Finanzgericht Hamburg Beschluss, 11. Apr. 2014 - 4 V 154/13

bei uns veröffentlicht am11.04.2014

Tatbestand

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I. Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung einer Steueranmeldung betreffend Kernbrennstoffsteuer, wobei zwischen den Beteiligten kein Streit besteht über die zutreffende Anwendung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vom 08.12.2010 (BGBl. I S. 1804 - KernbrStG -), sondern ausschließlich über die Frage, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz selbst rechtmäßig ist.

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A. 1. Die Antragstellerin betreibt von den neun ... gegenwärtig in Deutschland noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken unter anderem das streitgegenständliche Kernkraftwerk in X. Sie ist im Besitz der dafür erforderlichen atomrechtlichen Genehmigung.

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Am 16.06.2011 setzte die Antragstellerin Brennelemente in den Kernreaktor des Kernkraftwerks X ein und löste eine sich selbsttragende Kettenreaktion aus. In ihrer für den Monat Juni 2011 abgegebenen Steueranmeldung berechnete die Antragstellerin eine Steuer von EUR 96.347.570,-, die sie in der Folgezeit zunächst entrichtete.

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2. Auf ihren vorläufigen Rechtsschutzantrag hob das Finanzgericht Hamburg mit Beschluss vom 16.09.2011 (4 V 133/11) die Vollziehung der Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung mit der Begründung auf, dass es ernstlich zweifelhaft sei, ob dem Bund für den Erlass der Kernbrennstoffsteuer eine Gesetzgebungskompetenz zustehe. Ob das Kernbrennstoffsteuergesetz im Übrigen verfassungs- und europarechtsgemäß sei, ließ der Senat dahingestellt.

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Auf die vom Antragsgegner erhobene Beschwerde hob der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 09.03.2012 (VII B 171/11) den Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 16.09.2001 auf und lehnte den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung unter Hinweis darauf ab, dass im Streitfall die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der praktischen Auswirkung einem einstweiligen Außerkraftsetzen des Kernbrennstoffsteuergesetzes gleich käme. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG stehe indes allein dem Bundesverfassungsgericht die Kompetenz zu, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen. Dass ihr durch die sofortige Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung irreparable Nachteile oder eine unzumutbare Härte drohen würden, habe die Antragstellerin nicht schlüssig vorgebracht. - Zu der von der Antragstellerin ebenfalls gerügten Europarechtswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes verhält sich der Beschluss des Bundesfinanzhofs nicht.

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3. Die Antragstellerin hatte bereits am 28.11.2011 Klage gegen die Steueranmeldung und die zwischenzeitlich ergangene Einspruchsentscheidung erhoben. Mit Beschluss vom 29.01.2013 (4 K 270/11) hat der beschließende Senat das Verfahren ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb ungültig ist. Der Senat führt in seinem Beschluss aus, dass er zu der Überzeugung gelangt sei, das Kernbrennstoffsteuergesetz sei formell verfassungswidrig, weil dem Bund für die Einführung der Kernbrennstoffsteuer keine Gesetzgebungskompetenz zur Seite stehe. - Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Az.: 2 BvL 6/13) über die Vorlage des Senats steht noch aus.

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B. In einem Parallelverfahren eines anderen Kernkraftwerksbetreibers hat der Senat zwischenzeitlich mit Beschluss 19.11.2013 (4 K 122/13) das Verfahren ebenfalls ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts im Wege der Vorabentscheidung vorgelegt:

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1. Frage:

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Berechtigt Art. 267 Satz 2 i. V. m. Satz 1 Buchst. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) das Gericht eines Mitgliedstaats, Fragen, die ihm im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit eines nationalen Gesetzes über die Auslegung von Unionsrecht gestellt werden, auch dann dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen, wenn das Gericht nicht nur einerseits Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit des Gesetzes hat, sondern andererseits auch zur Überzeugung gelangt ist, das nationale Gesetz widerspreche der nationalen Verfassung, und deswegen in einem Parallelfall bereits das nach nationalem Recht allein zur Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen befugte Verfassungsgericht angerufen hat, dessen Entscheidung aber noch nicht vorliegt?

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Sofern die 1. Frage bejaht wird, ersucht der Senat den Gerichtshof um die Beantwortung folgender Frage:

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2. Frage:

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Stehen die zur Harmonisierung von Verbrauchsteuern und für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom in der Union erlassenen Richtlinien RL 2008/118/EG und RL 2003/96/EG der Einführung einer nationalen Steuer, die auf zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendete Kernbrennstoffe erhoben wird, entgegen? Kommt es darauf an, ob erwartet werden kann, dass die nationale Steuer über den Strompreis auf den Verbraucher abgewälzt werden kann, und was ist gegebenenfalls unter Abwälzung zu verstehen?

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Sofern die 2. Frage verneint wird, ersucht der Senat den Gerichtshof um die Beantwortung folgender Fragen:

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3. Frage:

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Kann sich ein Unternehmen gegen eine Steuer, die ein Mitgliedstaat zur Erzielung von Einnahmen auf die Verwendung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom erhebt, mit dem Einwand wehren, die Erhebung der Steuer stelle eine unionsrechtswidrige Beihilfe gemäß Art. 107 AEUV dar?

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Sofern die vorstehende Frage bejaht wird:

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Stellt das deutsche Kernbrennstoffsteuergesetz, nach dem zur Erzielung von Einnahmen eine Steuer nur von solchen Unternehmen erhoben wird, die gewerblich Strom unter Verwendung von Kernbrennstoffen erzeugen, eine staatliche Beihilfemaßnahme im Sinne des Art. 107 AEUV dar? Welche Umstände sind bei der Prüfung beachtlich, ob sich andere Unternehmen, bei denen Steuern nicht in gleicher Weise erhoben werden, in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden?

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4. Frage:

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Steht die Erhebung der deutschen Kernbrennstoffsteuer im Widerspruch zu den Regelungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV)?

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Über das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hat der Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht entschieden (Az. EuGH C-5/14).

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C. Am 28.11.2013 hat die Antragstellerin, nachdem ihr erneuter Antrag auf Aufhebung der Vollziehung der angemeldeten und gezahlten Kernbrennstoffsteuer vom Antragsgegner wiederum abgelehnt worden war, beim Finanzgericht Hamburg abermals um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.

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1. a) Sie begründet ihren Antrag zum einen mit der Europarechtswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes. Das Gesetz stehe im Widerspruch zu europarechtlichen Vorschriften, insbesondere verstoße es

- gegen das in Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) RL 2003/96/EG enthaltene Verbot einer Inputbesteuerung bei der Stromerzeugung,

- gegen das in Art. 1 RL 2008/118/EG enthaltene Verbot der Erhebung nicht harmonisierter Verbrauchsteuern auf Strom,

- gegen das EURATOM-Vertragsziel der preisgleichen Versorgung zur Sicherung eines wettbewerbsneutralen Bezuges der Brennelemente und regele eine europavertragswidrige Besteuerung von EURATOM,

- gegen EU-Beihilferecht.

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Dass ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO vorlägen, werde durch das Vorabentscheidungsersuchen des beschließenden Senats vom 19.11.2013 wegen klärungsbedürftiger unionsrechtlicher Rechtsfragen belegt. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes während des Vorabentscheidungsverfahrens bedürfe es - auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - der Aufhebung der Vollziehung der Steueranmeldung.

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Es sei nicht erforderlich, dass sie - die Antragstellerin - noch ein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes geltend mache. Ein solches Interesse werde zwar von einigen Senaten des Bundesfinanzhofs für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal dann verlangt, wenn die Rechtmäßigkeit des Veraltungsaktes wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes in Frage gestellt werde. Begründet werde diese Forderung mit Blick auf das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts und zum Schutz der öffentlichen Haushalte. Entsprechendes werde hingegen zu Recht weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum in Fällen von Zweifeln an der Europarechtsmäßigkeit eines Gesetzes verlangt. Es bestehe kein Verwerfungsmonopol bestimmter Gerichte für unionsrechtswidrige Gesetze. Der Gerichtshof der Europäischen Union lehne es auch prinzipiell ab, in einem bloßen Fiskalinteresse einen tragfähigen Rechtfertigungsgrund für eine Verletzung der Grundfreiheiten wie der Versagung von Eilrechtsschutz zu sehen.

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b) Die Antragstellerin begründet ihren Antrag zum anderen mit der Verfassungswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes. Das Gesetz sei formell und materiell verfassungswidrig, einerseits wegen mangelnder Gesetzgebungskompetenz des Bundes, andererseits wegen Verstoßes gegen die Grundrechte aus Art. 3 und 14 GG.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs folge aus dem Umstand, dass ein Gericht dem Bundesverfassungsgericht eine Norm im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle zur Aufhebung vorgelegt habe, die Verpflichtung zur Gewährung der Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung des auf der Grundlage dieser Norm ergangenen Bescheids. Die Aussetzungs- bzw. Aufhebungspflicht sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf Vorlagen oberster Bundesgerichte beschränkt. Eine solche Beschränkung wäre rechtswidrig, denn sie würde das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzen. Außerdem würde dadurch ein Rechtssuchender, dessen Hauptsacheverfahren bereits durch ein Instanzgericht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt worden sei, ungerechtfertigt gegenüber demjenigen diskriminiert, dessen Rechtsstreit erst am Ende des Instanzenzuges durch ein Bundesgericht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werde.

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c) Die Beschwerdeentscheidung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs vom 09.03.2012 (VII B 171/11) stehe der Stellung eines neuen Antrags auf Aufhebung der Vollziehung nicht entgegen.

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Zwar habe der Bundesfinanzhof in jenem Beschluss eine Aufhebung der Vollziehung zu ihren, der Antragstellerin, Gunsten abgelehnt. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass jener Entscheidung in rechtlicher Hinsicht ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe. Zum einen habe die mit der Beschwerde angegriffene Eilrechtsschutzgewährung durch das Finanzgericht lediglich auf Zweifeln an der formellen Verfassungsgemäßheit des Kernbrennstoffsteuergesetzes beruht, die zudem nur das Ergebnis einer vorläufigen Prüfung gewesen sei. Inzwischen liege mit dem Vorlagebeschluss des beschließenden Senats vom 29.01.2013 (FG Hamburg, 4 K 270/11, s. o.) eine gerichtliche Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes vor. Zum anderen stehe mit dem Vorabentscheidungsersuchen des beschließenden Senats vom 19.11.2013 (FG Hamburg, 4 K 122/13, s. o.) fest, dass die Europarechtmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes ebenfalls zweifelhaft sei.

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Die Beschwerdeentscheidung des Bundesfinanzhofs vom 09.03.2012 sei richtigerweise so zu verstehen, dass Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung eines Bescheids im Hinblick auf eine Verfassungswidrigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes zwar grundsätzlich zu versagen sei, dies jedoch nicht gelte, wenn entweder ein derart offenkundiger Verfassungsverstoß gegeben sei, dass das Gesetz die formelle Verfassungswidrigkeit auf der Stirn trage, oder - sofern ein Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 GG noch nicht vorliege - die Vollziehung des Bescheids für den Steuerpflichtigen einen wesentlichen Nachteil darstelle. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Entscheidung des VII. Senats ein noch restriktiveres Verständnis des § 69 FGO zugrunde liege, zumal der VII. Senat keinen Anlass gesehen habe, den Großen Senat des Bundesfinanzhofs (§ 11 Abs. 2 FGO) anzurufen, wozu er anderenfalls im Hinblick auf eine dann festzustellende Abweichung seines Beschlusses von der Rechtsprechung anderer Senate verpflichtet gewesen wäre.

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d) Sie - die Antragstellerin - ist auch der Ansicht, dass ihr einstweiliger Rechtsschutz ohne Sicherheitsleistung zu gewähren sei. Unstreitig gebe es aktuell keine Anzeichen, dass sie im gegenwärtigen Zeitpunkt die Steuer nicht mehr entrichten könne. Allgemeine Erwägungen über die Möglichkeit einer Vermögensverschlechterung bis zur Entscheidung in der Hauptsache rechtfertigten die Anordnung einer Sicherheitsleistung nicht. Sie weist darauf hin, dass bereits aufgrund der Bedingungen für die Erteilung einer kerntechnischen Genehmigung nach § 7c Abs. 2 Atomgesetz bei ihr als Genehmigungsinhaberin das Vorhalten angemessener finanzieller Mittel zur Erfüllung ihrer Pflichten in Bezug auf die nukleare Sicherheit gewährleistet und damit zugleich ihre steuerliche Leistungsfähigkeit gegeben sei. Die Eigenkapitalquote des Genehmigungsinhabers sei nicht ausschlaggebend. Zu berücksichtigen sei im Übrigen zu ihren Gunsten, dass sie in den Y-Konzern, der zum 31.12.2012 ein Eigenkapital von über EUR ... Mio. aufgewiesen habe, eingebunden sei und dass diese Einbindung auch eine Verlustübernahmeverpflichtung beinhalte. Allein aus seinem Teilgeschäft mit der Weiterleitung von Energie erziele der Konzern jährlich ein "EBITDA" ("earnings before interest, taxes, depreciation and amortization" = "Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen (auf Sachanlagen) und Abschreibungen (auf immaterielle Vermögensgegenstände)") von über EUR ... Mio., mithin ein Betrag, der für sich bereits die jährlichen Kernbrennstoffsteuerforderungen übersteige. Die Antragstellerin weist darauf hin, dass die Bundesregierung selbst keine Zweifel an einem Einstehen des Konzerns habe, wie sich aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage im November 2011 nach den Stilllegungs- und Abbaukosten von Kernkraftwerken im Fall der Insolvenz der Betreiber ergebe, in der die Bundesregierung ohne weitere Begründung auf die Haftung der vier großen Energieversorger Deutschlandes verwiesen habe, zu denen auch die Y SE gehöre.

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Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung der am 08.07.2011 angemeldeten und gezahlten Kernbrennstoffsteuer in Höhe von EUR 96.347.570 ohne Sicherheitsleistung für den Zeitraum ab Fälligkeit der angemeldeten Kernbrennstoffsteuer bis einen Monat nach Zustellung der Entscheidung über den Abschluss des Klageverfahrens aufzuheben.

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2. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen,

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hilfsweise die Aufhebung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung anzuordnen.

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Der Antragsgegner hält den Antrag für unzulässig und unbegründet.

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a) Da im vorliegenden Rechtsstreit durch den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 09.03.2012 (VII B 171/11) einstweiliger Rechtsschutz bereits unanfechtbar versagt worden sei, könne der vorliegende Antrag nur auf der Grundlage von § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zulässig sein, dessen Voraussetzungen allerdings nicht erfüllt seien. Gegenstand der allein in Betracht kommenden Beschlüsse des Finanzgerichts Hamburg über die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht und das Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union seien lediglich die im damaligen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof bereits vorgetragenen und bekannten Aspekte; die zeitlich späteren Beschlüsse des Finanzgerichts Hamburg vertieften lediglich die seinerzeitigen rechtliche Erwägungen.

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b) Der Antrag sei zudem unbegründet.

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Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Vereinbarkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes mit Vorschriften höherrangigen Rechts. Von ernstlichen Zweifeln im Sinne von § 69 FGO könne nur dann die Rede sein, wenn das Obsiegen des Betroffenen im Hauptsacheverfahren mindestens ebenso wahrscheinlich sei wie sein Unterliegen.

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Der Umstand, dass überhaupt ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet worden sei, begründe für sich keine derart qualifizierten Zweifel, denn formelle Voraussetzung eines Vorabentscheidungsersuchens sei lediglich die bloße Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage. Die von der Antragstellerin und dem Finanzgericht Hamburg vorgetragenen Bedenken würden indes durch eine Vielzahl gewichtiger Argumente ausgeräumt.

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Insbesondere sei die Richtlinie RL 2003/96/EG wegen ihres Wortlauts nicht direkt, aber auch nicht analog anwendbar, weil der Grundsatz der schrittweisen Harmonisierung einer Anwendungsanalogie entgegenstehe. Im Übrigen ergebe sich aus der Systematik der Richtlinie, ihren Zielen und ihrer Entstehungsgeschichte unter Berücksichtigung des Willens der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten, dass Kernbrennstoffe von der Richtlinie RL 2003/96/EG bewusst ausgeschlossen worden seien. Der Anwendungsbereich der Energiesteuerrichtlinie RL 2003/96/EG werde auch nicht durch die Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG erweitert. Kernbrennstoffe unterfielen nicht den harmonisierten Verbrauchsteuern. Anders als das Finanzgericht Hamburg in seinem Vorabentscheidungsersuchen erwäge, handele es sich bei der Kernbrennstoffsteuer auch nicht um eine direkte oder indirekte Steuer auf elektrischen Strom, denn die Kernbrennstoffsteuer sei sowohl bei der Entstehung als auch bei der Berechnung unabhängig von der tatsächlich verbrauchten und verbrauchsteuerpflichtigen Strommenge. Weiterhin ergäben sich auch keine ernstlichen Zweifel an der Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit dem europäischen Beihilferecht und mit den Vorschriften über die europäische Atomgemeinschaft.

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Die gegen die Verfassungsmäßigkeit vorgetragenen Argumente überzeugten gleichfalls nicht.

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c) Im Übrigen müsse bei der Anwendung des in § 69 FGO normierten Anordnungsermessens selbst im unterstellten Fall des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Vereinbarkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes mit höherrangigem Recht berücksichtigt werden, dass ein atypischer Fall vorliege, weil es nicht allein um eine möglicherweise fehlerhafte Rechtsanwendung der Verwaltung, sondern um die Gesetzesentscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers gehe. Die dementsprechend vorzunehmende Abwägung von Aussetzungsinteresse einerseits und Vollzugsinteresse andererseits sei bereits durch den Bundesfinanzhof in seinem Beschluss vom 09.03.2012 vorgenommen und vorläufiger Rechtsschutz zu Recht versagt worden. Dass dies nicht nur im Hinblick auf verfassungs-, sondern auch in Bezug auf unionsrechtliche Fragen gelte, ergebe sich aus der Grundsatzentscheidung des Großen Senats des Gerichtshofs bei der Europäischen Union vom 13.06.2006 in der Rechtssache Unibet (C-432/05).

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d) Einstweiliger Rechtsschutz sei gegebenenfalls nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren, weil die Durchsetzung des Steueranspruchs aufgrund konkreter Anhaltspunkte gefährdet wäre, falls die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren unterliege.

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Zwar habe die Antragstellerin bislang alle Steuerforderungen beglichen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage einer Gefährdung sei jedoch der Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Da aller Voraussicht nach in dem Hauptsacheverfahren eine rechtskräftige Entscheidung erst in drei Jahren zu erwarten sei, gerechnet ab dem Erlass des Vorabentscheidungsersuchens durch den beschließenden Senat, müsse die Gefährdungsprognose die bis dahin zu erwartenden Entwicklungen mitberücksichtigen.

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Dabei sei zu bedenken, dass die Antragstellerin über verhältnismäßig wenig Eigenkapital verfüge. Die Antragstellerin habe im letzten veröffentlichen Jahresabschluss zum 31.12.2012 Eigenkapital von nur rund EUR ... Mio. ausgewiesen. Ihre Eigenkapitalquote habe damit weniger als 2 % der Bilanzsumme betragen und damit unter den in der Energiewirtschaft üblichen 40 % gelegen.

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Für die Zukunft bestünden erhebliche Risiken im Hinblick auf hohe Kosten für die Entsorgung von Brennelementen und für die Stilllegung und Beseitigung von nuklearen Anlagen. Die Antragstellerin habe hierfür Rückstellungen in Höhe von über EUR ... Mio. und über EUR ... Mio. gebildet. Soweit sich diese Kosten gegenüber den Schätzungen auch nur verhältnismäßig geringfügig erhöhen sollten, wäre die Deckung der Mehrkosten durch das geringe Eigenkapital kaum darstellbar. Zudem bestehe aufgrund des anhaltend niedrigen Zinsniveaus ein Korrekturbedarf nach Erhöhung der Rückstellungen. Ein weiterer Korrekturbedarf könne sich auch aus der zu erwartenden gesetzlichen Neubewertung der Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle bis 2016 ergeben.

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Zu berücksichtigen sei die Höhe der Kernbrennstoffsteuerforderungen; die Antragstellerin schulde nicht nur die in diesem Verfahren streitgegenständliche Steuer, sondern für die bereits abgelaufene Zeit bis zum Ende des Jahres 2013 allein oder als Gesamtschuldner insgesamt Kernbrennstoffsteuer in Höhe von rund EUR ... Mio. Zudem entstehe zu Lasten der Antragstellerin zukünftig jährlich weitere Kernbrennstoffsteuer in Höhe von rund EUR ... Mio. Sollte einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden, die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren in geschätzten drei Jahren aber unterliegen, müsste sie eine Steuerschuld von bis zu EUR ... Mio. zuzüglich Zinsen von 6 % pro Jahr zahlen.

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Zusammenfassend bestehe daher ein erhebliches Risiko, dass die Antragstellerin im Falle einer Aufhebung und Aussetzung der Vollziehung bei einer Entscheidung der Hauptsache im Jahr 2016 für die dann aufgelaufenen Steuerschulden nicht werde einstehen können, zumal die wirtschaftliche Entwicklung der Antragstellerin vor dem Hintergrund der Energiewende unsicher sei.

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Auf die Leistungsfähigkeit der Konzernmutter der Antragstellerin komme es rechtlich nicht an. Außerdem könne die Konzernstruktur, aus der sich nach Ansicht der Antragstellerin eine Haftung der Konzernmutter ergeben solle, jährlich geändert werden. Selbst wenn es eine Einstandspflicht der Konzernmutter geben würde, wäre eine die geforderte Sicherheitsleistung rechtfertigende Steueranspruchsgefährdung gegeben, denn auch die Wirtschaftslage der Konzernmutter habe sich - zum Teil aus denselben Gründen wie bei der Antragstellerin - bereits in einem im Verhältnis zu der Höhe der in Rede stehenden Kernbrennstoffsteuerforderungen gegen sämtliche Konzerngesellschaften wesentlichen Maß verschlechtert und es drohe eine noch weitere Verschlechterung.

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D. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakte des Antragsgegners verwiesen.

Entscheidungsgründe

II.

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Der Antrag hat Erfolg. Er ist gemäß § 69 Abs. 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig (1) und gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit (2) und an der Verfassungsmäßigkeit (3) der angefochtenen Steueranmeldung. Weitere Voraussetzungen sind für die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf die unionsrechtlichen Zweifel nicht erforderlich (4a) bzw. im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel jedenfalls nunmehr gegeben (4b).

51

Eine Sicherheitsleistung ist nicht anzuordnen (5).

52

Die Beschwerde ist zuzulassen (6).

53

1. Der Antrag ist als Änderungsantrag gemäß § 69 Abs. 3, Abs. 6 FGO zulässig.

54

Das Gericht der Hauptsache kann nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Da die Entscheidung des Gerichts über einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO nicht in materielle Rechtskraft erwächst, kann das Gericht nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO Aussetzungsbeschlüsse über Anträge nach § 69 Abs. 3 FGO jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO). Es steht dem Antragsteller frei, jederzeit einen neuen Antrag zu stellen. Die Zulässigkeit eines solchen Folgeantrags ist allerdings an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gebunden.

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a) Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO sind im Streitfall erfüllt.

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Nach dieser Vorschrift ist die Zulässigkeit des Antrags entweder von veränderten Umständen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 Alt. 1 FGO) oder von zwar unveränderten Umständen abhängig, die aber im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht worden sind (§ 69 Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 FGO). "Umstände" in diesem Sinne können Tatsachen und Beweismittel sein, die nach Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung entstanden oder bekannt geworden sind. Dasselbe gilt, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage inzwischen höchstrichterlich (anders) entschieden worden oder inzwischen ein die entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffender Vorlagebeschluss ergangen ist (vgl. BFH, Beschluss vom 21.10.2013, V B 68/13; Koch, in: Gräber, FGO, 7. Aufl., § 69 Rz 199; Seer, in: Tipke/Kruse, AO und FGO, § 69 FGO Rz 166, jeweils m. w. N.).

57

Vorliegend kann sich die Antragstellerin auf in zweifacher Hinsicht veränderte Umstände im Sinne des § 69 Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 FGO berufen, die ihren erneuten vorläufigen Rechtsschutzantrag zulassen. Diese veränderten Umstände liegen zum einen darin, dass der beschließende Senat das Kernbrennstoffsteuergesetz zwischenzeitlich mit Beschluss vom 29.01.2013 (4 K 270/11) dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vorgelegt hat. Zum anderen haben sich die Umstände zusätzlich dadurch verändert, dass der beschließende Senat zwischenzeitlich auch für dieses Verfahren entscheidungserhebliche Rechtsfragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat (Beschluss vom 19.11.2013, 4 K 122/13). Für die Zulässigkeit des Antrags ist dabei ohne Bedeutung, inwieweit diese Beschlüsse jeweils in dem Hauptsacheverfahren der Antragstellerin gegen die auch im vorliegenden Antragsverfahren streitgegenständliche Steueranmeldung ergangen ist oder aber in einem Parallelverfahren der Antragstellerin oder eines anderen Betreibers eines Kernkraftwerkes. So wie die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes sämtliche Anfechtungsverfahren gegen Anmeldungen bzw. Festsetzungen von Kernbrennstoffsteuer betrifft, so sind die vom Senat dem Europäischen Gerichthof vorgelegten unionsrechtlichen Zweifelsfragen in gleicher Weise auch für den Ausgang der von der Antragstellerin gegen die streitgegenständliche Steueranmeldung erhobenen Anfechtungsklage entscheidungserheblich.

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Ob für die Zulässigkeit eines Antrags gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO eine erneute behördliche Ablehnung gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO erforderlich ist, kann dahinstehen, weil die Antragstellerin am 25.06.2013 einen erneuten Antrag beim Antragsgegner gestellt hatte, den dieser am 19.08.2013 abgelehnt hat.

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b) Unbeschadet der vorstehenden Darlegungen nimmt der beschließende Senat den von der Antragstellerin gestellten (erneuten) vorläufigen Rechtsschutzantrag zum Anlass, den in der Sache 4 V 133/11 ergangenen und zwischenzeitlich vom Bundesfinanzhof im Beschwerdeverfahren VII B 171/11 aufgehobenen Beschluss von Amts wegen gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO zu ändern. Die Änderung des die Aussetzung der Vollziehung ablehnenden BFH-Beschlusses von Amts wegen ist ebenfalls in zweifacher Hinsicht sachgerecht. Zum einen, weil der Senat - nachdem er in den ersten Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes zunächst wegen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes gewährt hat, die der Bundesfinanzhof in seinen Aufhebungsbeschlüssen nicht in Abrede genommen hat - nunmehr die Frage der formellen Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle aufgrund ausführlich dargelegter Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Entscheidung vorgelegt hat. Zum anderen ist die Änderung durch den Senat von Amts wegen aber auch deswegen sachgerecht, weil er auch den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV zur Auslegung der entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen angerufen hat, und die von der Antragstellerin in Bezug auf das Kernbrennstoffsteuergesetz vorgebrachten europarechtlichen Einwände nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens waren.

60

c) Das Finanzgericht Hamburg ist für einen erneuten Antrag der Antragstellerin zuständig.

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Zuständig für die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses gemäß § 69 Abs. 6 FGO ist als Gericht der Hauptsache regelmäßig das Finanzgericht. Wegen der eingeschränkten Kompetenzen eines Beschwerdegerichts ist das Finanzgericht auch dann für die Entscheidung nach § 69 Abs. 6 FGO zuständig, wenn der Bundesfinanzhof bereits über eine Beschwerde nach § 128 Abs. 3 FGO gegen eine frühere Entscheidung des Finanzgerichts zum vorläufigen Rechtsschutz entschieden hat, selbst wenn seine Entscheidung von der des Finanzgerichts abweicht (Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, FGO § 69, Rdnr. 164 unter Hinweis auf BFH, Beschluss vom 25.03.1993, I S 5/93). Eine Bindung des Finanzgerichts an die Beschwerdeentscheidung gibt es im Rahmen von § 69 Abs. 6 FGO nicht (BFH, Beschluss vom 26.03.1980, I B 11/80).

62

Zu einer Zuständigkeitsverlagerung auf den Bundesfinanzhof kann es nur kommen, wenn die Hauptsache inzwischen beim Bundesfinanzhof anhängig ist (Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, FGO § 69, Rdnr. 164 unter Hinweis auf BFH, Beschluss vom 28.08.2003, VIII S 26/02; BFH, Beschluss vom 26.09.2008, VIII B 37/08; vgl. auch BFH, Beschluss vom 13.10.1999, I S 4/99 m. w. N), was hier nicht der Fall ist.

63

Eine Zuständigkeitsverlagerung auf das Bundesverfassungsgericht infolge der Vorlage des Hauptsacheverfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erfolgt nicht.

64

2. Die materiellen Voraussetzungen für eine Aufhebung der Vollziehung sind zunächst im Hinblick auf das Unionsrecht gegeben.

65

a) Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen oder aufheben, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder - was vorliegend nicht in Betracht kommt und auch von der Antragstellerin nicht geltend gemacht wird - seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

66

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich der Verwaltungsakt bei abschließender Klärung dieser Fragen als rechtswidrig erweisen kann (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. nur Beschluss vom 03.04.2013, V B 125/12; Beschluss vom 26.09.2007, I B 53, 54/07; Beschluss vom 30.10.2008, II B 58/08, Beschluss vom 02.04.2009, II B 157/08, jeweils m. w. N.). Zur Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH, Beschluss vom 03.04.2013, V B 125/12). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern es ist im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH, Beschluss vom 13.03.2012, I B 111/11; Beschluss vom 19.05.2010, I B 191/09).

67

b) Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Steueranmeldung, weil nach Ansicht des beschließenden Senats die Europarechtmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes zweifelhaft ist.

68

aa) Der Senat kann unentschieden lassen, ob es für die Annahme ernstlicher Zweifel bereits ausreicht, dass ein Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängig ist, dessen Beantwortung für die Entscheidung des Streitfalls erheblich ist. Ernstliche Zweifel sind jedenfalls dann anzunehmen, wenn es sich nicht ausschließen lässt, dass der Gerichtshof der Europäischen Union im Sinne des Antragsstellers entscheiden wird (so BFH, Beschluss vom 05.05.1994, V S 11/93). Es reicht, dass im Hinblick auf ein streiterhebliches Vorabentscheidungsersuchen die Möglichkeit besteht, dass der Gerichtshof der Europäischen Union eine Verletzung von Unionsrecht bejahen wird (BFH, Beschluss vom 24.03.1998, I B 100/97).

69

Zur Rechtfertigung der Annahme begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids genügt allerdings, dass dem Gericht des Eilverfahrens die Aussetzung des Hauptsacheverfahrens zur Vorabentscheidung - im Eilverfahren ist ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht statthaft - geboten erscheint, falls der Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens nicht vorhersehbar ist und insoweit von einer Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage auszugehen ist oder von ihr jedenfalls ausgegangen werden kann (BFH, Beschluss v. 25.09.2008, XI S 4/08; dem folgend FG Düsseldorf, Beschluss vom 13.02.2009, 4 V 3976/08 A(Z)).

70

Nur soweit ein Gericht - bei Anhängigkeit eines erheblichen Vorabentscheidungsersuchens eines anderen Gerichts - zu dem Ergebnis kommt, dass seiner Ansicht nach keinerlei Zweifel daran bestehen, dass eine Auslegung des Unionsrechts ergibt, dass der streitgegenständliche Bescheid nicht unionsrechtswidrig ist, das Gericht also ausschließen kann, dass der Gerichtshof der Europäischen Union im Sinne des Antragsstellers entscheiden wird, ist es nicht zur Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz verpflichtet, sondern kann ihn trotz der Anhängigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens in der maßgeblichen Frage versagen (vgl. im Ergebnis Hessisches FG, Beschluss vom 17.05.2013, 1 V 337/13; FG Münster, Beschluss vom 18.01.2013, 5 V 3800/12U; unklar FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.05.2012, 14 V 3826/11, das die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz im Wesentlichen durch einen Hinweis auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs begründet).

71

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist vorliegend davon auszugehen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Steueranmeldung bestehen.

72

In seinem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union hat der Senat das Bestehen von Zweifeln an der Unionsrechtmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes begründet. Der Senat nimmt Bezug auf den gesamten Inhalt seines Vorabentscheidungsersuchens vom 19.11.2013, aus dem sich ergibt, dass der beschließende Senat es für möglich hält, dass das Unionsrecht in einer Weise auszulegen ist, das der Einführung der Kernbrennstoffsteuer entgegensteht. Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist es nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht auszuschließen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union im Sinne der Antragstellerin entscheiden wird.

73

bb) Darüber hinaus - worauf es allerdings nach dem Ausgeführten nicht mehr entscheidend ankommt - hält es der beschließende Senat im Hinblick auf das im Vorabentscheidungsersuchen angesprochene Richtlinienrecht überdies sogar für wahrscheinlich, dass das Kernbrennstoffsteuergesetz jedenfalls gegen die Energiesteuerrichtlinie RL 2003/96/EG bzw. gegen die Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG verstößt und die Steueranmeldung der Antragstellerin damit nicht rechtmäßig ist.

74

Nach dem Ergebnis der Prüfung des Senats spricht einiges dafür, dass die zur Harmonisierung von Verbrauchsteuern und für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom in der Union erlassenen Richtlinien RL 2008/118/EG und RL 2003/96/EG der Einführung einer nationalen Steuer, die auf zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendete Kernbrennstoffe erhoben wird, entgegen stehen.

75

(1) Gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) RL 2003/96/EG sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet, die bei der Stromerzeugung verwendeten "Energieerzeugnisse" von der Steuer zu befreien. Im Sinne einer "Output-Besteuerung" wird im Anwendungsbereich der Richtlinie RL 2003/96/EG also insoweit lediglich der erzeugte Strom der Energiesteuer unterworfen, es werden aber nicht die hierfür verwendeten "Energieerzeugnisse" besteuert mit dem Ziel, das dem Verbrauchsteuerregime der Union insgesamt zugrunde liegende Prinzip einer Besteuerung des Verbrauchers nur im Bestimmungsland unter Vermeidung einer Mehrfachbesteuerung durch zusätzliche Besteuerung im Ursprungsland des Verbrauchsgutes zu verwirklichen (vgl. zum Konzept der Output-Besteuerung im Rahmen der Harmonisierung der Strombesteuerung Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281 m. w. N, vgl. insbes. Kube, IStR 2012, 553, 555, m. w. N., u. a. unter Bezugnahme des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen vom 12.03.1997, KOM (97) 30, S. 5).

76

Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 2 Abs. 1 RL 2003/96EG zur Bestimmung des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie einen Katalog von Waren aufgelistet, die als Energieerzeugnisse im Sinne dieser Richtlinie gelten. Kernbrennstoffe sind in diesem Katalog nicht enthalten und damit nach dem (reinen) Wortlaut dieser Vorschrift keine Energieerzeugnisse im Sinne der Richtlinie, zumal sie auch unter keine der in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 und 3 RL 2003/96/EG enthaltenen Erweiterungen zu subsumieren sind (vgl. Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; Kube, IStR 2012, 553, 555 f.). Dass die Anwendung der zitierten Vorschrift bzw. des Prinzips der Output-Besteuerung auf Atomstrom überhaupt ausgeschlossen ist, also keine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Steuerbefreiung für die zur Erzeugung von Atomstrom eingesetzten Kernbrennstoffe besteht, ist allerdings unionsrechtlich zweifelhaft. Denn es sprechen gewichtige Gründe dafür, zu erwägen, ob die RL 2003/96/EG oder jedenfalls die Regelung in Art. 14 Abs. 1 RL 2003/96/EG gleichwohl, etwa im Wege der Analogie, auf Kernbrennstoffe angewendet werden kann (so Kube, IStR 2012, 553, 556; auch Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281 erwägt die Anwendung von Art. 14 Abs. 1 RL 2003/96 EG auf die Stromerzeugung mittels Kernbrennstoffen, verneint sie allerdings im Ergebnis).

77

Argumente für eine solche Anwendung sind den Gesetzesmaterialien der Richtlinie zu entnehmen, so dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen vom 12.03.1997, KOM (97) 30, S. 5 (vgl. im Einzelnen Kube, IStR 2012, 553, 556) sowie dem Bericht des Europäischen Parlaments über den Entwurf einer Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom vom 11.09.2003 (A5-0302/2003). In diesem Bericht ist festgehalten, der Rat habe sich auf eine "umfassende Richtlinie zur Energiebesteuerung geeinigt ..., die alle Energieformen umfasst". Diese Feststellung spricht gegen die Annahme, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Katalog in Art. 2 RL 2003/96/EG die Kernkraft bewusst aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie habe ausnehmen wollen und dass der Aufzählung der Energieerzeugnisse eine abschließende Bedeutung zukommen solle. Zwar könnte der Umstand, dass in die sodann verabschiedete Richtlinie entgegen der in dem zitierten Bericht angestrebten Erfassung aller Energieformen die Atomkraft nicht ausdrücklich aufgenommen worden ist, für eine Meinungsänderung der Organe sprechen. Die Nichtaufnahme könnte sich jedoch ebenso damit erklären lassen, dass eine ausdrücklich Regelung der Geltung der Output-Besteuerung auch für Atomstrom deswegen für nicht erforderlich erachtet wurde, weil die Kernbrennstoffe mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV) bereits einem Sonderregime unterworfen sind, aufgrund dessen sie als im Eigentum der Europäischen Atomgemeinschaft stehend (Art. 86 EAGV) nicht am normalen Handels- und Warenverkehr teilnehmen und daher auch zu keiner Zeit in einen freien Verkehr gelangen, was jedoch regelmäßig Anknüpfungspunkt für die Erhebung von Verbrauchsteuern ist (vgl. etwa RL 2008/118/EG, 8. Erwägungsgrund).

78

Nach Ansicht des beschließenden Senats kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Richtlinienrecht, das im Zuge schrittweiser Harmonisierung erlassen wird, einer erweiternden Auslegung oder Analogie in keinem Fall zugänglich ist, wie der Antragsgegner meint (zur Zulässigkeit eines Analogieschlusses Kube, IStR 2012, 553, 556).

79

Vor diesem Hintergrund sieht der beschließende Senat über das für die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz hinreichende Bestehen von Zweifeln hinaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Beantwortung der dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegten Auslegungsfragen im Sinne der Antragstellerin beantwortet werden; eine die Zweifelsfragen weiter vertiefende Prüfung ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht angezeigt.

80

(2) Sofern die Besteuerung der Kernbrennstoffe nicht bereits infolge einer Anwendbarkeit der RL 2003/96/EG ausgeschlossen ist, spricht nach Ansicht des beschließenden Senats einiges dafür, dass ihr jedenfalls die durch RL 2008/118/EG erfolgte Harmonisierung von Verbrauchsteuern entgegensteht.

81

Diese Richtlinie legt gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 ein allgemeines System für die Verbrauchsteuern fest, die mittelbar oder unmittelbar auf den Verbrauch der dort aufgeführten und als "verbrauchsteuerpflichtige Waren" definierten Waren, nämlich neben den Energieerzeugnissen und elektrischem Strom gemäß RL 2003/96/EG noch auf Alkohol und alkoholische Getränke sowie Tabakwaren, erhoben werden.

82

Der beschließende Senat neigt dazu, dass die Kernbrennstoffsteuer als eine im Sinne von Art. 1 RL 2008/118/EG indirekte Steuer auf elektrischen Strom anzusehen ist (a) und dass durch Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2008/118/EG das Steuerfindungsrecht der Mitgliedstaaten für indirekte Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren beschränkt wird (b).

83

(a) Der beschließende Senat hält es für möglich, dass der Begriff der indirekten Steuern in Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG so auszulegen ist, dass die Kernbrennstoffsteuer, deren Erhebungstatbestand an das Verwenden von Kernbrennstoffen bei der gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom anknüpft, auch als indirekte Steuer auf elektrischen Strom im Sinne der Richtlinie zu qualifizieren ist.

84

Der Begriff der indirekten Steuern ist im Unionsrecht nicht legal definiert. Für die Annahme, dass es sich bei der Kernbrennsteuer um eine indirekte Steuer im Sinne der Richtlinie handelt, spricht Folgendes:

85

(aa) In Art. 4 Abs. 2 RL 2003/96/EG - einer in einem engen Regelungszusammenhang mit der Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG stehenden Vorschrift (s. Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 RL 2008/118/EG) - wird der "Steuerbetrag" als die Gesamtheit der als indirekte Steuern erhobenen Abgaben definiert, die zum Zeitpunkt der Überführung in den freien Verkehr direkt oder indirekt anhand der Menge an Energieerzeugnissen und elektrischem Strom berechnet werden. Dies spricht nach Ansicht des Senats dafür, dass indirekte Steuern auf elektrischen Strom auch im Sinne der Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG alle diejenigen Steuern sind, deren Höhe sich jedenfalls indirekt nach der Menge des erzeugten und an die Konsumenten abgegebenen elektrischen Stroms bestimmt und somit hierzu proportional sind (so wohl auch Kube, IStR 2012, 553, 554).

86

Das Verhältnis zwischen Kernbrennstoffsteuer einerseits und erzeugtem bzw. abgegebenem Strom andererseits ist zwar nicht streng proportional, denn die Menge des in einem Kernkraftwerksreaktor nach dem Einsetzen von Brennelementen erzeugten Stroms ergibt sich nicht unmittelbar aus der Menge der Kernbrennstoffe, sondern kann nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin je nach Art des eingesetzten Kernbrennstoffs und seiner Beschaffenheit schwanken und hängt auch von dem zwischen verschiedenen Kraftwerken differierenden Wirkungsgrad des Reaktors ab. Daraus ergibt sich aber zugleich, dass sich das Verhältnis zwischen Kernbrennstoffsteuer einerseits und erzeugtem bzw. abgegebenem Strom andererseits regelmäßig einer Proportionalität annähert.

87

Der Senat neigt dem Verständnis zu und hält es durchaus für möglich, dass, um von einer indirekten Steuer auf Strom im Sinne der Verbrauchsteuerrichtlinie RL 2008/118/EG zu sprechen, zwar eine gewisse Proportionalität der Steuer zur Menge des Stroms grundsätzlich erforderlich ist, insoweit aber eine bloß ungefähre Proportionalität ausreicht. Unter Berücksichtigung des Richtlinienziels der Harmonisierung dürften unwesentliche Ungenauigkeiten in der Steuerbemessung ohne Bedeutung sein. Bei Maßgeblichkeit einer strengen Proportionalität bestünde ansonsten sogar die Gefahr, dass dieses Richtlinienziel verfehlt würde bzw. umgangen werden könnte. Entsprechend wird vertreten, dass durch die Kernbrennstoffsteuer der Stromverbrauch mittelbar besteuert werde, weil der Verbrauch von Kernbrennstoffen in direktem, kausalem Zusammenhang mit der Menge des erzeugen und seinerseits verbrauchten Stroms stehe (vgl. Kube, IStR 2012, 553, 558, m. w. N).

88

Der beschließende Senat berücksichtigt dabei auch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.06.1999 in der Rechtssache C-346/97 zur Vorgängervorschrift in Art. 1 der RL 92/12. In dieser Entscheidung hat der Gerichtshof der Europäischen Union eine mittelbare Steuer auf den Verbrauch einer Ware bereits bejaht, sofern ein unmittelbarer, untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Warenverbrauch einerseits und dem Steuertatbestand andererseits besteht. Ein solcher Zusammenhang dürfte vorliegend bestehen, weil die Kernbrennstoffsteuer bei Verwendung der Kernbrennstoffe zur Erzeugung von elektrischem Strom erhoben wird und elektrischer Strom nach seiner Erzeugung mangels hinreichender Speichermöglichkeit grundsätzlich auch verbraucht wird.

89

(bb) Der beschließende Senat erwägt allerdings auch, ob die in Art. 1 RL 2008/118/EG verwendeten Begriffe der mittelbaren Erhebung und der indirekten Steuer etwa voraussetzen, dass die Steuer einen anderen als den Steuerschuldner belasten.

90

Der Senat geht davon aus, dass eine Steuer, die auf ein bei der Herstellung einer Ware eingesetztes Produktionsmittel (hier den Kernbrennstoff) erhoben wird, im Hinblick auf die hergestellte Ware grundsätzlich eine indirekte (vgl. Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG) bzw. eine mittelbar auf ihren Verbrauch erhobene (vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 RL 2008/118/EG) Steuer sein kann. Denn im Allgemeinen werden von produzierenden Unternehmen die im Zusammenhang mit der Warenproduktion anfallenden Steuern - ebenso wie die sonstigen Produktionskosten - beim Vertrieb der Waren eingepreist und damit auf den Verbraucher überwälzt, der dadurch indirekt mit der Steuer belastet wird. Die Kernbrennstoffsteuer wird nach § 2 Abs. 1 KernbrStG nur auf solche Kernbrennstoffe erhoben, die zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet werden, so dass auch eine Steuer, die an den Einsatz von Kernbrennstoffen anknüpft, grundsätzlich zu einer Belastung des Stromverbrauchers im Sinne einer indirekten Besteuerung führen könnte.

91

Sollte es auf die Belastung des Stromverbrauchers ankommen, wäre zu fragen, ob davon auszugehen ist, dass es den steuerpflichtigen Unternehmen gelingen kann, die Kernbrennstoffsteuer tatsächlich auf ihre Abnehmer abzuwälzen.

92

Im Rahmen seiner Überprüfung, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz in Übereinstimmung mit der deutschen Verfassung erlassen wurde, hat der beschließende Senat in seinem Vorlagebeschluss vom 29.0.2013 (4 K 270/11, s. o.) geprüft, ob die Kernbrennstoffsteuer im Sinne des Verbrauchsteuerbegriffs des deutschen Grundgesetzes auf Überwälzung auf den privaten Verbraucher angelegt ist; der Senat hat diese Prüfung im Ergebnis verneint.

93

Der Senat erkennt jedoch, dass der Begriff der indirekten Steuern im Unionsrecht nicht unbedingt mit dem kompetenzrechtlichen Verbrauchsteuerbergriffs des deutschen Grundgesetzes übereinstimmen muss, zumal der im Unionsrecht verwendete Begriff anders als der im Grundgesetz verwendete Begriff funktional der Abgrenzung gegenüber dem Begriff der direkten Steuern dient (so auch in Art. 110 ff. AEUV; nach Kube, IStR 2012, 553, 554, ist die indirekte Erhebungsweise in Form der Belastung durch Überwälzung keine konstitutive Voraussetzung für das Eingreifen des Verbrauchsteuerregimes der Union). Direkte Steuern knüpfen üblicherweise an die Person des Steuerpflichtigen an, nicht jedoch an Waren oder Dienstleistungen, nach denen indirekte Steuern regelmäßig bemessen werden. Die Abgrenzungsfunktion des unionsrechtlichen Begriffs der indirekten Steuern wird bei seiner Auslegung nicht unbeachtet bleiben können. Selbst unter Berücksichtigung ihrer gewinnabschöpfenden Wirkung ist die Kernbrennstoffsteuer wegen ihrer warenbezogenen Erhebung keinesfalls eine klassische direkte Steuer.

94

Der beschließende Senat hat auch die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24.10.2013 (C-440/12) in seine Überlegungen einbezogen. In jenem Vorabentscheidungsersuchen war im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer nach der Bedeutung des Begriffs der Abwälzbarkeit gefragt worden. In dem dortigen Ausgangsfall war es dem klagenden Unternehmer, einem Betreiber von Glücksspielgeräten, aufgrund eines gesetzlichen Verbots verwehrt, den Preis für seine Dienstleistung um die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in diesem Urteil reicht es jedoch für die Abwälzbarkeit aus, wenn sich die geschuldete Mehrwertsteuer aus der Anwendung des gesetzlichen Mehrwertsteuersatzes auf die Nettokasse als Bemessungsgrundlage ergibt; dann werde die Steuer auch tatsächlich von den Endverbrauchern gezahlt und es könne nicht erkannt werden, dass die Preisregulierung die Abwälzung der Mehrwertsteuer auf die Endverbraucher verhindere (EuGH, Urteil vom 24.10.2013, C-440/12, Rz. 50 f.).

95

Der beschließende Senat geht davon aus, dass diese Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer auf die Verbrauchsteuern übertragen werden können, so dass eine unionsrechtliche Abwälzbarkeit einer Waren- oder Dienstleistungsteuer immer dann schon gegeben wäre, wenn die Steuer das Entgelt für eine Ware oder Dienstleistung nicht übersteigt. Da im vorliegenden Fall nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich ist, dass der von der Antragstellerin für ihren Atomstrom erzielte Preis grundsätzlich nicht ausreichen kann, um die erhobenen Steuern zu zahlen, dürfte, falls die Urteilsdeutung des beschließenden Senats zutreffend sein sollte, der Kernbrennstoffsteuer die unionsrechtliche Abwälzbarkeit nicht fehlen und sie könnte also eine indirekte Steuer im Sinne von Art. 1 RL 2008/118/EG sein.

96

(b) Der beschließende Senat bezweifelt, dass die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer, wenn sie denn als mittelbare oder indirekte Steuer auf elektrischen Strom im Sinne von Art. 1 RL 2008/118/EG anzusehen sein sollte, auf Art. 1 Abs. 1 oder 2 RL 2008/118/EG gestützt werden kann und geht davon aus, dass die Mitgliedstaaten nicht berechtigt sind, außerhalb des Regelungsbereichs dieser beiden Vorschriften weitere Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren zu erfinden.

97

(aa) Art. 1 Abs. 1 RL 2008/118/EG könnte Rechtsgrundlage für die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer allenfalls im Zusammenhang mit der Energiesteuerrichtlinie RL 2003/96/EG sein. Es ist bereits dargelegt worden, dass diese Richtlinie gemäß dem Wortlaut ihrer Anwendungsvorschrift in Art. 2 keine Kernbrennstoffe erfasst. Würde die Richtlinie indes anders auszulegen oder anzuwenden sein, dürften die Kernbrennstoffe jedenfalls nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) Satz 1 RL 2003/96/EG steuerbefreit sein (s. o.). Zwar stellt Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) Satz 2 RL 2003/96/EG es den Mitgliedstaaten frei, zur Stromerzeugung eingesetzte Energieerzeugnisse aus umweltpolitischen Gründen doch zu besteuern. Freilich ist diese Voraussetzung hier nicht erfüllt, denn die Gesetzesbegründung des Kernbrennstoffsteuergesetzes stellt nicht auf umweltpolitische Gründe ab, sondern nennt als Gesetzeszweck die Schaffung von Einnahmen für den allgemeinen Haushalt.

98

(bb) Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage in Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG dürften ebenfalls nicht gegeben sein. Nach Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG können Mitgliedstaaten für besondere Zwecke auf verbrauchsteuerpflichtige Waren andere indirekte Steuern erheben, sofern diese Steuern in Bezug auf die Bestimmung der Bemessungsgrundlage, die Berechnung der Steuer, die Entstehung des Steueranspruchs und die steuerliche Überwachung mit den gemeinschaftlichen Vorschriften für die Verbrauchsteuer oder die Mehrwertsteuer - ausgenommen die Bestimmungen über die Steuerbefreiungen - vereinbar sind. Kein besonderer, sondern ein allgemeiner Steuerzweck im Sinne der Verbrauchsteuerrichtlinie ist allerdings die Absicht, mit einer Steuer Einnahmen zu erzielen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.03.2000, C-437/97, Rz. 33; Urteil vom 24.02.2000, C-434/97 m. w. N.; vgl. Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; vgl. Kube, IStR 2012, 553, 558f m. w. N.). Demnach wird die Kernbrennstoffsteuer nicht für besondere Zwecke erhoben, denn sie wurde ausweislich der Gesetzesbegründung eingeführt, weil aus Gründen der Haushaltskonsolidierung des Bundes zusätzliche Einnahmequellen erschlossen werden sollten.

99

(cc) Der beschließende Senat ist der Auffassung, dass der Richtliniengeber in Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG die Erhebung anderer indirekter Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren als die in Art. 1 Abs. 1 RL 2008/118/EG geregelten Steuern zwar einerseits ausdrücklich zulässt - "können erhoben werden" -, zugleich aber diese Zulassung materiell beschränkt auf solche indirekten Steuern, die zum einen "für besondere Zwecke" erhoben werden und zum anderen mit den dort näher bezeichneten unionsrechtlichen Vorschriften vereinbar sind (vgl. zur Beschränkung des nationalen Steuerfindungsrechts durch Art. 1 RL 2008/118/EG Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; Kube, IStR 2012, 553, 555). Das zugrunde gelegt, dürfte eine Erhebung indirekter Steuern im Übrigen nicht zulässig sein.

100

Der beschließende Senat neigt diesem Verständnis aus folgendem Grunde zu: Hätte es den Mitgliedstaaten generell und voraussetzungslos freistehen sollen, neben den Steuern, die durch die in Art. 1 Abs. 1 RL 2008/118/EG genannten Richtlinien eine Regelung erfahren haben, noch weitere indirekte Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren zu erheben, so bliebe die Regelung in Abs. 2 der Vorschrift, die die Erhebung weiterer Steuern innerhalb des dort näher bestimmten Rahmens für zulässig erklärt, ohne Anwendungsbereich.

101

In diesem Zusammenhang merkt der beschließende Senat an, dass er allerdings nicht mit der Antragstellerin der Ansicht ist, dass Deutschland bereits wegen einer "umfassenden Energiezuständigkeit" der Europäischen Union aufgrund des Vertrags von Lissabon oder eines "generellen Verbots einer sogenannten Inputbesteuerung von elektrischem Strom", aufgrund einer "strukturellen Harmonisierungspflicht bzw. Vorab-Sperrwirkung einer noch nicht umgesetzten Harmonisierung des Steuerrechts der Mitgliedstaaten" oder wegen eines etwaigen "CO2-Preissignals" unmittelbar oder im Rahmen einer Auslegung der angesprochenen Richtlinien an der Erhebung einer Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoffen zur Stromerzeugung gehindert ist.

102

3. Nach Ansicht des Senats ist eine Aufhebung der Vollziehung weiterhin auch wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennsteuergesetzes zu gewähren.

103

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm bereits dann zu bejahen, wenn der Bundesfinanzhof die Rechtsnorm im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hat (BFH, Beschluss vom 11.06.2003, IX B 16/03; BFH, Beschluss vom 31.01.2007, VIII B 219/06).

104

Dies gilt nach Ansicht des beschließenden Senats auch dann, wenn der Vorlagebeschluss nicht durch den Bundesfinanzhof, sondern nur durch ein Finanzgericht erfolgt. Sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Vorlagebeschluss durch den Senat eines Finanzgerichts unzulässig oder offenkundig unbegründet ist, in dem Beschluss also im Hinblick auf die strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen die Überzeugung des vorlegenden Senats unter Berücksichtigung des Standes der Rechtsprechung und der Literatur die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit umfassend dargelegt ist, begründet auch ein solcher Vorlagebeschluss ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, der auf den betreffenden Rechtsnormen beruht (so FG Köln, Beschluss vom 04.07.2012, 13 V 1292/12 unter Bezugnahme auf Gosch in Beermann/Gosch, AO/FGO, FGO § 69 Rz. 130; Koch in Gräber, FGO, § 69 Rz. 90).

105

Wie sich aus dem Vorlagebeschluss des beschließenden Senats vom 29.01.2013 ergibt, an dem der Senat festhält und auf den er insoweit Bezug nimmt, haben sich die in dem ursprünglichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund vorläufiger Prüfung ergebenden Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes zwischenzeitlich im Hauptsacheverfahren ("bei detailliert ... begründeter Prüfung", vgl. insoweit Gärditz, ZfZ 2014, 18) zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes verdichtet.

106

4. Das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Steueranmeldung verpflichtet zur Gewährung des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes. Weitere Voraussetzungen sind nicht zu erfüllen.

107

a) Bei europarechtlichen Zweifeln bedarf es ohnehin keines - bei verfassungsrechtlichen Zweifeln zwischen den BFH-Senaten streitigen - besonderen Interesses des Antragstellers am vorläufigen Rechtsschutz, das dem öffentlichen Interesse an geordneter Haushaltsführung vorgeht.

108

Soweit von einzelnen Senaten des Bundesfinanzhofs vertreten wird (vgl. etwa BFH, Beschluss vom 27.05.2004, III B 127/03, m. w. N.), dass für eine Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung von Steuerbescheiden wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der ihnen zugrunde liegenden Vorschrift ein zusätzliches berechtigtes Interesses an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu verlangen ist, wird dieses Erfordernis auf die Fälle der Geltendmachung von Verletzungen des Unionsrecht nicht übertragen (BFH, Beschluss vom 24.03.1998, I B 100/97; BFH, Beschluss vom 19.12.2012, V S 30/12; BFH, Beschluss vom 05.05.1994, V S 11/93).

109

Bereits in seinem Beschluss vom 05.05.1994 gewährte der Bundesfinanzhof (V S 11/93) vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf Zweifel an der Übereinstimmung des nationalen Rechts mit europäischem Richtlinienrecht, die er mit Beschluss vom selben Tag (Az.: V R 23/93) zum Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens machte - und dies, obwohl er, wie in den Gründen seines Vorabentscheidungsersuchens dargelegt, die aufgezeigten Zweifel im Ergebnis nicht für durchgreifend gehalten hat.

110

Dieser Entscheidung wurde in späteren Entscheidungen ausnahmslos gefolgt (BFH, Beschluss vom 14.02.2006, VIII B 107/04; BFH, Beschluss vom 24.03.1998, I B 100/97; Hessisches FG, Beschluss vom 22.10.2008, 7 V 2514/08; FG Düsseldorf, Beschluss vom 20.11.2000, 4 V 5995/00; vgl. auch BFH, Beschluss vom 19.12.2012, V S 30/12; Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 14.10.2004, 6 V 655/04; FG Berlin, Beschluss vom 26.01.2001, 7 B 8348/00; vgl. auch Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 98 FGO).

111

Unerheblich ist, dass sich die Ausführungen in den späteren Entscheidungen teilweise auf die Möglichkeit der Verletzung von primärem Unionsrecht beziehen. So formuliert etwa der Bundesfinanzhof in dem Beschluss vom 24.03.1998 (I B 100/97), die Geltendmachung eines berechtigten Interesses an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung könne nicht gefordert werden, wenn die Verletzung des EG-Vertrags ernstlich in Betracht komme. Da sich der I. Senat des Bundesfinanzhofs in dieser Entscheidung zur Begründung seiner Ansicht allerdings ausdrücklich auf die zitierte Entscheidung des V. Senats vom 05.05.1994 (V S 11/93) bezieht und sich ihr anschließt, kann in der Formulierung keine Einschränkung dahin gehend gesehen werden, dass die Aussetzungsvoraussetzungen bei Zweifeln an der Übereinstimmung nationalen Rechts mit primärem Unionsrecht weitergehend sind als bei solchen, die nur das sekundäre Recht - hier das Richtlinienrecht - betreffen.

112

b) Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel ist die zum Teil geforderte weitere Rechtsschutzvoraussetzung des besonderen Interesses jedenfalls nunmehr gegeben.

113

Zwar hat der VII. Senat des Bundesfinanzhofs seine Entscheidung vom 09.03.2012 (VII B 171/11), mit der er den Beschluss des beschließenden Senats vom 16.09.2011 aufhob, sowie seine entsprechenden weiteren Beschlüsse in den Parallelverfahren damit begründet, dass eine im Streitfall gebotene Abwägung des für eine Aufhebung der Vollziehung sprechenden individuellen Interesses der antragstellenden Betreiber von Kernkraftwerken wegen der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes einerseits und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung unter der gebotenen Beachtung des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts andererseits, zur Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes führe, weil das Rechtsschutzinteresse der Betreiber der Kernkraftwerke keinen Vorrang genieße.

114

Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass, soweit in der Rechtsprechung für die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsgrundlage überhaupt jenseits der geschriebenen Tatbestandsmerkmale des § 69 FGO noch ein vorrangiges Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen verlangt wird, in einem Vorlagebeschluss durch den Bundesfinanzhof an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. GG ein Vorrang begründender Umstand erkannt wird (vgl. BFH, Beschluss vom 21.11.2013, II B 46/13, unter Bezugnahme auf BFH, Beschluss vom 23.04.2012, III B 187/11; BFH, Beschluss vom 01.04.2010, II B 168/09). Nach der entsprechenden Rechtsprechungsänderung des insoweit bisher bei verfassungsrechtlichen Zweifeln eher restriktiv vorläufigen Rechtsschutz gewährenden II. Senat des Bundesfinanzhofs (Beschluss vom 21.11.2013, II B 46/13) kommt es insoweit auch nicht (mehr) darauf an, ob zu erwarten ist, dass das Bundesverfassungsgericht nicht lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz aussprechen und dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird. Ein Vorlagebeschluss eines Senats des Bundesfinanzhofs begründet demnach grundsätzlich einen Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz.

115

Ob der Vorlagebeschluss eines Finanzgerichts in gleicher Weise wie ein Vorlagebeschluss eines Senats des Bundesfinanzhofs den teilweise von der Rechtsprechung verlangten Vorrang begründet, ist zwar, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden worden, ist aber nach Ansicht des beschließenden Senats grundsätzlich zu bejahen.

116

Der beschließende Senat nimmt insoweit Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es hat zwar entschieden, dass durch den Erlass eines Vorlagebeschlusses durch ein Finanzgericht andere Finanzgerichte oder jedenfalls der Bundesfinanzhof nicht daran gehindert werden, die gegen die Verfassungsmäßigkeit der im Ausgangsverfahren erheblichen Vorschrift durch das vorlegende Finanzgericht vorgebrachten Gründe einer sachlichen Prüfung zu unterziehen und unter Bezugnahme auf die bisherige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung gegebenenfalls zu der Würdigung zu gelangen, dass der Vorlagebeschluss wegen offenkundiger Unbegründetheit erfolglos bleiben werde und daraufhin die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz zu versagen, weil ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Vorschrift offensichtlich fehlen (BVerfG, Beschluss vom 06.05.2013, 1 BvR 821/13). Im Umkehrschluss entnimmt der Senat diesen Ausführungen jedoch, dass im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes für die Frage, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen, der Inhalt des Vorlagebeschlusses einer Prüfung zu unterziehen und zu würdigen und für den Fall, dass im Ergebnis das Vorliegen ernstlicher Zweifel nicht verneint werden kann, vorläufiger Rechtsschutz ohne weiteres zu gewähren ist.

117

Andernfalls würde es zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung derjenigen Steuerpflichtigen kommen, auf deren Anfechtung bereits das Finanzgericht die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes gewinnt, gegenüber denjenigen, bei denen erst der Bundesfinanzhof im Rechtsmittelverfahren zu diesem Ergebnis kommt. Letztere erhielten vorläufigen Rechtsschutz ohne Interessenvorrang, bei Ersteren müsste diese Rechtsschutzvoraussetzung noch zusätzlich erfüllt sein.

118

5. Eine Sicherheitsleistung ist nicht anzuordnen.

119

Die Anordnung der Sicherheitsleistung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO dient der Vermeidung von Steuerausfällen, die infolge einer Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung vor allem dadurch entstehen können, dass der Steuerpflichtige im Verfahren zur Hauptsache letztlich unterliegt und zu diesem Zeitpunkt die Durchsetzung der Steuerforderung gefährdet oder erschwert ist (BFH, Beschluss vom 18.07.2012, X S 19/12; BFH, Beschluss vom 03.02.2005, I B 208/04, m. w. N.). Besteht eine entsprechende Gefahr im konkreten Fall nicht, ist für die Anordnung einer Sicherheitsleistung kein Raum (BFH, Beschluss vom 18.07.2012, X S 19/12; BFH, Beschluss vom 03.02.2005, I B 208/04, m. w. N.; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO, Rdnr. 388), denn die Anordnung der Sicherheitsleistung stellt eine Ausnahme vom Regelfall dar (Gosch in Beermann/Gosch, § 69 FGO Rdnr. 206).

120

Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht. Für die Anordnung einer Sicherheitsleistung ergibt sich hieraus, dass grundsätzlich die Finanzbehörde die für eine Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vortragen muss - wenn sich diese Umstände nicht bereits aus dem Vortrag des Antragstellers ergeben - und der Steuerpflichtige ggf. Umstände vortragen muss, die ein (dargelegtes) Sicherungsbedürfnis der Behörde entfallen oder unangemessen erscheinen lassen (BFH, Beschluss vom 10.02.2010, V S 24/09 m. w. N.; BFH, Beschluss vom 07.09.2007, V B 95/07; BFH, Beschluss vom 10.10.2002, VII S 28/01; Dumke in Schwarz, FGO, § 69, Rdnr. 106 m. w. N.).

121

Vorliegend hat der Antragsgegner keine Umstände hinreichend substantiiert vorgebracht, die die Anordnung einer Sicherheitsleistung als erforderlich erscheinen lassen.

122

Der Antragsgegner selbst räumt ein, dass die gegenwärtige finanzielle Situation der Antragstellerin keine Gefährdung des streitgegenständlichen Abgabenanspruchs begründet.

123

Eine Gefährdung des Anspruchs kann allerdings, wie der Antragsgegner zutreffend geltend macht, auch gegeben sein, wenn mit dem Eintritt solcher Umstände künftig ernsthaft zu rechnen ist. Dabei ist der Begriff der Gefährdung nicht erst dann erfüllt, wenn eigene Maßnahmen des Steuerpflichtigen - wie das Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen, fehlerhafte Vermögensspekulationen und anderes mehr - die Gefahr der Uneinbringlichkeit der Steuer begründen, sondern bereits dann, wenn die Liquiditätslage des Steuerpflichtigen die alsbaldige Begleichung einer Steuerschuld nach ihrer endgültigen gerichtlichen Feststellung fraglich erscheinen lassen muss (BFH, Beschluss vom 22.06.1967, I B 7/67). Dafür müssen aber konkrete Anhaltspunkte und nicht nur Vermutungen vorliegen (Birkenfeld a. a. O., Rdnr. 386). Es reicht nicht aus, auf die voraussichtliche - hier tatsächlich eher längere - Verfahrensdauer oder die - hier tatsächlich sehr erhebliche - Höhe des Steueranspruchs schlicht hinzuweisen (Birkenfeld a. a. O., Rdnr. 386). Bei der Beurteilung einer Gefährdung der Steueransprüche kommt es gegebenenfalls auf die Relation der Steuerforderungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Steuerpflichtigen an (vgl. BFH, Beschluss vom 10.10.2002, VII S 28/01; FG Düsseldorf, Beschluss vom 03.07.2002, 15 V 6331/01). Die vom Antragsgegner insbesondere in Bezug genommene Eigenkapitalquote ist nicht mehr als nur eine Facette bei der Beurteilung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und trägt daher die Feststellung einer Gefährdungssituation für sich nicht. Die weiteren Erwägungen des Antragsgegners, dass die Antragstellerin die Brennelemente-Entsorgung und Anlagenstilllegung trotz bereits gebildeter Rückstellungen nicht werde tragen können, rechtfertigen die Anordnung einer Sicherheitsleistung ebenfalls nicht. Denn sie sind nicht hinreichend konkret, sondern eher spekulativer Natur. Dies gilt auch im Hinblick auf sich möglicherweise verschlechternde Rahmenbedingungen aufgrund verschärfter gesetzlicher Verantwortlichkeit für den hochradioaktiven Abfall, zumal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher noch keine Großunternehmen der Atomindustrie durch gesetzliche Maßnahmen in den Ruin getrieben worden sind und auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass solche Maßnahmen zukünftig in rechtmäßiger Weise erfolgen können. Im Übrigen begründet die Äußerung des Antragsgegners, die wirtschaftliche Entwicklung der Antragstellerin in den nächsten drei Jahren sei unsicher, für sich noch keine hinreichend konkrete Gefährdungssituation, sie erschöpft sich vielmehr in einer bloßen Vermutung.

124

Auch den weiteren Vortrag des Antragsgegners, die Antragstellerin werde die Kernbrennstoffsteuer nach gegebenenfalls klagabweisender Entscheidung des Hauptsacheverfahrens deswegen nicht zahlen können, weil die Steuer so hoch sei, hält der Senat im Hinblick auf die Prognose der zukünftigen Zahlungsfähigkeit der Antragstellerin für reine Spekulation. Dass die Berechnung der Höhe der gegebenenfalls zukünftig zu zahlenden Kernbrennstoffsteuer für sich genommen nachvollziehbar ist, ist nicht ausreichend - zumal diese Berechnung unter der nicht belegten Prämisse steht, dass das streitgegenständliche Kernkraftwerk überhaupt weiter betrieben werden wird.

125

Nur ergänzend merkt der Senat Folgendes an: Sollte indes in der Höhe der Kernbrennstoffsteuer eine konkrete Ursache für die von dem Antragsgegner befürchtete Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Schuldner der Kernbrennstoffsteuer in einem solchen Maß sein, dass die Erfüllung des Kernbrennstoffsteueranspruchs gefährdet wird - wovon der Senat mangels hinreichend konkreter Darlegung durch den Antragsgegner indes nicht ausgeht -, so würde dieser Umstand weitere ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Erhebung der Kernbrennstoffsteuer begründen, etwa im Hinblick auf die Unzulässigkeit einer erdrosselnden Besteuerung. Die Erfolgsaussichten für die Klage der Antragstellerin würden entsprechend steigen und die wirkliche Gefahr des Steuerausfalls also sinken und mit ihr auch das Bedürfnis nach einer Sicherheitsleistung (vgl. BFH, Beschluss vom 19.10.2010, XI B 60/09; Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO, Rdnr. 109 m. w. N.).

126

6. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Antragsgegner zur Last, § 135 Abs. 1 FGO.

127

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 151 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 151 Abs. 3 FGO analog, § 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 10.01.2012, 4 V 288/11, mit weiterer Begründung).

128

Der Senat lässt die Beschwerde gegen diesen Beschluss nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO zu.

129

Die Beschwerde ist gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO in Verbindung mit § 115 Abs. 2 FGO u. a. zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert.

130

Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 28.11.1977 (GrS 4/77) ist die Beschwerde auch dann zuzulassen, wenn sich die maßgebliche Rechtsfrage nicht auf die Auslegung des § 69 FGO (also auf die Frage, ob vorliegend ernsthafte rechtliche Zweifel gegeben sind), sondern auf die zugrunde liegende Rechtsfrage bezieht, derentwegen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht werden. Dabei handelt es sich um eine seitdem ständige Rechtsprechung (vgl. BFH, Beschluss vom 06.02.2009, IV B 125/08; BFH, Vorlagebeschluss vom 29.04.1999, IV R 40/97; vgl. BFH, Beschluss vom 07.04.1992, VII B 56/91; a. A. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.10.2008, 6 V 6161/08).

131

Der Große Senat hat in seiner Entscheidung vom 28.11.1977 u. a. ausgeführt, dass für eine in dem dargelegten Sinne bestehende Beschwerdezuständigkeit des Bundesfinanzhofs in Verfahren auf Aussetzung / Aufhebung der Vollziehung ein Bedürfnis bestehe. Es könne sich bei solchen Verfahren um Rechtssachen von weittragender Bedeutung handeln. Nicht selten würden die Entscheidungen veröffentlicht. Es wäre, auch im Hinblick auf die unvermeidlich längere Dauer der Revisionsverfahren, nicht tragbar, wenn sich in diesen wichtigen - obschon nur die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes betreffenden - Verfahren eine unterschiedliche Entscheidungspraxis der Finanzgerichte entwickeln könnte, etwa dergestalt, dass einzelne Finanzgerichte Steuergesetze wegen angenommener Verfassungswidrigkeit für nicht anwendbar halten oder von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, eines anderen obersten Gerichtshofs des Bundes, des Gemeinsamen Senats, des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs abweichen, oder dass sie in einer neuartigen Rechtsfrage von grundsätzlicher, d.h. allgemeiner Bedeutung entscheiden.

132

Vor diesem Hintergrund ist die Beschwerde zuzulassen.

133

Im Hinblick auf die europarechtlichen Zweifel ist zu berücksichtigen, dass das Finanzgericht Baden-Württemberg seine vorläufigen Rechtsschutz versagenden Beschlüsse vom 10.01.2012 (11 V 2661/11 und 11 V 4024/11) damit begründet hat, dass die Anwendung des Kernbrennstoffsteuergesetzes bei summarischer Prüfung weder gegen Verfassungsrecht noch gegen primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht verstoße.

134

Auch wenn das Finanzgericht Baden-Württemberg die nach Ansicht des beschließenden Senats erhebliche europarechtliche Frage, ob die Kernbrennstoffsteuer eine indirekte Steuer auf Strom im Sinne von Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 RL 2008/118/EG ist und ihre Erhebung sich daher an den sich aus diesen Regelungen ergebenden Beschränkungen messen lassen muss, nicht erörtert hat, ist jedenfalls im Hinblick darauf, dass das Finanzgericht Baden-Württemberg die Fragen der Verfassungs- und Unionsrechtsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes im Ergebnis grundlegend anders beantwortet hat, nämlich dass insoweit keine ernsthaften Zweifel besehen, die Beschwerde gegen diesen Beschluss, mit dem die Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung aufgehoben wird, zuzulassen.

135

Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel berücksichtigt der beschließende Senat die Grundsätzlichkeit der Frage, ob ein Anspruch auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz wegen bestehender Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes voraussetzt, dass ein Vorrang des individuellen Interesses des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung unter der gebotenen Beachtung des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts festgestellt werden kann und ein solcher Vorrang jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn ein Finanzgericht das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht im Wege der konkreten Normenkontrolle zur Prüfung vorgelegt hat.

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Finanzgericht Hamburg Beschluss, 11. Apr. 2014 - 4 V 154/13 zitiert 18 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

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(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Zivilprozessordnung - ZPO | § 711 Abwendungsbefugnis


In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt e

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 100


(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassu

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(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; §

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 155


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen, die Zivilprozessordnung einschließlich § 278 Absatz

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 69


(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 128


(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 32


(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dring

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 11


(1) Bei dem Bundesfinanzhof wird ein Großer Senat gebildet. (2) Der Große Senat entscheidet, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will. (3) Eine Vorlage an den Großen Senat i

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Kernbrennstoffsteuergesetz - KernbrStG | § 2 Begriffsbestimmungen


Im Sinn dieses Gesetzes ist: 1. Kernbrennstoff: a) Plutonium 239 und Plutonium 241,b) Uran 233 und Uran 235,auch in Verbindungen, Legierungen, keramischen Erzeugnissen und Mischungen;2. Brennelement: aus einer Vielzahl von Brennstäben montierte Anord

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Gründe I. 1 Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung einer Steueranmeldung vom 08.06.2012 betreffend Kernbrennstoffsteuer, wobei zwischen den Beteiligten kein Streit besteht über die zutreffende Anwendung des Kernbrennstoffs

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Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betreibt in X ein Kraftwerk. Im Juni 2011 setzte sie in den Kernreaktor Brennelemente ein und löste anschließend eine selbsttragende Kettenreaktion aus, was zur Steuerentstehung nach § 5 Abs. 1 des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG) führte. Die verwendeten Brennelemente enthielten ... Gramm Uran 235. In ihrer für den Monat Juni 2011 abgegebenen Steueranmeldung berechnete die Antragstellerin eine Steuer von ... €, die zunächst bezahlt worden ist. Die Antragstellerin hat jedoch Sprungklage erhoben und Aufhebung der Vollziehung beantragt. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) hat der Sprungklage nicht zugestimmt, sondern stattdessen im November 2011 eine Einspruchsentscheidung erlassen. Mit Beschluss vom 16. September 2011 hat das Finanzgericht (FG) die Vollziehung der Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung aufgehoben.

2

In der Begründung seiner Entscheidung äußert das FG Bedenken, ob die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Typus einer Verbrauchsteuer entspreche, so dass sie als Verbrauchsteuer i.S. des Art. 106 des Grundgesetzes (GG) angesehen werden könne, und ob dem Bund für die Einführung einer solchen Steuer nach Art. 105 Abs. 2 GG eine Gesetzgebungskompetenz zustehe. Die Kernbrennstoffe seien keine verbrauchsfähigen Güter im Sinne des herkömmlichen Verbrauchsteuerbegriffs, da sie ausschließlich im Rahmen eines Produktionsprozesses Verwendung fänden und nicht in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr eingebracht würden. Besteuert werde die unternehmerische Tätigkeit der Erzeugung von Energie. Darüber hinaus bestünden erhebliche Zweifel, ob die Kernbrennstoffsteuer auf Abwälzbarkeit angelegt sei. In der Begründung zum Gesetzentwurf habe der Gesetzgeber ausgeführt, eine Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten werde nur in geringem Umfang möglich sein (BTDrucks 17/3054 S. 1 und 2). Soweit nicht der Stromverbraucher belastet werden solle, kämen nur die Betreiber der Kernkraftwerke als Träger der Belastung in Betracht. Ernsthaft zweifelhaft sei auch, ob die Kernbrennstoffsteuer als "übrige Steuer" i.S. des Art. 105 Abs. 2 GG verstanden werden könne.

3

Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung stehe der Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids nicht entgegen. Die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer würden nach Angaben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) jährlich ca. 2,3 Mrd. € betragen. Diesem Betrag stünden nach der gleichen Prognose wegen der steuerlichen Absetzbarkeit der Steuer Mindereinnahmen im Bereich der Ertragsteuern in Höhe von 1,4 Mrd. € gegenüber. Diese Mindereinnahmen seien bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses zu berücksichtigen, auch wenn insoweit zum Teil die Länderhaushalte betroffen seien. Darüber hinaus sei eine Verringerung der Mehreinnahmen durch die vorzeitige Stilllegung von 8 der ursprünglich 17 Kernkraftwerke um mindestens ein Drittel zu berücksichtigen. Die Steuermehreinnahmen würden daher höchstens noch 600 Mio. € betragen, mithin ca. 0,3 % der Steuer- und sonstigen Einnahmen des Bundes. Die Belastung der Antragstellerin bei Nichtaufhebung der Vollziehung sei im Verhältnis zur Belastung der öffentlichen Haushalte im Falle einer Aufhebung demnach sehr hoch und würde die Aufhebung der Vollziehung der Steueranmeldung auch dann rechtfertigen, wenn das KernbrStG einen Geltungsvorrang beanspruchen könne.

4

Mit seiner Beschwerde begehrt das HZA die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung. Es hält das KernbrStG für verfassungsgemäß; am Verbrauchsteuercharakter der Kernbrennstoffsteuer, die auf Abwälzung angelegt sei, und an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestünden keine Zweifel. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würde zur vorläufigen Nichtanwendung des KernbrStG und damit zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe führen. Allein für den Zeitraum Januar bis September 2011 beliefen sich die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer auf über 875 Mio. €. Im Jahr 2011 sei mit einem Aufkommen von 1,3 Mrd. € und in den Folgejahren mit einem ähnlich hohen Aufkommen zu rechnen. Das öffentliche Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung sei höher zu gewichten als das Individualinteresse der Antragstellerin.

5

Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten. Sie schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an.

6

Mit Zwischenbeschluss vom 11. Januar 2012 VII B 171/11 hat der beschließende Senat festgestellt, dass die vom HZA eingelegte Beschwerde zulässig ist.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Beschwerde des HZA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung. Dem öffentlichen Interesse am Vollzug des KernbrStG kommt nach den Umständen des Streitfalls der Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu.

8

1. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts, hat das FG im Regelfall dessen Vollziehung auszusetzen oder im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsakts die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen kann trotz Vorliegens solcher Zweifel die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt werden.

9

a) Ein solcher atypischer Fall kommt in Betracht, wenn die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Ist dies der Fall, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031, und vom 17. März 1994 VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567).

10

b) Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104, und vom 20. Mai 1992 III B 100/91, BFHE 168, 174, BStBl II 1992, 729). Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist dann der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; a.A. offenbar Seer, Vorläufiger Rechtsschutz bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2012, 325).

11

c) Wie das BVerfG entschieden hat, verstößt eine solche Interessensabwägung --die eine geordnete öffentliche Haushaltswirtschaft in den Blick nimmt-- nicht grundsätzlich gegen den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest solange der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibt; in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (BVerfG-Beschluss vom 6. April 1988  1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283).

12

d) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin können diese Grundsätze nicht nur dann Geltung beanspruchen, wenn es um die Frage der materiellen Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm geht, sondern sie sind auch auf Fälle anzuwenden, in denen die formelle Verfassungsmäßigkeit einer Norm in Frage steht (zur fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes vgl. BFH-Beschluss in BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn ein Verfassungsverstoß offensichtlich wäre, so dass das Gesetz die formelle Verfassungswidrigkeit auf der Stirn trüge. In solchen Ausnahmefällen könnte Anlass bestehen, im Rahmen eines Aussetzungs- bzw. Aufhebungsverfahrens den Geltungsanspruch des Gesetzes in Frage zu stellen. So liegt es im Streitfall jedoch nicht (zur Verfassungsmäßigkeit des KernbrStG vgl. Wernsmann, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Kernbrennstoffsteuer, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2011, 1367, und Jatzke, Die Kernbrennstoffsteuer - ein Exot im deutschen Verbrauchsteuerrecht, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2010, 278; Waldhoff, Die Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer und die steuerrechtliche Typenlehre, zur Veröffentlichung in der ZfZ 3/12 vorgesehen; a.A. Seer, DStR 2012, 325).

13

2. Zu Unrecht hat das FG im Streitfall die Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung angeordnet. Die im Streitfall gebotene Abwägung des für eine Aufhebung der Vollziehung sprechenden individuellen Interesses der Antragstellerin und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung sowie die gebotene Beachtung der Verwerfungskompetenz des BVerfG führen zu dem Ergebnis, dass vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden kann.

14

a) In der praktischen Auswirkung käme die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einem einstweiligen Außerkraftsetzen des KernbrStG gleich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass allein dem BVerfG nach § 32 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die Kompetenz zusteht, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen. Von dieser Möglichkeit ist nach Auffassung des BVerfG nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen, denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stellt stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar, so dass die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, ein besonderes Gewicht haben müssen (BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2001  2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.).

15

b) Nach Auffassung des beschließenden Senats liegt ein überwiegendes besonderes berechtigtes Interesse der Antragstellerin nicht vor. Eine faktische Außerkraftsetzung des KernbrStG würde zu Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe führen. Ausweislich des Referentenentwurfs rechnete die Bundesregierung in den Jahren 2011 bis 2016 mit einem jährlichen Aufkommen in Höhe von ca. 2,3 Mrd. €, das ohne gesetzlich festgelegte Zweckbindung zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitragen sollte (BTDrucks 17/3054 S. 1). Auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus u.a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BTDrucks 17/4609) hat die Bundesregierung mitgeteilt, im Rahmen der Verhandlungen zum Förderfondsvertrag habe unter den Vertragspartnern ein Konsens bestanden, nach dem bei einem Steuersatz von 145 €/g Kernbrennstoff von einem durchschnittlichen Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer von 2,3 Mrd. € auszugehen sei, wobei im Falle eines gemeinsamen Kalkulationsirrtums über die Höhe des zu erzielenden Aufkommens eine korrigierende Erhöhung des Steuersatzes erfolgen könne (BTDrucks 17/4832 S. 4 f.). Von vornherein war die Einführung der neuen Steuer darauf angelegt, dem Bund Steuereinnahmen in Milliardenhöhe zu verschaffen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Aufkommenserwartungen im ersten Jahr der Erhebung der Kernbrennstoffsteuer nicht vollständig erfüllt worden sind. Im Jahr 2011 betrug das Gesamtaufkommen lediglich 922 Mio. €. Nach den Ergebnissen des Arbeitskreises Steuerschätzungen wird in den Folgejahren mit einem durchschnittlichen Aufkommen von ca. 1,3 Mrd. € gerechnet (Monatsbericht des BMF, November 2011).

16

c) Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung können die durch die steuerliche Absetzbarkeit der Kernbrennstoffsteuer als Betriebsausgaben zu erwartenden Mindereinnahmen im Bereich der Körperschaft- und Gewerbesteuern zwar nicht völlig außer Acht gelassen werden, jedoch erreichen sie nicht ein solches Ausmaß, dass die verbleibenden Mehreinnahmen ein überwiegendes öffentliches Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung nicht mehr begründen können. In seinem Beschluss vom 26. November 2010 geht der Bundesrat unter Voraussetzung der Nichtabwälzbarkeit der Steuer von Mindereinnahmen bei Ländern und Gemeinden in Höhe von 500 Mio. € aus (BRDrucks 687/10 S. 2). In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung bestätigt, dass die Mindereinnahmen bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer bei allen Gebietskörperschaften zwischen 25 % und 30 % des Aufkommens der Kernbrennstoffsteuer betragen könnten, jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Abwälzung der Steuer und auf die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke hingewiesen. Diese führe zu Zusatzgewinnen bei den Betreibern von Kernkraftwerken und damit zu zusätzlichem Aufkommen bei den Ertragsteuern. Deshalb gehe die Bundesregierung davon aus, dass das Steueraufkommen die Steuermindereinnahmen aus dem Betriebsausgabenabzug der Kernbrennstoffsteuer überkompensieren werde (BTDrucks 17/4832 S. 5). Diese Gesichtspunkte hat das FG bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen und dem prognostizierten Gesamtaufkommen von 2,3 Mrd. € einen auf Steuermindereinnahmen zurückzuführenden Abzugsbetrag in Höhe von 1,4 Mrd. € gegenübergestellt, dessen Berechnung nicht belegt wird. Jedenfalls ergibt sich dieser Betrag nicht aus der vom FG angeführten BTDrucks 17/3054. Aus der Beantwortung der bereits in Bezug genommenen Kleinen Anfrage in BTDrucks 17/4609 lässt sich auf Mindereinnahmen bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer von lediglich 690 Mio. € schließen, wobei auf die Länder und Gemeinden ca. 500 Mio. € entfallen (BTDrucks 17/4832 S. 5). Danach bleibt es für den Bundeshaushalt bei Mehreinnahmen von über 2 Mrd. €.

17

d) Allerdings hat das FG zu Recht auf das Atom-Moratorium und die Stilllegung der ältesten Atomkraftwerke hingewiesen. Nach § 7 Abs. 1a des Atomgesetzes sind bei insgesamt acht Kernkraftwerken die Berechtigungen zum Leistungsbetrieb mit Ablauf des 6. August 2011 erloschen. Wie die Bundesregierung mitgeteilt hat, kann das erwartete Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer durch die dauerhafte Abschaltung dieser Kernkraftwerke jährlich um einen "dreistelligen Millionenbetrag im oberen Bereich" geringer ausfallen (BTDrucks 17/5749 S. 3). Auch die Berücksichtigung der mit der Abschaltung verbundenen Mindereinnahmen führt nicht zu einer derartigen Minderung des Aufkommens der Kernbrennstoffsteuer, dass das berechtigte Interesse des Bundes an einer Haushaltskonsolidierung und geordneten Haushaltsführung vernachlässigt werden könnte. Aufgrund der dauerhaften Stilllegung von acht Kernkraftwerken ist nach den Ergebnissen des Arbeitskreises Steuerschätzungen das geschätzte Aufkommen für das Jahr 2012 um 830 Mio. € und für die folgenden Jahre um jeweils 1 Mrd. € zu korrigieren (Monatsbericht des BMF, November 2011). Danach verbleibt ein prognostiziertes jährliches Steueraufkommen der Kernbrennstoffsteuer von über 1 Mrd. €.

18

Letztlich können Unsicherheiten bei der exakten Bestimmung des Steuerausfalls bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung auf sich beruhen. Entscheidend ist, dass durch eine Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids das KernbrStG faktisch mit der Folge von drohenden hohen Einnahmeausfällen außer Kraft gesetzt würde.

19

e) Dem Vorbringen der Antragstellerin ist nicht schlüssig zu entnehmen, dass durch die sofortige Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung irreparable Nachteile oder eine unzumutbare Härte drohen würden. In diesem Zusammenhang verweist sie lediglich auf den teilweisen Wegfall der kalkulierbaren Gewinne aus der Kernenergiegewinnung und auf --nicht näher bezifferte-- Kosten für frustrierte Aufwendungen und nutzlos gewordene Anlageninvestitionen sowie umfangreiche Investitionen in alternative Formen der Energiegewinnung. Auch die Behauptung, dass für Zwecke der Ertragsbesteuerung zumindest in 2011 im Inland ein negatives Jahresergebnis erzielt werde, wird nicht näher belegt. Jedenfalls lässt sich aus diesen Angaben nicht auf eine drohende Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin schließen. Nach der Rechtsprechung des BFH setzt eine Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte voraus, dass der Betroffene seine wirtschaftliche Lage im Einzelnen vorträgt und glaubhaft macht (BFH-Beschlüsse vom 29. März 2001 III B 80/00, BFH/NV 2001, 1294, und in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18). Nach Einschätzung des Senats ist die (vorläufige) Entrichtung der Steuer der Antragstellerin durchaus zumutbar. Dies wird auch durch den Verzicht des FG auf die Anforderung einer Sicherheitsleistung belegt, den es damit begründet hat, dass Anhaltspunkte für eine Gefährdung des --im Streitfall sehr hohen-- Steueranspruchs nicht ersichtlich seien.

(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

(2) Die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Bei besonderer Dringlichkeit kann das Bundesverfassungsgericht davon absehen, den am Verfahren zur Hauptsache Beteiligten, zum Beitritt Berechtigten oder Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(3) Wird die einstweilige Anordnung durch Beschluß erlassen oder abgelehnt, so kann Widerspruch erhoben werden. Das gilt nicht für den Beschwerdeführer im Verfahren der Verfassungsbeschwerde. Über den Widerspruch entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach mündlicher Verhandlung. Diese muß binnen zwei Wochen nach dem Eingang der Begründung des Widerspruchs stattfinden.

(4) Der Widerspruch gegen die einstweilige Anordnung hat keine aufschiebende Wirkung. Das Bundesverfassungsgericht kann die Vollziehung der einstweiligen Anordnung aussetzen.

(5) Das Bundesverfassungsgericht kann die Entscheidung über die einstweilige Anordnung oder über den Widerspruch ohne Begründung bekanntgeben. In diesem Fall ist die Begründung den Beteiligten gesondert zu übermitteln.

(6) Die einstweilige Anordnung tritt nach sechs Monaten außer Kraft. Sie kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden.

(7) Ist ein Senat nicht beschlußfähig, so kann die einstweilige Anordnung bei besonderer Dringlichkeit erlassen werden, wenn mindestens drei Richter anwesend sind und der Beschluß einstimmig gefaßt wird. Sie tritt nach einem Monat außer Kraft. Wird sie durch den Senat bestätigt, so tritt sie sechs Monate nach ihrem Erlaß außer Kraft.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betreibt in X ein Kraftwerk. Im Juni 2011 setzte sie in den Kernreaktor Brennelemente ein und löste anschließend eine selbsttragende Kettenreaktion aus, was zur Steuerentstehung nach § 5 Abs. 1 des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG) führte. Die verwendeten Brennelemente enthielten ... Gramm Uran 235. In ihrer für den Monat Juni 2011 abgegebenen Steueranmeldung berechnete die Antragstellerin eine Steuer von ... €, die zunächst bezahlt worden ist. Die Antragstellerin hat jedoch Sprungklage erhoben und Aufhebung der Vollziehung beantragt. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) hat der Sprungklage nicht zugestimmt, sondern stattdessen im November 2011 eine Einspruchsentscheidung erlassen. Mit Beschluss vom 16. September 2011 hat das Finanzgericht (FG) die Vollziehung der Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung aufgehoben.

2

In der Begründung seiner Entscheidung äußert das FG Bedenken, ob die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Typus einer Verbrauchsteuer entspreche, so dass sie als Verbrauchsteuer i.S. des Art. 106 des Grundgesetzes (GG) angesehen werden könne, und ob dem Bund für die Einführung einer solchen Steuer nach Art. 105 Abs. 2 GG eine Gesetzgebungskompetenz zustehe. Die Kernbrennstoffe seien keine verbrauchsfähigen Güter im Sinne des herkömmlichen Verbrauchsteuerbegriffs, da sie ausschließlich im Rahmen eines Produktionsprozesses Verwendung fänden und nicht in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr eingebracht würden. Besteuert werde die unternehmerische Tätigkeit der Erzeugung von Energie. Darüber hinaus bestünden erhebliche Zweifel, ob die Kernbrennstoffsteuer auf Abwälzbarkeit angelegt sei. In der Begründung zum Gesetzentwurf habe der Gesetzgeber ausgeführt, eine Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten werde nur in geringem Umfang möglich sein (BTDrucks 17/3054 S. 1 und 2). Soweit nicht der Stromverbraucher belastet werden solle, kämen nur die Betreiber der Kernkraftwerke als Träger der Belastung in Betracht. Ernsthaft zweifelhaft sei auch, ob die Kernbrennstoffsteuer als "übrige Steuer" i.S. des Art. 105 Abs. 2 GG verstanden werden könne.

3

Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung stehe der Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids nicht entgegen. Die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer würden nach Angaben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) jährlich ca. 2,3 Mrd. € betragen. Diesem Betrag stünden nach der gleichen Prognose wegen der steuerlichen Absetzbarkeit der Steuer Mindereinnahmen im Bereich der Ertragsteuern in Höhe von 1,4 Mrd. € gegenüber. Diese Mindereinnahmen seien bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses zu berücksichtigen, auch wenn insoweit zum Teil die Länderhaushalte betroffen seien. Darüber hinaus sei eine Verringerung der Mehreinnahmen durch die vorzeitige Stilllegung von 8 der ursprünglich 17 Kernkraftwerke um mindestens ein Drittel zu berücksichtigen. Die Steuermehreinnahmen würden daher höchstens noch 600 Mio. € betragen, mithin ca. 0,3 % der Steuer- und sonstigen Einnahmen des Bundes. Die Belastung der Antragstellerin bei Nichtaufhebung der Vollziehung sei im Verhältnis zur Belastung der öffentlichen Haushalte im Falle einer Aufhebung demnach sehr hoch und würde die Aufhebung der Vollziehung der Steueranmeldung auch dann rechtfertigen, wenn das KernbrStG einen Geltungsvorrang beanspruchen könne.

4

Mit seiner Beschwerde begehrt das HZA die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung. Es hält das KernbrStG für verfassungsgemäß; am Verbrauchsteuercharakter der Kernbrennstoffsteuer, die auf Abwälzung angelegt sei, und an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestünden keine Zweifel. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würde zur vorläufigen Nichtanwendung des KernbrStG und damit zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe führen. Allein für den Zeitraum Januar bis September 2011 beliefen sich die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer auf über 875 Mio. €. Im Jahr 2011 sei mit einem Aufkommen von 1,3 Mrd. € und in den Folgejahren mit einem ähnlich hohen Aufkommen zu rechnen. Das öffentliche Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung sei höher zu gewichten als das Individualinteresse der Antragstellerin.

5

Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten. Sie schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an.

6

Mit Zwischenbeschluss vom 11. Januar 2012 VII B 171/11 hat der beschließende Senat festgestellt, dass die vom HZA eingelegte Beschwerde zulässig ist.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Beschwerde des HZA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung. Dem öffentlichen Interesse am Vollzug des KernbrStG kommt nach den Umständen des Streitfalls der Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu.

8

1. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts, hat das FG im Regelfall dessen Vollziehung auszusetzen oder im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsakts die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen kann trotz Vorliegens solcher Zweifel die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt werden.

9

a) Ein solcher atypischer Fall kommt in Betracht, wenn die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Ist dies der Fall, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031, und vom 17. März 1994 VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567).

10

b) Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104, und vom 20. Mai 1992 III B 100/91, BFHE 168, 174, BStBl II 1992, 729). Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist dann der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; a.A. offenbar Seer, Vorläufiger Rechtsschutz bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2012, 325).

11

c) Wie das BVerfG entschieden hat, verstößt eine solche Interessensabwägung --die eine geordnete öffentliche Haushaltswirtschaft in den Blick nimmt-- nicht grundsätzlich gegen den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest solange der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibt; in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (BVerfG-Beschluss vom 6. April 1988  1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283).

12

d) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin können diese Grundsätze nicht nur dann Geltung beanspruchen, wenn es um die Frage der materiellen Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm geht, sondern sie sind auch auf Fälle anzuwenden, in denen die formelle Verfassungsmäßigkeit einer Norm in Frage steht (zur fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes vgl. BFH-Beschluss in BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn ein Verfassungsverstoß offensichtlich wäre, so dass das Gesetz die formelle Verfassungswidrigkeit auf der Stirn trüge. In solchen Ausnahmefällen könnte Anlass bestehen, im Rahmen eines Aussetzungs- bzw. Aufhebungsverfahrens den Geltungsanspruch des Gesetzes in Frage zu stellen. So liegt es im Streitfall jedoch nicht (zur Verfassungsmäßigkeit des KernbrStG vgl. Wernsmann, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Kernbrennstoffsteuer, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2011, 1367, und Jatzke, Die Kernbrennstoffsteuer - ein Exot im deutschen Verbrauchsteuerrecht, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2010, 278; Waldhoff, Die Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer und die steuerrechtliche Typenlehre, zur Veröffentlichung in der ZfZ 3/12 vorgesehen; a.A. Seer, DStR 2012, 325).

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2. Zu Unrecht hat das FG im Streitfall die Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung angeordnet. Die im Streitfall gebotene Abwägung des für eine Aufhebung der Vollziehung sprechenden individuellen Interesses der Antragstellerin und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung sowie die gebotene Beachtung der Verwerfungskompetenz des BVerfG führen zu dem Ergebnis, dass vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden kann.

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a) In der praktischen Auswirkung käme die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einem einstweiligen Außerkraftsetzen des KernbrStG gleich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass allein dem BVerfG nach § 32 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die Kompetenz zusteht, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen. Von dieser Möglichkeit ist nach Auffassung des BVerfG nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen, denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stellt stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar, so dass die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, ein besonderes Gewicht haben müssen (BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2001  2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.).

15

b) Nach Auffassung des beschließenden Senats liegt ein überwiegendes besonderes berechtigtes Interesse der Antragstellerin nicht vor. Eine faktische Außerkraftsetzung des KernbrStG würde zu Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe führen. Ausweislich des Referentenentwurfs rechnete die Bundesregierung in den Jahren 2011 bis 2016 mit einem jährlichen Aufkommen in Höhe von ca. 2,3 Mrd. €, das ohne gesetzlich festgelegte Zweckbindung zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitragen sollte (BTDrucks 17/3054 S. 1). Auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus u.a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BTDrucks 17/4609) hat die Bundesregierung mitgeteilt, im Rahmen der Verhandlungen zum Förderfondsvertrag habe unter den Vertragspartnern ein Konsens bestanden, nach dem bei einem Steuersatz von 145 €/g Kernbrennstoff von einem durchschnittlichen Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer von 2,3 Mrd. € auszugehen sei, wobei im Falle eines gemeinsamen Kalkulationsirrtums über die Höhe des zu erzielenden Aufkommens eine korrigierende Erhöhung des Steuersatzes erfolgen könne (BTDrucks 17/4832 S. 4 f.). Von vornherein war die Einführung der neuen Steuer darauf angelegt, dem Bund Steuereinnahmen in Milliardenhöhe zu verschaffen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Aufkommenserwartungen im ersten Jahr der Erhebung der Kernbrennstoffsteuer nicht vollständig erfüllt worden sind. Im Jahr 2011 betrug das Gesamtaufkommen lediglich 922 Mio. €. Nach den Ergebnissen des Arbeitskreises Steuerschätzungen wird in den Folgejahren mit einem durchschnittlichen Aufkommen von ca. 1,3 Mrd. € gerechnet (Monatsbericht des BMF, November 2011).

16

c) Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung können die durch die steuerliche Absetzbarkeit der Kernbrennstoffsteuer als Betriebsausgaben zu erwartenden Mindereinnahmen im Bereich der Körperschaft- und Gewerbesteuern zwar nicht völlig außer Acht gelassen werden, jedoch erreichen sie nicht ein solches Ausmaß, dass die verbleibenden Mehreinnahmen ein überwiegendes öffentliches Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung nicht mehr begründen können. In seinem Beschluss vom 26. November 2010 geht der Bundesrat unter Voraussetzung der Nichtabwälzbarkeit der Steuer von Mindereinnahmen bei Ländern und Gemeinden in Höhe von 500 Mio. € aus (BRDrucks 687/10 S. 2). In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung bestätigt, dass die Mindereinnahmen bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer bei allen Gebietskörperschaften zwischen 25 % und 30 % des Aufkommens der Kernbrennstoffsteuer betragen könnten, jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Abwälzung der Steuer und auf die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke hingewiesen. Diese führe zu Zusatzgewinnen bei den Betreibern von Kernkraftwerken und damit zu zusätzlichem Aufkommen bei den Ertragsteuern. Deshalb gehe die Bundesregierung davon aus, dass das Steueraufkommen die Steuermindereinnahmen aus dem Betriebsausgabenabzug der Kernbrennstoffsteuer überkompensieren werde (BTDrucks 17/4832 S. 5). Diese Gesichtspunkte hat das FG bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen und dem prognostizierten Gesamtaufkommen von 2,3 Mrd. € einen auf Steuermindereinnahmen zurückzuführenden Abzugsbetrag in Höhe von 1,4 Mrd. € gegenübergestellt, dessen Berechnung nicht belegt wird. Jedenfalls ergibt sich dieser Betrag nicht aus der vom FG angeführten BTDrucks 17/3054. Aus der Beantwortung der bereits in Bezug genommenen Kleinen Anfrage in BTDrucks 17/4609 lässt sich auf Mindereinnahmen bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer von lediglich 690 Mio. € schließen, wobei auf die Länder und Gemeinden ca. 500 Mio. € entfallen (BTDrucks 17/4832 S. 5). Danach bleibt es für den Bundeshaushalt bei Mehreinnahmen von über 2 Mrd. €.

17

d) Allerdings hat das FG zu Recht auf das Atom-Moratorium und die Stilllegung der ältesten Atomkraftwerke hingewiesen. Nach § 7 Abs. 1a des Atomgesetzes sind bei insgesamt acht Kernkraftwerken die Berechtigungen zum Leistungsbetrieb mit Ablauf des 6. August 2011 erloschen. Wie die Bundesregierung mitgeteilt hat, kann das erwartete Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer durch die dauerhafte Abschaltung dieser Kernkraftwerke jährlich um einen "dreistelligen Millionenbetrag im oberen Bereich" geringer ausfallen (BTDrucks 17/5749 S. 3). Auch die Berücksichtigung der mit der Abschaltung verbundenen Mindereinnahmen führt nicht zu einer derartigen Minderung des Aufkommens der Kernbrennstoffsteuer, dass das berechtigte Interesse des Bundes an einer Haushaltskonsolidierung und geordneten Haushaltsführung vernachlässigt werden könnte. Aufgrund der dauerhaften Stilllegung von acht Kernkraftwerken ist nach den Ergebnissen des Arbeitskreises Steuerschätzungen das geschätzte Aufkommen für das Jahr 2012 um 830 Mio. € und für die folgenden Jahre um jeweils 1 Mrd. € zu korrigieren (Monatsbericht des BMF, November 2011). Danach verbleibt ein prognostiziertes jährliches Steueraufkommen der Kernbrennstoffsteuer von über 1 Mrd. €.

18

Letztlich können Unsicherheiten bei der exakten Bestimmung des Steuerausfalls bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung auf sich beruhen. Entscheidend ist, dass durch eine Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids das KernbrStG faktisch mit der Folge von drohenden hohen Einnahmeausfällen außer Kraft gesetzt würde.

19

e) Dem Vorbringen der Antragstellerin ist nicht schlüssig zu entnehmen, dass durch die sofortige Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung irreparable Nachteile oder eine unzumutbare Härte drohen würden. In diesem Zusammenhang verweist sie lediglich auf den teilweisen Wegfall der kalkulierbaren Gewinne aus der Kernenergiegewinnung und auf --nicht näher bezifferte-- Kosten für frustrierte Aufwendungen und nutzlos gewordene Anlageninvestitionen sowie umfangreiche Investitionen in alternative Formen der Energiegewinnung. Auch die Behauptung, dass für Zwecke der Ertragsbesteuerung zumindest in 2011 im Inland ein negatives Jahresergebnis erzielt werde, wird nicht näher belegt. Jedenfalls lässt sich aus diesen Angaben nicht auf eine drohende Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin schließen. Nach der Rechtsprechung des BFH setzt eine Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte voraus, dass der Betroffene seine wirtschaftliche Lage im Einzelnen vorträgt und glaubhaft macht (BFH-Beschlüsse vom 29. März 2001 III B 80/00, BFH/NV 2001, 1294, und in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18). Nach Einschätzung des Senats ist die (vorläufige) Entrichtung der Steuer der Antragstellerin durchaus zumutbar. Dies wird auch durch den Verzicht des FG auf die Anforderung einer Sicherheitsleistung belegt, den es damit begründet hat, dass Anhaltspunkte für eine Gefährdung des --im Streitfall sehr hohen-- Steueranspruchs nicht ersichtlich seien.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Bei dem Bundesfinanzhof wird ein Großer Senat gebildet.

(2) Der Große Senat entscheidet, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befasst werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, nunmehr zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluss in der für Urteile erforderlichen Besetzung.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat besteht aus dem Präsidenten und je einem Richter der Senate, in denen der Präsident nicht den Vorsitz führt. Bei einer Verhinderung des Präsidenten tritt ein Richter aus dem Senat, dem er angehört, an seine Stelle.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Den Vorsitz im Großen Senat führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(7) Der Große Senat entscheidet nur über die Rechtsfrage. Er kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Seine Entscheidung ist in der vorliegenden Sache für den erkennenden Senat bindend.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betreibt in X ein Kraftwerk. Im Juni 2011 setzte sie in den Kernreaktor Brennelemente ein und löste anschließend eine selbsttragende Kettenreaktion aus, was zur Steuerentstehung nach § 5 Abs. 1 des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG) führte. Die verwendeten Brennelemente enthielten ... Gramm Uran 235. In ihrer für den Monat Juni 2011 abgegebenen Steueranmeldung berechnete die Antragstellerin eine Steuer von ... €, die zunächst bezahlt worden ist. Die Antragstellerin hat jedoch Sprungklage erhoben und Aufhebung der Vollziehung beantragt. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) hat der Sprungklage nicht zugestimmt, sondern stattdessen im November 2011 eine Einspruchsentscheidung erlassen. Mit Beschluss vom 16. September 2011 hat das Finanzgericht (FG) die Vollziehung der Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung aufgehoben.

2

In der Begründung seiner Entscheidung äußert das FG Bedenken, ob die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Typus einer Verbrauchsteuer entspreche, so dass sie als Verbrauchsteuer i.S. des Art. 106 des Grundgesetzes (GG) angesehen werden könne, und ob dem Bund für die Einführung einer solchen Steuer nach Art. 105 Abs. 2 GG eine Gesetzgebungskompetenz zustehe. Die Kernbrennstoffe seien keine verbrauchsfähigen Güter im Sinne des herkömmlichen Verbrauchsteuerbegriffs, da sie ausschließlich im Rahmen eines Produktionsprozesses Verwendung fänden und nicht in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr eingebracht würden. Besteuert werde die unternehmerische Tätigkeit der Erzeugung von Energie. Darüber hinaus bestünden erhebliche Zweifel, ob die Kernbrennstoffsteuer auf Abwälzbarkeit angelegt sei. In der Begründung zum Gesetzentwurf habe der Gesetzgeber ausgeführt, eine Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten werde nur in geringem Umfang möglich sein (BTDrucks 17/3054 S. 1 und 2). Soweit nicht der Stromverbraucher belastet werden solle, kämen nur die Betreiber der Kernkraftwerke als Träger der Belastung in Betracht. Ernsthaft zweifelhaft sei auch, ob die Kernbrennstoffsteuer als "übrige Steuer" i.S. des Art. 105 Abs. 2 GG verstanden werden könne.

3

Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung stehe der Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids nicht entgegen. Die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer würden nach Angaben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) jährlich ca. 2,3 Mrd. € betragen. Diesem Betrag stünden nach der gleichen Prognose wegen der steuerlichen Absetzbarkeit der Steuer Mindereinnahmen im Bereich der Ertragsteuern in Höhe von 1,4 Mrd. € gegenüber. Diese Mindereinnahmen seien bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses zu berücksichtigen, auch wenn insoweit zum Teil die Länderhaushalte betroffen seien. Darüber hinaus sei eine Verringerung der Mehreinnahmen durch die vorzeitige Stilllegung von 8 der ursprünglich 17 Kernkraftwerke um mindestens ein Drittel zu berücksichtigen. Die Steuermehreinnahmen würden daher höchstens noch 600 Mio. € betragen, mithin ca. 0,3 % der Steuer- und sonstigen Einnahmen des Bundes. Die Belastung der Antragstellerin bei Nichtaufhebung der Vollziehung sei im Verhältnis zur Belastung der öffentlichen Haushalte im Falle einer Aufhebung demnach sehr hoch und würde die Aufhebung der Vollziehung der Steueranmeldung auch dann rechtfertigen, wenn das KernbrStG einen Geltungsvorrang beanspruchen könne.

4

Mit seiner Beschwerde begehrt das HZA die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung. Es hält das KernbrStG für verfassungsgemäß; am Verbrauchsteuercharakter der Kernbrennstoffsteuer, die auf Abwälzung angelegt sei, und an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestünden keine Zweifel. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würde zur vorläufigen Nichtanwendung des KernbrStG und damit zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe führen. Allein für den Zeitraum Januar bis September 2011 beliefen sich die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer auf über 875 Mio. €. Im Jahr 2011 sei mit einem Aufkommen von 1,3 Mrd. € und in den Folgejahren mit einem ähnlich hohen Aufkommen zu rechnen. Das öffentliche Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung sei höher zu gewichten als das Individualinteresse der Antragstellerin.

5

Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten. Sie schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an.

6

Mit Zwischenbeschluss vom 11. Januar 2012 VII B 171/11 hat der beschließende Senat festgestellt, dass die vom HZA eingelegte Beschwerde zulässig ist.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Beschwerde des HZA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung. Dem öffentlichen Interesse am Vollzug des KernbrStG kommt nach den Umständen des Streitfalls der Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu.

8

1. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts, hat das FG im Regelfall dessen Vollziehung auszusetzen oder im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsakts die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen kann trotz Vorliegens solcher Zweifel die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt werden.

9

a) Ein solcher atypischer Fall kommt in Betracht, wenn die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Ist dies der Fall, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031, und vom 17. März 1994 VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567).

10

b) Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104, und vom 20. Mai 1992 III B 100/91, BFHE 168, 174, BStBl II 1992, 729). Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist dann der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; a.A. offenbar Seer, Vorläufiger Rechtsschutz bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2012, 325).

11

c) Wie das BVerfG entschieden hat, verstößt eine solche Interessensabwägung --die eine geordnete öffentliche Haushaltswirtschaft in den Blick nimmt-- nicht grundsätzlich gegen den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest solange der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibt; in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (BVerfG-Beschluss vom 6. April 1988  1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283).

12

d) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin können diese Grundsätze nicht nur dann Geltung beanspruchen, wenn es um die Frage der materiellen Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm geht, sondern sie sind auch auf Fälle anzuwenden, in denen die formelle Verfassungsmäßigkeit einer Norm in Frage steht (zur fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes vgl. BFH-Beschluss in BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn ein Verfassungsverstoß offensichtlich wäre, so dass das Gesetz die formelle Verfassungswidrigkeit auf der Stirn trüge. In solchen Ausnahmefällen könnte Anlass bestehen, im Rahmen eines Aussetzungs- bzw. Aufhebungsverfahrens den Geltungsanspruch des Gesetzes in Frage zu stellen. So liegt es im Streitfall jedoch nicht (zur Verfassungsmäßigkeit des KernbrStG vgl. Wernsmann, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Kernbrennstoffsteuer, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2011, 1367, und Jatzke, Die Kernbrennstoffsteuer - ein Exot im deutschen Verbrauchsteuerrecht, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2010, 278; Waldhoff, Die Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer und die steuerrechtliche Typenlehre, zur Veröffentlichung in der ZfZ 3/12 vorgesehen; a.A. Seer, DStR 2012, 325).

13

2. Zu Unrecht hat das FG im Streitfall die Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung angeordnet. Die im Streitfall gebotene Abwägung des für eine Aufhebung der Vollziehung sprechenden individuellen Interesses der Antragstellerin und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung sowie die gebotene Beachtung der Verwerfungskompetenz des BVerfG führen zu dem Ergebnis, dass vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden kann.

14

a) In der praktischen Auswirkung käme die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einem einstweiligen Außerkraftsetzen des KernbrStG gleich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass allein dem BVerfG nach § 32 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die Kompetenz zusteht, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen. Von dieser Möglichkeit ist nach Auffassung des BVerfG nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen, denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stellt stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar, so dass die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, ein besonderes Gewicht haben müssen (BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2001  2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.).

15

b) Nach Auffassung des beschließenden Senats liegt ein überwiegendes besonderes berechtigtes Interesse der Antragstellerin nicht vor. Eine faktische Außerkraftsetzung des KernbrStG würde zu Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe führen. Ausweislich des Referentenentwurfs rechnete die Bundesregierung in den Jahren 2011 bis 2016 mit einem jährlichen Aufkommen in Höhe von ca. 2,3 Mrd. €, das ohne gesetzlich festgelegte Zweckbindung zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitragen sollte (BTDrucks 17/3054 S. 1). Auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus u.a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BTDrucks 17/4609) hat die Bundesregierung mitgeteilt, im Rahmen der Verhandlungen zum Förderfondsvertrag habe unter den Vertragspartnern ein Konsens bestanden, nach dem bei einem Steuersatz von 145 €/g Kernbrennstoff von einem durchschnittlichen Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer von 2,3 Mrd. € auszugehen sei, wobei im Falle eines gemeinsamen Kalkulationsirrtums über die Höhe des zu erzielenden Aufkommens eine korrigierende Erhöhung des Steuersatzes erfolgen könne (BTDrucks 17/4832 S. 4 f.). Von vornherein war die Einführung der neuen Steuer darauf angelegt, dem Bund Steuereinnahmen in Milliardenhöhe zu verschaffen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Aufkommenserwartungen im ersten Jahr der Erhebung der Kernbrennstoffsteuer nicht vollständig erfüllt worden sind. Im Jahr 2011 betrug das Gesamtaufkommen lediglich 922 Mio. €. Nach den Ergebnissen des Arbeitskreises Steuerschätzungen wird in den Folgejahren mit einem durchschnittlichen Aufkommen von ca. 1,3 Mrd. € gerechnet (Monatsbericht des BMF, November 2011).

16

c) Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung können die durch die steuerliche Absetzbarkeit der Kernbrennstoffsteuer als Betriebsausgaben zu erwartenden Mindereinnahmen im Bereich der Körperschaft- und Gewerbesteuern zwar nicht völlig außer Acht gelassen werden, jedoch erreichen sie nicht ein solches Ausmaß, dass die verbleibenden Mehreinnahmen ein überwiegendes öffentliches Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung nicht mehr begründen können. In seinem Beschluss vom 26. November 2010 geht der Bundesrat unter Voraussetzung der Nichtabwälzbarkeit der Steuer von Mindereinnahmen bei Ländern und Gemeinden in Höhe von 500 Mio. € aus (BRDrucks 687/10 S. 2). In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung bestätigt, dass die Mindereinnahmen bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer bei allen Gebietskörperschaften zwischen 25 % und 30 % des Aufkommens der Kernbrennstoffsteuer betragen könnten, jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Abwälzung der Steuer und auf die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke hingewiesen. Diese führe zu Zusatzgewinnen bei den Betreibern von Kernkraftwerken und damit zu zusätzlichem Aufkommen bei den Ertragsteuern. Deshalb gehe die Bundesregierung davon aus, dass das Steueraufkommen die Steuermindereinnahmen aus dem Betriebsausgabenabzug der Kernbrennstoffsteuer überkompensieren werde (BTDrucks 17/4832 S. 5). Diese Gesichtspunkte hat das FG bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen und dem prognostizierten Gesamtaufkommen von 2,3 Mrd. € einen auf Steuermindereinnahmen zurückzuführenden Abzugsbetrag in Höhe von 1,4 Mrd. € gegenübergestellt, dessen Berechnung nicht belegt wird. Jedenfalls ergibt sich dieser Betrag nicht aus der vom FG angeführten BTDrucks 17/3054. Aus der Beantwortung der bereits in Bezug genommenen Kleinen Anfrage in BTDrucks 17/4609 lässt sich auf Mindereinnahmen bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer von lediglich 690 Mio. € schließen, wobei auf die Länder und Gemeinden ca. 500 Mio. € entfallen (BTDrucks 17/4832 S. 5). Danach bleibt es für den Bundeshaushalt bei Mehreinnahmen von über 2 Mrd. €.

17

d) Allerdings hat das FG zu Recht auf das Atom-Moratorium und die Stilllegung der ältesten Atomkraftwerke hingewiesen. Nach § 7 Abs. 1a des Atomgesetzes sind bei insgesamt acht Kernkraftwerken die Berechtigungen zum Leistungsbetrieb mit Ablauf des 6. August 2011 erloschen. Wie die Bundesregierung mitgeteilt hat, kann das erwartete Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer durch die dauerhafte Abschaltung dieser Kernkraftwerke jährlich um einen "dreistelligen Millionenbetrag im oberen Bereich" geringer ausfallen (BTDrucks 17/5749 S. 3). Auch die Berücksichtigung der mit der Abschaltung verbundenen Mindereinnahmen führt nicht zu einer derartigen Minderung des Aufkommens der Kernbrennstoffsteuer, dass das berechtigte Interesse des Bundes an einer Haushaltskonsolidierung und geordneten Haushaltsführung vernachlässigt werden könnte. Aufgrund der dauerhaften Stilllegung von acht Kernkraftwerken ist nach den Ergebnissen des Arbeitskreises Steuerschätzungen das geschätzte Aufkommen für das Jahr 2012 um 830 Mio. € und für die folgenden Jahre um jeweils 1 Mrd. € zu korrigieren (Monatsbericht des BMF, November 2011). Danach verbleibt ein prognostiziertes jährliches Steueraufkommen der Kernbrennstoffsteuer von über 1 Mrd. €.

18

Letztlich können Unsicherheiten bei der exakten Bestimmung des Steuerausfalls bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung auf sich beruhen. Entscheidend ist, dass durch eine Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids das KernbrStG faktisch mit der Folge von drohenden hohen Einnahmeausfällen außer Kraft gesetzt würde.

19

e) Dem Vorbringen der Antragstellerin ist nicht schlüssig zu entnehmen, dass durch die sofortige Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung irreparable Nachteile oder eine unzumutbare Härte drohen würden. In diesem Zusammenhang verweist sie lediglich auf den teilweisen Wegfall der kalkulierbaren Gewinne aus der Kernenergiegewinnung und auf --nicht näher bezifferte-- Kosten für frustrierte Aufwendungen und nutzlos gewordene Anlageninvestitionen sowie umfangreiche Investitionen in alternative Formen der Energiegewinnung. Auch die Behauptung, dass für Zwecke der Ertragsbesteuerung zumindest in 2011 im Inland ein negatives Jahresergebnis erzielt werde, wird nicht näher belegt. Jedenfalls lässt sich aus diesen Angaben nicht auf eine drohende Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin schließen. Nach der Rechtsprechung des BFH setzt eine Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte voraus, dass der Betroffene seine wirtschaftliche Lage im Einzelnen vorträgt und glaubhaft macht (BFH-Beschlüsse vom 29. März 2001 III B 80/00, BFH/NV 2001, 1294, und in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18). Nach Einschätzung des Senats ist die (vorläufige) Entrichtung der Steuer der Antragstellerin durchaus zumutbar. Dies wird auch durch den Verzicht des FG auf die Anforderung einer Sicherheitsleistung belegt, den es damit begründet hat, dass Anhaltspunkte für eine Gefährdung des --im Streitfall sehr hohen-- Steueranspruchs nicht ersichtlich seien.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tatbestand

1

I. Mit Beschluss vom 30. Juni 2011  2 V 332/11 hatte das Finanzgericht (FG) einen Antrag des Klägers, Revisionsklägers und Antragstellers (Antragsteller) auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Umsatzsteuer-Änderungsbescheide 1998 bis 2001 vom 21. Juni 2007 abgelehnt, ohne die Beschwerde zum Bundesfinanzhof (BFH) zuzulassen.

2

Die Klage in derselben Sache wies das FG mit --dem am 10. April 2013 zugestellten-- Urteil vom 20. Februar 2013  2 K 1037/10 als unbegründet ab, ließ jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zu, und zwar im Hinblick auf die Frage des Umfangs eines möglichen Zeugenbeweises bei vollständigem Verlust sämtlicher Belege.

3

Der Antragsteller legte mit Schriftsatz vom 7. Mai 2013 Revision ein (V R 23/13) und beantragte mit Schreiben vom 8. Juli 2013 beim BFH die AdV der Umsatzsteuerbescheide 1998 bis 2001.

4

Der Antragsteller ist der Auffassung, es lägen veränderte Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 FGO vor: Das FG sei ursprünglich davon ausgegangen, dass für die Anerkennung des Vorsteuerabzugs bei Verlust sämtlicher Belege eine nach Streitjahren getrennte Aufstellung vorzulegen sei, aus welchen Lieferungen und Leistungen der Vorsteuerabzug begehrt werde. Hierzu müssten Angaben zum Leistungsgegenstand, Leistungszeitpunkt und zur Höhe des Entgelts gemacht werden. Auf der Grundlage der Diskussion in der mündlichen Verhandlung sei das FG insoweit von dieser Auffassung abgerückt, als es --trotz Abweisung der Klage-- hinsichtlich der Frage des Umfangs des Zeugenbeweises ausdrücklich die Revision zum BFH zugelassen habe. Durch die Zulassung der Revision seien veränderte Umstände gegeben, die eine AdV rechtfertigen.

5

An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung bestünden ernstliche Zweifel, da das Urteil des FG formelles und materielles Bundesrecht verletze.

Entscheidungsgründe

6

II. Der Antrag auf AdV ist unzulässig.

7

1. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen und nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO Aussetzungsbeschlüsse über Anträge nach § 69 Abs. 3 FGO jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO).

8

a) Da die Entscheidung des Gerichts über einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO nicht in materieller Rechtskraft erwächst, steht es dem Antragsteller frei, jederzeit einen neuen Antrag zu stellen. Die Zulässigkeit eines solchen Folgeantrags ist allerdings an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gebunden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. Februar 2005 VIII B 216/03, BFH/NV 2005, 1328 Leitsatz 1; vom 18. September 1996 I B 39/96, BFH/NV 1997, 247; vom 25. März 1998 IX S 27/97, BFH/NV 1998, 1115; vom 13. Oktober 1999 I S 4/99, BFHE 190, 34, BStBl II 2000, 86; vom 24. August 2004 VIII S 1/04, juris). Eine erneute Entscheidung in der Sache kann der Antragsteller also nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände herbeiführen.

9

b) Diese Einschränkung gilt auch dann, wenn in der Hauptsache inzwischen ein Verfahren beim BFH als dem Gericht der Hauptsache anhängig ist und der erneute Antrag deshalb beim BFH gestellt wird. Es wäre nicht gerechtfertigt, den Beteiligten allein wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Zuständigkeitswechsels eine Rechtsschutzmöglichkeit zu eröffnen, die das Gesetz ihnen gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht versagt. Andernfalls könnte durch wiederholte Aussetzungsanträge die Vorschrift des § 128 Abs. 3 FGO unterlaufen werden, nach der die Beschwerde gegen den eine Aussetzung ablehnenden Beschluss des FG nur statthaft ist, wenn das FG sie zugelassen hat (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1998, 1115; vom 4. November 1996 IX S 7/96, BFH/NV 1997, 492). Diese Regelung zielt darauf ab, dass ein einmal vom FG entschiedenes Verfahren auf AdV nicht ohne Zutun des FG an den BFH herangetragen werden soll. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn eine Anfechtung der in der Hauptsache ergangenen FG-Entscheidung eine solche Möglichkeit letztlich doch eröffnen würde. Hierdurch könnte die vom Gesetz vorgegebene grundsätzliche Beschränkung des einstweiligen Rechtsschutzes auf eine Instanz für eine Vielzahl von Fällen unterlaufen werden (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1115). Im Ergebnis kann deshalb auch ein --zutreffenderweise beim BFH gestellter-- erneuter Antrag auf AdV nur nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO statthaft sein (vgl. BFH-Beschluss vom 24. August 2004 VIII S 1/04, juris).

10

c) Da der BFH als Gericht der Hauptsache sowohl für die Entscheidung über einen neuen Antrag als auch für die Änderung oder Aufhebung des vom FG erlassenen Beschlusses zuständig ist (vgl. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 1194; Gosch in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 FGO Rz 335; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 164) und für beide Anträge dieselbe Einschränkung des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gilt, kann der Senat offen lassen, ob das Rechtsschutzbegehren des Klägers als Aussetzungs- oder Änderungsantrag auszulegen ist.

11

2. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO liegen im Streitfall nicht vor.

12

a) Nach dieser Vorschrift ist die Zulässigkeit des Antrags von veränderten Umständen (Alt. 1) oder von zwar unveränderten Umständen abhängig, die aber im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht worden sind (Alt. 2). "Umstände" in diesem Sinne können Tatsachen und Beweismittel sein, die nach Ablehnung der AdV entstanden oder bekannt geworden sind. Dasselbe gilt, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage inzwischen höchstrichterlich (anders) entschieden worden oder inzwischen ein die entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffender Vorlagebeschluss ergangen ist (vgl. Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 199; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 166, jeweils m.w.N.).

13

b) Der Antragsteller hat nicht vorgetragen und es ist auch den Akten nicht zu entnehmen, dass im Anschluss an die AdV-Entscheidung des FG vom 30. Juni 2011 Umstände eingetreten oder erkennbar geworden wären, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt oder die maßgebliche Rechtslage in einem neuen Licht erscheinen ließen. Seit dem 30. Juni 2011 haben sich weder die entscheidungserheblichen Normen des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- (§§ 14, 15 UStG) geändert noch ist eine Entscheidung des BFH ergangen, nach der sich die Rechtslage für die Beurteilung der Frage nach einer Anerkennung des Vorsteuerabzugs bei Verlust sämtlicher Belege anders als bisher darstellt.

14

c) Eine Änderung der maßgeblichen Rechtslage kann --entgegen der Ansicht des Antragstellers-- auch nicht darin gesehen werden, dass das FG die Revision zum BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen hat. Abgesehen davon, dass selbst eine gegenüber dem Aussetzungsbeschluss veränderte rechtliche Beurteilung durch das FG im Hauptsacheverfahren hierfür nicht genügen würde (vgl. Dumke in Schwarz, Kommentar zur FGO, § 69 Rz 112a; Gosch in Beermann/Gosch, a.a.O., § 69 FGO Rz 331), ist das FG im Hauptsacheverfahren bei seiner Rechtsansicht geblieben und hat die Klage demgemäß abgewiesen. Die Zulassung der Revision durch das FG ermöglicht dem BFH zwar eine entscheidungserhebliche Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, stellt selbst aber noch keine Änderung der maßgeblichen Rechtslage i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO dar.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betreibt in X ein Kraftwerk. Im Juni 2011 setzte sie in den Kernreaktor Brennelemente ein und löste anschließend eine selbsttragende Kettenreaktion aus, was zur Steuerentstehung nach § 5 Abs. 1 des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG) führte. Die verwendeten Brennelemente enthielten ... Gramm Uran 235. In ihrer für den Monat Juni 2011 abgegebenen Steueranmeldung berechnete die Antragstellerin eine Steuer von ... €, die zunächst bezahlt worden ist. Die Antragstellerin hat jedoch Sprungklage erhoben und Aufhebung der Vollziehung beantragt. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) hat der Sprungklage nicht zugestimmt, sondern stattdessen im November 2011 eine Einspruchsentscheidung erlassen. Mit Beschluss vom 16. September 2011 hat das Finanzgericht (FG) die Vollziehung der Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung aufgehoben.

2

In der Begründung seiner Entscheidung äußert das FG Bedenken, ob die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Typus einer Verbrauchsteuer entspreche, so dass sie als Verbrauchsteuer i.S. des Art. 106 des Grundgesetzes (GG) angesehen werden könne, und ob dem Bund für die Einführung einer solchen Steuer nach Art. 105 Abs. 2 GG eine Gesetzgebungskompetenz zustehe. Die Kernbrennstoffe seien keine verbrauchsfähigen Güter im Sinne des herkömmlichen Verbrauchsteuerbegriffs, da sie ausschließlich im Rahmen eines Produktionsprozesses Verwendung fänden und nicht in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr eingebracht würden. Besteuert werde die unternehmerische Tätigkeit der Erzeugung von Energie. Darüber hinaus bestünden erhebliche Zweifel, ob die Kernbrennstoffsteuer auf Abwälzbarkeit angelegt sei. In der Begründung zum Gesetzentwurf habe der Gesetzgeber ausgeführt, eine Überwälzung der den Stromerzeugern entstehenden zusätzlichen Kosten werde nur in geringem Umfang möglich sein (BTDrucks 17/3054 S. 1 und 2). Soweit nicht der Stromverbraucher belastet werden solle, kämen nur die Betreiber der Kernkraftwerke als Träger der Belastung in Betracht. Ernsthaft zweifelhaft sei auch, ob die Kernbrennstoffsteuer als "übrige Steuer" i.S. des Art. 105 Abs. 2 GG verstanden werden könne.

3

Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung stehe der Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids nicht entgegen. Die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer würden nach Angaben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) jährlich ca. 2,3 Mrd. € betragen. Diesem Betrag stünden nach der gleichen Prognose wegen der steuerlichen Absetzbarkeit der Steuer Mindereinnahmen im Bereich der Ertragsteuern in Höhe von 1,4 Mrd. € gegenüber. Diese Mindereinnahmen seien bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses zu berücksichtigen, auch wenn insoweit zum Teil die Länderhaushalte betroffen seien. Darüber hinaus sei eine Verringerung der Mehreinnahmen durch die vorzeitige Stilllegung von 8 der ursprünglich 17 Kernkraftwerke um mindestens ein Drittel zu berücksichtigen. Die Steuermehreinnahmen würden daher höchstens noch 600 Mio. € betragen, mithin ca. 0,3 % der Steuer- und sonstigen Einnahmen des Bundes. Die Belastung der Antragstellerin bei Nichtaufhebung der Vollziehung sei im Verhältnis zur Belastung der öffentlichen Haushalte im Falle einer Aufhebung demnach sehr hoch und würde die Aufhebung der Vollziehung der Steueranmeldung auch dann rechtfertigen, wenn das KernbrStG einen Geltungsvorrang beanspruchen könne.

4

Mit seiner Beschwerde begehrt das HZA die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung. Es hält das KernbrStG für verfassungsgemäß; am Verbrauchsteuercharakter der Kernbrennstoffsteuer, die auf Abwälzung angelegt sei, und an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestünden keine Zweifel. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würde zur vorläufigen Nichtanwendung des KernbrStG und damit zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe führen. Allein für den Zeitraum Januar bis September 2011 beliefen sich die Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer auf über 875 Mio. €. Im Jahr 2011 sei mit einem Aufkommen von 1,3 Mrd. € und in den Folgejahren mit einem ähnlich hohen Aufkommen zu rechnen. Das öffentliche Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung sei höher zu gewichten als das Individualinteresse der Antragstellerin.

5

Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten. Sie schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an.

6

Mit Zwischenbeschluss vom 11. Januar 2012 VII B 171/11 hat der beschließende Senat festgestellt, dass die vom HZA eingelegte Beschwerde zulässig ist.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Beschwerde des HZA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung. Dem öffentlichen Interesse am Vollzug des KernbrStG kommt nach den Umständen des Streitfalls der Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu.

8

1. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts, hat das FG im Regelfall dessen Vollziehung auszusetzen oder im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsakts die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen kann trotz Vorliegens solcher Zweifel die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt werden.

9

a) Ein solcher atypischer Fall kommt in Betracht, wenn die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Ist dies der Fall, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031, und vom 17. März 1994 VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567).

10

b) Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104, und vom 20. Mai 1992 III B 100/91, BFHE 168, 174, BStBl II 1992, 729). Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist dann der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; a.A. offenbar Seer, Vorläufiger Rechtsschutz bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2012, 325).

11

c) Wie das BVerfG entschieden hat, verstößt eine solche Interessensabwägung --die eine geordnete öffentliche Haushaltswirtschaft in den Blick nimmt-- nicht grundsätzlich gegen den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest solange der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibt; in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (BVerfG-Beschluss vom 6. April 1988  1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283).

12

d) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin können diese Grundsätze nicht nur dann Geltung beanspruchen, wenn es um die Frage der materiellen Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm geht, sondern sie sind auch auf Fälle anzuwenden, in denen die formelle Verfassungsmäßigkeit einer Norm in Frage steht (zur fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes vgl. BFH-Beschluss in BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn ein Verfassungsverstoß offensichtlich wäre, so dass das Gesetz die formelle Verfassungswidrigkeit auf der Stirn trüge. In solchen Ausnahmefällen könnte Anlass bestehen, im Rahmen eines Aussetzungs- bzw. Aufhebungsverfahrens den Geltungsanspruch des Gesetzes in Frage zu stellen. So liegt es im Streitfall jedoch nicht (zur Verfassungsmäßigkeit des KernbrStG vgl. Wernsmann, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Kernbrennstoffsteuer, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2011, 1367, und Jatzke, Die Kernbrennstoffsteuer - ein Exot im deutschen Verbrauchsteuerrecht, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2010, 278; Waldhoff, Die Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer und die steuerrechtliche Typenlehre, zur Veröffentlichung in der ZfZ 3/12 vorgesehen; a.A. Seer, DStR 2012, 325).

13

2. Zu Unrecht hat das FG im Streitfall die Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung angeordnet. Die im Streitfall gebotene Abwägung des für eine Aufhebung der Vollziehung sprechenden individuellen Interesses der Antragstellerin und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung sowie die gebotene Beachtung der Verwerfungskompetenz des BVerfG führen zu dem Ergebnis, dass vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden kann.

14

a) In der praktischen Auswirkung käme die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einem einstweiligen Außerkraftsetzen des KernbrStG gleich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass allein dem BVerfG nach § 32 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die Kompetenz zusteht, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen. Von dieser Möglichkeit ist nach Auffassung des BVerfG nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen, denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stellt stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar, so dass die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, ein besonderes Gewicht haben müssen (BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2001  2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.).

15

b) Nach Auffassung des beschließenden Senats liegt ein überwiegendes besonderes berechtigtes Interesse der Antragstellerin nicht vor. Eine faktische Außerkraftsetzung des KernbrStG würde zu Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe führen. Ausweislich des Referentenentwurfs rechnete die Bundesregierung in den Jahren 2011 bis 2016 mit einem jährlichen Aufkommen in Höhe von ca. 2,3 Mrd. €, das ohne gesetzlich festgelegte Zweckbindung zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitragen sollte (BTDrucks 17/3054 S. 1). Auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus u.a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BTDrucks 17/4609) hat die Bundesregierung mitgeteilt, im Rahmen der Verhandlungen zum Förderfondsvertrag habe unter den Vertragspartnern ein Konsens bestanden, nach dem bei einem Steuersatz von 145 €/g Kernbrennstoff von einem durchschnittlichen Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer von 2,3 Mrd. € auszugehen sei, wobei im Falle eines gemeinsamen Kalkulationsirrtums über die Höhe des zu erzielenden Aufkommens eine korrigierende Erhöhung des Steuersatzes erfolgen könne (BTDrucks 17/4832 S. 4 f.). Von vornherein war die Einführung der neuen Steuer darauf angelegt, dem Bund Steuereinnahmen in Milliardenhöhe zu verschaffen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Aufkommenserwartungen im ersten Jahr der Erhebung der Kernbrennstoffsteuer nicht vollständig erfüllt worden sind. Im Jahr 2011 betrug das Gesamtaufkommen lediglich 922 Mio. €. Nach den Ergebnissen des Arbeitskreises Steuerschätzungen wird in den Folgejahren mit einem durchschnittlichen Aufkommen von ca. 1,3 Mrd. € gerechnet (Monatsbericht des BMF, November 2011).

16

c) Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung können die durch die steuerliche Absetzbarkeit der Kernbrennstoffsteuer als Betriebsausgaben zu erwartenden Mindereinnahmen im Bereich der Körperschaft- und Gewerbesteuern zwar nicht völlig außer Acht gelassen werden, jedoch erreichen sie nicht ein solches Ausmaß, dass die verbleibenden Mehreinnahmen ein überwiegendes öffentliches Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung nicht mehr begründen können. In seinem Beschluss vom 26. November 2010 geht der Bundesrat unter Voraussetzung der Nichtabwälzbarkeit der Steuer von Mindereinnahmen bei Ländern und Gemeinden in Höhe von 500 Mio. € aus (BRDrucks 687/10 S. 2). In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung bestätigt, dass die Mindereinnahmen bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer bei allen Gebietskörperschaften zwischen 25 % und 30 % des Aufkommens der Kernbrennstoffsteuer betragen könnten, jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Abwälzung der Steuer und auf die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke hingewiesen. Diese führe zu Zusatzgewinnen bei den Betreibern von Kernkraftwerken und damit zu zusätzlichem Aufkommen bei den Ertragsteuern. Deshalb gehe die Bundesregierung davon aus, dass das Steueraufkommen die Steuermindereinnahmen aus dem Betriebsausgabenabzug der Kernbrennstoffsteuer überkompensieren werde (BTDrucks 17/4832 S. 5). Diese Gesichtspunkte hat das FG bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen und dem prognostizierten Gesamtaufkommen von 2,3 Mrd. € einen auf Steuermindereinnahmen zurückzuführenden Abzugsbetrag in Höhe von 1,4 Mrd. € gegenübergestellt, dessen Berechnung nicht belegt wird. Jedenfalls ergibt sich dieser Betrag nicht aus der vom FG angeführten BTDrucks 17/3054. Aus der Beantwortung der bereits in Bezug genommenen Kleinen Anfrage in BTDrucks 17/4609 lässt sich auf Mindereinnahmen bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer von lediglich 690 Mio. € schließen, wobei auf die Länder und Gemeinden ca. 500 Mio. € entfallen (BTDrucks 17/4832 S. 5). Danach bleibt es für den Bundeshaushalt bei Mehreinnahmen von über 2 Mrd. €.

17

d) Allerdings hat das FG zu Recht auf das Atom-Moratorium und die Stilllegung der ältesten Atomkraftwerke hingewiesen. Nach § 7 Abs. 1a des Atomgesetzes sind bei insgesamt acht Kernkraftwerken die Berechtigungen zum Leistungsbetrieb mit Ablauf des 6. August 2011 erloschen. Wie die Bundesregierung mitgeteilt hat, kann das erwartete Aufkommen der Kernbrennstoffsteuer durch die dauerhafte Abschaltung dieser Kernkraftwerke jährlich um einen "dreistelligen Millionenbetrag im oberen Bereich" geringer ausfallen (BTDrucks 17/5749 S. 3). Auch die Berücksichtigung der mit der Abschaltung verbundenen Mindereinnahmen führt nicht zu einer derartigen Minderung des Aufkommens der Kernbrennstoffsteuer, dass das berechtigte Interesse des Bundes an einer Haushaltskonsolidierung und geordneten Haushaltsführung vernachlässigt werden könnte. Aufgrund der dauerhaften Stilllegung von acht Kernkraftwerken ist nach den Ergebnissen des Arbeitskreises Steuerschätzungen das geschätzte Aufkommen für das Jahr 2012 um 830 Mio. € und für die folgenden Jahre um jeweils 1 Mrd. € zu korrigieren (Monatsbericht des BMF, November 2011). Danach verbleibt ein prognostiziertes jährliches Steueraufkommen der Kernbrennstoffsteuer von über 1 Mrd. €.

18

Letztlich können Unsicherheiten bei der exakten Bestimmung des Steuerausfalls bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung auf sich beruhen. Entscheidend ist, dass durch eine Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids das KernbrStG faktisch mit der Folge von drohenden hohen Einnahmeausfällen außer Kraft gesetzt würde.

19

e) Dem Vorbringen der Antragstellerin ist nicht schlüssig zu entnehmen, dass durch die sofortige Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung irreparable Nachteile oder eine unzumutbare Härte drohen würden. In diesem Zusammenhang verweist sie lediglich auf den teilweisen Wegfall der kalkulierbaren Gewinne aus der Kernenergiegewinnung und auf --nicht näher bezifferte-- Kosten für frustrierte Aufwendungen und nutzlos gewordene Anlageninvestitionen sowie umfangreiche Investitionen in alternative Formen der Energiegewinnung. Auch die Behauptung, dass für Zwecke der Ertragsbesteuerung zumindest in 2011 im Inland ein negatives Jahresergebnis erzielt werde, wird nicht näher belegt. Jedenfalls lässt sich aus diesen Angaben nicht auf eine drohende Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin schließen. Nach der Rechtsprechung des BFH setzt eine Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte voraus, dass der Betroffene seine wirtschaftliche Lage im Einzelnen vorträgt und glaubhaft macht (BFH-Beschlüsse vom 29. März 2001 III B 80/00, BFH/NV 2001, 1294, und in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18). Nach Einschätzung des Senats ist die (vorläufige) Entrichtung der Steuer der Antragstellerin durchaus zumutbar. Dies wird auch durch den Verzicht des FG auf die Anforderung einer Sicherheitsleistung belegt, den es damit begründet hat, dass Anhaltspunkte für eine Gefährdung des --im Streitfall sehr hohen-- Steueranspruchs nicht ersichtlich seien.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über die Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse nach §§ 91a und 93a, Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen, Sachverständigen und Dolmetschern, Einstellungsbeschlüsse nach Klagerücknahme sowie Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 und 5 und über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Für die Zulassung gilt § 115 Abs. 2 entsprechend.

(4) In Streitigkeiten über Kosten ist die Beschwerde nicht gegeben. Das gilt nicht für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH, betreibt als Franchisenehmer einer Fast-Food-Kette mehrere Schnellrestaurants. Sie lieferte ihre Produkte --Speisen und Getränke-- sowohl zum Verzehr innerhalb der Restaurants, als auch zum Verzehr außer Haus. Dabei lieferte sie auch sog. "Sparmenüs", bei denen es sich um Produktzusammenstellungen handelte, die neben Speisen wie Sandwiches und Pommes frites auch Getränke in verschiedenen Größen umfassten. Hierfür hatte der Kunde einen Pauschalpreis zu entrichten, der unter der Summe der Einzelveräußerungspreise der Menübestandteile lag. Für den Kunden war keine Aufschlüsselung der auf die einzelnen Bestandteile des Menüs entfallenen Preise erkennbar. Lediglich aus dem Kassenzettel war für den Kunden ersichtlich, dass ein Bestandteil des Pauschalpreises mit dem ermäßigten Steuersatz und einer mit dem Regelsteuersatz besteuert wurde.

2

Den Unterschiedsbetrag zwischen der Summe der Einzelpreise und dem Preis des "Sparmenüs" ("Rabatt") berücksichtigte die Antragstellerin ausschließlich bei dem --dem Regelsteuersatz unterliegenden-- Getränk. Dies führte im Streitjahr 2002 dazu, dass bei einem sog. mittleren Menü der Preis für das Getränk, dessen Einzelverkaufspreis sich auf ca. 27 % der Summe aller Einzelverkaufspreise des "Sparmenüs" belief, im Rahmen des "Sparmenüs" dagegen nur noch ca. 12,6 % des Menüpreises ausmachte.

3

Grundlage hierfür war insbesondere ein Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) vom 4. Oktober 2004 (auf eine Anfrage einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft), wonach "... bei der Lieferung von Menüs, die Getränke einschließen, im Rahmen von Außer-Haus-Verkäufen keine einheitlichen Leistungen vorliegen, sondern mehrere Lieferungen ausgeführt werden. Der jeweilige Unternehmer kann das Gesamtentgelt auf die einzelnen Lieferbestandteile aufteilen. Diese Aufteilung darf jedoch im Hinblick auf die unterschiedlichen Steuersätze nicht missbräuchlich i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO) erfolgen. Damit wird den Unternehmern keine bestimmte Art der Aufteilung des Preisnachlasses vorgeschrieben. Aufgrund der besonders hohen Aufschlagssätze bei den Getränken erscheint eine Rabattgewährung überwiegend bei den Getränken durchaus gerechtfertigt zu sein, wenn die Preisbildung nicht missbräuchlich wird, d.h. das Entgelt kann nach Rabattgewährung noch als angemessen beurteilt werden. Die einzelnen Produkte, aus denen sich das Sparmenü zusammensetzt, können damit zwar unterschiedlich kalkuliert werden, für jedes Produkt des Sparmenüs muss jedoch ein angemessener Gewinnaufschlag verbleiben. Wird das Entgelt für das einzelne Produkt des Sparmenüs aufgrund eines zu geringen Gewinnaufschlags zu niedrig angesetzt, würde sich allerdings die Frage des Gestaltungsmissbrauchs im Sinne von § 42 AO stellen".

4

Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass die von der Antragstellerin vorgenommene Kaufpreisaufteilung missbräuchlich sei. Die Entgelte seien nach Einzelproduktpreisen ins Verhältnis zu setzen. Daher sei der Menüpreis in dem Verhältnis der Einzelverkaufspreise der Menükomponenten "linear" aufzuteilen und so die Bemessungsgrundlagen für die Besteuerung mit dem Regelsteuersatz (Getränk) einerseits und mit dem ermäßigten Steuersatz (Speisen) andererseits zu ermitteln. Das FA erließ am 8. November 2010 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2002 bis 2006.

5

Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Mit Verfügung vom 13. Januar 2011 lehnte das FA den Antrag auf AdV der Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2006 vom 8. November 2010 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG ab.

6

Auch der beim Finanzgericht (FG) gestellte AdV-Antrag hatte keinen Erfolg. Mit dem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2013, 172 veröffentlichten Beschluss entschied das FG, dass die Umsätze aus der Lieferung der sog. "Sparmenüs", die zu einem Pauschalpreis angeboten wurden, als "Außer-Haus-Menüs" hinsichtlich der Speisen dem ermäßigten Steuersatz und hinsichtlich des Getränks dem Regelsteuersatz unterlägen. Es sei keine einheitliche Leistung, sondern eine Mehrheit von Leistungen gegeben, die jeweils eigenständig zu beurteilen seien. Der auf die Speisen und auf die Getränke entfallende Teil des Entgelts sei unter Anwendung der einfachst möglichen Berechnungsmethode zu ermitteln. Aus Gründen der Einfachheit und Transparenz bezüglich der Marktpreise sei es sachgerecht, grundsätzlich auf die jeweiligen Einzelveräußerungspreise der Menükomponenten abzustellen. Auf dieser Grundlage sei es unter geringem Ermittlungs- und Berechnungsaufwand auf einfache Weise möglich, das pauschale Entgelt für das Menü in dem Verhältnis, in welchem die Einzelveräußerungspreise der Komponenten zueinander stünden, sachgerecht aufzuteilen. Es bedürfe für diese Form der Ermittlung allein der Heranziehung der im jeweiligen Streitjahr angesetzten Verkaufspreise und des Menüpreises, so dass die Berechnung bei einem aus drei Komponenten bestehenden Menü und gleichbleibenden Verkaufspreisen leicht ermittelbar sei. Dabei entspreche es auch dem Erfordernis der Einfachheit, den Menüpreis im Verhältnis der bekannten Einzelverkaufspreise aufzuteilen und nicht etwa eine oder zwei Komponente(n) mit ihrem Einzelverkaufspreis anzusetzen und den Wert der anderen Komponenten aus der Differenz zwischen diesem Einzelverkaufspreis und dem Pauschalpreis zu ermitteln. Denn bei letzterer Vorgehensweise müsse zudem ein plausibler und sachgerechter Maßstab für die Frage gefunden werden, welche Komponente(n) als Ausgangsgröße(n) heranzuziehen wäre(n) und --wenn nur eine Komponente mit ihrem Einzelverkaufspreis herangezogen werde-- wie sich der Restbetrag auf die verbleibenden Menübestandteile verteile. Diese Problematik stelle sich bei einer Aufteilung im Verhältnis der Einzelverkaufspreise nicht.

7

Die Wahl einer Methode auf der Grundlage tatsächlicher Kosten sei dagegen mit einem nicht nur einmaligen Ermittlungs- und Berechnungsaufwand verbunden, sondern wäre bei unterjährig schwankenden Einkaufspreisen ggf. mehrfach anzupassen. Es müsste neben dem Ausgangswert des Einstandspreises zusätzlich die Streitfrage der jeweiligen Marge pro Menübestandteil geklärt werden, um zu einem konkreten Preis für die Einzelleistungen zu gelangen. Die Antragstellerin habe auch keine transparente, nachvollziehbare einheitliche Methode angewendet. Vielmehr schwankten die auf die Menübestandteile entfallenen Preise, Margen bzw. Aufschlagssätze je nach Art des Menüs und über die Streitjahre hinweg nach einem sich nicht erschließenden System. Die hiergegen vorgebrachten Argumente der Antragstellerin, dass lediglich beim Getränk hinreichend Spielraum für eine Rabattgewährung bestünde, und dass eine verhältnismäßige Rabattgewährung zu einem negativen Rohgewinnaufschlagsatz bei den Hamburgern führen könnte, griffen nicht durch. Denn der Rabatt werde ausschließlich auf das Gesamtpaket in seiner jeweiligen --unveränderbaren-- Zusammenstellung gewährt. Ob das Anbieten eines solchen Leistungspakets zum jeweiligen Pauschalpreis unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten sinnvoll sei, hänge davon ab, in welchem Verhältnis die gesamten Kosten aller Menübestandteile zum pauschalen Verkaufspreis stünden. Es sei insoweit nicht ersichtlich, dass eine rein interne Zuordnung der Verkaufspreise vornehmlich auf die Speisen wirtschaftliche Vorteile für die Antragstellerin habe. Durch die interne "Verschiebung" der Bemessungsgrundlagen werde weder der Gesamtaufwand für die Menükomponenten noch die Summe des eingenommenen Geldes verändert. Es sei nicht erkennbar, weshalb es sich --bei insgesamt gleichbleibenden Kosten und Einnahmen-- als wirtschaftlich ungünstig erweisen sollte, wenn bei der internen Zuordnung der auf einzelne (untrennbare) Menükomponenten entfallene Rohgewinnaufschlag negativ würde.

8

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der vom FG zugelassenen Beschwerde. Die Kunden hätten die Kaufpreisaufteilung der Antragstellerin akzeptiert. Die Wahl des Aufteilungsmaßstabes unterliege der Privatautonomie. Es bestehe Preisbestimmungsautonomie. Aufgrund der hohen Aufschläge könne eine Rabattgewährung überwiegend bei den Getränken gerechtfertigt sein. Es entspreche betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Grundsätzen der Preisbildung, die Preisermäßigung auf den Produktteil mit dem höchsten Kalkulationsaufschlag zu gewähren. Den Vorgaben des BMF sei zu folgen. Im Hinblick auf die hohen Margen bei den Getränken sei der Rabatt bei deren Lieferung vorrangig zu berücksichtigen gewesen. Es liege kein Gestaltungsmissbrauch vor. Zumindest sei Vertrauensschutz zu gewähren. Zu berücksichtigen sei auch die Rechtsprechung zur Vorsteueraufteilung.

9

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des FG aufzuheben und die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2006 vom 8. November 2010 auszusetzen.

10

Das FA beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.

12

1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 20. Juli 2012 V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, unter II.1.). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, unter II.1.; vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, unter II.2.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, unter II.1.).

13

2. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass die Antragstellerin im Rahmen des "Sparmenüs" zwei Lieferungen, die des Getränks und die der Speise ausgeführt hat. Offen bleiben kann im Streitfall, ob das FA im Hinblick auf die Lieferung der Speise zu Recht von einer Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Verbindung mit einer in der Anlage zum UStG genannten Position des Zolltarifs ausgegangen ist. Denn wie das FG zutreffend entschieden hat, bestehen keinerlei ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom FA vorgenommenen Rabattaufteilung.

14

a) Im summarischen Verfahren geht der Senat --ohne darüber abschließend zu entscheiden-- zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass die Speisenlieferung dem ermäßigten Steuersatz unterliegt und die Antragstellerin Gegenstände geliefert hat, die teils dem ermäßigten Steuersatz und teils --als Getränk-- dem Regelsteuersatz unterliegen.

15

Wie das FG zutreffend entschieden hat und im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, kommt es durch die Zusammenfassung von Speise und Getränk im Rahmen eines zum Mitnehmen bestimmten "Sparmenüs" umsatzsteuerrechtlich nicht zu einer einzigen Lieferung; es ist vielmehr bei der gebotenen summarischen Prüfung von zwei selbständigen Lieferungen auszugehen.

16

b) Ist somit im summarischen Verfahren von zwei unterschiedlich zu besteuernden Lieferungen auszugehen, ist der einheitliche Preis für das Menü in zwei Entgeltbestandteile aufzuteilen.

17

aa) Wie der EuGH in seinem Urteil vom 25. Februar 1999 C-349/96, CPP (Slg. 1999, I-973 Rdnr. 31) unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 22. Oktober 1998 C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin (Slg. 1998, I-6229) entschieden hat, ist, wenn "Kunden trotz des einheitlichen Preises aus ihrer Sicht zwei gesonderte Dienstleistungen erwerben, nämlich eine Versicherungsdienstleistung und eine Kartenregistrierungsdienstleistung, ... der Teil des einheitlichen Preises, der sich auf die Versicherungsdienstleistung bezieht und jedenfalls von der Steuer befreit bliebe, herauszurechnen". Dabei ist die "einfachstmögliche Berechnung- oder Bewertungsmethode" zu verwenden. Nach dieser Rechtsprechung, der sich der BFH angeschlossen hat (BFH-Urteile vom 31. Mai 2001 V R 97/98, BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658, unter II.1.d, und vom 7. Oktober 2010 V R 12/10, BFHE 231, 349, BStBl II 2011, 303, unter II.4.b), ist ein einheitliches Entgelt, das für zwei unterschiedlich zu besteuernde Leistungen entrichtet wird, zum einen aufzuteilen, wobei zum anderen die Aufteilungsmethode zu verwenden ist, die "einfachstmöglich" ist.

18

bb) Der Senat hat dabei im Streitfall nicht zu entscheiden, ob die danach erforderliche Entgeltaufteilung nach der "einfachstmöglichen Berechnungs- oder Bewertungsmethode" jegliches Ermessen des Unternehmers hinsichtlich der Aufteilung ausschließt oder ob für den Unternehmer entsprechend dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 4 UStG die Befugnis zu einer sachgerechten Schätzung besteht. Denn sachgerecht in diesem Sinne ist die vom FA vorgenommene "lineare" Verteilung des Rabattbetrags für das "Sparmenü" nach dem Verhältnis der Einzelverkaufspreise, nicht aber die von der Antragstellerin erstrebte Aufteilung nach den Kosten der beiden Lieferungen, die bereits nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin zu einer komplexen Berechnung zur Aufteilung des Gesamtpreises zwingt, wie das FG zutreffend --insbesondere unter Hinweis auf unterjährige Kostenschwankungen-- entschieden hat.

19

cc) Ob eine hiervon abweichende Beurteilung dann in Betracht kommen könnte, wenn die lineare Aufteilung des Gesamtverkaufspreises nach Maßgabe der Einzelverkaufspreise für eine der im Rahmen des "Sparmenüs" erfolgten Einzellieferungen zu einem Entgelt unter dem Nettoeinkaufspreis führt, ist im Streitfall, dem eine derartige Fallgestaltung weder im Hinblick auf Getränke noch im Hinblick auf die von der Antragstellerin zubereiteten Speisen zugrunde liegt, nicht zu entscheiden.

20

dd) Dem von der Antragstellerin als maßgeblich angesehenen Gesichtspunkt der Preisbestimmungs- und Preisaufteilungsautonomie kommt keine Bedeutung zu. Die Antragstellerin hat ihre Preisbestimmungsautonomie durch die Bildung des von ihr gewählten Gesamtpreises ausgeübt. Eine weiter gehende Preisaufteilungsautonomie im Sinne einer Entscheidungsfreiheit über die sich hieraus ergebenden steuerrechtlichen Rechtsfolgen besteht nicht.

21

ee) Schließlich kann sich die Antragstellerin für die von ihr erstrebte Berücksichtigung des Rabatts bei der Getränkelieferung nicht mit Erfolg auf das von ihr zitierte BMF-Schreiben vom 4. Oktober 2004 berufen, in dem auf einen Beschluss der "Abteilungsleiter" verwiesen wird. Für die dort vertretene Auffassung, wonach aufgrund "der besonders hohen Aufschlagssätze bei den Getränken ... eine Rabattgewährung überwiegend bei den Getränken durchaus gerechtfertigt zu sein [erscheint]", ist eine --mit der EuGH-Rechtsprechung vereinbare-- Rechtsgrundlage nicht ersichtlich. Die dort vertretene Rechtsauffassung ist für die Gerichte im finanzgerichtlichen Verfahren zudem ebenso unbeachtlich, wie eine amtlich veröffentlichte Verwaltungsanweisung, der nur norminterpretierender Charakter zukommt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. November 2011 V R 34/10, BFH/NV 2012, 803, m.w.N.). Sie ist daher nicht geeignet, Vertrauensschutz zu begründen.

Tatbestand

1

I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Vollziehung von Bescheiden wegen verfassungsrechtlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der sog. Zinsschranke auszusetzen oder aufzuheben ist.

2

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine AG, die im Jahre 2008 durch Formwechsel einer GmbH entstanden ist. Ihr Unternehmensgegenstand war in den Streitjahren 2008 bis 2010 der Erwerb, die Nutzung und die Verwaltung von Liegenschaften auf eigene Rechnung, nicht aber in gewerbsmäßiger Art und Weise, sowie die Vornahme aller Handlungen, die dem Unternehmen förderlich und zweckdienlich sind. Aktionäre der Antragstellerin waren mit jeweils 50 % der Anteile X und die Y-GmbH. An der Y-GmbH war Z zu 25 % unmittelbar und mittelbar beteiligt. Die Antragstellerin war kein verbundenes Unternehmen i.S. des § 271 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs. Sie wurde insbesondere nicht in den Konzernabschluss der Y-GmbH nach den Vorschriften über die Vollkonsolidierung einbezogen.

3

Die Antragstellerin war in den Streitjahren Eigentümerin von fünf Immobilienobjekten, deren Erwerb sie zum überwiegenden Teil fremdfinanzierte. Die Finanzierung erfolgte im Wesentlichen durch Bankkredite. Es handelt sich um größtenteils langfristige und objektbezogene Finanzierungen, die erst nach der Fertigstellung der Objekte und ihrer planmäßigen Nutzung langfristig aus den Mietüberschüssen zurückgeführt werden sollen.

4

Aus dem für das größte Objekt (A-Straße in B) vorgelegten Kreditvertrag (nebst Nachträgen) ergibt sich, dass die Antragstellerin verpflichtet ist, sämtliche Mieteinnahmen auf ein Mieteingangskonto einzahlen zu lassen, das an die Bank verpfändet ist. Die Mittel auf dem Mieteingangskonto sind vorrangig für die Begleichung der Betriebskosten, der Zahlungen an die Bank (Zinsen und Tilgungen) und für etwaige weitere Bau- und Baunebenkosten zu verwenden. Erst ab dem 1. Januar 2012 stehen die Mittel auf den Konten der Antragstellerin zur Verfügung. Ab diesem Zeitpunkt ist sie verpflichtet, das Darlehen in Höhe von 3 % aus ... Mio. € pro Jahr zu tilgen.

5

Um die hohe Fremdfinanzierung zu erreichen, stellte die Y-GmbH nachrangige Gesellschafterdarlehen in Höhe von 8,948 Mio. € zum 31. Dezember 2008 zur Verfügung, die sich auf 10,6 Mio. € zum 31. Dezember 2009 und auf 10,758 Mio. € zum 31. Dezember 2010 erhöhten. Die Y-GmbH trat mit ihren Rückzahlungs- und Zinsansprüchen im Rang hinter die Ansprüche der übrigen Gläubiger zurück. Ferner verbürgten sich der unmittelbare Gesellschafter X und der mittelbare Gesellschafter Z anteilig für die Verbindlichkeiten der Antragstellerin. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Banken aufgrund der Bürgschaften auf X und Z in Höhe von mehr als 10 % der die Zinserträge übersteigenden Zinsaufwendungen Rückgriff nehmen können.

6

Ende 2010 wurden vier GmbH & Co. KG gegründet, an denen die Antragstellerin als alleinige Kommanditistin vermögensmäßig zu 100 % beteiligt ist. In jede Gesellschaft brachte die Antragstellerin zum 1. Januar 2011 ein Objekt unentgeltlich ein; die Zinsen und Tilgungen aus den Darlehensverträgen trägt weiterhin die Antragstellerin. Sie selbst behielt nur das größte Objekt A-Straße, in dem stille Reserven von rund ... Mio. € enthalten sind. Allein die auf dieses Objekt entfallenden Zinsaufwendungen betragen unstreitig mehr als 3 Mio. € p.a.

7

Zum 31. Dezember 2007 stellte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) einen vortragsfähigen Verlust in Höhe von 1.686.796 € fest.

8

Für 2008 wies die Antragstellerin bilanziell einen Jahresfehlbetrag von 3.289.305 € (Ergebnis vor Steuern: ./. 3.279.657,22 €) aus. Die Zinserträge betrugen 38.617 €, während sich die Zinsaufwendungen auf 5.436.312,48 € beliefen. Diese entfielen in Höhe von 5.048.609,44 € auf Zinsen für Bankdarlehen und in Höhe von 387.703,04 € auf Zinsen für Gesellschafterdarlehen. Das FA ließ von den Zinsaufwendungen nur einen Betrag von 1.400.381 € zum Abzug zu. Den Differenzbetrag stellte es als Zinsvortrag fest. Nach Abzug verrechenbarer Verluste setzte das FA für 2008 eine Steuerschuld in Höhe von 9.146 € fest.

9

2009 verbuchte die Antragstellerin einen Zinsaufwand von 5.966.572,75 €, der in Höhe von 5.523.432,75 € auf Zinsen für Bankdarlehen und in Höhe von 443.090 € auf Zinsen für Gesellschafterdarlehen entfiel. Die Zinserträge lagen bei 23.944,36 €. Die Antragstellerin erwirtschaftete einen Jahresüberschuss in Höhe von 178.475,63 € (Ergebnis vor Steuern: 725.756,84 €). Den Zinsaufwand ließ das FA anteilig in Höhe von 2.730.240 € zum Abzug zu. Nach Abzug des verbleibenden Verlustvortrags (595.330 €) setzte das FA Körperschaftsteuer in Höhe von 518.751 € fest (Zahllast nach Abzug der Zinsabschlagsteuer: 516.203 €).

10

Mit Vorauszahlungsbescheid vom 9. Februar 2011 setzte das FA zudem eine Körperschaftsteuervorauszahlung für 2010 in Höhe von 516.203 € fest.

11

Über die gegen diese Bescheide eingelegten Einsprüche ist bislang nicht entschieden worden. Nachdem das FA eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) abgelehnt hatte, lehnte auch das Finanzgericht (FG) München einen entsprechenden Antrag ab (Beschluss vom 1. Juni 2011  7 V 822/11, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2011, 1830).

12

Mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung der AdV.

13

Während des anhängigen Beschwerdeverfahrens hat das FA Vorsteuerguthaben der Antragstellerin mit der streitgegenständlichen Körperschaftsteuer 2008 und 2009 verrechnet. Die geschuldete Körperschaftsteuervorauszahlung für das vierte Quartal 2010 ist in Höhe von 126.275 € mit Vorsteuervergütungsansprüchen der Antragstellerin verrechnet worden.

14

Mit dem im hier anhängigen AdV-Verfahren ergangenen Bescheid für 2010 über Körperschaftsteuer vom 31. Januar 2012 hat das FA eine Steuerschuld in Höhe von 586.681 € festgesetzt, auf die Kapitalertragsteuer in Höhe von 1.366 € angerechnet wurde. Hierbei ging es von einem Verlust in Höhe von 135.335 € aus. Von den Zinsaufwendungen in Höhe von 6.386.694 € seien 24.467 € aufgrund der erwirtschafteten Zinserträge und darüber hinaus nur weitere 2.941.447 € als Betriebsausgaben abziehbar.

15

Die Antragstellerin hat zunächst beantragt, den Beschluss des FG München vom 1. Juni 2011  7 V 822/11 aufzuheben und die Vollziehung der Bescheide über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag für 2008 vom 24. Januar 2011 in Höhe von 9.555 € und für 2009 vom 28. Januar 2011 in Höhe von 544.594,39 € sowie des Vorauszahlungsbescheides über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag für 2010 vom 9. Februar 2011 in Höhe von 544.594,16 € jeweils zuzüglich der jeweiligen Säumniszuschläge und ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, hilfsweise (soweit diese bereits durch Zahlung oder Aufrechnung vollzogen wurden) aufzuheben.

16

Nach Ersetzung des Vorauszahlungsbescheides für 2010 durch den Jahressteuerbescheid beantragt die Antragstellerin insoweit nunmehr, die Vollziehung des Bescheides für 2010 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag vom 31. Januar 2012 auszusetzen bzw. aufzuheben.

17

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

18

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit das FG die AdV des Vorauszahlungsbescheides für 2010 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag abgelehnt hat. An dessen Stelle ist während des Beschwerdeverfahrens analog § 68 FGO der Bescheid für 2010 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag vom 31. Januar 2012 getreten (zur analogen Anwendbarkeit des § 68 FGO s. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. März 2006 V B 13/04, BFH/NV 2006, 1492; vom 15. November 2007 V B 63/06, BFH/NV 2008, 825). Damit liegt dem Beschluss des FG ein nicht mehr existierender Bescheid mit der Folge zugrunde, dass seine ablehnende Entscheidung insoweit ebenfalls gegenstandslos geworden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 12. September 2011 VIII B 70/09, BFH/NV 2012, 229).

19

Eine Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Entscheidung ist insoweit zwar zulässig (vgl. BFH-Beschluss vom 26. März 1991 VIII B 83/90, BFHE 163, 510, BStBl II 1991, 463), aber nicht zweckmäßig. Die Sache ist spruchreif. Die Feststellungen des FG und die vorliegenden Akten reichen auch im Hinblick auf den nunmehr erlassenen Bescheid für 2010 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag aus, um über den Aussetzungsantrag abschließend entscheiden zu können (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 229).

III.

20

Die Beschwerde ist teilweise begründet. Sie führt unter Aufhebung des Beschlusses des FG zur Stattgabe des Antrags der Antragstellerin auf Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich der Körperschaftsteuerbescheide 2008 und 2009. Die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides 2010 ist teilweise auszusetzen. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet und zurückzuweisen.

21

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).

22

Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Die AdV setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (Senatsbeschlüsse vom 19. Mai 2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156; vom 26. August 2010 I B 85/10, BFH/NV 2011, 220). Dies gilt auch für ernstliche Zweifel an der verfassungsrechtlichen Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Fall der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (Senatsbeschlüsse vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826; vom 30. März 2011 I B 136/10, BFHE 232, 395).

23

Unter den gleichen Voraussetzungen ist gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO die Vollziehung aufzuheben, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung bereits vollzogen ist (Senatsbeschluss vom 10. Dezember 1986 I B 121/86, BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 389). Insbesondere können bereits verwirkte Säumniszuschläge (§ 240 der Abgabenordnung) ab dem Zeitpunkt, ab dem ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestanden haben, rückwirkend durch Aufhebung der Vollziehung beseitigt werden (Senatsbeschluss vom 23. September 2008 I B 92/08, BFHE 223, 73, BStBl II 2009, 524).

24

2. Bei der im Verfahren auf AdV gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist ernstlich zweifelhaft, ob es rechtmäßig ist, dass das FA die von der Antragstellerin gezahlten Schuldzinsen unter Hinweis auf die sog. Zinsschranke nur teilweise als Betriebsausgaben der jeweiligen Streitjahre zum Abzug zuließ.

25

a) Die Schuldzinsen können nach dem Wortlaut der sog. Zinsschranke nur teilweise als Betriebsausgaben abgezogen werden.

26

aa) Zinsaufwendungen eines Betriebs sind hiernach nur in Höhe des verrechenbaren EBITDA, d.h. 30 % des um Zinsaufwendungen und bestimmte Abschreibungen erhöhten Einkommens, abziehbar (vgl. § 8 Abs. 1, § 8a Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG-- 2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes --UntStRefG-- 2008 vom 14. August 2007, BGBl I 2007, 1912 --KStG 2002 n.F.-- i.V.m. § 4h Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- 2002 i.d.F. des UntStRefG 2008 --EStG 2002 n.F.--/§ 4h Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG 2009 i.d.F. des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums --Wachstumsbeschleunigungsgesetz-- vom 22. Dezember 2009, BGBl I 2009, 3950 --EStG 2009 n.F.--). Danach verbleibende nicht abziehbare Zinsaufwendungen sind in die folgenden Wirtschaftsjahre vorzutragen (§ 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 4h Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 n.F./§ 4h Abs. 1 Satz 5 EStG 2009 n.F.). Dass das FA diese Vorgaben in den Bescheiden zutreffend umgesetzt hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und bedarf keiner weiteren Vertiefung.

27

bb) Nach der sog. Stand-alone-Klausel des § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG 2002 n.F./2009 n.F. (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002) ist die sog. Zinsschranke nicht anzuwenden, wenn der Betrieb --wie im Streitfall-- nicht oder nur anteilmäßig zu einem Konzern gehört. § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG 2002 n.F./2009 n.F. ist nach § 8a Abs. 2 KStG 2002 n.F. seinerseits wiederum nur anzuwenden, wenn die Vergütungen für Fremdkapital an einen zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital beteiligten Anteilseigner, eine diesem nahestehende Person oder einen Dritten, der auf einen zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital beteiligten Anteilseigner oder eine diesem nahestehende Person zurückgreifen kann, nicht mehr als 10 % der die Zinserträge übersteigenden Zinsaufwendungen der Körperschaft i.S. des § 4h Abs. 3 EStG 2002 n.F./2009 n.F. betragen und die Körperschaft dies nachweist. Im Streitfall betragen die Zinsen auf Gesellschafterdarlehen allein zwar nicht mehr als 10 % der den Zinsertrag übersteigenden Zinsaufwendungen. Zwischen den Beteiligten ist jedoch unstreitig, dass die kreditgewährenden Banken aufgrund der Bürgschaften auf X und Z in Höhe von mehr als 10 % der die Zinserträge übersteigenden Zinsaufwendungen Rückgriff nehmen können. Die Voraussetzungen des § 8a Abs. 2 KStG 2002 n.F. in dessen 3. Alternative sind damit erfüllt.

28

b) Der Senat hat im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einschränkung der sog. Stand-alone-Klausel durch § 8a Abs. 2 KStG 2002 n.F. in dieser 3. Regelungsalternative.

29

aa) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 15. Januar 2008  1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, BFH/NV 2008, Beilage 3, 247; BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, BFH/NV 2009, 338). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 21. Juni 2006  2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481; vom 7. November 2006  1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192; vom 4. Februar 2009  1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1, BFH/NV 2009, 1068).

30

Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192; in BVerfGE 120, 1, BFH/NV 2008, Beilage 3, 247; in BVerfGE 123, 1, BFH/NV 2009, 1068). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481; in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192; BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, BFH/NV 2009, 338). Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481; BVerfG-Urteil in BVerfGE 122, 210, BFH/NV 2009, 338). Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung zudem folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden (BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, BFH/NV 2011, 181). Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 123, 1, BFH/NV 2009, 1068; vom 21. Juli 2010  1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400, BFH/NV 2010, 1985).

31

bb) Mit den Regelungen zur sog. Zinsschranke (§ 8a KStG 2002 n.F. i.V.m. § 4h EStG 2002 n.F./2009 n.F.) ist der Gesetzgeber von seiner Grundentscheidung abgewichen, dass Betriebsausgaben in dem Jahr abziehbar sein sollen, in dem sie angefallen sind und den Steuerpflichtigen belasten. Hierdurch will er die Abzugsfähigkeit von Zinsaufwendungen in Abhängigkeit vom Gewinn zur Sicherung inländischen Steuersubstrats sowie zur Vermeidung von missbräuchlichen Steuergestaltungen beschränken (BTDrucks 16/4841, S. 35). Aufgrund der weiten Auslegung der unionsrechtlichen Marktfreiheiten durch den Europäischen Gerichtshof (jetzt Gerichtshof der Europäischen Union) werden speziell grenzüberschreitend verbundene Unternehmen in die Lage versetzt, mittels Gesellschafterfremdfinanzierungen inländische Gewinne in das abkommensbegünstigte Ausland zu verlagern und andererseits ohnehin entstehenden Aufwand wie Zinsen gezielt im Inland anfallen zu lassen (Seiler in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 4h Rz 1; s. auch BTDrucks 16/4841, S. 31). Der Zweck der Zinsschranke zur Vermeidung konzerninterner Gestaltungen zur Gewinnverlagerung kommt insbesondere durch die sog. Stand-alone-Klausel des § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG 2002 n.F./2009 n.F. zum Ausdruck, nach der Betriebe, die nicht oder nur anteilmäßig zu einem Konzern gehören, insoweit folgerichtig nicht von der Zinsschranke erfasst werden (Rödder, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2007, Beihefter zu Nr. 40, 1, 9).

32

cc) Ob die Zinsschranke --wie unter Hinweis auf das sog. objektive Nettoprinzip im Schrifttum überwiegend und auch von der Antragstellerin vertreten wird (s. z.B. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2011  12 V 12089/11, EFG 2012, 358; Baumgärtel in Ballwieser/Grewe [Hrsg.], Wirtschaftsprüfung im Wandel, 2008, 575, 591; Beiser in Brähler/ Lösel [Hrsg.], Deutsches und internationales Steuerrecht, Gegenwart und Zukunft, Festschrift für Christiana Djanani, 2008, 3, 27; G. Förster in Breithecker/Förster/Förster/Klapdor, Unternehmensteuerreformgesetz 2008, 2007, § 4h EStG Rz 62; Hey, Betriebs-Berater --BB-- 2007, 1303, 1305 f.; dieselbe in Festschrift Djanani, a.a.O., 109, 122 ff.; Eilers in Spindler/ Tipke/Rödder [Hrsg.], Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, 2009, 275, 285; Goebel/ Eilinghoff, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2010, 550, 554; Gosch, DStR 2007, 1553, 1559; Gosch KStG, 2. Aufl., Exkurs § 4h EStG Rz 35 f.; Herzig/Bohn, Der Betrieb --DB-- 2007, 1, 2; Hick in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4h EStG Rz 6; Kessler/ Dietrich, DB 2010, 240; Korn in Korn, § 4h EStG Rz 21; Lenz/ Dörfler, DB 2010, 18, 19; Seer, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2007/2008, 9, 12; Schmidt/Loschelder, EStG, 30. Aufl., § 4h Rz 3; Seiler in Kirchhof, a.a.O., § 4h Rz 3 f.; Shou, Die Zinsschranke im Unternehmensteuerreformgesetz 2008, 2010, 48)-- bereits grundsätzlich verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, kann im Streitfall dahinstehen. Selbst wenn dies zu verneinen wäre und die in § 8a Abs. 2 KStG 2002 n.F. angeordnete (Rück-)Ausnahme damit lediglich eine (noch) verfassungskonforme Regelungslage (nach § 4h Abs. 1 EStG 2002 n.F./2009 n.F.) wiederherstellen würde, erscheint es bei summarischer Prüfung jedenfalls fraglich, ob ausgehend vom Gesetzeszweck die Rückausnahme des § 8a Abs. 2 Alternative 3 KStG 2002 n.F. sachlich gerechtfertigt werden kann. Durch die weite Formulierung dieser Vorschrift könnten die verfassungsrechtlichen Grenzen einer zulässigen Typisierung überschritten worden sein.

33

aaa) Eine gesetzliche Typisierung darf keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 127, 224, BFH/NV 2011, 181; vom 6. April 2011  1 BvR 1765/09, BFH/NV 2011, 1277). Zudem muss sich die Typisierung am allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen (BVerfG-Beschluss vom 4. April 2001  2 BvL 7/98, BVerfGE 103, 310; Huster in Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 3 Rz 130 f.). Die ungleichen Rechtsfolgen dürfen nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Personen treffen, und die Nachteile dürfen nicht zu schwer wiegen (BVerfG-Beschlüsse vom 30. Mai 1990  1 BvL 2/83, BVerfGE 82, 126; vom 8. Oktober 1991  1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348; Heun in Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl., Art. 3 Rz 33).

34

bbb) Auf dieser Grundlage hat der Senat Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit des typisierenden § 8a Abs. 2 Alternative 3 KStG 2002 n.F. Es ist fraglich, ob die Vorschrift zur Vermeidung von Finanzierungsgestaltungen zwischen einer Körperschaft und ihrem Anteilseigner (BTDrucks 16/4841, S. 74 f.) erforderlich ist; aufgrund ihres weit gefassten Wortlauts hat sie einen deutlich überschießenden Anwendungsbereich.

35

Der Sinn der Ausdehnung des Tatbestandes besteht nur in der Verhinderung von Umgehungen (Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, Freiburg 2011, § 8a KStG Rz 117), die darin bestehen können, dass nicht unmittelbar der Anteilseigner oder eine ihm nahestehende Person, sondern ein Dritter (z.B. eine Bank) der Körperschaft ein Darlehen gewährt und der zu mehr als einem Viertel beteiligte Anteilseigner (oder eine diesem nahestehende Person) seinerseits gegen den Dritten oder eine sonstige Person (z.B. gegenüber einer anderen Bank) eine verzinsliche Forderung hat, auf die der Dritte zugreifen kann (sog. Back-to-back-Finanzierung; s. BTDrucks 16/5377, S. 17 f.). Auf den Fall der sog. Back-to-back-Finanzierung, der im Streitfall nicht vorliegt, ist § 8a Abs. 2 Alternative 3 KStG 2002 n.F. indes nicht beschränkt; eine vom Bundesrat beantragte Einschränkung des Gesetzeswortlauts ist --unter pauschalem Hinweis auf eine anderenfalls eintretende Gestaltungsanfälligkeit-- nicht Gesetz geworden (BTDrucks 16/5377, S. 17 f. und S. 27; eine einschränkende Auslegung verlangen gleichwohl G. Förster in Breithecker/Förster/Förster/Klapdor, a.a.O., § 8a KStG Rz 47; Gosch, a.a.O., § 8a Rz 53; Streck/ Schwedhelm, KStG, 7. Aufl., § 8a Rz 43; kritisch auch Mössner/ Seeger/Wienbergen/Kolbe, Körperschaftsteuergesetz, § 8a Rz 147). § 8a Abs. 2 Alternative 3 KStG 2002 n.F. erfasst infolgedessen auch die Fälle, in denen eine Bank ein Darlehen gewährt, hierfür aber eine Bürgschaft oder eine anderweitige Sicherheit eines Gesellschafters oder einer nahestehenden Person verlangt, obwohl es sich hierbei grundsätzlich nicht um eine auf Gewinnverlagerung gerichtete Finanzierungsgestaltung zwischen der Körperschaft und ihrem Anteilseigner handelt. Die Bürgschaft oder Sicherheit ist in der Regel allein erforderlich, damit die Gesellschaft das Darlehen erhält.

36

Damit hat § 8a Abs. 2 Alternative 3 KStG 2002 n.F. aber nicht nur einen überschießenden Anwendungsbereich, sondern führt gerade im Bereich üblicher Fremdfinanzierungen zu unverhältnismäßigen Belastungswirkungen, durch die sich insbesondere die Situation insolvenzbedrohter Unternehmen weiter verschlechtert. Jenseits missbräuchlicher Gestaltungen belastet § 8a Abs. 2 Alternative 3 KStG 2002 n.F. gerade finanz- und ertragsschwache Unternehmen in besonderem Maße, die auf Fremdkapital angewiesen sind, um ihren Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten, dieses aber nur erhalten, wenn sie durch ihre Gesellschafter Sicherheiten stellen können (Schaden/Käshammer, BB 2007, 2259, 2261).

37

3. Entgegen der Auffassung des FG kann die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung im Streitfall nicht mit dem Argument verweigert werden, es fehle an einem besonderen Aussetzungs- oder Aufhebungsinteresse der Antragstellerin.

38

a) Bei der AdV von Steuerbescheiden wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die ihnen zugrundeliegenden Vorschriften folgt im Hinblick auf den Geltungsanspruch jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes nach der bisher ständigen Rechtsprechung des BFH, dass der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes geltend machen muss. Geboten ist eine Interessenabwägung zwischen der einer AdV entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine AdV sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen (BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104; vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663; vom 7. Juli 2004 XI B 231/02, BFH/NV 2005, 178; vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558). Bei der Abwägung kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer AdV hinsichtlich des Gesetzesvollzuges und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104; vom 19. August 1994 X B 318, 319/93, BFH/NV 1995, 143; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18; vom 9. März 2012 VII B 171/11, DStR 2012, 605, BFHE 236, 206). Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift ist bei dieser Abwägung nicht von ausschlaggebender Bedeutung (BFH-Beschlüsse vom 9. November 1992 X B 137/92, BFH/NV 1994, 324; in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558).

39

b) Ob an diesem Erfordernis uneingeschränkt festzuhalten ist (kritisch insoweit z.B. Niedersächsisches FG, Beschluss vom 6. Januar 2011  7 V 66/10, EFG 2011, 827; Gosch in Beermann/ Gosch, FGO, § 69 Rz 179 ff.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 113; Schallmoser, DStR 2010, 297 ff.; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 97; Specker, DStZ 2010, 800, 802 f.; einschränkend auch FG Berlin-Brandenburg, Beschluss in EFG 2012, 358) bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Denn im Streitfall liegt ein gegenüber einem öffentlichen budgetären Interesse überwiegendes besonderes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin vor. Denn während die Zinsschranke bei summarischer Prüfung für die Antragstellerin zu einem steuerlichen Eingriff mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen führt, ist die öffentliche Haushaltsführung in einem nur vergleichsweise geringen Maß betroffen.

40

aa) Zwar mag anhand der dem Senat vorliegenden Akten nicht feststellbar sein, dass die Antragstellerin durch die Anwendung der Zinsschranke bereits existenzgefährdend betroffen wird und aufgrund der Anwendbarkeit der Zinsschranke die Insolvenz droht. So hat die Antragstellerin in ihrem Jahresabschluss zum 31. Dezember 2010 selbst ausgeführt, trotz der Zinsschranke in den Jahren 2011 und 2012 positive Ergebnisse zu erwarten. Auch die bereits eingetretene bilanzielle Überschuldung stelle wegen der im Anlagevermögen enthaltenen stillen Reserven und der von einem Anteilseigner abgegebenen Rangrücktrittserklärung kein Problem dar.

41

Gleichwohl stellt die steuerliche Belastung für sie eine erhebliche finanzielle Belastung in Höhe von immerhin 1.114.578 € (ohne Solidaritätszuschlag) dar. Ohne die Zinsschranke wäre es aufgrund der zum 31. Dezember 2007 festgestellten hohen Verlustvorträge und des im Jahre 2008 erwirtschafteten Jahresfehlbetrages, der den Verlustvortrag noch weiter erhöht hätte, im Ergebnis zu Nullfestsetzungen in allen drei Streitjahren gekommen. Gemessen an den Ergebnissen der Jahre 2008 und 2010 führt die Zinsschranke darüber hinaus zu einer Substanzbesteuerung, weil die festgesetzte Körperschaftsteuer das Ergebnis vor Steuern jeweils deutlich übersteigt. Auch im Jahre 2009 hat das FA aufgrund der Anwendbarkeit der Zinsschranke Körperschaftsteuer in einer Höhe von 71,48 % des Ergebnisses vor Steuern festgesetzt.

42

Erschwerend kommt hinzu, dass die Antragstellerin bei summarischer Prüfung nicht über die ausreichende Liquidität verfügt, um die Steuern zahlen zu können, zumal sie --ausgehend von dem vorgelegten Darlehensvertrag-- nicht frei über ihre Mieteinnahmen und Vorsteuererstattungen verfügen kann. Da es der Antragstellerin als vermögensverwaltender Gesellschaft kaum zumutbar ist, ihr Aktivvermögen zum Zwecke der Steuerzahlung zu verwerten, muss sie zusätzliches Fremdkapital aufnehmen. Wenn die Antragstellerin auch vorgetragen hat, voraussichtlich weitere 1,8 Mio. € von den Banken erhalten und hiermit die Steuerschulden zahlen zu können, hätte dies aber wahrscheinlich zur Folge, dass sich die Wirkungen der Zinsschranke in den Folgejahren gegenüber dem derzeitigen Zustand nur aus dem Grund verschärfen würden, weil die Antragstellerin sich die Mittel für eine Steuerzahlung durch eine Darlehensaufnahme verschaffen musste. Zudem würde es für die Antragstellerin Probleme aufwerfen, die Zinsaufwendungen für das neu aufgenommene Darlehen zahlen zu können. Da der Darlehensbetrag nicht für ein Ertrag bringendes Projekt, sondern im Wesentlichen für die Steuerzahlung eingesetzt werden würde, müsste die Antragstellerin mit den Einnahmen auch die zusätzlichen Zinsen zahlen. Die Mieteinnahmen und die Vorsteuererstattungen sind indes anderweit gebunden und stehen damit für diese Zinszahlungen nicht zur Verfügung.

43

bb) Der Senat erkennt demgegenüber nicht, dass es bei Stattgabe des Antrags --wie es das FA und das FG meinen-- zu erheblichen haushaltsmäßigen Verwerfungen kommen würde. Durch die Zinsschranke in der für die Streitzeiträume geltenden Fassung wurden Mehreinnahmen in Höhe von 697,5 Mio. € p.a. erwartet (vgl. Bach/Buslei, Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 17/2009, 283 ff.), die im Vergleich zu dem Gesamtsteueraufkommen von geschätzten 229,2 Mrd. € im Jahre 2011 bzw. 247,4 Mrd. € im Jahre 2012 (vgl. Unterrichtung durch die Bundesregierung, Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015; abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de) vergleichsweise gering sind (0,30 % des gesamten Steueraufkommens 2011 bzw. 0,28 % des gesamten Steueraufkommens 2012). Die Stattgabe des Antrags führt darüber hinaus auch nicht zu einem (vorübergehenden) Ausfall des Gesamtbetrags, sondern nur zum Ausfall eines Bruchteils. Zum einen stützt der Senat seine Entscheidung auf verfassungsrechtliche Zweifel an der Rückausnahme des § 8a Abs. 2 Alternative 3 KStG 2002 n.F. und stellt hierdurch nur einen Teil der Zinsschranke in Frage, der nur einen engen Kreis der von der Zinsschranke belasteten Steuerpflichtigen betreffen wird. Zum anderen führt die Entscheidung des Senats --anders als eine Entscheidung des BVerfG-- nicht zu einer automatischen Anwendungssperre des Gesetzes in allen von ihm betroffenen Fällen; die Entscheidung führt unmittelbar nur zu einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung im konkreten Streitfall (vgl. Seer, DStR 2012, 325, 328). Sie hat allenfalls insoweit mittelbar Breitenwirkung, als in einem vergleichbaren Fall im Rahmen einer Abwägung anhand der Umstände des Einzelfalls das Aussetzungsinteresse das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung überwiegt.

44

cc) Gegen eine Gewährung der Aussetzung bzw. der Aufhebung der Vollziehung spricht im Rahmen der Abwägung schließlich nicht, dass nach Auffassung des II. Senats des BFH im AdV-Verfahren regelmäßig keine weiter gehende Entscheidung getroffen werden kann, als vom BVerfG zu erwarten ist (BFH-Beschlüsse vom 17. Juli 2003 II B 20/03, BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807; vom 5. April 2011 II B 153/10, BFHE 232, 380, BStBl II 2011, 942; vom 4. Mai 2011 II B 151/10, BFH/NV 2011, 1395). Sei zu erwarten, dass das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG ausspreche und dem Gesetzgeber nur eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgebe, könne keine AdV gewährt werden (BFH-Beschluss in BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807).

45

Auch ob dieser Spruchpraxis zu folgen ist, kann im Streitfall dahinstehen (grundsätzlich ablehnend Gosch in Beermann/Gosch, § 69 FGO Rz 180.1; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 113; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 96; derselbe, DStR 2012, 325, 328 f.). Es ist nicht zu erwarten, dass das BVerfG dem Gesetzgeber nur einen Regelungsauftrag für die Zukunft erteilen wird, überdies soll eine pro-futuro-Wirkung nur die Ausnahme darstellen; auch dürfen bei der Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit Art. 3 Abs. 1 GG Gerichte und Verwaltungsbehörden die Norm grundsätzlich nicht mehr anwenden (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 6. März 2002  2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618).

46

4. Die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides 2010 kann aus prozessrechtlichen Gründen nur in Höhe von 69.112 €, nicht aber in Höhe der gesamten Steuerfestsetzung, ausgesetzt werden.

47

Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 8 FGO ist die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung bei Steuerbescheiden auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

48

a) Hiernach sind nur 69.112 € der für 2010 festgesetzten Körperschaftsteuer von der Vollziehung auszusetzen, weil das FA Körperschaftsteuer in Höhe von 586.681 € festgesetzt hat und hierauf zum einen die Kapitalertragsteuer in Höhe von 1.366 € anzurechnen und zum anderen die festgesetzten Vorauszahlungen in Höhe von 516.203 € abzuziehen sind.

49

b) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die für 2010 festgesetzte Körperschaftsteuer nicht ausnahmsweise in vollem Umfang von der Vollziehung auszusetzen, weil dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

50

aa) Der Begriff der wesentlichen Nachteile i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO ist im Sinne der Rechtsprechung zu § 114 FGO zu verstehen (Senatsbeschluss vom 2. November 1999 I B 49/99, BFHE 190, 59, BStBl II 2000, 57, m.w.N.). Diese Beschränkung ist mit dem GG vereinbar und nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung zu korrigieren (BFH-Beschluss vom 24. Januar 2000 X B 99/99, BFHE 192, 197, BStBl II 2000, 559). Wesentliche Nachteile i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 8 Halbsatz 2 FGO sind dann gegeben, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen unmittelbar und ausschließlich bedroht sein würde (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. November 2001 V B 100/01, BFH/NV 2002, 519; vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367). Darüber hinaus gewährleistet § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO aufgrund des Gebots eines effektiven Rechtsschutzes, dass wegen wesentlicher Nachteile zugunsten des Bürgers von den allgemeinen Grundsätzen abgewichen werden kann, wenn ein unabweisbares Interesse dies gebietet (Senatsbeschluss in BFHE 190, 59, BStBl II 2000, 57; s. auch BVerfG-Beschluss vom 7. Dezember 1977  2 BvF 1/77, 2 BvF 2/77, 2 BvF 4/77, 2 BvF 5/77, BVerfGE 46, 337), um eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung von Grundrechten zu vermeiden, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 15. August 2002 1 BvR 1790/00, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 3691; vom 16. Mai 1995  1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, 1; vom 25. Oktober 1988  2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69). Allein bei einem Überwiegen der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache erscheint eine Aufhebung der Vollziehung zur Vermeidung wesentlicher Nachteile hingegen nicht nötig (Senatsbeschluss in BFHE 190, 59, BStBl II 2000, 57; BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 519). Dies gilt auch im Falle von (schwerwiegenden) Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der angewandten Steuerrechtsvorschriften (BFH-Beschluss in BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache können jedoch zur Bejahung wesentlicher Nachteile führen, wenn die Rechtslage klar und eindeutig für die begehrte Regelung spricht und eine abweichende Beurteilung in einem etwa durchzuführenden Hauptsacheverfahren zweifelsfrei auszuschließen ist (BFH-Beschluss in BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367) oder wenn bei Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit einer Norm die Dringlichkeit, ihren Vollzug einstweilen auszusetzen, besonders deutlich wird (vgl. BVerfG-Entscheidung vom 13. November 1957  1 BvR 78/56, BVerfGE 7, 175; BVerfG-Beschluss vom 17. November 1966  1 BvR 52/66, BVerfGE 20, 363, 364). In einem derartigen Fall sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache für das Vorliegen wesentlicher Nachteile in weitem Umfang vorgreiflich (BFH-Beschluss in BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367).

51

bb) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen führt die Vollziehung im Streitfall nicht zu wesentlichen Nachteilen, die eine AdV in vollem Umfang gebieten würden.

52

Die wirtschaftliche und persönliche Existenz der Antragstellerin ist durch die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides 2010 nicht unmittelbar und ausschließlich gefährdet. Wie die Antragstellerin vorgetragen hat, erhält sie voraussichtlich einen weiteren Kredit in Höhe von 1,8 Mio. €, der auch zur Zahlung noch offener Steuerschulden verwandt werden könne. Allein der Umstand, dass Steuerpflichtige nicht über die von ihnen verlangten Mittel verfügen und Zahlungen im Wege der Kreditaufnahme finanzieren müssen, ist kein wesentlicher Nachteil i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 8 Halbsatz 2 FGO (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 519).

53

Es besteht aber auch im Übrigen kein unabweisbares Interesse der Antragstellerin, das eine AdV in Höhe der gesamten Steuerfestsetzung verlangt. Nicht ausreichend hierfür ist, dass der Senat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 8a Abs. 2 Alternative 3 KStG 2002 n.F. hat; eine von dem Senat abweichende Beurteilung durch das BVerfG ist nicht zweifelsfrei auszuschließen.

54

Weitere Umstände, die die Dringlichkeit, den Vollzug des Steuerbescheides auszusetzen, besonders deutlich werden lassen, sind schließlich weder von der Antragstellerin substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht worden noch anhand der dem Senat vorliegenden Unterlagen erkennbar.

55

5. Die AdV ist im Streitfall ohne Auferlegung einer Sicherheitsleistung zu gewähren.

56

Die Anordnung einer Sicherheitsleistung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO ist im Grundsatz dann geboten, wenn die spätere Vollstreckung der Steuerforderung infolge der AdV gefährdet oder erschwert erscheint. Es ist hierbei zunächst einmal Sache des FA, die für die Gefährdung der Forderung sprechenden konkreten Anhaltspunkte vorzutragen und glaubhaft zu machen (vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 20. März 2002 IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809; vom 10. Oktober 2002 VII S 28/01, BFH/NV 2003, 12).

57

Im Streitfall ist nicht vorgetragen worden und für den Senat anhand der vorliegenden Akten auch nicht erkennbar, dass die spätere Durchsetzung der Steuerforderungen gefährdet oder erschwert werden könnte. Die Antragstellerin ist vielmehr Eigentümerin eines Grundstücks, in dem stille Reserven in Höhe von … Mio. € enthalten sind. Allein durch die Möglichkeit, dieses Grundstück verwerten zu können, erscheint die Steuerzahlung in ausreichendem Maße gesichert.

58

6. Soweit die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde auch die AdV der Bescheide über die Solidaritätszuschläge begehrt, ist die Beschwerde unbegründet. Das FG hat den Antrag insoweit im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil der Antrag insoweit unzulässig ist. An einer AdV dieser Bescheide besteht kein schutzwürdiges Interesse.

59

In ständiger Rechtsprechung verneint der BFH das schutzwürdige Interesse an einer AdV, wenn die Aussetzung eines Folgebescheides begehrt wird, obwohl ein Grundlagenbescheid bereits ergangen ist und deshalb mit Rücksicht auf die gemäß § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO vorzunehmende Folgeaussetzung nur die Aussetzung des Grundlagenbescheides beantragt werden kann (BFH-Beschlüsse vom 21. Dezember 1993 VIII B 107/93, BFHE 173, 158, BStBl II 1994, 300; vom 14. Juli 1998 VIII B 38/98, BFHE 186, 379). Die AdV des Grundlagenbescheides begründet eine Verpflichtung der für den Erlass des Folgebescheides zuständigen Behörde, die Vollziehung dieses Bescheides auszusetzen (BFH-Beschluss vom 25. April 1977 IV S 3/77, BFHE 122, 18, BStBl II 1977, 612).

60

Hiervon ausgehend besteht im Streitfall kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen AdV der betreffenden Bescheide, weil sie Folgebescheide der Körperschaftsteuerbescheide sind (vgl. Senatsurteil vom 20. April 2011 I R 2/10, BFHE 233, 251, BStBl II 2011, 761; FG Berlin-Brandenburg, Beschluss in EFG 2012, 358). Indem die Antragstellerin vorträgt, die Zinsschranke sei verfassungswidrig, wendet sie sich gegen die Höhe der festgesetzten Körperschaftsteuer, die die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag darstellt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Satz 1 des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995). Spezifische Einwendungen gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags hat die Antragstellerin nicht vorgetragen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Gewinne aus der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 5. Dezember 1966 --DBA-Spanien-- (BGBl II 1968, 10, BStBl I 1968, 297) in Deutschland besteuert werden dürfen.

2

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind Eheleute, die für das Streitjahr (2003) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie waren bis zum Streitjahr an der X beteiligt, einer spanischen Gesellschaft in der Rechtsform einer Sociedad en Commandita (S.C.), deren Struktur der einer deutschen Kommanditgesellschaft entspricht. Persönlich haftende Gesellschafterin der X war die Y, eine ebenfalls spanische Gesellschaft in der Rechtsform der Sociedad Anónima (S.A.), die mit einer deutschen Aktiengesellschaft vergleichbar ist. Die Antragsteller zählten zu den Gesellschaftern der Y und hielten ihre Beteiligungen jeweils im Sonderbetriebsvermögen der X.

3

Das Gesellschaftsvermögen der X bestand im Wesentlichen aus einem Hotelbetrieb in Spanien, der auf Grund eines von Y eingeräumten Erbbaurechts errichtet worden und ganz überwiegend verpachtet war. X selbst betrieb in der Hotelanlage eine Boutique; zudem überwachte sie mit der Bewirtschaftung, Unterhaltung und Instandsetzung des Hotelgebäudes beschäftigte Personen. Ob die Geschäftsleitung der Gesellschaften in der Hotelanlage oder im Inland ausgeübt wurde, ist zwischen den Beteiligten streitig. Nach dem Vortrag des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) hat Y in Spanien Steuererklärungen abgegeben, ausweislich derer sie keine Aktivitäten entfaltet hat.

4

Im Streitjahr veräußerten die Antragsteller ihre Anteile an X und Y. In der für X abgegebenen Feststellungserklärung für das Streitjahr wurde der dabei erzielte Gewinn als nach dem DBA-Spanien steuerfrei erklärt. Dem folgte das FA im Bescheid zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte nicht; es stellte in Höhe des erklärten Betrags einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn fest. Über den Einspruch gegen den Feststellungsbescheid ist nach Aktenlage noch nicht entschieden worden.

5

Die Antragsteller beantragten, nachdem das FA zuvor einen entsprechenden Antrag abgelehnt hatte, beim Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Feststellungsbescheids im Hinblick auf die Veräußerungsgewinne. Das FG lehnte diesen Antrag ab (Beschluss vom 2. November 2009  6 V 2234/09). Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde der Antragsteller.

6

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Es bedarf in mehrfacher Hinsicht weiterer Sachaufklärung, dies vor allem dazu, ob es sich bei den veräußerten Beteiligungen an der X als auch der Anteile an der Y tatsächlich um Betriebsvermögen bzw. Sonderbetriebsvermögen der Antragsteller handelte oder aber, ob die Beteiligungen in deren Privatvermögen gehalten wurden, weil die X im Streitjahr einer lediglich vermögensverwaltenden Tätigkeit nachging. Davon kann im Ausgangspunkt die Antwort auf die Frage abhängen, ob Deutschland oder aber Spanien das Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen zusteht. Davon hängt es wiederum maßgeblich ab, ob die in Rede stehenden Einkünfte nach dem DBA-Spanien in Deutschland besteuert werden dürfen und ob die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ernstlich zweifelhaft i.S. des § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist.

8

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Das wiederum ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsaktes gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (BFH-Beschluss vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663, m.w.N.).

9

Die AdV setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschluss vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826).

10

2. Die Beteiligten gehen im Streitfall übereinstimmend davon aus, dass die im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Antragsteller sowohl durch die Veräußerung ihrer Beteiligungen an der X als auch durch die Veräußerung der Anteile an der Y Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S. des § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) erzielt haben. Diese Annahme einer Gewerblichkeit wird zwar nicht abschließend durch Tatsachen und eine dahingehende Subsumtion unter die einschlägigen Tatbestandsmerkmale des § 15 Abs. 2 EStG 2002 gestützt. Sie steht aber in Einklang damit, dass es sich nach Aktenlage bei der X um eine gewerblich geprägte Personengesellschaft i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG 2002 gehandelt hat. Dass Y eine Kapitalgesellschaft spanischen Rechts ist, hindert die gewerbliche Prägung der X nicht, da diese auch durch eine ausländische Kapitalgesellschaft vermittelt werden kann (BFH-Urteil vom 14. März 2007 XI R 15/05, BFHE 217, 438, BStBl II 2007, 924).

11

3. Bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Gewinne der Antragsteller aus der Veräußerung der Anteile an der X nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Spanien von der deutschen Besteuerung befreit sind. Eine abschließende Entscheidung bedarf jedoch weiterer Sachaufklärung und muss dem FG vorbehalten bleiben.

12

a) Nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Spanien werden bei einer in Deutschland (nach Art. 4 Abs. 1 DBA-Spanien) ansässigen Person u.a. die Einkünfte aus Quellen innerhalb Spaniens ausgenommen, die nach dem DBA-Spanien in Spanien besteuert werden können. Das gilt nicht für Einkünfte, auf die Art. 23 Abs. 1 Buchst. b DBA-Spanien anzuwenden ist. Es gilt ferner nur mit Einschränkungen für Dividenden (Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 3 DBA-Spanien).

13

b) Ob die in Rede stehenden Einkünfte i.S. des Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Spanien "in Spanien besteuert werden können", ist ernstlich zweifelhaft i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO. Der entgegenstehenden Ansicht des FG pflichtet der Senat nicht bei.

14

aa) Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Spanien können Gewinne aus der Veräußerung unbeweglichen Vermögens i.S. des Art. 6 Abs. 2 DBA-Spanien in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem dieses Vermögen liegt. Ferner können nach Art. 13 Abs. 2 Satz 1 DBA-Spanien Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Vermögens, das Betriebsvermögen einer Betriebstätte darstellt, die ein Unternehmen eines Vertragstaates in dem anderen Vertragstaat hat, sowie derartige Gewinne aus der Veräußerung einer solchen Betriebstätte in dem anderen Staat besteuert werden. Art. 13 Abs. 3 DBA-Spanien, der das alleinige Besteuerungsrecht demgegenüber demjenigen Vertragstaat zuweist, in dem der Veräußerer ansässig ist, betrifft nur die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Vermögen, das nicht in den Abs. 1 und 2 der Vorschrift genannt ist. Die in Art. 13 Abs. 1 und 2 DBA-Spanien getroffenen Regelungen gehen daher der Regelung in Art. 13 Abs. 3 DBA-Spanien vor.

15

bb) Der Anwendungsvorrang von Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien setzt allerdings (zunächst und unbeschadet der nachfolgend anzustellenden Erwägungen) voraus, dass es sich bei den betreffenden Gewinnen aus der Veräußerung beweglichen Vermögens nicht nur aus innerstaatlicher, sondern auch aus abkommensrechtlicher Sicht um die Veräußerung von Betriebsvermögen handelt. Daran mangelt es bereits im Ausgangspunkt, wenn aus Abkommenssicht (bewegliches) Privatvermögen veräußert wird. Unter den im Streitfall in Rede stehenden Gegebenheiten ist Letzteres jedenfalls dann zu bejahen, sollte die X tatsächlich lediglich vermögensverwaltend und nicht gewerblich tätig gewesen sein. Davon gehen die Beteiligten zwar nicht aus (s. unter II.2.), es ist indes nach Aktenlage nicht von vornherein auszuschließen. Dass es sich nach Lage der Dinge bei der X nach den Maßstäben des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG 2002 um eine --durch die Y-- gewerblich geprägte Personengesellschaft handelt, schlösse eine bloße Vermögensverwaltung der X nicht aus; die innerstaatliche Gewerbeprägung schlägt auf die Abkommensrechtslage nicht durch. Der gegenteiligen Rechtsauffassung der Finanzverwaltung (vgl. Bundesministerium der Finanzen --BMF--, Schreiben vom 24. Dezember 1999, BStBl I 1999, 1076 Tz. 1.1.5.1, jetzt BMF-Schreiben vom 16. April 2010, BStBl I 2010, 354 Tz. 4.2.1) ist insoweit nicht beizupflichten. Im Einzelnen verweist der Senat dazu auf sein Urteil vom 28. April 2010 I R 81/09 (BFHE 229, 252). Es ist Sache des FG, die tatsächlichen Verhältnisse weiter aufzuklären. Ggf. sind jene Gewinnanteile, welche auf die Veräußerung unbeweglichen und in Spanien belegenen Vermögens herrühren, anteilig zu ermitteln. Ansonsten gebührt das Besteuerungsrecht nach Art. 13 Abs. 3 DBA-Spanien von vornherein Deutschland.

16

cc) Sollte sich hiernach jedoch bestätigen, dass die X unbeschadet der besagten innerstaatlichen Gewerbeprägung tatsächlich gewerblich tätig war, ist weiter zu prüfen, ob Art. 13 Abs. 1 und 2 DBA-Spanien der Besteuerungszuweisung in Art. 13 Abs. 3 DBA-Spanien aus anderen Gründen vorgeht. Das FG hat das verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich die Veräußerung auf Anteile an der X bezogen habe und dass X eine Personengesellschaft gewesen sei, die --wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist-- nach spanischem Steuerrecht wie eine juristische Person behandelt wurde. Die Veräußerung von Anteilen an einer solchen nach spanischem Recht "intransparenten" Personengesellschaft unterfalle stets Art. 13 Abs. 3 DBA-Spanien. Diese Ansicht wird zwar von der deutschen Finanzverwaltung vertreten (BMF-Schreiben vom 28. Mai 1998, BStBl I 1998, 557, zwischenzeitlich aufgehoben durch BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 354 Tz. 4.2.1 i.V.m. Tz. 4.1.3.3.2) und findet auch im Schrifttum Gefolgschaft (z.B. Herlinghaus in Debatin/ Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 23 Spanien Rz 15). Sie ist aber nicht unbestritten (a.A. z.B. FG Hamburg, Urteil vom 22. August 2006  7 K 139/03, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2007, 101; Lüdemann/Hruschka, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2000, 25, 27) und bei summarischer Betrachtung nicht zweifelsfrei zutreffend.

17

Denn Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 DBA-Spanien greift im Streitfall nur dann nicht ein, wenn X den Antragstellern weder unbewegliches Vermögen i.S. des Art. 6 DBA-Spanien noch eine in Spanien belegene Betriebstätte vermittelt hat. Letzteres hat das FG mit der Begründung angenommen, dass sowohl ein vorhandenes unbewegliches Vermögen als auch eine etwa in der Hotelanlage belegene Betriebstätte abkommensrechtlich nicht den Antragstellern, sondern der X zuzuordnen sei. Diese sei selbst "Person" i.S. des Art. 1 DBA-Spanien und als solche abkommensberechtigt, so dass die Veräußerung der Anteile an der X wie eine Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft zu behandeln sei. Diese Beurteilung begegnet ernstlichen Zweifeln, da die Einstufung der X als "Person" von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. f DBA-Spanien abhängt und diese Vorschrift in dem hier maßgeblichen Punkt nicht eindeutig ist.

18

aaa) Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e DBA-Spanien umfasst der Begriff "Person" natürliche Personen und Gesellschaften. Als "Gesellschaft" bezeichnet das DBA-Spanien eine juristische Person oder einen anderen Rechtsträger, der für die Besteuerung wie eine juristische Person behandelt wird (Art. 3 Abs. 1 Buchst. f DBA-Spanien). Diese Definitionen sind für die Auslegung des DBA-Spanien bindend. Streitig ist aber, ob bei der Frage nach dem Vorliegen einer "juristischen Person" oder eines "wie eine juristische Person besteuerten Rechtsträgers" für Zwecke der deutschen Besteuerung stets auf das deutsche Recht (so z.B. Senatsurteil vom 20. August 2008 I R 34/08, BFHE 222, 521, BStBl II 2009, 263 zum Abkommen mit den USA; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 3 MA Rz 18; Gaffron in Haase, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 3 MA Rz 25; Rosenthal, IStR 2007, 610, 611; ebenso wohl FG Hamburg, Urteil in EFG 2007, 101; Suchanek, IStR 2007, 654, 655 f.) oder ggf. auf das Recht des anderen Vertragstaates abzustellen ist (so. z.B. Reimer in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 13 Rz 83; Wilke in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kommentar, Art. 3 OECD-MA Rz 14; Strunk/Kaminski in Strunk/ Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 3 OECD-MA Rz 15; vgl. auch Schaumburg, IStR, 2. Aufl., Rz 16.171, m.w.N.). Zur Auslegung des --insoweit mit Art. 3 DBA-Spanien vergleichbaren-- Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (OECD-MustAbk) folgt der dazu ergangene einschlägige Kommentar (OECD-MustKomm) der zuletzt genannten Ansicht (OECD-MustKomm Nr. 3 zu Art. 3). Die Finanzverwaltung hat sich dem angeschlossen. Der Senat hält jedoch angesichts des Umstands, dass Art. 3 Abs. 2 DBA-Spanien zur Auslegung von im Abkommen nicht definierten Ausdrücken, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, auf das Recht des Rechtsanwenderstaates verweist, die erstgenannte Deutung (auch) im Hinblick auf dieses Abkommen für nicht von vornherein fernliegend.

19

bbb) Dagegen spricht nicht, dass Art. 10 Abs. 4 Satz 2 DBA-Spanien die von einer sociedad de personas --also einer spanischen Personengesellschaft-- an ihre Gesellschafter ausgeschütteten Gewinne den Dividenden zuordnet. Darin kommt zwar zum Ausdruck, dass das Abkommensrecht sich insoweit an der Behandlung jener Gesellschaften im spanischen Steuerrecht orientiert. Es ist aber offen, ob diese Regelung klarstellender Natur ist oder ob sie im Gegenteil von der Annahme ausgeht, dass ohne eine solche Sonderbestimmung die dort behandelten Ausschüttungen in Deutschland --dem System des deutschen Einkommensteuerrechts entsprechend-- als Entnahmen und folglich nicht als Dividenden zu behandeln wären. Letzterenfalls könnte die Vorschrift sogar als Beleg dafür herangezogen werden, dass für Zwecke der Besteuerung in Deutschland die Frage der "Besteuerung wie eine juristische Person" i.S. des Art. 3 Abs. 1 Buchst. f DBA-Spanien ausschließlich nach deutschem Steuerrecht zu beantworten, eine spanische Personengesellschaft also unabhängig von ihrer steuerrechtlichen Behandlung in Spanien nicht als "Gesellschaft" anzusehen ist. Daher muss diese Frage bei summarischer Prüfung als offen angesehen werden.

20

dd) Richtet sich im Streitfall die abkommensrechtliche Behandlung nach den Maßstäben des deutschen Steuerrechts, so ist im Hinblick auf die Anwendung des Art. 13 DBA-Spanien maßgeblich, dass in Deutschland Personengesellschaften nicht nach den für juristische Personen geltenden Regeln besteuert werden.

21

Das deutsche Recht geht vielmehr davon aus, dass die von einer Personengesellschaft erzielten Einkünfte stets deren Gesellschaftern zuzurechnen und bei diesen zu besteuern sind. Das hat abkommensrechtlich zur Folge, dass sowohl ein von einer Personengesellschaft betriebenes Unternehmen als auch die Betriebstätten eines solchen Unternehmens unmittelbar den Gesellschaftern der Personengesellschaft zugeordnet werden (vgl. Senatsurteile vom 18. Dezember 2002 I R 92/01, BFHE 201, 447; vom 17. Oktober 2007 I R 96/06, BFHE 219, 534, BStBl II 2008, 953; in BFHE 222, 521, BStBl II 2009, 263, m.w.N.).

22

Daraus würde zunächst folgen, dass das von X betriebene Unternehmen für die Beurteilung des Streitfalls als deutsches Unternehmen i.S. des Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien anzusehen wäre. Denn dann wären die in Rede stehenden Gewinne aus abkommensrechtlicher Sicht von einem Unternehmen erzielt worden, das von den im Inland ansässigen Antragstellern betrieben wurde, und nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. g DBA-Spanien richtet sich die territoriale Zuordnung eines Unternehmens nach der Ansässigkeit der das Unternehmen betreibenden Person. Das Besteuerungsrecht Spaniens hinge dann davon ab, ob und inwieweit die veräußerten Anteile an der X entweder in Spanien belegenes unbewegliches Vermögen (Art. 13 Abs. 1 DBA-Spanien) oder Betriebsvermögen einer in Spanien unterhaltenen Betriebstätte (Art. 13 Abs. 2 Satz 1 DBA-Spanien) verkörperten. Das kann im summarischen Verfahren wiederum nicht abschließend beurteilt werden.

23

aaa) Zunächst ist aufklärungsbedürftig, inwieweit der bei der Veräußerung der Anteile erzielte Kaufpreis auf den Wert eines in Spanien belegenen unbeweglichen Vermögens entfällt. Das unbewegliche Vermögen der X bestand nach Aktenlage ursprünglich in einem von Y eingeräumten Erbbaurecht. Dieses Erbbaurecht war aber im Jahre 1988 bestellt und dabei auf 15 Jahre befristet worden; es könnte daher im Zeitpunkt der Veräußerung abgelaufen gewesen sein oder zumindest kurz vor dem Ablauf gestanden haben. Das wiederum lässt unklar erscheinen, ob die Anteile an der X im Zeitpunkt ihrer Veräußerung unbewegliches Vermögen i.S. des Art. 13 Abs. 1 DBA-Spanien repräsentiert haben. Dies aber wäre Voraussetzung dafür, dass die Veräußerung als "Veräußerung unbeweglichen Vermögens" i.S. jener Vorschrift angesehen werden könnte.

24

bbb) In Hinblick auf die Anwendung des Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien ist zwischen den Beteiligten streitig, ob im Zusammenhang mit dem Betrieb der X in Spanien eine Betriebstätte unterhalten worden ist, der ein veräußertes bewegliches Vermögen zugeordnet werden könnte. Insoweit hat das FA zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die von X errichtete Hotelanlage verpachtet war und dass ein verpachteter Betrieb regelmäßig nicht als Betriebstätte des Verpächters angesehen werden kann (Senatsurteil vom 13. Juni 2006 I R 84/05, BFHE 214, 178, BStBl II 2007, 94, m.w.N.). Ferner ist dem FA dahin zu folgen, dass bei summarischer Beurteilung zwar die von X in der Hotelanlage betriebene Boutique aus abkommensrechtlicher Sicht eine Betriebstätte der Antragsteller darstellte, dieser Betriebstätte aber zweifelsfrei nicht das gesamte Vermögen der X zuzurechnen ist. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich in der verpachteten Anlage eine weitere den Antragstellern zuzurechnende Betriebstätte befand und dass die veräußerten beweglichen Vermögenswerte dieser Betriebstätte als "Betriebsvermögen" i.S. des Art. 13 Abs. 2 Satz 1 DBA-Spanien zuzuordnen sind.

25

aaaa) Der Begriff "Betriebstätte" wird für Zwecke des DBA-Spanien in Art. 5 DBA-Spanien definiert. Danach umfasst er u.a. einen Ort der Leitung (Art. 5 Abs. 2 Buchst. a DBA-Spanien). Dieser liegt dort, wo eine das Unternehmen leitende Person Leitungsaufgaben wahrnimmt und in diesem Zusammenhang Entscheidungen von einigem Gewicht trifft (Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 5 MA Rz 67). Im Streitfall ist in tatsächlicher Hinsicht unklar, ob sich in Spanien ein solcher Ort befunden hat.

26

Die Antragsteller haben dazu vorgetragen, dass in der Hotelanlage ein der X vorbehaltenes Büro vorhanden war und dass dieses Büro für Zwecke der Leitung der X genutzt wurde. Sie haben ferner behauptet, dass der Antragsteller und ein weiterer Gesellschafter der X anstehende Entscheidungen im Zusammenhang mit der Hotelanlage stets vor Ort getroffen haben. Das FA hat diese Angabe zwar in Zweifel gezogen. Die insoweit maßgeblichen Umstände können aber im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht näher aufgeklärt werden. Zudem hat das FG ausdrücklich unterstellt, dass sich in Spanien eine den Antragstellern zuzurechnende Betriebstätte befand; dem Gesamtzusammenhang seiner Entscheidung ist zu entnehmen, dass es damit nicht die von X betriebene Boutique, sondern einen Leitungsort gemeint hat. Daher geht der Senat im vorliegenden Verfahren davon aus, dass in Spanien ein solcher Leitungsort vorhanden war. Ob die genannten Angaben der Antragsteller zutreffen, welche Aufgaben im Zusammenhang mit dem Betrieb der X ggf. in Spanien wahrgenommen wurden und was daraus für die Zuordnung des Betriebsvermögens folgt, wird im Verfahren zur Hauptsache aufgeklärt und entschieden werden müssen.

27

bbbb) Im Streitfall ist daher zu Gunsten der Antragsteller davon auszugehen, dass der hier angenommene Betrieb der X insgesamt in Spanien geleitet worden ist und dass sich außerhalb Spaniens keine weitere Betriebstätte der X befunden hat. Unter dieser Voraussetzung liegt einerseits die Annahme nahe, dass das gesamte Betriebsvermögen der X abkommensrechtlich einer in Spanien belegenen Betriebstätte der Antragsteller zuzuordnen ist. Das würde wiederum dazu führen, dass der Gewinn aus der Veräußerung des beweglichen Betriebsvermögens gemäß Art. 13 Abs. 2 Satz 1 DBA-Spanien insgesamt in Spanien besteuert werden dürfte.

28

c) Eine sich daraus ergebende Befreiung des Gewinns von der deutschen Steuer (Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Spanien) würde nicht notwendig durch Art. 23 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ee DBA-Spanien ausgeschlossen oder beschränkt. Zum einen bezieht sich Art. 23 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ee DBA-Spanien lediglich auf Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen und aus diesem Vermögen selbst und damit auf Einkünfte gemäß Art. 6 Abs. 1 DBA-Spanien, Veräußerungsgewinne gemäß Art. 13 Abs. 1 DBA-Spanien werden hingegen nicht in Bezug genommen (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 1982 I R 257/78, BFHE 136, 363, BStBl II 1982, 768; FG Münster, Urteil vom 16. Februar 2009  9 K 463/04 K,F, EFG 2009, 1222; Herlinghaus in Debatin/ Wassermeyer, a.a.O., Art. 23 Spanien Rz 25; Suchanek, IStR 2007, 654, 657; Lemaitre/Lüdemann in Wassermeyer/Richter/ Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2010, Rz 7.73; Mensching/Tyarks, daselbst, Rz 10.14; anders Oberfinanzdirektion --OFD-- Frankfurt, Verfügung vom 15. März 2001, Betriebs-Berater 2001, 869; OFD Münster, Verfügung vom 29. November 1999, Deutsches Steuerrecht 2000, 522). Zum anderen nimmt die Vorschrift unbewegliches Vermögen, das zu einer in Spanien gelegenen Betriebstätte gehört, von der dort vorgesehenen Steueranrechnung aus; soweit es um in Spanien zu besteuernde Betriebstätteneinkünfte geht, bleibt es mithin auch im Bereich des unbeweglichen Vermögens bei der Steuerbefreiung nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Spanien. Um solche Einkünfte würde es indessen im Streitfall zumindest dann gehen, wenn sich in Spanien die einzige Betriebstätte der Antragsteller im Zusammenhang mit dem Betrieb der X befunden hätte.

29

4. Im Ergebnis geht der Senat mithin davon aus, dass die von den Antragstellern erzielten Veräußerungsgewinne möglicherweise nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Spanien von der deutschen Steuer freizustellen sind. Vorausgesetzt, die X war eigengewerblich und nicht lediglich vermögensverwaltend tätig, rechtfertigt das die beantragte AdV. Dem steht § 50d Abs. 9 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 (JStG 2007), BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28 --EStG 2002 n.F.-- nicht entgegen.

30

a) Nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. wird eine in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorgesehene Steuerbefreiung nicht gewährt, wenn der andere Vertragstaat das Abkommen so anwendet, dass die in diesem Staat erzielten Einkünfte von der dortigen Besteuerung auszunehmen sind. Diese Situation liegt im Streitfall vor. Denn da das spanische Steuerrecht Personengesellschaften nach Art der X wie Kapitalgesellschaften behandelt, unterliegen Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer solchen Gesellschaft aus der Sicht Spaniens grundsätzlich Art. 13 Abs. 3 DBA-Spanien. Anderes gilt allenfalls dann, wenn die Anteile ihrerseits zu einer in Spanien belegenen Betriebstätte eines weiteren Unternehmens gehören; um einen solchen Sachverhalt geht es im Streitfall nicht. In der hier gegebenen Situation weist das DBA-Spanien deshalb nach dem Verständnis Spaniens das Besteuerungsrecht ausschließlich der Bundesrepublik Deutschland zu. Dem entsprechend sind denn auch im Streitfall die Gewinne der Antragsteller aus der Veräußerung der Anteile an der X in Spanien nicht besteuert worden. Das FA macht deshalb zu Recht geltend, dass die in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. genannte Voraussetzung im Streitfall erfüllt ist.

31

b) Indessen ist § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. erst durch das Jahressteuergesetz 2007 geschaffen worden. Dieses Gesetz ist am 14. Dezember 2006 --und damit nach dem Ende des Streitjahres-- in Kraft getreten (Art. 20 Abs. 1 JStG 2007). Nach § 52 Abs. 59a Satz 6 EStG 2002 n.F. ist § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. zwar für alle Veranlagungszeiträume anzuwenden, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind. Es ist aber ernstlich zweifelhaft, ob die hiernach vorgesehene Anwendung der Neuregelung auf den Streitfall mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist.

32

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bedarf es vor dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Insbesondere ist eine steuerbegründende oder steuererhöhende Bestimmung in der Regel mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar, wenn und soweit sie für einen Veranlagungszeitraum gelten soll, der im Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes bereits abgeschlossen war (BVerfG-Entscheidung vom 19. Dezember 1961  2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261). Das gilt auch im Zusammenhang mit Rechtsänderungen im Bereich der DBA (BVerfG-Beschlüsse vom 10. März 1971  2 BvL 3/68, BStBl II 1973, 431; vom 14. Mai 1986  2 BvL 2/83, BStBl II 1986, 628).

33

bb) § 52 Abs. 59a Satz 6 EStG 2002 n.F. entfaltet, soweit er eine Anwendung des § 50d Abs. 9 EStG 2002 n.F. für das Streitjahr anordnet, möglicherweise eine "echte" Rückwirkung in diesem Sinne. Diese könnte darin bestehen, dass die Regelung mit Wirkung für abgelaufene Veranlagungszeiträume eine Steuerbefreiung ausschließt, die sich vor ihrer Geltung u.a. aus Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Spanien ergab.

34

aaa) Ausweislich der Gesetzesmaterialien hat der Gesetzgeber allerdings angenommen, dass die in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. getroffene Regelung klarstellender Natur sei (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/2712, S. 61). Er ist mithin davon ausgegangen, dass jene Regelung nur verdeutliche, was ohnehin aus den einzelnen DBA abzuleiten sei. Dies entspricht dem Verständnis des OECD-Musterkommentars, der die in den DBA verwendete Formulierung "nach diesem Abkommen besteuert werden können" nicht allein auf die Auslegung des jeweiligen Abkommens durch den Rechtsanwenderstaat bezieht, sondern darüber hinaus die Sicht des jeweils anderen Vertragstaates berücksichtigt (OECD-MustKomm Nr. 32.1 ff. zu Art. 23). Nach diesem Regelungsverständnis soll namentlich dann, wenn beide Vertragstaaten einen bestimmten Abkommensbegriff auf Grund unterschiedlicher systematischer Vorverständnisse unterschiedlich auslegen und deshalb im Ausgangspunkt sich keiner von beiden für steuerberechtigt hält ("negativer Qualifikationskonflikt"), der betreffende Vorgang nicht "nach dem Abkommen besteuert werden können" und mithin eine an diese Voraussetzung geknüpfte Steuerbefreiung ausscheiden (OECD-MustKomm Nr. 32.6 zu Art. 23). Folgt man dem, so stellt § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. nur die unmittelbar in den entsprechenden Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung verankerte Rechtslage klar (so z.B. Vogel, IStR 2007, 225, 228; Thiel in Kessler/Förster/Watrin [Hrsg.], Unternehmensbesteuerung, Festschrift für Herzig, 2010, S. 1023). Das gilt auch im Hinblick auf Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Spanien.

35

bbb) Eine solche Sicht der Dinge begegnet indessen bei summarischer Betrachtung ernstlichen Zweifeln. Denn in der Zeit vor der Geltung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. sind Rechtsprechung und Schrifttum stets davon ausgegangen, dass eine abkommensrechtliche Steuerfreistellung regelmäßig auch dann eingreift, wenn die in Deutschland freigestellten Einkünfte im anderen Vertragstaat nicht besteuert werden. Es sollte insoweit ein "Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung" gelten (Senatsurteile vom 14. Dezember 1988 I R 148/87, BFHE 155, 374, BStBl II 1989, 319; vom 17. Dezember 2003 I R 14/02, BFHE 204, 263, BStBl II 2004, 260; Schaumburg, a.a.O., Rz 16.534). Vor diesem Hintergrund stellt sich nunmehr die Frage, ob dieser Grundsatz u.a. die hier in Rede stehende Situation des (negativen) Qualifikationskonflikts erfasst oder ob er nur dann eingreift, wenn der andere Vertragstaat aus anderen als abkommensrechtlichen Gründen von einer Besteuerung absieht. Nimmt man ersteres an, so führt die in § 52 Abs. 59a Satz 6 EStG 2002 n.F. getroffene Anwendungsregelung zu einer "echten" Rückwirkung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F.

36

Im Schrifttum ist die damit angesprochene Frage streitig. Das u.a. im OECD-Musterkommentar vertretene Verständnis des Ausdrucks "nach diesem Abkommen besteuert werden können" wird von zahlreichen Stimmen angezweifelt (z.B. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, S. 235 ff.; Gosch in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 50d Rz 41; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 1 MA Rz 28g; M. Lang, IStR 2007, 606, 608; vgl. auch ders., IStR 2010, 114). Darüber hinaus wird die Ansicht vertreten, dass die im Jahr 2000 veröffentlichte Passage des OECD-Musterkommentars (Nr. 32.6 zu Art. 23 OECD-MustAbk) jedenfalls nicht für die "dynamische" Auslegung von schon zuvor in Kraft getretenen DBA maßgeblich sei (z.B. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 23A MA Rz 46; ders., IStR 2007, 413, 414; Gosch in Schaumburg/Piltz [Hrsg.], Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, 2004, S. 103, 117; ders. in Kirchhof, a.a.O., § 50d Rz 41). Vor diesem Hintergrund ist die Annahme verbreitet, dass die in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 59a Satz 6 EStG 2002 n.F. getroffene Regelung rechtsändernd wirke (so z.B. Suchanek/Herbst, Finanz-Rundschau 2006, 1112, 1118; Rosenthal, IStR 2007, 610, 612; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 50d Rz 40; Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 50d Abs. 9 EStG Rz 33; zweifelnd auch Loschelder in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 29. Aufl., § 50d Rz 56) und eine rückwirkende Anwendung daher aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig sei (Gosch, IStR 2008, 413, 416).

37

ccc) Unabhängig davon ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ernstlich zu bezweifeln, ob § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die nicht nur durch Art. 20 Abs. 3 GG, sondern auch durch den prinzipiellen Vorrang des Völkervertragsrechts vor "einfachem" Recht zu verlangen sind, uneingeschränkt gerecht wird. Denn aufgrund des vorstehend unter II.4.b bb aaa beschriebenen Abkommensverständnisses spricht manches dafür, dass § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. unilateral und konstitutiv die mit Spanien in Art. 23 Abs. 1 DBA-Spanien vereinbarte Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung mittels "virtueller" Freistellung (als sog. treaty override) "überschreibt". Das mag prinzipiell in Einklang damit stehen, dass sowohl das Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung infolge dessen Transformation in nationales Recht (vgl. im Hinblick auf das DBA-Spanien: Zustimmungsgesetz vom 16. Januar 1968, BGBl II 1968, 9) als auch das Einkommensteuergesetz in der Normenhierarchie gleichrangig auf derselben Stufe stehen (vgl. z.B. Senatsurteil vom 13. Juli 1994 I R 120/93, BFHE 175, 351, BStBl II 1995, 129). Es fragt sich indessen, ob nicht gleichwohl abkommensrechtlich und verfassungsrechtlich durchschlagende Gründe dafür ersichtlich sein müssen, die die Durchbrechung der völkerrechtlich verbindlich getroffenen Vereinbarungen (Art. 59 Abs. 2 GG) erzwingen und (ausnahmsweise) rechtfertigen können (vgl. jeweils m.w.N. z.B. Vogel in Vogel/Lehner, a.a.O., Einl. Rz 193 ff.; Gosch, IStR 2008, 413).

38

ddd) Die verfassungsrechtliche Beurteilung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 59a Satz 6 EStG 2002 n.F. kann im summarischen Verfahren nicht abschließend vorgenommen werden. Gegen einen lediglich klarstellenden Charakter der Vorschrift könnte u.a. sprechen, dass die für die Steuerfreistellung maßgebliche Regelung im OECD-Musterabkommen im Jahr 2000 um eine ausdrückliche Bestimmung (Art. 23A Abs. 4 OECD-MustAbk) ergänzt worden ist, die inhaltlich § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. entspricht; das könnte darauf hindeuten, dass es nach den allgemeinen Grundsätzen der Abkommensauslegung einer solchen positiven Bestimmung bedarf, wenn ein negativer Qualifikationskonflikt zu einem ansonsten nicht bestehenden Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates führen soll. Nicht zuletzt deshalb sind die im Schrifttum geäußerten Bedenken gegen die rückwirkende Anwendung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. so gewichtig, dass deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit ernstlich zweifelhaft erscheint. Damit erscheint gleichermaßen zweifelhaft, ob diese Vorschrift im Streitfall berücksichtigt werden kann. Sie kann daher die aus abkommensrechtlichen Gründen gebotene AdV nicht hindern; nach den Umständen des Einzelfalles kommt dem Interesse der Antragsteller an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zu (vgl. zu diesem Abwägungsmaßstab zuletzt BFH, Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, BFH/NV 2010, 1033 --zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt--, m.w.N.).

39

5. Im Ergebnis dasselbe gilt im Hinblick auf die Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der Y. Denn nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass erstens die Antragsteller nicht nur an X, sondern auch an Y beteiligt waren und dass zweitens Y sich auf die Leitung der X beschränkt und keinen eigenen operativen Geschäftsbetrieb unterhalten hat. Bei einem solchen Sachverhalt gehören nach deutschem Steuerrecht die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft (Y) zum Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters der Personengesellschaft (X). Das wiederum hat nach der Rechtsprechung des Senats zur Folge, dass die Beteiligung abkommensrechtlich einer durch die Personengesellschaft vermittelten Betriebstätte des Gesellschafters zuzurechnen ist (Senatsurteil vom 13. Februar 2008 I R 63/06, BFHE 220, 415, BStBl II 2009, 414; Gosch in Gosch/Kroppen/Grotherr, a.a.O., Art. 13 OECD-MA Rz 80, jeweils m.w.N.). Dieser Grundsatz muss möglicherweise auch im Streitfall gelten. Daraus würde wiederum folgen, dass die Anteile der Antragsteller an der Y einer in Spanien belegenen Betriebstätte zuzuordnen sind und die Gewinne aus ihrer Veräußerung daher gemäß Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 2 Satz 1 DBA-Spanien in Deutschland nicht besteuert werden dürfen. Bis zur abschließenden Klärung dieser Frage ist auch insoweit die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids als ernstlich zweifelhaft anzusehen und deshalb seine Vollziehung auszusetzen.

40

Auch insoweit muss der Sachverhalt --vorausgesetzt, X ist tatsächlich einer gewerblichen Betätigung nachgegangen-- weiter aufgeklärt werden. Andernfalls greift abermals die Besteuerungszuordnung des Art. 13 Abs. 3 DBA-Spanien.

41

6. Der Beschluss der Vorinstanz, die verschiedentlich abweichende Rechtsauffassungen vertreten hat, ist aufzuheben. Es bedarf für eine abschließende Entscheidung aus den ausgeführten Gründen umfangreicher weiterer Sachaufklärung, insbesondere zu der vorrangig zu prüfenden Frage danach, ob die X tatsächlich gewerblich oder aber nur vermögensverwaltend tätig war. Davon hängt die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schon im weichenstellenden Ausgangspunkt ab. Der Senat hält es angesichts dessen für sachgerecht, die Sache an das FG zurückzuverweisen (zur Zurückverweisung im Verfahren auf AdV s. z.B. Gosch in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 69 FGO Rz 309; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 FGO Rz 998 ff., jeweils m.w.N.).

Im Sinn dieses Gesetzes ist:

1.
Kernbrennstoff:
a)
Plutonium 239 und Plutonium 241,
b)
Uran 233 und Uran 235,
auch in Verbindungen, Legierungen, keramischen Erzeugnissen und Mischungen;
2.
Brennelement: aus einer Vielzahl von Brennstäben montierte Anordnung, in der der Kernbrennstoff im Kernreaktor eingesetzt wird;
3.
Brennstab: geometrische Form, in welcher der Kernbrennstoff, ummantelt mit Hüllmaterial, im Kernreaktor eingesetzt wird;
4.
Kettenreaktion: Prozess, bei dem Neutronen durch Spaltung von Kernbrennstoffen weitere Neutronen freisetzen, die wieder zur Spaltung von weiterem Kernbrennstoff führen;
5.
Kernreaktor: geometrische Anordnung von Brennelementen beziehungsweise Brennstäben sowie anderen technischen Komponenten in einer Art, dass dort eine sich selbsttragende, kontrollierte Kettenreaktion stattfinden kann;
6.
Betreiber: derjenige, der Inhaber einer Genehmigung zum Betrieb einer Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoff zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität ist.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin, Klägerin und Revisionsklägerin (Antragstellerin) betreibt eine Klinik, in der im Streitjahr 2002 durch approbierte Ärzte vorwiegend ästhetisch-chirurgische Maßnahmen wie Fettabsaugungen, Gesichts-, Hals- und Augenlid-Straffungen sowie Brustvergrößerungen, -verkleinerungen und -straffungen durchgeführt wurden. Die Antragstellerin ging davon aus, dass ihre Leistungen im Zusammenhang mit diesen Operationen nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) steuerbefreit seien.

2

Demgegenüber war der Antragsgegner, Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) der Auffassung, dass die Leistungen steuerpflichtig seien und behandelte die Umsätze in dem Umsatzsteuerbescheid vom 25. September 2003, geändert durch Bescheid vom 6. September 2004, als umsatzsteuerpflichtig. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

3

Für die Klageabweisung führte das Finanzgericht (FG) an, dass der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 15. Juli 2004 V R 27/03 (BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862) entschieden habe, dass es für die Umsatzsteuerfreiheit von Schönheitsoperationen nach § 4 Nr. 14 UStG nicht ausreiche, dass die Operationen nur von einem Arzt ausgeführt werden könnten. Die Operationen müssten vielmehr der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen. Die gebotene enge Auslegung des autonomen gemeinschaftsrechtlichen Begriffs der Heilbehandlung gebiete danach, dass nur diejenigen Leistungen steuerbefreit seien, deren Zweck der Schutz der menschlichen Gesundheit sei. Im Streitfall spreche bereits der erste Eindruck dagegen, dass das Hauptziel ihrer Leistungen der Schutz oder die Wiederherstellung der Gesundheit ihrer Kunden sei, wie sich aus dem Internet-Auftritt der Antragstellerin ergebe. Zu berücksichtigen sei, dass der Gegenstand der Leistung bei ästhetisch-plastischen Operationen gerade nicht die Behandlung oder Heilung einer Krankheit sei, sondern die optische Korrektur. Die Operation sei daher nicht Mittel der Behandlung, sondern der essenzielle Inhalt der vertraglichen Leistung. Die Revision wurde vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zugelassen. Die von der Antragstellerin eingelegte Revision ist beim Senat unter dem Az: V R 16/12 anhängig. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) wies das FG mit Beschluss vom 6. Dezember 2004 als unbegründet zurück.

Entscheidungsgründe

4

II. Der zulässige Antrag ist begründet.

5

1. Der Antrag ist zulässig. Zwar hat das FG die AdV durch Beschluss vom 6. Dezember 2004 abgelehnt und den gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gestellten Änderungsantrag der Antragstellerin durch Beschluss vom 17. Mai 2010 als unzulässig verworfen. Demgegenüber ist der nunmehr beim Senat auf AdV ab Fälligkeit gestellte Antrag (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO) zulässig.

6

a) Nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Nach der Rechtsprechung des BFH liegen solche Umstände vor, wenn entweder nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Gegebenheiten den Fall in tatsächlicher Hinsicht in einem neuen Licht erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 18. September 1996 I B 39/96, BFH/NV 1997, 247) oder wenn eine Gesetzesänderung oder eine zwischenzeitlich ergangene gerichtliche Entscheidung zu einer veränderten Beurteilung der maßgeblichen Rechtslage führen können (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. Januar 1991 IX S 6/90, BFH/NV 1991, 535, und vom 8. Mai 2008 IX S 30/07, BFH/NV 2008, 1499).

7

Bei der gerichtlichen Entscheidung, die zu einer veränderten Beurteilung der maßgeblichen Rechtslage führen kann, kann es sich auch um ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union handeln, das ein deutsches Gericht oder ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Bezug auf eine im Streitfall entscheidungserhebliche Rechtsfrage stellt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. März 1998 I B 100/97, BFHE 185, 467; vom 14. Februar 2006 VIII B 107/04, BFHE 212, 285, BStBl II 2006, 523).

8

b) Im Streitfall liegen veränderte Umstände i.S. von § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO vor.

9

Der erkennende Senat ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Schönheitsoperationen, die nicht nachweislich medizinisch indiziert sind, als steuerpflichtig anzusehen sind (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862).

10

Demgegenüber hat der schwedische Högsta förvaltningsdomstolen ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet, das bei diesem als Rechtssache PCF Clinic AB C-91/12 anhängig ist (vgl. Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2012, Nr. C 118, 19). Mit diesem beim EuGH am 17. Februar 2012 eingereichten Ersuchen sollen folgende Fragen geklärt werden:

11

"1. Ist Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Mehrwertsteuerrichtlinie so auszulegen, dass die dort aufgeführten Befreiungen von der Mehrwertsteuerpflicht Leistungen erfassen, die, wie im vorliegenden Rechtsstreit,
a) ästhetische Operationen
b) ästhetische Behandlungen
darstellen?
2. Ist die Beurteilung davon abhängig, ob die Operation oder Behandlung zu dem Zweck durchgeführt wird, Krankheiten, körperlichen Mängeln oder Verletzungen vorzubeugen oder diese zu behandeln?
3. Ist, wenn dem Zweck Bedeutung beizumessen ist, die Vorstellung des Patienten vom Zweck der Behandlung zu berücksichtigen?
4. Ist es für die Beurteilung von Bedeutung, ob die Maßnahmen von Personen durchgeführt wird, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen sind, oder ob es solche Personen sind, die zum Zweck der Maßnahme Stellung nehmen?"

12

Damit liegen veränderte Umstände vor, die das FG weder bei seiner Ablehnung des Antrags auf Vollziehungsaussetzung durch Beschluss vom 6. Dezember 2004 noch bei seinem Beschluss vom 17. Mai 2010 berücksichtigen konnte.

13

2. Der Antrag ist auch begründet.

14

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem BFH-Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 8. April 2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, unter II.2., m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, unter II.2.).

15

Darüber hinaus kann nach der Rechtsprechung des BFH die Anhängigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens beim EuGH sowie die Möglichkeit, dass dieser eine ihm vorgelegte Rechtsfrage, auf die es im Streitfall ankommt, anders als der BFH beantwortet, zur Bejahung ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids führen (BFH-Beschlüsse in BFHE 185, 467, und in BFHE 212, 285, BStBl II 2006, 523).

16

b) Im Streitfall ergeben sich die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids daraus, dass der EuGH aufgrund der bei ihm anhängigen Rechtssache PCF Clinic AB C-91/12 insbesondere über die Frage zu entscheiden hat, ob ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen als Heilbehandlungsleistung steuerfrei sind; weiter ist durch den EuGH zu klären, ob es für die Steuerfreiheit darauf ankommt, ob die Operation oder Behandlung zu dem Zweck durchgeführt wird, Krankheiten, körperlichen Mängeln oder Verletzungen vorzubeugen oder diese zu behandeln. Sieht ein Gericht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union eine im Streitfall entscheidungserhebliche Rechtsfrage des Unionsrechts in ihrer Beantwortung als zweifelhaft an, legt es diese Rechtsfrage dem EuGH vor und besteht die Möglichkeit, dass der EuGH die ihm vorgelegte Rechtsfrage anders beantwortet als der BFH, liegen nach den Verhältnissen des Streitfalls ernstliche Zweifel vor, die eine AdV rechtfertigen.

17

3. Dem Antrag auf Aufhebung der Vollziehung war nur für den Zeitraum ab Veröffentlichung der Vorlageentscheidung im ABlEU ab 21. April 2012 stattzugeben.

18

a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Aufhebung der Vollziehung mit Wirkung zum Fälligkeitszeitpunkt nur gerechtfertigt, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestanden haben (BFH-Beschluss vom 18. Juli 2012 X S 19/12, BFH/NV 2012, 2008, m.w.N.).

19

b) Im Streitfall ergeben sich die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung erst aus dem beim EuGH anhängigen Vorlageverfahren, nicht aber aus anderen Umständen. Daher kommt eine rückwirkende Aufhebung der Vollziehung nur ab dem Zeitpunkt in Betracht, in dem die Anhängigkeit dieser Rechtssache beim EuGH im ABlEU veröffentlicht worden ist.

20

4. Die Vollziehung war ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, da die Antragstellerin nach ihrem unwidersprochenen Vortrag über eine gesicherte Vermögenslage verfügt und daher keine Gefahr von Steuerausfällen besteht.

21

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, da dem Antrag auf Aufhebung der Vollziehung für den Zeitraumvor Veröffentlichung der Vorlageentscheidung, die zur Anhängigkeit der PCF Clinic AB C-91/12 geführt hat, im ABlEU nicht stattzugeben war.

Ist nur ein Teil des Streitgegenstands zur Entscheidung reif, so kann das Gericht ein Teilurteil erlassen.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist die geschiedene Ehefrau des im September 2011 verstorbenen Erblassers (E). Aufgrund eines Vermächtnisses des E erhält sie auf Lebenszeit eine monatliche Rente von 2.700 €.

2

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte für den Erwerb der Antragstellerin in Höhe von 342.015 € (Jahreswert der Rente 32.400 € x Vervielfältiger 10,556) mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 Erbschaftsteuer in Höhe von 71.000 € fest, die die Antragstellerin am 2. November 2012 entrichtete.

3

Mit dem Einspruch machte die Antragstellerin im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. September 2012 II R 9/11 (BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899) und das damit beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren 1 BvL 21/12 die Verfassungswidrigkeit des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 --ErbStG-- (BGBl I 2008, 3018) geltend. Das Einspruchsverfahren ruht bis zu einer Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 21/12.

4

Die von der Antragstellerin beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab. Die beim Finanzgericht (FG) beantragte Aufhebung der Vollziehung wurde ebenfalls abgelehnt. Das FG führte zur Begründung aus, das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege nicht die öffentlichen Interessen am ordnungsgemäßen Gesetzesvollzug und an einer geordneten Haushaltsführung. Die festgesetzte Erbschaftsteuer belaufe sich nur auf knapp 25 % des Erwerbs. Die Antragstellerin könne etwaige finanzielle Härten durch die Wahl der Jahresversteuerung gemäß § 23 ErbStG abmildern. Die Gewährung einer Aufhebung der Vollziehung käme dagegen einem einstweiligen Außerkraftsetzen des ErbStG gleich.

5

Mit der Beschwerde rügt die Antragstellerin die Verletzung des § 69 Abs. 2 Sätze 2 und 7 sowie Abs. 3 Sätze 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Garantie auf effektiven Rechtsschutz könne einem Steuerpflichtigen bei einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht dadurch faktisch entzogen werden, dass nach der Rechtsprechung des BFH dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft der Vorrang vor dem Interesse des Steuerpflichtigen an einer AdV eingeräumt werde (vgl. BFH-Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558). Außerdem fehle eine gesetzliche Grundlage, die bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer der Besteuerung zugrunde gelegten Norm ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der AdV verlange. Die Ablehnung der AdV sei auch nicht damit zu rechtfertigen, dass nach der Rechtsprechung des BFH (II. Senat) regelmäßig keine weitergehende Entscheidung getroffen werden könne als vom BVerfG zu erwarten sei (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Juli 2003 II B 20/03, BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807). Dies bedeute eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache, weil die fortgesetzte Vollziehung aller Erbschaftsteuerbescheide kaum rückgängig zu machen sei und damit für den einzelnen Steuerpflichtigen dauerhaft nachteilige Wirkungen habe.

6

Die Antragstellerin beantragt, die Vorentscheidung und die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids vom 1. Oktober 2012 aufzuheben.

7

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung und die Vollziehung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids sind aufzuheben. Entgegen der Auffassung des FG kommt dem Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG zu.

9

1. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids bestehen --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO.

10

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO hat das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 3. April 2013 V B 125/12, BFHE 240, 447, m.w.N.). Im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsaktes ist die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO).

11

b) Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG. Beim BVerfG ist unter dem Az. 1 BvL 21/12 ein Normenkontrollverfahren zu der Frage anhängig, ob die Vorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgehen und dadurch die Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen können, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt werden (vgl. Vorlagebeschluss des BFH in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899).

12

2. Das Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung ist gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG vorrangig.

13

a) Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine Aufhebung der Vollziehung, die mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift begründet wird, voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 21. Mai 2010 IV B 88/09, BFH/NV 2010, 1613; vom 9. März 2012 VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418; vom 13. März 2012 I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611; vom 9. Mai 2012 I B 18/12, BFH/NV 2012, 1489; vom 18. Juni 2012 II B 17/12, BFH/NV 2012, 1652; Erfordernis eines berechtigten Interesses offen gelassen: BFH-Beschlüsse vom 23. August 2007 VI B 42/07, BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799, und vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826).

14

Das BVerfG hat dieser Rechtsprechung im Grundsatz zugestimmt (BVerfG-Beschlüsse vom 6. April 1988  1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283; vom 3. April 1992  2 BvR 283/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 726; kritisch insoweit Niedersächsisches FG, Beschluss vom 6. Januar 2011  7 V 66/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2011, 827; Gosch in Beermann/Gosch, FGO, § 69 Rz 179 ff.; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 113; Schallmoser, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2010, 297 ff.; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 97; Specker, Deutsche Steuer-Zeitung 2010, 800, 802 f.; einschränkend auch FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2011  12 V 12089/11, EFG 2012, 358). In neueren Entscheidungen hat das BVerfG die Frage, ob die Rechtsprechung des BFH (in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558) in jeder Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, wegen der fehlenden Entscheidungserheblichkeit offen gelassen (BVerfG-Beschlüsse vom 24. Oktober 2011  1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, HFR 2012, 89, und vom 6. Mai 2013  1 BvR 821/13, HFR 2013, 639).

15

b) Bei der Prüfung, ob ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Aussetzung bzw. der Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids vorliegt, ist das individuelle Interesse des Steuerpflichtigen mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung auf den Gesetzesvollzug und das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; in BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418; in BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611; in BFH/NV 2012, 1489).

16

c) Allerdings hat der BFH in Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen, in verschiedenen Fallgruppen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, m.w.N.). Dazu zählt auch der Fall, dass der BFH die vom Antragsteller als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, und vom 23. April 2012 III B 187/11, BFH/NV 2012, 1328, jeweils m.w.N.).

17

Bis zur Entscheidung des BVerfG ist zwar ungewiss, ob dieses die Vorschrift als verfassungswidrig beurteilen und im Fall einer Verfassungswidrigkeit für nichtig oder (nur) für mit dem GG unvereinbar erklären wird und welche Rechtsfolge es hieraus ziehen wird. Jedoch hat der BFH vorläufigen Rechtsschutz auf der Basis seiner, der Vorlage zugrunde liegenden Rechtsauffassung zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367, m.w.N.). Eine Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes bei Verfassungsverstößen, von denen das Gericht überzeugt ist, gegenüber dem bei sonstigen Rechtsverstößen zu gewährenden vorläufigen Rechtsschutz ist dem rechtsuchenden Steuerpflichtigen im Hinblick auf seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367). Mit dem Begehren nach vorläufigem Rechtsschutz muss der Steuerpflichtige auch in Kauf nehmen, dass bei einer Erfolglosigkeit des Einspruchs oder der Klage gegen den Steuerbescheid Aussetzungszinsen nach § 237 der Abgabenordnung (AO) anfallen, die für jeden Monat ein halbes Prozent betragen (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO).

18

d) Ist --wie bei der Erbschaftsteuer-- die dem BVerfG zur Prüfung vorgelegte Vorschrift allerdings eine Tarifnorm, muss im Rahmen der Interessensabwägung auch berücksichtigt werden, dass in diesem Fall die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes praktisch zu einer einstweiligen Nichterhebung der gesamten Steuer führen kann. Die Kompetenz, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, steht aber nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht allein dem BVerfG zu, das von dieser Möglichkeit nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Gründe Gebrauch machen darf (BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2001  2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.). Dennoch hat ein Steuerpflichtiger auch in einem solchen Fall Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Nur in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (vgl. BVerfG-Beschluss in StRK, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283).

19

e) Nachdem zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG aufgrund des Vorlagebeschlusses des BFH (in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899) ein Normenkontrollverfahren beim BVerfG anhängig ist, ist die Vollziehung eines auf § 19 Abs. 1 ErbStG beruhenden Erbschaftsteuerbescheids auf Antrag des Steuerpflichtigen auszusetzen oder aufzuheben, wenn ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht. Ein berechtigtes Interesse liegt jedenfalls vor, wenn der Steuerpflichtige mangels des Erwerbs liquider Mittel (wie z.B. Bargeld, Bankguthaben, mit dem Ableben des Erblassers fällige Versicherungsforderungen) zur Entrichtung der festgesetzten Erbschaftsteuer eigenes Vermögen einsetzen oder die erworbenen Vermögensgegenstände veräußern oder belasten muss. In diesen Fällen kann der Erwerber die Erbschaftsteuer nicht bzw. nicht ohne weitere, ggf. auch verlustbringende Dispositionen aus dem Erwerb begleichen. Es ist ihm hier deshalb nicht zuzumuten, die Erbschaftsteuer vorläufig zu entrichten. Wegen des vorrangigen Interesses des Steuerpflichtigen steht der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht entgegen, dass das ErbStG als formell zustande gekommenes Gesetz bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG Geltung beansprucht und von den Behörden und Gerichten anzuwenden ist.

20

Gehören dagegen zu dem der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb auch verfügbare Zahlungsmittel, die zur Entrichtung der Erbschaftsteuer eingesetzt werden können, fehlt regelmäßig ein vorrangiges Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Durch die Begleichung der Erbschaftsteuer vermindern sich lediglich die dem Steuerpflichtigen mit dem Erwerb zugeflossenen Zahlungsmittel, so dass die vorläufige Zahlung der Erbschaftsteuer dem Steuerpflichtigen zuzumuten ist.

21

f) Im Streitfall ist das Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG vorrangig.

22

aa) Die Antragstellerin konnte die mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 festgesetzte Erbschaftsteuer von 71.000 € bei Fälligkeit nicht aus den ihr zu diesem Zeitpunkt zugeflossenen Rentenzahlungen von monatlich 2.700 € entrichten. Wegen des Ansatzes der Rente nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 14 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes mit dem Kapitalwert war ein Erwerb nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG in Höhe von 342.015 € (Jahreswert der Rente 32.400 € x Vervielfältiger 10,556) zu besteuern. Die dafür festgesetzte Erbschaftsteuer überstieg zum Zeitpunkt der Fälligkeit die Rentenzahlungen, die die Antragstellerin bis dahin für die Zeit nach dem Ableben des E (im September 2011) erhalten hatte. Die Rentenzahlungen dienten im Übrigen --nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin im Einspruchsverfahren-- der Bestreitung ihres Lebensunterhalts, so dass die Antragstellerin den Zahlungseingang von vornherein allenfalls nur in einem hier zu vernachlässigenden Umfang zur Begleichung der Erbschaftsteuer verwenden konnte. Die Erbschaftsteuer musste überwiegend aus eigenen Mitteln der Antragstellerin entrichtet werden. Im Hinblick darauf ist derzeit ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids auch insoweit gegeben, als sie in der Zeit ab Fälligkeit der Erbschaftsteuer bis zur Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes weiterhin Rentenzahlungen erhalten hat. Dies schließt einen späteren Änderungsantrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht aus.

23

bb) Der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Antragstellerin das Wahlrecht nach § 23 ErbStG hätte ausüben können.

24

Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ErbStG können Steuern, die von dem Kapitalwert von Renten zu entrichten sind, nach Wahl des Erwerbers statt vom Kapitalwert jährlich im Voraus von dem Jahreswert entrichtet werden. Durch das Wahlrecht soll die unbillige Härte abgemildert werden, die sich aus der Besteuerung von Renten mit dem Kapitalwert ergibt, wenn dem Erwerber zur Begleichung der hohen Steuer die liquiden Mittel fehlen (vgl. Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 23 ErbStG Rz 1). Das Wahlrecht ist jedoch mit dem Nachteil verbunden, dass die Erbschaftsteuer in diesem Fall nach der wirklichen und nicht nach der auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhenden Lebensdauer erhoben wird; lebt der Berechtigte länger als es der Wahrscheinlichkeitsrechnung entspricht, so ist die Gesamtbelastung höher (vgl. Schuck, a.a.O., § 23 ErbStG Rz 16). Zudem muss auch bei Ausübung dieses Wahlrechts die Erbschaftsteuer jährlich im Voraus beglichen werden. Der Antragstellerin muss deshalb die Entscheidung überlassen bleiben, ob sie das gesetzliche Wahlrecht in Anspruch nimmt oder nicht. Allein das Bestehen des einfachgesetzlichen Wahlrechts nach § 23 ErbStG kann nicht dazu führen, das grundgesetzlich geschützte Recht der Antragstellerin auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG einzuschränken. Der Antragstellerin stehen beide Rechte gleichermaßen zu.

25

3. Soweit der Senat bisher vorläufigen Rechtsschutz versagt hat, wenn zu erwarten ist, dass das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG aussprechen und dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782; vom 11. September 1996 II B 32/96, BFH/NV 1997, 270; in BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807; vom 5. April 2011 II B 153/10, BFHE 232, 380, BStBl II 2011, 942; vom 4. Mai 2011 II B 151/10, BFH/NV 2011, 1395), wird daran im Hinblick auf die geäußerte Kritik (vgl. Seer, a.a.O., § 69 FGO Rz 96; derselbe, DStR 2012, 325, 328 f.; Gosch, a.a.O., § 69 Rz 180.1; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 113; Anwendung offen gelassen: BFH-Beschlüsse in BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611, und in BFH/NV 2012, 1489) nicht mehr festgehalten.

26

Es ist nicht gerechtfertigt, aufgrund einer Prognose über die Entscheidung des BVerfG vorläufigen Rechtsschutz generell auszuschließen. Ist ein qualifiziertes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorhanden, muss es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch effektiv durchsetzbar sein und darf nicht deshalb leerlaufen, weil das BVerfG möglicherweise in einem Normenkontrollverfahren eine Weitergeltung verfassungswidriger Normen anordnet. Aus diesem Grund ist auch im Streitfall eine Aufhebung der Vollziehung unabhängig davon zu gewähren, ob das BVerfG im Verfahren 1 BvR 21/12 für den Fall, dass es zu der Überzeugung gelangt, § 19 Abs. 1 ErbStG sei mit dem GG unvereinbar, die Norm für nichtig erklärt oder wiederum eine zeitlich beschränkte Weitergeltung anordnet. Sollte das BVerfG eine solche Weitergeltungsanordnung treffen und dem Gesetzgeber eine Neuregelung aufgeben, besteht auch die Möglichkeit, dass die Neuregelung des ErbStG den Steuerpflichtigen, deren Erwerbe zeitlich von der Weitergeltungsanordnung erfasst werden, ein Wahlrecht auf Anwendung des neuen Rechts einräumt.

27

4. Die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids vom 1. Oktober 2012 war ohne Sicherheitsleistung aufzuheben.

28

Nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO kann die Aufhebung der Vollziehung auch gegen Sicherheit angeordnet werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, wenn seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre (BFH-Beschluss vom 12. September 2011 VIII B 70/09, BFH/NV 2012, 229, Rz 21). Im Streitfall gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Antragstellerin nicht über eine gesicherte Vermögenslage verfügt und daher die Gefahr eines Steuerausfalls besteht.

Tatbestand

1

I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) begründete mit Herrn X im März 2002 eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Er beantragte beim Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--), für die Jahre 2002 bis 2008 zusammen mit seinem Lebenspartner zur Einkommensteuer veranlagt zu werden. Das FA lehnte dies ab und führte jeweils Einzelveranlagungen durch. Gegen die Ablehnung einer Zusammenveranlagung wandte sich der Antragsteller mit Einsprüchen. Außerdem beantragte er beim FA die "Aussetzung der Vollziehung" (AdV) der Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2008. Dies lehnte das FA ab.

2

Die beim Finanzgericht (FG) gestellten Anträge hatten Erfolg. Das FG setzte die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2008 in Höhe der Differenzbeträge aus, die sich bei Anwendung des Splittingtarifs im Vergleich zu den bisherigen Einzelveranlagungen ergeben würden. Zur Begründung führte es aus, nach dem Wortlaut der §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) scheide eine Anwendung des Ehegattensplittings zwar aus. Die Schlechterstellung eingetragener Lebenspartnerschaften verstoße jedoch gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Nach dem zum Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 21. Juli 2010  1 BvR 611/07, 2464/07 (BVerfGE 126, 400) bestünden keine Unterschiede von solchem Gewicht, die eine Schlechterstellung eingetragener Lebenspartner gegenüber Ehegatten im Hinblick auf die einkommensteuerliche Zusammenveranlagung rechtfertigen könnten.

3

Zur Begründung der vom FG zugelassenen Beschwerde trägt das FA vor, trotz des Beschlusses des BVerfG in BVerfGE 126, 400 gebe es Gründe, weshalb es gerechtfertigt sei, eingetragene Lebenspartnerschaften im Einkommensteuerrecht anders zu behandeln als Ehegatten. Das Rechtsinstitut der Ehe habe bleibende Bedeutung als typische Grundlage der Familie mit Kindern.

4

Das FA beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Anträge des Antragstellers auf Aufhebung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2008 abzuweisen.

5

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

6

Zur Begründung führt er aus, die Beschlüsse des BVerfG vom 7. Juli 2009  1 BvR 1164/07 (BVerfGE 124, 199) sowie in BVerfGE 126, 400 seien nach § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) auch für das Einkommensteuerrecht bindend.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Beschwerde des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung der Anträge des Antragstellers (§ 132 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

8

1. Die Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2008 sind nach Aktenlage bereits vollzogen, da die für den Antragsteller abgeführten Lohnsteuerbeträge in jedem Jahr die jeweils festgesetzte Einkommensteuer übersteigen. Das Begehren des Antragstellers ist somit nicht auf die AdV gerichtet (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO), sondern auf die Aufhebung der Vollziehung bereits vollzogener Verwaltungsakte (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO). Da Prozesserklärungen unter Beachtung des Grundsatzes der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 GG) so auszulegen sind, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was rechtlich vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Januar 2010 VI B 115/09, BFH/NV 2010, 935), sind die Anträge des Antragstellers als solche auf Aufhebung der Vollziehung zu beurteilen.

9

2. Die Anträge auf Aufhebung der Vollziehung sind statthaft.

10

a) Im finanzgerichtlichen Verfahren ist vorläufiger Rechtsschutz entweder durch die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts nach § 69 FGO oder durch eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO zu gewähren. Die Abgrenzung der beiden Rechtsschutzmöglichkeiten richtet sich danach, welche Klage in einem Hauptsacheverfahren zu erheben wäre. Ist die zutreffende Klageart die Anfechtungsklage, wird vorläufiger Rechtsschutz durch die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung gewährt (§ 69 FGO), bei Verpflichtungsklagen ist grundsätzlich eine einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) zu beantragen (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 1997 XI S 41/97, BFH/NV 1998, 615; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 5, 33).

11

b) Auch wenn der Antragsteller letztlich den Erlass von Einkommensteuerbescheiden anstrebt, durch die er und sein Lebenspartner zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden und die Verpflichtung des FA zum Erlass eines solchen Bescheids nur im Wege der Verpflichtungsklage erreicht werden könnte (s. BFH-Urteil vom 9. März 1973 VI R 396/70, BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487; Senatsbeschluss vom 23. Mai 2011 III B 211/10, BFH/NV 2011, 1517), sind gleichwohl die Anträge auf Aufhebung der Vollziehung statthaft. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2008 beschränken sich nicht auf eine bloße Negation (Versagung der Zusammenveranlagung), sondern beinhalten darüber hinaus Steuerfestsetzungen (s. Beschluss des Großen Senats vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637, zum negativen Gewinnfeststellungsbescheid). Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gebietet es, einem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zu eröffnen, sich mit einem Antrag auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung gegen einen Einkommensteuerbescheid zu wenden, durch den er nicht, wie beantragt, zusammen mit seinem Lebenspartner, sondern einzeln zur Einkommensteuer veranlagt wird (ebenso FG Baden-Württemberg vom 12. September 2011  3 V 2820/11, Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 66; a.A. FG Hamburg vom 25. Juli 2011  6 V 50/11, juris), und zwar insoweit, als die bei der Einzelveranlagung festgesetzte Steuer den Betrag übersteigt, der bei einer Zusammenveranlagung festzusetzen wäre.

12

3. Eine Aufhebung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2008 wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen den Ausschluss der Partner einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft von der Möglichkeit zur Zusammenveranlagung nach §§ 26, 26b EStG ist im Streitfall nicht gerechtfertigt.

13

a) Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aufgehoben werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat. Bei Steuerbescheiden ist die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aufhebung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 69 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 8 FGO). Der Begriff der wesentlichen Nachteile i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO ist im Sinne der Rechtsprechung zu § 114 FGO zu verstehen (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 935, m.w.N.). Diese Beschränkung ist mit dem GG vereinbar und nicht im Wege der verfassungskonformen Auslegung zu korrigieren (BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367, m.w.N.).

14

b) Im Streitfall sind keine wesentlichen Nachteile erkennbar, die dem Antragsteller drohen könnten, wenn die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2008 nicht aufgehoben wird.

15

aa) Insbesondere wird die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide nicht unmittelbar und ausschließlich bedroht (s. BFH-Beschlüsse vom 22. November 2001 V B 100/01, BFH/NV 2002, 519, und vom 11. Juni 2001 I B 30/01, BFH/NV 2001, 1223, zu § 114 FGO).

16

bb) Eine Aufhebung der Vollziehung ist auch nicht geboten, um eine erhebliche Verletzung von Grundrechten zu vermeiden, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte (s. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 935, m.w.N.). Denn selbst schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Rechtsvorschrift allein rechtfertigen eine Aufhebung der Vollziehung wegen wesentlicher Nachteile nicht. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache führen nur dann zur Bejahung wesentlicher Nachteile, wenn die Rechtslage klar und eindeutig für die begehrte Regelung spricht und eine abweichende Beurteilung in einem etwa durchzuführenden Hauptverfahren zweifelsfrei auszuschließen ist. Eine Aufhebung der Vollziehung kann geboten sein, wenn das zuständige Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer streitentscheidenden Vorschrift überzeugt ist und diese deshalb gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt hat (BFH-Beschlüsse in BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367, und in BFH/NV 2010, 935).

17

cc) Ein solcher Vorlagebeschluss ist jedoch durch den Senat nicht ergangen. Auch wenn wegen des offenen Ausgangs der beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07 zweifelhaft ist, ob die §§ 26, 26b EStG mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind, ist der Senat nicht von der Verfassungswidrigkeit der §§ 26, 26b EStG überzeugt.

18

Entgegen der Rechtsansicht des Antragstellers kommt den Ausführungen des BVerfG in den Beschlüssen in BVerfGE 124, 199 und in BVerfGE 126, 400 zur Auslegung der Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG keine verfahrensrechtliche Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG zu. Dabei kann --ebenso wie es das BVerfG in seinem Beschluss vom 18. Januar 2006  2 BvR 2194/99 (BVerfGE 115, 97) offen ließ-- dahinstehen, ob die Bindungswirkung allein den in der Entscheidungsformel ausgedrückten konkreten Streitgegenstand oder auch die tragenden Gründe der Entscheidung umfasst, soweit diese Ausführungen zur Auslegung der Verfassung enthalten. Den genannten Beschlüssen des BVerfG lagen Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen zugrunde, die mit der Begründung angegriffen wurden, die maßgeblichen Rechtsnormen seien nicht mit dem GG vereinbar. In einem solchen Fall geht die Entscheidung des BVerfG nach § 95 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 BVerfGG nicht über die angegriffene Gerichtsentscheidung und die angegriffenen gesetzlichen Bestimmungen hinaus (s. auch Hömig in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge, BVerfGG, Kommentar, § 95 Rz 5, 11 f.). Danach bezieht sich der Beschluss in BVerfGE 124, 199 auf Bestimmungen der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, der Beschluss in BVerfGE 126, 400 auf Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes; weder die Entscheidungsformeln noch die tragenden Gründe der beiden Beschlüsse betreffen daher die Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 26, 26b EStG.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist die geschiedene Ehefrau des im September 2011 verstorbenen Erblassers (E). Aufgrund eines Vermächtnisses des E erhält sie auf Lebenszeit eine monatliche Rente von 2.700 €.

2

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte für den Erwerb der Antragstellerin in Höhe von 342.015 € (Jahreswert der Rente 32.400 € x Vervielfältiger 10,556) mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 Erbschaftsteuer in Höhe von 71.000 € fest, die die Antragstellerin am 2. November 2012 entrichtete.

3

Mit dem Einspruch machte die Antragstellerin im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. September 2012 II R 9/11 (BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899) und das damit beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren 1 BvL 21/12 die Verfassungswidrigkeit des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 --ErbStG-- (BGBl I 2008, 3018) geltend. Das Einspruchsverfahren ruht bis zu einer Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 21/12.

4

Die von der Antragstellerin beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab. Die beim Finanzgericht (FG) beantragte Aufhebung der Vollziehung wurde ebenfalls abgelehnt. Das FG führte zur Begründung aus, das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege nicht die öffentlichen Interessen am ordnungsgemäßen Gesetzesvollzug und an einer geordneten Haushaltsführung. Die festgesetzte Erbschaftsteuer belaufe sich nur auf knapp 25 % des Erwerbs. Die Antragstellerin könne etwaige finanzielle Härten durch die Wahl der Jahresversteuerung gemäß § 23 ErbStG abmildern. Die Gewährung einer Aufhebung der Vollziehung käme dagegen einem einstweiligen Außerkraftsetzen des ErbStG gleich.

5

Mit der Beschwerde rügt die Antragstellerin die Verletzung des § 69 Abs. 2 Sätze 2 und 7 sowie Abs. 3 Sätze 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete Garantie auf effektiven Rechtsschutz könne einem Steuerpflichtigen bei einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht dadurch faktisch entzogen werden, dass nach der Rechtsprechung des BFH dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft der Vorrang vor dem Interesse des Steuerpflichtigen an einer AdV eingeräumt werde (vgl. BFH-Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558). Außerdem fehle eine gesetzliche Grundlage, die bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer der Besteuerung zugrunde gelegten Norm ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der AdV verlange. Die Ablehnung der AdV sei auch nicht damit zu rechtfertigen, dass nach der Rechtsprechung des BFH (II. Senat) regelmäßig keine weitergehende Entscheidung getroffen werden könne als vom BVerfG zu erwarten sei (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Juli 2003 II B 20/03, BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807). Dies bedeute eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache, weil die fortgesetzte Vollziehung aller Erbschaftsteuerbescheide kaum rückgängig zu machen sei und damit für den einzelnen Steuerpflichtigen dauerhaft nachteilige Wirkungen habe.

6

Die Antragstellerin beantragt, die Vorentscheidung und die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids vom 1. Oktober 2012 aufzuheben.

7

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung und die Vollziehung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids sind aufzuheben. Entgegen der Auffassung des FG kommt dem Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG zu.

9

1. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids bestehen --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO.

10

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO hat das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 3. April 2013 V B 125/12, BFHE 240, 447, m.w.N.). Im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsaktes ist die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO).

11

b) Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG. Beim BVerfG ist unter dem Az. 1 BvL 21/12 ein Normenkontrollverfahren zu der Frage anhängig, ob die Vorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgehen und dadurch die Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen können, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt werden (vgl. Vorlagebeschluss des BFH in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899).

12

2. Das Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung ist gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG vorrangig.

13

a) Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine Aufhebung der Vollziehung, die mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift begründet wird, voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 21. Mai 2010 IV B 88/09, BFH/NV 2010, 1613; vom 9. März 2012 VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418; vom 13. März 2012 I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611; vom 9. Mai 2012 I B 18/12, BFH/NV 2012, 1489; vom 18. Juni 2012 II B 17/12, BFH/NV 2012, 1652; Erfordernis eines berechtigten Interesses offen gelassen: BFH-Beschlüsse vom 23. August 2007 VI B 42/07, BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799, und vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826).

14

Das BVerfG hat dieser Rechtsprechung im Grundsatz zugestimmt (BVerfG-Beschlüsse vom 6. April 1988  1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283; vom 3. April 1992  2 BvR 283/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 726; kritisch insoweit Niedersächsisches FG, Beschluss vom 6. Januar 2011  7 V 66/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2011, 827; Gosch in Beermann/Gosch, FGO, § 69 Rz 179 ff.; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 113; Schallmoser, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2010, 297 ff.; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 97; Specker, Deutsche Steuer-Zeitung 2010, 800, 802 f.; einschränkend auch FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2011  12 V 12089/11, EFG 2012, 358). In neueren Entscheidungen hat das BVerfG die Frage, ob die Rechtsprechung des BFH (in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558) in jeder Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, wegen der fehlenden Entscheidungserheblichkeit offen gelassen (BVerfG-Beschlüsse vom 24. Oktober 2011  1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, HFR 2012, 89, und vom 6. Mai 2013  1 BvR 821/13, HFR 2013, 639).

15

b) Bei der Prüfung, ob ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Aussetzung bzw. der Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids vorliegt, ist das individuelle Interesse des Steuerpflichtigen mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung auf den Gesetzesvollzug und das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; in BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418; in BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611; in BFH/NV 2012, 1489).

16

c) Allerdings hat der BFH in Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen, in verschiedenen Fallgruppen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, m.w.N.). Dazu zählt auch der Fall, dass der BFH die vom Antragsteller als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, und vom 23. April 2012 III B 187/11, BFH/NV 2012, 1328, jeweils m.w.N.).

17

Bis zur Entscheidung des BVerfG ist zwar ungewiss, ob dieses die Vorschrift als verfassungswidrig beurteilen und im Fall einer Verfassungswidrigkeit für nichtig oder (nur) für mit dem GG unvereinbar erklären wird und welche Rechtsfolge es hieraus ziehen wird. Jedoch hat der BFH vorläufigen Rechtsschutz auf der Basis seiner, der Vorlage zugrunde liegenden Rechtsauffassung zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367, m.w.N.). Eine Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes bei Verfassungsverstößen, von denen das Gericht überzeugt ist, gegenüber dem bei sonstigen Rechtsverstößen zu gewährenden vorläufigen Rechtsschutz ist dem rechtsuchenden Steuerpflichtigen im Hinblick auf seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367). Mit dem Begehren nach vorläufigem Rechtsschutz muss der Steuerpflichtige auch in Kauf nehmen, dass bei einer Erfolglosigkeit des Einspruchs oder der Klage gegen den Steuerbescheid Aussetzungszinsen nach § 237 der Abgabenordnung (AO) anfallen, die für jeden Monat ein halbes Prozent betragen (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO).

18

d) Ist --wie bei der Erbschaftsteuer-- die dem BVerfG zur Prüfung vorgelegte Vorschrift allerdings eine Tarifnorm, muss im Rahmen der Interessensabwägung auch berücksichtigt werden, dass in diesem Fall die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes praktisch zu einer einstweiligen Nichterhebung der gesamten Steuer führen kann. Die Kompetenz, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, steht aber nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht allein dem BVerfG zu, das von dieser Möglichkeit nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Gründe Gebrauch machen darf (BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2001  2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.). Dennoch hat ein Steuerpflichtiger auch in einem solchen Fall Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Nur in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (vgl. BVerfG-Beschluss in StRK, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283).

19

e) Nachdem zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG aufgrund des Vorlagebeschlusses des BFH (in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899) ein Normenkontrollverfahren beim BVerfG anhängig ist, ist die Vollziehung eines auf § 19 Abs. 1 ErbStG beruhenden Erbschaftsteuerbescheids auf Antrag des Steuerpflichtigen auszusetzen oder aufzuheben, wenn ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht. Ein berechtigtes Interesse liegt jedenfalls vor, wenn der Steuerpflichtige mangels des Erwerbs liquider Mittel (wie z.B. Bargeld, Bankguthaben, mit dem Ableben des Erblassers fällige Versicherungsforderungen) zur Entrichtung der festgesetzten Erbschaftsteuer eigenes Vermögen einsetzen oder die erworbenen Vermögensgegenstände veräußern oder belasten muss. In diesen Fällen kann der Erwerber die Erbschaftsteuer nicht bzw. nicht ohne weitere, ggf. auch verlustbringende Dispositionen aus dem Erwerb begleichen. Es ist ihm hier deshalb nicht zuzumuten, die Erbschaftsteuer vorläufig zu entrichten. Wegen des vorrangigen Interesses des Steuerpflichtigen steht der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht entgegen, dass das ErbStG als formell zustande gekommenes Gesetz bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG Geltung beansprucht und von den Behörden und Gerichten anzuwenden ist.

20

Gehören dagegen zu dem der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb auch verfügbare Zahlungsmittel, die zur Entrichtung der Erbschaftsteuer eingesetzt werden können, fehlt regelmäßig ein vorrangiges Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Durch die Begleichung der Erbschaftsteuer vermindern sich lediglich die dem Steuerpflichtigen mit dem Erwerb zugeflossenen Zahlungsmittel, so dass die vorläufige Zahlung der Erbschaftsteuer dem Steuerpflichtigen zuzumuten ist.

21

f) Im Streitfall ist das Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG vorrangig.

22

aa) Die Antragstellerin konnte die mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 festgesetzte Erbschaftsteuer von 71.000 € bei Fälligkeit nicht aus den ihr zu diesem Zeitpunkt zugeflossenen Rentenzahlungen von monatlich 2.700 € entrichten. Wegen des Ansatzes der Rente nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 14 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes mit dem Kapitalwert war ein Erwerb nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG in Höhe von 342.015 € (Jahreswert der Rente 32.400 € x Vervielfältiger 10,556) zu besteuern. Die dafür festgesetzte Erbschaftsteuer überstieg zum Zeitpunkt der Fälligkeit die Rentenzahlungen, die die Antragstellerin bis dahin für die Zeit nach dem Ableben des E (im September 2011) erhalten hatte. Die Rentenzahlungen dienten im Übrigen --nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin im Einspruchsverfahren-- der Bestreitung ihres Lebensunterhalts, so dass die Antragstellerin den Zahlungseingang von vornherein allenfalls nur in einem hier zu vernachlässigenden Umfang zur Begleichung der Erbschaftsteuer verwenden konnte. Die Erbschaftsteuer musste überwiegend aus eigenen Mitteln der Antragstellerin entrichtet werden. Im Hinblick darauf ist derzeit ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Aufhebung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids auch insoweit gegeben, als sie in der Zeit ab Fälligkeit der Erbschaftsteuer bis zur Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes weiterhin Rentenzahlungen erhalten hat. Dies schließt einen späteren Änderungsantrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht aus.

23

bb) Der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Antragstellerin das Wahlrecht nach § 23 ErbStG hätte ausüben können.

24

Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ErbStG können Steuern, die von dem Kapitalwert von Renten zu entrichten sind, nach Wahl des Erwerbers statt vom Kapitalwert jährlich im Voraus von dem Jahreswert entrichtet werden. Durch das Wahlrecht soll die unbillige Härte abgemildert werden, die sich aus der Besteuerung von Renten mit dem Kapitalwert ergibt, wenn dem Erwerber zur Begleichung der hohen Steuer die liquiden Mittel fehlen (vgl. Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 23 ErbStG Rz 1). Das Wahlrecht ist jedoch mit dem Nachteil verbunden, dass die Erbschaftsteuer in diesem Fall nach der wirklichen und nicht nach der auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhenden Lebensdauer erhoben wird; lebt der Berechtigte länger als es der Wahrscheinlichkeitsrechnung entspricht, so ist die Gesamtbelastung höher (vgl. Schuck, a.a.O., § 23 ErbStG Rz 16). Zudem muss auch bei Ausübung dieses Wahlrechts die Erbschaftsteuer jährlich im Voraus beglichen werden. Der Antragstellerin muss deshalb die Entscheidung überlassen bleiben, ob sie das gesetzliche Wahlrecht in Anspruch nimmt oder nicht. Allein das Bestehen des einfachgesetzlichen Wahlrechts nach § 23 ErbStG kann nicht dazu führen, das grundgesetzlich geschützte Recht der Antragstellerin auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG einzuschränken. Der Antragstellerin stehen beide Rechte gleichermaßen zu.

25

3. Soweit der Senat bisher vorläufigen Rechtsschutz versagt hat, wenn zu erwarten ist, dass das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG aussprechen und dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782; vom 11. September 1996 II B 32/96, BFH/NV 1997, 270; in BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807; vom 5. April 2011 II B 153/10, BFHE 232, 380, BStBl II 2011, 942; vom 4. Mai 2011 II B 151/10, BFH/NV 2011, 1395), wird daran im Hinblick auf die geäußerte Kritik (vgl. Seer, a.a.O., § 69 FGO Rz 96; derselbe, DStR 2012, 325, 328 f.; Gosch, a.a.O., § 69 Rz 180.1; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 113; Anwendung offen gelassen: BFH-Beschlüsse in BFHE 236, 501, BStBl II 2012, 611, und in BFH/NV 2012, 1489) nicht mehr festgehalten.

26

Es ist nicht gerechtfertigt, aufgrund einer Prognose über die Entscheidung des BVerfG vorläufigen Rechtsschutz generell auszuschließen. Ist ein qualifiziertes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorhanden, muss es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch effektiv durchsetzbar sein und darf nicht deshalb leerlaufen, weil das BVerfG möglicherweise in einem Normenkontrollverfahren eine Weitergeltung verfassungswidriger Normen anordnet. Aus diesem Grund ist auch im Streitfall eine Aufhebung der Vollziehung unabhängig davon zu gewähren, ob das BVerfG im Verfahren 1 BvR 21/12 für den Fall, dass es zu der Überzeugung gelangt, § 19 Abs. 1 ErbStG sei mit dem GG unvereinbar, die Norm für nichtig erklärt oder wiederum eine zeitlich beschränkte Weitergeltung anordnet. Sollte das BVerfG eine solche Weitergeltungsanordnung treffen und dem Gesetzgeber eine Neuregelung aufgeben, besteht auch die Möglichkeit, dass die Neuregelung des ErbStG den Steuerpflichtigen, deren Erwerbe zeitlich von der Weitergeltungsanordnung erfasst werden, ein Wahlrecht auf Anwendung des neuen Rechts einräumt.

27

4. Die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids vom 1. Oktober 2012 war ohne Sicherheitsleistung aufzuheben.

28

Nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO kann die Aufhebung der Vollziehung auch gegen Sicherheit angeordnet werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, wenn seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre (BFH-Beschluss vom 12. September 2011 VIII B 70/09, BFH/NV 2012, 229, Rz 21). Im Streitfall gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Antragstellerin nicht über eine gesicherte Vermögenslage verfügt und daher die Gefahr eines Steuerausfalls besteht.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tatbestand

1

I. Die Antragsteller erwarben mit notariellem Kaufvertrag vom 18. Juli 2007 zwei unsanierte Eigentumswohnungen in der A-Straße in B, welche im Rahmen der Sanierung durch eine innenliegende Treppe zusammengelegt wurden. Den Kaufpreis von 545.000 € teilten die Vertragsparteien dahingehend auf, dass 84.749 € auf das Grundstück, 67.799 € auf die Altbausubstanz und 392.452 € auf die Sanierung entfielen. Der Einzug der Antragsteller erfolgte im Dezember 2008. Mit Eingangsbestätigung vom 27. März 2009 teilte das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege der Stadt B mit, dass ein Antrag der Antragsteller auf Ausstellung einer Bescheinigung gemäß §§ 7i, 10f und 11b des Einkommensteuergesetzes (EStG) am 25. März 2009 eingegangen sei. Die Antragssumme für die zu bescheinigenden Aufwendungen für Baumaßnahmen an einem denkmalgeschützten Gebäude beläuft sich danach auf 392.452 €. Außerdem enthält die Eingangsbestätigung den Hinweis, dass eine Bestätigung der unteren Denkmalbehörde vorliege, nach der das erforderliche Abstimmungsverfahren eingehalten worden sei.

2

In ihrer Steuererklärung für 2008 begehrten die Antragsteller gemäß § 10f Abs. 1 EStG die Berücksichtigung von 35.321 € als Aufwendungen für Wohneigentum; dieses lehnte der Antragsgegner (das Finanzamt -–FA-) ab. Im Klageverfahren vertraten die Antragsteller die Auffassung, die Aufwendungen für die Wohnung seien im Jahr 2008 im Wege der Schätzung zuzulassen. Aufgrund des Kaufvertrags könne das FA ohne weiteres die Höhe der von den Antragstellern aufgewandten Sanierungskosten ermitteln. Durch Einsichtnahme in die Denkmalliste ergäbe sich, dass die Wohnung in einem denkmalgeschützten Gebäude läge. Anhaltspunkte dafür, dass der Erwerb zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, in dem die Sanierung schon teilweise oder gar vollständig abgeschlossen gewesen sei, lägen nicht vor. Auch könne das FA nicht einwenden, der Kaufpreisaufteilung sei nicht zu folgen, da es auch die Möglichkeit gehabt habe, in die Unterlagen der Denkmalbehörde Einsicht zu nehmen. Es sei ihnen nicht zuzumuten, wegen einer mehrere Jahre dauernden Bearbeitung bei der Denkmalbehörde auf die Geltendmachung der Sonderabschreibung in dieser Zeit zu verzichten.

3

Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1001 veröffentlichten Urteil hat das Finanzgericht (FG) der Klage teilweise stattgegeben und den Einkommensteuerbescheid 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2011 dahingehend geändert, dass weitere Sonderausgaben in Höhe von 30.023 € zu berücksichtigen seien. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Das FA hat zwischenzeitlich die Revision fristgerecht eingelegt und begründet.

4

Im vorliegenden Verfahren begehren die Antragsteller weiteren einstweiligen Rechtsschutz.

5

           

Das FA hatte am 26. Januar 2011 die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2008 für die folgenden Beträge

Einkommensteuer 2008

14.836 €

        

Zinsen Einkommensteuer 2008

594 €

        

Solidaritätszuschlag

816 €

        

evangelische Kirchensteuer 2008

668 € 

        

katholische Kirchensteuer 2008

   668 €

        

insgesamt

17.582 €

        

bis zum Ablauf eines Monats nach Entscheidung über den Rechtsbehelf, im Streitfall bis zum 19. Januar 2012, ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt.

6

Am 9. Januar 2012 stellten die Antragsteller beim FG einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV), nahmen diesen aber nach Hinweis des FG auf die fehlenden Voraussetzungen des § 69 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) am 24. Januar 2012 zurück. Daraufhin stellte das FG das Verfahren am selben Tag entsprechend § 72 Abs. 2 FGO ein.

7

Das FA gab dem Antrag der Antragsteller vom 16. Januar 2012, die Bescheide in der bisherigen Höhe weiter auszusetzen, am 14. Mai 2012 nicht statt, da trotz des finanzgerichtlichen Urteils seitens der Finanzverwaltung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 2008 bestünden. Das FG gehe zu Unrecht davon aus, dass die von den Antragstellern geltend gemachten Sonderausgaben nach § 7i EStG i.V.m. § 155 Abs. 2 und § 162 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) zu schätzen seien, soweit im Rahmen der Veranlagung eine endgültige Bescheinigung der zuständigen Denkmalschutzbehörde nicht vorgelegt werden könne. Es ergebe sich keine Schätzungsbefugnis aus diesen Vorschriften, da die durch Fachbehörden zu erteilenden Grundlagenbescheide nicht in ihren Anwendungsbereich fielen.

8

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 2008 vom 21. Dezember 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2011 auszusetzen, soweit weitere Sonderausgaben in Höhe von 30.023 € nicht berücksichtigt worden seien.

9

Weiterhin beantragen sie,
bis zum Ergehen der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) über den Aussetzungsantrag die Verwirkung von Säumniszuschlägen aufzuheben.

10

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Aussetzung des Einkommensteuerbescheids 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

II. 1. Der Antrag auf AdV ist zulässig und begründet.

12

a) Da das FA gegen das Urteil des FG wirksam Revision eingelegt hat, ist der BFH als Gericht der Hauptsache für den Antrag auf Aussetzung des Einkommensteuerbescheids 2008 zuständig (§ 69 Abs. 3 FGO).

13

b) Der Antrag ist zulässig, obwohl die Antragsteller bereits einen AdV-Antrag beim FG gestellt hatten, den sie zurückgenommen haben. Zwar ist --wenn das FG einen Antrag auf Aussetzung der angefochtenen Bescheide bereits unanfechtbar abgelehnt hat-- ein erneuter Aussetzungsantrag nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur unter den --hier nicht gegebenen-- Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zulässig, also nur, soweit veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorgebracht werden, da andernfalls die Regelung in § 128 Abs. 3 FGO unterlaufen werden könnte, nach der die Beschwerde gegen einen die Aussetzung ablehnenden Beschluss des FG nur statthaft ist, wenn das FG sie zugelassen hat (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss vom 2. Juni 2005 III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834, m.w.N.).

14

Eine solche Ablehnung der AdV ist im Streitfall aber nicht gegeben, da der AdV-Antrag vom Antragsteller zurückgenommen wurde. Wie bei der Klagerücknahme gilt das Verfahren damit als nicht anhängig geworden (vgl. dazu Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 72 Rz 30). Es kommt --anders als bei einer Ablehnung eines AdV-Antrages- zu keiner gerichtlichen Sachentscheidung, da das FG lediglich das Verfahren entsprechend § 72 Abs. 2 FGO einstellt.

15

c) Gemäß § 69 Abs. 4 FGO ist ein Antrag an das Gericht nach Abs. 3 der Vorschrift nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf AdV ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Diese Voraussetzung ist hier gegeben, auch wenn der Antrag der Antragsteller vom 16. Januar 2012 aufgrund des damaligen Verfahrensstandes auf AdV eines Gesamtbetrags von 17.582 € gerichtet war, während der an den BFH gerichtete AdV-Antrag vom 22. Mai 2012 sich lediglich auf die Berücksichtigung von Aufwendungen in Höhe der vom FG geschätzten 30.023 € bezieht. Da dieselben Gründe für eine Aussetzung geltend gemacht werden, ist die prinzipielle Identität der Verfahrensgegenstände (vgl. dazu auch Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 74) gegeben.

16

d) Ernstliche Zweifel, die nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO die AdV rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Beschluss vom 11. August 2000 I S 5/00, BFH/NV 2001, 314, unter II.2. der Gründe; vgl. ferner die Nachweise bei Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 86).

17

Im vorliegenden Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 2008 insoweit, als das FA den Antragstellern den vollständigen Sonderausgabenabzug gemäß § 10f i.V.m. § 7i EStG versagt hat.

18

aa) In dem angefochtenen, teilweise klagestattgebenden Urteil hat das FG unter ausdrücklicher Berücksichtigung der Rechtsprechung des erkennenden Senats in dem Beschluss vom 20. Juli 2010 X B 70/10 (BFH/NV 2010, 2007) entschieden, das FA habe nicht ohne weiteres den Ansatz des geltend gemachten Abzugsbetrags vollständig unterlassen dürfen, sondern habe den vorläufigen Ansatz eines Abzugsbetrags im Wege der Schätzung nach § 155 Abs. 2 i.V.m. § 162 Abs. 5 AO prüfen müssen. Es könnten nach § 162 Abs. 5 AO alle in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden. Die Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 5 AO knüpfe in systematischer Hinsicht nicht an die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 und 2 AO an. Die Regelung von § 155 Abs. 2 und § 162 Abs. 5 AO solle verhindern, dass ein Steuerpflichtiger wegen Ermittlungsschwierigkeiten beim Grundlagenbescheid auf die Festsetzung des Folgebescheids warten müsse. Gerade weil § 162 Abs. 5 AO auch eine qualitative Schätzung zulasse, habe die Finanzbehörde dann, wenn sie aufgrund des nach § 155 Abs. 2 AO ausgeübten Ermessens vor Ergehen des Grundlagenbescheids den Folgebescheid erlasse, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen zu schätzen.

19

bb) Ebenfalls ohne erkennbare Rechtsfehler hat das FG festgestellt, dass das FA eine solche Schätzung nicht vorgenommen und sein Ermessen eben nicht ausgeübt habe, da es der Auffassung gewesen sei, es sei fachlich hierzu nicht in der Lage, ihm seien nicht alle Tatsachen bekannt und es sei nicht auszuschließen, dass die Sanierung nicht förderungswürdig sei. Gemäß § 96 Abs. 1 FGO i.V.m. § 162 AO konnte das FG die Aufwendungen schätzen. Dabei hat es --unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die wesentlichen Voraussetzungen des § 7i EStG bekannt gewesen seien-- die Aufwendungen dem Grunde nach als gegeben anerkannt. Wegen der Sanierungsaufwendungen, die möglicherweise nicht die Voraussetzungen des § 7i EStG erfüllten, sah das FG einen Sicherheitsabschlag von 10 % als gerechtfertigt an, der im Streitfall wegen des Umbaus von zwei Wohnungen zu einer und der weiteren Baumaßnahmen auf 15 % zu erhöhen sei. Es bestehen weder grundlegende Bedenken gegen den Ansatz der Schätzung noch gegen die Höhe des Sicherheitsabschlages, zumal der BFH die Schätzung durch das FG ohnehin nur darauf überprüfen kann, ob sie überhaupt zulässig ist und ob das FG anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 VI R 11/07, BFHE 221, 182, BStBl II 2008, 933, m.w.N.).

20

Somit führt die gebotene summarische Überprüfung sowohl des Einkommensteuerbescheids als auch der finanzgerichtlichen Entscheidungsgründe zum Ergebnis, dass die Rechtmäßigkeit des durch das FG-Urteil zum größten Teil aufgehobenen Einkommensteuerbescheids 2008 ernstlich zweifelhaft ist.

21

2. Dem Antrag auf Aufhebung der Vollziehung des Bescheids mit der Folge, dass die ab Fälligkeit bis zur Entscheidung über den Aussetzungsantrag verwirkten Säumniszuschläge entfallen, ist zu entsprechen.

22

a) Die Entscheidung, den Antragstellern die beantragte AdV zu gewähren, wirkt nur in die Zukunft und ist deshalb nicht geeignet, Säumniszuschläge zu beseitigen, die in der Zeit zwischen der Fälligkeit der festgesetzten Steuer (20. Januar 2012) und der Entscheidung über den Antrag auf AdV entstanden sind (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Beschlüsse vom 23. Juni 1977 V B 41/73, BFHE 122, 258, BStBl II 1977, 645; vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BFHE 209, 204, BStBl II 2005, 351). Dazu bedarf es der in § 69 Abs. 2 und 3 FGO ebenfalls vorgesehenen Aufhebung der Vollziehung (BFH-Urteil vom 30. März 1993 VII R 37/92, BFH/NV 1994, 4; Beschluss vom 10. Dezember 1986 I B 121/86, BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 389).

23

b) Diese ist den Antragstellern zu gewähren. Die Aufhebung der Vollziehung mit Wirkung zum Fälligkeitszeitpunkt ist im Streitfall deshalb gerechtfertigt, weil schon zu diesem Zeitpunkt die genannten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestanden haben (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse in BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 389, und vom 25. Mai 1988 IX B 110/86, BFH/NV 1989, 176). Die Erhebung der Säumniszuschläge wäre unbillig, da die erstinstanzliche Klage der Antragsteller gegen die Steuerfestsetzung zum größten Teil Erfolg hatte und die Antragsteller dem FA gegenüber alles getan haben, um die AdV des Steuerbescheids zu erreichen, und diese, obwohl an sich möglich und geboten, von dem FA abgelehnt wurde (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 29. August 1991 V R 78/86, BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906; BFH-Beschlüsse vom 4. Februar 1999 IX B 170/98, BFH/NV 1999, 908; vom 18. März 2003 X B 66/02, BFH/NV 2003, 886). So haben die Antragsteller am 16. Januar 2012 vor Ablauf der gewährten erstmaligen AdV und kurz vor Ergehen des teilweise stattgebenden FG-Urteils beim FA erneut AdV beantragt und dann --nachdem das FA diesen Antrag abgelehnt hatte-- in Höhe des vom FG geschätzten Betrags einen AdV-Antrag beim BFH gestellt.

24

3. Sowohl die Aussetzung als auch die Aufhebung der Vollziehung kann ohne Sicherheitsleistung erfolgen.

25

Die Anordnung der Sicherheitsleistung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dient der Vermeidung von Steuerausfällen, die infolge einer AdV vor allem dadurch entstehen können, dass der Steuerpflichtige im Verfahren zur Hauptsache letztlich unterliegt und zu diesem Zeitpunkt die Durchsetzung der Steuerforderung gefährdet oder erschwert ist (BFH-Beschluss vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BFHE 209, 204, BStBl II 2005, 351, m.w.N.). Besteht eine entsprechende Gefahr im konkreten Fall nicht, ist für die Anordnung einer Sicherheitsleistung kein Raum (BFH-Beschluss in BFHE 209, 204, BStBl II 2005, 351). Im Streitfall sind keine konkreten Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Steueranspruchs erkennbar.

26

4. Der Senat hat es für zweckmäßig erachtet, die Berechnung der Steuerbeträge und der steuerlichen Nebenleistungen, deren Vollziehung auszusetzen und aufzuheben ist, dem FA zu übertragen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; § 150 bleibt unberührt. Vollstreckungsgericht ist das Finanzgericht.

(2) Vollstreckt wird

1.
aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen,
2.
aus einstweiligen Anordnungen,
3.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen.

(3) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen, die Zivilprozessordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a sinngemäß anzuwenden; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs der Bundesfinanzhof und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Finanzgerichtsordnung tritt; die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.

(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über die Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse nach §§ 91a und 93a, Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen, Sachverständigen und Dolmetschern, Einstellungsbeschlüsse nach Klagerücknahme sowie Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 und 5 und über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Für die Zulassung gilt § 115 Abs. 2 entsprechend.

(4) In Streitigkeiten über Kosten ist die Beschwerde nicht gegeben. Das gilt nicht für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.