen. Diese Bindungswirkung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 46 Abs. 1 MRK, der – in persönlicher Hinsicht – nur eine Bindungswirkung inter partes anordnet. Jedoch handelt es sich vorliegend weitgehend um einen „Parallelfall“, der unter Beachtung der Entscheidungsgründe des EGMR zu beurteilen ist (hierzu eingehend Grabenwarter, Rechtsgutachten vom 15.01.2010 zu den Rechtsfolgen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009 [19359/04] S. 20-23 mit Nachweisen). In sachlicher Hinsicht beinhaltet die Bindungswirkung, dass die festgestellte Konventionsverletzung, falls sie noch andauert, unverzüglich zu beenden ist (s. nur EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198; BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – [„Görgülü“], BVerfGE 111, 307 [321]). In der Art und Weise, wie die Konventionsverletzung beendet wird, haben die Vertragsstaaten der MRK allerdings grundsätzlich Wahlfreiheit; es ist ihre Sache, jene Mittel zu wählen, die im Rahmen ihrer Rechtsordnung ergriffen werden können und müssen, um den aus einem Urteil des EGMR folgenden Anforderungen zu entsprechen; dabei kann ein Vertragsstaat verpflichtet sein, Hindernisse in seiner Rechtsordnung zu beseitigen, die einer angemessenen Bereinigung der Situation des Beschwerdeführers im Wege stehen (EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 203). Nach diesen Maßstäben ist es völker- und konventionsrechtlich unbedenklich, das beim Senat anhängige Beschwerdeverfahrens fortzuführen: Dieses Verfahren ist das in der deutschen Rechtsordnung vorgesehene Verfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unter Beachtung der MRK und des anwendbaren deutschen Rechts.
26 
bb) Der Umstand, dass die Konventionsverletzung in einer Freiheitsentziehung besteht, ändert in Fällen der vorliegenden Art hieran nichts. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 f. aus:
27 
„Im Falle der Inhaftierung eines Beschwerdeführers entgegen den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 EMRK hat der EGMR festgestellt, dass aus der Feststellung der Konventionsverletzung eine Pflicht zur sofortigen Freilassung des Betroffen folgt. (…) Bei einem Widerspruch der Inhaftierung eines Betroffenen zu den Bestimmungen der Konvention ist keine Alternative zur Freilassung denkbar, um die Konventionsverletzung abzustellen“ (Unterstreichungen vom Senat).
28 
Das überzeugt den Senat für Fälle der vorliegenden Art nicht. Die beiden angeführten Urteile des EGMR, nämlich EGMR [Große Kammer], Urt. v. 08.04.2004 – 71503/01 – Assanidze ./. Georgien Ziff. 198, 202 f. und Urt. v. 08.07.2004 – 48787/99 – Ilaşcu ./. Moldawien und Russland Ziff. 490, betrafen Fälle, in denen die andauernde Inhaftierung der Beschwerdeführer vor der MRK in keiner Weise (mehr) zu rechtfertigen war und es keines (weiteren) Verfahrens mehr für die Freilassung bedurfte: Herr Ilaşcu war 1992 in Moldawien von Rebellen willkürlich in Haft genommen, gefoltert und von einem verfassungswidrigen Gericht zu Tode verurteilt worden; obwohl das verfassungsgemäße Gericht dieses Urteil 1994 aufgehoben hatte, wurde er erst 2001 auf freien Fuß gesetzt. Herr Assanidze war vom Präsidenten von Georgien begnadigt und von einem Gericht rechtskräftig freigesprochen worden; gleichwohl wurde er weiterhin in Strafhaft gehalten. In solchen Fällen steht außer Frage, dass eine Freilassung „as early as possible“ erfolgen muss; davon unterscheidet sich der Fall, dass in dem verurteilten Vertragsstaat ein Beschwerdeverfahren zur Überprüfung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anhängig ist, in dem die Konventionswidrigkeit der Unterbringung ein wesentlicher Verfahrensgegenstand ist.
29 
cc) Im Übrigen ist zu fragen, ob es in Fällen der vorliegenden Art Möglichkeiten gibt, konventionswidrige Zustände auch anders als durch Freilassung der Betroffenen zu beenden. Insoweit gesteht auch Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO. S. 18 in Fn. 17 zu, dass es konventionsgemäße Möglichkeiten geben kann, den Betroffenen nach Freilassung erneut in Haft zu nehmen. Werden solche Möglichkeiten (z. B. nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e) EMRK) unverzüglich genutzt oder geschaffen oder wird die Sicherungsverwahrung unverzüglich in einer Weise umgestaltet, die ihr auch nach den Maßstäben des EGMR-Urteils den „Straf“charakter nimmt, erscheint eine Pflicht, Betroffene zunächst auf freien Fuß zu setzen und ihnen sogleich wieder die Freiheit zu entziehen, nicht als einleuchtend. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass die Freilassung gegebenenfalls hoch gefährlicher Straftäter ihrerseits eine Konventionsverletzung beinhalten könnte, wenn und soweit es daraufhin zu Straftaten kommt, deren Opfer eine Verletzung der in den Konventionsgarantien mit enthaltenen staatlichen Schutzpflicht geltend machen könnten (vgl. hierzu EGMR [Große Kammer], Urt. v. 24.10.2002 – 37703/97 Mastromatteo ./. Italien Ziff. 67 = NJW 2003, 3259 [3260]; OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 12 f.; s. auch BGH, Urt. v. 09.03.2010 – 1 StR 554/10 – Tz. 68).
30 
c) Selbst wenn es völker- und konventionsrechtlich geboten wäre, eine konventionswidrige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sofort zu beenden, könnte dies nach Auffassung des Senats im derzeitigen innerstaatlichen deutschen Recht weder methodisch vertretbar noch im Einklang mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip umgesetzt werden (im Ergebnis und weithin in der Begründung wie hier OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 7 ff.).
31 
aa) Durch den „Görgülü-Beschluss“ des Zweiten Senats des BVerfG vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 –, BVerfGE 111, 307 sind Art und Umfang der Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR weitgehend geklärt: Deutsche Gerichte haben die Konvention, die formell den Rang einfachen Bundesrechts hat, in der Auslegung durch den EGMR wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfG aaO. S. 317). Insbesondere gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des EGMR als auch deren gegen vorrangiges deutsches Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (BVerfG aaO. S. 323 f.). Hat der EGMR einen Konventionsverstoß der Bundesrepublik Deutschland festgestellt und dauert dieser Verstoß an, so ist die Entscheidung zu berücksichtigen; die Fachgerichte müssen sich mit ihr auseinandersetzen und gegebenenfalls nachvollziehbar begründen, warum sie der völkerrechtlichen Rechtsauffassung gleichwohl nicht folgen (BVerfG aaO. S. 324). Eine Abweichung kommt insbesondere in Betracht, wenn deutsche Gerichte mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben und sensible Abwägungen zwischen verschiedenen subjektiven Rechtspositionen erforderlich sind; es wäre verfassungsrechtlich problematisch, wenn einer der Grundrechtsträger einen für ihn günstigen Urteilsspruch des EGMR gegen die Bundesrepublik Deutschland erstreitet und deutsche Gerichte diese Entscheidung schematisch anwenden, mit der Folge, dass der insofern „unterlegene“ und möglicherweise nicht im Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligte Grundrechtsträger gar nicht mehr als Verfahrenssubjekt wirksam in Erscheinung treten könnte (BVerfG aaO. S. 326 f.).
32 
bb) Der Senat bezweifelt, dass es eine methodisch vertretbare Auslegung des geltenden StGB gibt, die dazu führt, dass in einem sog. Zehnjahresfall, wie er hier verfahrensgegenständlich ist, im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 ohne Weiteres die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt und der Untergebrachte auf freien Fuß gesetzt werden muss. Allerdings führt Grabenwarter, Rechtsgutachten aaO S. 38-48, aus, es sei eine methodisch vertretbare Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB, durch Art. 5 und 7 MRK in der Auslegung durch das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 „gesetzlich“ etwas „anderes bestimmt“ zu sehen. Dann würde für sog. Zehnjahresfälle wie hier das alte Recht gelten, das bei erstmaliger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Höchstfrist von zehn Jahren vorgesehen habe, die im Sinne von § 67d Abs. 4 StGB „abgelaufen“ sei, weshalb die Sicherungsverwahrung erledigt und der Verurteilte zu entlassen sei. Diese Auffassung (in der Sache wohl ebenso LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 – S. 16, hier als „verfassungskonforme Auslegung“; zu deren Grenzen, wenn der Wille des Gesetzgebers bestimmt und eindeutig ist, s. aber OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 10 mit Nachw.) verkehrt den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil (ebenso OLG Celle aaO. BU S. 9 f.). Der Gesetzgeber sah Art. 7 MRK gerade nicht als Schranke des § 2 Abs. 6 StGB an (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 108). Vor allem spricht gegen die von Grabenwarter für möglich gehaltene Auslegung das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160): Mit Art. 2 Nr. 2 und 3 dieses Gesetzes wurden an den damaligen Art. 1a EGStGB, der zum neuen Absatz 1 wurde, als neue Absätze 2 und 3 die folgenden Bestimmungen angefügt:
33 
„(2) § 66 Abs. 3 des Strafgesetzbuches findet nur Anwendung, wenn der Täter eine der Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art nach dem 31. Januar 1998 begangen hat.
34 
(3) § 67d des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I S. 160) findet uneingeschränkt Anwendung.“
35 
Mit dem neuen Art. 1a Abs. 3 EGStGB war ausdrücklich bezweckt, die Änderungen des § 67d StGB „uneingeschränkt rückwirkend in Kraft zu setzen“, was verfassungsrechtlich möglich sei, weil es nur um die Dauer der Sicherungsverwahrung gehe (s. BT-Drucks. 13/9062 S. 12). Damit ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers, das neue Fristenrecht des § 67d StGB auf Altfälle anzuwenden, sogar Gesetz geworden. Die spätere Streichung der Art. 1a Abs. 2 und 3 EGStGB durch Art. 8 Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 (BGBl. I S. 1838) berührt diesen Willen nicht (ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 9 f.). Denn der Gesetzgeber ging lediglich davon aus, dass die Regelung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG, namentlich den Beschluss vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 verzichtbar erscheine (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 20). Eine Auslegung wie bei Grabenwarter, die alles das überspielt, erscheint methodisch nicht mehr vertretbar.
36 
cc) Zudem ist der Senat der Auffassung, dass eine schematische „Vollstreckung“ des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 in der Weise, dass sog. Zehnjahresfälle nunmehr ohne Weiteres zu entlassen wären, die Frage aufwerfen würde, ob dies mit Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar wäre. Zwar dürfte es dem deutschen Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt sein, zu dem vor 1998 geltenden Rechtszustand zurückzukehren (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 [187]; s. auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 13 f.). Nach dem nunmehr geltenden Recht, das weder von der MRK noch von dem EGMR-Urteil außer Kraft gesetzt wird, ist aber durch § 67d Abs. 3 StGB den Fachgerichten auch und gerade nach Ablauf der Zehnjahresfrist die der Sicherungsverwahrung immanente sensible Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten einerseits und der staatlichen Schutzpflicht für die Allgemeinheit andererseits verfassungsrechtlich aufgegeben:
37 
„Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen. Diese Schutzpflicht des Staates ist umso intensiver, je mehr die Gefährdung sich konkretisiert und individualisiert und je stärker sie die Gefährdung elementarer Lebensbereiche betrifft. (…) Hinter dieses öffentliche Interesse tritt das Freiheitsgrundrecht (…) trotz seines hohen Wertes zurück. (…) Der Gesetzgeber (hat) mit der Regelung des § 67d Abs. 3 StGB nicht gegen das freiheitsschützende Übermaßverbot verstoßen. Die inhaltliche Konzeption als Regel-Ausnahme-Vorschrift sowie die flankierenden verfahrensrechtlichen Garantien für die Betroffenen verschaffen deren Anspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichende Geltung (…)“ (BVerfG aaO. S. 186 f.).
38 
Eine schematische „Vollstreckung“ des EGMR-Urteils in Gestalt sofortiger Entlassung selbst hoch gefährlicher Untergebrachter brächte diese Abwägung in einer Art und Weise aus dem Gleichgewicht, die verfassungsrechtlich jedenfalls bedenklich wäre und – im Sinne des Monitums des „Görgülü-Beschlusses“ – darauf hinauslaufen würde, dass die schutzwürdige Allgemeinheit und damit nicht am Verfahren vor dem EGMR beteiligte Grundrechtsträger nicht mehr als Verfahrenssubjekte wirksam in Erscheinung treten könnten. Entgegen Kinzig NStZ 2010, 233 (238) beziehen sich dieses Monitum sowie der Vorbehalt betreffend mehrpolige Grundrechtsverhältnisse nicht ausschließlich aufs Privatrecht, sondern auf alle Fälle, in denen staatliche Gerichte „wie im Privatrecht“ mehrpolige Grundrechtsverhältnisse auszugestalten haben (s. BVerfGE 111, 307 [324]; ebenso OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2010 – 2 Ws 169/10 und 170/10 – S. 11 f.).
III.
39 
Auch deutsches Verfassungsrecht gebietet nicht, dass der Verurteilte sofort und ohne weitere inhaltliche Überprüfung aus der Unterbringung zu entlassen wäre.
40 
1. Die vom EGMR als konventionswidrig erkannte geltende deutsche Gesetzeslage ist vom Zweiten Senat des BVerfG in seinem Urteil vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 –, BVerfGE 109, 133 für verfassungsgemäß erachtet worden. Für sich gesehen ändert das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 hieran nichts. Das Konventionsrecht einerseits und das deutsche Verfassungsrecht andererseits sind nicht deckungsgleich, und der EGMR urteilt nicht nach deutschem Verfassungsrecht.
41 
2. Allerdings beeinflussen die Gewährleistungen der Konvention die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes, und die Rechtsprechung des EGMR dient auch auf der Ebene des Verfassungsrechts als „Auslegungshilfe“ für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern das nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – „Görgülü“, BVerfGE 111, 307 [317]). Der Senat hat daher erwogen, ob im Lichte der Erwägungen, die der EGMR in seinem Urteil vom 17.12.2009 angestellt hat, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des geltenden deutschen Rechts insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 (hierzu BVerfGE 109, 133 [156 ff.]) und auf Art. 103 Abs. 2 GG (hierzu BVerfGE 109, 133 [167 ff.]) anders als in BVerfGE 109, 133 zu beantworten ist. Für das Freiheitsgrundrecht verneint der Senat die Frage, da das jeweilige Schranken- und Schranken-Schranken-Regime zu unterschiedlich ist. Für die Frage des Rückwirkungsverbots und des verfassungsrechtlichen Strafbegriffs sieht der Senat hingegen Erörterungsbedarf. Ihm erscheint aber zweifelhaft, ob das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 zu der Annahme zwingt, entgegen BVerfGE 109, 133 (167 ff.) sei Art. 103 Abs. 2 GG verletzt. Diese Verfassungsbestimmung steht in einer bestimmten verfassungs- und einfachrechtlichen Tradition des deutschen Rechts (s. hierzu BVerfG aaO. S. 168 ff.). Ihre traditionell enge Auslegung begründet sich auch aus der grundsätzlichen Absolutheit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots und den hohen Anforderungen an eine parlamentsgesetzliche Strafbarkeitsgrundlage, die sich so nicht bei Art. 7 MRK finden. Zudem kennt das deutsche Verfassungsrecht ein allgemeines rechtsstaatliches Vertrauensschutzgebot, das als verfassungsrechtlicher Auffangtatbestand eingreifen kann (s. hierzu BVerfG aaO. S. 180 ff.) und in der MRK nicht in gleicher Weise ausgeprägt ist. Deshalb ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass er das Gesetzesrecht, aufgrund dessen der Verurteilte sich (noch) in Sicherungsverwahrung befindet, für verfassungswidrig hält, und sieht deshalb von einer Vorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80-82 BVerfGG) ab (s. hierzu auch LG Marburg, Beschl. v. 17.05.2010 – 7 StVK 220/10 S. 8 ff.). Im Übrigen dürfte die Frage in dem beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 769/10 baldiger verfassungsgerichtlicher Klärung zugeführt werden. Der in diesem Verfahren ergangene Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19.05.2010 lässt erstens erkennen, dass die Kammer die verfassungsrechtliche Frage für offen hält, andernfalls sie nicht in eine Folgenabwägung hätte eintreten können, und fasst zweitens die Möglichkeit ins Auge, dass sich das geltende Recht zwar als verfassungswidrig erweisen, es jedoch gleichwohl nicht zu Entlassungen kommen könnte, beispielsweise weil für eine Übergangszeit die ggf. bedingte Fortgeltung des bisherigen Rechts angeordnet werden könnte. Drittens zeigt der Beschluss, dass es im Ergebnis verfassungsrechtlich verantwortbar ist, Verurteilte jedenfalls vorläufig in Sicherungsverwahrung zu belassen. Die Folgenabwägung fällt auch im vorliegenden Fall gegen eine sofortige Entlassung aus: Wäre es bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, den Verurteilten sofort zu entlassen, so würde ihn die hier getroffene Entscheidung in seinem Freiheitsgrundrecht verletzen. Wäre es hingegen auch bei konventions- und verfassungskonformer Handhabung des geltenden Rechts geboten, die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen, und würde der Senat ihn jetzt entlassen, so wäre die Allgemeinheit bis zur Wiederergreifung des Verurteilten nach der derzeitigen Gutachtenlage der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten ausgesetzt, seien es Sexualdelikte, seien es Gewaltdelikte gegen Justizangehörige, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Dann aber muss das Freiheitsgrundrecht jedenfalls bis auf Weiteres zurücktreten.
IV.
42 
Nach alledem ist eine sofortige Entlassung des Verurteilten unter Übergehung des beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens nicht veranlasst. Das bedeutet freilich nicht, dass die konventionsrechtlichen Vorgaben, wie sie im Urteil des EGMR vom 17.12.2009 enthalten sind, und die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie insbesondere im Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 enthalten sind, nicht zu beachten wären. Im Gegenteil ist es Aufgabe des Senats wie aller nationalen Gerichte, das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 im weiteren Verfahren „in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung“, nämlich das Recht der Sicherungsverwahrung, „einzupassen“ (BVerfGE 111, 307 [327]) und – selbstverständlich – deutsches Verfassungsrecht zur Anwendung zu bringen. Insbesondere wird es geboten sein, etwaige Konventionsverletzungen ausdrücklich festzustellen (vgl. für die konventionswidrige Verfahrensverzögerung BVerfG, Beschl. v. 19.04.1992 – 2 BvR 1487/90, NJW 1993, 3254 [3255]) und das geltende deutsche Recht, insbesondere §§ 67d Abs. 2 und 3, 67e Abs. 1 Satz 1 StGB, auf einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BVerfGE 109, 133 [162 ff.]) im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung konventions- und verfassungskonform (vgl. BVerfG aaO. S. 159, 161) zu handhaben (s. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 12.05.2010 – III-4 Ws 114/10 S. 3 f.).

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 577/09
vom
12. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Mai 2010 gemäß §§ 349
Abs. 4, 126 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juli 2009 aufgehoben.
2. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom 15. Juni 2007 wird aufgehoben. Der Betroffene ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:


1
Das Landgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 17. Juli 2009 gegen den Betroffenen (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwah- rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.

I.


2
Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Betroffene war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte nach Ansicht der damals erkennenden Strafkammer in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht. Die Anordnung der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster , sexuell motivierter Straftaten neige.
3
Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
4
Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum 22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5 StPO).
5
Mit Urteil vom 4. April 2007 hatte das Landgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2006 im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 gegen den Betroffenen gemäß § 66 b Abs. 3 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hatte der Senat durch Beschluss vom 10. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, dass der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - (BGHSt 52, 379) entschieden hatte, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht auf Fälle anwendbar ist, in denen der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
6
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht erneut die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet und nunmehr die Anordnung der Unterbringung auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 gestützt, in der gegen den Betroffenen - weil schuldlos handelnd - nur auf die Unterbringung nach § 63 StGB erkannt worden war.

II.


7
Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind.
8
1. a) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdnrn. 124 - 133). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdnrn. 127 bis 130). Er hat daher in jenem Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den dortigen Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67 d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. abgeschafft worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdnrn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtsache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 Buchst. c MRK).
9
b) Nach Maßgabe dieses Urteils verstößt im vorliegenden Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, da das Tatzeitrecht für die Anlasstat nicht die Anordnung von Sicherungsverwahrung androhte.
10
Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990 begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987 (BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h. schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss.
11
Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der (neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Zwar war er - neben der Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 - weiterhin durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9. Mai 1980 wegen einer am 30. Juli 1979 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Tat wäre indes nach § 66 Abs. 3 Satz 3 und 4 StGB a.F. (= § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB in der jetzt geltenden Fassung ) nicht berücksichtigungsfähig gewesen, da der Betroffene nach Verbüßung der damals erkannten Freiheitsstrafe für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nicht wieder straffällig geworden war.
12
Erstmals § 66 b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK entgegen.
13
c) Dass gegen den Betroffenen - anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall - bereits mit der Anlassverurteilung auf eine von vorneherein zeitlich nicht befristete Maßregel (vgl. § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB in der auch zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) erkannt worden war, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung (anders OLG Saarbrücken , Beschluss vom 7. April 2010 - 1 Ws 73/10). Insoweit ist zu berücksichtigen , dass schon vor Einführung des § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB nach der Rechtsprechung der Vollstreckungsgerichte die Erledigung der Maßregel bei Wegfall einer ihrer Voraussetzungen auch dann zu beschließen war, wenn die Gefährlichkeit des Untergebrachten fortbestand (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 sowie hierzu auch BVerfG NStZ 1995, 174, 175). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 67 d Abs. 6 StGB lediglich festschreiben wollen (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13 f.). Nach dem zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Recht hätte somit die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt werden und der Betroffene in Freiheit entlassen werden müssen, ohne dass an ihre Stelle die Sicherungsverwahrung treten konnte.
14
d) Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdnr. 76) - bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.
15
Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts jedoch nur vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte dar.
16
Bei der MRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 316 ff.; BVerfG EuGRZ 2010, 145, 147; Gollwitzer aaO Einführung Rdnrn. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Das nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der MRK auszulegen (BVerfGE 111, 307, 324; Gollwitzer aaO).
17
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach -) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch - wie bereits ausgeführt - die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich.
18
2. Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (BVerfGE 109, 133, 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts des Zeitpunkts der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens frei, für einzelne Maßregeln der Besserung und Sicherung in Abweichung von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen; er hat hiervon in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Aufl. § 2 Rdnr. 15 und speziell Art. 93 des 1. StrRG). Ebenso kann dies Folge der gebotenen Berücksichtigung einer ebenfalls im Range einfachen Bundesrechts stehenden Bestimmung der MRK sein. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
19
3. Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs steht der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK einer Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB auf Altfälle entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 595/09 [zu § 66 b Abs. 2 StGB] mögliche Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 auf den zu entscheidenden Fall offen gelassen und dies mit der fehlenden Endgültigkeit der Entscheidung begründet. Soweit der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen in der - damals ebenfalls noch nicht endgültigen - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG auf einen Altfall nicht entgegenstehen, hat er dies mit hier nicht einschlägigen Besonderheiten des Jugendstrafrechts begründet. Im Übrigen ist, nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 10. Mai 2010 gemäß Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 Buchst. c MRK endgültig gewor- den ist, eine neue Rechtslage gegeben, die eine etwaige Bindung an frühere entgegenstehende Rechtsprechung entfallen lassen würde (vgl. hierzu Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdnr. 8).
20
4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben; gleichzeitig war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und der Betroffene sofort auf freien Fuß zu setzen.
21
Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
RiBGH Athing ist im Ernemann Solin-Stojanović Ruhestand und daher an der Unterschrift gehindert Ernemann Cierniak Franke

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Zur Ermessensausübung bei Anwendung der §§ 66b Abs. 1
Satz 2, 66 Abs. 2 StGB nach der Entscheidung EGMR
EuGRZ 2010, 25.
BGH, Beschluss vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10
LG Frankfurt (Oder) –
alt: 5 StR 21/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 21. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2010 beschlossen:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 12. November 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben. Der Antrag auf nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
2. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. August 2008 wird aufgehoben. Der Verurteilte ist in dieser Sache unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.
3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
4. Die Entscheidung über die Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
G r ü n d e
1
Landgericht Das Frankfurt (Oder) hat mit Urteil vom 12. November 2009 gegen den Beschwerdeführer (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
wiederholt, Der unter anderem wegen Sexualdelikten unterschiedlicher Art und Schwere auch gegen Kinder (vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 2009 – 5 StR 21/09 – Tz. 6 bis 11, insoweit in BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 2 nicht abgedruckt) vorbestrafte Verurteilte war durch Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. April 1997 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in acht Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt worden. Die Einzelstrafen für die Vergewaltigungsfälle betrugen jeweils vier Jahre und sechs Monate. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1992 und 1993 in Brandenburg wiederholt sexuelle Handlungen an seiner acht bzw. neun Jahre alten Stieftochter vorgenommen hatte. In 20 Fällen vollzog er – zumeist unter Mitwirkung seiner Ehefrau, die das Kind festhielt – den vaginalen Geschlechtsverkehr an dem Mädchen. Den in den ersten acht Fällen von der Geschädigten noch geleisteten Widerstand überwand er mit Gewalt.
3
Urteil Das wurde am 6. Januar 1998 hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs rechtskräftig, hinsichtlich der Frage der Anordnung einer Maßregel – zunächst war der Verurteilte im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden, nach insoweit erfolgter Aufhebung durch den Bundesgerichtshof wurde eine Maßregel nicht erneut angeordnet – trat Rechtskraft am 8. Juli 1998 ein.
4
Die Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verbüßte der Verurteilte vollständig. Seit dem 15. August 2008 befindet er sich aufgrund Beschlusses des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. August 2008 im Vollzug der einstweiligen Unterbringung gemäß § 275a Abs. 5 StPO.
5
Mit Urteil vom 2. Oktober 2008 hatte das Landgericht Frankfurt (Oder) auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 18. April 2008 gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hat der Senat durch Beschluss vom 25. März 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Grund für die Aufhebung war, dass – bei rechtsfehlerfreier Bejahung der formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 StGB – die Darlegungen des Landgerichts den gebotenen Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose nicht gerecht wurden.
6
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht nunmehr erneut die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

II.


7
Die Revision des Verurteilten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung.
8
1. Das Landgericht hat die sachlichen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB – im Ansatz rechtsfehlerfrei – bejaht. Nach dieser am 18. April 2007 in Kraft getretenen Bestimmung kann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch dann nachträglich angeordnet werden, wenn die vom Verurteilten ausgehende Gefahr bereits im Zeitpunkt der Verurteilung erkennbar war, die Sicherungsverwahrung aber aus rechtlichen Gründen nicht verhängt werden konnte. Gegen den Verurteilten konnte aus rechtlichen Gründen bei der Verurteilung am 7. April 1997 nicht auf Sicherungsverwahrung erkannt werden. Die Vorschrift des § 66 StGB war damals auf – wie hier – im Beitrittsgebiet begangene Taten nicht anwendbar (Art. 1a Abs. 1 EGStGB a.F., eingefügt durch Anlage 1 Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt II Nr. 1a des Einigungsvertrages, BGBl II 1990 S. 954).
9
2. § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB ist grundsätzlich auf Taten anwendbar, die vor seinem Inkrafttreten – mithin vor dem 18. April 2007 – begangen worden sind, und ausschließlich auf Straftaten, bei deren Aburteilung die Verhängung von Sicherungsverwahrung aus Rechtsgründen ausgeschlossen war. Die Sicherungsverwahrung rechnet zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 Nr. 3 StGB), für die nach § 2 Abs. 6 StGB das zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht maßgebend ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 MRK. Letzterer kann im Geltungsbereich von § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB angesehen werden.
10
a) Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde als völkerrechtlicher Vertrag durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung kommt den Regelungen der Konvention der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 317). Dabei sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen, weil sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfG aaO S. 319).
11
b) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25) ist die Sicherungsverwahrung – ungeachtet ihrer Einordnung im deutschen Recht als Maßregel der Besserung und Sicherung – im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdn. 124 bis 133). Der Europäische Gerichts- hof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdn. 127 bis 130). Er hat daher im entschiedenen Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. teilweise aufgehoben worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 lit. c MRK).
12
c) Unmittelbar betroffen von der genannten Entscheidung ist nur die rückwirkende Geltung von § 67d StGB. Allerdings stellt die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB in ihren rechtlichen Voraussetzungen allein auf Straftaten ab, die bereits vor dem Inkrafttreten der Norm begangen wurden. Die durch den Gerichtshof gegen die Anordnung der Rückwirkung angeführten Argumente sind auf die § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB zugrundeliegenden Fallkonstellationen übertragbar (vgl. auch Kinzig NStZ 2010, 233, 239; Müller StV 2010, 207, 211 f.; Eisenberg NJW 2010, 1507, 1509; Laue JR 2010, 198, 202 f.; Peglau jurisPR-StrafR 1/2010 Anm. 2). Es muss davon ausgegangen werden, dass der Gerichtshof einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 MRK auch insoweit annehmen würde.
13
d) Beanstandet eine Entscheidung des Gerichtshofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus strukturelle Mängel des nationalen Rechts, so gebietet die Verpflichtung der innerstaatlichen Beachtung der MRK – ungeachtet deren nach Art. 46 MRK auf den Einzelfall beschränkten Bindungswir- kung – eine konventionskonforme Ausgestaltung des nationalen Rechts (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdn. 77b). Auch ohne eine dem § 31 Abs. 1 BVerfGG vergleichbare Vorschrift, wonach alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind, gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, dass Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG aaO S. 323). Die Rangzuweisung der Europäischen Menschenrechtskonvention als einfaches Bundesrecht führt dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (BVerfG aaO). Solange Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, trifft sie die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben. Anderes gilt allerdings dann, wenn die Beachtung der Entscheidung des Gerichtshofs eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht verletzen würde (BVerfG aaO S. 329); die Zulässigkeit konventionskonformer Auslegung endet aus Gründen der Gesetzesbindung der Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers hinreichend deutlich erkennbar wird (Giegerich in Grote/Marauhn [Hrsg.], EMRK/GG Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz 2006 Kap. 2 Rdn. 20).
14
e) Nach diesen Grundsätzen kann in den Fällen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB das Rückwirkungsverbot gemäß Art. 7 Abs. 1 MRK nicht als abweichende gesetzliche Bestimmung nach § 2 Abs. 6 StGB angesehen werden. Eine Interpretation in diesem Sinne würde zur unmittelbaren Kollision der betroffenen Vorschriften führen und im Ergebnis auf eine vollständige Verwerfung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB hinauslaufen. Anders als bei den übrigen Regelungen des § 66b StGB würde § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB jeglicher Anwendungsbereich genommen, wenn auf die Geltung der Norm im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstat abgestellt werden müsste.
15
Einer Anwendung des Art. 7 Abs. 1 MRK als abweichende Regelung nach § 2 Abs. 6 StGB stehen der Gesetzeswortlaut des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB sowie der eindeutige Wille des Gesetzgebers entgegen. Die Vorschrift wurde als „Altfallregelung“ geschaffen. Ausdrücklich sollte gewährleistet werden , „dass bei der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung als neu auch solche Tatsachen berücksichtigt werden können, die das Tatgericht aus rechtlichen Gründen bei seiner Entscheidung nicht verwerten durfte“ (BTDrucks. 16/4740 S. 23). In die Prüfung sollen Tatsachen einbezogen werden, „die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar oder sogar bekannt waren“ (BTDrucks. aaO). Beispielhaft verweisen die Gesetzesmaterialen auf die vorliegende Fallgestaltung, in der aufgrund der damals gültigen Fassung des Art. 1a EGStGB bei Aburteilung im Beitrittsgebiet begangener Anlasstaten Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden konnte (BTDrucks. aaO S. 22). Raum für eine Anwendung des Art. 7 Abs. 1 MRK ist in diesem Rahmen nicht eröffnet, weil § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB ausdrücklich und ausschließlich für Altfälle gilt.
16
f) Entscheidungen anderer Senate des Bundesgerichtshofs stehen der Rechtsauffassung des Senats nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 MRK einer Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB widerstreitet, ist – soweit ersichtlich – vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 4. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 – zur Frage der Anwendung von § 66b Abs. 3 StGB auf Altfälle Stellung genommen. Soweit er die Auffassung vertreten hat, dass § 2 Abs. 6 StGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 MRK der Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB in Altfällen zuwiderlaufe, handelt es sich nicht um einen Fall von Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 GVG. Im Gegensatz zur Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB verbleibt für § 66b Abs. 3 StGB bei der vom 4. Strafsenat vertretenen Auffassung ein Anwendungsbereich in den Fällen, in denen die Anlassverurteilung nach Inkrafttreten der Norm erfolgte ; die Norm erschöpft sich nicht in einer Geltung für Altfälle. Der Senat muss deshalb nicht entscheiden, ob er sich in Bezug auf § 66b Abs. 3 StGB der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats anschließen würde.
17
3. Angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hält indes die Ermessensausübung des Landgerichts revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht Stand. In allen Fällen des § 66b StGB trifft das Tatgericht eine Ermessensentscheidung, im Rahmen derer der Vertrauensschutz des Verurteilten sowie sein Freiheitsrecht gegen das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit abzuwägen sind. Bei der Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB haben die Strafgerichte darüber hinaus im Blick zu behalten , dass der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es gebieten kann, über die gesetzlichen Beschränkungen des Anwendungsbereichs der Norm hinaus auf die mit erheblichen Eingriffen in die Freiheitsrechte des Betroffenen verbundene nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu verzichten, wenn eine Gesamtabwägung im Einzelfall ein Überwiegen der Freiheitsrechte gegenüber den Allgemeininteressen ergibt (BVerfG – Kammer – NJW 2009, 980, 982).
18
a) Nach den dargestellten Grundsätzen sind in die Ermessensausübung auch die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzubeziehen. In die Abwägung muss die vom Gerichtshof geforderte konventionsgemäße Gewichtung einfließen (Gollwitzer aaO Rdn. 77a), um eine konforme Anwendung der in Frage stehenden Norm zu gewährleisten. Die Ausführungen des Gerichtshofs zur Vereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 1 MRK streiten in diesem Rahmen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gewichtig zugunsten des Verurteilten.
19
b) Gleiches gilt für die Erwägungen des Gerichtshofs zu der ebenfalls angenommenen Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK, mithin des Freiheitsrechts des Verurteilten. Diesbezüglich hält der Gerichtshof in der genannten Entscheidung die Freiheitsentziehung über die ursprünglich für die Sicherungsverwahrung geltende Zehnjahresfrist hinaus für nicht nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK gerechtfertigt. Ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers und seinem fortdauernden Freiheitsentzug liege nicht vor. Eine Rechtfertigung der Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c MRK komme ebenfalls nicht in Betracht , da die Gefahr weiterer schwerer Straftaten nicht konkret und spezifisch genug sei.
20
Diese vom Gerichtshof für § 67d StGB aufgezeigten Bedenken sind ebenfalls auf die Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB zu übertragen. Danach beruht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht auf einer „Verurteilung" im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK. Denn diese setzt die Schuldfeststellung wegen einer Straftat und die Auferlegung einer Strafe oder einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme voraus (EuGRZ aaO Rdn. 87, 95). Die Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung enthält indes keine Schuldfeststellung. Auf die Anlassverurteilung kann hier nicht abgestellt werden, weil – unter Zugrundelegung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertretenen Grundsätze (aaO Rdn. 100) – ein hinreichender kausaler Zusammenhang zwischen ihr und der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht besteht. Die Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahr 1997 bedeutete, dass er nach spätestens zwölf Jahren aus der Haft zu entlassen sein würde, und zwar unabhängig von einer bei der Entlassung bestehenden Gefährlichkeit. Ohne die nachträgliche Einführung des § 66b StGB hätte er nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden können; seine Unterbringung wurde nur durch die nachfolgende Gesetzesänderung im Jahre 2007 möglich und geschah aufgrund eines neuen gerichtlichen Erkenntnisses.
21
4. Vor diesem Hintergrund ist bei konventionskonformer Ermessensausübung von einem grundsätzlichen Überwiegen des Freiheitsrechtes und des Vertrauensschutzes des Beschwerdeführers auszugehen.
22
a) Ungeachtet der Frage, ob § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB insgesamt mit dem im Lichte der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auszulegenden (vgl. dazu BVerfGE 74, 102, 128 m.w.N.; BVerfG – Kammer – EuGRZ 2004, 317, 318) Vertrauensgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 GG) vereinbar ist (vgl. dazu auch BGH NJW 2010, 1539, 1542 f.), kann die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage dieser Vorschrift allenfalls bei höchstgefährlichen Verurteilten in Betracht kommen, bei denen sich die Gefahrenprognose aus konkreten Umständen in der Person oder ihrem Verhalten ableiten lässt. Nur dann erscheint denkbar, dass nach der aus der Entscheidung des Gerichtshofs (EuGRZ 2010, 25) folgenden Rechtsauffassung der Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten unter Berücksichtigung seines auf höchster Stufe schutzwürdigen Vertrauens in die Unabänderbarkeit der in der Anlassverurteilung verhängten Rechtsfolge einerseits und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits im Rahmen einer zu seinen Lasten getroffenen Abwägungsentscheidung gerechtfertigt ist.
23
b) Ein derart schwerwiegendes, sich in konkreten Anhaltspunkten manifestierendes Gefährdungspotential belegen die Feststellungen des Landgerichts nicht.
24
Sachverständig beraten ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt , dass der 67 Jahre alte und aufgrund eines Schlaganfalls im Jahr 2001 in seiner Beweglichkeit eingeschränkte Verurteilte wegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Sexualstraftaten gefährlich ist. Beim Verurteilten handele es sich um eine dissoziale Persönlichkeit, deren Lebensweg auch mangels eines inneren Wertesystems von starker Egozentrik in der Wahrnehmung seiner persönlichen, insbesondere sexuellen Bedürfnisse geprägt sei. Die massive Verleugnung sowie die damit einhergehende mangelnde therapeutische Aufarbeitung der von ihm begangenen Straftaten verhinderten eine selbstkritische Auseinandersetzung mit seiner Persönlichkeit sowie den Aufbau eines von Empathie getragenen Wertesystems. Da sich die Persönlich- keitsstruktur auch in der nunmehr seit über 13 Jahren andauernden Haftzeit trotz überwiegend guter Führung nicht geändert habe, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Verurteilte im Falle seiner Entlassung aus der Haft auch künftig Sexualstraftaten – gegebenenfalls erneut unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol – aus dem gesamten Spektrum der seit dem 20. Lebensjahr von ihm begangenen Taten begehen werde.
25
Damit hat das Landgericht die fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten im Ergebnis aus der dissozialen Prägung seiner Persönlichkeit und seines Lebensweges abgeleitet, die sich in den von ihm begangenen Straftaten niedergeschlagen hat, verbunden mit dem Umstand, dass er nie zu einer therapeutischen Aufarbeitung seiner Straftaten bereit war. Hinreichend konkrete Hinweise auf die Begehung künftiger Straftaten von höchster Schwere hat das Landgericht demgegenüber nicht festgestellt. Diese sind indes auf der Grundlage der – nach dem angefochtenen Urteil ergangenen – Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jedenfalls erforderlich , um die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB rechtfertigen zu können.
26
c) Nachdem das Landgericht bereits nach der Zurückverweisung der Sache durch den Senat mit Beschluss vom 25. März 2009 ergänzende Feststellungen zum Beleg der Gefahrenprognose getroffen hat, schließt der Senat aus, dass noch weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die eine auf hinreichend konkreten Anhaltspunkten basierende Gefahrenprognose in der Person des Verurteilten begründen. Er hat wegen der aus Rechtsgründen eingetretenen Ermessensreduzierung von einer Zurückverweisung der Sache abgesehen.
27
5. Die Maßregelanordnung war demzufolge aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO zurückzuweisen. Der Verurteilte ist unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.
28
6. Die Entscheidung über die Entschädigung des Beschwerdeführers wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
Brause Sander Schneider König Bellay

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Oberlandesgerichte sind in Strafsachen ferner zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel:

1.
der Revision gegen
a)
die mit der Berufung nicht anfechtbaren Urteile des Strafrichters;
b)
die Berufungsurteile der kleinen und großen Strafkammern;
c)
die Urteile des Landgerichts im ersten Rechtszug, wenn die Revision ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt wird;
2.
der Beschwerde gegen strafrichterliche Entscheidungen, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafkammern oder des Bundesgerichtshofes begründet ist;
3.
der Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern nach den § 50 Abs. 5, §§ 116, 138 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes und der Jugendkammern nach § 92 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes;
4.
des Einwands gegen die Besetzung einer Strafkammer im Fall des § 222b Absatz 3 Satz 1 der Strafprozessordnung.

(2) Will ein Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung

1.
nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder Buchstabe b von einer nach dem 1. April 1950 ergangenen Entscheidung,
2.
nach Absatz 1 Nummer 3 von einer nach dem 1. Januar 1977 ergangenen Entscheidung,
3.
nach Absatz 1 Nummer 2 über die Erledigung einer Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder in einem psychiatrischen Krankenhaus oder über die Zulässigkeit ihrer weiteren Vollstreckung von einer nach dem 1. Januar 2010 ergangenen Entscheidung oder
4.
nach Absatz 1 Nummer 4 von einer Entscheidung
eines anderen Oberlandesgerichtes oder von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes abweichen, so hat es die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen.

(3) Ein Land, in dem mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, kann durch Rechtsverordnung der Landesregierung die Entscheidungen nach Absatz 1 Nr. 3 einem Oberlandesgericht für die Bezirke mehrerer Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht zuweisen, sofern die Zuweisung für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren zweckmäßig ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.