Finanzgericht Hamburg Beschluss, 19. Jan. 2018 - 4 V 260/17

bei uns veröffentlicht am19.01.2018

Tatbestand

1

I. Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Tabaksteuerbescheids und eines Zinsbescheids über Tabaksteuer.

2

Mit Steuerbescheid über Tabaksteuer vom 17.03.2017 (Registrierkennzeichen S XXX-2017) setzte der Antragsgegner Tabaksteuer in Höhe von 78.239,32 € fest. Er ging hierbei von folgendem Sachverhalt aus: Am 25.02.2016 gegen 22:00 Uhr hätten Beamte des Zollfahndungsamts A (im Folgenden: ZFA) auf dem Gelände der Lagerhalle des Antragstellers (X-Straße in ... B) insgesamt 501.200 unversteuerte und unverzollte Zigaretten sichergestellt. Davon seien 334.200 Zigaretten "C" in einem eigens angefertigten Versteck im Schwerlastauflieger mit dem weißrussischen Kennzeichen XXX (im Folgenden: Auflieger) entdeckt worden. Weitere 167.000 Zigaretten "C" hätten sich in dem auf den Antragsteller zugelassenen ...-Transporter mit dem amtlichen Kennzeichen XXX (im Folgenden: Transporter) befunden. Im Zeitpunkt der Sicherstellung habe sich der Antragsteller in seinem Büro in der Lagerhalle befunden. Die gesondert verfolgen D und E seien damit beschäftigt gewesen, die Zigaretten aus dem Versteck im Auflieger in den Transporter umzuladen.

3

Nach den Ermittlungen des ZFA seien die sichergestellten Zigaretten in der Nacht zuvor von E als Fahrer des Sattelzugs mit dem genannten Auflieger aus Polen nach Deutschland verbracht worden. Hierbei habe ihn D in einem ... mit weißrussischem Kennzeichen begleitet und angewiesen.

4

Die Zigaretten seien aus Weißrussland vorschriftswidrig nach Polen eingeführt worden, sodass sie dort in den tabaksteuerrechtlich freien Verkehr überführt worden seien. In der Nacht vom 24. auf den 25.02.2016 hätten D und E die Zigaretten zu gewerblichen Zwecken ins deutsche Steuergebiet verbracht. Die Tabaksteuer entstehe gemäß § 23 Abs. 1 TabStG, wenn die Tabakwaren erstmals zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten würden. Steuerschuldner sei, wer die Lieferung vornehme oder die Tabakwaren im Besitz halte und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt habe. Der Antragsteller sei Schuldner der Tabaksteuer, weil er Empfänger der Lieferung gewesen sei. Die Zigaretten seien auf sein Betriebsgelände und damit in seinen Herrschaftsbereich geliefert worden. Bei Sicherstellung seien sie bereits zum Teil in den Transporter des Antragstellers umgeladen worden.

5

Der Antragsteller werde als Gesamtschuldner mit D und E in Anspruch genommen. Für die Berechnung der Tabaksteuer wird auf die Anlage zum Steuerbescheid verwiesen.

6

Mit Schreiben vom 24.03.2017 legte der Antragsteller Einspruch gegen den Tabaksteuerbescheid ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung.

7

Mit Bescheid vom 23.05.2017 (RBL XXX/17) lehnte der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung des Tabaksteuerbescheids ab. Es bestünden keine ernstlichen Zweifel im Sinne § 361 Abs. 2 AO, dass der Antragsteller als Besitzer bzw. Empfänger der Tabakwaren gemäß § 23 Satz 2 TabStG Schuldner der Tabaksteuer sei. Es sei eine nicht glaubhafte Schutzbehauptung, dass der Antragsteller nicht Empfänger der Zigaretten gewesen sei und er keine Kenntnis vom Versteck im Auflieger gehabt habe. Nachweislich sei ein Teil der Zigaretten in seinem Transporter aufgefunden worden. Die Observation habe ergeben, dass er zeitweise bei der Umladung der Zigaretten anwesend gewesen sei. Die Umladung sei auch auf seine Veranlassung hin erfolgt, da er das Fahrzeug im Wissen um die Gesamtumstände zur Verfügung gestellt habe. Eine Aussetzung der Vollziehung wegen eines möglichen unersetzbaren Schadens sei nicht vorgetragen und aus der Akte nicht zu entnehmen.

8

Mit Zinsbescheid über Tabaksteuer vom 06.06.2017 (Registrierkennzeichen: S-YYY-2017) setzte der Antragsgegner gegen den Antragsteller im Hinblick auf die im Tabaksteuerbescheid vom 17.03.2017 geltend gemachten Tabaksteuern Hinterziehungszinsen gemäß § 370 AO in Höhe von 0,5 % für jeden vollendeten Monat in Höhe von insgesamt 4.692 € fest.

9

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 19.06.2017 Einspruch ein. Nachdem der Antragsgegner die Vollstreckung des Zinsbescheids angekündigt hatte, beantragte der Antragsteller mit Schreiben vom 26.07.2017 Aussetzung der Vollziehung. Mit Schreiben vom 18.08.2017 begründete er den Einspruch sowie den Aussetzungsantrag damit, dass er keinen Zugriff auf den Transport der Zigaretten gehabt und den Transporter vermietet habe.

10

Mit Bescheid vom 23.08.2017 (RBL YYY/17) lehnte der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung des Zinsbescheids ab. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids gemäß § 361 Abs. 2 AO bestünden nicht. Der Antragsteller habe die Vermietung des Transporters nicht glaubhaft gemacht.

11

Auf die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom 05.10.2017 zahlte die kontoführende Bank des Antragstellers 24.294,05 € an den Antragsgegner. Hiervon verbuchte der Antragsgegner 4.720,78 € auf den Zinsbescheid über Tabaksteuer vom 06.06.2017. Weitere 19.573,27 € verbuchte er auf den Einfuhrumsatzsteuerbescheid vom 17.03.2017, dessen Vollziehungsaussetzung Gegenstand des gerichtlichen Eilverfahrens 4 V 283/17 ist.

12

Am 16.10.2017 hat der Antragsteller einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Tabaksteuerbescheids sowie des Zinsbescheids gestellt. Er habe nichts mit dem Einfuhrschmuggel von rund 1 Mio. Zigaretten, der von dem F und weiteren Personen veranlasst worden sei, zu tun. Er sei auch nicht mit der Verteilung der Zigaretten befasst gewesen. Der Auflieger, in dem die Zigaretten gefunden worden seien, habe auf seinem Betriebsgelände gestanden, weil ihn der F, den er aus dessen früherer Tätigkeit im Transportgewerbe kenne, gebeten habe, einen Ort für eine Reifenreparatur zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zweck habe er auch den Transporter überlassen, mit dem die Reifen transportiert werden sollten. Von den unverzollten Zigaretten habe er nichts gewusst. Daher könne er keinen Besitz an den Zigaretten erlangt haben. Er sei im Grunde erst zehn Minuten vor Eintreffen der Polizei auf dem Betriebsgelände mit seinem Schwager erschienen, um nach dem Rechten zu sehen. Das gegen seinen Schwager geführte Verfahren sei eingestellt worden. Er sei in die Angelegenheit aufgrund seiner Bekanntschaft mit einzelnen Beteiligten hineingezogen worden. Es sei nicht nachgewiesen, dass neben den angeblich bereits in den Transporter umgeladenen 170.000 Zigaretten auch die übrigen Zigaretten hätten umgeladen werden sollen.

13

Am 12.10.2017 sei eine Pfändung in Höhe von 82.631,10 € veranlasst worden. Eine Nachricht der kontoführenden Bank stehe noch aus. Durch die Pfändung von insgesamt 107.000 € könne er seinen Geschäftsbetrieb nicht mehr aufrechterhalten, weil er keine Löhne und Mautgebühren zahlen und keine Kraftstoffe einkaufen könne.

14

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
1. die Vollziehung des Tabaksteuerbescheids vom 17.03.2017 ohne, hilfsweise mit Sicherheitsleistung auszusetzen.
2. die Vollziehung des Zinsbescheids über Tabaksteuer vom 06.06.2017 ohne, hilfsweise mit Sicherheitsleistung auszusetzen und aufzuheben.

15

Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge abzulehnen.

16

Er verweist auf die Begründungen der Bescheide sowie der Ablehnungen der Aussetzung der Vollziehung. Über die Einziehung von 24.294,05 € hinaus werde nicht vollstreckt. Die Vollstreckungsmaßnahmen, die bei Eingang des gerichtlichen Eilantrags noch durchgeführt worden seien, seien rückgängig gemacht worden.

...

Entscheidungsgründe

17

II. Der gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids über Tabaksteuer vom 17.03.2017 und des Zinsbescheids über Tabaksteuer vom 06.06.2017 hat in der Sache teilweise Erfolg.

18

Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsakts unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Nach § 69 Abs. 2 S. 2 FGO soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.

19

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 S. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Bescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (st. Rspr. des BFH, Beschl. v. 26.08.2004, V B 243/03, juris, Rn. 14 unter Bezugnahme auf Beschl. v. 10.02.1967, III B 9/66, BFHE 87, 447). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH, Beschl. v. 26.04.2004, VI B 43/04, juris Rn. 11; Beschl. v. 20.05.1997, VIII B 108/96, juris Rn. 41). Sie kann auch dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (vgl. BFH, Beschl. v. 23.08.2004, IV S 7/04, juris Rn. 21). Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 123. EL, Mai 2010, § 69 FGO Rn. 94, 123). Umgekehrt muss der Senat nicht davon überzeugt sein, dass der Tatbestand, auf den die Abgabenerhebung gestützt wird, erfüllt ist; ausreichend ist vielmehr, wenn der Senat von Tatsachen ausgeht, die nach seiner Ansicht überwiegend wahrscheinlich sind (BFH, Beschl. v. 24.10.2017, VII B 99/17, n. v., S. 9 f.).

20

Gemessen an diesen Maßstäben liegen begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids über Tabaksteuer vom 17.03.2017 im Hinblick auf die Tabaksteuer vor, die auf die 334.200 Zigaretten erhoben wurde, die sich bei Sicherstellung noch im Auflieger befanden. Hinsichtlich der übrigen 167.000 Zigaretten, die bereits in den Transporter umgeladen waren, ist der Bescheid dagegen voraussichtlich rechtmäßig (dazu 1.). In demselben Umfang hat der Senat auch begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zinsbescheids vom 06.06.2017 (dazu 2.). Die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung kann ohne Sicherheitsleistung erfolgen (dazu 3.). Soweit keine begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide bestehen, hat der Antragsteller nicht dargelegt, dass deren Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (dazu 4.).

21

1. Der Senat hat begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids über Tabaksteuer vom 17.03.2017, soweit Tabaksteuer auf die 334.200 Zigaretten, die sich bei Sicherstellung noch im Auflieger befanden, erhoben wurde (dazu 1.1). Im Übrigen ist der Bescheid voraussichtlich rechtmäßig (dazu 1.2).

22

1.1. Der Senat hat begründete Zweifel, ob der Antragsteller im Hinblick auf die 334.200 im Auflieger sichergestellten Zigaretten Steuerschuldner gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG ist.

23

1.1.1 § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG ist vorliegend anwendbar, weil die Tabaksteuer gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 TabStG durch Verbringen der Ware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat und dem erstmaligen Inbesitzhalten zu gewerblichen Zwecken entstanden ist. Der Senat hält es nämlich nach den aktenkundigen Feststellungen des ZFA, denen der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten ist, für überwiegend wahrscheinlich, dass D und E die Zigaretten aus Polen ins Steuergebiet verbracht haben. So ergibt sich aus den TKÜ-Erkenntnissen und Observationen, dass der gesondert verfolgte F seit Dezember 2015 eine eigene Lieferschiene für unversteuerte Zigaretten aus Polen aufgebaut hat (...), und der Sattelzug, in dem die sichergestellten Zigaretten versteckt waren, am 24.02.2016 um 22:07 Uhr die deutsch-polnische Grenze bei G überquerte (...).

24

1.1.2 Der Senat hat jedoch begründete Zweifel, ob der Antragsteller Besitzer im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG der 334.200 Zigaretten war. Nach dieser Vorschrift ist - anders als bei der Einfuhr über einen Drittstaat, bei dem gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TabStG nur derjenige die Steuer schuldet, der an der Einfuhr beteiligt ist - im Falle der Verbringung der Schmuggelware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat Steuerschuldner auch derjenige, der die Tabakwaren in Besitz hält, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat.

25

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.11.2014 (VII R 44/11, ZfZ 2015, 108) zu § 19 S. 2 TabStG 1993 - der Vorgängervorschrift von § 23 Abs. 1 TabStG - entschieden, dass Empfänger der Tabakwaren auch derjenige sein könne, der sie vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernehme (Rn. 13 des Urteils). Zwar sei der Wortlaut von § 19 S. 2 TabStG 1993 insoweit mehrdeutig. Er müsse jedoch im Lichte von Art. 7 und 9 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass Empfänger auch diejenige Person sein könne, die nach dem eigentlichen Verbringungsvorgang Besitz an den Waren erlange. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat für § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG an (siehe bereits FG Hamburg, Beschl. v. 18.11.2016, 4 V 142/16, EFG 2017, 182 = juris Rn. 23), weil zwischen dem Wortlaut dieser Norm und § 19 S. 2 TabStG 1993 keine wesentlichen Unterschiede bestehen (BR-Drs. 169/09 v. 20.02.2009, S. 144; so auch Weidemann, ZfZ 2015, 111, 111).

26

Besitz im Sinne des Tabaksteuerrechts ist die tatsächliche Sachherrschaft, die von einem Besitzwillen getragen ist (BFH, Urt. v. 20.01.1998, VII R 57/97, juris, Rn. 12; Urt. v. 02.12.2003, VII R 17/03, juris Rn. 14; Urt. v. 10.10.2007, VII R 49/06, juris Rn. 26). Ausreichend ist der Mitbesitz (BFH, Urt. v. 06.10.1998, VII R 20/98, juris Rn. 16; FG Düsseldorf, Urt. v. 12.03.2003, 4 K 1963/02, juris Rn. 52; FG Bremen, Urt. v. 29.02.2016, 4 K 51/14, juris Rn. 38). Dieser erfordert, dass mehrere Personen eine bewegliche Sache in der Weise besitzen, dass jeder die ganze Sache besitzt und dabei durch den gleichen Besitz der anderen beschränkt ist (Palandt/Herrler, 77. Aufl. 2018, § 866 BGB Rn. 1). Bei der Auslegung des Besitzerbegriffes ist zu berücksichtigen, dass es Ziel der verbrauchsteuerrechtlichen Regelungen ist, denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen unmittelbarer Obhut sich eine Ware befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände relativ leicht ausgemacht und zur steuerrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann (BFH, Urt. v. 10.10.2007, VII R 49/06, juris Rn. 21).

27

Ausgehend von diesen Maßstäben sprechen gewichtige Gründe dafür, dass der Antragsteller nicht Besitzer der 334.200 Zigaretten war. Zwar war er als Eigentümer oder Mieter des Betriebsgeländes dessen (rechtmäßiger) Besitzer. Gleichwohl kann deshalb nicht angenommen werden, dass er auch Sachherrschaft über alle Gegenstände hatte, die sich auf diesem Grundstück befanden. So wie der Antragsteller nicht Besitzer von Gegenständen ist, die sich in einem Besucherfahrzeug befinden oder die ein Besucher am Körper trägt (z. Bsp. Brieftasche), hatte er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine faktische Zugriffsmöglichkeit auf die sich noch in dem Versteck im Auflieger befindlichen Zigaretten. Nach den Observationsergebnissen hat er selbst die Zigaretten nicht umgeladen. Die Zigaretten waren auch nicht ohne weiteres zugänglich, weil man an das Versteck im Auflieger nur über die Unterbodenfläche des Aufliegers gelangen konnte (...). Die nach der Sicherstellung in dem Versteck verbliebene Menge war nach Aktenlage im Übrigen so gesichert, dass eine weitere Entnahme von Zigaretten vor Ort nicht möglich war (...).

28

Diese Bewertung steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, nach der der Führer eines Fahrzeugs die Möglichkeit der Sachherrschaft über alle sich darin befindlichen Gegenstände hat (BFH, Urt. v. 25.03 2013, VII B 232/12, juris Rn. 6). Sie setzt nämlich voraus, dass Sachherrschaft über das Fahrzeug besteht. Diese hatte der Antragsteller überwiegend wahrscheinlich nicht. Er war nämlich weder Halter noch sonst Verfügungsberechtigter über den in Weißrussland zugelassenen und von dem gesondert verfolgten E gelenkten Sattelzug. Auch aus seiner überwiegend wahrscheinlichen Beteiligung an dem Zigarettenschmuggel ergibt sich nichts anderes. Es ist nämlich nichts aktenkundig, was darauf hindeutet, dass der Antragsteller eine derart bestimmende Rolle bei dem Zigarettenschmuggel innehatte, nach der er über den Aufenthaltsort der sich im Auflieger befindlichen Zigaretten hätte bestimmen können. Selbst wenn es ihm möglich gewesen wäre, die anderen bei der Umladung anwesenden Personen dazu zu bewegen, den Sattelzug von seinem Betriebsgelände zu entfernen, wäre dies nicht Ausdruck seines Besitzrechts an den Zigaretten, sondern die Ausübung seiner Verfügungsmacht über das Grundstück, die er dergestalt ausüben kann, andere von der Nutzung auszuschließen.

29

Einen anderen Anknüpfungspunkt für die Steuerschuldnerschaft als den Besitz sieht § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG - abgesehen von der hier nicht einschlägigen Vornahme der Lieferung - nicht vor. Die Steuererhebung kann in einem solchen Fall nur im Wege eines Haftungsbescheids erfolgen.

30

1.1.3 Auf die 334.200 Zigaretten entfallen bei einem Tabaksteuersatz von 15,61040 € pro Stück (siehe Anlage zum Steuerbescheid über die Tabaksteuer) insgesamt 52.169,96 €.

31

1.2 Im Hinblick auf die Tabaksteuer, die auf die 167.000 Zigaretten, die bereits in den Transporter umgeladen waren, entfallen, ist der Bescheid voraussichtlich rechtmäßig.

32

1.2.1 Es ist nach den oben dargestellten Maßstäben überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller als Besitzer im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG dieser Zigaretten Steuerschuldner war. Nach Aktenlage war der Transporter auf den Antragsteller zugelassen, so dass er bei lebensnaher Betrachtung über das Fahrzeug verfügen konnte. Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass der Führer eines Fahrzeugs die Sachherrschaft über alle sich im Fahrzeug befindlichen Gegenstände hat. Dies gilt selbst für Gegenstände, von deren Vorhandensein im Fahrzeug er keine Kenntnis hat (BFH, Urt. v. 25.03 2013, VII B 232/12, juris Rn. 6). Dasselbe gilt für die Person, die ein Fahrzeug rechtmäßig benutzen darf, da auch sie über die Verwendung des Fahrzeugs entscheidet und damit die tatsächliche Sachherrschaft ausübt.

33

Selbst wenn man den Vortrag des Antragstellers als glaubhaft unterstellt, dass er seinen Transporter in dem Glauben zur Verfügung gestellt habe, der Transporter werde für einen Reifenwechsel benötigt, ergibt sich keine andere rechtliche Bewertung. Es ist auch bei Annahme dieses Sachverhalts überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller während der Umladung der Zigaretten vom Auflieger in den Transporter die tatsächliche Sachherrschaft an dem Transporter - und damit auch an allen darin befindlichen Gegenständen (siehe oben) - ausüben konnte. Es ist bei lebensnaher Betrachtung überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller - sofern er tatsächlich einen Schlüssel an die gesondert verfolgten F und E ausgehändigt haben sollte - jedenfalls über einen Zweitschlüssel verfügte. Er hätte überwiegend wahrscheinlich seine Sachherrschaft auch ausüben können, weil er nach den Erkenntnissen der Observation kurz nach der Ankunft des Sattelzugs auf seinem Betriebsgelände eintraf und sich dort während des Umlagevorgangs bis zu seiner vorläufigen Festnahme aufhielt. Da es sich nach dem Vortrag des Antragstellers bei der Überlassung des Transporters um eine Gefälligkeit handelte, durften die gesondert verfolgten F und E - anders als bei der mietweisen Überlassung - nicht davon ausgehen, dass sie das Fahrzeug exklusiv nutzen durften, sondern jederzeit damit rechnen mussten, dass der Antragsteller sein Besitzrecht ausüben würde.

34

1.2.2 Auf die 167.000 Zigaretten entfallen bei einem Tabaksteuersatz von 15,61040 € pro Stück (siehe Anlage zum Steuerbescheid über die Tabaksteuer) insgesamt 26.069,36 €.

35

2. Der Senat hat begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zinsbescheids über Tabaksteuer vom 06.06.2017, soweit mehr als 1.563,- € Zinsen erhoben werden. Da der Tabaksteuerbescheid voraussichtlich nur in Höhe von 26.069,36 € rechtmäßig ist (siehe oben 1.2), durften Zinsen nur auf diesen Betrag festgesetzt werden. Bei der im Bescheid unter "Zinsberechnung" angegebenen Berechnungsgrundlage ergibt sich der genannte Zinsbetrag (6 % von 26.050,- €). Im Hinblick auf die darüber festgesetzten Zinsen in Höhe von 3.129,- € bestehen dagegen begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit, weil der Senat Zweifel an der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Tabaksteuerschuld hat (siehe oben 1.1).

36

Da der Antragsgegner den Zinsbetrag bereits im Wege der Zwangsvollstreckung vereinnahmt hat, war gemäß § 69 Abs. 3 S. 3 FGO auszusprechen, dass die Vollziehung teilweise aufzuheben ist. Die Aufhebung der Vollziehung wirkt zum Fälligkeitszeitpunkt, weil schon zu diesem Zeitpunkt Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestanden (vgl. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 242. EL Mai 2017, § 69 FGO Rn. 861).

37

3. Die Aussetzung der Vollziehung bzw. die Aufhebung der Vollziehung kann ohne Sicherheitsleistung erfolgen.

38

Die Anordnung der Sicherheitsleistung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 69 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 FGO, hinsichtlich derer das Finanzgericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen hat, dient der Vermeidung von Steuerausfällen, die infolge einer Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung vor allem dadurch entstehen können, dass der Steuerpflichtige im Verfahren zur Hauptsache letztlich unterliegt und zu diesem Zeitpunkt die Durchsetzung der Steuerforderung gefährdet oder erschwert ist (FG Hamburg, Beschl. v. 11.04.2014, 4 V 154/13, juris Rn. 119). In einer Situation, in der ein Rechtsmittel gegen den Abgabenbescheid mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg hat, würde es den effektiven Rechtsschutz des Steuerpflichtigen verkürzen, wenn eine Sicherheit verlangt würde (Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 236. EL Januar 2016, § 69 FGO Rn. 391 m. w. N.). Da der Senat den Erfolg einer Klage für überwiegend wahrscheinlich hält, soweit die Aussetzung der Vollziehung gewährt wurde, wird eine Sicherheitsleistung nicht verlangt.

39

4. Soweit keine begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide bestehen, kann die Aussetzung der Vollziehung nicht wegen einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotenen Härte (§ 69 Abs. 2 S. 2 FGO) gewährt werden. Abgesehen davon, dass eine Aussetzung der Vollziehung wegen einer unbilligen Härte nicht in Betracht kommt, wenn - wie hier aus den oben dargelegten Gründen - der Rechtsbehelf, soweit die Aussetzung der Vollziehung nicht wegen begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit gewährt wurde, offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 141. EL Juli 2015 § 69 FGO Rn. 104 m. w. N.), hat der Antragsteller nicht substantiiert dargelegt, woraus sich die unbillige Härte ergeben soll. Die pauschale Behauptung, dass er durch die Vollstreckungsmaßnahmen sein Unternehmen nicht weiterführen könne, weil er keine Löhne mehr zahlen, keine Treibstoffe einkaufen und Mautgebühren nicht mehr entrichten könne, reicht insoweit nicht aus.

40

III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 136 Abs. 1 S. 1 und 128 Abs. 3 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO. Die Kostenquote entspricht dem Verhältnis, in dem der Antragsteller insgesamt obsiegte (55.298,96 € zu 27.632,36 €).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Hamburg Beschluss, 19. Jan. 2018 - 4 V 260/17

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Finanzgericht Hamburg Beschluss, 19. Jan. 2018 - 4 V 260/17

Referenzen - Gesetze

Finanzgericht Hamburg Beschluss, 19. Jan. 2018 - 4 V 260/17 zitiert 12 §§.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

Zivilprozessordnung - ZPO | § 920 Arrestgesuch


(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten. (2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen. (3) Das Gesuch kann vor der

Abgabenordnung - AO 1977 | § 370 Steuerhinterziehung


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,2.die Finanzbehörden pflichtwidrig über steu

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 155


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen, die Zivilprozessordnung einschließlich § 278 Absatz

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 69


(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für

Abgabenordnung - AO 1977 | § 361 Aussetzung der Vollziehung


(1) Durch Einlegung des Einspruchs wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 4 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheide

Tabaksteuergesetz - TabStG 2009 | § 23 Lieferung zu gewerblichen Zwecken


(1) Im Sinn dieses Abschnitts werden Tabakwaren zu gewerblichen Zwecken geliefert, wenn sie1.aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat befördert werden und2.an eine Person geliefert werden, die keine P

Tabaksteuergesetz - TabStG 2009 | § 21 Steuerentstehung, Steuerschuldner


(1) Die Steuer entsteht vorbehaltlich des Satzes 2 zum Zeitpunkt der Überführung der Tabakwaren in den steuerrechtlich freien Verkehr durch die Einfuhr oder durch den unrechtmäßigen Eingang. Die Steuer entsteht nicht, wenn1.die Tabakwaren unmittelbar

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Finanzgericht Hamburg Beschluss, 19. Jan. 2018 - 4 V 260/17 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Finanzgericht Hamburg Beschluss, 19. Jan. 2018 - 4 V 260/17 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesfinanzhof Beschluss, 24. Okt. 2017 - VII B 99/17

bei uns veröffentlicht am 24.10.2017

Tenor Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 7. Juni 2017 4 V 251/16 insoweit aufgehoben, als die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich Tabaksteue

Finanzgericht Hamburg Beschluss, 18. Nov. 2016 - 4 V 142/16

bei uns veröffentlicht am 18.11.2016

Tatbestand I. 1 Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie eines Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen. 2 Im Zuge von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den gesond

Bundesfinanzhof Urteil, 11. Nov. 2014 - VII R 44/11

bei uns veröffentlicht am 11.11.2014

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 24. Mai 2011  4 K 30/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Finanzgericht Hamburg Beschluss, 11. Apr. 2014 - 4 V 154/13

bei uns veröffentlicht am 11.04.2014

Tatbestand 1 I. Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung einer Steueranmeldung betreffend Kernbrennstoffsteuer, wobei zwischen den Beteiligten kein Streit besteht über die zutreffende Anwendung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vom

Bundesfinanzhof Beschluss, 25. März 2013 - VII B 232/12

bei uns veröffentlicht am 25.03.2013

Tatbestand 1 I. Bei einer Kontrolle des Fahrzeugs des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) stellten Beamte des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt --HZA--) i

Referenzen

(1) Durch Einlegung des Einspruchs wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 4 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; § 367 Abs. 1 Satz 2 gilt sinngemäß. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.

(3) Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheids ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheids auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheids bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheids zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheids die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist.

(4) Durch Einlegung eines Einspruchs gegen die Untersagung des Gewerbebetriebs oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Finanzbehörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. § 367 Abs. 1 Satz 2 gilt sinngemäß.

(5) Gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung kann das Gericht nur nach § 69 Abs. 3 und 5 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung angerufen werden.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

(1) Durch Einlegung des Einspruchs wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 4 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; § 367 Abs. 1 Satz 2 gilt sinngemäß. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.

(3) Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheids ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheids auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheids bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheids zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheids die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist.

(4) Durch Einlegung eines Einspruchs gegen die Untersagung des Gewerbebetriebs oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Finanzbehörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. § 367 Abs. 1 Satz 2 gilt sinngemäß.

(5) Gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung kann das Gericht nur nach § 69 Abs. 3 und 5 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung angerufen werden.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen, die Zivilprozessordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a sinngemäß anzuwenden; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs der Bundesfinanzhof und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Finanzgerichtsordnung tritt; die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 7. Juni 2017 4 V 251/16 insoweit aufgehoben, als die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich Tabaksteuer in Höhe von 135,78 € abgelehnt worden ist; zugleich wird in Höhe dieses Betrags die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 14. September 2016 ausgesetzt.

Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Im Zuge steuerstrafrechtlicher Ermittlungen gegen die gesondert verfolgten S und G wurden am 16. Februar 2016 aufgrund richterlicher Anordnung die Kellerräume des vom Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) betriebenen Hotels durchsucht. Hierbei wurden in einem Kellerraum insgesamt 275 560 Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen gefunden und sichergestellt. Davon trugen 22 860 Zigaretten keine, 800 Zigaretten tschechische und 60 Zigaretten polnische Steuerzeichen. Die übrigen Zigaretten trugen ukrainische oder keine Steuerzeichen. Für die sichergestellten Zigaretten setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) mit Haftungsbescheid vom 14. September 2016 Tabaksteuer in Höhe von 43.019,87 € fest. Mit Ausnahme der mit tschechischen und polnischen Steuerzeichen versehenen Zigaretten wurde mit Abgabenbescheid vom selben Tag Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 11.026,94 € festgesetzt. Gegen beide Bescheide legte der Antragsteller jeweils Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV), die das HZA mit Bescheiden vom 10. November 2016 ablehnte. Daraufhin hat der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) die gerichtliche AdV der Bescheide beantragt. Beide Anträge hat das FG abgelehnt.

2

Hinsichtlich des auf § 71 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheids führte das FG aus, der Antragsteller habe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Beihilfe zur Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 AO i.V.m. § 27 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs geleistet. Der Haupttäter S habe sich die unversteuerten Zigaretten mit Bereicherungsabsicht verschafft. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller Lagermöglichkeiten zur Verfügung gestellt habe, worin eine Beihilfehandlung liege. Für überwiegend wahrscheinlich halte es der Senat, dass der Antragsteller S den Kellerraum leih- oder mietweise überlassen und im Hinblick auf die Haupttat sowie seine Beihilfehandlung mit Vorsatz gehandelt habe. In der Einspruchsbegründung habe er eingeräumt, dass er beim Betreten des Kellerraums mitbekommen habe, was dort abgestellt worden sei. Für die Tatbestandserfüllung des § 71 AO reiche es aus, dass der Antragsteller den Kellerraum in Kenntnis vom Inhalt der Ware zur Verfügung gestellt habe. In Bezug auf die mit tschechischen und polnischen Steuerzeichen versehenen Zigaretten sei der Antragsteller aufgrund seiner Besitzerlangung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit selbst Steuerschuldner geworden.

3

Der Umstand, dass der Antragsteller im Hinblick auf die mit Steuerzeichen versehenen 860 Zigaretten Schuldner der Tabaksteuer sei, stehe seiner haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 71 AO nicht entgegen.

4

Auch in Bezug auf den Bescheid über Einfuhrumsatzsteuer könne eine AdV nach Art. 45 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK), der nach dem Inkrafttreten des UZK am 1. Mai 2016 als verfahrensrechtliche Vorschrift auf den Streitfall Anwendung finde, nicht gewährt werden. Für die Zigaretten sei eine Einfuhrabgabenschuld nach den Art. 202, 214 Abs. 2, Art. 215 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Zollkodex (ZK) am 16. Februar 2016, dem Tag der Durchsuchung der Hotelräume und der Sicherstellung der Zigaretten, entstanden. Da die sichergestellten Zigaretten überwiegend mit ukrainischen Steuerbanderolen versehen gewesen seien, müssten sie sich vor der Sicherstellung außerhalb des Zollgebiets der Europäischen Union befunden haben und von dort ohne Gestellung in das Steuergebiet verbracht worden sein. Dies gelte auch für die ohne Steuerbanderolen vorgefundenen Zigaretten, bei denen der Markenname auf eine weißrussische Herkunft weise. Der Antragsteller sei bei Sicherstellung Mitbesitzer der Zigaretten gewesen. Er hätte zudem vernünftigerweise wissen müssen, dass die Zigaretten vorschriftswidrig in das Steuergebiet verbracht worden seien. Selbst wenn er die Zigaretten bei seinen Besuchen im Kellerraum nicht näher angeschaut haben sollte, hätte ihm klar gewesen sein müssen, dass die Lagerung von ca. 1 300 Stangen Zigaretten dort nur einen Sinn gehabt haben konnte, wenn es sich um unversteuerte Zigaretten gehandelt habe. Die Berechnung der Einfuhrumsatzsteuer sei nicht zu beanstanden.

5

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsteller vor, S habe zu keiner Zeit im Hotel genächtigt und einen Schlüssel gehabt; auch hätten keinerlei geschäftliche Beziehungen zu S bestanden. Bei dem serbischen Staatsbürger, dem er den Kellerraum zur Verfügung gestellt habe, habe es sich um einen Herrn P gehandelt. Der Bitte um Überlassung einer Abstellmöglichkeit habe er, der Antragsteller, nur entsprochen, weil P ihm vor längerer Zeit aus einer finanziellen Verlegenheit geholfen habe. Erst am Tag der Sicherstellung der Zigaretten habe er zu Gesicht bekommen, was P im Keller untergestellt habe. Nach dem Verbringen der Ware in den Raum sei dieser verschlossen worden und P habe den Schlüssel mitgenommen. Es habe kein Anlass bestanden, den Raum vor dessen Rückkehr zu betreten. Aus den Ermittlungsakten ergäben sich keine Anhaltspunkte für seine Schuld. Er habe die sichergestellten Zigaretten, an denen er keinen Besitz bzw. keine Verfügungsgewalt erlangt habe, weder gekauft oder sich oder einem Dritten sonst verschafft noch geholfen, diese abzusetzen. Zudem habe er keine Bereicherungsabsicht gehabt. Entsprechende Nachweise habe das FG nicht erbracht, vielmehr sei es lediglich von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgegangen. Den Akten sei zu entnehmen, dass die namentlich bekannten und gesondert als Steuerschuldner verfolgten S und P observiert worden seien. Somit seien die Personen bekannt, die als Steuerschuldner vorrangig in Anspruch genommen werden müssten.

6

Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es schließt sich im Wesentlichen der Begründung des FG an. Entgegen der Auffassung des FG, dass es überwiegend wahrscheinlich sei, dass die Zigaretten aus der Ukraine stammten, sei darauf abzustellen, dass der Antragsteller den Nachweis nicht geführt habe, dass die Zigaretten Unionswaren seien. Einer möglichen Argumentation, dass die Finanzbehörde nachzuweisen habe, dass es sich bei den zur Zigarettenherstellung verwendeten Vormaterialien um Nicht-Unionswaren gehandelt habe, könne nicht gefolgt werden. Eine solche Beweislast sei unbillig. Im Besteuerungsverfahren obliege der Nachweis in Bezug auf den zollrechtlichen Status einer Ware dem jeweiligen Abgabenschuldner. Dies werde durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt.

Entscheidungsgründe

II.

7

Die nach § 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist nur teilweise begründet, im Übrigen ist sie zurückzuweisen.

8

Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids vom 14. September 2016 in Bezug auf die vom HZA geltend gemachte Tabaksteuer in Höhe von 135,78 € ernstliche Zweifel bestehen, so dass insoweit die AdV gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO geboten ist. Eine darüber hinausgehende Aussetzung kommt nicht in Betracht, weil sich die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig erweisen.

9

1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheids neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (BFH-Beschluss vom 15. Juli 1998 I B 134/97, BFH/NV 1999, 372; BFH-Urteil vom 10. November 1994 IV R 44/94, BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814, m.w.N.).

10

2. Im Streitfall begegnet es nach Auffassung des beschließenden Senats rechtlichen Bedenken, dass das FG eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Antragstellers nach § 71 AO für möglich hält, obwohl nach den Ermittlungsergebnissen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass dieser in Hinblick auf 860 Zigaretten nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG Tabaksteuer schuldet, weil er Besitz an den unversteuerten Zigaretten erlangt hat. Dies ist anzunehmen, weil der Antragsteller den Kellerraum nur zur Mitbenutzung überlassen hat und es nach den Gesamtumständen, insbesondere aufgrund der in dem Kellerraum gelagerten anderen Gegenstände, naheliegt, dass er nicht nur seltenen Zugang zu dem Raum gehabt hat (vgl. die Ausführungen unter 4.). Hinsichtlich der Erfüllung des Tatbestands des § 23 Abs. 1 TabStG teilt der Senat die Auffassung des FG.

11

a) Wie der beschließende Senat zu § 111 der Reichsabgabenordnung (RAO) entschieden hat, kann ein Steuerpflichtiger, der eine Abgabe als Steuerschuldner zu entrichten hat, für diese Abgabe nicht zugleich aufgrund des § 111 Abs. 1 RAO haften (Senatsurteil vom 19. Oktober 1976 VII R 63/73, BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255). In späteren Entscheidungen hat der BFH diese Ansicht bestätigt (Senatsbeschluss vom 11. Juli 2001 VII R 29/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2002, 277; Senatsurteile vom 14. Dezember 1988 VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549; vom 15. April 1987 VII R 160/83, BFHE 149, 505, BStBl II 1988, 167). Wie das FG zu Recht ausführt, hat sich die überwiegende Literatur dieser Ansicht angeschlossen (Jatzke in Beermann/Gosch, AO § 71 Rz 7; Loose in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 71 AO Rz 7; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 71 AO Rz 7; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl., § 71 Rz 1; Schwarz in Schwarz/ Pahlke, AO/FGO, § 71 AO Rz 4). Dabei wird vertreten, dass der Ausschluss der Steuerschuldnerschaft als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 71 AO anzusehen sei, denn niemand könne nach der Systematik der AO für eigene Steuerschulden haften (Klein/Rüsken, a.a.O., § 71 Rz 1).

12

b) Dieser Ansicht ist das FG unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Haftungsnorm und der in § 33 Abs. 1 AO angeordneten Gleichberechtigung und abgabenrechtlichen Gleichstellung von Steuerschuldner und Haftendem ausdrücklich entgegengetreten. Sofern es aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift den Schluss zieht, dass die Änderung des § 112 RAO im Jahr 1934, mit der die Einschränkung "soweit er nicht Steuerschuldner ist" durch den Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" ersetzt wurde, darauf hinweist, dass es der Gesetzgeber für die haftungsrechtliche Inanspruchnahme einer Person fortan für unschädlich gehalten habe, dass diese auch Steuerschuldnerin war, setzt es sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats. Dieser hatte in seinem Urteil in BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255 ausgeführt, die in § 112 RAO gewählte Ausdrucksweise beruhe nur dem Schein nach auf der Vorstellung, der Steuerschuldner könne zugleich auch Haftender sein. In Wirklichkeit sei die Ausdrucksweise lediglich eine Reaktion auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs --RFH-- (Urteil vom 25. Januar 1933 IV A 70/32, RFHE 32, 276), der in Bezug auf die Fassung des § 112 RAO 1931 die Feststellung gefordert habe, dass der in Anspruch Genommene nicht Steuerschuldner sei. Den Sinn und Zweck der 1934 herbeigeführten Rechtsänderung hat der Senat somit lediglich darin erblickt, die Finanzverwaltung von der vom RFH auferlegten Feststellungspflicht zu befreien. Im Übrigen hat der Senat darauf hingewiesen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die erst nachträglich eingefügte Vorschrift des § 112 RAO die bereits durch die §§ 97 und 111 RAO geschaffene Rechtslage (d.h. die Exklusivität von Steuer- und Haftungsschuld) hat ändern wollen.

13

c) In Bezug auf die Entstehungsgeschichte des § 71 AO ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber den Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" nicht in die Haftungsvorschrift übernommen und zugleich darauf hingewiesen hat, die Vorschrift entspreche dem bisherigen § 112 RAO (BTDrucks VI/1982, S. 120). Geht man davon aus, dass der Gesetzgeber § 112 RAO 1934 so verstanden hat wie der Senat, wäre die Unterlassung folgerichtig. Ein Widerspruch ergibt sich dann aus der Formulierung des in § 70 AO normierten Haftungstatbestands, der den genannten Zusatz enthält. Nach den dargestellten Grundwertungen der AO und der darauf beruhenden Exklusivität von Steuerschuld und Haftung könnte sich der in § 70 AO normierte Zusatz nach dieser Betrachtung lediglich als überflüssige Klarstellung erweisen, ohne jedoch zwingend einen Umkehrschluss auf den in § 71 AO normierten Haftungstatbestand zuzulassen.

14

3. Die vorstehenden Ausführungen belegen, dass im Streitfall nach summarischer Prüfung Unsicherheiten in der Beurteilung der Rechtsfrage bestehen, ob das HZA den Antragsteller mit entsprechendem Haftungsbescheid nach § 71 AO als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen konnte, obwohl er nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Steuerschuldner angesehen werden kann. Im Rahmen der im AdV-Verfahren ausreichenden summarischen Überprüfung der Entscheidung des FG hält es der beschließende Senat nicht für geboten, über die aufgeworfenen Rechtsfragen abschließend zu entscheiden. Jedenfalls begründet die von der Rechtsansicht des FG abweichende Rechtsauffassung des Senats und des überwiegenden Schrifttums erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids, so dass dessen Vollziehung in dem bereits genannten Umfang auszusetzen ist.

15

4. Soweit der Antragsteller nach § 71 AO wegen Beihilfe zur Steuerhehlerei als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden ist, begegnet der Haftungsbescheid nach summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist ein Nachweis der Tatbestandserfüllung im summarischen AdV-Verfahren nicht erforderlich, vielmehr ist es als ausreichend zu erachten, wenn das Gericht von Tatsachen ausgeht, die nach seiner Ansicht überwiegend wahrscheinlich sind (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 1974  2 BvR 32/74, BVerfGE 38, 35, und Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 823, m.w.N.). Dem Schlussbericht des Zollfahndungsamts (ZFA) A vom 6. Juli 2016 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller einer von ihm als Serben bezeichneten Person einen neben dem Heizungskeller des Hotels liegenden Abstellraum zur Verfügung gestellt hat, für den er auch einen Schlüssel an seinem Schlüsselbund trug. Darüber hinaus ergab die Auswertung der Ergebnisse einer Telefonüberwachungsmaßnahme, dass zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Antragsteller mit S in Verbindung stand und diesen von der Durchsuchungsmaßnahme und der Sicherstellung der Zigaretten in Kenntnis setzte. Aufgrund der Gespräche und Textnachrichten sowie der Art und Weise der Gesprächsführung und der Stimme kam das ZFA zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller gemeinsam mit S an der Beschaffung, Lagerung und dem Verkauf unversteuerter Zigaretten beteiligt gewesen ist. Durch die bloße Behauptung des Antragstellers, S nicht zu kennen und mit ihm in keiner geschäftlichen Beziehung gestanden zu haben, wird das Ergebnis der Überwachungsmaßnahmen nicht schlüssig widerlegt. Auch die Behauptung, der Kellerraum sei zusammen mit dem Schlüssel einem serbischen Staatsbürger überlassen und im Zeitraum vom 14. bis zum 17. Februar 2016 nicht betreten worden, spricht nicht gegen die Annahme, der Antragsteller habe von den eingelagerten Zigaretten Kenntnis gehabt. Vielmehr besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller im Rahmen des Hotelbetriebs den Raum auch selbst benutzt und hierzu betreten hat, zumal in ihm auch Getränke, Kochgeschirr, Gaststättenutensilien und persönliche Sachen des Antragstellers sowie in einem Tresor persönliche Unterlagen und eine Kellnerbörse mit Geld lagerten. In der Beschwerdebegründung gibt der Antragsteller selbst zu, den Raum genutzt zu haben. In Anbetracht dieses Befundes scheint es nicht wahrscheinlich, dass der Antragsteller erst anlässlich der Durchsuchung von den eingelagerten Zigaretten Kenntnis erlangt hat. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass er ausweislich seiner Stellungnahme im Ermittlungsverfahren vom 15. Juni 2016 es als zutreffend bezeichnet hat, geholfen zu haben, verschlossene und unhandliche Kartons aus dem überlassenen Kellerraum zu einem Fahrzeug zu tragen. Bei lebensnaher Betrachtung ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller wusste, dass S oder eine andere Person mit unversteuerten und unverzollten Zigaretten handelte. Hierzu hat der Antragsteller durch die Überlassung und Mitbenutzung eines zum Hotel gehörenden Lagerraums Beihilfe geleistet und damit den Tatbestand des § 71 AO erfüllt.

16

5. Hinsichtlich des Abgabenbescheids über Einfuhrumsatzsteuer vom 14. September 2016 bestehen ebenfalls keine begründeten Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit. Die sichergestellten Zigaretten trugen überwiegend ukrainische Steuerbanderolen, so dass von der Herkunft aus einem Drittland auszugehen ist. Dies trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf die übrigen Zigaretten zu, bei denen die Markennamen auf eine weißrussische Herkunft hindeuten. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 202, 214 Abs. 2, Art. 215 Abs. 1 ZK am Tag der Sicherstellung der illegal eingeführten Zigaretten im Steuergebiet entstanden ist. Wie bereits dargelegt, hätte der Antragsteller zumindest wissen müssen, dass es sich bei den in großen Mengen --nämlich in 25 bis 30 Müllsäcken-- eingelagerten Zigaretten um unversteuerte Zigaretten gehandelt hat. Jedenfalls deuten die dem Antragsteller zugeordneten Telefongespräche mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass er dies wusste. Im Rahmen der summarischen Überprüfung des Eingangsabgabenbescheids begegnen die Schlussfolgerungen des FG jedenfalls keinen rechtlichen Bedenken.

17

6. In Hinblick auf Tabaksteuer, die für die mit tschechischen und polnischen Steuerbanderolen versehenen Zigaretten entstanden ist, ist der angefochtene Beschluss des FG aufzuheben und die beantragte AdV zu gewähren. Zwar kann die AdV nach § 69 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 FGO von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden, doch scheint eine solche im Streitfall aufgrund der verhältnismäßig geringen Abgabenschuld in Höhe von 135,78 € nicht angebracht, weshalb von einer solchen abgesehen werden kann. Eine mögliche Zurückverweisung an das FG (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 20. Mai 1997 VIII B 108/96, BFHE 183, 174, und Birkenfeld in HHSp, § 69 AO Rz 995) kommt unter diesen Umständen nicht in Betracht.

18

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

(1) Die Steuer entsteht vorbehaltlich des Satzes 2 zum Zeitpunkt der Überführung der Tabakwaren in den steuerrechtlich freien Verkehr durch die Einfuhr oder durch den unrechtmäßigen Eingang. Die Steuer entsteht nicht, wenn

1.
die Tabakwaren unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt werden,
2.
sich eine Steuerbefreiung anschließt oder
3.
die Einfuhrzollschuld nach Artikel 124 Absatz 1 Buchstabe e, f, g oder Buchstabe k des Unionszollkodex erlischt.

(2) Steuerschuldner ist

1.
jede Person nach Artikel 77 Absatz 3 des Unionszollkodex,
2.
jede andere Person, die an einem unrechtmäßigen Eingang beteiligt ist.
§ 15 Absatz 7 gilt entsprechend.

(3) Für das Erlöschen, in anderen Fällen als denen des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 3, das Steuerverfahren und, wenn die Steuer nicht durch Verwendung von Steuerzeichen entrichtet wird, für die Fälligkeit, den Zahlungsaufschub sowie die Nacherhebung, den Erlass und die Erstattung, in anderen Fällen als nach den Artikeln 119 und 120 des Unionszollkodex gelten die Zollvorschriften sinngemäß. Abweichend von Satz 1 bleiben die §§ 163 und 227 der Abgabenordnung unberührt.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 bis 3 finden für Tabakwaren in der Truppenverwendung, die zweckwidrig verwendet werden, die Vorschriften des Truppenzollgesetzes Anwendung.

(5) Für den Eingang von Tabakwaren aus einem der in Artikel 4 Absatz 2 der Systemrichtlinie aufgeführten Gebiete in das Steuergebiet sind die in den zollrechtlichen Vorschriften der Union vorgesehenen Formalitäten für den Eingang von Waren in das Zollgebiet der Union entsprechend anzuwenden.

(6) Für den unrechtmäßigen Eingang gilt Artikel 87 des Unionszollkodex sinngemäß.

(7) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, in Bezug auf Absatz 3 durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen und die Besteuerung abweichend von Absatz 3 zu regeln, soweit dies zur Sicherung des Steueraufkommens oder zur Anpassung an die Behandlung im Steuergebiet hergestellter Tabakwaren oder wegen der besonderen Verhältnisse bei der Einfuhr erforderlich ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 24. Mai 2011  4 K 30/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde mit rechtskräftigem Urteil wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. In den Urteilsgründen führte das Strafgericht aus, der Kläger habe von einer Organisation, die unverzollte und unversteuerte Zigaretten geschmuggelt habe, mehrfach solche Zigaretten abgenommen, um sie weiterzuverkaufen. Mit Bescheid vom 28. Juli 2010 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) den Kläger gesamtschuldnerisch mit drei weiteren Schuldnern wegen Tabaksteuer nebst Zinsen in Anspruch.

2

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Steueranspruch ergebe sich aus § 19 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) in der zur Tatzeit (Oktober 2008) geltenden Fassung. Im Streitfall seien Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens zu gewerblichen Zwecken aus einem anderen Mitgliedstaat in das deutsche Steuergebiet verbracht worden. Nach den im Strafurteil getroffenen Feststellungen, die sich das Gericht zu eigen mache, habe der Kläger wiederholt unverzollte und unversteuerte Zigaretten von einer Gruppe Schmuggler in der Absicht bezogen, diese weiterzuverkaufen und davon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Nachdem die Zigaretten in das Steuergebiet verbracht worden seien, habe der Kläger sie als Empfänger in Besitz genommen, so dass er nach § 19 Satz 2 TabStG Steuerschuldner geworden sei.

3

Nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG (RL 92/12/EWG) des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 76/1) seien als Steuerschuldner beim Verbringen oder Versenden einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware in das inländische Steuergebiet alle Personen anzusehen, die Herrschaft über die Ware erlangten. Somit komme auch ein weiterer Empfänger im Steuergebiet, z.B. ein Zwischenhändler oder ein Abnehmer, als Steuerschuldner in Betracht. Diese Auslegung stehe im Einklang mit der Festlegung der Zollschuldner in Art. 202 und 203 des Zollkodex. Empfänger i.S. des § 19 Satz 2 TabStG könne somit auch eine Person sein, die den Besitz an den Tabakwaren erst nach der Beendigung des Vorgangs des Verbringens bzw. Versendens erlange. Auf die Richtigkeit eines solchen Normverständnisses deute die Nachfolgevorschrift des § 19 TabStG, nämlich § 23 TabStG hin, nach der in Versandhandelsfällen neben dem Lieferer auch der Empfänger Steuerschuldner sei, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt habe. Der Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH), nach der Empfänger nicht mehr sein könne, wer den Besitz an den Tabakwaren erst nach Beendigung der genannten Vorgänge erlange (Urteil vom 2. Februar 2010  1 StR 635/09, Neue Zeitschrift für Strafrecht --NStZ-- 2010, 644), könne nicht gefolgt werden.

4

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, er habe die Zigaretten erst nach Beendigung des Verbringens über die Grenze erhalten. Die in § 19 Satz 2 TabStG festgelegte Steuerschuldnerschaft könne sich nicht auf Personen beziehen, die mit dem eigentlichen Einfuhrvorgang keinerlei Verbindung gehabt hätten. Nach der Rechtsprechung des BGH sei eine Beendigung anzunehmen, wenn die Tabakwaren in Sicherheit und "zur Ruhe gekommen" seien. Daher könne eine nachfolgende Besitzerlangung eine Steuerschuldnerschaft nach § 19 Satz 2 TabStG nicht mehr begründen. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c RL 92/12/EWG beziehe sich auf Fälle, in denen die Waren in einem anderen Mitgliedstaat bereits in Besitz genommen und danach in verschiedene Mitgliedstaaten "durchgereicht" worden seien.

5

Das HZA schließt sich im Wesentlichen der Rechtsauffassung des FG an. Zwar habe der Kläger die Zigaretten erst nach Beendigung des Vorgangs des Verbringens in das Steuergebiet erlangt, doch hindere dies seine tabaksteuerrechtliche Inanspruchnahme nach § 19 TabStG nicht. Die richtlinienkonform auszulegende Vorschrift diene der Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 92/12/EWG. Nach der Änderung des TabStG werde der Tatbestand nunmehr von § 23 TabStG erfasst. Danach werde Steuerschuldner aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbrachter oder versandter Zigaretten, wer die Tabakwaren in Besitz halte, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt habe. Die Argumentation des BGH werde durch die Neufassung widerlegt. § 19 TabStG müsse dahingehend verstanden werden, dass jeder Besitzer der Tabakwaren nach deren Verbringung in das Steuergebiet Steuerschuldner der in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) entstandenen Tabaksteuer werde.

6

Der erkennende Senat hat das Revisionsverfahren in analoger Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 92/12/EWG unbeschadet seines systematischen Zusammenhangs mit Art. 7 Abs. 3 RL 92/12/EWG einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte verbrauchsteuerpflichtige Waren zu gewerblichen Zwecken in Besitz hält, nicht Steuerschuldner wird, wenn sie die Waren erst nach Beendigung des Vorgangs des Verbringens von einer anderen Person erworben hat (BFHE 240, 458, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2013, 138).

7

Auf diese Frage hat der EuGH mit Urteil vom 3. Juli 2014 C-165/13, ZfZ 2014, 253 Folgendes geantwortet:

8

"Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG... in Verbindung mit Art. 7 der Richtlinie 92/12 ist dahin auszulegen, dass diese Vorschrift es einem Mitgliedstaat erlaubt, eine Person, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens im Steuergebiet dieses Staates zu gewerblichen Zwecken verbrauchsteuerpflichtige Waren in Besitz hält, die in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, als Schuldner der Verbrauchsteuer zu bestimmen, selbst wenn diese Person nicht die erste Besitzerin der Waren im Bestimmungsland gewesen ist."

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und daher nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Zu Recht hat das FG entschieden, dass der Kläger durch Inbesitznahme der entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbrachten Zigaretten nach § 19 Satz 2 TabStG Schuldner der Tabaksteuer geworden ist.

10

1. Werden Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder versandt, entsteht die Steuer mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet (§ 19 Satz 1 TabStG). Steuerschuldner ist, wer verbringt oder versendet, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat (§ 19 Satz 2 TabStG). Nach den Feststellungen des FG, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erhoben hat und die daher für den erkennenden Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend sind, sind die vom Kläger bezogenen Zigaretten außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens aus einem anderen Mitgliedstaat in das Steuergebiet verbracht worden. Zudem waren im Zeitpunkt des Überschreitens der Grenze an den Kleinverkaufspackungen keine deutschen Steuerzeichen angebracht, wie dies nach § 12 Abs. 1 TabStG erforderlich gewesen wäre. Außer Frage steht, dass die Zigaretten nicht dem ausschließlich privaten Konsum der an ihrem Verbringen Beteiligten dienen sollten. Vielmehr waren sie für den Weiterverkauf im Steuergebiet bestimmt. Für die zu gewerblichen Zwecken aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbrachten Zigaretten ist somit gemäß § 19 Satz 1 TabStG im Zeitpunkt ihres Grenzübertritts die Tabaksteuer entstanden.

11

2. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Kläger --neben den am eigentlichen Vorgang des Verbringens beteiligten Personen-- nach § 19 Satz 2 TabStG Schuldner der im Steuergebiet entstandenen Tabaksteuer geworden, denn er ist als Empfänger der Zigaretten anzusehen, an denen er im Steuergebiet Besitz erlangt hat.

12

a) Eine Definition des Empfängerbegriffs ist den tabaksteuerrechtlichen Vorschriften nicht zu entnehmen. In seiner Entscheidung in NStZ 2010, 644 hat der BGH den Begriff des Empfängers dahingehend ausgelegt, dass eine Person nicht Empfänger sein kann, die den Besitz an den Tabakwaren erst erlangt hat, wenn der Verbringungs- bzw. Versendungsvorgang durch das "zur Ruhe kommen" der Zigaretten bereits beendet ist.

13

Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Begriff des Empfängers in einem weiteren Wortverständnis dahin zu deuten, dass Empfänger auch derjenige sein kann, der in das Steuergebiet geschmuggelte Tabakwaren, die nach der Beendigung des Vorgangs des Verbringens bzw. Versendens nach Deutschland in hierfür bestimmten Verstecken gelagert worden sind, vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernimmt, d.h. von diesem in Empfang nimmt, um sie im Steuergebiet an andere Personen zu veräußern. Denn als Empfänger kann nach allgemeinem Sprachgebrauch jede Person verstanden werden, an die etwas Bestimmtes (Warensendung, Nachrichten, Signale etc.) gerichtet ist bzw. der etwas Bestimmtes übermittelt wird. Nach dem Verständnis des BGH wäre selbst der Adressat einer Postsendung nicht als Empfänger anzusehen, dem aus einem im Steuergebiet angelegten Lager unversteuerte Zigaretten zum Weiterverkauf oder zur Verteilung an Zwischenhändler geliefert werden. Für eine solche einschränkende Deutung lässt sich dem Begriff des Empfängers nichts entnehmen. Zudem ist bei der Auslegung des in § 19 Satz 2 TabStG verwendeten Empfängerbegriffs zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit den in § 19 TabStG getroffenen Regelungen die Umsetzung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen --insbesondere der Art. 7 und Art. 9 Abs. 1 RL 92/12/EWG-- beabsichtigte, so dass eine richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift geboten ist. Dem kann nicht --wie in der Literatur vertreten wird (Sackreuther/Allgayer, Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht 2014, 235)-- entgegengehalten werden, § 19 TabStG sei nach seinem vermeintlich eindeutigen Wortlaut und der Systematik einer solchen richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich. Wie bereits dargelegt, lässt sich der Begriff des Empfängers unterschiedlich deuten. Lässt der Gesetzestext mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu und ist nur eine mit dem Unionsrecht vereinbar, so ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, nach der die Norm nicht als unionsrechtswidrig einzustufen ist (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 15. Februar 2012 XI R 24/09, BFHE 236, 267, BStBl II 2013, 712; vom 8. September 2010 XI R 40/08, BFHE 231, 343, BStBl II 2011, 661, und vom 29. Juni 2011 XI R 15/10, BFHE 233, 470, BStBl II 2011, 839). Dabei ist eine richtlinienkonforme Auslegung auch zulasten des Steuerpflichtigen möglich (EuGH-Urteil vom 5. Juli 2007 C-321/05, Kofoed, Slg. 2007, I-5795, m.w.N.; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl., § 4 Rz 31).

14

b) In seiner Entscheidung hat der EuGH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf den Streitfall Art. 7 RL 92/12/EWG Anwendung findet und dass nach Art. 7 Abs. 3 RL 92/12/EWG die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem sich die betreffenden Waren befinden, u.a. von der Person oder dem Wirtschaftbeteiligten geschuldet werden, bei der oder bei dem sie bereitgestellt werden, so dass jeder Besitzer der Waren Schuldner der Verbrauchsteuer ist. Daraus folgt, dass nach den unionsrechtlichen Vorgaben von einer Steuerschuldnerschaft des Klägers auszugehen ist, denn bei ihm sind nach Auffassung des EuGH die Zigaretten nach Art. 7 Abs. 2 RL 92/12/EWG mit der Folge bereitgestellt worden, dass er an ihnen zu gewerblichen Zwecken Besitz erlangt hat. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Zigaretten nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 RL 92/12/EWG zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden.

15

c) Für den Fall, dass unversteuerte verbrauchsteuerpflichtige Waren außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung vorgefunden werden, hat der EuGH entschieden, dass der Besitz der betreffenden Ware eine Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr i.S. des Art. 6 Abs. 1 RL 92/12/EWG darstellt (EuGH-Urteil vom 5. April 2001 C-325/99, van de Water, Slg. 2001, I-2729). Nach Auffassung des EuGH ist diese Vorschrift dahin auszulegen, dass der bloße Besitz einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware die Steuerschuldnerschaft begründet, wenn feststeht, dass die Ware noch nicht nach den geltenden gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Vorschriften versteuert worden ist. Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf Art. 7 und Art. 9 Abs. 1 RL 92/12/EWG übertragen. Die Mitgliedstaaten haben dafür Sorge zu tragen, dass eine in ihrem Steuergebiet vorgefundene und aus einem anderen Mitgliedstaat stammende verbrauchsteuerpflichtige Ware, für die die Steuer zwar entstanden, jedoch noch nicht entrichtet worden ist, nicht unversteuert bleibt. Wie der Senat bereits entschieden hat, geht es dem Unionsrecht bei der Bestimmung des (verbrauchsteuerrechtlichen) Abgabenschuldners darum, denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen unmittelbarer Obhut eine Ware sich befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände relativ leicht ausgemacht und zur steuerrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann (Senatsurteil vom 10. Oktober 2007 VII R 49/06, BFHE 218, 469, ZfZ 2008, 85).

16

d) In Bezug auf Art. 7 und Art. 9 RL 92/12/EWG hat der EuGH geurteilt, dass eine Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen, mit der die Eigenschaft als Schuldner der Verbrauchsteuer auf den ersten Besitzer der Waren begrenzt würde, im Widerspruch zum Zweck der RL 92/12/EWG stünde, denn sie würde die Erhebung der mit dem Überschreiten einer Grenze der Union verbundenen Verbrauchsteuern unsicherer machen. Diese Argumentation ist auf die Auslegung des § 19 Satz 2 TabStG übertragbar. Aus den Ausführungen des EuGH lässt sich schließen, dass die Mitgliedstaaten keine nationale Regelung treffen dürfen, die es ausschließt, Personen als Schuldner der Verbrauchsteuer in Anspruch zu nehmen, die nicht die ersten Besitzer der Waren im Bestimmungsland gewesen sind (im Ergebnis so auch Rüsken in ZfZ 2014, 255, nach dem das EuGH-Urteil so zu verstehen sei, dass es das Unionsrecht gebiete, auch einen Zwischenhändler als Steuerschuldner anzusehen).

17

Zwar ist der vom EuGH gebildete Leitsatz in Bezug auf die Steuerschuldnerschaft von Personen, die nicht die ersten Besitzer der in das Bestimmungsland verbrachten Waren sind, offener formuliert als die entsprechenden Ausführungen in der Begründung des Urteils, doch entnimmt der erkennende Senat der Begründung eine hinreichende Antwort auf die Vorlagefrage in dem Sinne, dass eine richtlinienkonforme Auslegung des § 19 Satz 2 TabStG geboten ist. Damit ist die Entscheidung des BGH in NStZ 2010, 644 zumindest aus verbrauchsteuerrechtlicher Sicht als überholt anzusehen. Anlass zur Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes besteht nicht.

18

Empfänger i.S. des § 19 Satz 2 TabStG kann demnach --wie im Streitfall-- auch eine Person sein, die erst nach der Beendigung des Vorgangs des Verbringens aus einem anderen Mitgliedstaat im Steuergebiet Besitz an nicht mit deutschen Steuerzeichen versehenen Zigaretten erlangt hat. Da sich dieses Auslegungsergebnis lediglich auf die tabaksteuerrechtlichen Folgen der vom Kläger vorgenommenen Handlungen bezieht, ist mit einer solchen Deutung keine Entscheidung darüber getroffen, ob § 19 TabStG im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit aus § 370 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) bzw. § 374 AO aus strafrechtlicher Sicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes genügt.

19

3. Da der Kläger durch die Übernahme der unversteuerten Zigaretten im Steuergebiet Besitz an ihnen erlangt hat, ist er als Empfänger der Zigaretten anzusehen. Infolgedessen ist er gemäß § 19 Satz 2 TabStG Schuldner der zuvor entstandenen Tabaksteuer geworden. Das HZA hat ihn somit zu Recht als Steuerschuldner in Anspruch genommen, so dass die Revision keinen Erfolg haben kann.

20

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Tatbestand

I.

1

Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie eines Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen.

2

Im Zuge von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den gesondert verfolgten A kam der Verdacht auf, die Antragstellerin habe von diesem unversteuerte Zigaretten angekauft, um sie gewinnbringend weiterzuverkaufen. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung, die sie mit ihrem Lebenspartner allein bewohnt, wurden am 16.12.2015 in einem Abstellraum drei Stangen (600 Stück) Zigaretten der Marke "B", eine Stange Zigaretten der Marke "C", jeweils ohne Steuerbanderole, sowie vier Stangen (800 Stück) Zigaretten der Marke "D" mit ukrainischer Banderole sichergestellt. Weitere 16 Stangen und drei Schachteln (3.260 Stück) Zigaretten der Marke "E" mit Duty-Free-Kennzeichnung und englischem Warnhinweis wurden im Wohnzimmerschrank aufgefunden.

3

Mit Haftungsbescheid über Tabaksteuer (Registrierkennzeichen: XXX-1) vom 06.04.2016 setzte der Antragsgegner Tabaksteuer in Höhe von ... € im Hinblick auf die bei der Durchsuchung am 16.12.2015 sichergestellten 4.860 unversteuerten Zigaretten fest. Da an den sichergestellten Zigaretten keine deutschen Steuerzeichen angebracht gewesen seien, sei die Tabaksteuer entweder durch Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder durch den erstmals zu gewerblichen Zwecken gehaltenen Besitz entstanden. Diese Zigaretten habe die Antragstellerin mit Bereicherungsabsicht bei dem gesondert verfolgten F angekauft. Hierdurch habe sie die Steuerstraftat der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei begangen. Daher hafte sie für die von dem unbekannten Steuerschuldner hinterzogene Tabaksteuer. Da der Tabaksteuerschuldner nicht zu ermitteln sei, werde sie als Haftungsschuldnerin in voller Höhe in Anspruch genommen. Eine Verschonung als Haftende komme wegen des hohen Verschuldensgrades nicht in Betracht. Hinsichtlich des Entschließungsvermessens liege eine Ermessensreduzierung auf null vor. Das Auswahlermessen werde gegen weitere Haftungsschuldner ausgeübt werden, sofern diese bekannt werden würden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage sei der 16.12.2015 als der Tag, an dem die Steuerschuld festgestellt worden sei. Davon ausgehend werde für die Zigaretten der Mindeststeuersatz in Höhe von ... Cent pro Stück bzw. ... Cent pro Stück berechnet.

4

Mit Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen (Registrierkennzeichen: XXX-2) vom 06.04.2016 setzte der Antragsgegner für die mit dem Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom selben Tag festgesetzten Betrag Hinterziehungszinsen in Höhe von ... € fest.

5

Mit Telefax vom 24.04.2016 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die beiden Bescheide ein und beantragte "Vollstreckungsaussetzung". Es sei nicht nachgewiesen, dass die Zigaretten unter Umgehung der Zollvorschriften nach Deutschland verbracht worden seien. Die Zigaretten seien legal erworben worden.

6

Mit Bescheid vom 11.05.2016 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides über Tabaksteuer ab. Es bestünden bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 361 Abs. 2 AO an der Haftung der Antragstellerin. Sie hafte nach § 71 AO für die verkürzte Tabaksteuer in festgesetzter Höhe, weil sie eine Steuerhehlerei nach § 374 AO begangen habe, indem sie sich die im Einzelnen bezeichneten Zigaretten verschafft habe, hinsichtlich derer Steuern hinterzogen worden seien. Die Tabaksteuer sei zuvor durch das Verbringen der unversteuerten Zigaretten bzw. durch deren Einfuhr entstanden. Es stehe fest, dass sich die Antragstellerin die bei ihr aufgefundenen Zigaretten verschafft habe. Sie habe auch spontan eingeräumt, die Zigaretten von Herrn F erworben zu haben. Nach den Ergebnissen der Telefonüberwachung sei die Antragstellerin auch als Kundin des illegalen Zigarettenhändlers A identifiziert worden. Einwände, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides weckten, habe die Antragstellerin nicht vorgebracht.

7

Mit gleichlautendem Bescheid vom 11.05.2016 lehnte der Antragsgegner auch die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids zu den Hinterziehungszinsen ab.

8

Mit Telefax vom 07.06.2016 hat die Antragstellerin die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie des Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen beantragt. Ihr werde rechtswidrig unterstellt, dass sie eingeräumt habe, die Zigaretten bei Herrn F gekauft zu haben. Sie habe sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen. Tatsächlich stammten die Zigaretten aus mehrfachen Besuchen ihrer Familie in Polen. Mit Herrn F habe sie schon lange keinen Kontakt mehr.

9

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer vom 06.04.2016 und des Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen vom 06.04.2016 auszusetzen.

10

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

11

Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag.

12

Mit Urteil vom ... 2016 (.../...) hat das Amtsgericht G die Antragstellerin wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt; das Urteil ist nicht rechtskräftig.

13

Bei der Entscheidung haben die Einspruchshefte des Antragsgegners (RBL-Nr. ... und ...), die Ermittlungsakte des Zollfahndungsamtes H (StRL ...) sowie die Akte der Staatsanwaltschaft G (.../...) vorgelegen. Auf sie wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.

14

Die gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässigen Anträge haben in der Sache keinen Erfolg.

15

Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Nach § 69 Abs. 2 S. 2 FGO soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

16

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 S. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Bescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (st. Rspr. des BFH, siehe nur Beschl. v. 26.08.2004, V B 243/03, juris, Rn. 14 unter Bezugnahme auf Beschl. v. 10.02.1967, III B 9/66, BFHE 87, 447). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH, Beschl. v. 26.04.2004, VI B 43/04, juris, Rn. 11; Beschl. v. 20.05.1997, VIII B 108/96, juris, Rn. 41). Sie kann auch dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (vgl. BFH, Beschl. v. 23.08.2004, IV S 7/04, juris, Rn. 21). Gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO; siehe Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 123. EL, Mai 2010, § 69 FGO Rn. 94, 123).

17

1. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 06.04.2016 voraussichtlich rechtmäßig. Die Voraussetzungen von § 71 AO sind voraussichtlich erfüllt. Danach haftet derjenige, der eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, für die verkürzten Steuern sowie für die Zinsen (§ 235 AO). Die Antragstellerin dürfte den Tatbestand des § 374 AO erfüllt haben (dazu 1.1). Dass sie im Hinblick auf manche der Zigaretten, für die Tabaksteuer geltend gemacht wird, auch voraussichtlich Steuerschuldnerin ist, steht ihrer Inhaftungnahme nicht entgegen (dazu 1.2). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (dazu 1.3).

18

1.1 Die Antragstellerin hat sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf die am 16.12.2015 in ihrem Wohnhaus sichergestellten 4.860 unversteuerten Zigaretten der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1, Abs. 2 AO strafbar gemacht. Danach wird bestraft, wer Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, gewerbsmäßig ankauft. Da die sichergestellten Zigaretten keine deutschen Steuerbanderolen trugen, steht fest, dass diesbezüglich Tabaksteuer hinterzogen worden ist. Die Antragstellerin hat diese Zigaretten gewerbsmäßig angekauft. Dies hat das Amtsgericht G in seinem Urteil vom ... 2016 (.../...) festgestellt. Die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils macht sich der Senat zu Eigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urt. v. 10.01.1978, VII R 106/74, BFHE 124, 305, juris Rn. 12; Urt. v. 26.04.1988, VII R 124/85, BFHE 153, 463, juris Rn. 13; Beschl. v. 25.02.1992, VII B 125/91, BFH/NV 1993, 4, juris Rn. 14; Urt. v. 02.12.2003, VII R 17/03, juris Rn. 18; Beschl. v. 13.01.2005, VII B 261/04, BFH/NV 2005, 936, juris Rn. 8; Beschl. v. 29.01.2007, V B 160/06, V B 161V B 161/06, juris Rn. 10; Beschl. v. 02.07.2008, VII B 242/07, juris Rn. 8; Beschl. v. 30.07.2009, VIII B 214/07, juris Rn. 7; Beschl. vom 24.05.2013, VII B 155/12, juris Rn. 7; Beschl. v. 24.09.2013, XI B 75/12, juris Rn. 13) ist dies den Finanzgerichten erlaubt, wenn und soweit sie zu der Überzeugung gelangen, dass die strafgerichtlichen Feststellungen zutreffen, sie nicht substantiiert bestritten und keine entsprechenden Beweisanträge gestellt werden, die nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet bleiben können. Dies gilt auch für nicht rechtskräftige Urteile (Seer in Tipke/Kruse, 138. EL Okt. 2014, § 81 FGO Rn. 28 m. w. N.).

19

Nach Aktenlage ist der Senat davon überzeugt, dass das Urteil des AG G hinsichtlich des Ausspruchs, dass sich die Antragstellerin der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 2, Abs. 1 AO) strafbar gemacht hat, zutreffend ist. Das Amtsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Auswertung der vorliegenden TÜ-Protokolle die Antragstellerin bei dem gesondert verfolgten A in sieben näher bezeichneten Fällen unversteuerte und unverzollte Zigaretten der Marken "C", "B", "D" und "E" bestellt und erhalten habe. Die Überprüfung des Mobiltelefons, das die Antragstellerin bei der Hausdurchsuchung bei sich geführt habe, habe ergeben, dass die dort gespeicherten Telefonnummern diejenigen der gesondert verfolgten A und F gewesen seien. Auch wenn dieses Telefon auf ihre Tochter J registriert sei, sei es ausschließlich von der Antragstellerin genutzt worden. Hinsichtlich des Falles Nr. 8 stehe aufgrund der Anzahl der aufgefundenen Zigaretten fest, dass die Antragstellerin gewerbsmäßig gehandelt habe. Diese lebensnahen Feststellungen hat das Amtsgericht unter Einbeziehung der aussagekräftigen TÜ-Protokolle und der Vernehmung der für die Telefonüberwachung und die Hausdurchsuchung zuständigen Ermittlungsbeamten getroffen. In Anbetracht der insgesamt zwischen dem 03.03.2015 und dem 11.05.2015 angekauften 46.400 Zigaretten ist die Behauptung der Antragstellerin, dass die bei ihr sichergestellten Zigaretten für den Eigenbedarf erworben worden seien, auch dann nicht glaubhaft, wenn man davon ausgeht, dass sie und ihr Lebenspartner starke Raucher sind.

20

Die Antragstellerin hat diese Feststellungen nicht substantiiert bestritten und auch keine Beweisanträge gestellt. Ihr Vortrag beschränkt sich vielmehr auf die Behauptung, dass sie die sichergestellten Zigaretten bei mehreren, im Einzelnen nicht näher bezeichneten Familienbesuchen in Polen erworben und im Rahmen der zulässigen Freimengen ins Steuergebiet verbracht habe. Dieser Vortrag ist schon nicht hinreichend substantiiert, weil im Einzelnen nicht dargelegt ist, wann, wo und durch wen welche Zigaretten in Polen erworben wurden. Gegen die Glaubhaftigkeit dieses Vortrags spricht darüber hinaus, dass es sich bei den 16 Stangen und drei Schachteln Zigaretten der Marke E nach Auskunft des Herstellers um Fälschungen handelt und Zigaretten derselben Marke und derselben Chargennummer bei dem Lieferanten der Antragstellerin, dem gesondert verfolgten A, gefunden wurden (Bl. ... der Strafakte).

21

1.2 Der Inanspruchnahme der Antragstellerin als Haftungsschuldnerin nach § 71 AO steht nicht entgegen, dass sie im Hinblick auf die 16 Stangen und drei Schachteln (3.260 Stück) Zigaretten der Marke "E" mit Duty-Free-Kennzeichnung (im Folgenden: Duty-Free-Zigaretten), für die ... € Tabaksteuer angefallen sind, zugleich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Steuerschuldnerin ist.

22

1.2.1 Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin - neben den unbekannt gebliebenen Personen, die die Ware verbracht oder eingeführt haben - im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten Steuerschuldnerin gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG ist. Danach ist - anders als bei der Einfuhr über einen Drittstaat, bei dem gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TabakStG nur derjenige die Steuer schuldet, der an der Einfuhr beteiligt ist - im Falle der Verbringung der Schmuggelware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat Steuerschuldner auch derjenige, der die Tabakwaren in Besitz hält, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.11.2014 (VII R 44/11, ZfZ 2015, 108) zu § 19 S. 2 TabakStG 1993 - der Vorgängervorschrift von § 23 Abs. 1 TabakStG - entschieden, dass Empfänger der Tabakwaren auch derjenige sein kann, der sie vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernimmt (Rn. 13 des Urteils). Zwar sei der Wortlaut von § 19 S. 2 TabakStG 1993 insoweit mehrdeutig. Er müsse jedoch im Lichte von Art. 7 und 9 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass Empfänger auch diejenige Person sein könne, die nach dem eigentlichen Verbringungsvorgang Besitz an den Waren erlange.

23

Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat für § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG an, weil die Fassungen keine wesentlichen Unterschiede enthalten (BR-Drs. 169/09 v. 20.02.2009, S. 144: "[§ 23] Absatz 1 entspricht im Wesentlichen der bisherigen Regelung"; so auch Weidemann, ZfZ 2015, 111, 111). Eine solche Besitzerin im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG war auch die Antragstellerin, weil die Zigaretten in ihrem Herrschaftsbereich aufgefunden wurden.

24

§ 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG ist vorliegend auch anwendbar. Der Senat hält es nach Aktenlage nämlich für überwiegend wahrscheinlich, dass die Duty-Free-Zigaretten aus einem anderen EU-Mitgliedstaat, nämlich Polen oder Tschechien, ins Steuergebiet verbracht wurden. Zwar ergibt sich aus der im Senatsurteil vom 15.07.2015 (4 K 43/15, juris Rn. 29 f.) zitierten Studie, dass unverzollte und unversteuerte Zigaretten auf verschiedenen Wegen ins Bundesgebiet geschmuggelt werden. Vorliegend verdichten sich jedoch im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten die Indizien, die ihre Verbringung überwiegend wahrscheinlich machen. So wurden nach dem Vermerk des ZFA H bei dem mutmaßlichen Lieferanten der Antragstellerin, dem A, polnische Lieferanten von Schmuggelware beobachtet (Bl. ... der Strafakte). Für die Verbringung der (gefälschten) Duty-Free-Ware spricht auch die abgehörte Aussage des A in dem Telefonat mit der Antragstellerin vom 28.04.2015 (Bl. ... der Strafakte), nach dem Duty-Free-Ware "einzeln rüber geschafft" werde. Weiter führt der A aus: "Da ist einer, die sammeln für den und dann bringen die das Einzeln am Körper rüber. Der hat da 20 Mann laufen die jeden Tag über die Grenze machen und ihm stangenweise das Zeug bringen". Der Senat hält diese Aussage für glaubhaft. Es ist auch nachvollziehbar, dass im Rahmen der Strukturen organisierter Kriminalität versucht wird, auf diesem Wege das Entdeckungsrisiko zu streuen. Wenn Personen einzelne Stangen am Körper über die Grenze tragen, kann es sich nur um eine Landgrenze der Bundesrepublik handeln, so dass die Zigaretten über die deutsch-polnische oder deutsch-tschechische Grenze verbracht worden sein müssen. Dass es sich nach Aussage des A in demselben Telefonat um Waren der "englische[n] Schiene" handele, steht hierzu nicht im Widerspruch. Damit nimmt er nämlich Bezug auf die englische Beschriftung der Ware. Im Übrigen hat die Herstellerfirma festgestellt, dass die Zigaretten mit Duty-Free-Kennzeichnung gefälscht wurden und daher in einem beliebigen anderen Land als Großbritannien hergestellt worden sein können.

25

1.2.2 Der Umstand, dass die Antragstellerin im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten auch Steuerschuldnerin ist, steht ihrer Inhaftungnahme nach § 71 AO nicht entgegen.

26

Zwar bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs "haften" im Sinne der Abgabenordnung das Einstehen für eine fremde Schuld. Daher sei es ausgeschlossen, dass jemand für eine eigene Schuld hafte (BFH, Urt. v. 12.05.1970, VII R 34/68, BStBl II 1970, 606, BFHE 99, 178, 180 = juris Rn. 10, zu § 111 RAO; Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, BFHE 120, 329, 332 f. = juris Rn. 13 f., zu § 111 RAO; Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, BFHE 149, 505, 506 = juris Rn. 6; Urt. v. 14.12.1988, VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549, 550 = juris Rn. 10; BFH, Beschl. v. 11.07.2001, VII R 29/99, HFR 2002, 277, juris Rn. 11; im Anschluss hieran BFH, Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, BFHE 212, 398, 404 = juris Rn. 27; a. A. noch BFH, Urt. v. 30.11.1951, II z 148/51 U, BFHE 56, 39, 42 = juris Rn. 11, zu § 111 AO). Zur Begründung der Exklusivität von Schuld und Haftung in der Abgabenordnung wird neben dem Postulat einer begrifflichen Unvereinbarkeit von Schuld und Haftung (BFH, Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, juris Rn. 6; Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, juris Rn. 27) darauf abgestellt, dass in § 97 Abs. 2 RAO die Vorschriften für die Steuerpflichtigen, die nach § 97 Abs. 1 RAO nur die Steuerschuldner waren, nur sinngemäß auf die Haftenden für anwendbar erklärt wurden und nach § 149 RAO ein Haftungsbescheid grundsätzlich nicht mehr ergehen durfte, wenn die Steuerschuld verjährt war. Hierin komme nicht nur zum Ausdruck, dass primär der Steuerschuldner herangezogen werden solle und dass die Haftung nur eine Hilfsfunktion ausübe, sondern auch, dass nur derjenige haften könne, der nicht selbst Steuerschuldner sei (BFH, Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13). Die überwiegende Literatur hat sich dieser Ansicht auch im Hinblick auf § 71 AO angeschlossen (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 233. EL Juni 2015, § 71 AO Rn. 4; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, 124. EL, § 71 AO, Rn. 7; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7 vor § 69 AO Rn. 11; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 142. EL Okt. 2015, § 33 AO Rn. 5; Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 46 f.; a. A. Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, 1990, S. 9, 96 m. w. N.). Für § 71 AO würde das Dogma der Exklusivität von Schuld und Haftung bedeuten, dass die Vorschrift um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal (so ausdrücklich Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) "und der Haftende kein Steuerschuldner ist" ergänzt werden müsse.

27

Der Senat teilt diese Auffassung im Hinblick auf § 71 AO nicht. Die vom Bundesfinanzhof erstmals zu § 111 Abs. 1 RAO entwickelte Begründung für die Exklusivität von Schuld und Haftung ist unter der Geltung der heutigen Abgabenordnung nicht auf § 71 AO übertragbar. § 71 AO ist folglich nicht um ein ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal zu ergänzen. Weder begriffliche noch gesetzessystematische oder historische Argumente machen eine derartige Ergänzung des Wortlauts erforderlich. Die Genese von § 71 AO sowie ihrer Vorgängervorschriften sprechen vielmehr eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber bewusst auf dieses zusätzliche Merkmal verzichtet hat. Im Einzelnen:

28

Zunächst ist es begrifflich keineswegs zwingend, dass sich Schuld und Haftung gegenseitig ausschließen. Die Wörter "Schuld" und "Haftung" allein legen dies gerade nicht nahe. Begrifflich schließen sie sich nur dann aus, wenn Schuld und Haftung als exklusive Rechtsinstitute definiert werden. Ebenso gut lässt sich Haftung auch als Eigenhaftung definieren (so ausdrücklich Mösbauer, a. a. O., S. 9 und S. 96; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 17). Die Abgabenordnung definiert den ihr zugrundeliegenden Haftungsbegriff nicht. § 191 Abs. 1 AO bestimmt lediglich den Begriff "Haftungsschuldner" als diejenige Person, die "kraft Gesetzes für eine Steuer haftet". Die Vorschrift verweist damit auf den Inhalt der Haftungstatbestände (§§ 69-76 AO), ohne diese inhaltlich näher zu konkretisieren. Im Übrigen verwendet die Abgabenordnung die Begriffe Schuld und Haftung nicht konsistent. Neben der genannten Legaldefinition des Haftungsschuldners als Haftender i. S. d. §§ 69 ff. AO spricht § 45 Abs. 2 S. 1 AO von der "Haftung" der Erben, meint aber deren bürgerlich-rechtliche Schuld. § 45 Abs. 2 S. 2 AO wiederum verweist mit den Vorschriften über eine "steuerrechtliche Haftung der Erben" wiederum auf die §§ 69 ff. AO. Darüber hinaus ist das vom Bundesfinanzhof zur Begründung für sein Postulat angeführte Verhältnis zwischen Steuerschuld und Haftung, das in § 97 Abs. 1 und Abs. 2 RAO zum Ausdruck kam (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13), mittlerweile dogmatisch umgestaltet worden. In § 33 Abs. 1 AO werden Steuerschuldner und Haftende gleichberechtigt und -verpflichtet als Steuerpflichtige benannt. Sie werden damit abgabenrechtlich gleichgestellt (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, vor § 69 AO Rn. 12; Olgemöller, Haftung für Zollschulden, ZfZ 2006, 74, 77 m. w. N.) und konsequenterweise in § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner behandelt. Selbst wenn mit dem Bundesfinanzhof (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13) die Akzessorietät und Subsidiarität der Haftung gegenüber der Steuerschuldnerschaft (§§ 191 Abs. 5 S. 1, § 219 S. 1 AO) Anhaltspunkte für eine vom Gesetzgeber gewollte Exklusivität von Schuld und Haftung wären, könnten sie - anders als bei § 111 RAO, auf den sich das genannte Urteil des Bundesfinanzhofs bezog - für die hier in Rede stehende Haftung nach § 71 AO nicht fruchtbar gemacht werden. Die Haftung des Steuerhehlers ist nämlich weder akzessorisch (§ 191 Abs. 5 S. 2 AO) noch subsidiär (§ 219 S. 2 AO). Weiter belegt die Entwicklung der Wortlaute der Vorgängervorschriften von § 71 AO, dass der Abgabenordnung für den hier in Rede stehenden Bereich der Steuerhaftung des deliktisch Handelnden nicht die ungeschriebene Vorstellung zugrunde lag, dass eine Person nicht auch für eine eigene Schuld haften könne. Im Einzelnen: Unmittelbarer Vorläufer von § 71 AO war der im Jahre 1929 in die RAO 1919 eingefügte § 92a AO (Art. VII Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes v. 22.12.1929, RGBl. 1929 I 234, 238), der unverändert als § 112 in die Reichsabgabenordnung 1931 RAO (RGBl. 1931 I 161, 177) übernommen wurde. Die Vorschrift enthielt in ihrer ursprünglichen Fassung die Voraussetzung, dass der Steuerhinterzieher oder Steuerhehler nur haftet, "soweit er nicht Steuerschuldner ist". Sie geht auf die Studie von Goetzeler (Die Steuerhinterziehung als Rechtsgrundlage für die steuerliche Pflicht des Hinterziehers, VJSchrStuFR 1928, 197) zurück, der die Steuerdeliktsobligation nicht als Steuerschuld-, sondern als Haftungstatbestand begriff (a. a. O., insbes. S. 241 ff., 259 ff.). Zweck der Vorschrift war es, den Steuerhinterzieher, der nicht bereits Steuerschuldner ist, neben dem Steuerschuldner in Anspruch nehmen zu können (Reinhardt, Haftung bei Steuerhinterziehung (§ 112 AO), DStZ 1936, 597, 597). Die Vorschrift des § 112 RAO ging also nach ihrem klaren Wortlaut von einer Exklusivität von Schuld und Haftung aus. Konsequenterweise verlangte der Reichsfinanzhof, dass für die Geltendmachung des Haftungsanspruchs aus § 112 RAO grundsätzlich die Feststellung erforderlich sei, dass der in Anspruch Genommene nicht Steuerschuldner sei (Urt. v. 25.01.1933, IV A 70/32, RFHE 32, 276). In Reaktion auf dieses Urteil wurde § 112 RAO jedoch im Jahre 1934 dahingehend geändert, dass der in Anspruch Genommene haftet, "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" (Abschnitt II Nr. 10 des Steueranpassungsgesetzes v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 925, 932). Der Gesetzgeber wollte die Finanzbehörden hierdurch von der Notwendigkeit entbinden, die Feststellung treffen zu müssen, dass der in Haftung Genommene nicht Steuerschuldner ist. Dieser Arbeitsaufwand sei fachlich nicht gerechtfertigt, weil es für den in Anspruch Genommenen unerheblich sei, ob er als Steuerschuldner oder Haftender verpflichtet werde (Reinhardt, a. a. O., 598). Für die Inhaftungnahme einer Person war es nach dieser Gesetzesänderung damit unschädlich, dass sie auch Steuerschuldnerin war. Die hierin zum Ausdruck kommende Koexistenz von Schuld und Haftung bei der Heranziehung des Steuerhinterziehers entsprach der seit 1931 vertretenen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Reichsgerichts zu einer Vorgängervorschrift von § 92a bzw. 112 RAO, dem § 135 Vereins-Zollgesetz (VZG, Text bei Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, 1991, S. 43). Nach § 135 S. 2 VZG musste der Steuerhehler die hinterzogenen Abgaben entrichten, und zwar unabhängig davon, ob er Steuerschuldner i. S. v. § 13 VZG war (RFH, Urt. v. 02.03.1931, IV A 217/31, RFHE 30, 227, 229 f.). Aus der Änderung des Wortlauts von § 112 RAO im Jahr 1934 wurde in der Literatur zurecht gefolgert, dass damit das Postulat des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei, überholt sei (von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, RAO/FGO, 77. EL Juni 1974, Rn. 1; so i. E. auch noch Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 1961, § 112 RAO; die Gesetzesänderung ignorierend dagegen: Kühn, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl. 1950, § 112 Rn. 2). Auch der Bundesfinanzhof erwähnt die durch die Entscheidung des Reichsfinanzhofs ausgelöste Änderung des § 112 RAO, erläutert jedoch nicht, warum die eindeutig gegen eine Exklusivität von Schuld und Haftung sprechende Formulierung ("auch wenn er nicht Steuerschuldner ist") "nur dem Scheine" nach auf der Vorstellung der Koexistenz von Schuld und Haftung beruhen solle (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 14). Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der heutigen Fassung von § 71 AO gegen die Exklusivität von Schuld und Haftung bei dieser Norm. § 112 RAO i. d. F. von 1934 blieb bis zur Ablösung durch § 71 AO unverändert. In den gleichlautenden Entwürfen der Abgabenordnung 1974 wurde - unter Erweiterung auf die Teilnehmer an der Steuerstraftat - dessen Inhalt in § 71 AO übernommen (BT-Drs. VI/1982, S. 29; 7/79, S. 30), wobei der Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" weggelassen wurde. In der Begründung der Abgabenordnung 1974 heißt es lediglich: "Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 112 AO" (BT-Drs. VI/1982, S. 120). Die Auslassung des genannten Zusatzes wird in der Begründung nicht erwähnt. Dass der Entwurf von § 71 AO einerseits betont, dass die Vorschrift dem bisherigen § 112 RAO entspreche, die Auslassung des hier in Rede stehenden Einschubs dagegen nicht erwähnt, kann nur so verstanden werden, dass es sich hierbei um eine Änderung handeln sollte, die den materiellen Gehalt der Norm nicht verändert. Damit sollte das Verhältnis von Schuld und Haftung bei § 71 AO so beibehalten werden, wie es bereits in § 112 AO ausgestaltet war. Der Wortlaut von § 112 RAO i. d. F. von 1934, wonach der in Anspruch Genommene haftet, auch wenn er nicht Steuerschuldner ist, kann jedoch nur so verstanden werden, dass gerade keine Exklusivität von Schuld und Haftung besteht. Die Umformulierung des hier in Rede stehenden Einschubs war - wie dargelegt - gerade eine Reaktion auf die Forderung des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei. Hätte man das Exklusivitätsdogma in § 71 AO positivieren und damit zur ursprünglichen Fassung von § 112 RAO zurückkehren wollen, hätte dies in der Gesetzesbegründung zur Abgabenordnung 1974 Anklang finden müssen. Dass dies gerade nicht gewollt war, ergibt sich aus einem Vergleich mit der Gesetzesbegründung zu § 70 AO. Dort wurde nämlich - in Ergänzung der Vorgängervorschrift des § 111 Abs. 1 RAO - aufgenommen, dass nur diejenigen Vertretenen haften könnten, "soweit sie nicht Steuerschuldner sind". Zur Begründung (BT-Drs. VI/1982, S. 119) wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 12.05.1970 (VII R 34/68, BStBl. II 1970, 606), in der er für § 111 RAO - in Abkehr von einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 1951 (siehe oben) - gestützt auf § 97 Abs. 2 AO die Exklusivitätsthese von Schuld und Haftung aufgestellt hatte. Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber auf die dargelegte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert hat. Dies erfolgte allerdings in Bezug auf die Vorschrift, zu der sich auch die Entscheidungen verhalten, nämlich § 111 RAO bzw. § 70 AO, nicht jedoch zu § 71 AO. "Kurios" (so Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7) ist der Umstand, dass § 70 AO sich - anders als § 111 RAO - mit dem Verhältnis von Schuld und Haftung auseinandersetzt, während § 71 AO dies - anders als § 112 RAO - nicht tut, nur dann, wenn man von einem ungeschriebenen Exklusivitätsdogma von Schuld und Haftung ausgeht. Löst man sich jedoch von diesem Vorverständnis, stellt sich die Neufassung von §§ 70 f. AO als planvolle Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dar.

29

Auch wenn der Befund zutreffen mag, dass sich nach der "Systematik der Abgabenordnung" (so Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) oder "dem Steuerrecht" (so Koch in AO 1977, 2. Aufl. 1979, § 71 Rn. 3; ähnlich Bax, a. a. O., S. 28 m. w. N.; siehe schon Arens, Zum Begriff der Haftung im geltenden Steuerrecht, VJSchrStuFR 1927, 567, 574 u. 647; Goetzeler, a. a. O., 236) Schuld und Haftung ausschließen, man also nur für eine fremde Schuld haften kann, handelt es sich hierbei nicht um ein Dogma, sondern einen Grundsatz, der sich aus der Analyse des einfachen Rechts ergeben hat. Dies impliziert, dass Durchbrechungen möglich sind (siehe bereits Goetzeler, a. a. O., 236). Die vorigen Ausführungen zeigen, dass im Falle von § 71 AO eine solche Ausnahme gemacht wurde. Sähe man dies anders, könnte der Zweck der Haftung - die Sicherung der Zahlung der Steuerschuld - nur noch schwer erreicht werden, wenn die Steuerbehörde - wie im vorliegenden Fall - bei Erlass des Bescheids nicht genau wissen kann, ob die Besitzerin der Zigaretten, die statt der unbekannten Schmuggler herangezogen werden soll, Steuerschuldnerin oder Haftende ist. Die nach der hier vertretenen Lesart von § 71 AO gegenüber anderen Haftungsvorschriften vereinfachte Inanspruchnahme des Haftenden fügt sich nahtlos ein in eine Reihe von Vorschriften, die die Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers gegenüber anderen Steuerpflichtigen erleichtern. Neben den bereits erwähnten §§ 191 Abs. 5 S. 2 und 219 S. 2 AO wird durch § 169 Abs. 1 S. 2 AO die Festsetzungsfrist für die hinterzogene Steuer auf zehn Jahre ausgedehnt. Die Sperrwirkung für die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden, die auf eine Außenprüfung zurückgehen, gilt nicht im Falle einer Steuerhinterziehung (§ 173 Abs. 2 AO). Außerdem ist mit § 235 AO eine Verzinsungspflicht für hinterzogene Steuern niedergelegt. Schließlich findet sich auch an anderer Stelle im Steuerrecht eine Durchbrechung des Grundsatzes der Exklusivität von Schuld und Haftung. In § 7 Abs. 8 S. 3 Versicherungsteuergesetz (BGBl. 1996 I 22) wird die Grenze zwischen Schuld und Haftung vollständig aufgehoben, indem der Haftende sowohl durch Steuer- als auch durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann. Die Frage, ob der Steuerschuldner auch als Haftender (durch Haftungsbescheid) in Anspruch genommen werden darf, kann vor diesem Hintergrund nicht kategorial beantwortet werden. Es ist vielmehr eine Frage der steuerpolitischen Wertung, wie weit die Zugriffsmöglichkeiten der Finanzverwaltung reichen sollen und welcher begründungsmäßige Aufwand hierfür erforderlich ist. Die Antwort hierauf hat der Gesetzgeber über die Zeit unterschiedlich und nuanciert für verschiedene Haftungstatbestände gegeben.

30

1.3 Das dem Antragsgegner gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO eröffnete Ermessen wurde fehlerfrei ausgeübt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Entschließungs- und Auswahlermessen der Finanzbehörde im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat in der Weise vorgeprägt ist, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf. Nach dieser ständigen Rechtsprechung gilt die Vorprägung des Ermessens uneingeschränkt und ausnahmslos, so dass auch die Höhe des Haftungsanspruchs erfasst wird (BFH, Beschl. v. 14.02.2006, VII B 119/05, juris Rn. 8 m. w. N.). Vorliegend hat der Antragsgegner erkannt, dass ihm Ermessen zusteht und er dies entsprechend den genannten Grundsätzen ausüben darf.

31

2. Gemessen an den oben genannten Maßstäben ist auch der Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen vom 06.04.2016 voraussichtlich rechtmäßig. Gemäß § 235 Abs. 1 S. 1 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind (§ 235 Abs. 1 S. 2 AO). Nach dem oben Dargelegten hat die Antragstellerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die hier geltend gemachten Tabaksteuern hinterzogen. Diese Hinterziehung erfolgte auch zu ihrem Vorteil, weil sie die Zigaretten nur deshalb gewinnbringend weiter verkaufen konnte, weil weder ihr Lieferant noch sie Tabaksteuer abgeführt haben. Die Zinsen wurden der Höhe nach gemäß § 238 Abs. 1, Abs. 2 AO zutreffend berechnet.

32

3. Die Vollziehung hätte für die Antragstellerin auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge. Hierzu ist weder etwas vorgetragen noch sonst aus der Akte ersichtlich.

III.

33

Die Kosten des Verfahrens fallen der Antragstellerin zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO).

34

Die Beschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und im Hinblick auf eine einheitliche Rechtsprechung zur Auslegung von § 71 AO zuzulassen (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO).

Tatbestand

1

I. Bei einer Kontrolle des Fahrzeugs des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) stellten Beamte des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt --HZA--) in einem doppelten Boden unter der Rückbank insgesamt 93 200 unversteuerte Zigaretten der Marke X mit ukrainischen Steuerzeichen fest. Der Mitreisende W bekannte sich vor Ort zu den Zigaretten. Aufgrund der Umstände des Aufgriffs sah das HZA den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) als erfüllt an und setzte gegen den Kläger insgesamt 13.020,04 € Tabaksteuer fest. Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe sein Fahrzeug auf Vermittlung des W in der Ukraine zu einem Wohnmobil umbauen lassen, was W dazu benutzt habe, ohne sein Wissen einen doppelten Boden einzubauen. Nach Deutschland sei er als Halter des Fahrzeugs nur mitgefahren, damit dieses den ukrainischen Zoll habe passieren können.

2

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Kläger habe die aufgefundenen Zigaretten im Steuergebiet erstmals zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten, weshalb die Tabaksteuer nach § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG entstanden sei. Dabei sei es unbeachtlich, dass er von den Zigaretten keine Kenntnis gehabt habe, denn er habe die Möglichkeit der Sachherrschaft über sein Fahrzeug einschließlich aller darin befindlichen Gegenstände gehabt. Aufgrund der aufgefundenen Menge der Zigaretten sei ein Besitz zu rein persönlichen Gründen auszuschließen.

3

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und wegen unzureichender Sachaufklärung (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Zu entscheiden sei über die Frage, ob eine Person als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden könne, obwohl sie keinerlei Kenntnis von dem Sachverhalt gehabt habe, der der Inanspruchnahme als Steuerschuldner zugrunde liege, und infolgedessen die Steuerentstehung auch nicht habe verhindern können. Von dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Oktober 2007 VII R 49/06 (BFHE 218, 469, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2008, 85) zugrunde liegt, unterscheide sich der Streitfall dadurch, dass er, der Kläger, nicht strafrechtlich verurteilt worden sei und keine Ladung als LKW-Fahrer transportiert habe, die er habe kontrollieren und deren Transport habe verhindern können. Sein Besitzwille habe sich folglich nicht auf die von W versteckten Zigaretten erstrecken können, zumal sich W als eigentlich verantwortliche Person im Fahrzeug befunden habe. Deshalb sei es ermessensgerecht, nur diesen als Steuerschuldner heranzuziehen. Weder das HZA noch das FG hätten Ermittlungen zu der Frage angestellt, ob die Zigaretten überhaupt zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht worden seien. Dies stelle einen Verfahrensmangel dar. 93 200 Zigaretten verbrauche eine fünfköpfige Familie bei einem Konsum von 20 Zigaretten pro Tag in zweieinhalb Jahren, so dass im Streitfall von einem Verbringen zu privaten Zwecken auszugehen sei.

Entscheidungsgründe

4

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der vom Kläger aufgeworfenen Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Hinsichtlich des behaupteten Verfahrensmangels genügen die Ausführungen nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.

5

1. Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist. Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, also mehrere Lösungen vertretbar sind (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, und vom 31. Mai 2000 X B 111/99, BFH/NV 2000, 1461). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 4. Mai 1999 IX B 38/99, BFHE 188, 395, BStBl II 1999, 587).

 

6

So liegt es im Streitfall. Zu Recht hat das FG unter Hinweis auf das Senatsurteil in BFHE 218, 469, ZfZ 2008, 85 entschieden, der Kläger habe durch sein Handeln den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG erfüllt. Danach entsteht die Tabaksteuer, wenn Tabakwaren in anderen als den in § 22 Abs. 1 TabStG genannten Fällen entgegen § 17 Abs. 1 TabStG aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbracht werden, in dem Zeitpunkt, in dem die Tabakwaren erstmals zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden. Entgegen der Auffassung der Beschwerde lassen sich die Grundsätze, die der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 218, 469, ZfZ 2008, 85 zur Auslegung der Vorgängervorschrift des § 19 TabStG a.F. aufgestellt hat, auch auf den Streitfall übertragen. Nach der Rechtsprechung des Senats, die zu überdenken der Streitfall keinen Anlass gibt, liegt es auf der Hand, dass der Führer eines Fahrzeugs die Möglichkeit der Sachherrschaft über sein Fahrzeug und alle in ihm befindlichen Gegenstände hat. Eine Einschränkung hat der Senat allenfalls in Bezug auf das persönliche Gepäck von Mitreisenden in Betracht gezogen, wobei er in diesem Zusammenhang von in einer Besitzenklave aufbewahrten Sachen ausgegangen ist. Im Streitfall befanden sich die Zigaretten jedoch nicht in den von W mitgeführten persönlichen Behältnissen, sondern in einem in das Fahrzeug eingebauten doppelten Boden. Selbst wenn der Kläger tatsächlich keine Kenntnis von den Zigaretten gehabt haben sollte, können diese nicht als im persönlichen Gepäck des W befindlich angesehen werden, zumal dieser daran gehindert gewesen wäre, das in das Fahrzeug integrierte Versteck samt den Zigaretten beim Verlassen des Fahrzeugs ohne weiteres zu entfernen.

7

Somit ist davon auszugehen, dass sich der Besitzwille des Klägers nicht nur auf sein Fahrzeug, sondern auch auf alle in ihm befindlichen Gegenstände --einschließlich der im unerkannten Versteck aufbewahrten Zigaretten-- und damit auf eine Gesamtheit von Fahrzeug und Inhalt erstreckt hat. Wie der beschließende Senat bereits entschieden hat, bezieht sich der Besitz im Sinne einer von Besitzwillen getragenen Sachherrschaft auf die in einem Raum oder in einem Behältnis wie einem LKW befindlichen Sachen. Bei dieser Betrachtung besteht kein Grund, zwischen einem LKW und einem zu privaten Zwecken genutzten PKW zu unterscheiden. Denn bei der Bestimmung des (verbrauchsteuerrechtlichen) Abgabenschuldners geht es dem Unionsrecht und auch dem nationalen Verbrauchsteuerrecht darum, denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen Obhut sich eine Ware befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände relativ leicht ausgemacht und zur steuerrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann.

8

2. Soweit die Beschwerde eine Verletzung der dem FG nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Sachaufklärungspflicht darin erblicken will, dass das FG nicht ermittelt hat, ob die Zigaretten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht worden sind, genügen die Ausführungen nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.

9

a) Wird geltend gemacht, das FG hätte den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Antrag des im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesenden Prozessvertreters des Klägers von Amts wegen umfassender aufklären müssen, ist u.a. darzulegen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei der weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes auf der Grundlage des materiellen Rechtsstandpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Senatsbeschluss vom 28. August 2003 VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493, 494, m.w.N.). Schließlich gehört zur ordnungsgemäßen Darlegung des Verfahrensfehlers mangelhafter Sachaufklärung nach ständiger Rechtsprechung auch der Vortrag, dass die nicht zureichende Aufklärung des Sachverhaltes und die Nichterhebung weiterer (angebotener) Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1989 IV R 299/83, BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727, und Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2003 VII B 10/03, BFH/NV 2004, 529). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust --z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde-- zur Folge. Das Übergehen eines Beweisantrages oder einer unvollständigen Zeugeneinvernahme kann deshalb im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen Verhandlung fachkundig vertretene Beteiligte, dem die Nichtbefolgung eines Beweisantrages oder die mangelhafte Sachaufklärung während der Zeugenbefragung erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597).

10

b) Zur mündlichen Verhandlung sind weder der Kläger noch sein Prozessvertreter erschienen. Dadurch, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen haben, haben sie sich der Möglichkeit begeben, auf die Sachaufklärung durch das FG Einfluss zu nehmen und sachdienliche Beweisanträge zu stellen. In Anbetracht dieses Befundes legt die Beschwerde nicht hinreichend dar, warum sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen. Dabei ist die Annahme des FG, bei einer Menge von 93 200 Zigaretten erscheine es ausgeschlossen, dass die Zigaretten privaten Zwecken dienten, nicht nur nachvollziehbar sondern sehr naheliegend. Darüber hinaus setzt sich die Beschwerde nicht mit der Rechtsansicht des Senats auseinander, nach der es in Bezug auf die Steuerentstehung nicht darauf ankommt, ob der Verbringer der Zigaretten selbst gewerbliche Zwecke verfolgt. Ausreichend ist vielmehr, dass die Zigaretten nach ihrem Verbringen im Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken verwendet werden sollen (Senatsurteil in BFHE 218, 469, 476, ZfZ 2008, 85).

11

3. Soweit die Beschwerde rügt, das FG habe zu Unrecht die Betätigung des Auswahlermessens durch das HZA unbeanstandet gelassen, wendet sie sich gegen die rechtliche Würdigung des FG. Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen jedoch nicht die Zulassung der Revision (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Mai 2009 VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.). Denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile umfassend zu gewährleisten.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung einer Steueranmeldung betreffend Kernbrennstoffsteuer, wobei zwischen den Beteiligten kein Streit besteht über die zutreffende Anwendung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vom 08.12.2010 (BGBl. I S. 1804 - KernbrStG -), sondern ausschließlich über die Frage, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz selbst rechtmäßig ist.

2

A. 1. Die Antragstellerin betreibt von den neun ... gegenwärtig in Deutschland noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken unter anderem das streitgegenständliche Kernkraftwerk in X. Sie ist im Besitz der dafür erforderlichen atomrechtlichen Genehmigung.

3

Am 16.06.2011 setzte die Antragstellerin Brennelemente in den Kernreaktor des Kernkraftwerks X ein und löste eine sich selbsttragende Kettenreaktion aus. In ihrer für den Monat Juni 2011 abgegebenen Steueranmeldung berechnete die Antragstellerin eine Steuer von EUR 96.347.570,-, die sie in der Folgezeit zunächst entrichtete.

4

2. Auf ihren vorläufigen Rechtsschutzantrag hob das Finanzgericht Hamburg mit Beschluss vom 16.09.2011 (4 V 133/11) die Vollziehung der Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung mit der Begründung auf, dass es ernstlich zweifelhaft sei, ob dem Bund für den Erlass der Kernbrennstoffsteuer eine Gesetzgebungskompetenz zustehe. Ob das Kernbrennstoffsteuergesetz im Übrigen verfassungs- und europarechtsgemäß sei, ließ der Senat dahingestellt.

5

Auf die vom Antragsgegner erhobene Beschwerde hob der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 09.03.2012 (VII B 171/11) den Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 16.09.2001 auf und lehnte den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung unter Hinweis darauf ab, dass im Streitfall die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der praktischen Auswirkung einem einstweiligen Außerkraftsetzen des Kernbrennstoffsteuergesetzes gleich käme. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG stehe indes allein dem Bundesverfassungsgericht die Kompetenz zu, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen. Dass ihr durch die sofortige Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung irreparable Nachteile oder eine unzumutbare Härte drohen würden, habe die Antragstellerin nicht schlüssig vorgebracht. - Zu der von der Antragstellerin ebenfalls gerügten Europarechtswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes verhält sich der Beschluss des Bundesfinanzhofs nicht.

6

3. Die Antragstellerin hatte bereits am 28.11.2011 Klage gegen die Steueranmeldung und die zwischenzeitlich ergangene Einspruchsentscheidung erhoben. Mit Beschluss vom 29.01.2013 (4 K 270/11) hat der beschließende Senat das Verfahren ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb ungültig ist. Der Senat führt in seinem Beschluss aus, dass er zu der Überzeugung gelangt sei, das Kernbrennstoffsteuergesetz sei formell verfassungswidrig, weil dem Bund für die Einführung der Kernbrennstoffsteuer keine Gesetzgebungskompetenz zur Seite stehe. - Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Az.: 2 BvL 6/13) über die Vorlage des Senats steht noch aus.

7

B. In einem Parallelverfahren eines anderen Kernkraftwerksbetreibers hat der Senat zwischenzeitlich mit Beschluss 19.11.2013 (4 K 122/13) das Verfahren ebenfalls ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts im Wege der Vorabentscheidung vorgelegt:

8

1. Frage:

9

Berechtigt Art. 267 Satz 2 i. V. m. Satz 1 Buchst. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) das Gericht eines Mitgliedstaats, Fragen, die ihm im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit eines nationalen Gesetzes über die Auslegung von Unionsrecht gestellt werden, auch dann dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen, wenn das Gericht nicht nur einerseits Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit des Gesetzes hat, sondern andererseits auch zur Überzeugung gelangt ist, das nationale Gesetz widerspreche der nationalen Verfassung, und deswegen in einem Parallelfall bereits das nach nationalem Recht allein zur Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen befugte Verfassungsgericht angerufen hat, dessen Entscheidung aber noch nicht vorliegt?

10

Sofern die 1. Frage bejaht wird, ersucht der Senat den Gerichtshof um die Beantwortung folgender Frage:

11

2. Frage:

12

Stehen die zur Harmonisierung von Verbrauchsteuern und für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom in der Union erlassenen Richtlinien RL 2008/118/EG und RL 2003/96/EG der Einführung einer nationalen Steuer, die auf zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendete Kernbrennstoffe erhoben wird, entgegen? Kommt es darauf an, ob erwartet werden kann, dass die nationale Steuer über den Strompreis auf den Verbraucher abgewälzt werden kann, und was ist gegebenenfalls unter Abwälzung zu verstehen?

13

Sofern die 2. Frage verneint wird, ersucht der Senat den Gerichtshof um die Beantwortung folgender Fragen:

14

3. Frage:

15

Kann sich ein Unternehmen gegen eine Steuer, die ein Mitgliedstaat zur Erzielung von Einnahmen auf die Verwendung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom erhebt, mit dem Einwand wehren, die Erhebung der Steuer stelle eine unionsrechtswidrige Beihilfe gemäß Art. 107 AEUV dar?

16

Sofern die vorstehende Frage bejaht wird:

17

Stellt das deutsche Kernbrennstoffsteuergesetz, nach dem zur Erzielung von Einnahmen eine Steuer nur von solchen Unternehmen erhoben wird, die gewerblich Strom unter Verwendung von Kernbrennstoffen erzeugen, eine staatliche Beihilfemaßnahme im Sinne des Art. 107 AEUV dar? Welche Umstände sind bei der Prüfung beachtlich, ob sich andere Unternehmen, bei denen Steuern nicht in gleicher Weise erhoben werden, in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden?

18

4. Frage:

19

Steht die Erhebung der deutschen Kernbrennstoffsteuer im Widerspruch zu den Regelungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV)?

20

Über das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hat der Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht entschieden (Az. EuGH C-5/14).

21

C. Am 28.11.2013 hat die Antragstellerin, nachdem ihr erneuter Antrag auf Aufhebung der Vollziehung der angemeldeten und gezahlten Kernbrennstoffsteuer vom Antragsgegner wiederum abgelehnt worden war, beim Finanzgericht Hamburg abermals um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.

22

1. a) Sie begründet ihren Antrag zum einen mit der Europarechtswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes. Das Gesetz stehe im Widerspruch zu europarechtlichen Vorschriften, insbesondere verstoße es

- gegen das in Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) RL 2003/96/EG enthaltene Verbot einer Inputbesteuerung bei der Stromerzeugung,

- gegen das in Art. 1 RL 2008/118/EG enthaltene Verbot der Erhebung nicht harmonisierter Verbrauchsteuern auf Strom,

- gegen das EURATOM-Vertragsziel der preisgleichen Versorgung zur Sicherung eines wettbewerbsneutralen Bezuges der Brennelemente und regele eine europavertragswidrige Besteuerung von EURATOM,

- gegen EU-Beihilferecht.

23

Dass ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO vorlägen, werde durch das Vorabentscheidungsersuchen des beschließenden Senats vom 19.11.2013 wegen klärungsbedürftiger unionsrechtlicher Rechtsfragen belegt. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes während des Vorabentscheidungsverfahrens bedürfe es - auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - der Aufhebung der Vollziehung der Steueranmeldung.

24

Es sei nicht erforderlich, dass sie - die Antragstellerin - noch ein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes geltend mache. Ein solches Interesse werde zwar von einigen Senaten des Bundesfinanzhofs für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal dann verlangt, wenn die Rechtmäßigkeit des Veraltungsaktes wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes in Frage gestellt werde. Begründet werde diese Forderung mit Blick auf das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts und zum Schutz der öffentlichen Haushalte. Entsprechendes werde hingegen zu Recht weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum in Fällen von Zweifeln an der Europarechtsmäßigkeit eines Gesetzes verlangt. Es bestehe kein Verwerfungsmonopol bestimmter Gerichte für unionsrechtswidrige Gesetze. Der Gerichtshof der Europäischen Union lehne es auch prinzipiell ab, in einem bloßen Fiskalinteresse einen tragfähigen Rechtfertigungsgrund für eine Verletzung der Grundfreiheiten wie der Versagung von Eilrechtsschutz zu sehen.

25

b) Die Antragstellerin begründet ihren Antrag zum anderen mit der Verfassungswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes. Das Gesetz sei formell und materiell verfassungswidrig, einerseits wegen mangelnder Gesetzgebungskompetenz des Bundes, andererseits wegen Verstoßes gegen die Grundrechte aus Art. 3 und 14 GG.

26

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs folge aus dem Umstand, dass ein Gericht dem Bundesverfassungsgericht eine Norm im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle zur Aufhebung vorgelegt habe, die Verpflichtung zur Gewährung der Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung des auf der Grundlage dieser Norm ergangenen Bescheids. Die Aussetzungs- bzw. Aufhebungspflicht sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf Vorlagen oberster Bundesgerichte beschränkt. Eine solche Beschränkung wäre rechtswidrig, denn sie würde das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzen. Außerdem würde dadurch ein Rechtssuchender, dessen Hauptsacheverfahren bereits durch ein Instanzgericht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt worden sei, ungerechtfertigt gegenüber demjenigen diskriminiert, dessen Rechtsstreit erst am Ende des Instanzenzuges durch ein Bundesgericht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werde.

27

c) Die Beschwerdeentscheidung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs vom 09.03.2012 (VII B 171/11) stehe der Stellung eines neuen Antrags auf Aufhebung der Vollziehung nicht entgegen.

28

Zwar habe der Bundesfinanzhof in jenem Beschluss eine Aufhebung der Vollziehung zu ihren, der Antragstellerin, Gunsten abgelehnt. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass jener Entscheidung in rechtlicher Hinsicht ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe. Zum einen habe die mit der Beschwerde angegriffene Eilrechtsschutzgewährung durch das Finanzgericht lediglich auf Zweifeln an der formellen Verfassungsgemäßheit des Kernbrennstoffsteuergesetzes beruht, die zudem nur das Ergebnis einer vorläufigen Prüfung gewesen sei. Inzwischen liege mit dem Vorlagebeschluss des beschließenden Senats vom 29.01.2013 (FG Hamburg, 4 K 270/11, s. o.) eine gerichtliche Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes vor. Zum anderen stehe mit dem Vorabentscheidungsersuchen des beschließenden Senats vom 19.11.2013 (FG Hamburg, 4 K 122/13, s. o.) fest, dass die Europarechtmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes ebenfalls zweifelhaft sei.

29

Die Beschwerdeentscheidung des Bundesfinanzhofs vom 09.03.2012 sei richtigerweise so zu verstehen, dass Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung eines Bescheids im Hinblick auf eine Verfassungswidrigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes zwar grundsätzlich zu versagen sei, dies jedoch nicht gelte, wenn entweder ein derart offenkundiger Verfassungsverstoß gegeben sei, dass das Gesetz die formelle Verfassungswidrigkeit auf der Stirn trage, oder - sofern ein Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 GG noch nicht vorliege - die Vollziehung des Bescheids für den Steuerpflichtigen einen wesentlichen Nachteil darstelle. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Entscheidung des VII. Senats ein noch restriktiveres Verständnis des § 69 FGO zugrunde liege, zumal der VII. Senat keinen Anlass gesehen habe, den Großen Senat des Bundesfinanzhofs (§ 11 Abs. 2 FGO) anzurufen, wozu er anderenfalls im Hinblick auf eine dann festzustellende Abweichung seines Beschlusses von der Rechtsprechung anderer Senate verpflichtet gewesen wäre.

30

d) Sie - die Antragstellerin - ist auch der Ansicht, dass ihr einstweiliger Rechtsschutz ohne Sicherheitsleistung zu gewähren sei. Unstreitig gebe es aktuell keine Anzeichen, dass sie im gegenwärtigen Zeitpunkt die Steuer nicht mehr entrichten könne. Allgemeine Erwägungen über die Möglichkeit einer Vermögensverschlechterung bis zur Entscheidung in der Hauptsache rechtfertigten die Anordnung einer Sicherheitsleistung nicht. Sie weist darauf hin, dass bereits aufgrund der Bedingungen für die Erteilung einer kerntechnischen Genehmigung nach § 7c Abs. 2 Atomgesetz bei ihr als Genehmigungsinhaberin das Vorhalten angemessener finanzieller Mittel zur Erfüllung ihrer Pflichten in Bezug auf die nukleare Sicherheit gewährleistet und damit zugleich ihre steuerliche Leistungsfähigkeit gegeben sei. Die Eigenkapitalquote des Genehmigungsinhabers sei nicht ausschlaggebend. Zu berücksichtigen sei im Übrigen zu ihren Gunsten, dass sie in den Y-Konzern, der zum 31.12.2012 ein Eigenkapital von über EUR ... Mio. aufgewiesen habe, eingebunden sei und dass diese Einbindung auch eine Verlustübernahmeverpflichtung beinhalte. Allein aus seinem Teilgeschäft mit der Weiterleitung von Energie erziele der Konzern jährlich ein "EBITDA" ("earnings before interest, taxes, depreciation and amortization" = "Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen (auf Sachanlagen) und Abschreibungen (auf immaterielle Vermögensgegenstände)") von über EUR ... Mio., mithin ein Betrag, der für sich bereits die jährlichen Kernbrennstoffsteuerforderungen übersteige. Die Antragstellerin weist darauf hin, dass die Bundesregierung selbst keine Zweifel an einem Einstehen des Konzerns habe, wie sich aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage im November 2011 nach den Stilllegungs- und Abbaukosten von Kernkraftwerken im Fall der Insolvenz der Betreiber ergebe, in der die Bundesregierung ohne weitere Begründung auf die Haftung der vier großen Energieversorger Deutschlandes verwiesen habe, zu denen auch die Y SE gehöre.

31

Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung der am 08.07.2011 angemeldeten und gezahlten Kernbrennstoffsteuer in Höhe von EUR 96.347.570 ohne Sicherheitsleistung für den Zeitraum ab Fälligkeit der angemeldeten Kernbrennstoffsteuer bis einen Monat nach Zustellung der Entscheidung über den Abschluss des Klageverfahrens aufzuheben.

32

2. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen,

33

hilfsweise die Aufhebung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung anzuordnen.

34

Der Antragsgegner hält den Antrag für unzulässig und unbegründet.

35

a) Da im vorliegenden Rechtsstreit durch den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 09.03.2012 (VII B 171/11) einstweiliger Rechtsschutz bereits unanfechtbar versagt worden sei, könne der vorliegende Antrag nur auf der Grundlage von § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zulässig sein, dessen Voraussetzungen allerdings nicht erfüllt seien. Gegenstand der allein in Betracht kommenden Beschlüsse des Finanzgerichts Hamburg über die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht und das Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union seien lediglich die im damaligen Verfahren vor dem Bundesfinanzhof bereits vorgetragenen und bekannten Aspekte; die zeitlich späteren Beschlüsse des Finanzgerichts Hamburg vertieften lediglich die seinerzeitigen rechtliche Erwägungen.

36

b) Der Antrag sei zudem unbegründet.

37

Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Vereinbarkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes mit Vorschriften höherrangigen Rechts. Von ernstlichen Zweifeln im Sinne von § 69 FGO könne nur dann die Rede sein, wenn das Obsiegen des Betroffenen im Hauptsacheverfahren mindestens ebenso wahrscheinlich sei wie sein Unterliegen.

38

Der Umstand, dass überhaupt ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet worden sei, begründe für sich keine derart qualifizierten Zweifel, denn formelle Voraussetzung eines Vorabentscheidungsersuchens sei lediglich die bloße Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage. Die von der Antragstellerin und dem Finanzgericht Hamburg vorgetragenen Bedenken würden indes durch eine Vielzahl gewichtiger Argumente ausgeräumt.

39

Insbesondere sei die Richtlinie RL 2003/96/EG wegen ihres Wortlauts nicht direkt, aber auch nicht analog anwendbar, weil der Grundsatz der schrittweisen Harmonisierung einer Anwendungsanalogie entgegenstehe. Im Übrigen ergebe sich aus der Systematik der Richtlinie, ihren Zielen und ihrer Entstehungsgeschichte unter Berücksichtigung des Willens der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten, dass Kernbrennstoffe von der Richtlinie RL 2003/96/EG bewusst ausgeschlossen worden seien. Der Anwendungsbereich der Energiesteuerrichtlinie RL 2003/96/EG werde auch nicht durch die Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG erweitert. Kernbrennstoffe unterfielen nicht den harmonisierten Verbrauchsteuern. Anders als das Finanzgericht Hamburg in seinem Vorabentscheidungsersuchen erwäge, handele es sich bei der Kernbrennstoffsteuer auch nicht um eine direkte oder indirekte Steuer auf elektrischen Strom, denn die Kernbrennstoffsteuer sei sowohl bei der Entstehung als auch bei der Berechnung unabhängig von der tatsächlich verbrauchten und verbrauchsteuerpflichtigen Strommenge. Weiterhin ergäben sich auch keine ernstlichen Zweifel an der Vereinbarkeit der Kernbrennstoffsteuer mit dem europäischen Beihilferecht und mit den Vorschriften über die europäische Atomgemeinschaft.

40

Die gegen die Verfassungsmäßigkeit vorgetragenen Argumente überzeugten gleichfalls nicht.

41

c) Im Übrigen müsse bei der Anwendung des in § 69 FGO normierten Anordnungsermessens selbst im unterstellten Fall des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Vereinbarkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes mit höherrangigem Recht berücksichtigt werden, dass ein atypischer Fall vorliege, weil es nicht allein um eine möglicherweise fehlerhafte Rechtsanwendung der Verwaltung, sondern um die Gesetzesentscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers gehe. Die dementsprechend vorzunehmende Abwägung von Aussetzungsinteresse einerseits und Vollzugsinteresse andererseits sei bereits durch den Bundesfinanzhof in seinem Beschluss vom 09.03.2012 vorgenommen und vorläufiger Rechtsschutz zu Recht versagt worden. Dass dies nicht nur im Hinblick auf verfassungs-, sondern auch in Bezug auf unionsrechtliche Fragen gelte, ergebe sich aus der Grundsatzentscheidung des Großen Senats des Gerichtshofs bei der Europäischen Union vom 13.06.2006 in der Rechtssache Unibet (C-432/05).

42

d) Einstweiliger Rechtsschutz sei gegebenenfalls nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren, weil die Durchsetzung des Steueranspruchs aufgrund konkreter Anhaltspunkte gefährdet wäre, falls die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren unterliege.

43

Zwar habe die Antragstellerin bislang alle Steuerforderungen beglichen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage einer Gefährdung sei jedoch der Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Da aller Voraussicht nach in dem Hauptsacheverfahren eine rechtskräftige Entscheidung erst in drei Jahren zu erwarten sei, gerechnet ab dem Erlass des Vorabentscheidungsersuchens durch den beschließenden Senat, müsse die Gefährdungsprognose die bis dahin zu erwartenden Entwicklungen mitberücksichtigen.

44

Dabei sei zu bedenken, dass die Antragstellerin über verhältnismäßig wenig Eigenkapital verfüge. Die Antragstellerin habe im letzten veröffentlichen Jahresabschluss zum 31.12.2012 Eigenkapital von nur rund EUR ... Mio. ausgewiesen. Ihre Eigenkapitalquote habe damit weniger als 2 % der Bilanzsumme betragen und damit unter den in der Energiewirtschaft üblichen 40 % gelegen.

45

Für die Zukunft bestünden erhebliche Risiken im Hinblick auf hohe Kosten für die Entsorgung von Brennelementen und für die Stilllegung und Beseitigung von nuklearen Anlagen. Die Antragstellerin habe hierfür Rückstellungen in Höhe von über EUR ... Mio. und über EUR ... Mio. gebildet. Soweit sich diese Kosten gegenüber den Schätzungen auch nur verhältnismäßig geringfügig erhöhen sollten, wäre die Deckung der Mehrkosten durch das geringe Eigenkapital kaum darstellbar. Zudem bestehe aufgrund des anhaltend niedrigen Zinsniveaus ein Korrekturbedarf nach Erhöhung der Rückstellungen. Ein weiterer Korrekturbedarf könne sich auch aus der zu erwartenden gesetzlichen Neubewertung der Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle bis 2016 ergeben.

46

Zu berücksichtigen sei die Höhe der Kernbrennstoffsteuerforderungen; die Antragstellerin schulde nicht nur die in diesem Verfahren streitgegenständliche Steuer, sondern für die bereits abgelaufene Zeit bis zum Ende des Jahres 2013 allein oder als Gesamtschuldner insgesamt Kernbrennstoffsteuer in Höhe von rund EUR ... Mio. Zudem entstehe zu Lasten der Antragstellerin zukünftig jährlich weitere Kernbrennstoffsteuer in Höhe von rund EUR ... Mio. Sollte einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden, die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren in geschätzten drei Jahren aber unterliegen, müsste sie eine Steuerschuld von bis zu EUR ... Mio. zuzüglich Zinsen von 6 % pro Jahr zahlen.

47

Zusammenfassend bestehe daher ein erhebliches Risiko, dass die Antragstellerin im Falle einer Aufhebung und Aussetzung der Vollziehung bei einer Entscheidung der Hauptsache im Jahr 2016 für die dann aufgelaufenen Steuerschulden nicht werde einstehen können, zumal die wirtschaftliche Entwicklung der Antragstellerin vor dem Hintergrund der Energiewende unsicher sei.

48

Auf die Leistungsfähigkeit der Konzernmutter der Antragstellerin komme es rechtlich nicht an. Außerdem könne die Konzernstruktur, aus der sich nach Ansicht der Antragstellerin eine Haftung der Konzernmutter ergeben solle, jährlich geändert werden. Selbst wenn es eine Einstandspflicht der Konzernmutter geben würde, wäre eine die geforderte Sicherheitsleistung rechtfertigende Steueranspruchsgefährdung gegeben, denn auch die Wirtschaftslage der Konzernmutter habe sich - zum Teil aus denselben Gründen wie bei der Antragstellerin - bereits in einem im Verhältnis zu der Höhe der in Rede stehenden Kernbrennstoffsteuerforderungen gegen sämtliche Konzerngesellschaften wesentlichen Maß verschlechtert und es drohe eine noch weitere Verschlechterung.

49

D. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakte des Antragsgegners verwiesen.

Entscheidungsgründe

II.

50

Der Antrag hat Erfolg. Er ist gemäß § 69 Abs. 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig (1) und gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit (2) und an der Verfassungsmäßigkeit (3) der angefochtenen Steueranmeldung. Weitere Voraussetzungen sind für die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf die unionsrechtlichen Zweifel nicht erforderlich (4a) bzw. im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel jedenfalls nunmehr gegeben (4b).

51

Eine Sicherheitsleistung ist nicht anzuordnen (5).

52

Die Beschwerde ist zuzulassen (6).

53

1. Der Antrag ist als Änderungsantrag gemäß § 69 Abs. 3, Abs. 6 FGO zulässig.

54

Das Gericht der Hauptsache kann nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Da die Entscheidung des Gerichts über einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO nicht in materielle Rechtskraft erwächst, kann das Gericht nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO Aussetzungsbeschlüsse über Anträge nach § 69 Abs. 3 FGO jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO). Es steht dem Antragsteller frei, jederzeit einen neuen Antrag zu stellen. Die Zulässigkeit eines solchen Folgeantrags ist allerdings an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gebunden.

55

a) Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO sind im Streitfall erfüllt.

56

Nach dieser Vorschrift ist die Zulässigkeit des Antrags entweder von veränderten Umständen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 Alt. 1 FGO) oder von zwar unveränderten Umständen abhängig, die aber im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht worden sind (§ 69 Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 FGO). "Umstände" in diesem Sinne können Tatsachen und Beweismittel sein, die nach Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung entstanden oder bekannt geworden sind. Dasselbe gilt, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage inzwischen höchstrichterlich (anders) entschieden worden oder inzwischen ein die entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffender Vorlagebeschluss ergangen ist (vgl. BFH, Beschluss vom 21.10.2013, V B 68/13; Koch, in: Gräber, FGO, 7. Aufl., § 69 Rz 199; Seer, in: Tipke/Kruse, AO und FGO, § 69 FGO Rz 166, jeweils m. w. N.).

57

Vorliegend kann sich die Antragstellerin auf in zweifacher Hinsicht veränderte Umstände im Sinne des § 69 Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 FGO berufen, die ihren erneuten vorläufigen Rechtsschutzantrag zulassen. Diese veränderten Umstände liegen zum einen darin, dass der beschließende Senat das Kernbrennstoffsteuergesetz zwischenzeitlich mit Beschluss vom 29.01.2013 (4 K 270/11) dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vorgelegt hat. Zum anderen haben sich die Umstände zusätzlich dadurch verändert, dass der beschließende Senat zwischenzeitlich auch für dieses Verfahren entscheidungserhebliche Rechtsfragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat (Beschluss vom 19.11.2013, 4 K 122/13). Für die Zulässigkeit des Antrags ist dabei ohne Bedeutung, inwieweit diese Beschlüsse jeweils in dem Hauptsacheverfahren der Antragstellerin gegen die auch im vorliegenden Antragsverfahren streitgegenständliche Steueranmeldung ergangen ist oder aber in einem Parallelverfahren der Antragstellerin oder eines anderen Betreibers eines Kernkraftwerkes. So wie die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes sämtliche Anfechtungsverfahren gegen Anmeldungen bzw. Festsetzungen von Kernbrennstoffsteuer betrifft, so sind die vom Senat dem Europäischen Gerichthof vorgelegten unionsrechtlichen Zweifelsfragen in gleicher Weise auch für den Ausgang der von der Antragstellerin gegen die streitgegenständliche Steueranmeldung erhobenen Anfechtungsklage entscheidungserheblich.

58

Ob für die Zulässigkeit eines Antrags gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO eine erneute behördliche Ablehnung gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO erforderlich ist, kann dahinstehen, weil die Antragstellerin am 25.06.2013 einen erneuten Antrag beim Antragsgegner gestellt hatte, den dieser am 19.08.2013 abgelehnt hat.

59

b) Unbeschadet der vorstehenden Darlegungen nimmt der beschließende Senat den von der Antragstellerin gestellten (erneuten) vorläufigen Rechtsschutzantrag zum Anlass, den in der Sache 4 V 133/11 ergangenen und zwischenzeitlich vom Bundesfinanzhof im Beschwerdeverfahren VII B 171/11 aufgehobenen Beschluss von Amts wegen gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO zu ändern. Die Änderung des die Aussetzung der Vollziehung ablehnenden BFH-Beschlusses von Amts wegen ist ebenfalls in zweifacher Hinsicht sachgerecht. Zum einen, weil der Senat - nachdem er in den ersten Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes zunächst wegen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes gewährt hat, die der Bundesfinanzhof in seinen Aufhebungsbeschlüssen nicht in Abrede genommen hat - nunmehr die Frage der formellen Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle aufgrund ausführlich dargelegter Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Entscheidung vorgelegt hat. Zum anderen ist die Änderung durch den Senat von Amts wegen aber auch deswegen sachgerecht, weil er auch den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV zur Auslegung der entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen angerufen hat, und die von der Antragstellerin in Bezug auf das Kernbrennstoffsteuergesetz vorgebrachten europarechtlichen Einwände nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens waren.

60

c) Das Finanzgericht Hamburg ist für einen erneuten Antrag der Antragstellerin zuständig.

61

Zuständig für die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses gemäß § 69 Abs. 6 FGO ist als Gericht der Hauptsache regelmäßig das Finanzgericht. Wegen der eingeschränkten Kompetenzen eines Beschwerdegerichts ist das Finanzgericht auch dann für die Entscheidung nach § 69 Abs. 6 FGO zuständig, wenn der Bundesfinanzhof bereits über eine Beschwerde nach § 128 Abs. 3 FGO gegen eine frühere Entscheidung des Finanzgerichts zum vorläufigen Rechtsschutz entschieden hat, selbst wenn seine Entscheidung von der des Finanzgerichts abweicht (Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, FGO § 69, Rdnr. 164 unter Hinweis auf BFH, Beschluss vom 25.03.1993, I S 5/93). Eine Bindung des Finanzgerichts an die Beschwerdeentscheidung gibt es im Rahmen von § 69 Abs. 6 FGO nicht (BFH, Beschluss vom 26.03.1980, I B 11/80).

62

Zu einer Zuständigkeitsverlagerung auf den Bundesfinanzhof kann es nur kommen, wenn die Hauptsache inzwischen beim Bundesfinanzhof anhängig ist (Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, FGO § 69, Rdnr. 164 unter Hinweis auf BFH, Beschluss vom 28.08.2003, VIII S 26/02; BFH, Beschluss vom 26.09.2008, VIII B 37/08; vgl. auch BFH, Beschluss vom 13.10.1999, I S 4/99 m. w. N), was hier nicht der Fall ist.

63

Eine Zuständigkeitsverlagerung auf das Bundesverfassungsgericht infolge der Vorlage des Hauptsacheverfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erfolgt nicht.

64

2. Die materiellen Voraussetzungen für eine Aufhebung der Vollziehung sind zunächst im Hinblick auf das Unionsrecht gegeben.

65

a) Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen oder aufheben, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder - was vorliegend nicht in Betracht kommt und auch von der Antragstellerin nicht geltend gemacht wird - seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

66

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich der Verwaltungsakt bei abschließender Klärung dieser Fragen als rechtswidrig erweisen kann (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. nur Beschluss vom 03.04.2013, V B 125/12; Beschluss vom 26.09.2007, I B 53, 54/07; Beschluss vom 30.10.2008, II B 58/08, Beschluss vom 02.04.2009, II B 157/08, jeweils m. w. N.). Zur Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH, Beschluss vom 03.04.2013, V B 125/12). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern es ist im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH, Beschluss vom 13.03.2012, I B 111/11; Beschluss vom 19.05.2010, I B 191/09).

67

b) Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Steueranmeldung, weil nach Ansicht des beschließenden Senats die Europarechtmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes zweifelhaft ist.

68

aa) Der Senat kann unentschieden lassen, ob es für die Annahme ernstlicher Zweifel bereits ausreicht, dass ein Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängig ist, dessen Beantwortung für die Entscheidung des Streitfalls erheblich ist. Ernstliche Zweifel sind jedenfalls dann anzunehmen, wenn es sich nicht ausschließen lässt, dass der Gerichtshof der Europäischen Union im Sinne des Antragsstellers entscheiden wird (so BFH, Beschluss vom 05.05.1994, V S 11/93). Es reicht, dass im Hinblick auf ein streiterhebliches Vorabentscheidungsersuchen die Möglichkeit besteht, dass der Gerichtshof der Europäischen Union eine Verletzung von Unionsrecht bejahen wird (BFH, Beschluss vom 24.03.1998, I B 100/97).

69

Zur Rechtfertigung der Annahme begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids genügt allerdings, dass dem Gericht des Eilverfahrens die Aussetzung des Hauptsacheverfahrens zur Vorabentscheidung - im Eilverfahren ist ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht statthaft - geboten erscheint, falls der Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens nicht vorhersehbar ist und insoweit von einer Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage auszugehen ist oder von ihr jedenfalls ausgegangen werden kann (BFH, Beschluss v. 25.09.2008, XI S 4/08; dem folgend FG Düsseldorf, Beschluss vom 13.02.2009, 4 V 3976/08 A(Z)).

70

Nur soweit ein Gericht - bei Anhängigkeit eines erheblichen Vorabentscheidungsersuchens eines anderen Gerichts - zu dem Ergebnis kommt, dass seiner Ansicht nach keinerlei Zweifel daran bestehen, dass eine Auslegung des Unionsrechts ergibt, dass der streitgegenständliche Bescheid nicht unionsrechtswidrig ist, das Gericht also ausschließen kann, dass der Gerichtshof der Europäischen Union im Sinne des Antragsstellers entscheiden wird, ist es nicht zur Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz verpflichtet, sondern kann ihn trotz der Anhängigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens in der maßgeblichen Frage versagen (vgl. im Ergebnis Hessisches FG, Beschluss vom 17.05.2013, 1 V 337/13; FG Münster, Beschluss vom 18.01.2013, 5 V 3800/12U; unklar FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.05.2012, 14 V 3826/11, das die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz im Wesentlichen durch einen Hinweis auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs begründet).

71

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist vorliegend davon auszugehen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Steueranmeldung bestehen.

72

In seinem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union hat der Senat das Bestehen von Zweifeln an der Unionsrechtmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes begründet. Der Senat nimmt Bezug auf den gesamten Inhalt seines Vorabentscheidungsersuchens vom 19.11.2013, aus dem sich ergibt, dass der beschließende Senat es für möglich hält, dass das Unionsrecht in einer Weise auszulegen ist, das der Einführung der Kernbrennstoffsteuer entgegensteht. Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist es nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht auszuschließen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union im Sinne der Antragstellerin entscheiden wird.

73

bb) Darüber hinaus - worauf es allerdings nach dem Ausgeführten nicht mehr entscheidend ankommt - hält es der beschließende Senat im Hinblick auf das im Vorabentscheidungsersuchen angesprochene Richtlinienrecht überdies sogar für wahrscheinlich, dass das Kernbrennstoffsteuergesetz jedenfalls gegen die Energiesteuerrichtlinie RL 2003/96/EG bzw. gegen die Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG verstößt und die Steueranmeldung der Antragstellerin damit nicht rechtmäßig ist.

74

Nach dem Ergebnis der Prüfung des Senats spricht einiges dafür, dass die zur Harmonisierung von Verbrauchsteuern und für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom in der Union erlassenen Richtlinien RL 2008/118/EG und RL 2003/96/EG der Einführung einer nationalen Steuer, die auf zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendete Kernbrennstoffe erhoben wird, entgegen stehen.

75

(1) Gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) RL 2003/96/EG sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet, die bei der Stromerzeugung verwendeten "Energieerzeugnisse" von der Steuer zu befreien. Im Sinne einer "Output-Besteuerung" wird im Anwendungsbereich der Richtlinie RL 2003/96/EG also insoweit lediglich der erzeugte Strom der Energiesteuer unterworfen, es werden aber nicht die hierfür verwendeten "Energieerzeugnisse" besteuert mit dem Ziel, das dem Verbrauchsteuerregime der Union insgesamt zugrunde liegende Prinzip einer Besteuerung des Verbrauchers nur im Bestimmungsland unter Vermeidung einer Mehrfachbesteuerung durch zusätzliche Besteuerung im Ursprungsland des Verbrauchsgutes zu verwirklichen (vgl. zum Konzept der Output-Besteuerung im Rahmen der Harmonisierung der Strombesteuerung Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281 m. w. N, vgl. insbes. Kube, IStR 2012, 553, 555, m. w. N., u. a. unter Bezugnahme des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen vom 12.03.1997, KOM (97) 30, S. 5).

76

Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 2 Abs. 1 RL 2003/96EG zur Bestimmung des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie einen Katalog von Waren aufgelistet, die als Energieerzeugnisse im Sinne dieser Richtlinie gelten. Kernbrennstoffe sind in diesem Katalog nicht enthalten und damit nach dem (reinen) Wortlaut dieser Vorschrift keine Energieerzeugnisse im Sinne der Richtlinie, zumal sie auch unter keine der in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 und 3 RL 2003/96/EG enthaltenen Erweiterungen zu subsumieren sind (vgl. Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; Kube, IStR 2012, 553, 555 f.). Dass die Anwendung der zitierten Vorschrift bzw. des Prinzips der Output-Besteuerung auf Atomstrom überhaupt ausgeschlossen ist, also keine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Steuerbefreiung für die zur Erzeugung von Atomstrom eingesetzten Kernbrennstoffe besteht, ist allerdings unionsrechtlich zweifelhaft. Denn es sprechen gewichtige Gründe dafür, zu erwägen, ob die RL 2003/96/EG oder jedenfalls die Regelung in Art. 14 Abs. 1 RL 2003/96/EG gleichwohl, etwa im Wege der Analogie, auf Kernbrennstoffe angewendet werden kann (so Kube, IStR 2012, 553, 556; auch Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281 erwägt die Anwendung von Art. 14 Abs. 1 RL 2003/96 EG auf die Stromerzeugung mittels Kernbrennstoffen, verneint sie allerdings im Ergebnis).

77

Argumente für eine solche Anwendung sind den Gesetzesmaterialien der Richtlinie zu entnehmen, so dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen vom 12.03.1997, KOM (97) 30, S. 5 (vgl. im Einzelnen Kube, IStR 2012, 553, 556) sowie dem Bericht des Europäischen Parlaments über den Entwurf einer Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom vom 11.09.2003 (A5-0302/2003). In diesem Bericht ist festgehalten, der Rat habe sich auf eine "umfassende Richtlinie zur Energiebesteuerung geeinigt ..., die alle Energieformen umfasst". Diese Feststellung spricht gegen die Annahme, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Katalog in Art. 2 RL 2003/96/EG die Kernkraft bewusst aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie habe ausnehmen wollen und dass der Aufzählung der Energieerzeugnisse eine abschließende Bedeutung zukommen solle. Zwar könnte der Umstand, dass in die sodann verabschiedete Richtlinie entgegen der in dem zitierten Bericht angestrebten Erfassung aller Energieformen die Atomkraft nicht ausdrücklich aufgenommen worden ist, für eine Meinungsänderung der Organe sprechen. Die Nichtaufnahme könnte sich jedoch ebenso damit erklären lassen, dass eine ausdrücklich Regelung der Geltung der Output-Besteuerung auch für Atomstrom deswegen für nicht erforderlich erachtet wurde, weil die Kernbrennstoffe mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV) bereits einem Sonderregime unterworfen sind, aufgrund dessen sie als im Eigentum der Europäischen Atomgemeinschaft stehend (Art. 86 EAGV) nicht am normalen Handels- und Warenverkehr teilnehmen und daher auch zu keiner Zeit in einen freien Verkehr gelangen, was jedoch regelmäßig Anknüpfungspunkt für die Erhebung von Verbrauchsteuern ist (vgl. etwa RL 2008/118/EG, 8. Erwägungsgrund).

78

Nach Ansicht des beschließenden Senats kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Richtlinienrecht, das im Zuge schrittweiser Harmonisierung erlassen wird, einer erweiternden Auslegung oder Analogie in keinem Fall zugänglich ist, wie der Antragsgegner meint (zur Zulässigkeit eines Analogieschlusses Kube, IStR 2012, 553, 556).

79

Vor diesem Hintergrund sieht der beschließende Senat über das für die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz hinreichende Bestehen von Zweifeln hinaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Beantwortung der dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegten Auslegungsfragen im Sinne der Antragstellerin beantwortet werden; eine die Zweifelsfragen weiter vertiefende Prüfung ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht angezeigt.

80

(2) Sofern die Besteuerung der Kernbrennstoffe nicht bereits infolge einer Anwendbarkeit der RL 2003/96/EG ausgeschlossen ist, spricht nach Ansicht des beschließenden Senats einiges dafür, dass ihr jedenfalls die durch RL 2008/118/EG erfolgte Harmonisierung von Verbrauchsteuern entgegensteht.

81

Diese Richtlinie legt gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 ein allgemeines System für die Verbrauchsteuern fest, die mittelbar oder unmittelbar auf den Verbrauch der dort aufgeführten und als "verbrauchsteuerpflichtige Waren" definierten Waren, nämlich neben den Energieerzeugnissen und elektrischem Strom gemäß RL 2003/96/EG noch auf Alkohol und alkoholische Getränke sowie Tabakwaren, erhoben werden.

82

Der beschließende Senat neigt dazu, dass die Kernbrennstoffsteuer als eine im Sinne von Art. 1 RL 2008/118/EG indirekte Steuer auf elektrischen Strom anzusehen ist (a) und dass durch Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2008/118/EG das Steuerfindungsrecht der Mitgliedstaaten für indirekte Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren beschränkt wird (b).

83

(a) Der beschließende Senat hält es für möglich, dass der Begriff der indirekten Steuern in Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG so auszulegen ist, dass die Kernbrennstoffsteuer, deren Erhebungstatbestand an das Verwenden von Kernbrennstoffen bei der gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom anknüpft, auch als indirekte Steuer auf elektrischen Strom im Sinne der Richtlinie zu qualifizieren ist.

84

Der Begriff der indirekten Steuern ist im Unionsrecht nicht legal definiert. Für die Annahme, dass es sich bei der Kernbrennsteuer um eine indirekte Steuer im Sinne der Richtlinie handelt, spricht Folgendes:

85

(aa) In Art. 4 Abs. 2 RL 2003/96/EG - einer in einem engen Regelungszusammenhang mit der Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG stehenden Vorschrift (s. Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 RL 2008/118/EG) - wird der "Steuerbetrag" als die Gesamtheit der als indirekte Steuern erhobenen Abgaben definiert, die zum Zeitpunkt der Überführung in den freien Verkehr direkt oder indirekt anhand der Menge an Energieerzeugnissen und elektrischem Strom berechnet werden. Dies spricht nach Ansicht des Senats dafür, dass indirekte Steuern auf elektrischen Strom auch im Sinne der Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG alle diejenigen Steuern sind, deren Höhe sich jedenfalls indirekt nach der Menge des erzeugten und an die Konsumenten abgegebenen elektrischen Stroms bestimmt und somit hierzu proportional sind (so wohl auch Kube, IStR 2012, 553, 554).

86

Das Verhältnis zwischen Kernbrennstoffsteuer einerseits und erzeugtem bzw. abgegebenem Strom andererseits ist zwar nicht streng proportional, denn die Menge des in einem Kernkraftwerksreaktor nach dem Einsetzen von Brennelementen erzeugten Stroms ergibt sich nicht unmittelbar aus der Menge der Kernbrennstoffe, sondern kann nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin je nach Art des eingesetzten Kernbrennstoffs und seiner Beschaffenheit schwanken und hängt auch von dem zwischen verschiedenen Kraftwerken differierenden Wirkungsgrad des Reaktors ab. Daraus ergibt sich aber zugleich, dass sich das Verhältnis zwischen Kernbrennstoffsteuer einerseits und erzeugtem bzw. abgegebenem Strom andererseits regelmäßig einer Proportionalität annähert.

87

Der Senat neigt dem Verständnis zu und hält es durchaus für möglich, dass, um von einer indirekten Steuer auf Strom im Sinne der Verbrauchsteuerrichtlinie RL 2008/118/EG zu sprechen, zwar eine gewisse Proportionalität der Steuer zur Menge des Stroms grundsätzlich erforderlich ist, insoweit aber eine bloß ungefähre Proportionalität ausreicht. Unter Berücksichtigung des Richtlinienziels der Harmonisierung dürften unwesentliche Ungenauigkeiten in der Steuerbemessung ohne Bedeutung sein. Bei Maßgeblichkeit einer strengen Proportionalität bestünde ansonsten sogar die Gefahr, dass dieses Richtlinienziel verfehlt würde bzw. umgangen werden könnte. Entsprechend wird vertreten, dass durch die Kernbrennstoffsteuer der Stromverbrauch mittelbar besteuert werde, weil der Verbrauch von Kernbrennstoffen in direktem, kausalem Zusammenhang mit der Menge des erzeugen und seinerseits verbrauchten Stroms stehe (vgl. Kube, IStR 2012, 553, 558, m. w. N).

88

Der beschließende Senat berücksichtigt dabei auch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.06.1999 in der Rechtssache C-346/97 zur Vorgängervorschrift in Art. 1 der RL 92/12. In dieser Entscheidung hat der Gerichtshof der Europäischen Union eine mittelbare Steuer auf den Verbrauch einer Ware bereits bejaht, sofern ein unmittelbarer, untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Warenverbrauch einerseits und dem Steuertatbestand andererseits besteht. Ein solcher Zusammenhang dürfte vorliegend bestehen, weil die Kernbrennstoffsteuer bei Verwendung der Kernbrennstoffe zur Erzeugung von elektrischem Strom erhoben wird und elektrischer Strom nach seiner Erzeugung mangels hinreichender Speichermöglichkeit grundsätzlich auch verbraucht wird.

89

(bb) Der beschließende Senat erwägt allerdings auch, ob die in Art. 1 RL 2008/118/EG verwendeten Begriffe der mittelbaren Erhebung und der indirekten Steuer etwa voraussetzen, dass die Steuer einen anderen als den Steuerschuldner belasten.

90

Der Senat geht davon aus, dass eine Steuer, die auf ein bei der Herstellung einer Ware eingesetztes Produktionsmittel (hier den Kernbrennstoff) erhoben wird, im Hinblick auf die hergestellte Ware grundsätzlich eine indirekte (vgl. Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG) bzw. eine mittelbar auf ihren Verbrauch erhobene (vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 RL 2008/118/EG) Steuer sein kann. Denn im Allgemeinen werden von produzierenden Unternehmen die im Zusammenhang mit der Warenproduktion anfallenden Steuern - ebenso wie die sonstigen Produktionskosten - beim Vertrieb der Waren eingepreist und damit auf den Verbraucher überwälzt, der dadurch indirekt mit der Steuer belastet wird. Die Kernbrennstoffsteuer wird nach § 2 Abs. 1 KernbrStG nur auf solche Kernbrennstoffe erhoben, die zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet werden, so dass auch eine Steuer, die an den Einsatz von Kernbrennstoffen anknüpft, grundsätzlich zu einer Belastung des Stromverbrauchers im Sinne einer indirekten Besteuerung führen könnte.

91

Sollte es auf die Belastung des Stromverbrauchers ankommen, wäre zu fragen, ob davon auszugehen ist, dass es den steuerpflichtigen Unternehmen gelingen kann, die Kernbrennstoffsteuer tatsächlich auf ihre Abnehmer abzuwälzen.

92

Im Rahmen seiner Überprüfung, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz in Übereinstimmung mit der deutschen Verfassung erlassen wurde, hat der beschließende Senat in seinem Vorlagebeschluss vom 29.0.2013 (4 K 270/11, s. o.) geprüft, ob die Kernbrennstoffsteuer im Sinne des Verbrauchsteuerbegriffs des deutschen Grundgesetzes auf Überwälzung auf den privaten Verbraucher angelegt ist; der Senat hat diese Prüfung im Ergebnis verneint.

93

Der Senat erkennt jedoch, dass der Begriff der indirekten Steuern im Unionsrecht nicht unbedingt mit dem kompetenzrechtlichen Verbrauchsteuerbergriffs des deutschen Grundgesetzes übereinstimmen muss, zumal der im Unionsrecht verwendete Begriff anders als der im Grundgesetz verwendete Begriff funktional der Abgrenzung gegenüber dem Begriff der direkten Steuern dient (so auch in Art. 110 ff. AEUV; nach Kube, IStR 2012, 553, 554, ist die indirekte Erhebungsweise in Form der Belastung durch Überwälzung keine konstitutive Voraussetzung für das Eingreifen des Verbrauchsteuerregimes der Union). Direkte Steuern knüpfen üblicherweise an die Person des Steuerpflichtigen an, nicht jedoch an Waren oder Dienstleistungen, nach denen indirekte Steuern regelmäßig bemessen werden. Die Abgrenzungsfunktion des unionsrechtlichen Begriffs der indirekten Steuern wird bei seiner Auslegung nicht unbeachtet bleiben können. Selbst unter Berücksichtigung ihrer gewinnabschöpfenden Wirkung ist die Kernbrennstoffsteuer wegen ihrer warenbezogenen Erhebung keinesfalls eine klassische direkte Steuer.

94

Der beschließende Senat hat auch die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24.10.2013 (C-440/12) in seine Überlegungen einbezogen. In jenem Vorabentscheidungsersuchen war im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer nach der Bedeutung des Begriffs der Abwälzbarkeit gefragt worden. In dem dortigen Ausgangsfall war es dem klagenden Unternehmer, einem Betreiber von Glücksspielgeräten, aufgrund eines gesetzlichen Verbots verwehrt, den Preis für seine Dienstleistung um die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in diesem Urteil reicht es jedoch für die Abwälzbarkeit aus, wenn sich die geschuldete Mehrwertsteuer aus der Anwendung des gesetzlichen Mehrwertsteuersatzes auf die Nettokasse als Bemessungsgrundlage ergibt; dann werde die Steuer auch tatsächlich von den Endverbrauchern gezahlt und es könne nicht erkannt werden, dass die Preisregulierung die Abwälzung der Mehrwertsteuer auf die Endverbraucher verhindere (EuGH, Urteil vom 24.10.2013, C-440/12, Rz. 50 f.).

95

Der beschließende Senat geht davon aus, dass diese Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer auf die Verbrauchsteuern übertragen werden können, so dass eine unionsrechtliche Abwälzbarkeit einer Waren- oder Dienstleistungsteuer immer dann schon gegeben wäre, wenn die Steuer das Entgelt für eine Ware oder Dienstleistung nicht übersteigt. Da im vorliegenden Fall nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich ist, dass der von der Antragstellerin für ihren Atomstrom erzielte Preis grundsätzlich nicht ausreichen kann, um die erhobenen Steuern zu zahlen, dürfte, falls die Urteilsdeutung des beschließenden Senats zutreffend sein sollte, der Kernbrennstoffsteuer die unionsrechtliche Abwälzbarkeit nicht fehlen und sie könnte also eine indirekte Steuer im Sinne von Art. 1 RL 2008/118/EG sein.

96

(b) Der beschließende Senat bezweifelt, dass die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer, wenn sie denn als mittelbare oder indirekte Steuer auf elektrischen Strom im Sinne von Art. 1 RL 2008/118/EG anzusehen sein sollte, auf Art. 1 Abs. 1 oder 2 RL 2008/118/EG gestützt werden kann und geht davon aus, dass die Mitgliedstaaten nicht berechtigt sind, außerhalb des Regelungsbereichs dieser beiden Vorschriften weitere Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren zu erfinden.

97

(aa) Art. 1 Abs. 1 RL 2008/118/EG könnte Rechtsgrundlage für die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer allenfalls im Zusammenhang mit der Energiesteuerrichtlinie RL 2003/96/EG sein. Es ist bereits dargelegt worden, dass diese Richtlinie gemäß dem Wortlaut ihrer Anwendungsvorschrift in Art. 2 keine Kernbrennstoffe erfasst. Würde die Richtlinie indes anders auszulegen oder anzuwenden sein, dürften die Kernbrennstoffe jedenfalls nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) Satz 1 RL 2003/96/EG steuerbefreit sein (s. o.). Zwar stellt Art. 14 Abs. 1 Buchst. a) Satz 2 RL 2003/96/EG es den Mitgliedstaaten frei, zur Stromerzeugung eingesetzte Energieerzeugnisse aus umweltpolitischen Gründen doch zu besteuern. Freilich ist diese Voraussetzung hier nicht erfüllt, denn die Gesetzesbegründung des Kernbrennstoffsteuergesetzes stellt nicht auf umweltpolitische Gründe ab, sondern nennt als Gesetzeszweck die Schaffung von Einnahmen für den allgemeinen Haushalt.

98

(bb) Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage in Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG dürften ebenfalls nicht gegeben sein. Nach Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG können Mitgliedstaaten für besondere Zwecke auf verbrauchsteuerpflichtige Waren andere indirekte Steuern erheben, sofern diese Steuern in Bezug auf die Bestimmung der Bemessungsgrundlage, die Berechnung der Steuer, die Entstehung des Steueranspruchs und die steuerliche Überwachung mit den gemeinschaftlichen Vorschriften für die Verbrauchsteuer oder die Mehrwertsteuer - ausgenommen die Bestimmungen über die Steuerbefreiungen - vereinbar sind. Kein besonderer, sondern ein allgemeiner Steuerzweck im Sinne der Verbrauchsteuerrichtlinie ist allerdings die Absicht, mit einer Steuer Einnahmen zu erzielen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.03.2000, C-437/97, Rz. 33; Urteil vom 24.02.2000, C-434/97 m. w. N.; vgl. Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; vgl. Kube, IStR 2012, 553, 558f m. w. N.). Demnach wird die Kernbrennstoffsteuer nicht für besondere Zwecke erhoben, denn sie wurde ausweislich der Gesetzesbegründung eingeführt, weil aus Gründen der Haushaltskonsolidierung des Bundes zusätzliche Einnahmequellen erschlossen werden sollten.

99

(cc) Der beschließende Senat ist der Auffassung, dass der Richtliniengeber in Art. 1 Abs. 2 RL 2008/118/EG die Erhebung anderer indirekter Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren als die in Art. 1 Abs. 1 RL 2008/118/EG geregelten Steuern zwar einerseits ausdrücklich zulässt - "können erhoben werden" -, zugleich aber diese Zulassung materiell beschränkt auf solche indirekten Steuern, die zum einen "für besondere Zwecke" erhoben werden und zum anderen mit den dort näher bezeichneten unionsrechtlichen Vorschriften vereinbar sind (vgl. zur Beschränkung des nationalen Steuerfindungsrechts durch Art. 1 RL 2008/118/EG Jatzke, ZfZ 2010, 278, 281; Kube, IStR 2012, 553, 555). Das zugrunde gelegt, dürfte eine Erhebung indirekter Steuern im Übrigen nicht zulässig sein.

100

Der beschließende Senat neigt diesem Verständnis aus folgendem Grunde zu: Hätte es den Mitgliedstaaten generell und voraussetzungslos freistehen sollen, neben den Steuern, die durch die in Art. 1 Abs. 1 RL 2008/118/EG genannten Richtlinien eine Regelung erfahren haben, noch weitere indirekte Steuern auf verbrauchsteuerpflichtige Waren zu erheben, so bliebe die Regelung in Abs. 2 der Vorschrift, die die Erhebung weiterer Steuern innerhalb des dort näher bestimmten Rahmens für zulässig erklärt, ohne Anwendungsbereich.

101

In diesem Zusammenhang merkt der beschließende Senat an, dass er allerdings nicht mit der Antragstellerin der Ansicht ist, dass Deutschland bereits wegen einer "umfassenden Energiezuständigkeit" der Europäischen Union aufgrund des Vertrags von Lissabon oder eines "generellen Verbots einer sogenannten Inputbesteuerung von elektrischem Strom", aufgrund einer "strukturellen Harmonisierungspflicht bzw. Vorab-Sperrwirkung einer noch nicht umgesetzten Harmonisierung des Steuerrechts der Mitgliedstaaten" oder wegen eines etwaigen "CO2-Preissignals" unmittelbar oder im Rahmen einer Auslegung der angesprochenen Richtlinien an der Erhebung einer Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoffen zur Stromerzeugung gehindert ist.

102

3. Nach Ansicht des Senats ist eine Aufhebung der Vollziehung weiterhin auch wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennsteuergesetzes zu gewähren.

103

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm bereits dann zu bejahen, wenn der Bundesfinanzhof die Rechtsnorm im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hat (BFH, Beschluss vom 11.06.2003, IX B 16/03; BFH, Beschluss vom 31.01.2007, VIII B 219/06).

104

Dies gilt nach Ansicht des beschließenden Senats auch dann, wenn der Vorlagebeschluss nicht durch den Bundesfinanzhof, sondern nur durch ein Finanzgericht erfolgt. Sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Vorlagebeschluss durch den Senat eines Finanzgerichts unzulässig oder offenkundig unbegründet ist, in dem Beschluss also im Hinblick auf die strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen die Überzeugung des vorlegenden Senats unter Berücksichtigung des Standes der Rechtsprechung und der Literatur die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit umfassend dargelegt ist, begründet auch ein solcher Vorlagebeschluss ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, der auf den betreffenden Rechtsnormen beruht (so FG Köln, Beschluss vom 04.07.2012, 13 V 1292/12 unter Bezugnahme auf Gosch in Beermann/Gosch, AO/FGO, FGO § 69 Rz. 130; Koch in Gräber, FGO, § 69 Rz. 90).

105

Wie sich aus dem Vorlagebeschluss des beschließenden Senats vom 29.01.2013 ergibt, an dem der Senat festhält und auf den er insoweit Bezug nimmt, haben sich die in dem ursprünglichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund vorläufiger Prüfung ergebenden Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes zwischenzeitlich im Hauptsacheverfahren ("bei detailliert ... begründeter Prüfung", vgl. insoweit Gärditz, ZfZ 2014, 18) zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes verdichtet.

106

4. Das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Steueranmeldung verpflichtet zur Gewährung des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes. Weitere Voraussetzungen sind nicht zu erfüllen.

107

a) Bei europarechtlichen Zweifeln bedarf es ohnehin keines - bei verfassungsrechtlichen Zweifeln zwischen den BFH-Senaten streitigen - besonderen Interesses des Antragstellers am vorläufigen Rechtsschutz, das dem öffentlichen Interesse an geordneter Haushaltsführung vorgeht.

108

Soweit von einzelnen Senaten des Bundesfinanzhofs vertreten wird (vgl. etwa BFH, Beschluss vom 27.05.2004, III B 127/03, m. w. N.), dass für eine Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung von Steuerbescheiden wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der ihnen zugrunde liegenden Vorschrift ein zusätzliches berechtigtes Interesses an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu verlangen ist, wird dieses Erfordernis auf die Fälle der Geltendmachung von Verletzungen des Unionsrecht nicht übertragen (BFH, Beschluss vom 24.03.1998, I B 100/97; BFH, Beschluss vom 19.12.2012, V S 30/12; BFH, Beschluss vom 05.05.1994, V S 11/93).

109

Bereits in seinem Beschluss vom 05.05.1994 gewährte der Bundesfinanzhof (V S 11/93) vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf Zweifel an der Übereinstimmung des nationalen Rechts mit europäischem Richtlinienrecht, die er mit Beschluss vom selben Tag (Az.: V R 23/93) zum Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens machte - und dies, obwohl er, wie in den Gründen seines Vorabentscheidungsersuchens dargelegt, die aufgezeigten Zweifel im Ergebnis nicht für durchgreifend gehalten hat.

110

Dieser Entscheidung wurde in späteren Entscheidungen ausnahmslos gefolgt (BFH, Beschluss vom 14.02.2006, VIII B 107/04; BFH, Beschluss vom 24.03.1998, I B 100/97; Hessisches FG, Beschluss vom 22.10.2008, 7 V 2514/08; FG Düsseldorf, Beschluss vom 20.11.2000, 4 V 5995/00; vgl. auch BFH, Beschluss vom 19.12.2012, V S 30/12; Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 14.10.2004, 6 V 655/04; FG Berlin, Beschluss vom 26.01.2001, 7 B 8348/00; vgl. auch Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 98 FGO).

111

Unerheblich ist, dass sich die Ausführungen in den späteren Entscheidungen teilweise auf die Möglichkeit der Verletzung von primärem Unionsrecht beziehen. So formuliert etwa der Bundesfinanzhof in dem Beschluss vom 24.03.1998 (I B 100/97), die Geltendmachung eines berechtigten Interesses an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung könne nicht gefordert werden, wenn die Verletzung des EG-Vertrags ernstlich in Betracht komme. Da sich der I. Senat des Bundesfinanzhofs in dieser Entscheidung zur Begründung seiner Ansicht allerdings ausdrücklich auf die zitierte Entscheidung des V. Senats vom 05.05.1994 (V S 11/93) bezieht und sich ihr anschließt, kann in der Formulierung keine Einschränkung dahin gehend gesehen werden, dass die Aussetzungsvoraussetzungen bei Zweifeln an der Übereinstimmung nationalen Rechts mit primärem Unionsrecht weitergehend sind als bei solchen, die nur das sekundäre Recht - hier das Richtlinienrecht - betreffen.

112

b) Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel ist die zum Teil geforderte weitere Rechtsschutzvoraussetzung des besonderen Interesses jedenfalls nunmehr gegeben.

113

Zwar hat der VII. Senat des Bundesfinanzhofs seine Entscheidung vom 09.03.2012 (VII B 171/11), mit der er den Beschluss des beschließenden Senats vom 16.09.2011 aufhob, sowie seine entsprechenden weiteren Beschlüsse in den Parallelverfahren damit begründet, dass eine im Streitfall gebotene Abwägung des für eine Aufhebung der Vollziehung sprechenden individuellen Interesses der antragstellenden Betreiber von Kernkraftwerken wegen der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes einerseits und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung unter der gebotenen Beachtung des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts andererseits, zur Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes führe, weil das Rechtsschutzinteresse der Betreiber der Kernkraftwerke keinen Vorrang genieße.

114

Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass, soweit in der Rechtsprechung für die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsgrundlage überhaupt jenseits der geschriebenen Tatbestandsmerkmale des § 69 FGO noch ein vorrangiges Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen verlangt wird, in einem Vorlagebeschluss durch den Bundesfinanzhof an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. GG ein Vorrang begründender Umstand erkannt wird (vgl. BFH, Beschluss vom 21.11.2013, II B 46/13, unter Bezugnahme auf BFH, Beschluss vom 23.04.2012, III B 187/11; BFH, Beschluss vom 01.04.2010, II B 168/09). Nach der entsprechenden Rechtsprechungsänderung des insoweit bisher bei verfassungsrechtlichen Zweifeln eher restriktiv vorläufigen Rechtsschutz gewährenden II. Senat des Bundesfinanzhofs (Beschluss vom 21.11.2013, II B 46/13) kommt es insoweit auch nicht (mehr) darauf an, ob zu erwarten ist, dass das Bundesverfassungsgericht nicht lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz aussprechen und dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird. Ein Vorlagebeschluss eines Senats des Bundesfinanzhofs begründet demnach grundsätzlich einen Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz.

115

Ob der Vorlagebeschluss eines Finanzgerichts in gleicher Weise wie ein Vorlagebeschluss eines Senats des Bundesfinanzhofs den teilweise von der Rechtsprechung verlangten Vorrang begründet, ist zwar, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden worden, ist aber nach Ansicht des beschließenden Senats grundsätzlich zu bejahen.

116

Der beschließende Senat nimmt insoweit Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es hat zwar entschieden, dass durch den Erlass eines Vorlagebeschlusses durch ein Finanzgericht andere Finanzgerichte oder jedenfalls der Bundesfinanzhof nicht daran gehindert werden, die gegen die Verfassungsmäßigkeit der im Ausgangsverfahren erheblichen Vorschrift durch das vorlegende Finanzgericht vorgebrachten Gründe einer sachlichen Prüfung zu unterziehen und unter Bezugnahme auf die bisherige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung gegebenenfalls zu der Würdigung zu gelangen, dass der Vorlagebeschluss wegen offenkundiger Unbegründetheit erfolglos bleiben werde und daraufhin die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz zu versagen, weil ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Vorschrift offensichtlich fehlen (BVerfG, Beschluss vom 06.05.2013, 1 BvR 821/13). Im Umkehrschluss entnimmt der Senat diesen Ausführungen jedoch, dass im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes für die Frage, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen, der Inhalt des Vorlagebeschlusses einer Prüfung zu unterziehen und zu würdigen und für den Fall, dass im Ergebnis das Vorliegen ernstlicher Zweifel nicht verneint werden kann, vorläufiger Rechtsschutz ohne weiteres zu gewähren ist.

117

Andernfalls würde es zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung derjenigen Steuerpflichtigen kommen, auf deren Anfechtung bereits das Finanzgericht die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes gewinnt, gegenüber denjenigen, bei denen erst der Bundesfinanzhof im Rechtsmittelverfahren zu diesem Ergebnis kommt. Letztere erhielten vorläufigen Rechtsschutz ohne Interessenvorrang, bei Ersteren müsste diese Rechtsschutzvoraussetzung noch zusätzlich erfüllt sein.

118

5. Eine Sicherheitsleistung ist nicht anzuordnen.

119

Die Anordnung der Sicherheitsleistung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO dient der Vermeidung von Steuerausfällen, die infolge einer Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung vor allem dadurch entstehen können, dass der Steuerpflichtige im Verfahren zur Hauptsache letztlich unterliegt und zu diesem Zeitpunkt die Durchsetzung der Steuerforderung gefährdet oder erschwert ist (BFH, Beschluss vom 18.07.2012, X S 19/12; BFH, Beschluss vom 03.02.2005, I B 208/04, m. w. N.). Besteht eine entsprechende Gefahr im konkreten Fall nicht, ist für die Anordnung einer Sicherheitsleistung kein Raum (BFH, Beschluss vom 18.07.2012, X S 19/12; BFH, Beschluss vom 03.02.2005, I B 208/04, m. w. N.; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO, Rdnr. 388), denn die Anordnung der Sicherheitsleistung stellt eine Ausnahme vom Regelfall dar (Gosch in Beermann/Gosch, § 69 FGO Rdnr. 206).

120

Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht. Für die Anordnung einer Sicherheitsleistung ergibt sich hieraus, dass grundsätzlich die Finanzbehörde die für eine Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vortragen muss - wenn sich diese Umstände nicht bereits aus dem Vortrag des Antragstellers ergeben - und der Steuerpflichtige ggf. Umstände vortragen muss, die ein (dargelegtes) Sicherungsbedürfnis der Behörde entfallen oder unangemessen erscheinen lassen (BFH, Beschluss vom 10.02.2010, V S 24/09 m. w. N.; BFH, Beschluss vom 07.09.2007, V B 95/07; BFH, Beschluss vom 10.10.2002, VII S 28/01; Dumke in Schwarz, FGO, § 69, Rdnr. 106 m. w. N.).

121

Vorliegend hat der Antragsgegner keine Umstände hinreichend substantiiert vorgebracht, die die Anordnung einer Sicherheitsleistung als erforderlich erscheinen lassen.

122

Der Antragsgegner selbst räumt ein, dass die gegenwärtige finanzielle Situation der Antragstellerin keine Gefährdung des streitgegenständlichen Abgabenanspruchs begründet.

123

Eine Gefährdung des Anspruchs kann allerdings, wie der Antragsgegner zutreffend geltend macht, auch gegeben sein, wenn mit dem Eintritt solcher Umstände künftig ernsthaft zu rechnen ist. Dabei ist der Begriff der Gefährdung nicht erst dann erfüllt, wenn eigene Maßnahmen des Steuerpflichtigen - wie das Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen, fehlerhafte Vermögensspekulationen und anderes mehr - die Gefahr der Uneinbringlichkeit der Steuer begründen, sondern bereits dann, wenn die Liquiditätslage des Steuerpflichtigen die alsbaldige Begleichung einer Steuerschuld nach ihrer endgültigen gerichtlichen Feststellung fraglich erscheinen lassen muss (BFH, Beschluss vom 22.06.1967, I B 7/67). Dafür müssen aber konkrete Anhaltspunkte und nicht nur Vermutungen vorliegen (Birkenfeld a. a. O., Rdnr. 386). Es reicht nicht aus, auf die voraussichtliche - hier tatsächlich eher längere - Verfahrensdauer oder die - hier tatsächlich sehr erhebliche - Höhe des Steueranspruchs schlicht hinzuweisen (Birkenfeld a. a. O., Rdnr. 386). Bei der Beurteilung einer Gefährdung der Steueransprüche kommt es gegebenenfalls auf die Relation der Steuerforderungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Steuerpflichtigen an (vgl. BFH, Beschluss vom 10.10.2002, VII S 28/01; FG Düsseldorf, Beschluss vom 03.07.2002, 15 V 6331/01). Die vom Antragsgegner insbesondere in Bezug genommene Eigenkapitalquote ist nicht mehr als nur eine Facette bei der Beurteilung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und trägt daher die Feststellung einer Gefährdungssituation für sich nicht. Die weiteren Erwägungen des Antragsgegners, dass die Antragstellerin die Brennelemente-Entsorgung und Anlagenstilllegung trotz bereits gebildeter Rückstellungen nicht werde tragen können, rechtfertigen die Anordnung einer Sicherheitsleistung ebenfalls nicht. Denn sie sind nicht hinreichend konkret, sondern eher spekulativer Natur. Dies gilt auch im Hinblick auf sich möglicherweise verschlechternde Rahmenbedingungen aufgrund verschärfter gesetzlicher Verantwortlichkeit für den hochradioaktiven Abfall, zumal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher noch keine Großunternehmen der Atomindustrie durch gesetzliche Maßnahmen in den Ruin getrieben worden sind und auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass solche Maßnahmen zukünftig in rechtmäßiger Weise erfolgen können. Im Übrigen begründet die Äußerung des Antragsgegners, die wirtschaftliche Entwicklung der Antragstellerin in den nächsten drei Jahren sei unsicher, für sich noch keine hinreichend konkrete Gefährdungssituation, sie erschöpft sich vielmehr in einer bloßen Vermutung.

124

Auch den weiteren Vortrag des Antragsgegners, die Antragstellerin werde die Kernbrennstoffsteuer nach gegebenenfalls klagabweisender Entscheidung des Hauptsacheverfahrens deswegen nicht zahlen können, weil die Steuer so hoch sei, hält der Senat im Hinblick auf die Prognose der zukünftigen Zahlungsfähigkeit der Antragstellerin für reine Spekulation. Dass die Berechnung der Höhe der gegebenenfalls zukünftig zu zahlenden Kernbrennstoffsteuer für sich genommen nachvollziehbar ist, ist nicht ausreichend - zumal diese Berechnung unter der nicht belegten Prämisse steht, dass das streitgegenständliche Kernkraftwerk überhaupt weiter betrieben werden wird.

125

Nur ergänzend merkt der Senat Folgendes an: Sollte indes in der Höhe der Kernbrennstoffsteuer eine konkrete Ursache für die von dem Antragsgegner befürchtete Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Schuldner der Kernbrennstoffsteuer in einem solchen Maß sein, dass die Erfüllung des Kernbrennstoffsteueranspruchs gefährdet wird - wovon der Senat mangels hinreichend konkreter Darlegung durch den Antragsgegner indes nicht ausgeht -, so würde dieser Umstand weitere ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Erhebung der Kernbrennstoffsteuer begründen, etwa im Hinblick auf die Unzulässigkeit einer erdrosselnden Besteuerung. Die Erfolgsaussichten für die Klage der Antragstellerin würden entsprechend steigen und die wirkliche Gefahr des Steuerausfalls also sinken und mit ihr auch das Bedürfnis nach einer Sicherheitsleistung (vgl. BFH, Beschluss vom 19.10.2010, XI B 60/09; Seer in Tipke/Kruse Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO, Rdnr. 109 m. w. N.).

126

6. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Antragsgegner zur Last, § 135 Abs. 1 FGO.

127

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 151 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 151 Abs. 3 FGO analog, § 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 10.01.2012, 4 V 288/11, mit weiterer Begründung).

128

Der Senat lässt die Beschwerde gegen diesen Beschluss nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO zu.

129

Die Beschwerde ist gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO in Verbindung mit § 115 Abs. 2 FGO u. a. zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert.

130

Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 28.11.1977 (GrS 4/77) ist die Beschwerde auch dann zuzulassen, wenn sich die maßgebliche Rechtsfrage nicht auf die Auslegung des § 69 FGO (also auf die Frage, ob vorliegend ernsthafte rechtliche Zweifel gegeben sind), sondern auf die zugrunde liegende Rechtsfrage bezieht, derentwegen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht werden. Dabei handelt es sich um eine seitdem ständige Rechtsprechung (vgl. BFH, Beschluss vom 06.02.2009, IV B 125/08; BFH, Vorlagebeschluss vom 29.04.1999, IV R 40/97; vgl. BFH, Beschluss vom 07.04.1992, VII B 56/91; a. A. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.10.2008, 6 V 6161/08).

131

Der Große Senat hat in seiner Entscheidung vom 28.11.1977 u. a. ausgeführt, dass für eine in dem dargelegten Sinne bestehende Beschwerdezuständigkeit des Bundesfinanzhofs in Verfahren auf Aussetzung / Aufhebung der Vollziehung ein Bedürfnis bestehe. Es könne sich bei solchen Verfahren um Rechtssachen von weittragender Bedeutung handeln. Nicht selten würden die Entscheidungen veröffentlicht. Es wäre, auch im Hinblick auf die unvermeidlich längere Dauer der Revisionsverfahren, nicht tragbar, wenn sich in diesen wichtigen - obschon nur die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes betreffenden - Verfahren eine unterschiedliche Entscheidungspraxis der Finanzgerichte entwickeln könnte, etwa dergestalt, dass einzelne Finanzgerichte Steuergesetze wegen angenommener Verfassungswidrigkeit für nicht anwendbar halten oder von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, eines anderen obersten Gerichtshofs des Bundes, des Gemeinsamen Senats, des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs abweichen, oder dass sie in einer neuartigen Rechtsfrage von grundsätzlicher, d.h. allgemeiner Bedeutung entscheiden.

132

Vor diesem Hintergrund ist die Beschwerde zuzulassen.

133

Im Hinblick auf die europarechtlichen Zweifel ist zu berücksichtigen, dass das Finanzgericht Baden-Württemberg seine vorläufigen Rechtsschutz versagenden Beschlüsse vom 10.01.2012 (11 V 2661/11 und 11 V 4024/11) damit begründet hat, dass die Anwendung des Kernbrennstoffsteuergesetzes bei summarischer Prüfung weder gegen Verfassungsrecht noch gegen primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht verstoße.

134

Auch wenn das Finanzgericht Baden-Württemberg die nach Ansicht des beschließenden Senats erhebliche europarechtliche Frage, ob die Kernbrennstoffsteuer eine indirekte Steuer auf Strom im Sinne von Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 RL 2008/118/EG ist und ihre Erhebung sich daher an den sich aus diesen Regelungen ergebenden Beschränkungen messen lassen muss, nicht erörtert hat, ist jedenfalls im Hinblick darauf, dass das Finanzgericht Baden-Württemberg die Fragen der Verfassungs- und Unionsrechtsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes im Ergebnis grundlegend anders beantwortet hat, nämlich dass insoweit keine ernsthaften Zweifel besehen, die Beschwerde gegen diesen Beschluss, mit dem die Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung aufgehoben wird, zuzulassen.

135

Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel berücksichtigt der beschließende Senat die Grundsätzlichkeit der Frage, ob ein Anspruch auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz wegen bestehender Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes voraussetzt, dass ein Vorrang des individuellen Interesses des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung unter der gebotenen Beachtung des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts festgestellt werden kann und ein solcher Vorrang jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn ein Finanzgericht das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht im Wege der konkreten Normenkontrolle zur Prüfung vorgelegt hat.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.