Tenor

Der 5. Senat hält an der Rechtsauffassung fest, wie sie in den von der Anfrage des 12. Senats in Bezug genommenen Entscheidungen zum Ausdruck gekommen ist.

Gründe

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I. Dem anfragenden 12. Senat des BSG liegt ein Rechtsstreit vor, in dem darüber zu befinden ist, ob die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Synchronsprecherin als Beschäftigte versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung war, und ob sie insoweit als "unständig" Beschäftigte zu qualifizieren ist. Der 12. Senat beabsichtigt die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Er sieht sich hieran durch die vom 5. Senat in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung gehindert. Würde der 12. Senat dem 5. Senat folgen, wäre die Revision der Beklagten nach Ansicht des 12. Senats als unzulässig zu verwerfen. Er hat daher beim 5. Senat mit Beschluss vom 27.4.2016 (B 12 KR 17/14 R - Juris) angefragt,

        

"ob dieser an seiner Rechtsprechung festhält, dass die formgerechte Begründung einer Revision iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG in Bezug auf die Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts

        

a) die ausdrückliche Angabe erfordert, dass es sich bei den vom Revisionsführer angeführten tatsächlichen Umständen um den Sachverhalt handelt, den die Vorinstanz im angefochtenen Urteil festgestellt hat, und 'an welcher genauen Stelle' er dem Berufungsurteil die von ihm genannten Tatumstände entnehmen möchte (Beschluss vom 5.11.2014 - B 5 RE 5/14 R - BeckRS 2014, 74155 RdNr 8; Urteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 7),

        

b) es erfordert, das Bundessozialgericht in die Lage zu versetzen, 'ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind' (Beschluss vom 5.11.2014 - B 5 RE 5/14 R - BeckRS 2014, 74155 RdNr 8; Urteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 7; vgl auch Beschluss vom 22.7.2015 - B 5 R 16/15 R - BeckRS 2015, 70865 RdNr 8 f)."

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II. Im Mittelpunkt der Anfrage des 12. Senats steht die Auslegung des § 164 Abs 2 S 3 SGG und die sich hieraus ergebende Pflicht zur Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts im Rahmen der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

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1. Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Nach Satz 3 muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

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a) § 164 Abs 2 S 3 SGG ist dem § 554 Abs 3 Nr 2 ZPO(idF der Bekanntmachung vom 5.6.1905, RGBl S 536, 537) nachgebildet (vgl BSG Urteil vom 30.6.1964 - 3 RK 38/60 - SozR Nr 53 zu § 164 SGG und Beschluss vom 24.9.1957 - 2 RU 70/54 - SozR Nr 27 zu § 164 SGG); die für das Verfahren nach der ZPO gültigen Maßstäbe gelten daher auch für die Auslegung des § 164 Abs 2 S 3 SGG(vgl BSG Beschlüsse vom 12.11.1962 - 9 RV 694/62 - SozR Nr 49 zu § 164 SGG und vom 17.1.1958 - 11/9 RV 1126/55 - BSGE 6, 269 f).

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aa) Anlass der Einfügung des § 554 Abs 3 Nr 2 ZPO aF war die - trotz Vergrößerung des Personalbestandes - bestehende Arbeitsbelastung des Reichsgerichts (RG), die sich durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches zum 1.1.1900 weiter verschärft hatte (vgl RT-Drucks 1903/1904 Nr 415 S 4). Der Gesetzesentwurf der Reichsregierung betreffend Änderungen der ZPO sah einen Grund hierfür auch in der Ausgestaltung der auf die Begründung der Revision bezogenen Bestimmung des § 554 ZPO(idF der Bekanntmachung vom 20.5.1898, RGBl 514 f) als Sollvorschrift. Der Umstand, dass ohne Nachteil für den Erfolg des Rechtsmittels eine Begründung der Revision unterbleiben durfte, hatte nämlich zur Folge, dass eine solche häufig entweder gar nicht oder zu einem Zeitpunkt einging, in welchem sie zur Vorbereitung des Berichterstatters wie des Revisionsgegners nicht mehr dienen konnte, bzw Revisionen kurz vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurden, nachdem der Berichterstatter seine Bearbeitung bereits abgeschlossen hatte (RT-Drucks 1903/1904 Nr 415 S 9 f). Gleichwohl sah der Regierungsentwurf den Weg zur Entlastung des RG nicht in der Einführung eines Revisionsbegründungszwangs, sondern in der Erhöhung der Revisionssumme, um auf diese Weise die Zahl der zu bearbeitenden Fälle zu vermindern (RT-Drucks 1903/1904 Nr 415 S 10 ff). Auch von Mitgliedern der im Weiteren mit dem Gesetzesentwurf befassten XII. Kommission des Reichstages wurde die Auffassung vertreten, dass die fehlende Pflicht zur Revisionsbegründung in unnötiger Weise die Vorarbeit des Senatspräsidenten und des Berichterstatters erschwere, weil diese die gesamten Akten auch ihrerseits darauf zu prüfen hätten, ob eine Rechtsverletzung vorliege, gleichviel ob diese gerügt worden sei oder nicht (RT-Drucks 1903/1905 Nr 782 S 26). Anders als die Regierungsvorlage sprach sich die Kommission für die Einführung eines Begründungszwangs aus (RT-Drucks 1903/1905 Nr 782 S 81). Dieser würde mehr wie bisher davon abhalten, ohne genauere Prüfung eine Revision einzulegen, und dazu führen, dass aussichtslose Revisionen früher zurückgezogen würden. Dem Gericht werde dadurch unnötiges Aktenstudium erspart; die Vorbereitung des Berichterstatters würde erheblich erleichtert und könnte eine viel gründlichere sein, da das gesamte Vorbringen des Revisionsklägers in seinen wesentlichen Punkten rechtzeitig schriftlich vorliege (RT-Drucks 1903/1905 Nr 782 S 59 f). In den anschließenden Verhandlungen des Reichstags wurde die mit der Einführung des Begründungszwangs bezweckte Entlastung des RG nochmals hervorgehoben und auch auf die für die Anwälte einhergehende Mehrbelastung hingewiesen (vgl Stenographische Berichte über die Verhandlungen des RT 1903/1905, S 6031, 6043 und 6090).

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bb) Die Rechtsprechung des RG hat in der Pflicht zur Begründung der Revision ein formales Erfordernis erblickt, deren notwendiger Inhalt nicht ohne Rücksicht auf den gesamten Zweck der Vorschriften zur Revisionsbegründung zu bestimmen sei (RG Urteile vom 11.1.1907 - II 357/06 - RGZ 65, 81, 84; vom 3.6.1907 - VI 418/06 - RGZ 66, 178, 180 und vom 3.5.1915 - VI 547/14 - RGZ 87, 5, 6). Die Revisionsbegründungspflicht sei eingeführt worden, um eine Entlastung des RG herbeizuführen (RG Urteile vom 12.12.1918 - VI 251/18 - RGZ 95, 70, 72 und vom 22.3.1926 - IV 362/25 - RGZ 113, 166, 168). Diesem Zweck entsprechend sei die Formvorschrift des § 554 ZPO streng auszulegen und anzuwenden(RG Urteile vom 26.11.1929 - VII 256/29 - RGZ 126, 245, 249 und vom 16.6.1921 - VI 84/21 - RGZ 102, 280, 281 f). Insoweit hat das RG in ständiger Rechtsprechung das Erfordernis aufgestellt, dass nicht nur für die verfahrensrechtlichen Rügen die Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen, in der Begründungsschrift im Einzelnen bestimmt bezeichnet werden müssen, sondern auch den sachlich-rechtlichen Revisionsangriffen eine sorgfältige, über ihren Umfang und Zweck keinen Zweifel lassende Begründung zuteilwerden muss, die erkennen lässt, dass der die Revisionsbegründung einreichende Rechtsanwalt sich einer Nachprüfung des angegriffenen Urteils unterzogen hat (RG Urteil vom 27.5.1927 - III 390/26 - RGZ 117, 168, 170 und Beschluss vom 6.11.1928 - VII 514/28 - RGZ 123, 38).

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In den 1950er und 1960er Jahren hat das BSG im Anschluss an diese Rechtsprechung des RG die grundlegenden Maßstäbe für die Anwendung und Auslegung des § 164 Abs 2 S 3 SGG herausgearbeitet. § 164 Abs 2 S 3 SGG sei dem § 554 Abs 3 Nr 2 ZPO aF nachgebildet, diene demselben rechtspolitischen Zweck, nämlich der Entlastung des Revisionsgerichts, und sei zu dessen Erreichung streng auszulegen(BSG Urteile vom 30.6.1964 - 3 RK 38/60 - SozR Nr 53 zu § 164 SGG und vom 28.2.1962 - 2 RU 271/58 - BSGE 16, 227 = SozR Nr 48 zu § 164 SGG; Beschluss vom 24.9.1957 - 2 RU 70/54 - SozR Nr 27 zu § 164 SGG). Die Revisionsbegründung soll die Vorarbeiten des Berichterstatters erleichtern; außerdem soll erreicht werden, dass der Prozessbevollmächtigte die Rechtslage genau durchdenkt, bevor er durch seine Unterschrift die Verantwortung für die Revision übernimmt und dass er infolgedessen unter Umständen von der Durchführung aussichtsloser Revisionen absieht (BSG Urteil vom 30.6.1964, aaO; Beschlüsse vom 12.11.1962 - 9 RV 694/62 - SozR Nr 49 zu § 164 SGG und vom 17.1.1958 - 11/9 RV 1126/55 - BSGE 6, 269, 270). Eine die Zulässigkeitsschwelle überwindende Revisionsbegründung muss aus sich heraus erkennen lassen, dass der Prozessbevollmächtigte das angefochtene Urteil nachgeprüft hat (BSG Urteil vom 30.6.1964, aaO und Beschlüsse vom 17.1.1958, aaO und 24.9.1957, aaO).

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Hieran anknüpfend und unter Bezugnahme auf die Entscheidung des RG vom 27.5.1927 (RGZ 117, 168) hat im Weiteren der anfragende Senat mit Beschluss vom 13.12.1976 (12 RK 46/76 - SozR 1500 § 164 Nr 5 S 5) die an eine ordnungsmäßige Revisionsbegründung zu stellenden Anforderungen dahingehend konkretisiert, dass auch bei materiell-rechtlichen Revisionsangriffen die Revision sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei zu begründen sei. Wie im Rahmen von Verfahrensrügen seien auch bei materiell-rechtlichen Revisionsrügen die Tatsachen zu bezeichnen, die den Mangel ergeben. Das Revisionsgericht müsse nämlich anhand der Revisionsbegründung erkennen können, dass der Prozessbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel der Revision überprüft hat, um so dem gesetzgeberischen Zweck des § 164 Abs 2 S 3 SGG zu genügen, aussichtslose Revisionen nach Möglichkeit von vornherein zu verhindern. Als Ergebnis der eigenen Nachprüfung habe der Prozessbevollmächtigte dem Revisionsgericht die Gründe darzulegen, die das Urteil als unrichtig erscheinen lassen.

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Eine weitere Präzisierung erfuhr diese Rechtsprechung schließlich durch den Beschluss des 11. Senats vom 2.1.1979 (11 RA 54/78 - SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17),der ausgeführt hat:

        

"die Revision ist deshalb - auch bei materiell-rechtlichen Rügen - sorgfältig zu begründen; sie muss jedenfalls die Gründe aufzeigen, die nach Auffassung des Prozessbevollmächtigten das Urteil im oder in den verbleibenden Streitpunkten unrichtig erscheinen lassen; hierzu bedarf es einer zumindest kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung (vgl BSG SozR Nr 27 zu § 164 SGG; SozR 1500 § 164 Nr 5 mwH; BVerwG, Buchholz 310. § 139 VwGO Nr 34, BFHE 88, 230; 101, 356, 357; 102, 217, 219). Bei alledem sind stets die Voraussetzungen im Auge zu behalten, unter denen das Gesetz dem Revisionsgericht überhaupt eine Korrektur von unrichtigen Urteilen erlaubt; die Revisionsbegründung muss daher grundsätzlich von tatsächlichem Vorbringen frei sein; sie muss bei materiell-rechtlichen Rügen darlegen, dass und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (§ 550 ZPO); dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen zu dieser Vorschrift geschehen (vgl RGZ 117, 168, 171; BVerwG aaO)."

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Der Entscheidung des 11. Senats vom 2.1.1979 (aaO) haben sich in der Folge alle Senate des BSG (der anfragende Senat mit Urteil vom 21.9.2005 - B 12 KR 1/05 R - Juris RdNr 11) ausdrücklich angeschlossen. Bereits mit Ende der 1970er Jahre war damit in der Rechtsprechung des BSG abschließend geklärt, welche Anforderungen an die Begründung einer Revision in Bezug auf materiell-rechtliche Rügen über Antrag und Bezeichnung der verletzten Norm hinaus zu stellen sind. Im Weiteren erfuhr die Ausgestaltung des Begründungerfordernisses lediglich neue sprachliche Aus- und Umformungen; eine inhaltliche Abkehr von früheren Entscheidungen - und insbesondere von BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 - verband sich hiermit nicht(vgl exemplarisch BSG Urteil vom 8.2.2000 - B 1 KR 18/99 R - SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 unter Verweis auf BSG SozR 1500 § 164 Nr 12).

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2. Diese die Vorschrift des § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG mit Inhalt füllende Rechtsprechung bildet auch die Grundlage der ständigen Spruchpraxis des erkennenden Senats.

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Wendet sich die Revision gegen die Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts, ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Norm in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedankengang des Vordergerichts einzugehen. Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (Senatsbeschlüsse vom 10.2.2016 - B 5 RS 1/15 R - BeckRS 2016, 66775 RdNr 6; vom 5.5.2015 - B 5 R 18/14 R - BeckRS 2015, 69242 RdNr 6 und vom 9.1.2014 - B 5 RE 1/14 R - BeckRS 2014, 65978 RdNr 7).

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3. Will man diese in ständiger Rechtsprechung aufgestellten strengen Anforderungen nicht als bloße Leerformeln begreifen, kann eine Rüge der Verletzung materiellen Rechts diesen logisch und rechtlich nur dann genügen, wenn sie den vom Vordergericht festgestellten entscheidungserheblichen Lebenssachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich relevanter Tatumstände) vollständig darlegt.

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a) Diese Notwendigkeit folgt aus dem Wesen deduktiver Rechtsanwendung als einem Zusammenfügen von Sätzen über Realitätsausschnitte und normativen Größen (aa) sowie der Bindung des BSG als Revisionsgericht an die vom Vordergericht festgestellten Tatsachen (bb), wird durch den Sinn und Zweck der zur Zulässigkeitsvoraussetzung erhobenen Revisionsbegründung getragen (cc) und entspricht in vergleichbarer Weise den vom BVerfG an die Zulässigkeit einer Richtervorlage nach Art 100 Abs 1 S 1 Alt 2 GG gestellten Anforderungen (dd).

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aa) Nach § 162 SGG kann die Revision allein darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung revisiblen Rechts beruht. Wann eine Rechtsverletzung vorliegt, ist in § 546 ZPO geregelt, der iVm § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet(Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 162 RdNr 2). Danach ist das Recht verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Gleichbleibender Rahmen bzw logisches Gerüst jeder Rechtsanwendung ist die Figur des "Syllogismus der Rechtsfolgebestimmung"; der juristische Denkprozess beim Anwenden einer Norm auf die Beschreibung eines Lebenssachverhalts vollzieht sich nach seinen logischen Schlussregeln (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 271 f; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S 395; Schmidt, JuS 2003, 649). In ihm bildet ein vollständiger Rechtssatz den Obersatz, die Unterordnung eines festgestellten und verbal umschriebenen Sachverhalts unter den Tatbestand des Rechtssatzes den Untersatz. Die Schlussfolge wiederum besagt, dass für den beschriebenen Sachverhalt die im Rechtssatz genannte Rechtsfolge gilt. Mit der Verneinung der Zuordnung der Beschreibung eines Sachverhalts zum Tatbestand eines Rechtssatzes ist indes nicht stets die Verneinung der hieraus ableitbaren konkreten Rechtsfolge verbunden; denn diese lässt sich möglicherweise in Anwendung eines anderen Tatbestands begründen. Ebenso bedarf es der Prüfung, ob der beschriebene Sachverhalt nicht unter den Tatbestand einer einschränkenden Norm fällt, welche die einstweilen gewonnene Rechtsfolgenanordnung begrenzt oder ausschließt.

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Innerhalb dieses logischen Schlussverfahrens können Fehler nicht nur im Obersatz, sondern auch im Untersatz und in der Schlussfolgerung selbst auftreten (Heßler in Zöller, ZPO, 31. Aufl 2016, § 546 RdNr 7; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand Juli 2016, § 118 FGO RdNr 32 f; für eine Unterteilung nur in Interpretations- und Subsumtionsfehler etwa BSG Urteil vom 24.2.2016 - B 13 R 31/14 R - Juris RdNr 14 - zur Veröffentlichung in SozR 4-1500 § 164 Nr 4 vorgesehen; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 162 RdNr 8 mwN; Ratschow in Gräber, FGO, 8. Aufl 2015, § 118 FGO RdNr 6). Unrichtige Rechtsanwendung besteht danach zunächst darin, dass die abstrakten Tatbestandsmerkmale einer Norm unzutreffend ausgelegt wurden oder eine anzuwendende Norm übersehen wurde (Interpretationsfehler = Fehler im Obersatz). Fehler können aber auch beim Feststellen von Tatsachen unterlaufen (Feststellungsfehler = Fehler im Untersatz). Derartige Fehler sind, soweit sie die Feststellung selbst betreffen, als "ureigene tatrichterliche Aufgabe" (BSG vom 11.3.2016 - B 9 V 3/16 B - Juris RdNr 6) und Teil der Urteilsfindung allein des Berufungsgerichts einer revisionsgerichtlichen Überprüfung zur Gänze entzogen. Beanstandungen des im Einzelfall gefundenen Ergebnisses und Versuche, es mit revisionsrechtlichen Angriffen durch ein eigenes abweichendes zu ersetzen, sind damit grundsätzlich unbeachtlich (BSG vom 8.2.2000 - B 1 KR 13/99 R - Die Beiträge Beilage 2002, 380 ff = Juris RdNr 14 und vom 6.5.2004 - B 4 RA 44/03 R - Juris RdNr 20). Eine Überprüfung kommt insofern allein auf Rüge eines verfahrensfehlerhaften äußeren Zustandekommens einer Tatsachenfeststellung (§ 164 Abs 2 S 3 SGG) in Betracht, wenn also im Einzelfall gegen das Gebot der Vollständigkeit (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) bzw gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen wurde (vgl BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 21 RdNr 26; BSG SozR Nr 34 und 56 zu § 128 SGG). Schließlich kommt in Betracht, dass festgestellte Tatsachen fehlerhaft einer bestimmten Norm unterstellt oder zu Unrecht einem an sich verwirklichten Normtatbestand nicht unterstellt wurden (Subsumtionsfehler = Fehler im Schlusssatz).

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Die zur Gewinnung eines Sachverhalts notwendige Abstrahierung von Unwesentlichem kann dabei immer nur in Bezug auf bestimmte Rechtsnormen vorgenommen werden. Umgekehrt können in Betracht zu ziehende Rechtsnormen nur bezüglich eines bestimmten Sachverhalts ausgewählt werden (Schlüter, Das obiter dictum, 1973, S 109). Ober- und Untersatz stehen demnach nicht beziehungslos nebeneinander, sondern greifen wechselwirksam ineinander oder anders gewendet: Für den Obersatz ist wesentlich, was auf den konkreten Fall Bezug hat, und für den konkreten Fall ist nur von Bedeutung, was auf den Obersatz Bezug hat (Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl 1963, S 14 f). Für die Prüfung der Frage, ob die getroffene Entscheidung (Konklusion) von ihren beiden Prämissen getragen wird, dem Gesetz als Obersatz (normative Prämisse) und dem festgestellten Sachverhalt als Untersatz (tatsächliche Prämisse), bedarf es demnach stets und denknotwendig des Wissens um den entscheidungserheblichen Sachverhalt.

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bb) Der konkret-individuelle Sachverhalt, für den die Rechtsfolgen ermittelt werden sollen und der den Untersatz des Syllogismus bildet, muss anders als der Obersatz, der regelmäßig in formulierten Sätzen vorgegeben ist, erst in solchen beschrieben, also festgestellt werden (Bydlinski, aaO, S 43 f). Der für das Revisionsverfahren relevante Sachverhalt, die tatsächlichen Feststellungen iS von § 163 SGG, findet seinen Ausdruck in dem Untersatz, den die Tatsachengerichte auf der Grundlage ihrer Ermittlungen unter Heranziehung der Beteiligten(§§ 103, 128 Abs 2 SGG)als Ausdruck ihrer begründeten, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen freien Überzeugung (§ 128 Abs 1 S 1, 2 SGG) im Urteil zum Ausdruck gebracht haben (§§ 128 Abs 1 S 2, 136 Abs 1 Nr 6 SGG). Die identische Tatsachengrundlage des Berufungs- wie des Revisionsurteils ist damit rechtlich abschließend und unvertretbar der "Überzeugung" des Tatsachengerichts zugewiesen. Das BSG als Revisionsgericht ist demgegenüber grundsätzlich weder befugt noch verpflichtet, eigene Tatsachen zu ermitteln; es prüft nur, ob im angefochtenen Urteil das revisible Recht richtig angewandt worden ist oder nicht. Dieser Eigenart des Revisionsgerichts als Rechtskontrollinstanz trägt § 163 SGG Rechnung(vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 1 und 4)und berücksichtigt dabei zugleich, dass das individuelle geistige Internum der "Überzeugung" (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) externer Kontrolle schon faktisch weitgehend entzogen ist. Nach § 163 SGG ist das BSG an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Diese gesetzlich vorgegebene Bindung legt für das BSG die tatsächliche Grundlage fest, auf der die Revisionsentscheidung allein getroffen werden darf. Es darf und kann seiner rechtlichen Beurteilung grundsätzlich nur den vom Vordergericht festgestellten Sachverhalt zugrunde legen (vgl Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl 2014, § 137 RdNr 142; zur ausnahmsweise möglichen Tatsachenfeststellung durch das BSG vgl Behn in Peters/Sautter/Wolff, SGG, Stand Juni 2015, § 163 RdNr 38 ff mit RsprNachw). Die revisionsrechtliche Prüfungsgrundlage muss demnach identisch mit dem Sachverhalt sein, der dem Urteil des Vordergerichts zugrunde liegt und von diesem festgestellt worden ist. Nur unter dieser Voraussetzung kann das Revisionsgericht erkennen und darüber befinden, ob dem Tatsachengericht bei seiner Entscheidung Fehler in der Rechtsanwendung unterlaufen sind oder nicht.

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cc) Die Pflicht zur Revisionsbegründung dient - wie dargelegt - dem Zweck, das Revisionsgericht zu entlasten, indem sie zum einen die Vorbereitung bzw Vorarbeiten des Berichterstatters erleichtert; zum anderen soll erreicht werden, dass der Rechtsanwalt die Rechtslage genau durchdenkt, bevor er durch seine Unterschrift die Verantwortung für die Revision übernimmt, und dass er infolgedessen von der Durchführung aussichtsloser Revisionen absieht (Senatsbeschluss vom 16.7.2014 - B 5 RS 5/13 R - BeckRS 2014, 71436 RdNr 9; Berchtold in Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl 2016, § 8 RdNr 206 f; Bley, Festschrift 25 Jahre BSG, 1979, S 817, 846). Vor allem die zweite Zielrichtung des Revisionsbegründungszwangs wäre unvollkommen und weniger effektiv, wenn in der Revisionsbegründung nicht die im Hinblick auf die gerügte Rechtsverletzung gerade vom Vordergericht und im angegriffenen Urteil (exemplarisch BSG SozR 1500 § 164 Nr 28 S 44 ff; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 12 S 65 und vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 16) festgestellten, entscheidungserheblichen Tatsachen zutreffend mitgeteilt werden müssten. Denn erst so wird zum einen sichergestellt, dass der Revisionsführer die Entscheidungserheblichkeit seiner Ausführungen im Blick behält (vgl BSG Urteil vom 24.2.2016 - Juris RdNr 17 - zur Veröffentlichung in SozR 4-1500 § 164 Nr 4 vorgesehen), und zum anderen vermieden, dass er seine materiell-rechtlichen Beanstandungen nicht an dem vom Vordergericht festgestellten Sachverhalt darstellt, sondern einen konstruierten Sachverhalt zur Grundlage seines - so möglicherweise leichter "begründbaren" - Vorbringens macht; eine solche, auf einen "erfundenen" Sachverhalt gestützte - und damit keine sachliche Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil zeigende - Revision wäre indes aussichtslos und als unzulässig zu verwerfen (vgl auch BVerfG Beschluss vom 22.2.1984 - 1 BvL 21/83 - BVerfGE 66, 226 Leitsatz; aA BSG Urteil vom 24.2.2016, aaO, Juris RdNr 19 aE). Das Erfordernis, die verletzte Rechtsnorm zu bezeichnen, besagt daher nach der Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass der Revisionskläger den Streitstoff in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durcharbeiten, sichten und gliedern muss (BVerwG vom 2.4.1982 - 5 C 3/81 - Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 61 - Juris RdNr 3).

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dd) In vergleichbarer Weise fordert auch das BVerfG für die Zulässigkeit einer Richtervorlage nach Art 100 Abs 1 S 1 Alt 2 GG die Darlegung des für die rechtliche Beurteilung wesentlichen Sachverhalts(vgl BVerfG Beschlüsse vom 15.2.2016 - 1 BvL 8/12 - Juris RdNr 18 und vom 12.9.2012 - 1 BvL 11/12 - Juris RdNr 6). Nach Art 100 Abs 1 S 1 Alt 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist. Dadurch soll das vorlegende Gericht ua gezwungen werden, die mit dem Vorlagegegenstand verbundenen Rechtsfragen, insbesondere die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage und die Vereinbarkeit der vorzulegenden Rechtsnorm mit höherrangigem Recht, sorgfältig zu durchdenken. Unnötige Vorlagen sollen so vermieden, die Arbeit des BVerfG dementsprechend erleichtert und entlastet werden (Müller-Terpitz in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand Februar 2016, § 80 RdNr 238 mit RsprNachw). Um dem Entlastungszweck gerecht werden zu können, muss nach der Rechtsprechung des BVerfG der Vorlagebeschluss aus sich heraus, dh ohne Beiziehung der Akten, verständlich sein (BVerfG Beschlüsse vom 6.9.2012 - 1 BvL 13/12 - NVwZ 2013, 61, 62 und vom 25.6.1974 - 1 BvL 13/69, 1 BvL 23/69, 1 BvL 25/69 - BVerfGE 37, 328, 333 und vom 3.11.1987 - 1 BvL 28/87 - BVerfGE 77, 259, 261; Dederer in Maunz/Dürig, GG, Stand Juli 2016, Art 100 RdNr 191 mit RsprNachw). Das vorlegende Gericht hat deshalb in den Gründen seines Beschlusses den Sachverhalt darzustellen, soweit er für die rechtliche Beurteilung wesentlich ist, und die rechtlichen Erwägungen darzulegen, nach denen es für die von ihm zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten gesetzlichen Vorschrift ankommt (BVerfG Beschluss vom 29.11.1983 - 2 BvL 18/82 - BVerfGE 65, 308, 314 f und Beschluss vom 2.12.2013 - 1 BvL 5/12 - Juris RdNr 6). Das BVerfG hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es nicht der Funktion eines Normenkontrollverfahrens entspricht und nicht seine Aufgabe sein kann, Rechtsfragen zu beantworten, die erkennbar für die Entscheidung der eigentlichen Streitfrage bedeutungslos sind (BVerfG Beschluss vom 22.11.1983 - 2 BvL 5 bis 22/81 - BVerfGE 65, 265, 277); daher darf dem Vorlagebeschluss auch kein konstruierter Sachverhalt zugrunde liegen (BVerfG Beschluss vom 22.2.1984 - BVerfGE 66, 226 Leitsatz). Ohne zutreffende Sachverhaltsdarstellung kann nicht davon ausgegangen werden, dass das vorlegende Gericht die Rechtslage umfassend gewürdigt, insbesondere die rechtlichen Voraussetzungen für die Vorlage zutreffend festgestellt hat (BVerfG Beschluss vom 29.11.1983 - 2 BvL 18/82 - BVerfGE 65, 308, 315). Genügt eine Vorlage diesen Anforderungen an die Sachdarstellung nicht, ist sie als unzulässig zu verwerfen (vgl BVerfG Beschluss vom 16.11.1992 - 1 BvL 31/88, 1 BvL 10/92 und 1 BvL 11/92 - BVerfGE 87, 341, 346 f).

21

b) Welche inhaltlichen Anforderungen an eine Revisionsbegründung in Bezug auf die Darstellung des entscheidungserheblichen Lebenssachverhaltes im Rahmen der Rüge der Verletzung materiellen Rechts konkret zu stellen sind, entzieht sich einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung. Aufwand und Intensität des Eingehens auf die tatrichterlichen Feststellungen richten sich nach deren eigener Qualität und sind naturgemäß am geringsten, wenn das Tatsachengericht in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich kundgetan hat, wovon es aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens überzeugt ist und was es demgemäß festgestellt hat. Die Aufgabe des Revisionsführers wächst in dem Umfang, in dem das LSG von dieser Idealform abweicht und Feststellungen auf den Gesamttext seiner Entscheidung verteilt und/oder nur mittelbar in der Weise trifft, dass allenfalls aus seiner weiteren Rechtsanwendung deutlich wird, von welchem Sachverhalt es überzeugt war. Insoweit muss die Revisionsbegründung als Ergebnis eigener geistiger Arbeit (BSG vom 25.7.1968 - 8 RV 361/66 - SozEntsch BSG 1/4 § 164 Nr 17 - Juris RdNr 15) - und nicht von "copy and paste" - darlegen, in welcher Weise sie dem angefochtenen Urteil den mitgeteilten Sachverhalt als dessen geistigen Gehalt entnimmt.

22

aa) Zutreffend geht der anfragende Senat (Anfragebeschluss vom 27.4.2016 - Juris RdNr 16) daher davon aus, dass eine formgerechte Revisionsbegründung nicht stets eine geschlossene Darstellung des Streitstoffes und der angegriffenen Entscheidung als Ganzes erfordert. Auch bedarf sie nicht zwingend der wörtlichen Wiedergabe der vom Vordergericht festgestellten, rechtlich relevanten Tatumstände. Entsprechendes wird bisweilen auch gar nicht möglich sein, da bindende Feststellungen in der Entscheidung des Tatsachengerichts nicht ausdrücklich getroffen sein müssen; sie können sich auch mittelbar aus den Ausführungen in den Entscheidungsgründen ergeben (BFH Urteil vom 22.1.2013 - IX R 18/12 - HFR 2013, 783, 785; vgl auch BSG Urteil vom 10.8.2000 - B 11 AL 83/99 R - Juris RdNr 21). Ebenso vertritt der anfragende Senat (Anfragebeschluss vom 27.4.2016 - Juris RdNr 16) die zutreffende Rechtsauffassung, dass das bloß punktuelle Ansprechen einzelner Sachverhaltselemente und Feststellungen des Vordergerichts ebenso wenig wie deren Behandlung mit eigenen tatsächlichen und rechtlichen Wertungen bzw deren Vermischung mit nicht berücksichtigungsfähigem neuen Tatsachenvorbringen ausreichend ist (vgl Senatsbeschluss vom 22.7.2015 - B 5 R 16/15 R - BeckRS 2015, 70865 RdNr 9).

23

bb) Soweit der anfragende Senat unter Buchst a) seines Tenors indes ausführt, nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sei für eine formgerechte Revisionsbegründung "die ausdrückliche Angabe erforderlich, dass es sich bei den vom Revisionsführer angeführten tatsächlichen Umständen um den Sachverhalt handelt, den die Vorinstanz im angefochtenen Urteil festgestellt hat und an welcher genauen Stelle er dem Berufungsurteil die von ihm genannten Tatumstände entnehmen möchte", geht er von unzutreffenden Annahmen aus.

24

Die Revisionsbegründung muss nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats allein erkennen lassen, dass der geschilderte Sachverhalt ganz oder teilweise mit demjenigen des angegriffenen Urteils identisch ist (Senatsurteil vom 14.12.2011 - B 5 R 2/11 R - Juris RdNr 17), bzw keine Zweifel lassen, dass sie die Anwendung revisiblen Rechts allein und gerade hinsichtlich des entscheidungserheblichen, vom Tatsachengericht auf der Grundlage der diesem vorbehaltenen Überzeugung festgestellten Sachverhalts durch das Revisionsgericht überprüft wissen will (vgl Senatsbeschluss vom 16.3.2016 - B 5 RE 3/15 R - BeckRS 2016, 67705 RdNr 9). Ob dies der Fall ist, ergibt sich aus der revisionsgerichtlichen Auslegung des Revisionsvorbringens im Einzelfall (Senatsbeschluss vom 16.3.2016, aaO); dabei ist die "Revisionsbegründung als Willenserklärung" der Auslegung grundsätzlich zugängig (so schon RG Urteil vom 7.4.1933 - I 303/33 - RGSt 67, 197, 198). Diese Rechtsauffassung steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des anfragenden Senats. Nach dieser kann von einer notwendigen Durchdringung der Sach- und Rechtslage (erst dann) nicht mehr ausgegangen werden, wenn anhand der Revisionsbegründung nicht erkennbar wird, dass der Revisionsführer auch die - ohne zulässige Verfahrensrügen für das BSG bindenden (§ 163 SGG) - wesentlichen tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils erfasst, diese zutreffend mitgeteilt und seinen rechtlichen Erwägungen zugrunde gelegt hat (Anfragebeschluss vom 27.4.2016 - Juris RdNr 14, 23).

25

Die Rechtsprechung des erkennenden Senats fordert hingegen nicht - was der anfragende Senat verkennt - die "ausdrückliche Angabe", dass es sich bei den vom Revisionsführer angeführten tatsächlichen Umständen um den Sachverhalt handelt, den die Vorinstanz im angefochtenen Urteil festgestellt hat, sondern erachtet hierauf bezogene Hinweise als ausreichend (vgl etwa Senatsbeschlüsse vom 22.7.2015 - BeckRS 2015, 70865 RdNr 9 und vom 13.2.2013 - B 5 R 28/12 R - BeckRS 2013, 66976 RdNr 9). Angaben, an welcher genauen Stelle dem angegriffenen Urteil bestimmte Tatumstände zu entnehmen sind, bedarf es regelmäßig nur dann, wenn nicht ohne Weiteres erkennbar ist, welchen Lebenssachverhalt sich das Tatsachengericht als für seine Entscheidung maßgeblich vorgestellt hat und dieser erst ermittelt werden muss, weil die Urteilsgründe einer entsprechenden Interpretation bedürfen (vgl Berchtold, aaO, § 8 RdNr 92, 257). Der erkennende Senat hat die vom anfragenden Senat unter Buchst a) des Tenors zitierte Formulierung im Kontext von Fällen gebraucht, in denen der festgestellte Sachverhalt lediglich bruchstückhaft oder in Ansätzen wiedergegeben wurde (vgl Senatsbeschlüsse vom 13.2.2013, aaO, vom 16.4.2013 - B 5 R 98/11 R - BeckRS 2013, 68747 RdNr 11 aE, vom 24.9.2013 - B 5 R 66/11 R - BeckRS 2013, 73558 RdNr 8, vom 16.7.2014 - BeckRS 2014, 71436 RdNr 12, vom 25.9.2014 - B 5 RE 14/14 R - BeckRS 2014, 73306 RdNr 8, vom 25.9.2014 - B 5 RE 15/14 R - BeckRS 2014, 73307 RdNr 9 und vom 5.11.2014 - B 5 RE 5/14 R - BeckRS 2014, 74155 RdNr 8; Senatsurteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 7). Es handelt sich hierbei um auf die Würdigung des Einzelfalles bezogene Aussagen, die nicht als unverzichtbares Element eines abstrakten Rechtssatzes, sondern nur als "Indizien" im Rahmen der Subsumtion unter diesen Verwendung finden. Eine Divergenz und damit eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen käme lediglich dann in Betracht, wenn den Entscheidungen des erkennenden Senats ein fallübergreifender Rechtssatz des vom anfragenden Senats zitierten Inhalts entnommen werden könnte (vgl BSG Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 65/11 R - SozR 4-1500 § 163 Nr 6 RdNr 30 f; Roos in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 41 RdNr 11). So liegen die Dinge hier jedoch nicht.

26

c) Diese Rechtsprechung des erkennenden Senats ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie macht die Revisionsbegründung nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig.

27

Zu Recht weist der anfragende Senat (Anfragebeschluss vom 27.4.2016 - Juris RdNr 22) darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG der Zugang zum jeweils vorgesehenen gerichtlichen Instanzenzug mit Rücksicht auf Art 19 Abs 4 S 1 GG nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf. Dies müssen die Gerichte auch bei der Auslegung prozessualer Normen beachten. Sie dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 27.7.2016 - 2 BvR 2040/15 - Juris RdNr 13). Formerfordernisse dürfen nicht weiter gehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 19.11.2015 - 2 BvR 2577/14 - Juris RdNr 6). Dies gilt auch für die Darlegungsanforderungen nach § 164 Abs 2 S 3 SGG, die nicht derart erschwert werden dürfen, dass sie von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können.

28

Indes sind die vom erkennenden Senat aufgestellten Erfordernisse an eine materiell-rechtliche Revisionsrüge verfassungsrechtlich unbeanstandet geblieben (Senatsbeschluss vom 18.2.1980 - 5 RKn 1/78 - und nachgehend BVerfG Beschluss vom 7.7.1980 - 2 BvR 310/80 - SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29 f). Nach Auffassung des BVerfG steht es in Übereinstimmung mit Verfassungsrecht, wenn das BSG im Einklang mit seiner eigenen ständigen Rechtsprechung und mit der Rechtsprechung der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes die Begründung der Revision nur dann als formgerecht erachtet, wenn sie die Prüfung und Durcharbeitung des Prozessstoffes durch den zugelassenen Prozessbevollmächtigten erkennen lässt. Diese an den Zwecken des Revisionsverfahrens ausgerichtete Auslegung der einschlägigen prozessrechtlichen Vorschriften verletze weder Art 3 Abs 1 GG noch Art 103 Abs 1 GG; letztere Bestimmung schließe es nicht aus, dass ein Gericht das sachliche Vorbringen eines Beteiligten aus prozessrechtlichen Gründen unberücksichtigt lässt. Auch im Hinblick auf die durch Art 19 Abs 4 S 1 GG gewährleistete Rechtsweggarantie bestehen nach Ansicht des BVerfG keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Beschreitung des Rechtswegs könne in den Prozessordnungen von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig gemacht werden; durch die vom BSG für notwendig erachteten Anforderungen an die Begründung der Revision werde der Zugang zum Revisionsgericht nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise behindert.

29

Insbesondere kann das - in konkreter Umsetzung der ständigen Rechtsprechung des BSG - vom erkennenden Senat aufgestellte Erfordernis der Darstellung des entscheidungserheblichen Lebenssachverhalts im Rahmen der Rüge der Verletzung materiellen Rechts mit zumutbaren Aufwand nicht allein von einem spezialisierten Rechtsanwalt erfüllt werden. Im Gegenteil ist die Wiedergabe der rechtlich relevanten Tatumstände idealiter das mit dem geringsten Aufwand verbundene Element der Revisionsbegründung. Es bedarf im Wesentlichen nur der allgemeinen Erkenntnis, dass Rechtsanwendung in seiner grundlegendsten Form darin besteht, dass ein Lebenstatbestand unter die maßgebende Rechtsnorm subsumiert wird, so dass sich eine bestimmte Rechtsfolge ergibt (vgl Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Halbband, 15. Aufl 1959, S 311), sowie des Wissens, dass ein Revisionsgericht grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen des Vordergerichts gebunden ist. Von einer Überforderung eines durchschnittlichen Rechtsanwalts kann bei den Darlegungsanforderungen des skizzierten Inhalts keine Rede sein.

30

d) Entgegen dem anfragenden Senat (Anfragebeschluss vom 27.4.2016 - Juris RdNr 23 f) überträgt der erkennende Senat durch Anwendung des unter Buchst b) des Tenors zitierten Rechtssatzes nicht die in der Rechtsprechung des BSG entwickelten strengen Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde bzw an den Inhalt einer Revisionsbegründung im Falle von Verfahrensrügen auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

31

aa) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde die Revisionszulassungsgründe (§ 160a Abs 2 S 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 1 bis Nr 3 SGG) substantiiert und schlüssig dazulegen bzw zu bezeichnen (Senatsbeschlüsse vom 7.6.2016 - B 5 AL 1/16 B - BeckRS 2016, 71174 RdNr 8 f und vom 25.3.2014 - B 5 R 416/13 B - BeckRS 2014, 68316 RdNr 10, 13, 17; vgl auch Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160a RdNr 43). Durch die hohen Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde soll das Beschwerdegericht der Mühe enthoben sein, selbst die Akten auf mögliche Zulassungsgründe zu durchsuchen; die Beschwerdebegründung muss es in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des klägerischen Vortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen (Senatsbeschluss vom 7.6.2016, aaO RdNr 11; vgl auch Karmanski, aaO, § 160a RdNr 44).

32

Soweit im Rahmen der Revision die tatsächlichen Feststellungen des Vordergerichts angefochten werden (vgl § 163 SGG), sind nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats in Bezug auf diese Feststellungen zulässige Revisionsgründe vorzubringen und vollständig und schlüssig zu begründen. Dies erfordert zur Bezeichnung der Tatsachen, die den (behaupteten) Mangel ergeben, alle relevanten Verfahrensvorgänge so genau und widerspruchsfrei zu bezeichnen, dass das BSG allein aufgrund der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, darüber zu entscheiden, ob das Urteil des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann, dh das Vordergericht ohne den gerügten Verfahrensmangel ggf anders entschieden hätte (Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 13). Diese gesteigerten Anforderungen folgen aus dem Wortlaut des § 164 Abs 2 S 3 SGG und dienen zusammen mit der sich aus § 202 SGG iVm § 557 Abs 3 S 2 ZPO ergebenden Rügepflicht dem Zweck der Entlastung des Revisionsgerichts, welches andernfalls gehalten wäre, das gesamte vorhergehende Verfahren auf das Vorhandensein von Mängeln zu überprüfen(BSG Urteil vom 23.9.1955 - 3 RJ 26/55 - BSGE 1, 227, 231; Behn in Peters/Sautter/Wolff, aaO, § 164 RdNr 224).

33

bb) Werden materiell-rechtliche Rügen erhoben, stellt das Gesetz - worauf der anfragende Senat zu Recht hinweist (Anfragebeschluss vom 27.4.2016 - Juris RdNr 24) - keine so hohen Anforderungen an die Begründung der Revision (vgl Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 14). Das ergibt sich bereits daraus, dass insofern allein der Rückgriff auf die im Urteil ohnehin getroffenen Feststellungen möglich und zulässig ist (§ 163 SGG), während dies bei den tatsächlichen Grundlagen von Verfahrensmängeln, die erst zusammengetragen werden müssen, gerade nicht in Betracht kommt. Dennoch entspricht es der ständigen Rechtsprechung bereits des RG und des BSG, dass auch die Begründungserfordernisse bei materiell-rechtlichen Rügen ungeachtet der erst im Rahmen der Begründetheit zu klärenden Frage, ob die Revisionsbegründung den Revisionsangriff auch trägt (BSG Urteil vom 9.6.1982 - 6 RKa 16/80 - USK 82242 = Juris RdNr 8), ua der Entlastung des Revisionsgerichts und seines Berichterstatters dienen (exemplarisch RGZ 87, 5, 6; BSG Urteil vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - USK 2005-95 = Juris RdNr 16 und Beschluss vom 28.1.2014 - B 13 R 31/13 R - Juris RdNr 8 mwN). Es bedarf daher als Teil einer sorgfältigen sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfreien Begründung zur Individualisierung des Lebenssachverhalts, aus dem sich die behauptete Rechtsverletzung herleitet (BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 11), in der Begründungsschrift selbst aus sich heraus erkennbar ua der Darlegung des im angegriffenen Urteil festgestellten Sachverhalts (BSG Beschluss vom 17.1.1958 - BSGE 6, 269, 270; BSG Urteil vom 30.6.1964 - SozR Nr 53 zu § 164 SGG = Juris RdNr 8; BSG Urteil vom 13.10.1983 - 11 RAz 3/82 - Juris RdNr 11; BSG Urteil vom 28.1.1981 - 9 RV 1/80 - Juris RdNr 15; BSG Urteil vom 9.6.1982 - 6 RKa 16/80 - USK 82242 = Juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 24.11.1983 - 3 RK 7/83 - Juris RdNr 8; BSG SozR 1500 § 164 Nr 25 = Juris RdNr 7; BSG SozR 1500 § 164 Nr 29 = Juris RdNr 9 f; BSG Beschluss vom 21.7.1988 - 3 RK 17/87 - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 18.6.1990 - 9a RVs 2/90 - Juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 30.1.1991 - 6 RKa 17/89 - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 10.4.1991 - 6 RKa 7/90 - Juris RdNr 6; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 12 = Juris RdNr 20; BSG Urteil vom 29.8.1996 - 4 RA 105/95 - Juris RdNr 12; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 = Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 16, stRspr; ebenso BFH Urteil vom 28.4.1987 - IX R 9/83 - BFH/NV 1988, 151 = Juris RdNr 9; BFH Beschluss vom 11.12.1986 - V R 135/85 - BFH/NV 1988, 92 = Juris RdNr 21 f; BFH Urteil vom 5.10.1999 - VII R 25/98 - BFH/NV 2000, 235 = Juris RdNr 14; BVerwG Beschluss vom 2.4.1982 - 5 C 3/81 - Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 61 = Juris RdNr 3; BVerwG Beschluss vom 6.12.1984 - 9 C 41/84 - NJW 1985, 1235 = Juris RdNr 3, stRspr; BAG Urteil vom 29.10.1997 - 5 AZR 624/96 - BAGE 87, 41 = Juris RdNr 14, stRspr). Nur so kann der Revisionsführer dem Revisionsgericht "erklären", warum er nach Durcharbeitung des Prozessstoffs und der gebotenen Selbstüberprüfung seines Vorbringens in der Vorinstanz mit der angefochtenen Entscheidung nicht einverstanden ist (BFH Beschluss vom 17.7.1985 - II R 122/83 - BFH/NV 1986, 164 = Juris RdNr 9).

34

Wie ausgeführt hat dies mit der Begründetheitsprüfung noch nichts zu tun. Vielmehr entspricht es auch der Rechtsprechung des Senats, dass es im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung in einem Revisionsverfahren nicht darauf ankommt, ob die materielle Rüge den Revisionsangriff im Ergebnis trägt bzw die Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil aus der Sicht des Revisionsgerichts überzeugend oder gar schlüssig ist; dies ist allein eine Frage der Begründetheit der Revision (Senatsurteil vom 25.6.1975 - 5 RKn 41/74 - SozR 2600 § 54 Nr 1 = Juris RdNr 16; vgl auch BSG Beschluss vom 30.1.1991 - 6 RKa 17/89 - Juris RdNr 7; BVerwG Beschluss vom 17.12.1990 - 5 CB 42/90 - Juris RdNr 2; BGH Urteil vom 24.11.1980 - VIII ZR 208/79 - NJW 1981, 1453; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand April 2016, § 164 RdNr 27d; Neumann in Sodan/Ziekow, aaO, § 139 RdNr 95, 102; Krüger in MüKo zur ZPO, 5. Aufl 2016, § 551 RdNr 20 aE). Die Pflicht zur Begründung der Revision zielt nicht darauf ab, eine qualifizierte Erfolgsprognose über das Rechtsmittel in der Hauptsache zu einem Bestandteil der Sachurteilsvoraussetzungen desselben zu erheben und die Begründetheitsprüfung gleichsam in die Zulässigkeitsprüfung vorzuverlagern (BSG Urteile vom 24.2.2016 - Juris RdNr 13 - zur Veröffentlichung in SozR 4-1500 § 164 Nr 4 vorgesehen und vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 12).

35

Den Beschlüssen des Senats vom 16.7.2014 (BeckRS 2014, 71436 RdNr 12), vom 25.9.2014 (B 5 RE 14/14 R - BeckRS 2014, 73306 RdNr 8 und B 5 RE 15/14 R - BeckRS 2014, 73307 RdNr 9), vom 5.11.2014 (BeckRS 2014, 74155 RdNr 8) und dem Urteil vom 23.7.2015 (B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 7) kann nichts anderes entnommen werden. Der dortige Hinweis, dass die Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts im Rahmen der Rüge der Verletzung materiellen Rechts es ermöglichen muss, das BSG in die Lage zu versetzen, "ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind", vermittelt nur vordergründig und bei isolierter Orientierung am Wortlaut den unzutreffenden Eindruck einer vorgezogenen Begründetheitsprüfung. Es gehört zu den Grundsätzen der allgemeinen Hermeneutik, dass in sich geschlossene Ausführungen als Einheit zu begreifen sind; dh der Inhalt eines einzelnen Satzes kann nicht losgelöst vom Textganzen, sondern nur aus diesem heraus bestimmt werden (vgl Coing, Gesammelte Aufsätze zu Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Zivilrecht, Bd 1, 1982, S 208, 217). Der maßgebende und entscheidungstragende Rechtssatz, der die Anforderungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG präzisiert, findet sich in den vorbezeichneten Entscheidungen jeweils vorangehend(Senatsbeschlüsse vom 16.7.2014, aaO RdNr 10, vom 25.9.2014 - B 5 RE 14/14 R - aaO RdNr 6, vom 25.9.2014 - B 5 RE 15/14 R - aaO RdNr 6 und vom 5.11.2014, aaO RdNr 7; Senatsurteil vom 23.7.2015, aaO RdNr 5). Er lautet:

        

"Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden".

36

Dieser öffnende Obersatz - zu dem alle weiteren Sätze in Beziehung zu setzen sind - macht deutlich, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die materiell-rechtliche Rüge im Revisionsverfahren nicht den gesteigerten Anforderungen einer Verfahrensrüge oder Nichtzulassungsbeschwerde genügen und die Revisionsentscheidung im Einzelnen auch nicht gleichsam vorwegnehmen muss; es ist ausreichend, dass die Begründung rechtliche Erwägungen anstellt, die das angegriffene Urteil als unrichtig, somit eine Rechtsnorm als verletzt erscheinen lassen können. Nach alldem mag allein eine zu kurz greifende, isolierte Betrachtung für die vom anfragenden Senat gezogene Schlussfolgerung sprechen; die gebotene Kontextualisierung des streitbefangenen Rechtssatzes trägt eine solche Interpretation indes nicht.

37

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass dieser vom anfragenden Senat unter Buchst b) des Tenors zitierte Rechtssatz auch nicht der die bezeichneten Entscheidungen allein tragende rechtliche Gesichtspunkt war. Tragend sind diejenigen Rechtsauffassungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele. Stützt sich ein konkretes Ergebnis der Entscheidung auf mehrere selbständig tragfähige Begründungen und will der anfragende Senat nur von einer dieser Begründungen abweichen, liegt keine die Anrufung des Großen Senats des BSG begründende Divergenz vor (vgl BFH Beschluss vom 22.7.1977 - III B 34/74 - BFHE 123, 112, 116; Behn in Peters/Sautter/Wolff, aaO, § 41 RdNr 29; vgl auch BVerfG Beschluss vom 3.7.2012 - 2 PBvU 1/11 - BVerfGE 132, 1, 4 f). So liegen die Dinge hier. Der erkennende Senat hat die Notwendigkeit der Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts in den vorbezeichneten Entscheidungen durchgehend vor allem damit begründet, dass eine Revision auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig zu begründen ist und ohne Angaben zum festgestellten Sachverhalt eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen ist (Senatsbeschlüsse vom 16.7.2014 - BeckRS 2014, 71436 RdNr 10 f; vom 25.9.2014 - B 5 RE 14/14 R - BeckRS 2014, 73306 RdNr 6 f; vom 25.9.2014 - B 5 RE 15/14 R - BeckRS 2014, 73307 RdNr 6, 9 und vom 5.11.2014 - BeckRS 2014, 74155 RdNr 7 f, Senatsurteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 5 f); zudem wurde in diesen Entscheidungen das Rechtsmittel auch deshalb als unzulässig verworfen, weil die jeweilige Revisionsbegründung auf die Gründe des angefochtenen Urteils nicht in der gebotenen Weise eingegangen ist (Senatsbeschlüsse vom 16.7.2014, aaO RdNr 13 f, vom 25.9.2014 - B 5 RE 14/14 R, aaO RdNr 9 ff, vom 25.9.2014 - B 5 RE 15/14 R, aaO RdNr 10 ff und vom 5.11.2014, aaO RdNr 9 f, Senatsurteil vom 23.7.2015, aaO RdNr 8 f). Die vorerwähnten Entscheidungen des Senats wären mithin nicht anders ausgefallen, wenn die zweite vom anfragenden Senat aufgeworfene Rechtsfrage in den Gründen dieser Entscheidungen unerwähnt geblieben wäre. Ihre Niederlegung trägt diese nicht derart, dass sie jeweils ein unabdingbares Glied in der Gedankenkette des Senats darstellten (vgl BSG Urteil vom 24.4.2014 - B 13 R 23/13 R - Juris RdNr 23).

38

Worin nach alldem der zusätzliche rechtliche Ertrag eines Anrufungsverfahrens bestehen könnte, vermag sich dem erkennenden Senat nicht zu erschließen.

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

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(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 118


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Soweit im Fall des § 33 Abs. 1 Nr. 4 die Vorschriften dieses Unterabschnitts durch Landesgesetz für anwendbar erklärt werden, ka

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht


Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 163


Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 546 Begriff der Rechtsverletzung


Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

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Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 103


Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 162


Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezir

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(1) Der Revisionsbeklagte kann sich der Revision anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Revisionsanschlussschrift bei dem Revisionsgericht. (2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Revisionsbeklagte auf die Revision

Zivilprozessordnung - ZPO | § 557 Umfang der Revisionsprüfung


(1) Der Prüfung des Revisionsgerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. (2) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen auch diejenigen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, sofern sie nicht nach den

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 164


(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das an

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 80


(1) Sind die Voraussetzungen des Artikels 100 Abs. 1 des Grundgesetzes gegeben, so holen die Gerichte unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein. (2) Die Begründung muß angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift d

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(1) Mit der Revisionsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden, soweit dies nicht bereits nach § 544 Absatz 3 Satz 2 geschehen ist. (2) Die Revisionsschrift ist der Gegenpartei zuzustelle

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Tenor

Bei dem 5. Senat des Bundessozialgerichts wird angefragt, ob dieser an seiner Rechtsprechung festhält, dass die formgerechte Begründung einer Revision iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG in Bezug auf die Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts

a) die ausdrückliche Angabe erfordert, dass es sich bei den vom Revisionsführer angeführten tatsächlichen Umständen um den Sachverhalt handelt, den die Vorinstanz im angefochtenen Urteil festgestellt hat, und "an welcher genauen Stelle" er dem Berufungsurteil die von ihm genannten Tatumstände entnehmen möchte (Beschluss vom 5.11.2014 - B 5 RE 5/14 R - BeckRS 2014, 74155 RdNr 8; Urteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 7),

b) es erfordert, das Bundessozialgericht in die Lage zu versetzen, "ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind" (Beschluss vom 5.11.2014 - B 5 RE 5/14 R - BeckRS 2014, 74155 RdNr 8; Urteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 7; vgl auch Beschluss vom 22.7.2015 - B 5 R 16/15 R - BeckRS 2015, 70865 RdNr 8 f).

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten (noch) darüber, ob die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Synchronsprecherin als Beschäftigte versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) war, sowie, ob sie insoweit als "unständig" Beschäftigte zu qualifizieren ist. Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse und war ua zwischen dem 8.2.2008 und dem 26.5.2008 an zehn nicht zusammenhängenden Einzeltagen bei den Beigeladenen zu 4., 5. und 6. (= Synchronisations-unternehmen) als Synchronsprecherin tätig. Die Künstlersozialkasse (Beigeladene zu 7.) stellte eine Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 KSVG erstmals ab 13.5.2009 fest. Den Antrag der Klägerin, für die genannten Tage ihre "Versicherungspflicht als unständig Beschäftigter festzustellen" lehnte die Beklagte ab und wies ihre Widersprüche zurück (drei Bescheide vom 8.9.2008; Widerspruchsbescheid vom 3.3.2009).

2

Das SG hat die auf Feststellung der Versicherungspflicht an den og Tagen als unständig Beschäftigte gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 12.9.2012). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG sowie die angegriffenen Bescheide der Beklagten geändert und festgestellt, dass die Klägerin aufgrund ihrer an den og Tagen für die Beigeladenen zu 4. bis 6. jeweils ausgeübten Tätigkeit der Versicherungspflicht in der GRV unterlegen habe und beitragsrechtlich als unständig Beschäftigte zu behandeln sei: Für die Beurteilung der Versicherungspflicht komme es vorliegend immer nur auf die einzelnen Einsatztage an. Die Klägerin sei in den Betrieb der Synchronisationsunternehmen eingegliedert gewesen, da sie in deren Räumen und mit deren Betriebs- und Produktionsmitteln gearbeitet habe, zeitlich in deren Arbeitsabläufe eingebunden und organisatorisch auf die Zusammenarbeit mit Regisseur, Cutter und Tonmeister angewiesen gewesen sei. Während der Einsätze habe sie insoweit Weisungen und inhaltlicher Kontrolle unterlegen. Künstlerische Gesichtspunkte sowie die Kunstfreiheit der Produktionsfirmen stünden dem nicht entgegen. Ein Unternehmerrisiko habe die Klägerin nicht getragen. Dass die Einsätze auf einzelne Tage beschränkt gewesen seien, habe für die Statusabgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit keine Bedeutung. Eine "geringfügige" Beschäftigung unter dem Blickwinkel der Entgeltgeringfügigkeit habe nicht vorgelegen. Die Berufung der Klägerin sei auch im Übrigen begründet, weil die Regelungen über "unständige" Beschäftigung hier zu ihren Gunsten zur Anwendung kämen, weil die dafür erforderliche "berufsmäßige" Ausübung der Beschäftigung gegeben sei, die erfordere, dass sie Beschäftigung den zeitlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit gebildet habe. In ihrem Falle habe bei einer auf das Kalenderjahr bezogenen retrospektiven Betrachtung der Schwerpunkt im Bereich der Beschäftigungen als Synchronsprecherin gelegen, weil die Summe der hieraus erzielten Einkünfte die weiteren Einnahmen bei Weitem überstiegen hätten (Urteil vom 14.5.2014).

3

Hiergegen richtet sich (nur noch) die Revision der Beklagten, nachdem die Beigeladene zu 6. ihre ebenfalls eingelegte Revision in der mündlichen Verhandlung bei dem Senat zurückgenommen hat. Die Beklagte rügt eine Verletzung von § 1 S 1 Nr 1 SGB VI, § 7 Abs 1 SGB IV und § 163 Abs 1 SGB VI. Das LSG lasse bei seiner Annahme einer hier vorliegenden Beschäftigung außer Acht, dass sich verschiedene Umstände, die es als Beleg einer Eingliederung der Klägerin in den Betrieb der Beigeladenen zu 4. bis 6. interpretiert habe, bereits aus den vertraglichen Vereinbarungen ergäben und daher nicht Ausfluss eines einseitigen Direktions- oder Weisungsrechts seien. Künstlerisch-fachliche Vorgaben stünden nach der Rechtsprechung des BSG einer Einordnung als selbstständige Tätigkeit nicht entgegen (Hinweis auf BSGE 83, 246, 253 = SozR 3-5425 § 1 Nr 5). Gegen eine Eingliederung spreche hier, dass mangels Rahmenvertrag hier lediglich einzelne projektbezogene Absprachen bestünden. Ausgehend von dem Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 30.9.2005, das die Rechtsprechung des BFH aufgenommen habe, sei auch für den sozialversicherungsrechtlichen Status darauf abzustellen, an wie vielen Tagen ein Synchronsprecher tätig werde bzw ob ein Rahmenvertrag vorliege. Bezüglich des Merkmals "Unternehmerrisiko" habe das LSG nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Klägerin bei Arbeitsausfall - etwa im Falle der Krankheit oder bei Entfallen des Einsatzes aus Gründen aus der Sphäre der Synchronfirma - kein Entgelt erhalten habe. Ohnehin seien die geschlossenen Verträge als Werk- und nicht als Dienstverträge zu qualifizieren. Deshalb habe das LSG zu Unrecht auch eine "unständige" Beschäftigung angenommen. Selbst wenn man aber "Beschäftigung" statt "Selbstständigkeit" unterstellte, müsste entgegen dem LSG von einem die Anwendung des § 163 SGB VI ausschließenden Dauerrechtsverhältnis ausgegangen werden. Die Wirksamkeit der Befristung auf einen Tag erfordere nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) nämlich die Einhaltung von Schriftform, an der es hier fehle, sodass auch von daher ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis zustande gekommen sei.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Mai 2014 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. September 2012 zurückzuweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

6

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

7

Die Beigeladene zu 6. ist der Auffassung, Synchronsprecher übten entgegen der Beurteilung des LSG eine programmgestaltende Tätigkeit aus; die Tätigkeit der Synchronisation von Filmen sei nach Art 5 Abs 1 S 2 sowie Abs 3 GG geschützt.

8

Die übrigen Beigeladenen haben weder Stellung genommen noch Anträge gestellt.

9

II. Der Senat ist an einer Entscheidung in der Sache gehindert, weil der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif ist.

10

Der Senat würde nach dem Ergebnis seiner auf die mündliche Verhandlung erfolgten Beratung in seinem späteren Urteil in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG zu den im Tenor des Beschlusses genannten Rechtsfragen, die die Anforderungen an eine formgerechte Revisionsbegründung iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG betreffen, abweichen. Daher muss bei dem 5. Senat angefragt werden, ob dieser an seiner Rechtsprechung festhält, von der der erkennende 12. Senat abweichen will (§ 41 Abs 2, Abs 3 S 1 SGG).

11

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des erkennenden 12. Senats (noch) zulässig (dazu im Folgenden 1. bis 4.). Bei Anwendung seiner Rechtsauffassung würde der Senat von der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG abweichen (dazu 5.). Die Divergenz wäre auch entscheidungserheblich, da die Revision der Beklagten in der Sache - zumindest im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 SGG) - erfolgreich sein müsste, sodass das (nur noch) von der Beklagten angefochtene LSG-Urteil im Ergebnis auch nicht aus anderen rechtlichen Gründen - dh unabhängig von der Klärung der Divergenz zwischen dem 12. und 5. Senat des BSG - Bestand haben könnte (dazu 6.).

12

1. Gemäß § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG ist eine Revision fristgerecht und unter Einhaltung bestimmter Mindesterfordernisse zu begründen: Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. In der Revisionsbegründung muss nach ständiger Rechtsprechung (vgl nur: BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 und Urteil des Senats vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10, jeweils mwN) im Falle der Rüge der Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden, weshalb diese Vorschrift im angefochtenen Urteil nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Dabei darf die Revisionsbegründung nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muss sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass sich der Revisionsführer mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der dort angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl hierzu zB Urteil des Senats vom 21.9.2005 - B 12 KR 1/05 R - USK 2005-27, mwN). Insbesondere bedarf es der Darlegung des Revisionsführers, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11 mwN).

13

2. Um den gesetzlichen Mindesterfordernissen gerecht zu werden, ist es nach der Rechtsprechung des 12. Senats zu § 164 Abs 2 SGG im Falle der - im vorliegenden Revisionsverfahren von der Beklagten erhobenen - Rüge der Verletzung materiellen Rechts erforderlich, neben der Angabe der durch das LSG vermeintlich verletzten (zumindest sinngemäß hinreichend klar bezeichneten) Norm in den Blick zu nehmen, dass die eigentliche Rechtsverletzung das Ergebnis der Anwendung einer fehlerhaft ausgelegten Norm auf den zugrunde liegenden Sachverhalt ist; denn erst das Ergebnis eines Subsumtionsschlusses kann Rechte des in der Vorinstanz unterlegenen Beteiligten "verletzen" (vgl Urteil des Senats vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 11). Deshalb sind in der Revisionsbegründung sowohl Ausführungen zum rechtlichen Obersatz erforderlich als auch zu den Tatsachen, auf die dieser Obersatz anzuwenden ist. Die Revisionsbegründung muss aus diesem Grunde insbesondere auch den wesentlichen Lebenssachverhalt darstellen, über den das LSG entschieden hat.

14

3. Ausgehend von Sinn und Zweck des Formerfordernisses (dazu sogleich) genügt es nach dem Verständnis des Senats insoweit, dass der Revisionsführer den für die geltend gemachte Rechtsverletzung entscheidungsrelevanten, also den maßgebenden vom LSG festgestellten Lebenssachverhalt in eigenen Worten kurz wiedergibt (ebenso bereits BSG <13. Senat> Urteil vom 24.2.2016 - B 13 R 31/14 R - zitiert nach BSG-Terminbericht Nr 6/16 vom 25.2.2016 zu Fall 1). Weitergehende Anforderungen in Bezug auf die Sachverhaltsdarstellung sind an den Inhalt der Revisionsbegründung nicht zu stellen. Das Formerfordernis nach § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG soll im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der Revisionsführer bzw sein Prozessbevollmächtigter das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat, bevor er durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für die Revision übernimmt, und so ggf von der Durchführung aussichtsloser Revisionen absieht(BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11 mwN). Von der dazu notwendigen Durchdringung der Sach- und Rechtslage kann (erst dann) nicht mehr ausgegangen werden, wenn anhand der Revisionsbegründung nicht erkennbar wird, dass der Revisionsführer auch die - ohne zulässige Verfahrensrügen für das BSG bindenden (§ 163 SGG) - tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils erfasst und seinen rechtlichen Erwägungen zugrunde gelegt hat.

15

4. Eine solche - auch nach Auffassung des erkennenden 12. Senats - zur Unzulässigkeit der Revision führende Konstellation ist vorliegend nicht gegeben.

16

Der Revisionsbegründung der Beklagten vom 12.1.2015 fehlt zwar vorab eine geschlossene Darstellung des Streitstoffes und der Entscheidung des LSG als Ganzes, ihre Begründung entspricht aber gleichwohl (noch) den gesetzlichen Anforderungen: Die Beklagte macht ausdrücklich die Verletzung von § 1 S 1 Nr 1 SGB VI, § 7 Abs 1 SGB IV und § 163 Abs 1 SGB VI geltend und kennzeichnet dazu vorab knapp den Streitgegenstand. Sie referiert sodann bezogen auf die Revisionsrügen jeweils den Kern der Begründung des LSG und stellt dabei - soweit sie zu Einzelpunkten eine vom LSG abweichende Ansicht vertritt - ausgehend von dessen Feststellungen zu der von der Klägerin für die Beigeladenen zu 4. bis 6. verrichteten Tätigkeit (teilweise sogar unter Angabe der Seitenzahlen des Urteils) darauf aufbauende zentrale Erwägungen des LSG dar. Dabei wird für den Senat - auch ohne dass eine geschlossene, ganz präzise Darstellung des vom LSG festgestellten Sachverhalts in dessen Worten erfolgt - aus dem Text hinreichend deutlich, welches einerseits die Feststellungen des LSG sind, und in Bezug worauf die Beklagte andererseits eine rechtliche Würdigung befürwortet, die von der von ihr beanstandeten Würdigung des Berufungsgerichts abweicht. Dass die Beklagte dabei zum Teil unzulässigerweise mit neuem, im Revisionsverfahren unerheblichem Tatsachenvorbringen operiert (vgl § 163 SGG), ist insoweit unschädlich; denn schon aus der Art des Vorbringens der Beklagten selbst ist ohne Weiteres erkennbar, welche Umstände sie in das Verfahren einführt, die nicht auch durch entsprechende Feststellungen im Urteil des LSG gedeckt sind, sondern von ihr selbst (revisionsrechtlich unzulässig) "zwanglos" in eigener Würdigung des Sachverhalts aus dem Inhalt eines Sitzungsprotokolls hergeleitet werden. Über alles gesehen erfüllt die Beklagte damit nach dem Verständnis des Senats (noch) die Darlegungsanforderungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Es liegt kein Fall vor, in dem nur einzelne Sachverhaltselemente und Feststellungen des LSG in der Revisionsbegründung punktuell angesprochen bzw im Zusammenhang mit eigenen pointiert vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen Wertungen sowie Mutmaßungen des Revisionsführers behandelt und mit nicht berücksichtigungsfähigem neuem Tatsachenvorbringen vermischt werden (vgl dazu Senatsurteil vom 24.3.2016 - B 12 R 5/15 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, s BSG-Terminbericht Nr 12/16 vom 25.2.2016 zu Fall 2). Die Revision wäre daher in Bezug auf die gerügte Verletzung materiellen Rechts nach Ansicht des 12. Senats zulässig.

17

5. Der erkennende 12. Senat sieht sich indessen daran gehindert, seine Rechtsprechung im vorstehend dargestellten Sinne heranzuziehen, weil er dann von der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG in entscheidungserheblicher Weise abweichen würde. Denn die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung wären unter Zugrundelegung der Maßstäbe aus der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG (dazu im Folgenden a) offensichtlich nicht erfüllt (dazu b), dh, der 12. Senat würde von der genannten Rechtsprechung im Grundsätzlichen abweichen. Die Erwägungen des 5. Senats überzeugen den 12. Senat nicht (dazu c). Die Divergenz wäre auch entscheidungserheblich, da die Revision der Beklagten in der Sache - zumindest teilweise - erfolgreich sein müsste (dazu im Einzelnen unten 6.).

18

a) Der 5. Senat des BSG verlangt in seiner Rechtsprechung, dass die formgerechte Begründung einer Revision iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG in Bezug auf die Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts im Rahmen der Rüge der Verletzung materiellen Rechts zum einen

●       

die ausdrückliche Angabe erfordert, dass es sich bei den vom Revisionsführer angeführten tatsächlichen Umständen um den Sachverhalt handelt, den die Vorinstanz im angefochtenen Urteil festgestellt hat, und "an welcher genauen Stelle" er dem Berufungsurteil die von ihm genannten Tatumstände entnehmen möchte (Beschluss vom 5.11.2014 - B 5 RE 5/14 R - BeckRS 2014, 74155 RdNr 8; Urteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 7),

und es zum anderen ermöglichen muss,

●       

das BSG in die Lage zu versetzen, "ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind" (Beschluss vom 5.11.2014 - B 5 RE 5/14 R - BeckRS 2014, 74155 RdNr 8; Urteil vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 7; vgl auch Beschluss vom 22.7.2015 - B 5 R 16/15 R - BeckRS 2015, 70865 RdNr 8 f).

19

b) Die Anwendung dieser Rechtsprechung des 5. Senats würde im vorliegenden Fall dazu führen, dass die Revision der Beklagten als unzulässig verworfen werden müsste. Sie legt nämlich nicht durchgehend explizit oder sinngemäß im Einzelnen dar, dass es sich bei den von ihr angeführten tatsächlichen Umständen um eben denjenigen Sachverhalt handelt, den die Vorinstanz im angefochtenen Urteil festgestellt hat und an welcher genauen Stelle sie dem Berufungsurteil Feststellungen zu den von ihr genannten Tatumständen entnehmen möchte. Infolgedessen versetzt die Beklagte den erkennenden Senat mit ihrem Vorbringen nicht in die Lage, "allein anhand der Revisionsbegründung" und "ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten" zu prüfen, ob die als verletzt gerügten Vorschriften des materiellen Rechts auf den maßgebenden - nämlich vom LSG so festgestellten - Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind.

20

c) Die strengere formale Anforderungen auch an die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stellende Rechtsprechung des 5. Senats des BSG überzeugt den erkennenden 12. Senat nicht.

21

Welche inhaltlichen Anforderungen eine den Zulässigkeitsanforderungen genügende Revisionsbegründung bei der Rüge der Verletzung materiellen Rechts in concreto zu erfüllen hat, ist stets auch abhängig von den Umständen des Einzelfalles (so ausdrücklich für den Bereich der ZPO zB Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl 2015, § 551 RdNr 5; zur Nichtzulassungsbeschwerde: Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 299, 303), insbesondere von den Tatbestandsvoraussetzungen der vermeintlich verletzten Norm und der Komplexität des diese Verletzung begründenden Sachverhalts. Bei der Bestimmung des danach notwendigen Inhalts der Begründung sind zudem Sinn und Zweck des Begründungserfordernisses (siehe oben 3.) in Rechnung zu stellen sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes mit in den Blick zu nehmen.

22

Nach der Rechtsprechung des BVerfG darf der Zugang zum jeweils vorgesehenen gerichtlichen Instanzenzug mit Rücksicht auf Art 19 Abs 4 S 1 GG nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden; das gilt auch in Bezug auf gesetzlich geregelte Darlegungserfordernisse (vgl BVerfGE 88, 118, 123 f ; BVerfG Beschluss vom 6.7.2007 - 2 BvR 1824/06 = BVerfGK 11, 383, 385 ; BVerfG Beschluss vom 21.10.2015 - 2 BvR 912/15 - NJW 2016, 44, RdNr 22 mwN ). Regelungen des Prozessrechts dürfen in der gerichtlichen Praxis nicht dazu führen, dass ein prozessrechtlich vorgesehenes Rechtsmittel durch eine überstreng-formale Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften letztlich ineffektiv gemacht wird und das Rechtsmittel faktisch leerläuft (vgl BVerfGE 96, 27, 39; BVerfG NJW 2016, 44). Formerfordernisse dürfen deshalb nicht weiter gehen als es durch ihren Zweck geboten ist (so BVerfGE 88, 118, 126 f). Vor diesem Hintergrund dürfen auch Darlegungsanforderungen für Rechtsmittel nicht derart streng gehandhabt werden, dass sie von einem durchschnittlichen Rechtsanwalt, der kein Spezialist in dem konkret einschlägigen Rechtsgebiet ist, mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können (BVerfGE 125, 104, 137; BVerfG Beschluss vom 21.10.2015, aaO; vgl auch BSG SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 12 mwN).

23

Nach Auffassung des Senats verbietet es sich, die in der Rechtsprechung des BSG entwickelten strengen Anforderungen an den Inhalt der Revisionsbegründung im Falle von Verfahrensrügen, an denen sich der 5. Senat des BSG auch für die Begründung von das materielle Recht betreffenden Revisionsrügen orientiert, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts zu übertragen. Bereits der Wortlaut des § 164 Abs 2 S 3 SGG stellt an die Darlegung dieser Rüge geringere Anforderungen als an die Verfahrensrüge, wenn nur hierfür die Bezeichnung der Tatsachen verlangt wird, die den Mangel ergeben. Zugleich ist eine solche Übertragung zur Verwirklichung der Zwecke des Begründungserfordernisses bei Revisionen (siehe oben 3.) nicht erforderlich. Auf die notwendige Durchdringung der Sach- und Rechtslage durch den Revisionsführer bzw seinen Prozessbevollmächtigten lässt sich bereits und gerade dann schließen, wenn in der Begründung (nur) die im Hinblick auf die gerügte Normverletzung wesentlichen vom LSG festgestellten Tatsachen zutreffend mitgeteilt werden. Der vom 5. Senat für geboten erachtete Hinweis darauf, dass es sich hierbei um den Sachverhalt handelt, den die Vorinstanz im angefochtenen Urteil festgestellt hat, und "an welcher genauen Stelle" des Urteils dies geschehen ist, erweist sich in diesem Fall als entbehrlich.

24

Zu bedenken ist auch, dass etwa die in der Sozialgerichtsbarkeit geltenden gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 2 S 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 1 bis Nr 3 SGG - vgl dazu zB Becker, SGb 2007, 261, 264<"Keine Aktendurchsichtspflicht des BSG"> unter Hinweis auf BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 S 21 und Nr 34 S 50; vgl ferner zB BSG Beschluss vom 26.6.2006 - B 13 R 153/06 B - Juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 3.11.1999 - B 7 AL 152/99 B - Juris RdNr 3) nicht auf § 164 Abs 2 S 3 SGG übertragen werden dürfen. Zwar hat das BVerfG die Handhabung der Darlegungsanforderungen in einer Nichtzulassungsbeschwerde durch das BSG - soweit ersichtlich - bislang in seiner umfangreichen einschlägigen Rechtsprechung durchgehend als verfassungskonform angesehen (vgl nur BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 44, 45, 48; BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 6, 7, 8, 12, 20, 31; BVerfG SozR 4-1500 § 160a Nr 12, 16, 24; BSG SozR 4-1100 Art 14 Nr 23). Allerdings unterscheiden sich die in § 164 Abs 2 S 3 SGG für das Revisionsverfahren geregelten Anforderungen hiervon in wesentlicher Hinsicht: So kommt es im von streng formgebundenen Anforderungen an die Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes geprägten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf die Frage der materiellen "Richtigkeit" der vorinstanzlichen Entscheidung als solche nicht an, während in einer ordnungsgemäßen Revisionsbegründung im hier interessierenden Zusammenhang gerade die "Verletzung" materiellen Rechts darzulegen ist. Einer Übertragung der Anforderungen steht zugleich die gänzlich unterschiedliche Funktion beider Rechtsmittel entgegen: Während es bei der Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt erst um die bloße Ermöglichung eines Zugangs zur Revisionsinstanz nach einem von der Vorinstanz ausdrücklich nicht zugelassenen Rechtsmittel geht, hat die Einlegung einer Revision dieses Stadium bereits durchlaufen und es ist hier zu prüfen, ob und in welcher Weise Rechtsfortbildung, Herstellung von Rechtseinheit vorzunehmen bzw die Einhaltung des Verfahrensrechts ganz konkret zu überwachen ist. Während das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von einer bewussten starken Entlastung des BSG als Beschwerdegericht geprägt ist (vgl vor allem § 160a Abs 4 S 1 und 2 SGG: kein zwingendes Begründungserfordernis bzw Ausreichen einer "kurzen" Begründung für die Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde; keine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidung), erfolgt im Revisionsverfahren - unabhängig von der Frage, ob die Revision zu Recht zugelassen wurde - eine vollumfängliche Rechtskontrolle, wenn auch unter grundsätzlicher Ausklammerung einer erneuten Tatsachenprüfung.

25

6. Die Frage, ob die Revision den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entspricht, kann im vorliegenden Fall nicht offenbleiben, weil das Rechtsmittel der Beklagten nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht (auch) aus anderen Gründen erfolglos bliebe: Das angefochtene Urteil des LSG kann nicht aus Gründen des materiellen Rechts Bestand haben. Vielmehr würde der Senat - ginge man von der Zulässigkeit der Revision aus - die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen; die Revision der Beklagten wäre insoweit begründet. Dafür sind die nachfolgend - für Zwecke des Anfragebeschlusses an den 5. Senat des BSG nur in den wesentlichen Zügen - dargestellten Gesichtspunkte maßgebend:

26

a) Das LSG hat zutreffend die Rentenversicherungspflicht der Klägerin wegen Beschäftigung aufgrund der (noch) streitigen Tätigkeiten angenommen und die Entscheidung der beklagten Einzugsstelle insoweit als rechtsfehlerhaft angesehen. In der streitigen Zeit unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, in der GRV der Versicherungspflicht (§ 1 S 1 Nr 1 SGB VI). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist § 7 Abs 1 S 1 und 2 SGB IV, wonach diese nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis voraussetzt und Anhaltspunkte dafür eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers sind. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 12. Senats zum Vorliegen von Versicherungspflicht begründender Beschäftigung aufgestellten Grundsätzen ausgegangen und hat diese in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise umgesetzt.

27

Unter Berücksichtigung der in der stRspr des 12. Senats des BSG aufgestellten Grundsätze (vgl zB BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 21 RdNr 13 mwN; BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr 15 mwN; im Einzelnen zuletzt näher Senatsurteile vom 29.7.2015 - B 12 KR 23/13 R - Juris RdNr 17 und vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - Juris RdNr 16 ff mwN unterlag die Klägerin als Synchronsprecherin während der streitigen Einsätze bei den beigeladenen Produktionsfirmen - abweichend von der Ansicht der Beklagten - als gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Person der Versicherungspflicht in der GRV nach § 1 S 1 Nr 1 SGB VI. Dabei ist bei der Prüfung der hier konkret streitigen Tätigkeiten - mit dem LSG - jeweils auf die Verhältnisse abzustellen, die nach Annahme des einzelnen Einsatzangebots (dh hier an einem bestimmten Tag bei einer der beigeladenen Produktionsfirmen eine bestimmte Rolle zu synchronisieren) bestehen (vgl zuletzt BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - Juris RdNr 19 mwN ). Nach den für den Senat bindenden - weil insoweit von den Beteiligten nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen - Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG)fehlen Anhaltspunkte dafür, dass zwischen der Klägerin und den Produktionsfirmen eine Dauerrechtsbeziehung bestand, aufgrund derer die Klägerin vor Annahme eines der hier noch streitigen Einsätze eine - ggf auch nur latente - Verpflichtung traf, Tätigkeiten für diese auszuüben, oder dass umgekehrt eine Verpflichtung der Firmen bestand, der Klägerin Arbeit anzubieten oder Entgelt zu gewähren.

28

Ausgehend von den weiteren für den Senat bindenden Feststellungen des LSG ist dessen Würdigung, dass unter Gesamtabwägung aller Indizien und Umstände bei den maßgebenden einzelnen Einsätzen im Rechtssinne "Beschäftigung" vorgelegen hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und verletzt keine Rechte der Beklagten. Die Klägerin war in den jeweiligen Betrieb der Synchronisationsunternehmen eingegliedert und unterlag unter Vorgabe von Terminen und zeitlicher Abfolge für die Aufnahmen, von Räumlichkeiten sowie Dialog- bzw Synchronbüchern im Einzelnen den Weisungen der von den Unternehmen gestellten Regisseure, Cutter und Tonmeister. Gesichtspunkte der Kunstfreiheit gebieten keinerlei Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen für die Statuseinstufung als Beschäftigte; weder die künstlerische Freiheit der Sprecher bei der Gestaltung der Synchronisation noch ein möglicher Schutz der Tätigkeit der Synchronisation von Filmen nach Art 5 Abs 1 S 2 sowie Abs 3 GG (Film- bzw Kunstfreiheit) stehen dem entgegen.

29

Die Klägerin war nach den Feststellungen des LSG verpflichtet, einen Take so oft zu wiederholen, wie dies durch den Regisseur in Wahrnehmung eines diesbezüglichen Weisungsrechts des Synchronisationsunternehmens angeordnet wurde. Schon aus diesem Grunde unterlag sie nicht etwa nur künstlerisch-fachlichen Weisungen bezüglich der künstlerischen Gestaltung der Synchronisation, die für sich genommen einer Einordnung als selbstständige Tätigkeit noch nicht entgegenstehen. Darüber hinaus wurden nach den bindenden Feststellungen des LSG durch das Synchronisationsunternehmen ua auch die Reihenfolge für die Abarbeitung der einzelnen Takes sowie Beginn, Ende und Pausen der Aufnahmen und der verschiedenen Sprecher einseitig vorgegeben.

30

Soweit die Beklagte geltend macht, die Klägerin habe ein relevantes unternehmerisches Risiko zu tragen gehabt, weil ihr bei Entfallen des Einsatzes kein Entgelt zugestanden habe, kann sie mit diesem Vortrag mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen des LSG und ohne diesbezügliche Tatsachenrügen in der Revisionsinstanz nicht durchdringen (vgl § 163 SGG). Vielmehr hat das LSG festgestellt, dass als Teil des Gagensystems Mindesthonorare für Synchronsprecher vereinbart waren, deren Höhe von dem zunächst disponierten Zeitraum sowie dem Aufnahmeort abhing. Hieraus hat es den Schluss gezogen, dass ein für Selbstständige typisches Risiko, die eigene Arbeitskraft mit der Ungewissheit einer Vergütung eingesetzt zu haben, gerade nicht bestanden habe.

31

Die Tätigkeit als Synchronsprecherin erfolgte hier auch nicht aufgrund von Werkverträgen (zur Abgrenzung von Werkverträgen zu Dienstverträgen vgl BGHZ 151, 330 zu II 1 der Gründe; BAG AP Nr 126 zu § 611 BGB Abhängigkeit - Juris RdNr 15 ff). Nach den vom BAG (aaO) zur Abgrenzung von Werk- und Arbeitsvertrag entwickelten Grundsätzen, denen sich der Senat für die Prüfung der Versicherungspflicht in der Sozialversicherung anschließt, kommt es entscheidend darauf an, ob sich Weisungsrechte des Werkbestellers/Dienstherrn ausschließlich auf die Ausführung des vereinbarten Werks beziehen (Werkvertrag), oder ob auch Weisungsrechte bezüglich des Arbeitsvorgangs und der Zeiteinteilung bestehen; wird die Tätigkeit durch den "Besteller" geplant und organisiert und ist der "Werkunternehmer" in den arbeitsteiligen Prozess in einer Weise eingegliedert, die eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des vereinbarten "Werks" faktisch ausschließt, liegt ein Arbeitsvertrag nahe (BAG, aaO, Juris RdNr 17 mwN). Dass hier Letzteres der Fall war, steht nach den vom LSG insoweit festgestellten Tatsachen zu Umfang und Inhalt der während der Ausübung der Tätigkeiten der Klägerin als Synchronsprecherin erteilten Weisungen außer Frage.

32

Die von der Beklagten für ihre Position angeführte Verlautbarung der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Synchronsprechern vom 30.9.2005 ist schon vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zur Maßgeblichkeit der Verhältnisse nach Annahme des einzelnen Einsatzangebots ohne Belang. Entgegen den Ausführungen des Rundschreibens kann das Vorliegen einer Rahmenvereinbarung allein nicht für das Vorliegen von Beschäftigung ausschlaggebend sein, ebenso wie nur kurzzeitige Einsätze nicht schon für eine Selbstständigkeit sprechen müssen. Aus der bloßen Kurzzeitigkeit von Tätigkeiten kann - anders als der BFH dies für das Steuerrecht annimmt (BFHE 109, 39; 126, 271; 133, 357) - schon deshalb nichts hergeleitet werden, weil das Sozialversicherungsrecht mit den Regelungen für unständig Beschäftigte (anders als das Einkommensteuerrecht) gerade Sondernormen für Personen mit sehr kurzfristigen Beschäftigungen kennt. Die Annahme von Geringfügigkeit iS von § 8 SGB IV scheidet auf der Grundlage der LSG-Feststellungen im Übrigen aus.

33

Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten mussten die wiederholten Tätigkeiten der Klägerin für die beigeladenen Synchronisationsunternehmen auch nicht deshalb als dauerhafte Beschäftigung angesehen werden, weil der Vereinbarung über die Befristung der Tätigkeiten auf jeweils einen Tag die nach § 14 Abs 4 TzBfG erforderliche Schriftform fehlte. Denn für die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung nicht beendet ist, hätte es der Anrufung des Arbeitsgerichts durch die Klägerin innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages bedurft. Ist die Klagefrist - wie es vorliegend der Fall war - ungenutzt verstrichen, gilt das Arbeitsverhältnis mit materieller Wirkung als aufgrund wirksamer Befristung beendet (vgl Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl 2014, 605 TzBfG, § 17 RdNr 11).

34

Schließlich spricht entgegen dem Vorbringen der Beklagten auch nicht gegen das Vorliegen von Beschäftigung, dass die Klägerin keine Entgeltzahlungen erhielt, wenn die von ihr den Synchronisationsunternehmen gegenüber geschuldete Leistung aus Krankheits- oder sonstigen Gründen nicht erbracht werden konnte. Allein der Umstand nämlich, dass jemand von seinem Vertragspartner keinen für Beschäftigte typischen sozialen Schutz (zB Entgeltzahlung im Krankheitsfall oder nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre) zur Verfügung gestellt erhält, führt noch nicht zur Annahme eines unternehmerisches Risikos; einem solchen Risiko müssen vielmehr - um sozialversicherungsrechtliche Folgen auslösen zu können - auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen (vgl zum Ganzen die stRspr des Senats, zuletzt BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - Juris RdNr 36 mwN - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2400 § 7 Nr 25 vorgesehen).

35

b) Ob - wie vom LSG angenommen - für diese Beschäftigung zu Gunsten der Klägerin im Ergebnis weitere Rentenversicherungsbeiträge von den Produktionsfirmen als Arbeitgeber zu erheben sind, weil die Regelungen über die Beitragsbemessung bei "unständiger" Beschäftigung anzuwenden waren, könnte der Senat wegen dazu weiter erforderlicher Tatsachenfeststellungen nicht selbst entscheiden; dies müsste zur Zurückverweisung der Sache an das LSG führen.

36

Nach § 163 Abs 1 S 1 SGB VI(idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754) ist für "unständig" Beschäftigte als beitragspflichtige Einnahmen ohne Rücksicht auf die Beschäftigungsdauer das innerhalb eines Kalendermonats erzielte Arbeitsentgelt bis zur Höhe der monatlichen (und nicht nach der hier jeweils betragsmäßig eher erreichten täglichen) Beitragsbemessungsgrenze zugrundezulegen. Deshalb kommt im Falle der Klägerin konkret in Betracht, dass - was die Beklagte in den von der Klägerin angegriffenen Bescheiden ablehnte, aber das LSG bejaht hat - von den Produktionsfirmen als Arbeitgeber weitere Beiträge zur GRV zu erheben sind (vgl § 28e SGB IV).

37

"Unständig" ist nach § 163 Abs 1 S 2 SGB VI eine Beschäftigung, die auf weniger als eine Woche entweder nach der Natur der Sache befristet zu sein pflegt oder im Voraus durch den Arbeitsvertrag befristet ist. Im vorliegenden Fall sind die streitigen Tätigkeiten als Synchronsprecherin ausgehend von den Feststellungen des LSG als wiederholte, im Sinne des § 163 Abs 1 S 2 SGB VI arbeitsvertraglich befristete kurzzeitige Beschäftigungen und nicht - zB wegen auch dazwischen bestehender Dienstbereitschaft - als durchgehende Beschäftigung zu qualifizieren(vgl zu einer abweichenden Konstellation BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 19 - als "Gäste" beschäftigte Bühnenkünstler). Dem steht auch das wiederholte Tätigwerden für einzelne Synchronisationsunternehmen nicht entgegen, denn eine bloße Aneinanderreihung unständiger Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber begründet noch kein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis (vgl BSGE 16, 158, 163 = SozR Nr 1 zu § 441 RVO mwN; BSG SozR 2200 § 441 Nr 2). Letzteres erfordert vielmehr eine - hier nicht vorliegende - ununterbrochen anhaltende Verfügungsmacht des Arbeitgebers über die Arbeitskraft des Betroffenen (vgl BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 39 f; BSG Urteil vom 31.1.1973 - 12/3 RK 16/70 - USK 7311 S 50; BSGE 36, 262, 265 = SozR Nr 8 zu § 441 RVO).

38

Nach der Rechtsprechung des BSG ist für das Vorliegen "unständiger" Beschäftigung neben der in § 163 Abs 1 S 2 SGB VI ausdrücklich genannten Befristung der einzelnen Beschäftigungen ein "berufsmäßiges" Tätigwerden des Betroffenen erforderlich(BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 40; grundlegend BSGE 36, 262, 265 = SozR Nr 8 zu § 441 RVO S Aa 12). Voraussetzung ist, dass es sich um Personen handelt, deren Hauptberuf zwar die "Lohnarbeit" bildet, die aber ohne festes Arbeitsverhältnis bald hier, bald dort, heute mit dieser, morgen mit jener Arbeit beschäftigt sind; gerade diese Beschäftigungen müssen zeitlich oder wirtschaftlich den Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit bilden (so auch zB BSG Urteil vom 28.5.2008 - B 12 KR 13/07 R , Juris RdNr 25 unter Hinweis auf BSGE 36, aaO; im Übrigen schon Allgemeine Begründung zu § 441 RVO zum Entwurf der RVO, RT-Drucks Nr 340 vom 12.3.1910 S 93). Ob Letzteres der Fall ist, könnte der Senat auf Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht entscheiden.

39

Für die Prüfung der "Berufsmäßigkeit" von "unständiger" Beschäftigung muss - ähnlich der Prüfung von "Hauptberuflichkeit" in anderen rechtlichen Kontexten - festgestellt werden, ob die auf weniger als eine Woche befristeten Beschäftigungen nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und von ihrem zeitlichen Aufwand her die übrigen "Erwerbstätigkeiten" zusammen deutlich übersteigen (vgl dazu zuletzt BSG SozR 4-2500 § 5 Nr 26 LS 2 und RdNr 16 unter Hinweis auf BSG SozR 3-5420 § 3 Nr 3 S 17 ff). Entgelte und Zeiten einer "ständigen" Beschäftigung in demselben Beruf (hier also als Synchronsprecherin) sind insoweit grundsätzlich nicht mit solchen in kurzzeitig befristeten - potenziell unständigen - Beschäftigungen im selben Beruf zusammenzuziehen, sondern den übrigen Erwerbstätigkeiten zuzurechnen. Bezugszeitraum ist dabei stets der jeweilige Kalendermonat (vgl § 163 Abs 1 SGB VI, § 232 SGB V). Nur wenn die auf weniger als eine Woche befristeten Beschäftigungen (gleich in welchem Beruf) die Erwerbstätigkeit im jeweiligen Monat prägen, ist nämlich die Anwendung der Regelungen über unständige Beschäftigung gerechtfertigt.

40

Bei der Prüfung der Berufsmäßigkeit einer unständigen Beschäftigung sind den betreffenden Tagen und den an diesen Tagen erzielten Entgelten - anders als nach dem Ansatz des LSG - nicht nur Tage und Einnahmen aus selbstständigen Tätigkeiten oder anderen Berufsbezeichnungen entsprechenden Beschäftigungen gegenüberzustellen, sondern auch Entgelte und Tage einer ständigen Beschäftigung in demselben Beruf. Die besondere Schutzbedürftigkeit der unständig Beschäftigten vermittelt sich nämlich nicht über ein bestimmtes Berufsbild, sondern über die tatsächliche Kurzfristigkeit der jeweiligen Beschäftigung und die deshalb zu erwartenden Statusunterbrechungen. Nur wenn entsprechend kurze Beschäftigungen (gleich in welchem Beruf) die Erwerbstätigkeit im jeweiligen Monat prägen, ist die Anwendung der Regelungen über die unständige Beschäftigung gerechtfertigt. Deshalb können für den anzustellenden Vergleich den auf weniger als eine Woche begrenzten Beschäftigungen in einem bestimmten Beruf nicht etwa die weiteren, auf Beschäftigungen mit einer Dauer von einer Woche oder mehr beruhenden Zeiten und Entgelte hinzugerechnet werden.

41

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass es für den Ausgang des Rechtsstreits darauf ankommen wird

1.    

wie hoch die von der Klägerin erzielten Einnahmen in den streitigen Monaten waren,

2.    

wie sich diese auf Beschäftigungen mit einer Befristung von unter einer Woche einerseits und auf Beschäftigungen von mindestens einer Woche Dauer (ggf zzgl selbstständiger Tätigkeiten) andererseits verteilten und

3.    

wie sich die Arbeitszeitanteile insoweit jeweils verteilten.

42

Da insoweit Feststellungen des LSG fehlen und es die Einsätze der Klägerin als Synchronsprecherin zu denen aus sonstiger Tätigkeit nach anderen Grundsätzen als den oben dargelegten in Beziehung gesetzt hat, wären die maßgebenden Feststellungen nach Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG nachzuholen. In welcher Weise konkret die - regelmäßig prognostisch und nicht retrospektiv vorzunehmenden (vgl zB BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 6 RdNr 16 ff mwN) -Ermittlungen zur "Berufsmäßigkeit" praktisch durchzuführen sind, bedarf im Rahmen des Anfragebeschlusses keiner näheren Darlegung. Bezugszeitraum einer Prognose ist - wie bereits dargelegt - der jeweilige Kalendermonat der Aufnahme der zu prüfenden Beschäftigung; hierfür spricht schon die Anknüpfung der Beitragsbemessungsregelungen in § 163 Abs 1 SGB VI und § 232 SGB V an den Kalendermonat.

43

7. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es nach alledem auf die vom erkennenden Senat beabsichtigte Abweichung von der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG zu den Anforderungen an eine Revisionsbegründung an. Eine darauf bezogene Vorlage an den Großen Senat des BSG nach § 41 Abs 2 SGG ist gemäß § 41 Abs 3 S 1 SGG nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

Tenor

Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22. November 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 22.11.2012 hat das SG Köln einen Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Beschäftigung als Leiterin der Abteilung "Personenschadensmanagement" bei der Beigeladenen zu 1. verneint. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klägerin sei nicht wegen dieser Beschäftigung, sondern aufgrund ihrer selbständigen (nebenberuflichen) Tätigkeit als Rechtsanwältin Mitglied der Rechtsanwaltskammer (RAK) K. und der Beigeladenen zu 2. Denn die Beschäftigung als Syndikus für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber könne vor dem Hintergrund des Berufsrechts nicht als anwaltliche Tätigkeit qualifiziert werden. Die mit einem Beschäftigungsverhältnis verbundenen Bindungen und Abhängigkeiten stünden nicht im Einklang mit dem in §§ 1 bis 3 der BRAO normierten Berufsbild eines Rechtsanwaltes. Hierbei sei seine gesetzlich garantierte Unabhängigkeit vom Staat und von den von ihm vertretenen Parteien oder sonstigen Auftraggebern besonders bedeutsam und nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung unverzichtbare Voraussetzung, damit Rechtsanwälte durch ihre berufliche Tätigkeit zu einer funktionierenden Rechtspflege beitragen könnten. Der Syndikus habe aber aufgrund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit und der engen Bindung an seinen Arbeitgeber keine berufliche Unabhängigkeit, die mit der eines externen Rechtsanwaltes vergleichbar wäre, wie auch der EuGH bereits entschieden habe. Demnach entspreche es auch der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehe, in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig werde. Schließlich komme die Unterscheidung zwischen der freien anwaltlichen Berufsausübung und der Tätigkeit als Syndikus auch in den Berufsausübungsregelungen des § 46 BRAO zum Ausdruck. Im Gesetzgebungsverfahren zur aktuellen Fassung dieser Norm hätten sich Bestrebungen, dem Syndikus einzuräumen, auch im Angestelltenverhältnis als Rechtsanwalt tätig zu werden, nicht durchsetzen können. Der Rechtsausschuss habe dies mit der Erwägung verworfen, das von der freien und unreglementierten Selbstbestimmung geprägte Bild des Rechtsanwalts stehe einer Änderung des § 46 BRAO in diesem Sinne entgegen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit seien nicht dazu berufen, den Begriff der anwaltstypischen Tätigkeit vollkommen neu bzw in grundlegender Abweichung vom Berufsrecht zu definieren und eine anwaltliche von einer juristischen Tätigkeit anhand von vier Kriterien abzugrenzen.

2

Die Klägerin hat daraufhin beantragt, die Sprungrevision zuzulassen und die Zustimmungserklärung der Beklagten vom 27.12.2012 in Kopie beigefügt, die ihr prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt mit seiner Unterschrift "beglaubigt" hatte. Das SG hat die Sprungrevision zugelassen und darüber belehrt, dass "nunmehr nur noch" Revision eingelegt werden könne; Hinweise zur Revisionsbegründungspflicht und -frist fehlen (Beschluss vom 6.2.2013). Nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 15.2.2013 hat die Klägerin am 19.2.2013 gegen das Urteil des SG vom 22.11.2012 unter Übergehung der Berufungsinstanz Revision eingelegt und gleichzeitig die Zustimmungserklärung der Beklagten vom 27.12.2012 nochmals in Fotokopie überreicht, die mit demselben Beglaubigungsvermerk ("beglaubigt Rechtsanwalt") und der Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigten versehen ist. Am 11.3.2014 hat sie - nach Hinweis des Senats vom 23.1.2014 - die Urschrift der Zustimmungserklärung vorgelegt.

3

Mit der Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI. Rechtsanwälte könnten gemäß § 46 BRAO sowie nach der bisherigen Verwaltungs- und überwiegenden Gerichtspraxis bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber eine anwaltliche Tätigkeit ausüben und könnten deshalb gemäß § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden. Die umstrittene Rechtsprechung des EuGH, auf die sich das SG berufe, gelte nur für das EU-Kartellrecht. Auch das BVerfG habe sich zur Rechtsstellung von Anwälten, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber anwaltlich tätig seien, bisher nicht geäußert. Vielmehr habe sich in der Rechtspraxis die "Vier-Kriterien-Theorie" durchgesetzt, die auch hier anzuwenden sei.

4

II. Die (Sprung-)Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§ 169 S 2 SGG).

5

Denn sie entspricht nicht den gesetzlichen Erfordernissen des § 169 S 1 SGG. Dabei lässt der Senat die Streifrage offen, ob schon aufgrund des Zulassungsbeschlusses vom 6.2.2013 auch für das Revisionsgericht bindend (§ 161 Abs 2 S 2 SGG)feststeht, dass die beim SG vorgelegte Zustimmungserklärung der Beklagten der erforderlichen Schriftform genügte (so BSG Urteil vom 27.1.2010 - B 12 KR 2/09 R - Juris RdNr 9 insoweit in SozR 4-2500 § 5 Nr 10 nicht abgedruckt; aA BSG Urteile vom 21.8.2008 - B 13 RJ 44/05 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 12 RdNr 10, vom 22.4.1998 - B 9 SB 7/97 R - SozR 3-1500 § 161 Nr 13 S 30, vom 12.3.1996 - 1 RK 13/95 - Juris RdNr 13 f und vom 15.12.1993 - 11 RAr 99/92 - SozR 3-4100 § 249c Nr 2; Fichte in Breitkreuz/Fichte, 2. Aufl 2014, § 161 RdNr 13; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 268; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl 2014, § 161 RdNr 7b). Ebenso kann unentschieden bleiben, ob die Klägerin die Urschrift der gegnerischen Zustimmungserklärung vom 27.12.2012 - nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 15.2.2013 und Ablauf der Jahresfrist (§ 66 Abs 2 Halbs 1 SGG) am Montag, den 17.2.2014 - am 11.3.2014 deshalb rechtzeitig vorgelegt hat, weil die Frist zur Einlegung der Sprungrevision noch gar nicht zu laufen begonnen hat, da das SG im Zulassungsbeschluss vom 6.2.2013 die Klägerin iS von § 66 Abs 2 Halbs 2 SGG schriftlich darüber belehrt haben könnte, dass ein (an sich statthafter) Rechtsbehelf (die Berufung, § 143 SGG) nicht gegeben sei(vgl dazu BSG Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 3 RdNr 54). Schließlich kann vorliegend auch offenbleiben, ob die Erklärung der Beklagten vom 27.12.2012 inhaltlich den Anforderungen des § 161 Abs 1 S 1, 3, Abs 5 SGG genügt. Denn jedenfalls entspricht die Revisionsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 SGG).

6

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 dieser Vorschrift muss die Revisionsbegründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22). Sie haben den Zweck, eine Entlastung des Revisionsgerichts sowie im Interesse aller Beteiligten eine sorgfältige Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten (zB jeweils mwN: Senatsurteil vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11 und BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom BSG für notwendig erachteten (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

7

Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 und vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f sowie BSG vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.

8

Die Klägerin rügt materiell-rechtlich eine Verletzung des § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI. Die fehlerhafte Anwendung dieser Norm kann schlüssig nur dadurch gerügt werden, dass die Revisionsführerin zunächst angibt, auf welchen festgestellten Sachverhalt das SG die Vorschrift in welcher Weise angewandt hat. Ohne diese stets notwendigen Angaben ist eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen. Die Revisionsbegründung schildert ausführlich den beruflichen Werdegang der Klägerin seit dem Jahr 2000 und gibt an, sie sei seit dem 17.1.2000 als zugelassene Rechtsanwältin Mitglied der RAK K. sowie des Beigeladenen zu 2. und arbeite seit dem 10.1.2011 bei der Beigeladenen zu 1. als "Leiterin Personenschadensmanagement", wobei diese Position bzw Funktion sowie die damit verbundenen arbeitsvertraglichen Aufgaben und Befugnisse näher beschrieben werden. Dabei lässt die Revisionsbegründung aber schon offen, ob diese tatsächlichen Angaben der Vorinstanz überhaupt zuzurechnen sind, dh ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das SG im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Des Weiteren geht die Klägerin nirgendwo darauf ein, an welcher genauen Stelle sie dem angefochtenen Urteil Feststellungen hinsichtlich der genannten Tatumstände entnehmen möchte. Für das Revisionsgericht sind indes die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 SGG). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das BSG nicht in die Lage versetzt, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind. Es ist aber nicht Aufgabe des erkennenden Senats, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.

9

Darüber hinaus setzt sich die Klägerin auch nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Norm in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedankengang des Vordergerichts einzugehen (BSG Urteil vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f). Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10). Dafür bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG Urteil vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 5, 12, 22 und 28). Auch diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung nicht. Die bloße Erwähnung der angegriffenen Entscheidung oder die Behauptung von Defiziten vermögen eine Auseinandersetzung mit dem dort positiv Verlautbarten nicht zu ersetzen.

10

Das SG hat sich eingehend mit den berufsrechtlichen Regelungen der BRAO, insbesondere mit der Entstehungsgeschichte des § 46 BRAO, und dem dort normierten Berufsbild des Rechtsanwalts/der Rechtsanwältin sowie der einschlägigen Rechtsprechung des BGH, des BVerfG und des EuGH beschäftigt und ist auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin für die Beigeladene zu 1. nach dem einschlägigen Berufsrecht keine anwaltliche Tätigkeit ausübt und deshalb nicht "wegen" dieser Beschäftigung, sondern nur aufgrund ihrer (nebenberuflichen) Tätigkeit als selbständige Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei Mitglied der RAK K. und des Beigeladenen zu 2. sei.

11

Auf diese Gründe des erstinstanzlichen Urteils geht die Klägerin nicht ausreichend ein. Weder setzt sie sich mit der dort herangezogenen berufsrechtlichen Rechtsprechung des Senats für Anwaltssachen (BGH Beschluss vom 7.2.2011 - AnwZ (B) 20/10 - NJW 2011, 1517) noch mit der zitierten Entscheidung des 9. Zivilsenats des BGH (Urteil vom 25.2.1999 - IX ZR 384/97 - BGHZ 141, 69) auseinander und behauptet zu der herangezogenen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (BVerfG Beschlüsse vom 4.11.1992 - 1 BvR 79/85 ua - BVerfGE 87, 287 und vom 12.12.2006 - 1 BvR 2576/04 - BVerfGE 117, 163) nur, das BVerfG habe sich zur Rechtsstellung von Anwälten, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber anwaltlich tätig seien, bisher nicht geäußert. Mit Blick auf die vom SG angeführte Entscheidung des EuGH (Urteil vom 14.9.2010 - C-550/07 P - NJW 2010, 3557) bemerkt die Beschwerdebegründung lediglich, dass sie "grundsätzlich nur für das EU-Kartellrecht und das EU-Kartellrechtsverfahren" gelte und vom Brüsseler Berufungsgericht sowie dem obersten Gericht der Niederlande (unter Verletzung von Art 267 AEUV?) in Zweifel gezogen werde. Lediglich ergänzend wird insofern darauf hingewiesen, dass § 184 GVG auch im sozialgerichtlichen Verfahren Geltung beansprucht(§ 202 S 1 SGG). Schließlich ignoriert die Beschwerdebegründung die vom SG in Bezug genommenen Materialien zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (BT-Drucks 12/4993), insbesondere den Bericht und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks 12/7656, S 49 zu Nr 18a), vollständig. Demgegenüber genügt es keinesfalls, auf Merkblätter, Arbeitshilfen oder Arbeitsanweisungen der DRV, Rundschreiben der ABV, Schreiben der BDA, Statistiken und Rechtsauffassungen der RAK K. oder Schätzungen des Deutschen Anwaltsvereins bzw Äußerungen seines Präsidenten hinzuweisen, Aufsätze in juristischen Fachzeitschriften aufzulisten oder eine Übersicht erstinstanzlicher Entscheidungen vorzulegen, die Befreiungen ausgesprochen hätten. Denn mit der Wiedergabe eigener oder fremder Rechtsansichten geht die Revisionsbegründung gerade nicht auf den Gedankengang des SG ein und gibt nicht zu erkennen, dass sich die Revisionsführerin ausreichend mit der Argumentation im angefochtenen Urteil auseinandergesetzt hat.

12

Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Die Revision wird als unzulässig verworfen.

Zwischen den Beteiligten sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten zuletzt noch darüber, ob im Rahmen der Anrechnung der Verletztenrente des Klägers auf dessen Altersrente für schwerbehinderte Menschen (vormals: Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige) der abgesenkte Freibetrag in Höhe einer "Grundrente Ost" zu berücksichtigen ist. Mit Bescheid vom 23.11.1998 und Widerspruchsbescheid vom 13.10.1999 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß seine Altersrente und rechnete dabei von Anfang an die bezogene Unfallrente an. Von der Anrechnung ausgenommen wurde ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Da der Kläger seinen Wohnsitz am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer hatte, berücksichtigte die Beklagte diesen Freibetrag in Höhe der für das Beitrittsgebiet abgesenkten Grundrentensätze. Während des Verfahrens vor den Instanzgerichten wurde der Anrechnungsbetrag mehrfach fortgeschrieben. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.10.2002). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klage gegen weitere Verwaltungsakte abgewiesen (Urteil vom 10.4.2008).

2

Mit der vom LSG hinsichtlich der Anrechnung der Unfallrente zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Das BSG hat im Blick auf eine eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG vom 13.11.2008 - B 13 R 129/08 R - das Ruhen des Verfahrens angeordnet (Beschluss vom 19.5.2009). Im Verfahren vor dem BVerfG hat der dortige Beschwerdeführer das Verfahren für erledigt erklärt. Das BVerfG hat es mit Beschluss vom 8.6.2012 - 1 BvR 349/09 - Juris abgelehnt, die Auslagen nach Erledigung und Rücknahme der Verfassungsbeschwerde zu erstatten. Der Senat hat das ruhende Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist unzulässig (§ 169 SGG). Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 SGG).

4

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 der Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22). Sie haben den Zweck, eine Entlastung des Revisionsgerichts sowie im Interesse aller Beteiligten eine umfassende Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten (vgl Senatsurteil vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16 und BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom BSG für notwendig erachteten (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

5

Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 und vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f sowie BSG vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.

6

Der Kläger rügt eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Die fehlerhafte Anwendung dieser Normen kann schlüssig nur dadurch gerügt werden, dass der Revisionsführer zunächst angibt, auf welchen festgestellten Sachverhalt das Berufungsgericht die Vorschrift in welcher Weise angewandt hat. Ohne diese stets notwendigen Angaben ist eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen.

7

Das Rechtsmittel gibt bereits nicht an, von welchem Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich relevanter Tatumstände) das BSG im Revisionsverfahren auszugehen hat. Aus der Revisionsbegründung geht lediglich hervor, dass die Beklagte auf die Altersrente des Klägers dessen Verletztenrente aus der Unfallversicherung angerechnet habe und dabei wegen des Wohnsitzes des Klägers am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer lediglich den reduzierten "Freibetrag Ost" zugrunde gelegt habe. Dabei lässt die Revisionsbegründung bereits offen, ob diese tatsächlichen Angaben dem Berufungsgericht überhaupt zuzurechnen sind, dh ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das LSG im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Des Weiteren geht der Kläger nirgendwo darauf ein, an welcher genauen Stelle er dem Berufungsurteil welche der genannten Tatumstände entnehmen möchte. Für das Revisionsgericht sind indes die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 SGG). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das BSG nicht in die Lage versetzt, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind. Es ist nicht Aufgabe des erkennenden Senats, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.

8

Darüber hinaus setzt sich der Kläger auch nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Normen in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden sind (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedanken des Vordergerichts einzugehen (BSG Urteil vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f). Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 ff). Insbesondere bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG Urteil vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12, 20 und 28).

9

Das LSG hat sich eingehend mit Wortlaut, Gesetzesbegründung und Systematik der streitbefangenen Norm beschäftigt und insbesondere auch einen Verfassungsverstoß gegen Art 14 GG und Art 3 Abs 1 GG verneint. Es hat sich dabei insbesondere auf den Beschluss des BSG vom 29.11.2007 - B 13 RJ 25/05 R - gestützt. Auf diese Gründe und den konkreten Subsumtionsschluss des LSG geht der Kläger nur unzureichend ein. Er beschränkt sich vielmehr darauf, dem Ergebnis des Berufungsgerichts seine eigene Rechtsauffassung entgegenzuhalten. Danach ermächtige § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI den Rentenversicherungsträger nicht, bei der Berücksichtigung des Freibetrags zwischen unfallverletzten Rentenbewerbern in den alten und neuen Bundesländern zu differenzieren. Dabei stützt er sich insbesondere auf die Entscheidungen des 4. Senats des BSG vom 10.4.2003 - B 4 RA 32/02 R - und vom 20.10.2005 - B 4 RA 27/05 R -, an denen der ab 1.1.2008 anstelle des 4. Senats für Streitigkeiten aus der Rentenversicherung zuständige 5a-Senat des BSG nicht mehr festgehalten hat (Beschluss vom 30.7.2008 - B 5a R 6/08 S). Der Hinweis des Klägers auf das von ihm selbst vertretene Auslegungsergebnis ersetzt nicht die eingehende Auseinandersetzung mit den Überlegungen, von denen sich das LSG bei seiner Rechtsauslegung hat leiten lassen.

10

Letztlich macht der Kläger mit seinem Vortrag eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) geltend. Eine formgerechte Verfahrensrüge der Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung liegt aber nicht vor, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt oder diese eigene Würdigung als überlegen bezeichnet. Dem Revisionsgericht ist es nämlich nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50; BSG Urteil vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16).

11

Die vorliegende Verfahrensdauer gibt keinen Anlass, von den im Gesetz vorgesehenen Anforderungen an die Begründung der Revision abzuweichen. Die Verfahrensdauer ergibt sich vorliegend im Wesentlichen daraus, dass der Senat den Rechtsstreit wegen einer ausstehenden Entscheidung des BVerfG zum Ruhen gebracht hat. Ein derartiges Zuwarten erschien vorliegend geboten, um den Kläger in den Genuss einer ihm möglicherweise positiven Entscheidung des BVerfG kommen zu lassen. Endet das verfassungsgerichtliche Verfahren indessen erfolglos, begründet der bisherige Prozessverlauf keine Erwartung hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision oder darauf, dass sich das Revisionsgericht hierauf nicht mehr berufen werde.

12

Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22. November 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 22.11.2012 hat das SG Köln einen Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Beschäftigung als Leiterin der Abteilung "Personenschadensmanagement" bei der Beigeladenen zu 1. verneint. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klägerin sei nicht wegen dieser Beschäftigung, sondern aufgrund ihrer selbständigen (nebenberuflichen) Tätigkeit als Rechtsanwältin Mitglied der Rechtsanwaltskammer (RAK) K. und der Beigeladenen zu 2. Denn die Beschäftigung als Syndikus für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber könne vor dem Hintergrund des Berufsrechts nicht als anwaltliche Tätigkeit qualifiziert werden. Die mit einem Beschäftigungsverhältnis verbundenen Bindungen und Abhängigkeiten stünden nicht im Einklang mit dem in §§ 1 bis 3 der BRAO normierten Berufsbild eines Rechtsanwaltes. Hierbei sei seine gesetzlich garantierte Unabhängigkeit vom Staat und von den von ihm vertretenen Parteien oder sonstigen Auftraggebern besonders bedeutsam und nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung unverzichtbare Voraussetzung, damit Rechtsanwälte durch ihre berufliche Tätigkeit zu einer funktionierenden Rechtspflege beitragen könnten. Der Syndikus habe aber aufgrund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit und der engen Bindung an seinen Arbeitgeber keine berufliche Unabhängigkeit, die mit der eines externen Rechtsanwaltes vergleichbar wäre, wie auch der EuGH bereits entschieden habe. Demnach entspreche es auch der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehe, in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig werde. Schließlich komme die Unterscheidung zwischen der freien anwaltlichen Berufsausübung und der Tätigkeit als Syndikus auch in den Berufsausübungsregelungen des § 46 BRAO zum Ausdruck. Im Gesetzgebungsverfahren zur aktuellen Fassung dieser Norm hätten sich Bestrebungen, dem Syndikus einzuräumen, auch im Angestelltenverhältnis als Rechtsanwalt tätig zu werden, nicht durchsetzen können. Der Rechtsausschuss habe dies mit der Erwägung verworfen, das von der freien und unreglementierten Selbstbestimmung geprägte Bild des Rechtsanwalts stehe einer Änderung des § 46 BRAO in diesem Sinne entgegen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit seien nicht dazu berufen, den Begriff der anwaltstypischen Tätigkeit vollkommen neu bzw in grundlegender Abweichung vom Berufsrecht zu definieren und eine anwaltliche von einer juristischen Tätigkeit anhand von vier Kriterien abzugrenzen.

2

Die Klägerin hat daraufhin beantragt, die Sprungrevision zuzulassen und die Zustimmungserklärung der Beklagten vom 27.12.2012 in Kopie beigefügt, die ihr prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt mit seiner Unterschrift "beglaubigt" hatte. Das SG hat die Sprungrevision zugelassen und darüber belehrt, dass "nunmehr nur noch" Revision eingelegt werden könne; Hinweise zur Revisionsbegründungspflicht und -frist fehlen (Beschluss vom 6.2.2013). Nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 15.2.2013 hat die Klägerin am 19.2.2013 gegen das Urteil des SG vom 22.11.2012 unter Übergehung der Berufungsinstanz Revision eingelegt und gleichzeitig die Zustimmungserklärung der Beklagten vom 27.12.2012 nochmals in Fotokopie überreicht, die mit demselben Beglaubigungsvermerk ("beglaubigt Rechtsanwalt") und der Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigten versehen ist. Am 11.3.2014 hat sie - nach Hinweis des Senats vom 23.1.2014 - die Urschrift der Zustimmungserklärung vorgelegt.

3

Mit der Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI. Rechtsanwälte könnten gemäß § 46 BRAO sowie nach der bisherigen Verwaltungs- und überwiegenden Gerichtspraxis bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber eine anwaltliche Tätigkeit ausüben und könnten deshalb gemäß § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden. Die umstrittene Rechtsprechung des EuGH, auf die sich das SG berufe, gelte nur für das EU-Kartellrecht. Auch das BVerfG habe sich zur Rechtsstellung von Anwälten, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber anwaltlich tätig seien, bisher nicht geäußert. Vielmehr habe sich in der Rechtspraxis die "Vier-Kriterien-Theorie" durchgesetzt, die auch hier anzuwenden sei.

4

II. Die (Sprung-)Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§ 169 S 2 SGG).

5

Denn sie entspricht nicht den gesetzlichen Erfordernissen des § 169 S 1 SGG. Dabei lässt der Senat die Streifrage offen, ob schon aufgrund des Zulassungsbeschlusses vom 6.2.2013 auch für das Revisionsgericht bindend (§ 161 Abs 2 S 2 SGG)feststeht, dass die beim SG vorgelegte Zustimmungserklärung der Beklagten der erforderlichen Schriftform genügte (so BSG Urteil vom 27.1.2010 - B 12 KR 2/09 R - Juris RdNr 9 insoweit in SozR 4-2500 § 5 Nr 10 nicht abgedruckt; aA BSG Urteile vom 21.8.2008 - B 13 RJ 44/05 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 12 RdNr 10, vom 22.4.1998 - B 9 SB 7/97 R - SozR 3-1500 § 161 Nr 13 S 30, vom 12.3.1996 - 1 RK 13/95 - Juris RdNr 13 f und vom 15.12.1993 - 11 RAr 99/92 - SozR 3-4100 § 249c Nr 2; Fichte in Breitkreuz/Fichte, 2. Aufl 2014, § 161 RdNr 13; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 268; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl 2014, § 161 RdNr 7b). Ebenso kann unentschieden bleiben, ob die Klägerin die Urschrift der gegnerischen Zustimmungserklärung vom 27.12.2012 - nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 15.2.2013 und Ablauf der Jahresfrist (§ 66 Abs 2 Halbs 1 SGG) am Montag, den 17.2.2014 - am 11.3.2014 deshalb rechtzeitig vorgelegt hat, weil die Frist zur Einlegung der Sprungrevision noch gar nicht zu laufen begonnen hat, da das SG im Zulassungsbeschluss vom 6.2.2013 die Klägerin iS von § 66 Abs 2 Halbs 2 SGG schriftlich darüber belehrt haben könnte, dass ein (an sich statthafter) Rechtsbehelf (die Berufung, § 143 SGG) nicht gegeben sei(vgl dazu BSG Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 3 RdNr 54). Schließlich kann vorliegend auch offenbleiben, ob die Erklärung der Beklagten vom 27.12.2012 inhaltlich den Anforderungen des § 161 Abs 1 S 1, 3, Abs 5 SGG genügt. Denn jedenfalls entspricht die Revisionsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 SGG).

6

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 dieser Vorschrift muss die Revisionsbegründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22). Sie haben den Zweck, eine Entlastung des Revisionsgerichts sowie im Interesse aller Beteiligten eine sorgfältige Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten (zB jeweils mwN: Senatsurteil vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11 und BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom BSG für notwendig erachteten (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

7

Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 und vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f sowie BSG vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.

8

Die Klägerin rügt materiell-rechtlich eine Verletzung des § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI. Die fehlerhafte Anwendung dieser Norm kann schlüssig nur dadurch gerügt werden, dass die Revisionsführerin zunächst angibt, auf welchen festgestellten Sachverhalt das SG die Vorschrift in welcher Weise angewandt hat. Ohne diese stets notwendigen Angaben ist eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen. Die Revisionsbegründung schildert ausführlich den beruflichen Werdegang der Klägerin seit dem Jahr 2000 und gibt an, sie sei seit dem 17.1.2000 als zugelassene Rechtsanwältin Mitglied der RAK K. sowie des Beigeladenen zu 2. und arbeite seit dem 10.1.2011 bei der Beigeladenen zu 1. als "Leiterin Personenschadensmanagement", wobei diese Position bzw Funktion sowie die damit verbundenen arbeitsvertraglichen Aufgaben und Befugnisse näher beschrieben werden. Dabei lässt die Revisionsbegründung aber schon offen, ob diese tatsächlichen Angaben der Vorinstanz überhaupt zuzurechnen sind, dh ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das SG im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Des Weiteren geht die Klägerin nirgendwo darauf ein, an welcher genauen Stelle sie dem angefochtenen Urteil Feststellungen hinsichtlich der genannten Tatumstände entnehmen möchte. Für das Revisionsgericht sind indes die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 SGG). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das BSG nicht in die Lage versetzt, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind. Es ist aber nicht Aufgabe des erkennenden Senats, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.

9

Darüber hinaus setzt sich die Klägerin auch nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Norm in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedankengang des Vordergerichts einzugehen (BSG Urteil vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f). Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10). Dafür bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG Urteil vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 5, 12, 22 und 28). Auch diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung nicht. Die bloße Erwähnung der angegriffenen Entscheidung oder die Behauptung von Defiziten vermögen eine Auseinandersetzung mit dem dort positiv Verlautbarten nicht zu ersetzen.

10

Das SG hat sich eingehend mit den berufsrechtlichen Regelungen der BRAO, insbesondere mit der Entstehungsgeschichte des § 46 BRAO, und dem dort normierten Berufsbild des Rechtsanwalts/der Rechtsanwältin sowie der einschlägigen Rechtsprechung des BGH, des BVerfG und des EuGH beschäftigt und ist auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin für die Beigeladene zu 1. nach dem einschlägigen Berufsrecht keine anwaltliche Tätigkeit ausübt und deshalb nicht "wegen" dieser Beschäftigung, sondern nur aufgrund ihrer (nebenberuflichen) Tätigkeit als selbständige Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei Mitglied der RAK K. und des Beigeladenen zu 2. sei.

11

Auf diese Gründe des erstinstanzlichen Urteils geht die Klägerin nicht ausreichend ein. Weder setzt sie sich mit der dort herangezogenen berufsrechtlichen Rechtsprechung des Senats für Anwaltssachen (BGH Beschluss vom 7.2.2011 - AnwZ (B) 20/10 - NJW 2011, 1517) noch mit der zitierten Entscheidung des 9. Zivilsenats des BGH (Urteil vom 25.2.1999 - IX ZR 384/97 - BGHZ 141, 69) auseinander und behauptet zu der herangezogenen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (BVerfG Beschlüsse vom 4.11.1992 - 1 BvR 79/85 ua - BVerfGE 87, 287 und vom 12.12.2006 - 1 BvR 2576/04 - BVerfGE 117, 163) nur, das BVerfG habe sich zur Rechtsstellung von Anwälten, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber anwaltlich tätig seien, bisher nicht geäußert. Mit Blick auf die vom SG angeführte Entscheidung des EuGH (Urteil vom 14.9.2010 - C-550/07 P - NJW 2010, 3557) bemerkt die Beschwerdebegründung lediglich, dass sie "grundsätzlich nur für das EU-Kartellrecht und das EU-Kartellrechtsverfahren" gelte und vom Brüsseler Berufungsgericht sowie dem obersten Gericht der Niederlande (unter Verletzung von Art 267 AEUV?) in Zweifel gezogen werde. Lediglich ergänzend wird insofern darauf hingewiesen, dass § 184 GVG auch im sozialgerichtlichen Verfahren Geltung beansprucht(§ 202 S 1 SGG). Schließlich ignoriert die Beschwerdebegründung die vom SG in Bezug genommenen Materialien zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (BT-Drucks 12/4993), insbesondere den Bericht und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks 12/7656, S 49 zu Nr 18a), vollständig. Demgegenüber genügt es keinesfalls, auf Merkblätter, Arbeitshilfen oder Arbeitsanweisungen der DRV, Rundschreiben der ABV, Schreiben der BDA, Statistiken und Rechtsauffassungen der RAK K. oder Schätzungen des Deutschen Anwaltsvereins bzw Äußerungen seines Präsidenten hinzuweisen, Aufsätze in juristischen Fachzeitschriften aufzulisten oder eine Übersicht erstinstanzlicher Entscheidungen vorzulegen, die Befreiungen ausgesprochen hätten. Denn mit der Wiedergabe eigener oder fremder Rechtsansichten geht die Revisionsbegründung gerade nicht auf den Gedankengang des SG ein und gibt nicht zu erkennen, dass sich die Revisionsführerin ausreichend mit der Argumentation im angefochtenen Urteil auseinandergesetzt hat.

12

Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Die Revision wird als unzulässig verworfen.

Zwischen den Beteiligten sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten zuletzt noch darüber, ob im Rahmen der Anrechnung der Verletztenrente des Klägers auf dessen Altersrente für schwerbehinderte Menschen (vormals: Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige) der abgesenkte Freibetrag in Höhe einer "Grundrente Ost" zu berücksichtigen ist. Mit Bescheid vom 23.11.1998 und Widerspruchsbescheid vom 13.10.1999 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß seine Altersrente und rechnete dabei von Anfang an die bezogene Unfallrente an. Von der Anrechnung ausgenommen wurde ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Da der Kläger seinen Wohnsitz am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer hatte, berücksichtigte die Beklagte diesen Freibetrag in Höhe der für das Beitrittsgebiet abgesenkten Grundrentensätze. Während des Verfahrens vor den Instanzgerichten wurde der Anrechnungsbetrag mehrfach fortgeschrieben. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.10.2002). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klage gegen weitere Verwaltungsakte abgewiesen (Urteil vom 10.4.2008).

2

Mit der vom LSG hinsichtlich der Anrechnung der Unfallrente zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Das BSG hat im Blick auf eine eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG vom 13.11.2008 - B 13 R 129/08 R - das Ruhen des Verfahrens angeordnet (Beschluss vom 19.5.2009). Im Verfahren vor dem BVerfG hat der dortige Beschwerdeführer das Verfahren für erledigt erklärt. Das BVerfG hat es mit Beschluss vom 8.6.2012 - 1 BvR 349/09 - Juris abgelehnt, die Auslagen nach Erledigung und Rücknahme der Verfassungsbeschwerde zu erstatten. Der Senat hat das ruhende Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist unzulässig (§ 169 SGG). Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 SGG).

4

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 der Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22). Sie haben den Zweck, eine Entlastung des Revisionsgerichts sowie im Interesse aller Beteiligten eine umfassende Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten (vgl Senatsurteil vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16 und BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom BSG für notwendig erachteten (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

5

Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 und vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f sowie BSG vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.

6

Der Kläger rügt eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Die fehlerhafte Anwendung dieser Normen kann schlüssig nur dadurch gerügt werden, dass der Revisionsführer zunächst angibt, auf welchen festgestellten Sachverhalt das Berufungsgericht die Vorschrift in welcher Weise angewandt hat. Ohne diese stets notwendigen Angaben ist eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen.

7

Das Rechtsmittel gibt bereits nicht an, von welchem Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich relevanter Tatumstände) das BSG im Revisionsverfahren auszugehen hat. Aus der Revisionsbegründung geht lediglich hervor, dass die Beklagte auf die Altersrente des Klägers dessen Verletztenrente aus der Unfallversicherung angerechnet habe und dabei wegen des Wohnsitzes des Klägers am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer lediglich den reduzierten "Freibetrag Ost" zugrunde gelegt habe. Dabei lässt die Revisionsbegründung bereits offen, ob diese tatsächlichen Angaben dem Berufungsgericht überhaupt zuzurechnen sind, dh ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das LSG im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Des Weiteren geht der Kläger nirgendwo darauf ein, an welcher genauen Stelle er dem Berufungsurteil welche der genannten Tatumstände entnehmen möchte. Für das Revisionsgericht sind indes die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 SGG). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das BSG nicht in die Lage versetzt, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind. Es ist nicht Aufgabe des erkennenden Senats, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.

8

Darüber hinaus setzt sich der Kläger auch nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Normen in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden sind (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedanken des Vordergerichts einzugehen (BSG Urteil vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f). Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 ff). Insbesondere bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG Urteil vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12, 20 und 28).

9

Das LSG hat sich eingehend mit Wortlaut, Gesetzesbegründung und Systematik der streitbefangenen Norm beschäftigt und insbesondere auch einen Verfassungsverstoß gegen Art 14 GG und Art 3 Abs 1 GG verneint. Es hat sich dabei insbesondere auf den Beschluss des BSG vom 29.11.2007 - B 13 RJ 25/05 R - gestützt. Auf diese Gründe und den konkreten Subsumtionsschluss des LSG geht der Kläger nur unzureichend ein. Er beschränkt sich vielmehr darauf, dem Ergebnis des Berufungsgerichts seine eigene Rechtsauffassung entgegenzuhalten. Danach ermächtige § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI den Rentenversicherungsträger nicht, bei der Berücksichtigung des Freibetrags zwischen unfallverletzten Rentenbewerbern in den alten und neuen Bundesländern zu differenzieren. Dabei stützt er sich insbesondere auf die Entscheidungen des 4. Senats des BSG vom 10.4.2003 - B 4 RA 32/02 R - und vom 20.10.2005 - B 4 RA 27/05 R -, an denen der ab 1.1.2008 anstelle des 4. Senats für Streitigkeiten aus der Rentenversicherung zuständige 5a-Senat des BSG nicht mehr festgehalten hat (Beschluss vom 30.7.2008 - B 5a R 6/08 S). Der Hinweis des Klägers auf das von ihm selbst vertretene Auslegungsergebnis ersetzt nicht die eingehende Auseinandersetzung mit den Überlegungen, von denen sich das LSG bei seiner Rechtsauslegung hat leiten lassen.

10

Letztlich macht der Kläger mit seinem Vortrag eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) geltend. Eine formgerechte Verfahrensrüge der Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung liegt aber nicht vor, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt oder diese eigene Würdigung als überlegen bezeichnet. Dem Revisionsgericht ist es nämlich nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50; BSG Urteil vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16).

11

Die vorliegende Verfahrensdauer gibt keinen Anlass, von den im Gesetz vorgesehenen Anforderungen an die Begründung der Revision abzuweichen. Die Verfahrensdauer ergibt sich vorliegend im Wesentlichen daraus, dass der Senat den Rechtsstreit wegen einer ausstehenden Entscheidung des BVerfG zum Ruhen gebracht hat. Ein derartiges Zuwarten erschien vorliegend geboten, um den Kläger in den Genuss einer ihm möglicherweise positiven Entscheidung des BVerfG kommen zu lassen. Endet das verfassungsgerichtliche Verfahren indessen erfolglos, begründet der bisherige Prozessverlauf keine Erwartung hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision oder darauf, dass sich das Revisionsgericht hierauf nicht mehr berufen werde.

12

Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Der Revisionsbeklagte kann sich der Revision anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Revisionsanschlussschrift bei dem Revisionsgericht.

(2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Revisionsbeklagte auf die Revision verzichtet hat, die Revisionsfrist verstrichen oder die Revision nicht zugelassen worden ist. Die Anschließung ist bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Revisionsbegründung zu erklären.

(3) Die Anschlussrevision muss in der Anschlussschrift begründet werden. § 549 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 und die §§ 550 und 551 Abs. 3 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Revision zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Der Revisionsbeklagte kann sich der Revision anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Revisionsanschlussschrift bei dem Revisionsgericht.

(2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Revisionsbeklagte auf die Revision verzichtet hat, die Revisionsfrist verstrichen oder die Revision nicht zugelassen worden ist. Die Anschließung ist bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Revisionsbegründung zu erklären.

(3) Die Anschlussrevision muss in der Anschlussschrift begründet werden. § 549 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 und die §§ 550 und 551 Abs. 3 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Revision zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Der Revisionsbeklagte kann sich der Revision anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Revisionsanschlussschrift bei dem Revisionsgericht.

(2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Revisionsbeklagte auf die Revision verzichtet hat, die Revisionsfrist verstrichen oder die Revision nicht zugelassen worden ist. Die Anschließung ist bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Revisionsbegründung zu erklären.

(3) Die Anschlussrevision muss in der Anschlussschrift begründet werden. § 549 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 und die §§ 550 und 551 Abs. 3 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Revision zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Die Revision ist bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision nach § 134 Abs. 3 Satz 2 schriftlich einzulegen. Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist bei dem Bundesverwaltungsgericht eingelegt wird. Die Revision muß das angefochtene Urteil bezeichnen.

(2) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision abgeholfen oder läßt das Bundesverwaltungsgericht die Revision zu, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Urteil nach § 133 Abs. 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Darauf ist in dem Beschluß hinzuweisen.

(3) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision nach § 134 Abs. 3 Satz 2 zu begründen; im Falle des Absatzes 2 beträgt die Begründungsfrist einen Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.

(1) Mit der Revisionsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden, soweit dies nicht bereits nach § 544 Absatz 3 Satz 2 geschehen ist.

(2) Die Revisionsschrift ist der Gegenpartei zuzustellen.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.

Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruhe. Soweit im Fall des § 33 Abs. 1 Nr. 4 die Vorschriften dieses Unterabschnitts durch Landesgesetz für anwendbar erklärt werden, kann die Revision auch darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Landesrecht beruhe.

(2) Der Bundesfinanzhof ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im Übrigen ist der Bundesfinanzhof an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Oktober 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. In der Hauptsache begehrt die Klägerin Opferentschädigung nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 25 in der Folge einer am 9.3.2008 durch ihren ehemaligen Lebensgefährten zugefügten Stichverletzung. Der Beklagte erkannte Schädigungsfolgen lediglich mit einem GdS von unter 25 an (Bescheid vom 10.11.2011; Widerspruchsbescheid vom 18.3.2013). Das SG hat die Klage nach psychiatrisch-neurologischer Begutachtung der Klägerin (von Amts wegen und auf Antrag nach § 109 SGG) abgewiesen (Urteil vom 10.10.2014). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, die verbliebenen somatischen Schäden seien mit einem GdS von 10 zu bewerten, die psychische Schädigung bedinge wegen eines Vorschadens keinen höheren GdS als maximal 20. Dies habe der auf Antrag nach § 109 SGG tätige Gutachter nicht zutreffend erfasst, soweit er für einen vorübergehenden Zeitraum einen GdS von 25 vorgeschlagen habe(Urteil vom 14.10.2015).

2

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und rügt einen Verfahrensfehler.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

5

Die Beschwerdebegründung führt an, dem angegriffenen Urteil sei zu entnehmen, dass das LSG den Ausführungen des Sachverständigen nach § 109 SGG nicht habe folgen wollen. Für diesen Fall sei mit Schriftsatz vom 30.6.2015 ausdrücklich um einen richterlichen Hinweis gebeten und implizit ein Beweisantrag gestellt worden. Damit rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht. Ein im Berufungsverfahren anwaltlich vertretener Beteiligter - wie die Klägerin - kann aber nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt ( stRspr, vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Dass dies geschehen sei, behauptet die Klägerin nicht.

6

Soweit die Beschwerdebegründung sinngemäß auch eine Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, wird der behauptete Gehörsverstoß nicht hinreichend substantiiert dargetan. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 86, 133, 144 f). Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht damit auseinander, ob und inwieweit dies hier der Fall sein könnte, gemessen daran, dass die Würdigung der eingeholten Sachverständigengutachten ureigene tatrichterliche Aufgabe ist.

7

2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

8

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

9

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Die Revision ist bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision nach § 134 Abs. 3 Satz 2 schriftlich einzulegen. Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist bei dem Bundesverwaltungsgericht eingelegt wird. Die Revision muß das angefochtene Urteil bezeichnen.

(2) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision abgeholfen oder läßt das Bundesverwaltungsgericht die Revision zu, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Urteil nach § 133 Abs. 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Darauf ist in dem Beschluß hinzuweisen.

(3) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision nach § 134 Abs. 3 Satz 2 zu begründen; im Falle des Absatzes 2 beträgt die Begründungsfrist einen Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.

Gründe

A.

1

Das Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob die für die Bemessung der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag ab dem Jahr 2008 vorgesehene teilweise Hinzurechnung von verausgabten Zinsen, Mieten und Pachten zum Gewinn aus Gewerbebetrieb nach § 8 Nr. 1 Buchstaben a, d und e Gewerbesteuergesetz (GewStG) mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Das vorlegende Finanzgericht hält diese Vorschriften über die gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Entgelten für Schulden sowie von Mieten und Pachten für verfassungswidrig, weil sie das Prinzip gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verletzten.

I.

2

1. Die Gewerbesteuer geht in ihrem Ursprung zurück auf das Gewerbesteuergesetz 1936(RStBl 1936, S. 1149 ff.). Dieses ging von der Gewerbesteuer als Realsteuer (Objektsteuer) aus, welche vom Gesetzgeber als Ausgleich für die unmittelbaren und mittelbaren Lasten gerechtfertigt wurde, welche die Gewerbebetriebe den Gemeinden verursachten (sog. Äquivalenzprinzip; Begründung zum Gewerbesteuergesetz, RStBl 1937, S. 693 ff.). Besteuerungsgrundlagen für die Gewerbesteuer waren gemäß § 6 Abs. 1 GewStG 1936 der Gewerbeertrag und das Gewerbekapital, also die Finanzkraft des Eigenkapitals, wobei beide stets zusammen die Besteuerungsgrundlage bildeten. § 6 Abs. 2 Satz 1 GewStG 1936 sah fakultativ die Lohnsumme, also die Arbeitskraft des Unternehmens als Bemessungsgrundlage für die Ermittlung des Messbetrages vor (Begründung zum Gewerbesteuergesetz, RStBl 1937, S. 693 ff.). Zum 1. Januar 1980 wurde durch Art. 2 § 1 des Steueränderungsgesetzes von 1979 (BGBl I 1978, S. 1849<1855 f.>) § 6 Abs. 2 GewStG ersatzlos gestrichen und so die Lohnsumme als fakultative Bemessungsgrundlage abgeschafft. Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer waren nunmehr nach § 6 Satz 1 GewStG nur noch der Gewerbeertrag und das Gewerbekapital (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 8/2118, S. 64). Durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmensteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I S. 2590 <2592 f.>) entfiel durch Art. 4 Nr. 1, 15 auch die Gewerbekapitalsteuer in § 6 GewStG als Bemessungsgrundlage für den Erhebungszeitraum ab dem Jahr 1998. Seitdem ist Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer gemäß § 6 Satz 1 GewStG allein der Gewerbeertrag.

3

2.Während für die Gewinnermittlung für Zwecke der Einkommen- und Körperschaftsteuer die Zinsen für Dauerschulden abziehbar waren, sah § 8 Nr. 1 GewStG 1936 (RStBl 1936, S. 1149<1150>) vor, dass Zinsen für Dauerschulden dem Gewinn aus Gewerbebetrieb in voller Höhe wieder hinzuzurechnen waren. Dem lag die Vorstellung zugrunde, dass sich der Gewerbeertrag - dem Realsteuercharakter der Gewerbesteuer entsprechend - aus dem Gewinn erst mit Hilfe bestimmter Hinzurechnungen und Kürzungen ergebe. Der auf diese Weise ermittelte Betrag stelle die Nutzungen des gesamten im Unternehmen arbeitenden Kapitals während des Bemessungszeitraums dar (Begründung zum Gewerbesteuergesetz, RStBl 1937, S. 693 <695>). Art. 4 des Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1982, S. 1857 <1865 f.>) beschränkte die Hinzurechnung der Zinsen für den Erhebungszeitraum 1983 auf 60 v.H. und ab dem Erhebungszeitraum 1984 auf 50 v.H. Durch Art. 3 Nr. 2 Buchstabe a des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, S. 1093 <1116>) wurde das Wort "Zinsen" durch das Wort "Entgelte" für Schulden ersetzt und so der Hinzurechnungstatbestand erweitert.

4

Art. 3 Nr. 1 des Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (UntStRefG 2008) (BGBl I 2007, S. 1912<1930>) regelt die Hinzurechnung der Entgelte für Schulden neu. Der Gesetzgeber senkte mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 für den Veranlagungszeitraum ab 2008 den Körperschaftsteuersatz von 25 v.H. auf 15 v.H. und verringerte für den Erhebungszeitraum ab 2008 die Gewerbesteuermesszahl von maximal 5 v.H. auf einheitlich 3,5 v.H., so dass die nominale Belastung der Unternehmensgewinne sank. Zugleich sollte zur Kompensation der geringeren nominalen Steuerbelastung die steuerliche Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer durch verschiedene Maßnahmen verbreitert und verstetigt werden. Dazu gehörte unter anderem die Abschaffung der Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer von der Bemessungsgrundlage bei der Einkommensteuer (§ 4 Abs. 5b EStG), bei der Körperschaftsteuer (§ 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 5b EStG) und bei der eigenen Bemessungsgrundlage sowie die Ausweitung der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung (Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BTDrucks 16/4841, S. 32). Die Hinzurechnung wurde ab dem Erhebungszeitraum 2008 auch auf Entgelte für Schulden, die keine Dauerschulden sind, erweitert. Die Gesetzesänderung durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 führte somit zu einer Ausweitung der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Schuldzinsen. Im Übrigen wurde die Hinzurechnung grundsätzlich auf 25 v.H. der Entgelte und der ihnen gleichgestellten Aufwendungen beschränkt. Die Ausweitung der Hinzurechnungstatbestände sollte der Verlagerung deutschen Steuersubstrats ins Ausland entgegenwirken und zur Finanzierung der Unternehmensteuerreform beitragen. Durch sie sollte zwar die Steuerbemessungsgrundlage der Gewerbesteuer verbreitert, allerdings durch die gleichzeitige Verringerung des Hinzurechnungssatzes und der Einführung eines Hinzurechnungsfreibetrages das Steueraufkommen der Gewerbesteuer nicht verändert, aber stabiler und planbarer gestaltet werden (Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BTDrucks 16/4841, S. 32).

5

3. § 8 Nr. 8 GewStG 1936 (RStBl 1936, S. 1149<1150>) sah die Hinzurechnung der Hälfte der Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung der nicht aus Grundbesitz bestehenden Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen standen, auf den Gewinn aus Gewerbebetrieb vor. Dabei ging § 8 Nr. 8 GewStG 1936 ausweislich der Gesetzesbegründung davon aus, dass zahlreiche Unternehmen mit gemieteten Maschinen arbeiteten. Unternehmen, die mit eigenen Maschinen arbeiteten, müssten den Reinertrag aus diesem Teil des Anlagevermögens in voller Höhe versteuern, während die anderen Unternehmen die Miete als Betriebsausgabe absetzen könnten. Durch § 8 Nr. 8 GewStG 1936 sollte deshalb eine Gleichstellung erreicht werden, wobei der Gesetzgeber davon ausging, dass die Hälfte der Miet- und Pachtzinsen den Reinertrag aus den gemieteten Maschinen oder sonstigen beweglichen Gütern des Anlagevermögens darstellt. Grundbesitz schied bei der Zurechnung aus, da dieser grundsätzlich nur von der Grundsteuer erfasst werden sollte (RStBl 1937, S. 693 <696>). In der Neufassung des Gewerbesteuergesetzes vom 18. November 1958 (BGBl I 1958, S. 754 <757>) wurde die Hinzurechnung der Hälfte der Miet- und Pachtzinsen in inhaltlich unveränderter Form erstmals in § 8 Nr. 7 GewStG 1957 geregelt. Durch Art. 6 Nr. 5 des Steueränderungsgesetzes 1961 (StÄndG 1961; BGBl I 1961, S. 981 <986>) erhielt § 8 Nr. 7 Satz 2 GewStG inhaltlich im Wesentlichen seine bis zum Erhebungszeitraum 2007 gültige Fassung, wonach grundsätzlich die Hälfte der Miet- oder Pachtzinsen hinzuzurechnen war (BGBl I 1961, S. 981<987>).

6

Art. 3 Nr. 1 des UntStRefG 2008 (BGBl I 2007, S. 1912<1930>) mit Änderung durch Art. 5 Nr. 02 des Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008) vom 20. Dezember 2007 (BGBl I 2007, S. 3150 <3168>) führte zu § 8 Nr. 1 Buchstaben d und e GewStG in der vom Finanzgericht vorgelegten Fassung. Bei Mieten, Pachten, Leasingraten und Lizenzgebühren sollte nur der sogenannte Finanzierungsanteil hinzugerechnet werden, der bei immobilen Wirtschaftsgütern mit 75 v.H. und bei mobilen Wirtschaftsgütern pauschal mit 20 v.H. angesetzt wurde (Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BTDrucks 16/4841, S. 30 f.). Die Neuregelung erfasst nunmehr auch den Finanzierungsanteil für Grundbesitz, der im Eigentum eines anderen steht. Des Weiteren unterscheidet sie nicht mehr nach der steuerlichen Behandlung der Mieten und Pachten beim Empfänger (BTDrucks 16/4841, S. 79 f.). Im Übrigen blieb es bei der bisherigen Regelung, nur für die gemieteten oder gepachteten Wirtschaftsgüter eine Hinzurechnung vorzunehmen, die - unterstellt, der Mieter oder Pächter wäre Eigentümer - bei ihm zu seinem Anlagevermögen gehören würden (BTDrucks 16/4841, S. 80). Im Finanzausschuss, an den der Gesetzentwurf eines Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008) der Bundesregierung (BTDrucks 16/6290, S. 22) federführend überwiesen worden war, wurde der anzusetzende Finanzierungsanteil aus Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung von unbeweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens in § 8 Nr. 1 Buchstabe e GewStG ohne weitere Begründung von 75 v.H. auf 65 v.H. herabgesetzt (vgl. Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 16/7036, S. 23). Die Gesetzesänderungen durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 und das Jahressteuergesetz 2008 führten somit zu einer Ausweitung der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung bei Mieten und Pachten für unbewegliche Wirtschaftsgüter.

7

4. § 8 Nr. 1 Buchstaben a, d und e des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I S. 1912) und des Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008) vom 20. Dezember 2007 (BGBl I S. 3150) hat folgenden Wortlaut:

§ 8 GewStG - Hinzurechnungen

Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb (§ 7) werden folgende Beträge wieder hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind:

1. Ein Viertel der Summe aus

a) Entgelten für Schulden. 2Als Entgelt gelten auch der Aufwand aus nicht dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr entsprechenden gewährten Skonti oder wirtschaftlich vergleichbaren Vorteilen im Zusammenhang mit der Erfüllung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen vor Fälligkeit sowie die Diskontbeträge bei der Veräußerung von Wechsel- und anderen Geldforderungen. 3Soweit Gegenstand der Veräußerung eine Forderung aus einem schwebenden Vertragsverhältnis ist, gilt die Differenz zwischen dem Wert der Forderung aus dem schwebenden Vertragsverhältnis, wie ihn die Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Veräußerung zugrunde gelegt haben, und dem vereinbarten Veräußerungserlös als bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt,

d) einem Fünftel der Miet- und Pachtzinsen (einschließlich Leasing- raten) für die Benutzung von beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen,

e) dreizehn Zwanzigstel der Miet- und Pachtzinsen (einschließlich Leasingraten) für die Benutzung der unbeweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen, und

soweit die Summe den Betrag von 100.000 Euro übersteigt; …

II.

8

1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine Tankstellenpächterin; sie betreibt in der Rechtsform der GmbH Tankstellen mit Shop und Waschstraße. Die zum Betrieb wesentlichen Betriebsgrundlagen pachtete sie entgeltlich an. Im Jahr 2008 entstanden der Klägerin Entgelte für Schulden in Höhe von insgesamt 8.332 Euro, für die Miete und Anpachtung von beweglichen Wirtschaftsgütern Aufwendungen in Höhe von insgesamt 270.532 Euro sowie für die Miete und Anpachtung von unbeweglichen Wirtschaftsgütern, die jeweils im Eigentum eines anderen standen, Aufwendungen in Höhe von insgesamt 344.490 Euro. In ihrer Körperschaftsteuererklärung 2008 ermittelte die Klägerin ein zu versteuerndes Einkommen von 15.839 Euro. In ihrer Gewerbesteuererklärung 2008 gab die Klägerin bei den Hinzurechnungsbeträgen gemäß § 8 Nr. 1 Buchstaben a, d und e GewStG neben den Entgelten für Schulden die Aufwendungen für die Benutzung fremder beweglicher und unbeweglicher Betriebsanlagegüter an. Das Finanzamt, Beklagter des Ausgangsverfahrens, erließ erklärungsgemäß einen Gewerbesteuermessbescheid für 2008, wobei es den Gewerbesteuermessbetrag auf 2.184 Euro festsetzte. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, den das Finanzamt zurückwies. Die Klägerin erhob Klage zum Finanzgericht und beantragte, den Gewerbesteuermessbetragsbescheid für 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung in der Weise zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag um 1.991 Euro niedriger auf 193 Euro festgesetzt werde.

9

2. Das Finanzgericht hält die Vorschriften über die gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Entgelten für Schulden sowie von Mieten und Pachten (§ 8 Nr. 1 Buchstaben a, d und e GewStG) wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) für verfassungswidrig, weil sie mit dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und dem Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit nicht vereinbar seien und ein rechtfertigender Grund hierfür fehle. Es hat diese Vorschriften dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung vorgelegt (Beschluss veröffentlicht u.a. in DStRE 2012, S. 478 = EFG 2012, S. 960). Das Finanzgericht meint, sachgerecht sei allein eine Besteuerung nach dem Ist-Leistungsfähigkeitsprinzip, welches folgerichtig durch das objektive Nettoprinzip ausgestaltet werde. Die genannten Hinzurechnungsvorschriften verletzten das objektive Nettoprinzip, weil sie dazu führten, dass objektiv durch den Gewerbebetrieb veranlasste Aufwendungen nicht von den erzielten Erträgen abgezogen werden könnten. Dies sei von Verfassungs wegen nicht gerechtfertigt; es lägen keine besonderen sachlichen Gründe vor, die eine "Verletzung der folgerichtigen Ausgestaltung des Ist-Leistungsfähigkeitsprinzips" verfassungsrechtlich rechtfertigten, insbesondere genüge hierfür nicht der Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer und die sich daraus ergebende Gleichstellung des Einsatzes von Fremdkapital mit dem von Eigenkapital durch die Hinzurechnung von Schuld- sowie von Miet- und Pachtzinsen (wird näher ausgeführt; vgl. DStRE 2012, S. 478 = EFG 2012, S. 960).

10

Das Finanzgericht stellt damit die Verfassungsmäßigkeit und zugleich die Rechtfertigung der Gewerbesteuer als Realsteuer grundsätzlich in Frage.

11

3. Der veröffentlichte Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Hamburg hat bereits zur Auseinandersetzung mit dessen Argumentation in Entscheidungen des Bundesfinanzhofs geführt.

12

a) Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs hat mit Beschluss vom 1. August 2012 - IV R 55/11 - (BFH/NV 2012, S. 1826) das Ausgangsverfahren des Normenkontrollantrages des Finanzgerichts als ein nicht aussichtslos erscheinendes Musterverfahren beurteilt und deshalb ein bei ihm anhängiges Revisionsverfahren, in welchem es ebenfalls um die Verfassungsmäßigkeit der Hinzurechnungsvorschriften geht, gemäß § 74 FGO bis zum Vorliegen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt (ebenso die Beschlüsse vom 12. Juli 2012 - IV R 55/10 - und vom 26. August 2013 - IV R 24/11 -).

13

b) Hingegen hat der I. Senat des Bundesfinanzhofs in Eilverfahren mit Beschlüssen vom 16. Oktober 2012 - I B 128/12 - (BFHE 238, 452) und - I B 125/12 - (NV 2013, S. 249) nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der dort angegriffenen, auf § 8 Nr. 1 Buchstaben a, d, e und f GewStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, S. 1912) und des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl I 2007, S. 3150) beruhenden Grundlagenbescheide verneint, da auch mit Blick auf den Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Hamburg nicht ernstlich zweifelhaft sei, dass die vorgenannten Hinzurechnungsvorschriften verfassungsgemäß seien. Durch die in § 8 Nr. 1 Buchstabe e GewStG erstmals erfassten Fallgruppen der Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung unbeweglicher Wirtschaftsgüter sowie der Aufwendungen für die zeitlich befristete Überlassung von Rechten in § 8 Nr. 1 Buchstabe f GewStG sei die Entscheidung für eine "verobjektivierte" Bemessungsgrundlage durch den Gesetzgeber sogar verbreitert und ausgebaut worden. Die Belastungsentscheidung als solche und die diese tragende Rechtfertigung hätten infolgedessen unverändert Bestand.

14

Eine gegen diesen Beschluss des Bundesfinanzhofs gerichtete Verfassungsbeschwerde nahm die 1. Kammer des Ersten Senats mit Beschluss vom 6. Mai 2013 - 1 BvR 821/13 - (NVwZ 2013, S. 935) nicht zur Entscheidung an.In späteren Entscheidungen bestätigte der I. Senat des Bundesfinanzhofs seine Rechtsauffassung (Urteile vom 16. Januar 2014 - I R 21/12 -, BFHE 244, 347 und vom 4. Juni 2014 - I R 21/13 -, BFHE 246, 130).

B.

15

Die Vorlage ist unzulässig, denn das vorlegende Gericht hat sie nicht hinreichend begründet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Die Unzulässigkeit der Vorlage kann die Kammer durch einstimmigen Beschluss feststellen (§ 81a Satz 1 BVerfGG).

I.

16

Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt ein Vorlagebeschluss nur, wenn die Ausführungen des Gerichts erkennen lassen, dass es sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 127, 335 <355 f.>; stRspr). Hierfür muss das vorlegende Gericht in nachvollziehbarer und für das Bundesverfassungsgericht nachprüfbarer Weise darlegen, dass es bei seiner anstehenden Entscheidung auf die Gültigkeit der Norm ankommt und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht von der Unvereinbarkeit der Norm mit der Verfassung überzeugt ist (vgl. BVerfGE 105, 61 <67>; stRspr).

17

Das vorlegende Gericht muss von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm überzeugt sein und die für diese Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar und erschöpfend darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 86, 71 <77 f.>; 88, 70 <74>; 88, 198 <201>; 93, 121 <132>). Der Vorlagebeschluss muss den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben, die naheliegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erörtern, sich eingehend sowohl mit der einfachrechtlichen als auch mit der verfassungsrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, dabei die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen und insbesondere auf die maßgebliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingehen (vgl. BVerfGE 76, 100 <104>; 79, 240 <243 f.>; 86, 52 <57>; 86, 71 <77 f.>; 88, 198 <202>; 94, 315 <325>).

18

Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 129, 186 <203>; 133, 1 <11>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 Rn. 92). Zur Begründung der Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Norm muss der Sachverhalt umfassend dargestellt werden. Die Schilderung des Sachverhalts muss aus sich heraus, also ohne Studium der beigefügten Verfahrensakten, verständlich sein (vgl. BVerfGE 88, 187 <194>; 107, 59 <85>). Es muss dargelegt sein, dass und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle der Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 79, 240 <243>; 121, 108 <117>). Das Gericht muss sich dabei eingehend mit der Rechtslage auseinandersetzen und die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 65, 308 <316>; 94, 315 <323>; 97, 49 <60>; 105, 61 <67>; 121, 233 <237 f.>). Bei der Annahme eines Gleichheitsverstoßes gehört zur erschöpfenden Begründung durch das vorlegende Gericht auch die eindeutige Bezeichnung der Sachverhalte oder Personengruppen, die aus Sicht des Gerichts miteinander verglichen werden können und zu Unrecht ungleich behandelt werden (BVerfGK 17, 360 <366>; vgl. auch BVerfGE 131, 66 <82>).

II.

19

Diesen Anforderungen wird die Vorlage nicht gerecht. Zwar wird die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage hinreichend dargelegt. Die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm genügen jedoch nicht den Vorgaben des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Angesichts der Klarstellung der Maßstäbe zum Gleichheitssatz für die Anwendung auf steuergesetzliche Vorschriften in zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der Billigung des Systems der Gewerbesteuer mit Hinzurechnungs- und Kürzungsbestimmungen in früheren Entscheidungen des Gerichts sind an die abweichende Beurteilung des vorlegenden Gerichts hier besondere Anforderungen an die Auseinandersetzung mit vorhandenen, gängigen verfassungsrechtlichen Einordnungen zu stellen.

20

Das vorlegende Finanzgericht geht von einer überholten Konkretisierung des Gleichheitsmaßstabes in Art. 3 Abs. 1 GG aus (1.) und legt seiner Prüfung nicht die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zum Umfang des Entscheidungsspielraums des Gesetzgebers im Bereich des Steuerrechts bei der Auswahl und Ausgestaltung des Steuergegenstandes sowie der Differenzierung innerhalb des Steuergegenstandes, insbesondere in seiner bisherigen Spruchpraxis zur Gewerbesteuer, zugrunde (2.). Sein Vorlagebeschluss lässt zudem eine Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Absicherung der Gewerbesteuer in Art. 106 Abs. 6 GG (3.) und eine hinreichende Befassung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungsrechtlichen Legitimation der Gewerbesteuer (4.) vermissen. Das Finanzgericht argumentiert nur pauschal mit einer vermeintlichen "Prinzipienwidrigkeit" der zur Prüfung gestellten Vorschriften, ohne eine entsprechende verfassungsrechtliche Beurteilung auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorzunehmen (5., 6.). Es setzt sich überdies nicht mit der Rechtsprechung anderer Finanzgerichte zur Verfassungsgemäßheit der Gewerbesteuer nach der Unternehmensteuerreform 2008, insbesondere der Hinzurechnungsvorschriften, auseinander (7.).

21

1.Bereits die Auseinandersetzung des vorlegenden Gerichts mit dem Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG genügt nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Ohne eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu benennen, beschreibt die Vorlage die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG mit Bezug zum Steuerrecht kurz als nicht überzeugend. Ausgehend von einem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit längerem überholten Maßstab führt das vorlegende Gericht lediglich aus, soweit die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den sachlichen Grund zur Rechtfertigung einer Differenzierung nach personenbezogenen Merkmalen oder nach sachbezogenen Merkmalen erfolge, überzeuge dies nicht.

22

Auf die aktuelle Fortentwicklung des Prüfungsmaßstabes zu Art. 3 Abs. 1 GG zu einer stufenlosen Maßstabsbildung geht das vorlegende Gericht nicht ein. Es hätte jedoch in seinem Vorlagebeschluss in erster Linie die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Maßstäben des allgemeinen Gleichheitssatzes zugrunde legen müssen (vgl. nur BVerfGE 126, 400 <416>; 127, 263 <280>; 129, 49 <68 f.>; siehe auch BVerfGE 130, 131 <142>; 130, 240 <252 ff.>). In Anbetracht der jüngsten, vom vorlegenden Gericht zitierten Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Gewerbesteuer vom 15. Januar 2008 (BVerfGE 120, 1) hätte es darzulegen gehabt, zu welchem Ergebnis die Anwendung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts käme (vgl. BVerfGE 89, 132 <141 f.>; 116, 135 <161>; 120, 1 <29 ff.>). Nach erfolgter Subsumtion unter diesen gefestigten Prüfungsmaßstab hätte es dann in einem zweiten Schritt eine Alternativlösung nach dem von ihm für zutreffend befundenen Prüfungsmaßstab anfügen müssen.

23

2. Das vorlegende Gericht geht auch nicht auf die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem weitreichenden Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes im Bereich des Steuerrechts ein, insbesondere in seiner Spruchpraxis zur Gewerbesteuer.

24

a) Das Finanzgericht gesteht dem Gesetzgeber zwar abstrakt einen Wertungsspielraum bei der Belastungsentscheidung zu, vertritt sodann aber im offenen Gegensatz dazu die Auffassung, im Hinblick auf die Gewerbesteuer ende der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers dort, wo das Prinzip der steuerlichen Lastengleichheit und der Besteuerung nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr gewahrt sei; deshalb sei nur eine Besteuerung nach dem "Ist-Leistungsfähigkeitsprinzip" verfassungsgemäß. Sodann spricht das vorlegende Gericht dem Gesetzgeber im Bereich der Gewerbesteuer die Befugnis ab, eine Besteuerung nach dem "Soll-Leistungsfähigkeitsprinzip" zugrunde zu legen, da hier bereits für eine Besteuerung nach dem "Ist-Leistungsfähigkeitsprinzip" die verfassungsrechtliche Rechtfertigung fehle.

25

b) Damit geht das vorlegende Gericht ohne eine Auseinandersetzung über die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinweg, das in ständiger Rechtsprechung dem Gesetzgeber einen weitreichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes zubilligt (zuletzt BVerfGE 137, 350 <366 f. Rn. 42>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 Rn. 123; Beschluss des Ersten Senats vom 23. Juni 2015 - 1 BvL 13/11, 1 BvL 11 BvL 14/11 -, NJW 2015, S. 3221 Rn. 72; vgl. auch BVerfGE 21, 12 <26 f.>; 117, 1 <30>; 120, 1 <29 f.>; 122, 210 <230>; 123, 1 <19>; 127, 224 <245>); dies ist auch der letzten Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Gewerbesteuer zu entnehmen (BVerfGE 120, 1 <29 ff.>). Die Befugnis des Gesetzgebers zur Definition des Steuerobjekts stützt sich auf seine demokratische Legitimation für die Steuerpolitik. Steuerwürdigkeitsentscheidungen beruhen wesentlich auf politischen Wertungen, die nach dem Grundgesetz der Legislative zustehen und von ihr im Wege der Gesetzgebung getroffen werden müssen. Deshalb ist bei diesen Entscheidungen der Gleichheitssatz bereits eingehalten, wenn der Gesetzgeber einen Sachgrund für seine Wahl des Steuergegenstandes vorbringen kann, die Berücksichtigung sachwidriger, willkürlicher Erwägungen ausgeschlossen ist (vgl. BVerfGE 120, 1 <29>) und die konkrete Belastungsentscheidung für ein Steuerobjekt nicht mit anderen Verfassungsnormen in Konflikt gerät (vgl. BVerfGE 137, 350 <366 f. Rn. 42>). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Steuergesetze in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen (vgl. BVerfGE 110, 274 <292>; 117, 1 <31> sowie BVerfGE 96, 1 <6>; 99, 280 <290>; 105, 73 <127>; 116, 164 <182 f.>). Außerdem darf eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (vgl. BVerfGE 27, 142 <150>; 112, 268 <280 f.>; 117, 1 <31>; 120, 1 <19>). Die Entscheidung darüber, ob die Einbeziehung einer Personengruppe oder eines Sachverhalts in den Anwendungsbereich eines Steuergesetzes zur Auswahl und damit zur Bestimmung des Umfangs des Steuergegenstandes zählt, bei der dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zusteht, oder ob dies eine Frage der Differenzierung innerhalb des Steuergegenstandes ist, mit der Folge einer engeren Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Folgerichtigkeit und Belastungsgleichheit, kann nicht nach abstrakten Kriterien getroffen werden, sondern muss jeweils in Ansehung der konkreten Umstände des in Rede stehenden Steuergegenstandes und der betreffenden Vergleichsgruppen erfolgen. Dabei kommt es regelmäßig wesentlich darauf an, inwieweit die Gruppe oder der Sachverhalt, um deren oder dessen Einbeziehung es geht, durch Merkmale geprägt ist, die gerade den Steuergegenstand, dessen Ausgestaltung infrage steht, unter dem Gesichtspunkt des steuerbaren Vorteils kennzeichnen (vgl. BVerfGE 120, 1 <29 f.>; siehe dazu auch BFHE 246, 67 Rn. 24).

26

Die Besonderheiten der Gewerbesteuer könnten zwar darauf hindeuten, dass es sich bei den Hinzurechnungs- und Kürzungsbestimmungen (§§ 8, 9 GewStG) um die Bestimmung des Umfangs des Steuergegenstandes handelt. Aufgrund der Komplexität der Vorschriften und der allgemein gehaltenen Definition des Steuergegenstandes in § 2 GewStG liegt es jedoch näher, von Differenzierungen innerhalb des Steuergegenstandes auszugehen, was eine engere Bindung des Gesetzgebers an sachliche Erwägungen, insbesondere solche der Folgerichtigkeit und Belastungsgleichheit vorstellbar erscheinen lässt (vgl. BVerfGE 137, 350 <366 Rn. 41>). Diese für die Reichweite des gesetzgeberischen Ermessensspielraums relevante Einordnung vermag indes nichts daran zu ändern, dass es jedenfalls einer Auseinandersetzung des vorlegenden Gerichts mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Auswahl und Ausgestaltung des Steuergegenstandes sowie der Differenzierung innerhalb des Steuergegenstandes bedurft hätte.

27

3. Darüber hinaus fehlt es an einer Auseinandersetzung des vorlegenden Gerichts mit der verfassungsrechtlichen Absicherung der Gewerbesteuer in Art. 106 Abs. 6 GG und den daraus zu ziehenden Folgerungen für ihre einfachgesetzliche Ausgestaltung. So geht der Vorlagebeschluss, der Art. 106 GG nur an einer Stelle nennt, nicht auf die Erwägung ein, dass dem Begriff der Gewerbesteuer in Art. 106 Abs. 6 GG aufgrund ihrer überkommenen Grundstruktur und herkömmlichen Ausgestaltung im einfachen Recht die Zulässigkeit gesetzlicher Hinzurechnungsvorschriften immanent sein könnte (vgl. BVerfGE 120, 1 <25 ff. m.w.N.>; siehe auch Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG).

28

4. Auch sonst fehlt es an einer hinreichenden Befassung des vorlegenden Gerichts mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungsrechtlichen Legitimation der Gewerbesteuer.

29

Der Vorlagebeschluss referiert knapp die Entscheidungen zur Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen (BVerfGE 26, 1), zur Hinzurechnung von Mietzinsen (Beschluss [Vorprüfungsausschuss] vom 29. August 1974 - 1 BvR 67/73 -, HFR 1974, S. 498) und zum Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer (BVerfGE 40, 109 <115>; 42, 374 <384>; 46, 224 <237>), ohne sich jedoch inhaltlich mit diesen Entscheidungen auseinanderzusetzen. Auch den zuletzt zur Gewerbesteuer ergangenen Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2010 - 1 BvR 2130/09 - (NJW 2010, S. 2116) - zur Gewerbesteuerpflicht einer Wirtschaftsprüfungs-GmbH und zur Vereinbarkeit von § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG mit Art. 3 Abs. 1 GG - zitiert das vorlegende Gericht lediglich.

30

Eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung des vorlegenden Gerichts mit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 15. Januar 2008 (BVerfGE 120, 1 <39>) zur weiterhin bestehenden finanzrechtlichen Bedeutung des Äquivalenzprinzips für die Rechtfertigung der Gewerbesteuer fehlt. Zwar referiert das vorlegende Gericht die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach die äquivalenztheoretische Begründung zur Rechtfertigung der Gewerbesteuer beitrage (BVerfGE 120, 1 <37 ff.>). Daraus, so das vorlegende Gericht, könne der Gedanke entstehen, das Äquivalenzprinzip rechtfertige auch die Hinzurechnungsvorschriften, da diese den Gemeinden einen Ausgleich für besondere Lasten verschaffen könnten. Angesichts des hohen Rangs des Leistungsfähigkeitsprinzips genüge das Äquivalenzprinzip als bloße allgemeine rechtstheoretische Überlegung nicht, um das verfassungsrechtlich verankerte Leistungsfähigkeitsprinzip zu durchbrechen. Dafür bedürfe es mindestens ebenbürtiger, auf gleicher Ebene bestehender "sachgerechter Prinzipien".

31

Das Leistungsfähigkeitsprinzip und das Äquivalenzprinzip werden dabei vom vorlegenden Gericht nicht klar definiert und hergeleitet. Eine Begründung des vorlegenden Gerichts für die nach seiner Ansicht herausgehobene Bedeutung des Leistungsfähigkeitsprinzips für die Gewerbesteuer fehlt ebenso. Soweit das Finanzgericht diese Prinzipien für seine Argumentation bemüht, geht es über die erforderliche genaue Subsumtion mit einem aktuellen verfassungsrechtlichen Maßstab hinweg. Die schlichte Behauptung, das Äquivalenzprinzip reiche als bloße allgemeine rechtstheoretische Überlegung nicht aus, um das verfassungsrechtlich verankerte Leistungsfähigkeitsprinzip zu durchbrechen, genügt nicht den Anforderungen an eine verfassungsrechtliche Bewertung der gesetzlichen Differenzierungskriterien (vgl. BVerfGE 120, 1 <37 ff.> zur Gewerbesteuer; siehe aber BVerfGE 135, 126 <153 f. Rn. 89 f.> zur Zweitwohnungsteuer).

32

5. Weiterhin setzt sich das vorlegende Gerichtinhaltlich weder mit dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts statuierten Begriff der Objektsteuer auseinander noch nimmt es eine verfassungsrechtliche Verortung desselben vor. Es charakterisiert den Begriff "Objektsteuer" lediglich als "inhaltsleer", der für eine weitere Differenzierung der Leistungsfähigkeit eines Gewerbebetriebs nicht tauge. Zeige sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Leistungsfähigkeit bei der Gewerbesteuer in ihrer heutigen Form in der "objektivierten Ertragskraft" der Gewerbebetriebe (Hinweis auf BVerfGE 120, 1 <44 f.>; siehe auch BVerfGE 116, 164 <185 f.>), so sei, so das vorlegende Gericht, auch nur die Ertragskraft maßgebend, die sich bei einer "Ist-Leistungsfähigkeit" unter Berücksichtigung des objektiven Nettoprinzips ergebe.

33

Die Begründung des vorlegenden Gerichts für diesen Standpunkt bleibt unklar und ist nicht nachvollziehbar. Es misst dem Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Gewerbesteuerrecht für die Begründung des Vorlagebeschlusses einen Inhalt zu, welcher nicht aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt und umso begründungsbedürftiger ist, als das Bundesverfassungsgericht den Verfassungsrang des objektiven Nettoprinzips selbst im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht ausdrücklich offengelassen hat (vgl. BVerfGE 122, 210 <234>; 123, 111 <121>; 126, 268 <279 f.> und BVerfGE 127, 224 <248>). Bei der Gewerbesteuer ist nicht zuletzt wegen ihrer Ausgestaltung in den §§ 7 f. GewStG schon die einfachrechtliche Geltung des objektiven Nettoprinzips fraglich (vgl. Heger, Beihefter zu DStR 34/2009, S. 117 <120 ff.>; Hey, Beihefter zu DStR 34/2009, S. 109 <113 ff.>; Jachmann, Beihefter zu DStR 34/2009, S. 129). Bereits einfachrechtlich ist in dem Vorlagebeschluss nicht näher dargelegt, dass sich die Gewerbesteuer "in ihrer Grundstruktur als vornehmlich auf den Ertrag des Gewerbebetriebes gerichtete Objektsteuer" (vgl. BVerfGE 116, 164 <186>; 120, 1 <27>) spätestens mit der Neufassung des § 8 GewStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 grundlegend zu einer reinen Ertragsteuer verändert haben könnte. Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften finden sich im Gewerbesteuergesetz durchgehend seit dem Gewerbesteuergesetz vom 1. Dezember 1936 in §§ 8 f. GewStG 1936 (RStBl 1936, S. 1149 <1150>). Absicht des Gesetzgebers bei der Neufassung und Ausweitung der Hinzurechnungsvorschriften für Wirtschaftsgüter in § 8 Nr. 1 GewStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 war es lediglich, die bis dahin in § 8 GewStG a.F. gegebenen Ungleichbehandlungen verschiedener Finanzierungsformen zu vermeiden und die Struktur der Hinzurechnungstatbestände zu vereinheitlichen (BTDrucks 16/4841, S. 78 f.). Dabei wollte der Gesetzgeber trotz der Ausweitung der Hinzurechnungstatbestände die Aufkommenswirkung der Hinzurechnungen insgesamt unverändert lassen. Deshalb hat er durch die Ausweitung der unter die gewerbesteuerliche Hinzurechnung fallenden Eigenkapitalsubstitute in § 8 Nr. 1 Buchstaben a bis f GewStG die Steuerbemessungsgrundlage der Gewerbesteuer verbreitert, gleichzeitig aber den Hinzurechnungssatz verringert und einen Hinzurechnungsfreibetrag in Höhe von 100.000 Euro eingeführt. Das Gewerbesteueraufkommen sollte durch die Unternehmensteuerreform also nicht verändert, sondern stabiler und planbarer werden (BTDrucks 16/4841, S. 32 re. Sp.). Der Bundesfinanzhof hat deshalb im Hinblick auf den Vorlagebeschluss in seinem Urteil vom 4. Juni 2014 (BFHE 246, 67) zutreffend ausgeführt, seit der Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 2008 (BVerfGE 120, 1) habe es keine Weiterentwicklung der Gewerbesteuer von einer Real- und Objektsteuer zu einer "reinen" (Zusatz-)Ertragsteuer gegeben; die den Steuertypus prägenden Hinzurechnungen seien beibehalten oder - wie zuletzt mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 geschehen - strukturell vereinheitlicht und ausgebaut worden. Aus der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Gewerbesteuer als ertragsorientierter Objektsteuer folge, dass die Ist-Leistungsfähigkeit, die auf die konkrete Steuerzahlungsfähigkeit des einzelnen Grundrechtsträgers abstelle und als deren einfachrechtliche Ausprägung das objektive Nettoprinzip des Einkommensteuerrechts (§ 2 Abs. 2 EStG) zu gelten habe, nicht den Maßstab für die Prüfung der streitigen Hinzurechnungsregelung darstelle. Vielmehr komme es darauf an, ob sich diese folgerichtig in das Konzept einer "ertragsorientierten Objektsteuer" einfügen lasse (BFHE 246, 67 Rn. 17 f.). Dem ist nichts hinzuzufügen.

34

Die von den Hinzurechnungsvorschriften in § 8 GewStG ausgehenden Belastungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von der verfassungsrechtlichen Legitimität der Gewerbesteuer erfasst und von den betroffenen Grundrechtsträgern im Grundsatz hinzunehmen (vgl. BVerfGE 26, 1; BVerfG, Beschluss [Dreierausschuss] vom 3. Juni 1970 - 1 BvR 333/70 -, HFR 1970, S. 401; Beschluss [Dreierausschuss] vom 29. August 1974 - 1 BvR 67/73 -, HFR 1974, S. 498). So beschreibt auch die 1. Kammer des Ersten Senats in ihrem Nichtannahmebeschluss vom 24. März 2010 - 1 BvR 2130/09 - (NJW 2010, S. 2116 Rn. 14) die Gewerbesteuer unter Hinweis auf den Beschluss vom 15. Januar 2008 (BVerfGE 120, 1 <44 f.>) unverändert als Steuer, die nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung die objektivierte Ertragskraft der Gewerbebetriebe erfasse.

35

Des Weiteren übergeht das vorlegende Gericht vollständig, dass dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer gerade Hinzurechnungen und Kürzungen immanent sind und sich diese Objektsteuerelemente vom subjektiven Leistungsfähigkeitsgedanken abheben (vgl. Roser, DStJG 35, S. 189 <196>). Denn ohne den durch Hinzurechnungen und Kürzungen bewirkten Objektsteuercharakter und die damit verbundene Abschirmwirkung des Betriebs gegenüber dem Unternehmer wäre die Gewerbesteuer bei natürlichen Personen nur noch eine weitere - an die persönliche Leistungsfähigkeit anknüpfende - Einkommensteuer auf gewerbliche Einkünfte (vgl. Selder, FR 2014, S. 174 <177 a.E.>; Drüen, in: Blümich, GewStG, 123. Aufl. EL 123 Juni 2014, § 1 Rn. 18).

36

6. Das vorlegende Gericht setzt sich zudem nicht mit der vermeintlichen Unvereinbarkeit von Objektsteuercharakter und Ist-Leistungsfähigkeitsprinzipauseinander und vertieft diesen Ansatz nicht in der gebotenen Weise. Dies wäre umso mehr erforderlich gewesen, als die von ihm vorgenommene Differenzierung zwischen Ist- und Soll-Leistungsfähigkeit keine Kategorie der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gewerbesteuer ist.

37

Ein Anhaltspunkt für die Ansicht des vorlegenden Gerichts, dass im Rahmen der Gewerbesteuer die Besteuerung ausschließlich nach der sogenannten "Ist-Leistungsfähigkeit" erfolgen dürfe, findet sich in der von ihm zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so nicht. In den jüngeren Senatsentscheidungen mit gewerbesteuerlichem Bezug gingen zwar sowohl der Erste Senat in seinem Beschluss vom 15. Januar 2008 (BVerfGE 120, 1) als auch der Zweite Senat in seinem Beschluss vom 21. Juni 2006 (BVerfGE 116, 164) von den zwischenzeitlich etablierten Rechtsgrundsätzen zu Art. 3 Abs. 1 GG im Steuerrecht und insbesondere von den Prinzipien der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit aus (vgl. BVerfGE 116, 164 <180 f.>; 120, 1 <44 f.>). Die Heranziehung dieser Prinzipien änderte jedoch nichts daran, dass beide Senate des Bundesverfassungsgerichts die objektivierte Ertragskraft des Gewerbebetriebs als maßgeblich für die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage ansehen (vgl. BVerfGE 116, 164 <186>; 120, 1 <27>), mithin das Prinzip der Leistungsfähigkeit im Lichte der objektivierten Ertragskraft des Gewerbebetriebs zu berücksichtigen ist. Hingegen zeigt sich bei der Einkommen- steuer die Leistungsfähigkeit in der individuellen Zahlungsfähigkeit des Steuerpflichtigen (vgl. BVerfGE 116, 164 <186>). Dementsprechend hat der Erste Senat in seinem Beschluss vom 15. Januar 2008 (BVerfGE 120, 1 <31>) ausdrücklich hervorgehoben, die Gewerbesteuer erfasse, von den persönlichen Verhältnissen des Betriebsinhabers weitgehend unabhängig, in erster Linie auf sächliche Produktionsmittel und Kapital gegründete Finanzquellen.

38

Im Vorlagebeschluss bleibt unklar, inwiefern das Leistungsfähigkeitsprinzip und die Bemessung der "objektivierten Ertragskraft" unvereinbar sein sollen. Das gilt ebenso für die Ansicht des vorlegenden Gerichts, wonach ein "Wandel der allgemeinen Rechtsauffassung zum Leistungsfähigkeitsprinzip" im Gewerbesteuerrecht stattgefunden habe. Überlegungen zur Leistungsfähigkeit fanden in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer zwar schon früh Erwähnung (vgl. nur BVerfGE 9, 237; 13, 290 <297>; 21, 54 <64>; 26, 1 <7>; 34, 103 <115 f.>; 46, 224 <237>). Die Gewerbesteuer war ursprünglich als Realsteuer konzipiert, die grundsätzlich ohne Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse des Betriebsinhabers (vgl. §§ 7 bis 9 GewStG) mit der Besteuerung an das Objekt "Gewerbebetrieb" anknüpfte (vgl. BVerfGE 120, 1 <3 f.>). Zahlreiche Änderungen im Recht der Gewerbesteuer haben jedoch ihre Entwicklung hin zu einer objektivierten Ertragsteuer befördert (vgl. BVerfGE 116, 164 <185 f.>). Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem Beschluss vom 15. Januar 2008 festgehalten, dass die Grundsätze der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit aus dem Gebot der Steuergerechtigkeit vornehmlich für das Recht der Einkommensteuer entwickelt worden sind, jedoch in gleicher Weise für die Gewerbesteuer gälten. Im selben Zusammenhang hebt er allerdings hervor, dass die Gewerbesteuer nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung die objektivierte Ertragskraft der Gewerbebetriebe erfasst (BVerfGE 120, 1 <44 f. m.w.N.>).

39

7. Endlich fehlt die für eine zulässige Vorlage erforderliche inhaltliche Auseinandersetzung des vorlegenden Gerichts mit der entgegenstehenden Rechtsprechung anderer Finanzgerichte zur Verfassungsgemäßheit der Gewerbesteuer. Die Ansicht des vorlegenden Gerichts, dass die Gewerbesteuer verfassungswidrig sei, und es sich aufgrund der Hinzurechnungsvorschriften um eine reine Ertragsteuer und nicht mehr um eine Objektsteuer handele, wird von keinem weiteren Fachgericht geteilt. Die Vorlage stellt ohne inhaltliche Auseinandersetzung lediglich dar, dass andere Finanzgerichte in ihren bisherigen Entscheidungen (zitiert werden: Nds. FG, Urteil vom 26. Mai 2011 - 10 K 290/10 -, EFG 2011, S. 2101; Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 K 78/10 -, EFG 2011, S. 2100; FG Köln, Urteil vom 27. Oktober 2010 - 9 K 1022/10 -, EFG 2011, S. 561) die Verfassungsmäßigkeit des § 8 Nr. 1 Buchstabe e GewStG nicht angezweifelt und auf den Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer sowie die Rechtsprechung verwiesen hätten (siehe dazu später auch FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. August 2013 - 1 K 2461/11 -, juris Rn. 33).

Gründe

1

Das Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob die Regelung des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB, nach der die Verjährung von Ansprüchen aus Verbraucherdarlehensverträgen bei Verzug des Verbrauchers für längstens zehn Jahre gehemmt wird, mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

I.

2

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens war Inhaberin eines Girokontos bei der klagenden Bank. Diese kündigte den Kontovertrag im März 2004 und forderte die Beklagte zur Zahlung des aus der Überziehung des Kontos resultierenden Betrages von insgesamt 2.985,15 € auf. Die Beklagte bat zunächst um Ratenzahlung und bot mit Schreiben vom 11. Januar 2006 im Wege des Vergleichs eine Zahlung von 2.500 € zuzüglich der Kosten der Rechtsverfolgung an. Auf dieses Schreiben reagierte die Klägerin über fünf Jahre später im April 2011 und erhob nach erfolglosem Mahnverfahren Klage. Zwischenzeitlich beliefen sich die Zinsen auf 1.314,29 €. Die Beklagte wandte Verwirkung, ein Mitverschulden der Klägerin hinsichtlich der aufgelaufenen Zinsen und Verjährung ein. Die Klägerin verwies hinsichtlich der Einrede der Verjährung auf § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB, wonach die Verjährung der Ansprüche auf Darlehensrückzahlung und Zinsen vom Eintritt des Verzugs an für längstens zehn Jahre gehemmt sei.

3

Das Amtsgericht hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Es sieht einen Gleichheitsverstoß darin, dass der Gesetzgeber die Schuldner verschiedener Arten von Forderungen hinsichtlich der Verjährung ungleich behandele.

II.

4

Die Vorlage ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt.

5

1. Das Bundesverfassungsgericht legt in ständiger Rechtsprechung einen strengen Maßstab an die Begründung eines konkreten Normenkontrollantrags an. Dieser gewährleistet, dass der Grundsatz der Subsidiarität des verfassungsgerichtlichen gegenüber dem fachgerichtlichen Verfahren gewahrt wird (vgl. BVerfGE 65, 265 <277>; 97, 49 <66 f.>). Hiernach muss das vorlegende Gericht in nachvollziehbarer und für das Bundesverfassungsgericht nachprüfbarer Weise darlegen, aus welchen Gründen es von der Unvereinbarkeit der Norm mit der Verfassung überzeugt ist, und dass es bei seiner anstehenden Entscheidung auf die Gültigkeit der Norm ankommt (vgl. BVerfGE 77, 259 <261>; 97, 49 <60>; 98, 169 <199>; 105, 61 <67>; stRspr).

6

Die Begründung der Vorlage muss aus sich heraus verständlich sein. Das vorlegende Gericht muss den für die rechtliche Beurteilung wesentlichen Sachverhalt und die rechtlichen Erwägungen erschöpfend darlegen und mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass die vorgelegte Norm nicht verfassungskonform auszulegen und entscheidungserheblich ist (vgl. BVerfGE 68, 311 <316>; 77, 259 <261>; 83, 111 <116>; 107, 59 <85>).

7

Das Gericht muss sich insofern eingehend mit der fachrechtlichen Ausgangslage auseinandersetzen und die Erwägungen ausführlich darlegen, die seine rechtliche Würdigung tragen. Hierzu gehört die Berücksichtigung der in Rechtsprechung und Fachliteratur entwickelten Rechtsauffassungen ebenso wie das Eingehen auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten, soweit diese für die Entscheidungserheblichkeit von Bedeutung sein können (vgl. BVerfGE 86, 71 <77>; 105, 48 <56>; 105, 61 <67>). Das Gericht muss den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und auch die verfassungsrechtlichen Fragen unter Einbeziehung der Rechtsprechung und der Fachliteratur sorgfältig prüfen (vgl. BVerfGE 79, 240 <243>; 86, 71 <77 f.>). Es muss sodann darlegen, dass es eine verfassungskonforme Auslegung der vorgelegten Norm geprüft und in vertretbarer Weise ausgeschlossen hat (vgl. BVerfGE 96, 315 <324 f.>). Schließlich muss das vorlegende Gericht darlegen, dass es auf die Norm in entscheidungserheblicher Weise ankommt, inwiefern es also bei Gültigkeit der beanstandeten Regelung zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie es dieses Ergebnis begründen würde; Zweifel an der Verfassungsgemäßheit genügen nicht (vgl. BVerfGE 79, 245 <249>; 86, 52 <56 f.>; 86, 71 <77 f.>).

8

2. Diese Anforderungen erfüllt der Vorlagebeschluss des Amtsgerichts nicht.

9

a) Der Vorlagebeschluss setzt sich nur unzureichend mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinander. Er übergeht bei der Darstellung der angegriffenen Norm die Vorgängervorschrift des § 11 Abs. 3 Satz 3 Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG), erläutert etwaige europarechtliche Vorgaben nicht und legt nicht dar, welche Fassung des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB, der zuletzt am 11. Juni 2010 geändert worden ist, der Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, nach der die Anwendung des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB Teilleistungen nicht voraussetze (BGHZ 189, 104 Rn. 26; so schon Beschluss vom 13. März 2007 - XI ZR 263/06 -, juris), teilt das Amtsgericht zwar mit, setzt sich damit aber nicht eingehend auseinander. Mit den in Literatur und Rechtsprechung schon zu § 11 VerbrKrG und jetzt zu § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB vertretenen Auffassungen für und wider eine teleologische Reduktion (vgl. nur Kessal-Wulf, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2001, § 11 VerbrKrG Rn. 30 ff., 35 m.w.N.; Saenger, in: Erman, BGB, 13. Aufl. 2011, § 497 Rn. 45; Berger, in: Jauernig, BGB, 14. Aufl. 2011, § 497 Rn. 4; Möller, in: Beck´scher Online-Kommentar, BGB, § 497 Rn. 11; Schürnbrand, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 497 Rn. 33; OLG Köln, WM 2007, S. 1324 und S. 1326 m. Anm. Vortmann, WuB IV A § 497 BGB 1.07) beschäftigt sich der Vorlagebeschluss nicht.

10

b) Der Vorlagebeschluss lässt hinsichtlich der Überzeugung des Amtsgerichts von der Verfassungswidrigkeit der Regelung den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nicht hinreichend erkennen. Das Amtsgericht setzt sich insbesondere mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine sachlich gerechtfertigte, mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbare Ungleichbehandlung nicht auseinander, obwohl es die Sinnhaftigkeit von § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB für bestimmte Fallgestaltungen selbst einräumt. Die verfassungsrechtliche Würdigung erschöpft sich so in dem Vergleich der Verjährungsregelungen für vielfältige Zahlungsansprüche und der Rechtsbehauptung, die im Vergleich zu anderen Zahlungsansprüchen längere Verjährungsfrist für Ansprüche aus Verbraucherkreditverträgen verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

11

c) Der Vorlagebeschluss lässt zudem keine den verfassungsgerichtlichen Anforderungen genügende Prüfung anderer Auslegungsmöglichkeiten der Vorschrift erkennen. Ein Gericht kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es sich mit der zur Prüfung gestellten Norm im Einzelnen auseinandersetzt, die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Auffassungen berücksichtigt und auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eingeht. Die verschiedenen Auffassungen zu den denkbaren Auslegungsmöglichkeiten des einfachen Rechts sind mit Blick auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt darzulegen, zu erörtern und verfassungsrechtlich zu würdigen. Der Verweis darauf, dass der Wortlaut eine entsprechende einschränkende Auslegung hindere, stellt nicht die geforderte eingehende Auseinandersetzung mit der als verfassungswidrig gerügten Norm dar und verkennt den Vorrang der fachgerichtlichen Aufbereitung vor einer Befassung des Verfassungsgerichts.

12

d) Das Amtsgericht legt schließlich nicht dar, dass es für die Entscheidung auf die Vorschrift des § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB tatsächlich ankommt. Nach Art. 100 GG in Verbindung mit § 80 BVerfGG kann das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur einholen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, dessen Rechtsgültigkeit für die Entscheidung erheblich ist. Die mit dem Normenkontrollverfahren verbundene Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts und weiterer oberster Verfassungsorgane des Bundes und der Länder (vgl. § 82 BVerfGG) lässt sich nur rechtfertigen, wenn sie zur Entscheidung eines konkreten Verfahrens unerlässlich ist (vgl. etwa BVerfGE 11, 330 <334 f.>; 34, 118 <127>; 47, 146 <154 f., 159>; 79, 256 <265>). Die Beklagte hat sich auf Verwirkung berufen und hinsichtlich der in der Zeit nach ihrem Vergleichsangebot bis zum Mahnverfahren auf nahezu die Hälfte der Hauptforderung angestiegenen Zinsforderung ein Mitverschulden der Klägerin eingewandt. Das Amtsgericht hätte erörtern müssen, wieso es die Einwendungen der Beklagten für nicht durchgreifend erachten will.

13

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Sind die Voraussetzungen des Artikels 100 Abs. 1 des Grundgesetzes gegeben, so holen die Gerichte unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein.

(2) Die Begründung muß angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Die Akten sind beizufügen.

(3) Der Antrag des Gerichts ist unabhängig von der Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch einen Prozeßbeteiligten.

Gründe

I.

1

Gegenstand der Vorlage ist die Verfassungsmäßigkeit der §§ 31, 32 des Hochschulrahmengesetzes in der Fassung vom 28. August 2004 (HRG - BGBl I S. 2298) sowie der landesrechtlichen Vorschriften, durch die der Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008 (im Folgenden: Staatsvertrag 2008) ratifiziert und umgesetzt wurde.

2

1. Die 1987 geborene Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin) erwarb 2006 in Nordrhein-Westfalen ihr Abitur mit einer Durchschnittsnote von 3,2. Danach absolvierte sie eine Ausbildung zur Medizinisch-technischen Laborassistentin. Anschließend nahm sie eine entsprechende Berufstätigkeit auf. Zum Wintersemester 2011/12 bewarb sie sich zum wiederholten Male bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der Stiftung für Hochschulzulassung (im Folgenden: Beklagte), um die Zulassung zum Studium der Humanmedizin im ersten Fachsemester. Sie beantragte sowohl die Beteiligung an der Auswahl in der Wartezeitquote als auch im Auswahlverfahren der Hochschulen. Sonderanträge stellte sie nicht.

3

Mit Bescheid vom 12. August 2011 lehnte die Beklagte die Zulassung innerhalb der Wartezeitquote mit der Begründung ab, die maßgebliche Auswahlgrenze von 12 Wartesemestern sei verfehlt worden. Auch im Auswahlverfahren der Hochschulen blieb die Klägerin erfolglos. Sie erhob daraufhin Klage, mit der sie beantragte, die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides zu verpflichten, sie nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2011/12 zum Studium der Medizin entsprechend ihrem Antrag zuzulassen.

4

2. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die §§ 31, 32 HRG sowie die landesrechtlichen Vorschriften zur Ratifizierung und Umsetzung des Staatsvertrages 2008 mit dem Grundgesetz vereinbar sind, soweit sie für den Studiengang Humanmedizin ein Vergabeverfahren vorsehen, bei dem - nach Abzug einiger Vorabquoten - 20 % der Studienplätze allein nach dem Grad der Qualifikation, 60 % der Studienplätze maßgeblich nach dem Grad der Qualifikation und 20 % der Studienplätze nach Wartezeit vergeben werden und bei dem die für eine Zulassung in der Wartezeitquote erforderliche Anzahl an Wartesemestern regelmäßig die Dauer eines normalen Studiums übersteigt.

5

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, die Regelungen verstießen gegen Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip.

6

a) Die Kammer sei der Überzeugung, dass das Zusammenspiel der beiden Hauptquoten "Abiturbestenquote" und "Auswahlverfahren der Hochschulen" den Anforderungen an ein hinreichend chancenoffenes Gesamtsystem nicht (mehr) genüge und dass es eines Ausgleichs bedürfe. Zwar komme die Einführung des "Auswahlverfahrens der Hochschulen" wegen der Vielfalt der Auswahlkriterien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, namentlich der Forderung nach einer Mehrgleisigkeit des Auswahlsystems, grundsätzlich entgegen und sei aus verfassungsrechtlicher Sicht positiv zu bewerten; denn je mehr verschiedene Auswahlkriterien angewandt würden, desto größer werde die Bandbreite der Bewerber, die über das eine oder andere Kriterium eine Chance hätten. Dieser Vorteil werde jedoch durch die Detailregelungen für die Bewerbung in dieser Quote erheblich entwertet. Denn könne sich der Bewerber im "Auswahlverfahren der Hochschulen" von vornherein nur bei maximal sechs Hochschulen bewerben und sei zudem die Zahl der denkbaren Wahlkombinationen wegen der massiven Beschränkung, denen die Bewerbung insbesondere über das Vorauswahlkriterium "Ortspräferenz" unterliege, stark reduziert, so stelle sich die Vielfalt der Auswahlkriterien für den Bewerber als ein eher theoretischer Vorteil dar, von dem er tatsächlich nur bedingt profitieren könne. Eine große Gruppe von Bewerbern bleibe trotz der Zusatzkriterien allein wegen der hohen Anforderungen an die Durchschnittsnote auch in dieser Hauptquote ohne Zulassungschance.

7

Allerdings sei die Kammer der Auffassung, "dass sich mit der Validität der Abiturnote als Indikator für den Studienerfolg durchaus die Heranziehung dieses Auswahlkriteriums als sachgerecht begründen" lasse. Es sei aus Sicht der Kammer daher nicht von vornherein zu beanstanden, wenn der Abiturnote bei der Hochschulzulassung ein überwiegendes Gewicht zukomme, etwa indem die ganz oder teilweise an dieses Kriterium anknüpfenden Quoten deutlich mehr als 50 % der zu vergebenden Studienplätze umfassten. Zugunsten des geltenden, um das "Auswahlverfahren der Hochschulen" erweiterten Vergabesystems insgesamt lasse sich im Übrigen auch anführen, dass es starre Grenzziehungen vermeide.

8

Dennoch bleibe die Durchschnittsnote ein problematisches Auswahlkriterium, das nach einem Korrektiv verlange. Es bestehe weitgehend Einigkeit, dass Abiturnoten für die Einschätzung der Qualifikation eines Bewerbers nur bedingt zuverlässig und sie untereinander nur eingeschränkt vergleichbar seien. Schon die Vergleichbarkeit zwischen den Ländern sei nicht gegeben, wie die Unterschiede bei den mittleren Abiturnoten in den verschiedenen Bundesländern zeigten. Anders als bei der Abiturbestenquote gebe es im "Auswahlverfahren der Hochschulen" keine Länderquoten. Dieser Unterschied lasse sich aus Sicht der Kammer schwerlich begründen und stelle vor dem Hintergrund der Forderung nach einem objektiv sachgerechten Auswahlkriterium ein erhebliches Problem dar. Zudem seien Abiturnoten auch innerhalb der Länder wegen der Divergenzen des Schulniveaus und der schulischen Notengebung sowie wegen sonstiger Gegebenheiten nur eingeschränkt miteinander vergleichbar. Auch durch den Hinweis auf ein verändertes Verfassungsverständnis oder einen gewandelten Zeitgeist lasse sich die verfassungskräftige, vor allem aus dem Gleichheitssatz resultierende Forderung nicht relativieren, dass die vorhandenen Studienplätze nach sachgerechten Kriterien zu vergeben seien und die Zuspitzung auf ein einziges, seinerseits nicht restlos zuverlässiges und gerechtes Auswahlkriterium vermieden werden müsse.

9

Nach Lage der Dinge könne im derzeitigen Auswahlsystem nur die Auswahlmöglichkeit in der Wartezeitquote die Funktion des erforderlichen Korrektivs erfüllen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssten sich die Anforderungen an die Wartezeit auf ein noch zumutbares Maß beschränken. Nur in diesem Fall könne die Auswahlmöglichkeit in der Wartezeitquote die Zuspitzung auf die Durchschnittsnote in den anderen Hauptquoten ausgleichen. Nach Auffassung der Kammer sei die Grenze der Zumutbarkeit inzwischen überschritten, weil die erforderliche Wartezeit regelmäßig die Dauer eines normalen Studiums von sechs bis sieben Jahren übersteige und in Zukunft noch weiter anwachsen werde. Das Abstellen auf die Dauer eines normalen Studiums als verfassungsrechtliche Grenze sei zwar nicht zwingend begründbar, die Kammer halte diese Grenze aber für plausibel und sachgerecht. Auch die übrigen vom Bundesverfassungsgericht hierzu angestellten Überlegungen, wie die Gefahr einer sozialen Selektion und ein späteres Einstiegsalter für den Beruf, seien weiterhin tragfähig.

10

Die langen Wartezeiten seien auch keine vorübergehende Mangelerscheinung. Konkrete Bemühungen, gerade dem Problem des Studienplatzmangels im Fach Medizin und den steigenden Wartezeiten zu begegnen, seien nur begrenzt vorhanden. Soweit neue Medizinstudienplätze geschaffen würden, diene dies dazu, die zusätzliche Nachfrage aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge zu befriedigen, ohne dass erkennbar sei, dass dem seit Jahren bestehenden Engpass entgegengewirkt werden solle. Allerdings bestehe wohl kein grundrechtlicher Anspruch auf Schaffung neuer Medizinstudienplätze.

11

Der Verfassungsverstoß könne schließlich nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung vermieden werden. Einer solchen Auslegung stehe der eindeutige Wortlaut der entsprechenden Vorschriften entgegen. Auch die in § 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HRG, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Staatsvertrag 2008 enthaltene Härtefallregelung erlaube keine verfassungskonforme Interpretation, Studienbewerbern mit unzumutbar langen Wartezeiten einen Anspruch auf Zulassung zu verschaffen. Die Vorschriften setzten eine außergewöhnliche Härte voraus und erforderten damit, dass ein Bewerber im Einzelfall aufgrund seiner Lebensumstände durch die überlange Wartezeit in besonderer Weise betroffen werde. Der bloße Umstand, dass ein Bewerber sechs oder noch mehr Jahre lang auf einen Studienplatz gewartet habe, könne dagegen keine "Härte" im Sinne des Gesetzes darstellen, denn hierbei handele es sich nicht um ein in der Person des Bewerbers liegendes, sondern ein allgemeines, in der Konsequenz des Auswahlsystems liegendes Problem. Weiter sei die Härtefallregelung als Ausnahmebestimmung eng auszulegen und die diesbezügliche Quote eng - auf 2 % - begrenzt.

12

b) Die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften sei auch entscheidungserheblich.

13

Halte man die Bestimmungen für verfassungskonform, habe die Klägerin keinen Anspruch auf Zulassung zum Medizinstudium. Mit ihrer Abiturnote von 3,2 erreiche sie die Auswahlgrenze bei der Abiturbestenquote, die im Wintersemester 2011/12 für Bewerber aus Nordrhein-Westfalen bei 1,1 gelegen habe, nicht. Auch in der Wartezeitquote genüge die von ihr angesammelte Wartezeit von 10 Halbjahren nicht, um die Auswahlgrenze zu erreichen, die im Wintersemester 2011/12 bei 12 Halbjahren gelegen habe. Individuelle Umstände, die einen Härtefall begründen könnten, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Ob die Klägerin im "Auswahlverfahren der Hochschulen" hätte zugelassen werden müssen, sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, weil ein entsprechender Anspruch nicht gegen die Beklagte geltend gemacht werden könne. Auch hier liege freilich auf der Hand, dass die Klägerin die Auswahlgrenzen nicht erreichen könne.

14

Gehe man von der Verfassungswidrigkeit der Normen aus, halte die Aussetzung des Verfahrens zum Zwecke der Normenkontrolle der Klägerin die Chance offen, eine für sie günstigere Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen.

II.

15

Die Vorlage ist unzulässig; denn das vorlegende Gericht hat sie entgegen § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht hinreichend begründet.

16

1. Ein Gericht kann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Vorschriften nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschriften als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 <76>).

17

a) Das vorlegende Gericht muss hierzu darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Normen abhängt. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt ein Vorlagebeschluss nur dann, wenn die gerichtlichen Ausführungen auch erkennen lassen, dass eine eingehende Prüfung vorgenommen wurde. Ein Vorlagebeschluss muss aus sich heraus, ohne Beiziehung der Akten, verständlich sein und mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht bei Gültigkeit der Regelung zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie es dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 74, 236 <242>). Die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage ist mithin eingehend darzulegen. Dazu muss der Vorlagebeschluss den entscheidungserheblichen Sachverhalt und eine umfassende Darlegung der die rechtliche Würdigung tragenden Erwägungen enthalten. Dabei verlangt § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, dass sich das vorlegende Gericht eingehend mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzt, die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigt (vgl. BVerfGE 47, 109 <114 f.>; 105, 61 <67>) und auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eingeht (BVerfGE 97, 49 <60>; 105, 48 <56>).

18

b) Ferner muss das Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm näher darlegen und deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist. Auch insoweit bedarf es einer Auseinandersetzung mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten sowie einer eingehenden, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehenden Darstellung der Rechtslage (vgl. BVerfGE 86, 71 <77>; 97, 49 <60>). Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab dabei nicht nur benennen, sondern auch die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar darlegen. Insoweit kann es auch erforderlich sein, die Gründe zu erörtern, die im Gesetzgebungsverfahren als für die gesetzgeberische Entscheidung maßgebend genannt worden sind (vgl. BVerfGE 78, 201 <204>; 81, 275 <277>; 86, 71 <77 f.>). Rechtsprechung und Schrifttum sind in die Argumentation einzubeziehen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 89, 329 <337>).

19

2. Die Vorlage genügt diesen Anforderungen nicht. Das vorlegende Gericht hat mit seinen Ausführungen weder die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfragen (hierzu a) noch die Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschriften (hierzu b) hinreichend aufgezeigt.

20

a) Das Gericht legt zunächst nicht hinreichend dar, warum ein Anspruch der Klägerin auf Zulassung nicht aus den bestehenden Vorschriften, nämlich der Härtefallregelung nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Staatsvertrag 2008 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ratifizierung des Staatsvertrages über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008, § 15 der Verordnung über die Vergabe von Studienplätzen in Nordrhein-Westfalen (Vergabeverordnung NRW), abgeleitet werden kann.

21

aa) Nicht erkennbar ist bereits, dass sich das Gericht mit den zu dieser Härtefallklausel vertretenen Auffassungen in genügendem Umfang auseinandersetzt. Für seine nur sehr knapp begründete Ansicht, die Klausel müsse eng ausgelegt werden, bezieht es sich lediglich auf eigene Beschlüsse sowie zwei Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen. Dazu, wie die Literatur diese Vorschriften interpretiert, enthält der Vorlagebeschluss keine Ausführungen.

22

Dass eine solche Auseinandersetzung mit den verschiedenen denkbaren Auslegungsmöglichkeiten hier entbehrlich wäre, weil schon aus systematischen Gründen nur eine enge Deutung der Vorschrift in Betracht kommt, wird nicht nachvollziehbar erläutert. Das Verwaltungsgericht führt insoweit nur aus, dass die Dauer der Wartezeit kein in der Person des Bewerbers liegendes, sondern ein allgemeines, in der Konsequenz des Auswahlsystems liegendes Problem sei, weil es eine große Anzahl Wartender betreffe. Eine solche Sichtweise ist freilich nicht zwingend. So kann man den Grund für die lange Wartezeit auch gerade in der unterdurchschnittlichen Abiturnote des jeweiligen Bewerbers, also in einem individuellen Gesichtspunkt, sehen. Genauso wenig ist zu erkennen, wieso es sich bei denjenigen, die selbst nach 12 Wartesemestern noch keine Zulassung erhalten haben, um eine "große Anzahl" handeln soll. Nach den Daten, die das vorlegende Gericht nennt, gab es im Wintersemester 2011/12 im Studiengang Humanmedizin 511 abgewiesene Bewerber mit einer derart langen Wartezeit. In diesem Semester hatten sich für dieses Fach allerdings 44.043 Personen beworben, so dass lediglich ein Anteil von 1,16 % an der Gesamtgruppe mehr als 12 Semester warten musste. In Anbetracht der geringen Zahl an Betroffenen erschließt sich auch nicht, weshalb die Begrenzung der Härtefallquote auf 2 % daran hindern könnte, langjährig Wartenden auf diesem Wege einen Studienplatz zukommen zu lassen, wie das Verwaltungsgericht anscheinend meint. Hiervon abgesehen ist auch nicht zu erkennen, dass sich die umfangmäßige Einschränkung der Quote aus einem formellen Gesetz und nicht bloß einer untergesetzlichen Norm - nämlich § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VergabeVO NRW - ergibt, so dass unklar bleibt, warum das vorlegende Gericht nicht selbst in der Lage war, die vermeintliche Hürde zu beseitigen.

23

Das Verwaltungsgericht durfte sich auch nicht damit begnügen, die fehlende Eignung einer großzügigeren Interpretation der Härtefallregelung damit zu begründen, dass die nicht im Rahmen der Härtefallquote vergebenen Plätze der Wartezeitquote hinzugerechnet werden (Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Staatsvertrag 2008), sich bei einer umfassenderen Ausschöpfung der erstgenannten Quote die für die letztgenannte Quote zur Verfügung stehenden Plätze also verringern. Vielmehr hätte das Gericht näher darlegen müssen, wieso es nicht trotzdem möglich ist, mit einer Zulassung notenschwacher Bewerber mit besonders langer Wartezeit über die Härtefallklausel einen aus seiner Sicht verfassungskonformen Zustand herzustellen. Denn auch wenn bei einem solchen Vorgehen Studierwillige mit günstigeren Noten, die nicht über die Quote der Abiturbesten zugelassen werden können, möglicherweise innerhalb der Wartezeitquote aufgrund der geringeren Platzanzahl erfolglos blieben, hätten diese Personen wegen ihrer Noten wiederum bessere Aussichten, im Auswahlverfahren der Hochschulen einen Studienplatz zu erlangen. Gerade auf die Annahme, dass Bewerber mit schlechten Noten in diesem Auswahlverfahren chancenlos seien und sich ihnen damit selbst auf diesem Wege keine Zulassungsmöglichkeit eröffne, hatte das Verwaltungsgericht die vermeintliche Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschriften maßgeblich gestützt.

24

bb) Hiervon abgesehen macht das Gericht nicht deutlich, unter welchen Voraussetzungen es das Bestehen eines Härtefalls bejaht und warum hier, unter Zugrundelegung seiner eigenen - engen - Norminterpretation, die Annahme einer "außergewöhnlichen Härte" ausscheidet. Es fehlt bereits an der Darlegung des angewandten rechtlichen Maßstabes. Die Kammer stellt nur fest, eine Härte könne im Einzelfall angenommen werden, wenn der Bewerber aufgrund seiner Lebensumstände durch die überlange Wartezeit in besonderer Weise getroffen werde. Bei welchen konkreten Konstellationen eine solche Situation anzunehmen ist, wird nicht aufgezeigt. Darüber hinaus bleibt auch der Sachverhalt, auf dessen Grundlage das Gericht hier einen Härtefall verneint hat, unklar. Der Vorlagebeschluss enthält insbesondere keine näheren Informationen zu den Lebensumständen der Klägerin, also ihrer familiären, finanziellen oder sozialen Lage. Mitgeteilt wird lediglich, dass sie eine Ausbildung zur Medizinisch-technischen Laborassistentin absolviert hat und in diesem Beruf arbeitet. Im Übrigen beschränkt sich die Kammer auf die pauschale Feststellung, für das Vorliegen eines Härtefalls sei nichts vorgetragen oder ersichtlich. Dies genügt jedoch insbesondere bei einem Verfahren nicht, in dem - wie im verwaltungsgerichtlichen Prozess - der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ).

25

b) Genauso wenig wird mit dem Vorlagebeschluss die Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen hinreichend plausibel erläutert.

26

Das vorlegende Gericht legt schon nicht nachvollziehbar dar, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die von ihm benannten Vorschriften unvereinbar sein sollen. Zwar geht es, im Anschluss an die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, zutreffend davon aus, dass die Bewerberauswahl nach objektiv sachgerechten und individuell zumutbaren Kriterien (BVerfGE 33, 303 <338>; 43, 291 <316 f.>) zu erfolgen hat, weil es sich hierbei um eine objektive Zulassungsschranke bei der Ausbildungs- und Berufswahl im Sinne von Art. 12 Abs. 1 GG handelt. Aus den von ihm benannten Argumenten erschließt sich freilich nicht, warum das derzeitige Auswahlsystem diese Anforderungen nicht erfüllt. Das vorlegende Gericht erklärt zunächst ausdrücklich, es halte die einzelnen Auswahlkriterien für sich genommen für "sachgerecht". Im Hinblick auf das Auswahlverfahren der Hochschulen wird dann kritisch angemerkt, dort komme der Abiturnote eine "überragende Bedeutung" zu. Dies führe allerdings nicht per se zur Verfassungswidrigkeit des Auswahlsystems, erfordere aber ein verfassungsrechtliches Korrektiv, das die Chancenoffenheit für eine größere Zahl von Bewerbern wahre. Ein solches Korrektiv könne nur die Wartezeitquote sein. Tragfähige Gründe für seine Folgerungen führt das Gericht jedoch nicht an. Solche Gründe ergeben sich weder in nachvollziehbarer Weise aus den im Vorlageschluss aufgeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts noch aus den sonstigen dort angestellten verfassungsrechtlichen Erwägungen.

27

aa) Das Verwaltungsgericht zeigt in seinem Beschluss zunächst nicht verständlich auf, welche Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts es rechtfertigen sollen, das derzeitige Auswahlsystem als verfassungswidrig einzustufen. Insoweit genügt es insbesondere nicht, umfangreiche Passagen aus verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu zitieren. Den Darlegungsanforderungen genügt ein Gericht bei einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG vielmehr erst, wenn es dartut, welche konkreten verfassungsrechtlichen Anforderungen es aus den genannten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen ableitet.

28

(1) Hieran fehlt es. Das vorlegende Gericht beschränkt sich auf die Behauptung, das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, die Ungleichbehandlung grundsätzlich gleichberechtigter, nämlich hochschulreifer Bewerber aufgrund "weniger Zehntelpunkte bei der Abiturnote" könne "nicht ohne weiteres mit sachlichen Gründen von hinreichender Tragfähigkeit" gerechtfertigt werden und es für "problematisch" gehalten, die Auswahlentscheidung stark auf ein einzelnes Auswahlkriterium wie das der Durchschnittsnote zu konzentrieren. Diese pauschale Aussage ist als Grundlage für die verfassungsrechtliche Prüfung zu unspezifisch und lässt schon nicht hinreichend erkennen, aus welchen konkreten Umständen die Verfassungswidrigkeit hergeleitet werden soll.

29

(2) Zudem haben die angeführten Entscheidungen nicht den vom Vorlagegericht angenommenen Inhalt. In dem zitierten Abschnitt des Urteils des Ersten Senats vom 18. Juli 1972 (BVerfGE 33, 303 <350>) beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht nur mit der (von ihm letztlich verneinten) Frage, ob es verfassungsrechtlich zulässig wäre, die Auswahl der Bewerber für ein zulassungsbeschränktes Studium "ausschließlich" nach dem auf Abiturnoten fußenden Leistungsprinzip vorzunehmen. Die Frage, inwieweit es in einem System wie dem Auswahlverfahren der Hochschulen, bei dem sich die Zulassung typischerweise nach mehreren Kriterien richtet, zulässig ist, einem einzelnen Merkmal wie der Abiturnote ein überwiegendes Gewicht einzuräumen, wird überhaupt nicht erörtert.

30

(3) Genauso wenig ist erkennbar, dass die Entscheidung vom 8. Februar 1977 (BVerfGE 43, 291) rechtliche Vorgaben enthält, aus denen eine mögliche Verfassungswidrigkeit des heutigen Auswahlsystems folgt. Das Verwaltungsgericht begründet vor allem nicht, inwiefern die dortigen Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts auf das nun geltende Auswahlsystem übertragbar sind. Anders als das derzeitige war das damalige System noch von einer strikten Zweiteilung geprägt: Abgesehen von den im Rahmen der Vorab- beziehungsweise Sonderquote zugelassenen Bewerbern gab es nur die Zulassung nach Leistung mit einem Anteil von 60 %, wobei grundsätzlich maßgebend die Abiturnote war, und die Zulassung nach Wartezeit mit einer Quote von 40 % (vgl. BVerfGE 43, 291 <299 ff., 317 ff.). Dies führte dazu, dass Bewerber, die keine deutlich überdurchschnittlichen Abiturnoten vorweisen konnten, ausschließlich über die Wartezeitquote eine Chance auf Erhalt eines Studienplatzes hatten. Dabei erforderte die Zulassung über die Note für den Studiengang Humanmedizin einen Mindestdurchschnitt von 1,7 und alle Bewerber mit ungünstigerer Note mussten bis zu sechs Jahre warten (s. nur BVerfGE 43, 291 <303>). Als nicht sachgerecht und zumutbar erachtete es das Bundesverfassungsgericht insoweit vor allem, dass "auf der Schnittstelle von 1,7 und 1,8 darüber entschieden werden soll, wer sofort studieren kann oder aber bis zu sieben Jahren auf eine Zulassung zum Studium seiner Wahl warten muss" (BVerfGE 43, 291 <319>). Das Verwaltungsgericht legt nicht dar, aus welchen tragenden Erwägungen des Urteils des Ersten Senats vom 8. Februar 1977 sich ergibt, dass auch Studierwillige mit deutlich schlechteren Noten als 1,7 oder 1,8 bei überfüllten Studiengängen binnen einer bestimmten Frist eine Chance auf Zuteilung eines Platzes haben müssen. Hiervon abgesehen führt das Gericht selbst aus, dass es aufgrund der Ergänzung des Systems durch das Auswahlverfahren der Hochschulen eine starre Notengrenze nicht mehr gibt und damit auch Bewerber, deren Noten nicht für eine Zulassung in der Abiturbestenquote ausreichen, noch eine Zulassungschance haben. Nach seinen Angaben gab es im Wintersemester 2011/12 immerhin fünf Universitäten, bei denen auch Bewerber, die lediglich eine Durchschnittsnote zwischen 2 und 3 aufwiesen, zugelassen wurden. Warum dies nicht reicht, um den verfassungsrechtlichen Erfordernissen gerecht zu werden, wird mit dem Vorlagebeschluss nicht hinreichend deutlich gemacht.

31

(4) Im Übrigen genügt das vorlegende Gericht den Darlegungsanforderungen auch dann nicht, sofern man seinem Ansatz, es sei verfassungswidrig, dass Bewerber mit einer Abiturnote von 2,5 oder schlechter auch im Auswahlverfahren der Hochschulen chancenlos blieben, folgte. Es wird schon nicht plausibel erläutert, dass sich die Notengrenze von 2,4 aus den rechtlichen Vorgaben ergibt, Bewerber mit einem schlechteren Notendurchschnitt also - ungeachtet ihres Abschneidens bei den weiteren Auswahlkriterien (wie Test, Auswahlgespräch oder sonstigen Wettbewerben) - von vornherein chancenlos sind. Denkbar ist nämlich auch, dass Bewerber mit einem schlechteren Abiturdurchschnitt als 2,4 im Auswahlverfahren der Hochschulen allein deswegen erfolglos geblieben sind, weil sie auch im Rahmen der anderen Kriterien weniger günstige Ergebnisse erzielt haben als jene Konkurrenten, die eine bessere Abiturdurchschnittsnote vorweisen konnten. Deswegen genügte es nicht, die Abiturnoten des jeweils schwächsten zugelassenen Bewerbers mitzuteilen; das Gericht hätte vielmehr anhand der maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen dartun müssen, dass bereits aufgrund der gesetzlich festgelegten Gewichtung der Maßstäbe zueinander ab einer bestimmten Abiturnote eine Zulassung faktisch ausschied.

32

Auch die hierfür notwendigen Ausführungen enthält der Vorlagebeschluss nicht. Das Verwaltungsgericht beschäftigt sich nur pauschal mit den Normen, die die Auswahl und Gewichtung der einzelnen Maßstäbe determinieren. Es weist lediglich allgemein auf die sowohl in Bundes- als auch Landesrecht (§ 32 Abs. 3 Satz 2 HRG, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Staatsvertrag 2008 i.V.m. den jeweiligen Ratifizierungsgesetzen der Länder) enthaltene Regel hin, dass dem Grad der Qualifikation, also der Abiturnote, bei der Auswahlentscheidung ein "maßgeblicher Einfluss" gegeben werden muss. Bereits die Frage, wann konkret ein solcher "maßgeblicher Einfluss" in den verschiedenen denkbaren Konstellationen - also bei zwei, drei oder mehr Auswahlkriterien - vorliegt, und ob die Universitäten diese rechtliche Vorgabe überhaupt ordnungsgemäß umgesetzt haben, wird nicht näher erörtert. Auch auf die weiteren landesrechtlichen, teils sehr unterschiedlichen Bestimmungen, die Anzahl und Auswahl der anzuwendenden Auswahlmaßstäbe behandeln, geht das Gericht nicht hinreichend ein.

33

(5) Schließlich lässt sich auf Basis des Vorlagebeschlusses selbst bei Heranziehung der einschlägigen Bestimmungen nicht beurteilen, inwieweit die einzelnen Universitäten diese Normen zutreffend angewandt haben, ihre jeweiligen Auswahlverfahren also den rechtlichen Erfordernissen entsprachen. Denn das Verwaltungsgericht benennt lediglich die von den einzelnen Universitäten bei der Bewerberauswahl angewandten Maßstäbe, ohne (bis auf einen einzigen Fall) anzugeben, wie die Hochschulen diese Kriterien jeweils zueinander gewichtet haben. Schon deswegen bieten die in dem Beschluss aufgeführten Daten keine hinreichende Grundlage, die einen Schluss auf die mögliche Verfassungswidrigkeit des Gesamtsystems zulässt.

34

bb) Das Gericht legt des Weiteren auch nicht anhand eigenständiger, von der bisherigen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung unabhängiger Maßstäbe dar, dass die Abiturnote, unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung, die ihr für das derzeitige Auswahlsystem zukommt, kein den grundrechtlichen Anforderungen genügendes Auswahlkriterium ist. Die vorlegende Kammer bildet bereits keine verständlichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe, sondern beschränkt sich auf die Wiedergabe der für beziehungsweise gegen die Anwendung der Abiturnote sprechenden Gesichtspunkte. Es wird noch nicht einmal deutlich, ob das Verwaltungsgericht den "Studienerfolg" im Rahmen der Grundrechtsprüfung als ausreichenden Gesetzeszweck ansieht, um den Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Auch sonstige Ausführungen, insbesondere zum Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung, fehlen. Soweit, wohl im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG, der Mangel von Landesquoten im Auswahlverfahren der Hochschulen gerügt wird, setzt das Gericht sich weder mit dem - von ihm selbst als nachvollziehbar bezeichneten - Argument der Beklagten, eine Bildung von Länderquoten in diesem Verfahren sei organisatorisch kaum leistbar, auseinander, noch erörtert es, ob eine solche Quotenbildung überhaupt grundrechtlich geboten ist, wenn die Abiturnote in der Regel nur ein Auswahlkriterium unter mehreren ist. Angesichts der gewählten, wenig aussagekräftigen Formulierungen ("aus Sicht des Gleichheitssatzes prekär", "erhebliches Problem") ergibt sich aus den gerichtlichen Darlegungen zudem nicht mit der notwendigen Klarheit, dass das Gericht selbst von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Bestimmungen überzeugt ist. Hinzu kommt, dass die Kammer sogar annimmt, dass sich "eine überwiegende Orientierung an der Durchschnittsnote als Auswahlkriterium bei der Studienzulassung rechtfertigen" lasse. Für die weitere Folgerung, es bedürfe dennoch eine Korrektivs in Form einer Erhöhung der Wartezeitquote, nennt das Gericht keine konkreten Argumente mehr, sondern verweist ausschließlich pauschal auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Weshalb die Abiturnote als Auswahlkriterium verfassungsrechtlich bedenklich und die Wartezeitquote vorzugswürdig sein sollte, erschließt sich auf Grundlage dieser Begründung gerade nicht.

Gründe

I.

1

1. Das Amtsgericht hat in einem Bußgeldverfahren, das gegen den privaten Fernsehsender S. und dessen verantwortlichen Redakteur wegen der Ausstrahlung einer Folge einer Sendereihe, in der fiktive Kriminalfälle im Stil einer Dokumentation präsentiert werden, eingeleitet wurde, mit Beschluss vom 17. Februar 2012 dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Klärung vorgelegt, ob der Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 24 Abs. 1 Nr. 4 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

2

2. Das vorlegende Gericht hält die Vorschrift für verfassungswidrig, weil sie sich ausschließlich an die privatrechtlichen Fernsehanstalten beziehungsweise deren Redakteure richte, während für die öffentlichrechtlichen Sender beziehungsweise deren Redakteure eine vergleichbare Bußgeldvorschrift überhaupt nicht existiere. Da die Sichtweise des vorlegenden Gerichts der Auffassung der Betroffenen entspreche, nehme es auf die wörtlich zitierten Ausführungen der Betroffenen Bezug.

3

3. Die Vorlagefrage sei entscheidungserheblich, da bei Verfassungswidrigkeit der zitierten Vorschrift die Betroffenen freizusprechen beziehungsweise das Verfahren einzustellen wäre. Demgegenüber sei bei Annahme der Wirksamkeit ein Bußgeld zu verhängen. Die Eingangssequenz der beanstandeten Sendung, in der die Tötung einer Frau angedeutet wurde, sei im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen und erheblich zu gefährden. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift komme infolge des eindeutigen Wortlauts nicht in Betracht.

II.

4

Der Normenkontrollantrag ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr. 11, §§ 80 f. BVerfGG nicht erfüllt sind.

5

1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt. Der Vorlagebeschluss muss danach mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (seit BVerfGE 7, 171 <173 f.> stRspr, vgl. zuletzt BVerfGE 107, 59 <85>; 124, 251 <260>; 131, 1 <15>). Hierbei muss es insbesondere die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 65, 308 <316>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. August 1999 - 1 BvL 7/96 -, NJW 1999, S. 3550; stRspr), auf einschlägige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eingehen (vgl. BVerfGE 79, 240 <243 ff.>) und sich gegebenenfalls auch mit der Entstehungsgeschichte der Norm auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 92, 277 <312>; stRspr).

6

2. Diesen Anforderungen genügt der Vorlagebeschluss des Amtsgerichts nicht. Aus dem vorgelegten Beschluss ergibt sich jedenfalls nicht die hinreichende Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG. Da der Begründungszwang des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG das Bundesverfassungsgericht entlasten soll, muss der Vorlagebeschluss aus sich heraus verständlich sein. Das vorlegende Gericht hat daher in den Gründen des Vorlagebeschlusses den Sachverhalt, soweit er für die rechtliche Beurteilung wesentlich ist, und die rechtlichen Erwägungen erschöpfend darzulegen (vgl. BVerfGE 17, 135 <138 f.>; 65, 308 <314>; stRspr).

7

a) Das vorlegende Gericht hat zwar den seiner Ansicht nach entscheidungserheblichen Sachverhalt im Wesentlichen wiedergegeben und im Beschluss ausgeführt, dass die Eingangssequenz der fraglichen Sendung, in dem ein Ritualmord an einer Frau angedeutet wird, Anlass zur Beanstandung gegeben hat, weil dieser Teil geeignet gewesen sei, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen. Darüber hinaus hat das Amtsgericht - wenngleich mit dem schlichten Verweis auf den vermeintlich eindeutigen Wortlaut des § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV - eine mit Blick auf die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG vorrangig zu prüfende verfassungskonforme Auslegung (vgl. BVerfGE 22, 373 <377>; 68, 337 <344>; 90, 145 <170>; 96, 315 <324 f.>; 124, 251 <262>; stRspr) erwogen und im Ergebnis ausgeschlossen.

8

b) Dies reicht jedoch nicht aus, um den Anforderungen zu genügen, die an die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage zu stellen sind. Aus dem Vorlagebeschluss ist nicht zu erkennen, dass den Betroffenen bei Gültigkeit der vorgelegten Vorschrift des § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV das Bußgeld zu Recht auferlegt würde.

9

Das vorlegende Gericht hat keine ausreichende eigene Subsumtion unter die Vorschriften des § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV und § 5 Abs. 1 JMStV vorgenommen, sondern sich auf die Feststellung beschränkt, dass die streitgegenständliche Eingangssequenz der Sendung, die eine selbst für Erwachsene erheblich bedrohlich und beängstigend wirkende Situation dargestellt habe, wegen der hohen Erreichbarkeit von Kindern und Jugendlichen zur Sendezeit geeignet gewesen sei, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen. An dieser Stelle hätte das vorlegende Gericht die Tatbestandsvoraussetzung der Eignung zur Entwicklungsbeeinträchtigung auslegen, anschließend den Sachverhalt hierunter subsumieren und genau darstellen müssen, welche Elemente des Sachverhalts im Einzelnen oder ihrer Gesamtschau die Einstufung der beanstandeten Sendung als zur Beeinträchtigung der Entwicklung geeignet rechtfertigen. Nicht zuletzt fehlen Überlegungen, nach welchen Maßstäben sich eine Eignung zur Beeinträchtigung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen objektiv bemessen lässt. Warum bei Gültigkeit des § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV ein Freispruch der Betroffenen oder eine Einstellung des Verfahrens ausgeschlossen wäre, hat das vorlegende Gericht somit nicht in der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG gebotenen Weise dargelegt.

10

c) Im Übrigen ist zweifelhaft, ob das Amtsgericht sich eine eigene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschrift des § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV gebildet hat. Denn die Ausführungen des vorlegenden Gerichts zur Darlegung der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschrift erschöpfen sich im Wesentlichen in einer Kopie des Schriftsatzes der Bevollmächtigten der Betroffenen und dem Hinweis, dass sich das vorlegende Gericht diese Ausführungen vollumfänglich zu eigen mache. Insofern ist nicht ersichtlich, dass sich das vorlegende Gericht selbst mit der verfassungsrechtlichen Lage auseinandergesetzt und aufgrund dessen eine eigene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit gewonnen hat. Nach Art. 100 Abs. 1 GG muss das vorlegende Gericht selbstständig und in eigener Verantwortung über die Vorlage entscheiden, was eine eigene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm voraussetzt (vgl. BVerfGE 22, 373 <379>; 68, 337 <343 ff.>). Die eigene Darstellung des wesentlichen Sachverhalts und der rechtlichen Erwägungen darf nicht durch Hinweise auf die Ausführungen eines anderen Gerichts ganz oder auch nur teilweise ersetzt werden (vgl. BVerfGE 22, 175 <177>; 90, 145 <167>; 93, 121 <132>). Dies muss erst recht für die Ausführungen in Schriftsätzen der am Verfahren des Ausgangsrechtsstreits Beteiligten gelten.

11

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine rechtsmissbräuchliche wechselseitige Vermietung vorliegt.

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) zu 1 und 2 sind Eheleute, die in den Streitjahren (2000 bis 2006) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Mit Notarvertrag vom 10. Juli 1998 erwarben sie zusammen mit ihren Töchtern X und Y --beide volljährig, in Grundstücksgemeinschaft als Klägerin zu 3-- ein Wohngrundstück.

3

Laut Übertragungsvertrag und Teilungsvereinbarung vom 17. Dezember 1999 sollte das auf diesem Grundstück vorhandene Wohnhaus abgerissen und zwei neue Wohnhäuser errichtet werden. Das Sondereigentum an den einzelnen Wohnungen wurde wie folgt aufgeteilt:

4
                          

           

Vorderhaus

Whg. Nr. 1 EG links

92,73 qm

Y       

        

Whg. Nr. 2 EG rechts

76,01 qm

X       

        

Whg. Nr. 3 OG links

109,68 qm

Kl. zu 1

        

Whg. Nr. 4 OG rechts

101,32 qm

Kl. zu 2

        

Whg. Nr. 5 DG links

87,64 qm

Y       

        

Whg. Nr. 6 DG rechts

88,37 qm

X       

5
                          

           

Hinterhaus

Whg. Nr. 7 EG

127,15 qm

Kl. 1+2

        

Whg. Nr. 8 OG

98,40 qm

Kl. zu 3

6

Während die Erdgeschosswohnungen zur Eigennutzung durch den/die jeweiligen Eigentümer (X bzw. Y bzw. Kläger zu 1 und 2) vorgesehen waren, schlossen die Kläger und ihre Töchter am 6. Januar 2001 untereinander Staffelmietverträge über die Obergeschosswohnungen mit Wirkung zum 1. Juli 2001: Der Kläger zu 1 vermietete die Wohnung Nr. 3 an Y, die Klägerin zu 2 die Wohnung Nr. 4 an X und die Klägerin zu 3 die Wohnung Nr. 8 an die Kläger zu 1 und 2, so dass sowohl Eltern (in Haushaltsgemeinschaft) als auch Töchter die jeweils eigene Erdgeschosswohnung zusammen mit der darüber liegenden, angemieteten Obergeschosswohnung nutzen konnten. Die Mietverhältnisse sollten nach fünf Jahren enden, konnten sich aber bei nicht rechtszeitiger Kündigung auf unbestimmte Dauer verlängern.

7

Die eigengenutzten Einheiten wurden vom jeweiligen Eigentümer ausschließlich eigenfinanziert, wobei jede der Töchter ca. 75.000 € aus einer vorangegangenen Schenkung des Klägers zu 1 mit einbrachte. Die übrigen Einheiten wurden --zumindest anteilig-- fremdfinanziert. Die Anschaffungs- und Herstellungskosten für die vermieteten Wohnungen beliefen sich auf 565.998 DM für die Wohneinheit Nr. 3, auf 522.863 DM für die Wohneinheit Nr. 4, auf 452.315 DM für die Wohneinheit Nr. 5, auf 455.943 DM für die Wohneinheit Nr. 6 und auf 507.544 DM für die Wohneinheit Nr. 8.

8

Für die selbstgenutzten Erdgeschoss-Einheiten gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Klägern zu 1 und 2 sowie Y und X antragsgemäß Eigenheimzulage unter Ausschöpfung der Höchstbeträge.

9

In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machten die Kläger zu 1 und 2 Verluste aus der Vermietung der Wohnungen Nr. 3 und 4 geltend, die das FA wegen rechtsmissbräuchlicher wechselseitiger Vermietung letztlich nicht anerkannte. Gleiches gilt für die Klägerin zu 3, die in ihren Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die gleichen Zeiträume Verluste aus der Vermietung der Wohnung Nr. 8 auswies.

10

Die hiergegen gerichteten Einsprüche und Klagen blieben ohne Erfolg. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1471 veröffentlichten Urteil bestätigte das Finanzgericht (FG) die Rechtsauffassung des FA. Die Kläger zu 1 und 2 und ihre Töchter hätten bereits bei der Planung des Neubauprojekts beabsichtigt, zusätzlich zu den Erdgeschosswohnungen die jeweils darüber liegende Obergeschosswohnung selbst zu nutzen. Ein solches Konzept hätten verständige Steuerpflichtige durch eine an der tatsächlichen Nutzung ausgerichtete Verteilung des Eigentums an den einzelnen --in Größe, Ausstattung und Wertigkeit vergleichbaren-- Wohnungen rechtlich abgesichert. Weil den Eigentümern schon für die Erdgeschosswohnungen jeweils der Höchstbetrag der Förderung nach dem Eigenheimzulagengesetz gewährt worden sei, habe der einzige Sinn der gewählten Gestaltung darin bestanden, die eigene Wohnung darüber hinaus steuerwirksam zu nutzen. Durch die wechselseitigen Mietverhältnisse sei es auf der Nutzungsebene zu einer Neutralisation der abweichenden Zuordnung der Wohneinheiten auf der Vermögensebene gekommen, die insoweit --ausnahmsweise-- in die Missbrauchskontrolle einzubeziehen sei.

11

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Entgegen der Rechtsauffassung des FG sei auf der Vermögensebene ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) nicht zu prüfen. Eine Missbrauchskontrolle sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in Fällen wechselseitiger Vermietung nur auf der Nutzungsebene zulässig. Insoweit liege wegen beachtlicher außersteuerlicher Gründe kein Gestaltungsmissbrauch vor. Mit den von den Klägern vorgetragenen Nutzungsvarianten, der durch die gewählte Gestaltung bezweckten Minderung des Vermietungsrisikos für die Töchter einerseits, dem Schaffen (mietrechtlicher) Abhängigkeiten andererseits und den finanziellen sowie erbrechtlichen Beweggründen habe sich das FG nur unzureichend oder im Ergebnis unzutreffend auseinandergesetzt. Soweit das FG sein Urteil auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck stütze, fehle es an ausreichenden Tatsachenfeststellungen.

12

Zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und der Zustellung des Urteils durch das FG erließ das FA am 27. September 2011 zugunsten der Kläger zu 1 und 2 einen weiteren Änderungsbescheid für das Jahr 2004, der den hier streitigen Sachverhalt unberührt lässt.

13

Die Kläger beantragen sinngemäß,
1. das Urteil des FG aufzuheben und
2. die Einkommensteuerbescheide der Kläger zu 1 und 2 für die Jahre 2001, 2002, 2005 und 2006 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 16. September 2011 und für das Jahr 2004 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 27. September 2011 dahingehend zu ändern, dass die bisher nicht berücksichtigten Verluste aus der Vermietung der Wohnungen Nr. 3 und 4 anerkannt werden, sowie
3. die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen der Klägerin zu 3 für die Jahre 2000, 2002 und 2003 vom 19. Dezember 2006 und für 2006 vom 13. Dezember 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2008 dahingehend zu ändern, dass die bisher nicht berücksichtigten Verluste aus der Vermietung der Wohnung Nr. 8 anerkannt werden.

14

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

15

II. 1. Die Revision ist aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet, soweit das FG über den Einkommensteuerbescheid 2004 der Kläger zu 1 und 2 entschieden hat. Insoweit ist die Vorentscheidung aufzuheben.

16

Das FG hat über den Bescheid 2004 "vom 15. Dezember 2006 ... in Gestalt des Änderungsbescheids vom 16. September 2011" entschieden. Ein Änderungsbescheid für dieses Jahr erging jedoch erst am 27. September 2011 und damit nach (geschlossener) mündlicher Verhandlung vom 22. September 2006 (§ 93 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), aber vor Zustellung des Urteils am 20. Oktober 2011 (§ 104 Abs. 2 FGO). Da dieser Änderungsbescheid damit neuer Gegenstand des nach wie vor anhängigen, finanzgerichtlichen Verfahrens wurde (§ 68 Abs. 1 Satz 1 FGO), liegt dem FG-Urteil ein nicht (mehr) wirksamer Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (vgl. BFH-Urteile vom 31. Mai 2006 II R 32/04, BFH/NV 2006, 2232; vom 26. Januar 2011 IX R 7/09, BFHE 232, 463, BStBl II 2011, 540, unter II.1., m.w.N.).

17

Der Senat entscheidet nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO auf der Grundlage der verfahrensfehlerfrei zustande gekommenen und damit nach § 118 Abs. 2 FGO weiterhin bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG gleichwohl in der Sache (vgl. BFH-Urteile vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43, unter I.; vom 16. Juni 1999 II R 57/96, BFHE 189, 537, BStBl II 1999, 789, unter II.1.), da der Änderungsbescheid hinsichtlich des streitigen Sachverhalts keine Änderungen enthält und die Sache spruchreif ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 232, 463, BStBl II 2011, 540, unter II.1.).

18

2. Die Klage der Kläger zu 1 und zu 2 gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 wird abgewiesen. Im Übrigen ist die Revision unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Würdigung des FG, wonach in der wechselseitigen Vermietung der Wohneinheiten Nr. 3, 4 und 8 ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO liege, ist jedenfalls möglich und deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (§ 118 Abs. 2 FGO).

19

a) Nach § 42 AO in den Fassungen der Streitjahre kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Missbrauch vor, entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

20

Ein Gestaltungsmissbrauch ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 21. August 2012 VIII R 32/09, BFHE 239, 31, BStBl II 2013, 16, unter II.2.a aa; vom 12. Juli 2012 I R 23/11, BFHE 238, 344, unter II.2.b bb). Die Frage, was eine den Gestaltungsmissbrauch kennzeichnende unangemessene rechtliche Gestaltung ist, entzieht sich einer allgemeinen Definition und lässt sich nur durch Würdigung der gesamten Umstände im Einzelfall feststellen (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Mai 2012 VIII B 174/11, BFH/NV 2012, 1330, unter 1.; BFH-Urteil vom 1. April 1993 V R 85/91, V R 86/91, BFH/NV 1994, 64, unter II.). Im Wege einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise sind dabei mehrere auf einheitlicher Planung beruhende und in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Rechtsgeschäfte für die steuerliche Beurteilung zu einem einheitlichen Vorgang zusammenzufassen, wenn sie als bloße Teilschritte keine eigenständige Bedeutung haben und vom Steuerpflichtigen sämtlich beherrscht werden (vgl. BFH-Urteile vom 27. Oktober 2005 IX R 76/03, BFHE 212, 360, BStBl II 2006, 359, unter II.1.; vom 9. November 2011 X R 60/09, BFHE 236, 29, BStBl II 2012, 638, unter II.2.d aa mit Anm. Isler, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2012, 538, 539; eingehend auch: Offerhaus in: Steuerrecht und Rechtsstaat --Festschrift für Wolfgang Spindler--, 2011, S. 677; ders., Finanz-Rundschau --FR-- 2011, 878; Spindler, Zeitschrift für die Notarpraxis 2006, 442; ders., Deutsches Steuerrecht 2005, 1; Förster/Schmidtmann, Steuer und Wirtschaft 2003, 114; P. Fischer, FR 2003, 1013; kritisch: Crezelius, FR 2003, 537). Sind mehrere Akteure beteiligt, so kann sich die Beherrschbarkeit der Teilschritte aus vertraglichen, engen gesellschaftlichen oder verwandtschaftlichen Verflechtungen ergeben (vgl. Offerhaus, Festschrift für Spindler, S. 677, 678).

21

b) Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Annahme einer unangemessenen rechtlichen Gestaltung durch das FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

22

aa) Wegen des planmäßigen Vorgehens der Kläger durfte das FG deren (vorausgehende) vermögensrechtliche Dispositionen in seine Gesamtbetrachtung zur Beurteilung der Unangemessenheit der gewählten Gestaltung mit einbeziehen. Nach den Feststellungen des FG lässt sich die gewählte Gestaltung so verstehen, dass es den Klägern primär darauf ankam, anfallende Kosten der Wohnungen in den Obergeschossen im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten geltend zu machen, was ausgeschlossen wäre, wenn die Beteiligten das Teileigentum an den von ihnen tatsächlich genutzten Wohnungen erworben hätten (vgl. BFH-Urteile vom 25. Januar 1994 IX R 97/90, IX R 98/90, BFHE 174, 386, BStBl II 1994, 738; in BFH/NV 1994, 64; vom 19. Juni 1991 IX R 134/86, BFHE 164, 498, BStBl II 1991, 904). Die Gestaltung bildet demnach eine rein formale Anknüpfung zum Zweck der Minderung der Einkommensteuerbelastung der Kläger (vgl. BFH-Urteil in BFHE 164, 498, BStBl II 1991, 904); eine Vermischung von Vermögens- und Nutzungsebene hat bereits im Tatsächlichen stattgefunden. In seine Gesamtwürdigung hat das FG vertretbar mit einbezogen, dass eine Verteilung des Teileigentums entsprechend den Nutzungsverhältnissen --jedenfalls unter Berücksichtigung der vorausgegangenen Schenkungen-- mit im Wesentlichen unverändertem Kapitaleinsatz der Beteiligten möglich gewesen wäre.

23

bb) Darüber hinaus kommt es auf die unterschiedlichen Konstellationen der beteiligten Personen auf Vermieter- und Mieterseite nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass alle diese Personen auf beiden Seiten beteiligt waren und die betreffenden Wohnungen ausschließlich innerhalb dieses geschlossenen Personenkreises hergestellt und auf Dauer wechselseitig zu jeweils eigenen Wohnzwecken vermietet wurden ("Poolvermietung"). Zwischen den einzelnen Beteiligten ist nur insoweit zu differenzieren, als es um das Ziel der Steuerersparnis geht (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2001 X R 41/99, BFH/NV 2002, 1286, unter II.3.b aa). Durch die geltend gemachten Werbungskostenüberschüsse findet sich ein solcher Vorteil im Streitfall bei allen Klägern.

24

c) Auch die Würdigung des FG, wonach die von den Klägern gewählte Gestaltung nicht durch andere beachtliche, außersteuerliche Gründe zu rechtfertigen sei, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Sie verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze und beruht auf revisionsrechtlich nicht mit Erfolg angegriffenen Feststellungen des FG. Soweit sich die Kläger darauf berufen, dass sich das FG nur unzureichend oder im Ergebnis unzutreffend mit anderen wirtschaftlichen und erbrechtlichen Erwägungen auseinandergesetzt habe (zu aa) und es daneben an ausreichenden Tatsachenfeststellungen über den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck fehle (zu bb), greift ihr Vorbringen nicht durch.

25

aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO sind im Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung, sämtliche vorgebrachten, aber nicht für maßgeblich gehaltenen Argumente abzuhandeln, lässt sich daraus nicht ableiten. Vielmehr genügt es, wenn das Urteil den Gedankengang erkennen lässt, aufgrund dessen das FG zu dem von ihm gefundenen Ergebnis gelangt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 9. August 2005 VI B 12/05, BFH/NV 2005, 2005, unter 2.a). Die ausdifferenzierten, über dieses Mindestmaß hinausgehenden Ausführungen des FG im vorliegenden Fall genügen diesen Anforderungen.

26

bb) Den Tatbestand hat das FG in seinem Urteil nach § 105 Abs. 3 Satz 1 FGO "seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt" darzustellen. Soweit die Kläger unzureichende Feststellungen des FG über den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck rügen, übersehen sie, dass tatsächliche Feststellungen auch dann als solche zu beurteilen sind, wenn sie zwar nicht im formalen Urteilstatbestand enthalten sind, sich aber --wie hier-- (mittelbar) aus den Entscheidungsgründen ergeben (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Januar 2010 I B 83/09, BFH/NV 2010, 913, unter II.1.b).

27

Außerdem haben die Kläger nicht dargelegt, inwiefern sie die Feststellungen im Einzelnen für unzureichend, aber entscheidungserheblich halten. Die pauschale Rüge, das FG habe bei seiner Beurteilung den Sachvortrag der Kläger nicht oder nicht zutreffend gewertet, lässt eine Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 FGO) und zur Wahrung rechtlichen Gehörs (§ 96 FGO) bei der Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht erkennen (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Februar 2007 IX B 161/06, BFH/NV 2007, 1477, unter 2.).

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Dezember 2009 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer höheren Rente ohne Begrenzung ihrer während der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) erzielten Arbeitsentgelte nach § 7 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) iVm dessen Anlage 6.

2

Das LSG hat hierzu im Wesentlichen Folgendes festgestellt.

3

Die 1927 geborene Klägerin gehörte vom 1.2.1965 bis 28.2.1987 dem Sonderversorgungssystem Nr 4 der Anlage 2 zum AAÜG - Sonderversorgung der Angehörigen des ehemaligen MfS/Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS) - an. Danach bezog sie aus diesem Sonderversorgungssystem eine Rente.

4

Mit Überführungsbescheid vom 8.6.1993 stellte das Bundesverwaltungsamt als Sonderversorgungsträger die Zeit vom 1.2.1965 bis 28.2.1987 als Zeit der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem Nr 4 fest und teilte mit, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Begrenzung der Entgelte auf 70 vH des Durchschnittsentgelts der Versicherten im Beitrittsgebiet vorlägen. Den Widerspruch der Klägerin wies es mit Widerspruchsbescheid vom 13.8.1993 zurück.

5

Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG Berlin mit Urteil vom 21.4.1994 abgewiesen. Nach Einlegung der Berufung durch die Klägerin hat das LSG Berlin auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 27.10.1994 - L 1 An 93/94 - das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Mit Urteil vom 28.4.1999 (1 BvL 11/94 ua - BVerfGE 100, 138 = SozR 3-8570 § 7 Nr 1) hat das BVerfG die durch § 7 Abs 1 S 1 AAÜG iVm Anlage 6 für Angehörige des Sonderversorgungssystems MfS/AfNS vorgenommene Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen auf 70 vH des jeweiligen Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet mit Art 3 Abs 1 und Art 14 GG für nicht vereinbar und nichtig erklärt, soweit für die Rentenberechnung das zu Grunde zu legende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen unter das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet abgesenkt wird. Das Bundesverwaltungsamt hat daraufhin mit Änderungsbescheid vom 1.10.1999 den Ausgangsbescheid geändert und die während der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem Nr 4 erzielten Arbeitsentgelte der Klägerin bis zur Höhe des jeweiligen Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet berücksichtigt. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und das weitere Ruhen des Verfahrens beantragt, um abzuwarten, ob der Gesetzgeber mit der ihm vom BVerfG aufgetragenen Änderung des AAÜG von der Möglichkeit einer günstigeren Regelung des § 7 AAÜG Gebrauch machen werde. Nachdem sich die Beklagte dem angeschlossen hatte, hat das LSG Berlin mit Beschluss vom 24.1.2000 - L 1 RA 93/94 W 99 - das erneute Ruhen des Verfahrens angeordnet. Am 31.10.2001 hat die Klägerin das Verfahren - nunmehr unter dem Aktenzeichen L 1 RA 93/94 W 01 - wieder aufgenommen.

6

Der vorliegende Rechtsstreit hat sich wie folgt entwickelt. Parallel zu dem gegen das Bundesverwaltungsamt geführten Verfahren beantragte die Klägerin am 15.5.2002 bei der Beklagten eine Überprüfung des Rentenbescheids vom 17.1.2002, mit dem die ihr gewährte Regelaltersrente unter Berücksichtigung des jeweiligen kalenderjährlichen Durchschnittsverdiensts im Beitrittsgebiet festgestellt worden ist. Den auf Berücksichtigung ihrer Arbeitsverdienste bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze gerichteten Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 31.10.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.4.2003 ab. Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG Berlin mit Gerichtsbescheid vom 8.9.2003 - S 27 RA 2303/03 - abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin beim LSG Berlin Berufung unter dem Aktenzeichen L 16 RA 115/03 eingelegt.

7

Mit Beschluss vom 3.3.2004 hat das LSG Berlin das gegen das Bundesverwaltungsamt und das gegen die Beklagte gerichtete Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen L 1 RA 93/94 W 01 verbunden.

8

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10.3.2006 hat die Klägerin die Klage gegen das Bundesverwaltungsamt zurückgenommen. Mit Beschluss vom selben Tag hat das LSG Berlin-Brandenburg auf den übereinstimmenden Antrag der Klägerin und der Beklagten das weitere Ruhen des Verfahrens angeordnet, um die Vorlage eines in Aussicht genommenen neuen Gutachtens des Instituts für Zeitgeschichte zum Einkommensniveau der Angehörigen des MfS abzuwarten. Am 21.7.2008 hat die Klägerin das Verfahren wieder aufgenommen und dargelegt, aus dem eingereichten Gutachten des Brandenburgischen Instituts für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsentwicklung e.V. von Juni 2008 ergebe sich, dass der Gesetzgeber und das BVerfG bei der Begrenzung der Entgelte der Angehörigen des MfS auf das Durchschnittseinkommen der Versicherten im Beitrittsgebiet von unrichtigen Tatsachen ausgegangen seien. Tatsächlich seien die Entgelte ausweislich des Gutachtens nicht überhöht gewesen, sondern hätten der Qualifikation der Mitarbeiter in diesem Bereich entsprochen.

9

Das LSG Berlin-Brandenburg hat das Gutachten des Sachverständigen Dr. G., Zentrum für zeithistorische Forschung P., Abteilung I Kommunismus und Gesellschaft, vom 11.3.2009 eingeholt und mit Urteil vom 11.12.2009 die Berufung zurückgewiesen. Der Senat habe sich nicht vom Vorliegen neuer rechtserheblicher Tatsachen überzeugen können, die eine erneute Vorlage an das BVerfG rechtfertigten. Er schließe sich den überzeugenden und durch umfangreiches Zahlenmaterial gestützten Darlegungen des Sachverständigen Dr. G. an und gebe ihnen den Vorzug gegenüber dem auf ein Privatgutachten gestützten Parteivorbringen der Klägerin. Es sei daher unverändert davon auszugehen, dass die im MfS geübte Praxis zu einer deutlichen Erhöhung der Bezüge gegenüber vergleichbar qualifizierten Beschäftigten außerhalb des MfS geführt habe.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art 3 Abs 1 GG und Art 14 GG wegen Anwendung des verfassungswidrigen § 7 Abs 1 AAÜG idF des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes. § 7 AAÜG benachteilige die Angehörigen des ehemaligen MfS/AfNS, zu denen auch sie gehöre. Hierfür fehle es an einem rechtfertigenden Grund. Die erneute Befassung des BVerfG mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs 1 AAÜG sei zulässig, da neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragenden Feststellungen im Urteil des BVerfG vom 28.4.1999 (aaO) vorlägen. Ausweislich des von ihr vorgelegten Gutachtens sei eine unterschiedliche Behandlung nicht gerechtfertigt. § 7 AAÜG idF des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes bewege sich auch nicht im Rahmen des Art 14 Abs 1 S 2 GG.

11

 Die Klägerin beantragt,

        

1. das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Dezember 2009 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 8. September 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2003 aufzuheben und

        

2. die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 17. Januar 2002 teilweise zurückzunehmen und der Klägerin Rente unter Berücksichtigung der vom Versorgungsträger für die Zeit vom 1. Februar 1965 bis 28. Februar 1987 ausgewiesenen tatsächlichen Jahresbruttoarbeitsentgelte nach Vervielfältigung mit den Werten der Anlage 10 zum SGB VI bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze zu gewähren.

12

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

13

Sie hält die Revision für unzulässig. Zumindest sei die Klage unbegründet.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.

15

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach Satz 3 der Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22, jeweils mwN; zustimmend BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17).

16

Die Klägerin rügt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art 3 Abs 1 GG und Art 14 GG wegen Anwendung der verfassungswidrigen Vorschrift des § 7 Abs 1 AAÜG. Sie legt aber nicht nachvollziehbar dar, worin die Rechtsverletzung liegen soll. Hierzu wäre unter Wiedergabe des entscheidungserheblichen Sachverhalts die Darstellung erforderlich gewesen, weshalb § 7 AAÜG zum Nachteil der Klägerin auf den vom LSG festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden sei(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 11; BSG Beschlüsse vom 17.3.2003 - B 3 KR 12/02 R - Juris RdNr 14; vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 16). Hieran fehlt es.

17

Es ist bereits nicht erkennbar, dass der von der Klägerin im Schriftsatz vom 26.3.2010 geschilderte "Sachverhalt" ganz oder teilweise mit demjenigen des angegriffenen Urteils identisch sein könnte. Auch wenn dies der Fall wäre, könnte dem dortigen Vorbringen noch nicht einmal die Behauptung entnommen werden, dass das Bundesverwaltungsamt durch schriftlichen Verwaltungsakt von der Klägerin tatsächlich erzielte höhere Entgelte festgestellt haben könnte, die im Rahmen der Festsetzung der Rentenhöhe von der Beklagten nur begrenzt berücksichtigt worden sein könnten. Das Vorbringen, bei ihr, der Klägerin, seien Entgelte für bestimmte Zeiträume "nur bis zur Höhe des jeweiligen Durchschnittsentgelts aller Versicherten im Beitrittsgebiet" berücksichtigt worden, vermag diese notwendigen Begründungselemente nicht zu ersetzen. Hierdurch wird insbesondere logisch und rechtlich nicht ausgeschlossen, dass das tatsächlich erzielte Erwerbseinkommen von vornherein unterhalb der rechtlichen Berücksichtigungsgrenzen gelegen haben und diesen daher nur abstrakte Bedeutung zugekommen sein könnte. Die Relevanz der umfangreichen verfassungsrechtlichen Ausführungen für den Ausgang des Verfahrens bleibt damit von vornherein offen.

18

Mit ihrem Vorbringen, eine erneute verfassungsgerichtliche Überprüfung des § 7 Abs 1 AAÜG sei zulässig, weil entgegen der auf das Gutachten Dr. G. gestützten Auffassung des LSG nach dem Gutachten des Brandenburgischen Instituts für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsentwicklung e.V. neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragenden Feststellungen des BVerfG im Urteil vom 28.4.1999 (aaO) vorlägen, greift die Klägerin im Übrigen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an.

19

Eine zulässige Verfahrensrüge hat sie insoweit indes nicht erhoben.

20

Das Tatsachengericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; es ist in seiner Beweiswürdigung frei und lediglich an die Regeln der Logik und der Erfahrung gebunden. § 128 Abs 1 SGG ist erst verletzt, wenn die Beweiswürdigung gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt. Von einem Verstoß gegen Denkgesetze kann nur gesprochen werden, wenn der festgestellte Sachverhalt nur eine Folgerung erlaubt, jede andere nicht denkbar ist und das Gericht gerade die einzig denkbare Schlussfolgerung nicht gezogen hat. Gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt das Gericht, wenn es einen bestehenden Erfahrungssatz nicht berücksichtigt oder einen tatsächlich nicht existierenden Erfahrungssatz anwendet (BSGE 94, 133, 137 RdNr 18 mwN). Das Vorliegen derartiger Verstöße gegen die Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung muss im Einzelnen von dem Beteiligten dargelegt werden, der sich darauf beruft. Die Klägerin hat indes mit ihrem Vorbringen weder ein Denkgesetz noch einen Erfahrungssatz bezeichnet, gegen den das Gericht verstoßen haben soll, noch nennt sie eine nicht ausreichende Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 128 Abs 1 S 1 SGG). Sie setzt lediglich, wenn auch mit detailliertem Vorbringen, ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG bzw hält die eigene Beweiswürdigung gegenüber der vom LSG vorgenommenen für vorzugswürdig. Dies reicht für eine formgerechte Rüge der Verletzung des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung nicht aus (BSG vom 7.12.2004 - B 1 KR 10/03 R - Juris RdNr 18; BSG SozR 4-2700 § 63 Nr 3 RdNr 24).

21

Da die Klägerin die Feststellungen des LSG, dass die Beschäftigten des MfS deutlich höhere Bezüge als vergleichbar qualifizierte Beschäftigte außerhalb des MfS erhalten haben, nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge angegriffen hat, ist das BSG an diese Feststellungen gemäß § 163 SGG gebunden. Zwar handelt es sich bei den umstrittenen Tatsachen um allgemeine generelle Tatsachen, an die das Revisionsgericht nicht in jedem Fall gebunden ist, sondern die es grundsätzlich im Revisionsverfahren selbst feststellen kann (BSGE 96, 297, 301 RdNr 19; BSG vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - Juris RdNr 28). Dies gilt indes nicht, wenn diese - wie hier - Gegenstand der Beweiswürdigung des LSG waren (BSGE 102, 166, 170 RdNr 33).

22

Aufgrund der nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG steht fest, dass die Angehörigen des MfS überhöhte Entgelte bezogen haben. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Entscheidungsgrundlagen im Urteil des BVerfG vom 28.4.1999 (aaO) nicht infrage gestellt sind, so dass der Senat an diese Entscheidung, nach der § 7 AAÜG in seiner derzeit geltenden Fassung verfassungsgemäß ist, gebunden ist(§ 31 Abs 1 BVerfGG). Angesichts dessen hat die Klägerin auch aus diesem Grund eine Verletzung ihrer Rechte aus Art 3 Abs 1 und Art 14 GG nicht schlüssig dargelegt.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Tenor

Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22. November 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 22.11.2012 hat das SG Köln einen Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Beschäftigung als Leiterin der Abteilung "Personenschadensmanagement" bei der Beigeladenen zu 1. verneint. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klägerin sei nicht wegen dieser Beschäftigung, sondern aufgrund ihrer selbständigen (nebenberuflichen) Tätigkeit als Rechtsanwältin Mitglied der Rechtsanwaltskammer (RAK) K. und der Beigeladenen zu 2. Denn die Beschäftigung als Syndikus für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber könne vor dem Hintergrund des Berufsrechts nicht als anwaltliche Tätigkeit qualifiziert werden. Die mit einem Beschäftigungsverhältnis verbundenen Bindungen und Abhängigkeiten stünden nicht im Einklang mit dem in §§ 1 bis 3 der BRAO normierten Berufsbild eines Rechtsanwaltes. Hierbei sei seine gesetzlich garantierte Unabhängigkeit vom Staat und von den von ihm vertretenen Parteien oder sonstigen Auftraggebern besonders bedeutsam und nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung unverzichtbare Voraussetzung, damit Rechtsanwälte durch ihre berufliche Tätigkeit zu einer funktionierenden Rechtspflege beitragen könnten. Der Syndikus habe aber aufgrund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit und der engen Bindung an seinen Arbeitgeber keine berufliche Unabhängigkeit, die mit der eines externen Rechtsanwaltes vergleichbar wäre, wie auch der EuGH bereits entschieden habe. Demnach entspreche es auch der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehe, in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig werde. Schließlich komme die Unterscheidung zwischen der freien anwaltlichen Berufsausübung und der Tätigkeit als Syndikus auch in den Berufsausübungsregelungen des § 46 BRAO zum Ausdruck. Im Gesetzgebungsverfahren zur aktuellen Fassung dieser Norm hätten sich Bestrebungen, dem Syndikus einzuräumen, auch im Angestelltenverhältnis als Rechtsanwalt tätig zu werden, nicht durchsetzen können. Der Rechtsausschuss habe dies mit der Erwägung verworfen, das von der freien und unreglementierten Selbstbestimmung geprägte Bild des Rechtsanwalts stehe einer Änderung des § 46 BRAO in diesem Sinne entgegen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit seien nicht dazu berufen, den Begriff der anwaltstypischen Tätigkeit vollkommen neu bzw in grundlegender Abweichung vom Berufsrecht zu definieren und eine anwaltliche von einer juristischen Tätigkeit anhand von vier Kriterien abzugrenzen.

2

Die Klägerin hat daraufhin beantragt, die Sprungrevision zuzulassen und die Zustimmungserklärung der Beklagten vom 27.12.2012 in Kopie beigefügt, die ihr prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt mit seiner Unterschrift "beglaubigt" hatte. Das SG hat die Sprungrevision zugelassen und darüber belehrt, dass "nunmehr nur noch" Revision eingelegt werden könne; Hinweise zur Revisionsbegründungspflicht und -frist fehlen (Beschluss vom 6.2.2013). Nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 15.2.2013 hat die Klägerin am 19.2.2013 gegen das Urteil des SG vom 22.11.2012 unter Übergehung der Berufungsinstanz Revision eingelegt und gleichzeitig die Zustimmungserklärung der Beklagten vom 27.12.2012 nochmals in Fotokopie überreicht, die mit demselben Beglaubigungsvermerk ("beglaubigt Rechtsanwalt") und der Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigten versehen ist. Am 11.3.2014 hat sie - nach Hinweis des Senats vom 23.1.2014 - die Urschrift der Zustimmungserklärung vorgelegt.

3

Mit der Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI. Rechtsanwälte könnten gemäß § 46 BRAO sowie nach der bisherigen Verwaltungs- und überwiegenden Gerichtspraxis bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber eine anwaltliche Tätigkeit ausüben und könnten deshalb gemäß § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden. Die umstrittene Rechtsprechung des EuGH, auf die sich das SG berufe, gelte nur für das EU-Kartellrecht. Auch das BVerfG habe sich zur Rechtsstellung von Anwälten, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber anwaltlich tätig seien, bisher nicht geäußert. Vielmehr habe sich in der Rechtspraxis die "Vier-Kriterien-Theorie" durchgesetzt, die auch hier anzuwenden sei.

4

II. Die (Sprung-)Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§ 169 S 2 SGG).

5

Denn sie entspricht nicht den gesetzlichen Erfordernissen des § 169 S 1 SGG. Dabei lässt der Senat die Streifrage offen, ob schon aufgrund des Zulassungsbeschlusses vom 6.2.2013 auch für das Revisionsgericht bindend (§ 161 Abs 2 S 2 SGG)feststeht, dass die beim SG vorgelegte Zustimmungserklärung der Beklagten der erforderlichen Schriftform genügte (so BSG Urteil vom 27.1.2010 - B 12 KR 2/09 R - Juris RdNr 9 insoweit in SozR 4-2500 § 5 Nr 10 nicht abgedruckt; aA BSG Urteile vom 21.8.2008 - B 13 RJ 44/05 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 12 RdNr 10, vom 22.4.1998 - B 9 SB 7/97 R - SozR 3-1500 § 161 Nr 13 S 30, vom 12.3.1996 - 1 RK 13/95 - Juris RdNr 13 f und vom 15.12.1993 - 11 RAr 99/92 - SozR 3-4100 § 249c Nr 2; Fichte in Breitkreuz/Fichte, 2. Aufl 2014, § 161 RdNr 13; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 268; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl 2014, § 161 RdNr 7b). Ebenso kann unentschieden bleiben, ob die Klägerin die Urschrift der gegnerischen Zustimmungserklärung vom 27.12.2012 - nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 15.2.2013 und Ablauf der Jahresfrist (§ 66 Abs 2 Halbs 1 SGG) am Montag, den 17.2.2014 - am 11.3.2014 deshalb rechtzeitig vorgelegt hat, weil die Frist zur Einlegung der Sprungrevision noch gar nicht zu laufen begonnen hat, da das SG im Zulassungsbeschluss vom 6.2.2013 die Klägerin iS von § 66 Abs 2 Halbs 2 SGG schriftlich darüber belehrt haben könnte, dass ein (an sich statthafter) Rechtsbehelf (die Berufung, § 143 SGG) nicht gegeben sei(vgl dazu BSG Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 3 RdNr 54). Schließlich kann vorliegend auch offenbleiben, ob die Erklärung der Beklagten vom 27.12.2012 inhaltlich den Anforderungen des § 161 Abs 1 S 1, 3, Abs 5 SGG genügt. Denn jedenfalls entspricht die Revisionsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 SGG).

6

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 dieser Vorschrift muss die Revisionsbegründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22). Sie haben den Zweck, eine Entlastung des Revisionsgerichts sowie im Interesse aller Beteiligten eine sorgfältige Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten (zB jeweils mwN: Senatsurteil vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11 und BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom BSG für notwendig erachteten (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

7

Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 und vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f sowie BSG vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.

8

Die Klägerin rügt materiell-rechtlich eine Verletzung des § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI. Die fehlerhafte Anwendung dieser Norm kann schlüssig nur dadurch gerügt werden, dass die Revisionsführerin zunächst angibt, auf welchen festgestellten Sachverhalt das SG die Vorschrift in welcher Weise angewandt hat. Ohne diese stets notwendigen Angaben ist eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen. Die Revisionsbegründung schildert ausführlich den beruflichen Werdegang der Klägerin seit dem Jahr 2000 und gibt an, sie sei seit dem 17.1.2000 als zugelassene Rechtsanwältin Mitglied der RAK K. sowie des Beigeladenen zu 2. und arbeite seit dem 10.1.2011 bei der Beigeladenen zu 1. als "Leiterin Personenschadensmanagement", wobei diese Position bzw Funktion sowie die damit verbundenen arbeitsvertraglichen Aufgaben und Befugnisse näher beschrieben werden. Dabei lässt die Revisionsbegründung aber schon offen, ob diese tatsächlichen Angaben der Vorinstanz überhaupt zuzurechnen sind, dh ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das SG im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Des Weiteren geht die Klägerin nirgendwo darauf ein, an welcher genauen Stelle sie dem angefochtenen Urteil Feststellungen hinsichtlich der genannten Tatumstände entnehmen möchte. Für das Revisionsgericht sind indes die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 SGG). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das BSG nicht in die Lage versetzt, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind. Es ist aber nicht Aufgabe des erkennenden Senats, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.

9

Darüber hinaus setzt sich die Klägerin auch nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Norm in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedankengang des Vordergerichts einzugehen (BSG Urteil vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f). Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10). Dafür bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG Urteil vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 5, 12, 22 und 28). Auch diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung nicht. Die bloße Erwähnung der angegriffenen Entscheidung oder die Behauptung von Defiziten vermögen eine Auseinandersetzung mit dem dort positiv Verlautbarten nicht zu ersetzen.

10

Das SG hat sich eingehend mit den berufsrechtlichen Regelungen der BRAO, insbesondere mit der Entstehungsgeschichte des § 46 BRAO, und dem dort normierten Berufsbild des Rechtsanwalts/der Rechtsanwältin sowie der einschlägigen Rechtsprechung des BGH, des BVerfG und des EuGH beschäftigt und ist auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin für die Beigeladene zu 1. nach dem einschlägigen Berufsrecht keine anwaltliche Tätigkeit ausübt und deshalb nicht "wegen" dieser Beschäftigung, sondern nur aufgrund ihrer (nebenberuflichen) Tätigkeit als selbständige Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei Mitglied der RAK K. und des Beigeladenen zu 2. sei.

11

Auf diese Gründe des erstinstanzlichen Urteils geht die Klägerin nicht ausreichend ein. Weder setzt sie sich mit der dort herangezogenen berufsrechtlichen Rechtsprechung des Senats für Anwaltssachen (BGH Beschluss vom 7.2.2011 - AnwZ (B) 20/10 - NJW 2011, 1517) noch mit der zitierten Entscheidung des 9. Zivilsenats des BGH (Urteil vom 25.2.1999 - IX ZR 384/97 - BGHZ 141, 69) auseinander und behauptet zu der herangezogenen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (BVerfG Beschlüsse vom 4.11.1992 - 1 BvR 79/85 ua - BVerfGE 87, 287 und vom 12.12.2006 - 1 BvR 2576/04 - BVerfGE 117, 163) nur, das BVerfG habe sich zur Rechtsstellung von Anwälten, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber anwaltlich tätig seien, bisher nicht geäußert. Mit Blick auf die vom SG angeführte Entscheidung des EuGH (Urteil vom 14.9.2010 - C-550/07 P - NJW 2010, 3557) bemerkt die Beschwerdebegründung lediglich, dass sie "grundsätzlich nur für das EU-Kartellrecht und das EU-Kartellrechtsverfahren" gelte und vom Brüsseler Berufungsgericht sowie dem obersten Gericht der Niederlande (unter Verletzung von Art 267 AEUV?) in Zweifel gezogen werde. Lediglich ergänzend wird insofern darauf hingewiesen, dass § 184 GVG auch im sozialgerichtlichen Verfahren Geltung beansprucht(§ 202 S 1 SGG). Schließlich ignoriert die Beschwerdebegründung die vom SG in Bezug genommenen Materialien zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (BT-Drucks 12/4993), insbesondere den Bericht und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drucks 12/7656, S 49 zu Nr 18a), vollständig. Demgegenüber genügt es keinesfalls, auf Merkblätter, Arbeitshilfen oder Arbeitsanweisungen der DRV, Rundschreiben der ABV, Schreiben der BDA, Statistiken und Rechtsauffassungen der RAK K. oder Schätzungen des Deutschen Anwaltsvereins bzw Äußerungen seines Präsidenten hinzuweisen, Aufsätze in juristischen Fachzeitschriften aufzulisten oder eine Übersicht erstinstanzlicher Entscheidungen vorzulegen, die Befreiungen ausgesprochen hätten. Denn mit der Wiedergabe eigener oder fremder Rechtsansichten geht die Revisionsbegründung gerade nicht auf den Gedankengang des SG ein und gibt nicht zu erkennen, dass sich die Revisionsführerin ausreichend mit der Argumentation im angefochtenen Urteil auseinandergesetzt hat.

12

Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Die Revision wird als unzulässig verworfen.

Zwischen den Beteiligten sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten zuletzt noch darüber, ob im Rahmen der Anrechnung der Verletztenrente des Klägers auf dessen Altersrente für schwerbehinderte Menschen (vormals: Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige) der abgesenkte Freibetrag in Höhe einer "Grundrente Ost" zu berücksichtigen ist. Mit Bescheid vom 23.11.1998 und Widerspruchsbescheid vom 13.10.1999 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß seine Altersrente und rechnete dabei von Anfang an die bezogene Unfallrente an. Von der Anrechnung ausgenommen wurde ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Da der Kläger seinen Wohnsitz am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer hatte, berücksichtigte die Beklagte diesen Freibetrag in Höhe der für das Beitrittsgebiet abgesenkten Grundrentensätze. Während des Verfahrens vor den Instanzgerichten wurde der Anrechnungsbetrag mehrfach fortgeschrieben. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.10.2002). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klage gegen weitere Verwaltungsakte abgewiesen (Urteil vom 10.4.2008).

2

Mit der vom LSG hinsichtlich der Anrechnung der Unfallrente zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Das BSG hat im Blick auf eine eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG vom 13.11.2008 - B 13 R 129/08 R - das Ruhen des Verfahrens angeordnet (Beschluss vom 19.5.2009). Im Verfahren vor dem BVerfG hat der dortige Beschwerdeführer das Verfahren für erledigt erklärt. Das BVerfG hat es mit Beschluss vom 8.6.2012 - 1 BvR 349/09 - Juris abgelehnt, die Auslagen nach Erledigung und Rücknahme der Verfassungsbeschwerde zu erstatten. Der Senat hat das ruhende Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist unzulässig (§ 169 SGG). Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 SGG).

4

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 der Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22). Sie haben den Zweck, eine Entlastung des Revisionsgerichts sowie im Interesse aller Beteiligten eine umfassende Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten (vgl Senatsurteil vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16 und BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom BSG für notwendig erachteten (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

5

Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 und vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f sowie BSG vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.

6

Der Kläger rügt eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Die fehlerhafte Anwendung dieser Normen kann schlüssig nur dadurch gerügt werden, dass der Revisionsführer zunächst angibt, auf welchen festgestellten Sachverhalt das Berufungsgericht die Vorschrift in welcher Weise angewandt hat. Ohne diese stets notwendigen Angaben ist eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen.

7

Das Rechtsmittel gibt bereits nicht an, von welchem Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich relevanter Tatumstände) das BSG im Revisionsverfahren auszugehen hat. Aus der Revisionsbegründung geht lediglich hervor, dass die Beklagte auf die Altersrente des Klägers dessen Verletztenrente aus der Unfallversicherung angerechnet habe und dabei wegen des Wohnsitzes des Klägers am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer lediglich den reduzierten "Freibetrag Ost" zugrunde gelegt habe. Dabei lässt die Revisionsbegründung bereits offen, ob diese tatsächlichen Angaben dem Berufungsgericht überhaupt zuzurechnen sind, dh ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das LSG im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Des Weiteren geht der Kläger nirgendwo darauf ein, an welcher genauen Stelle er dem Berufungsurteil welche der genannten Tatumstände entnehmen möchte. Für das Revisionsgericht sind indes die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 SGG). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das BSG nicht in die Lage versetzt, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind. Es ist nicht Aufgabe des erkennenden Senats, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.

8

Darüber hinaus setzt sich der Kläger auch nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Normen in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden sind (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedanken des Vordergerichts einzugehen (BSG Urteil vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f). Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 ff). Insbesondere bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG Urteil vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12, 20 und 28).

9

Das LSG hat sich eingehend mit Wortlaut, Gesetzesbegründung und Systematik der streitbefangenen Norm beschäftigt und insbesondere auch einen Verfassungsverstoß gegen Art 14 GG und Art 3 Abs 1 GG verneint. Es hat sich dabei insbesondere auf den Beschluss des BSG vom 29.11.2007 - B 13 RJ 25/05 R - gestützt. Auf diese Gründe und den konkreten Subsumtionsschluss des LSG geht der Kläger nur unzureichend ein. Er beschränkt sich vielmehr darauf, dem Ergebnis des Berufungsgerichts seine eigene Rechtsauffassung entgegenzuhalten. Danach ermächtige § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI den Rentenversicherungsträger nicht, bei der Berücksichtigung des Freibetrags zwischen unfallverletzten Rentenbewerbern in den alten und neuen Bundesländern zu differenzieren. Dabei stützt er sich insbesondere auf die Entscheidungen des 4. Senats des BSG vom 10.4.2003 - B 4 RA 32/02 R - und vom 20.10.2005 - B 4 RA 27/05 R -, an denen der ab 1.1.2008 anstelle des 4. Senats für Streitigkeiten aus der Rentenversicherung zuständige 5a-Senat des BSG nicht mehr festgehalten hat (Beschluss vom 30.7.2008 - B 5a R 6/08 S). Der Hinweis des Klägers auf das von ihm selbst vertretene Auslegungsergebnis ersetzt nicht die eingehende Auseinandersetzung mit den Überlegungen, von denen sich das LSG bei seiner Rechtsauslegung hat leiten lassen.

10

Letztlich macht der Kläger mit seinem Vortrag eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) geltend. Eine formgerechte Verfahrensrüge der Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung liegt aber nicht vor, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt oder diese eigene Würdigung als überlegen bezeichnet. Dem Revisionsgericht ist es nämlich nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50; BSG Urteil vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16).

11

Die vorliegende Verfahrensdauer gibt keinen Anlass, von den im Gesetz vorgesehenen Anforderungen an die Begründung der Revision abzuweichen. Die Verfahrensdauer ergibt sich vorliegend im Wesentlichen daraus, dass der Senat den Rechtsstreit wegen einer ausstehenden Entscheidung des BVerfG zum Ruhen gebracht hat. Ein derartiges Zuwarten erschien vorliegend geboten, um den Kläger in den Genuss einer ihm möglicherweise positiven Entscheidung des BVerfG kommen zu lassen. Endet das verfassungsgerichtliche Verfahren indessen erfolglos, begründet der bisherige Prozessverlauf keine Erwartung hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision oder darauf, dass sich das Revisionsgericht hierauf nicht mehr berufen werde.

12

Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. April 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen früheren Beginn der Regelaltersrente der Klägerin.

2

Die im September 1932 in Polen geborene Klägerin lebt in Israel. Als anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus erhält sie seit 1972 eine monatliche Rentenzahlung nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Im Oktober 2002 stellte sie beim israelischen National Insurance Institute einen von dort an die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz (Bezeichnung ab Oktober 2005: Deutsche Rentenversicherung Rheinland - im Folgenden einheitlich: Beklagte) weitergeleiteten Antrag auf Altersrente aufgrund von Arbeitszeiten in den Ghettos Tłuste und Zaleszczyki. Ein weiterer, ausdrücklich auf Altersrente ab Juli 1997 unter Berücksichtigung des ZRBG gerichteter Antrag, den sie im Juni 2003 über ihren (jetzigen) deutschen Prozessbevollmächtigten unter Vorlage einer Vollmacht bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eingereicht hatte, wurde ebenfalls der Beklagten zugeleitet und dort mit dem Antrag vom Oktober 2002 in einer Akte zusammengeführt.

3

Die Beklagte erstellte unter Angabe der der Klägerin zugeteilten Versicherungsnummer unter dem 28.6.2004 einen Bescheid, in dem sie "den Antrag vom 22.10.2002" ablehnte. Die Klägerin habe sich im Zeitraum 1942/43 in Tłuste aufgehalten, wo lediglich ein Zwangsarbeitslager bestanden habe, sodass keine Arbeitszeiten nach dem ZRBG angerechnet werden könnten. Der Bescheid war unmittelbar an die Klägerin unter der Anschrift "Str. Mivta , Haiva" (statt zutreffend: Str. Mivtza Haifa) gerichtet und sollte ihr mittels Einschreiben/Rückschein übersandt werden. Ein Rückschein befindet sich jedoch nicht bei den Akten. Diese enthalten auch keinen Vermerk über die Aufgabe des Bescheids zur Post; ebenso wenig geht aus ihnen hervor, dass ein Abdruck des Bescheids dem Bevollmächtigten der Klägerin übersandt wurde.

4

Am 16.7.2009 stellte die Klägerin über ihren deutschen Prozessbevollmächtigten bei der Beklagten mit der Angabe "Versicherungsnummer unbekannt" und unter Hinweis auf die neue Rechtsprechung des BSG zum ZRBG "erneut den Antrag auf Anerkennung einer Altersrente rückwirkend ab Juli 1997". Die Beklagte erkannte nunmehr den Zeitraum 1.7.1942 bis 30.6.1943 als Beitragszeit nach dem ZRBG an und bewilligte mit Bescheid vom 30.3.2010 ab 1.1.2005 Regelaltersrente. Unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,435 (Zuschlag von 0,005 je Monat für 87 Kalendermonate der Nichtinanspruchnahme der Rente nach Erreichen der Regelaltersgrenze im September 1997 bis Ende 2004) ergab sich ab April 2010 eine laufende Rentenzahlung in Höhe von monatlich 93,91 Euro sowie eine Nachzahlung für den Zeitraum Januar 2005 bis März 2010 in Höhe von 6299,82 Euro (einschließlich 569,07 Euro Zinsen). Zum Rentenbeginn ist in dem Bescheid ausgeführt, dass die Anspruchsvoraussetzungen ab 9.1997 erfüllt seien, die "höhere Leistung" jedoch "längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme des Bescheides erbracht" werde.

5

Der auf einen früheren Rentenbeginn gerichtete Widerspruch der Klägerin - unter Berufung darauf, dass § 3 ZRBG lex specialis gegenüber § 44 SGB X sei - ist erfolglos geblieben. Im Widerspruchsbescheid vom 26.8.2010 hat die Beklagte ausgeführt, die Ablehnung der Altersrente im Bescheid vom 28.6.2004 sei bestandskräftig geworden; diese Entscheidung habe sie gemäß § 44 SGB X überprüft und nunmehr die begehrte Rente bewilligt. Ausgehend von dem am 16.7.2009 gestellten Überprüfungsantrag werde die Rente gemäß § 44 Abs 4 SGB X zutreffend ab dem 1.1.2005 geleistet.

6

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14.4.2011). Es hat im Tatbestand seiner Entscheidung festgestellt, dass die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin von Oktober 2002 mit Bescheid vom 28.6.2004 abgelehnt und dass diese hiergegen keine Rechtsmittel erhoben habe. In den Gründen ist ausgeführt, es ergebe sich aus § 44 Abs 4 SGB X, dass der Anspruch der Klägerin auf Rentenzahlung erst ab Januar 2005 bestehe. Diese Vorschrift werde hier nicht durch eine Spezialregelung verdrängt. Denn gemäß § 3 Abs 1 S 1 ZRBG sei ein Rentenbeginn zum 1.7.1997 nur für bis zum 30.6.2003 gestellte Rentenanträge möglich; dies komme für die Klägerin aber bereits aufgrund ihres Lebensalters ohnehin nicht in Betracht. Aus ihrem ursprünglichen (fristgerechten) Rentenantrag vom Oktober 2002 könne sie wegen der bestandskräftigen Ablehnung, die nach § 77 SGG bindend geworden sei, nichts mehr herleiten. Entscheidend sei daher allein der außerhalb der Frist von ihr gestellte Überprüfungsantrag. Es verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass Verfolgte, deren ursprünglicher (fristgemäßer) Rentenantrag noch nicht bestandskräftig abgelehnt worden sei, regelmäßig unter Berücksichtigung der Urteile des BSG vom Juni 2009 Rente ab dem 1.7.1997 bezögen, während im Rahmen von Überprüfungsbescheiden Verfolgte immer nur rückwirkend für die letzten vier Kalenderjahre Rente erhielten, wenn ihr ursprünglicher Rentenantrag zuvor bindend abgelehnt worden sei.

7

Mit ihrer vom SG zugelassenen Sprungrevision, deren Einlegung die Beklagte zugestimmt hat, rügt die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung vom 1.7.2011 eine Verletzung von § 3 Abs 1 ZRBG, von § 99 Abs 1 SGB VI und von Art 3 Abs 1 GG. Zu Unrecht gehe das SG davon aus, dass § 44 Abs 4 SGB X den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung der Rente ab dem 1.7.1997 ausschließe. Dem stehe hier die spezialgesetzliche Rückwirkungsregelung in § 3 Abs 1 ZRBG entgegen, nach der ein bis zum 30.6.2003 gestellter Antrag als am 18.6.1997 gestellt gelte. Zudem verletze die Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X den allgemeinen Gleichheitssatz, denn bei einem vergleichbaren Verfolgungsschicksal sei eine Differenzierung des Rentenbeginns nach dem Zeitpunkt der Antragstellung nicht vertretbar(Hinweis auf das Senatsurteil vom 3.5.2005 - B 13 RJ 34/04 R). Ebenso wenig sei dies mit der Intention des Gesetzgebers vereinbar, durch das ZRBG eine letzte Lücke im Recht der Wiedergutmachung zu schließen. Der Entschädigungsgedanke gebiete es vielmehr, für die Neufeststellung von ZRBG-Renten den Rentenbeginn auf den 1.7.1997 festzulegen.

8

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. April 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 30. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. August 2010 zu verurteilen, die Regelaltersrente bereits ab 1. Juli 1997 zu gewähren sowie die Nachzahlung zu verzinsen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10

Sie hält an ihren Entscheidungen fest und verteidigt das angefochtene Urteil.

11

Im Revisionsverfahren hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 21.2.2012 mitgeteilt, es sei nicht mehr aufklärbar, wann genau der Bescheid vom 28.6.2004 der Klägerin bekanntgegeben worden sei; ihm selbst liege er nicht vor. Dem ist die Beklagte mit dem Hinweis entgegengetreten, dass die Klägerin den Zugang dieses Bescheids bislang nicht in Abrede gestellt habe. Hierauf hat ihr Prozessbevollmächtigter im Schriftsatz vom 3.5.2012 "vorsorglich bestritten", dass der Bescheid vom 28.6.2004 der Klägerin wirksam bekanntgegeben worden sei. Diese sei in dem früheren Verfahren nicht von ihm vertreten worden. Das Urteil des SG erwähne den Bescheid zwar, thematisiere dessen Zustellung jedoch nicht. Wenn dem Urteil zufolge die Klägerin kein Rechtsmittel gegen jenen Bescheid eingelegt habe, spreche dies dafür, dass der Bescheid ihr nicht bekanntgegeben worden sei. Daraus folge, dass der Rentenantrag vom Oktober 2002 noch nicht rechtskräftig abgelehnt und § 44 SGB X hier ohne Bedeutung sei.

12

Die Beklagte ist demgegenüber der Meinung, das SG sei sowohl in der Sachverhaltsdarstellung als auch in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils davon ausgegangen, dass der Erstantrag mit Bescheid vom 28.6.2004 wirksam abgelehnt worden sei. Da die Klägerin dies nicht fristgerecht mit Rügen angegriffen habe, müsse im Revisionsverfahren dieser Sachverhalt zugrunde gelegt werden. Entsprechend habe der 5. Senat des BSG im Urteil vom 8.2.2012 zu dem im Wesentlichen gleich gelagerten Verfahren B 5 R 76/11 R entschieden. Wenn der erkennende Senat dies hier anders sehen wolle, liege ein Fall der Divergenz vor. Im Übrigen verweist die Beklagte darauf, dass der Prozessbevollmächtigte - anders als er es nunmehr darstelle - die Klägerin schon im ersten Verwaltungsverfahren vertreten habe.

13

Auf einen Hinweis des Senats hat der Prozessbevollmächtigte eine persönliche Stellungnahme der Klägerin vorgelegt. Ihre handschriftlich abgefasste Erklärung vom 8.8.2012 hat folgenden Wortlaut: "To your request I checked once again all of my papers and could not find any of a negative decision of the German Social Security dated 28.06.2004. I hereby declare that I can not remember ever to have received any of this notification."

Entscheidungsgründe

14

Die Sprungrevision der Klägerin hat im Sinne der Aufhebung des SG-Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 S 2, Abs 4 S 1 SGG). Auf der Grundlage der vom SG getroffenen Feststellungen kann der Senat über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vom 30.3.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.8.2010 nicht abschließend entscheiden.

15

1. Die Revision ist zulässig. Das SG hat dieses Rechtsmittel in seinem Urteil ausdrücklich zugelassen und die Klägerin hat die schriftliche Zustimmung der Beklagten zur Einlegung der Sprungrevision im Original rechtzeitig vorgelegt (§ 161 Abs 1 SGG). Auch ihre Revisionsbegründung genügt noch den Anforderungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Die Klägerin hat einen bestimmten Antrag gestellt, die ihrer Meinung nach verletzten Rechtsnormen konkret bezeichnet und zudem dargelegt, warum sie die Ausführungen des SG zur Anwendbarkeit des § 44 Abs 4 SGB X im Hinblick auf § 3 Abs 1 ZRBG und Art 3 Abs 1 GG für rechtsfehlerhaft halte. Dass sie dabei Argumente und Formulierungen aus anderen sozialgerichtlichen Entscheidungen übernommen hat, ist unschädlich.

16

2. Bei der Entscheidung über die zulässige Revision hat der Senat in vollem Umfang und grundsätzlich unabhängig von den vorgetragenen Revisionsgründen (§ 202 SGG iVm § 557 Abs 3 ZPO - vgl Lüdtke in ders, SGG, 4. Aufl 2012, § 170 RdNr 3; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 170 RdNr 7; s auch May, Die Revision, 2. Aufl 1997, Kap VI RdNr 265 ff, 279 ff, 429 f) zu überprüfen, ob sich auf der Grundlage der im SG-Urteil festgestellten Tatsachen die dort ausgesprochene Rechtsfolge - Abweisung der Klage als unbegründet, weil der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 30.3.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.8.2010 rechtmäßig sei - herleiten lässt. Der Prüfungsumfang ist lediglich insofern beschränkt, als im Rahmen der Sprungrevision eventuelle Mängel im Verfahren des SG unbeachtlich sind (§ 161 Abs 4 SGG). Zudem ist das Revisionsgericht an die im Urteil des SG enthaltenen tatsächlichen Feststellungen gebunden (§ 163 SGG).

17

Nach diesen Maßstäben kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtmäßig sind.

18

a) Der in ihnen festgesetzte Beginn der Regelaltersrente der Klägerin aufgrund von Beitragszeiten nach dem ZRBG rückwirkend erst ab dem 1.1.2005 wäre allerdings rechtmäßig, wenn die Ablehnung einer solchen Altersrente im vorangegangenen Bescheid der Beklagten vom 28.6.2004 gegenüber der Klägerin bindend geworden wäre. In diesem Fall wäre ihr erneuter Rentenantrag vom 16.7.2009 als Überprüfungsantrag nach Maßgabe des § 44 SGB X zu beurteilen und könnte nach Korrektur der ursprünglich ablehnenden Entscheidung eine Rentenzahlung für zurückliegende Zeiträume nur unter den in § 44 Abs 4 SGB X genannten, in den angefochtenen Bescheiden umgesetzten zeitlichen Einschränkungen erfolgen(Senatsurteil vom 7.2.2012, zur Veröffentlichung in BSGE 110, 97 = SozR 4-5075 § 3 Nr 2 vorgesehen, sowie Urteil des 5. Senats vom 8.2.2012, zur Veröffentlichung in SozR 4-5075 § 3 Nr 1 vorgesehen).

19

b) Der erkennende Senat ist entgegen der Rechtsmeinung der Beklagten aufgrund der Regelung in § 163 SGG jedoch nicht gehalten, seiner Entscheidung zugrunde zu legen, dass nach den Ausführungen im SG-Urteil der ablehnende Bescheid vom 28.6.2004 gegenüber der Klägerin bindend geworden sei.

20

aa) Nach § 163 SGG ist das BSG nur an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen "tatsächlichen Feststellungen" gebunden; Einschränkungen der Entscheidungskompetenz des Revisionsgerichts in Bezug auf die Rechtsanwendung enthält die Vorschrift dagegen nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 163 RdNr 2; s auch May, aaO Kap VI RdNr 429 f, zur Subsumtion des Sachverhalts unter eine Rechtsnorm als revisionsgerichtlich zu überprüfende Rechtsanwendung; zum Ganzen s auch BSG SozR 3-4100 § 64 Nr 3 S 17 f).

21

bb) Um Rechtsanwendung - mithin um eine revisionsgerichtlich zu überprüfende rechtliche Bewertung - handelt es sich bei der Aussage im SG-Urteil, die Ablehnung des ursprünglichen Rentenantrags der Klägerin vom Oktober 2002 sei "bestandskräftig" bzw "nach § 77 SGG bindend". Dabei hat die Rechtsfolge der Bindung an die in einem Verwaltungsakt getroffenen Regelungen gemäß § 77 SGG zur Voraussetzung, dass ein wirksamer Verwaltungsakt existiert, gegen den der Betroffene einen gegebenen Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt hat. Um diesen vom SG für zutreffend erachteten Subsumtionsschluss revisionsgerichtlich beurteilen zu können, bedarf es hinreichender tatsächlicher Feststellungen zu beiden Tatbestandsmerkmalen, nämlich dass (1) nach amtlicher Bekanntgabe einer behördlichen Entscheidung (§§ 31, 37 SGB X)(2) der davon Betroffene Rechtsbehelfe nicht oder erfolglos eingelegt hat (s hierzu BSG vom 31.1.2012 - SozR 4-2700 § 112 Nr 1 RdNr 28, 46).

22

cc) Entsprechende Feststellungen enthält das angefochtene SG-Urteil nicht in ausreichendem Umfang.

23

Im Tatbestand ist zwar (auf S 2) ausgeführt, die Klägerin habe gegen den "Bescheid vom 28.6.2004 … keine Rechtsmittel" erhoben. Es finden sich aber keine Anhaltspunkte tatsächlicher Art, die den Schluss darauf zulassen, dass dieser Bescheid der Klägerin bekanntgegeben und somit existent wurde. Nichts anderes folgt aus den Entscheidungsgründen des SG-Urteils, die ebenfalls Feststellungen im Sinne von § 163 SGG enthalten können(vgl BSG vom 10.8.2000 - B 11 AL 83/99 R - Juris RdNr 21; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 12 RdNr 9). Hier ist lediglich (auf S 5) vermerkt, die Klägerin habe "den Überprüfungsantrag 2009 gestellt".

24

Zwar mag dann, wenn an der Bekanntgabe eines Bescheids weder nach dem Akteninhalt noch nach dem Vorbringen der Beteiligten irgendwelche Zweifel bestehen, die Aussage, die Behörde habe "mit Bescheid vom …." eine bestimmte Regelung getroffen, im Gesamtzusammenhang als noch ausreichende Feststellung auch zur erfolgten Bekanntgabe dieses Bescheids an den Betroffenen hingenommen werden. Eine solche (pragmatische) Handhabung vermeidet der Prozessökonomie zuwiderlaufende Zurückverweisungen bei letztlich doch klarem Sachverhalt; sie ist jedoch ausgeschlossen, wenn aufgrund konkreter Umstände begründete Zweifel an der tatsächlichen Bekanntgabe des Bescheids bestehen.

25

Dies ist hier der Fall. Denn den Verwaltungsakten der Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass der Bescheid vom 28.6.2004 den Machtbereich der Beklagten verlassen und die Klägerin erreicht hat. Weder trägt der Entwurf des Bescheids einen Absendevermerk noch enthält die Akte das in anderen Fällen bei der Beklagten verwandte gesonderte Verfügungsblatt (Formblatt V0-60) mit detaillierten Anordnungen zur Art der Übermittlung des Bescheids und Angaben zum Tag der Erledigung. Ebenso wenig befindet sich ein Rückschein bei den Akten. Diese enthalten mithin - abgesehen von dem von der Sachbearbeiterin am 25.6.2004 abgezeichneten Entwurf des Bescheids vom 28.6.2004 - keinerlei Indizien, aus denen geschlossen werden kann, dass dieser Bescheid abgesandt worden wäre und die Klägerin in Israel oder ihren Bevollmächtigten in Deutschland erreicht hätte.

26

In einer solchen Situation kann der Angabe im SG-Urteil, die Klägerin habe gegen den "Bescheid vom 28.6.2004 (…) keine Rechtsmittel" erhoben, nicht - auch nicht inzident - die Feststellung entnommen werden, dass ihr dieser Bescheid bekanntgegeben worden sei. Zwar wird ein Verwaltungsakt erst durch Bekanntgabe an mindestens einen Betroffenen rechtlich existent (§ 39 Abs 1 SGB X - s hierzu Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 39 RdNr 3; Engelmann ebenda, § 37 RdNr 3 mwN). Dennoch kann nicht allein aus der Erwähnung eines Bescheids in einem Gerichtsurteil darauf geschlossen werden, dass dieser auch ordnungsgemäß bekanntgegeben wurde. Entsprechendes gilt für die Feststellung, dass kein Rechtsmittel eingelegt wurde, denn das Fehlen eines Rechtsbehelfs ist auch dann zu erwarten, wenn kein Bescheid zugegangen ist.

27

Ebenso verhält es sich mit der Bemerkung in den Entscheidungsgründen des SG-Urteils, die Klägerin habe im Jahr 2009 einen "Überprüfungsantrag" gestellt. Hieraus ergeben sich nicht einmal ansatzweise tatsächliche Feststellungen zur Bekanntgabe des Bescheids vom 28.6.2004. Zudem handelt es sich bei der Einordnung als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X um eine rechtliche Bewertung, die sich überdies nicht zwingend aus der im Tatbestand des SG-Urteils wiedergegebenen Feststellung ergibt, die Klägerin habe am 16.7.2009 "erneut die 'Anerkennung einer Altersrente' rückwirkend ab Juli 1997" beantragt.

28

dd) Der Senat kann die Bewertung treffen, dass das hier angefochtene SG-Urteil keine das Revisionsgericht bindenden Feststellungen zur Bekanntgabe des ablehnenden Bescheids der Beklagten enthält, ohne zuvor beim 5. Senat des BSG anzufragen, ob er an der seinem Urteil vom 8.2.2012 (B 5 R 76/11 R) zugrunde liegenden Rechtsauffassung festhalte (vgl § 41 Abs 2, Abs 3 S 1 SGG).

29

Der 5. Senat hat in diesem Urteil ausgeführt (RdNr 12 f):

"Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung von Regelaltersrente bereits ab 1.7.1997 nicht zu.

Dies ergibt sich allerdings nur auf der Grundlage der für das Revisionsgericht verbindlichen Feststellungen des SG (vgl § 163 SGG). Danach hat die Klägerin den Ablehnungsbescheid vom 5.1.2004 nicht angefochten, sodass dieser bestandskräftig geworden ist und sich der geltend gemachte Anspruch nach § 44 SGB X richtet. Demgegenüber kommt auf der Grundlage der Verwaltungsakte der Beklagten durchaus in Betracht, dass der Bescheid vom 5.1.2004 der Klägerin nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden sein könnte. Allerdings hat sich die Beklagte der vom Senat angeregten Prüfung einer damit in Erwägung zu ziehenden Erstentscheidung über den Rentenantrag der Klägerin verweigert."

30

Anders als die Beklagte meint, weicht der erkennende Senat mit seiner Entscheidung nicht im Sinne des § 41 Abs 2 SGG von dem genannten Urteil des 5. Senats ab. Selbst wenn Umfang und Inhalt der Feststellungen zum Sachverhalt in dem dort zugrunde liegenden SG-Urteil (Urteil des SG Düsseldorf vom 19.4.2011 - S 15 R 1465/10 - Juris) und in dem hier angefochtenen Urteil im Wesentlichen übereinstimmen sollten, ist keine Rechtsprechungsabweichung zu besorgen. Denn eine Divergenz im vorgenannten Sinne liegt nur vor, wenn eine Abweichung in einer Rechtsfrage revisiblen Rechts beabsichtigt ist und dies in einem divergierenden (abstrakten) Rechtssatz zum Ausdruck kommt (BSG BSGE 58, 183, 186 f = SozR 1500 § 42 Nr 10 S 14). Wenn sich hingegen - wie hier - lediglich im Einzelfall aufgrund der jeweils konkreten Sachverhalte (vgl BSG aaO) unterschiedliche (Subsumtions-)Ergebnisse bei der Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten Rechtssatzes ergeben, ist kein Verfahren nach § 41 SGG durchzuführen.

31

Die oben wiedergegebenen Ausführungen des 5. Senats enthalten bereits keinen generellen Rechtssatz zur Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts - hier: des § 163 SGG. Es handelt sich vielmehr um die Mitteilung des Ergebnisses eines Subsumtionsschlusses, nämlich dass nach Meinung des 5. Senats das SG Düsseldorf in dem Urteil S 15 R 1465/10 die Revisionsinstanz bindende Feststellungen - "vgl § 163 SGG" - getroffen habe, und damit um eine ganz wesentlich von den jeweils konkreten Umständen des Einzelfalls (insbesondere von der Gewichtigkeit der nach jeweiliger Aktenlage bestehenden Zweifel an einer Bekanntgabe des Bescheids - s oben unter cc) geprägte Aussage. Eine Divergenz käme lediglich dann in Betracht, wenn der Entscheidung des 5. Senats ein Rechtssatz des Inhalts entnommen werden könnte, dass die Feststellung der Vorinstanz, ein Bescheid sei nicht angefochten worden, stets und zwingend (unabhängig vom jeweils konkret zugrunde liegenden Sachverhalt) auch die bindende Feststellung einer wirksamen Bekanntgabe dieses Bescheids enthalte, oder dass das Revisionsgericht entgegen dem Wortlaut von § 163 SGG auch an rechtliche Schlussfolgerungen der Vorinstanz gebunden sei. Beides ist hier jedoch ersichtlich nicht der Fall.

32

3. Ohne ausreichende Feststellungen dazu, ob der Bescheid vom 28.6.2004 der Klägerin bekanntgegeben wurde, kann der Senat nicht entscheiden, ob zu Lasten der Klägerin die Vier-Jahres-Grenze des § 44 Abs 4 SGB X für rückwirkende Rentenzahlungen anzuwenden ist. Das Urteil des SG mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen ist deshalb aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Tatsacheninstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

33

Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits ist nicht etwa deshalb entbehrlich, weil sich die Entscheidung des SG unabhängig von einer Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X aus anderen Gründen als zutreffend darstellt(§ 170 Abs 1 S 2 SGG). Insbesondere ist die Klage auf Zahlung von Altersrente für den Zeitraum von Oktober 1997 bis Dezember 2004 nicht bereits aufgrund Verjährung (§ 45 SGB I) abzuweisen. Es ist schon nicht festgestellt, dass die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hätte (vgl BSGE 79, 177, 179 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6 S 21). Im Übrigen war die Verjährung aufgrund des schriftlichen Antrags der Klägerin auf die Rentenleistung vom Oktober 2002 gemäß § 45 Abs 3 SGB I(idF der ab 1.1.2002 geltenden Fassung von Art 5 Nr 3 des Gesetzes vom 21.6.2002, BGBl I 2167) gehemmt; die Hemmung endete frühestens sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag. Zusätzlicher "mahnungsähnlicher Handlungen" gegenüber einer längere Zeit untätig gebliebenen Behörde bedurfte es nicht (vgl BSG SozR 3-1200 § 45 Nr 1 S 3 f sowie - in Abgrenzung hiervon - zum Recht der abschnittsweise zu bewilligenden Arbeitslosenhilfe BSG SozR 3-1200 § 45 Nr 9; zu einer ähnlichen Konstellation s auch Senatsurteil vom 19.4.2011 - SozR 4-6480 Art 27 Nr 1 RdNr 35, 38).

34

Der Senat macht nach pflichtgemäßem Ermessen von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache angesichts des Lebensalters der Klägerin zur beschleunigten abschließenden Erledigung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 4 S 1 SGG).

35

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Darlegungsanforderungen im Rahmen eines Klageerzwingungsverfahrens gemäß § 172 StPO.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin ist die Schwester eines zum Tatzeitpunkt 29 Jahre alten Mannes, der psychisch erkrankt war (im Folgenden: Geschädigter). Am 19. Dezember 2013 kam es in der Wohnung des Geschädigten zu einer Auseinandersetzung zwischen diesem und weiteren Mitgliedern der Familie. Die Beschwerdeführerin kontaktierte die Einsatzleitstelle der Polizei und berichtete, der Geschädigte habe Familienmitglieder mit einem Hammer und einem Messer bedroht. Daraufhin begaben sich Polizeibeamte zur Wohnung des Geschädigten. Nachdem sie mit Familienmitgliedern gesprochen hatten, zogen sie einen besonders ausgebildeten Beamten einer Verhandlungsgruppe hinzu. Die Beamten betraten die Wohnung und sprachen mit dem Geschädigten. Im Laufe des Gesprächs verhielt sich dieser nach dem Eindruck der Beamten zunehmend aggressiv. Schließlich zog er unter seiner Weste ein etwa 15 Zentimeter langes Messer hervor. Die Beamten verließen deshalb die Wohnung und forderten ein Sondereinsatzkommando an, da sie von einer erheblichen Selbst- und Fremdgefährdung durch den Geschädigten ausgingen. Ziel war es, den Geschädigten in Gewahrsam zu nehmen.

3

Nachdem die Wohnungstür gewaltsam geöffnet worden war, betraten die örtlichen Beamten und das herbeigerufene Sondereinsatzkommando die Wohnung. Der Geschädigte hielt einen Hammer und das Messer in den Händen. Aufforderungen, beide Gegenstände abzulegen, kam er nicht nach. Da es den Beamten auch durch den wiederholten Einsatz einer Distanz-Elektroimpulswaffe nicht gelang, den Geschädigten handlungsunfähig zu machen, setzte der Hundeführer, der Zeuge S., einen Hund gegen den Geschädigten ein. Dieser biss in den linken Arm des Geschädigten, der den Hund jedoch mit dem Messer verletzte, sodass dieser von ihm abließ. Da der als Sicherungsschütze im Raum anwesende Beamte des Sondereinsatzkommandos, der spätere Beschuldigte, davon ausging, dass der Geschädigte nunmehr ihn selbst mit dem Messer angreifen werde, gab er zwei Schüsse ab, deren zweiter den Geschädigten traf und tödlich verletzte. Das vom Geschädigten benutzte Messer lag mit zerbrochener Klinge am Boden.

4

2. Die Staatsanwaltschaft H… führte daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts des Totschlags durch, das sie durch Bescheid vom 23. Oktober 2014 gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellte. Die Tötung des Geschädigten sei sowohl wegen Notwehr als auch aufgrund des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt. Sie sei erforderlich gewesen, um einen von dem Geschädigten ausgehenden Angriff abzuwehren. Die diesbezüglichen Angaben des Beschuldigten seien unter anderem durch den Zeugen S. bestätigt worden. Dieser habe ausgesagt, dass der Geschädigte das Messer noch in der Hand gehalten habe und dass dieses noch unbeschädigt gewesen sei. Die dagegen erhobene Beschwerde wies die Generalstaatsanwaltschaft C… durch Bescheid vom 16. Januar 2015 als unbegründet zurück. Die vom Geschädigten, der unmittelbar vor dem Schuss das noch einsatzfähige Messer in der Hand gehalten habe, ausgehende Gefährdung und damit die Notwehrlage, in der sich der Beschuldigte befunden habe, stünden durch die Ermittlungen fest.

5

3. Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin beim Oberlandesgericht C… einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO. Die 38seitige Antragsschrift referierte unter anderem die Inhalte der Bescheide der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft, gab Auszüge aus einem Gesprächsprotokoll wörtlich wieder und zitierte Einlassungen des Beschuldigten und mehrerer Zeugen. Diese Zitate enthielten mehrere Auslassungszeichen, die anzeigten, dass einzelne Teile der protokollierten Angaben nicht wiedergegeben wurden.

6

Das Oberlandesgericht verwarf den Antrag durch Beschluss vom 16. September 2015 als unzulässig. Der Antrag genüge nicht den sich aus § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO ergebenden Begründungsanforderungen. Es fehle an relevantem Sachvortrag.

7

Der Antrag müsse das Gericht in die Lage versetzen, allein aufgrund der Antragsschrift ohne zusätzliches Studium von Anlagen oder der Verfahrensakten zu beurteilen, ob bei unterstellter Beweisbarkeit der vorgetragenen Tatsachen ein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bestehe. Dazu bedürfe es einer vollständigen, in sich geschlossenen und aus sich heraus verständlichen Sachdarstellung, die dem Gericht ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten, Beiakten oder Anlagen die Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsentscheidung ermögliche. Zudem dürfe der Zweck des Klageerzwingungsverfahrens nicht darauf verkürzt werden, den Oberlandesgerichten eine bloße Aufsicht über die Richtigkeit der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsbescheide zu überantworten. Vielmehr komme es für die gerichtliche Kontrolle darauf an, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts nach dessen Sicht ein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bestehe. Der Antrag dürfe neben den Umständen, die eine Klageerhebung begründen könnten, daher auch diejenigen Umstände nicht verschweigen, die einen hinreichenden Tatverdacht zu Fall bringen könnten. Dazu gehöre auch, dass Zeugenaussagen nicht durch Auslassungen von entlastenden Inhalten verfälscht wiedergegeben würden.

8

Zwar enthalte der Antrag eine nahezu geschlossene und verständliche Darstellung des Sachverhalts. Er verschweige jedoch wesentliche entlastende Umstände. Die Antragsschrift hinterfrage, ob der Geschädigte bei Abgabe des tödlichen Schusses noch ein Messer in der Hand gehalten habe. Später trage sie weiter vor, dass das Messer bereits durch den ersten vom Beschuldigten abgegebenen Schuss zerstört worden sei. Da dies eine Notwehrlage ausschließen solle, handele es sich erkennbar um einen zentralen Punkt des Antrags. Insofern gebe dieser zwar auch die Aussage des Zeugen S. wörtlich wieder. Danach habe die Zielperson das Messer noch in der rechten Hand gehalten und nach vorn in Richtung der Kollegen gerichtet. Während der Zeuge auf dem Weg zu seinem Hund gewesen sei, habe er den zweiten Schuss gehört. In diesem Zusammenhang verschweige der Antrag aber, dass der Zeuge auch geäußert habe, dass er besonders auf die Waffenhand geachtet habe. Das Messer sei ein spitzes Messer mit Wellenschliff gewesen. Es sei zu diesem Zeitpunkt völlig in Ordnung gewesen. Dies stelle für die Beurteilung, ob eine Notwehrlage vorgelegen habe, ein so bedeutsames Indiz dar, dass dieser Teil der ansonsten wörtlich wiedergegebenen Aussage des Zeugen habe mitvorgetragen werden müssen. Keiner der anderen Zeugen habe mit Bestimmtheit sagen können, ob das Tatopfer bei Abgabe des zweiten Schusses das Messer noch in der Hand gehalten habe. Habe die Antragstellerin den Weg der wörtlichen Wiedergabe einer Zeugenaussage gewählt, habe sie Umstände, die ihrem Antragsziel und ihrer Auffassung zuwiderlaufen könnten, nicht auslassen dürfen.

II.

9

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Die Antragsschrift habe stets darauf hingewiesen, dass nicht abschließend geklärt sei, ob der Geschädigte zum Zeitpunkt des Schusses noch ein intaktes Messer in der Hand gehalten habe. Die Einlassung des Beschuldigten selbst sei vollständig, die Aussage des Zeugen S. ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben worden. Es sei unzutreffend, dass entlastende Umstände nicht vorgetragen worden seien. Die nicht angeführte Passage sei als unwesentliche Sachverhaltsdarstellung zu betrachten. Ihre Wiedergabe sei für eine Schlüssigkeitsprüfung nicht erforderlich gewesen. Es sei nicht verschwiegen worden, dass der Geschädigte nach der Aussage des Zeugen S. das Messer nach Abgabe des ersten Schusses noch in der rechten Hand gehalten habe. Das Oberlandesgericht versuche, durch willkürliche Auslegung strafprozessualer Normen ohne sachlichen Grund das Verfahren zu beenden.

III.

10

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine Annahme liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

11

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG in dessen Ausprägung als Willkürverbot rügt. Insoweit genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen an ihre Begründung. Sie ist nicht hinreichend substantiiert, da aus ihrer Begründung nicht hervorgeht, inwiefern das Oberlandesgericht eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder den Inhalt der Norm in krasser Weise missdeutet haben könnte und sich der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. zu diesem Maßstab BVerfGE 18, 85 <93>; 80, 48 <51>; 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>; stRspr).

12

2. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, aber unbegründet.

13

a) Nach Art. 19 Abs. 4 GG darf der Zugang zu den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 <275>; 78, 88 <99>; 88, 118 <124>). Dies muss auch der Richter bei der Auslegung prozessualer Normen beachten. Er darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>; 96, 27 <39>). Formerfordernisse dürfen nicht weiter gehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt (vgl. BVerfGE 88, 118 <125>; BVerfGK 14, 211 <214>). Dies gilt auch für die Darlegungsanforderungen nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214>).

14

Es begegnet vor diesem Hintergrund keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt. Denn diese Darlegungsanforderungen sollen die Oberlandesgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäße und unsubstantiierte Anträge bewahren und in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>).

15

Die Darlegungsanforderungen dürfen allerdings nicht überspannt werden, sondern müssen durch den Gesetzeszweck geboten sein. Eine Obliegenheit des Antragstellers, sich durch Akteneinsicht Kenntnis von der vollständigen Einlassung eines Beschuldigten oder Zeugen zu verschaffen und diese sodann auch vollständig mitzuteilen, besteht grundsätzlich nicht (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>). Muss nach dem auch vom Oberlandesgericht angelegten einfachgesetzlichen Maßstab die Schlüssigkeitsprüfung allein auf Grundlage der Antragsschrift möglich sein, kann dem Antragsteller nicht entgegengehalten werden, dass sich nach Durchsicht der Ermittlungsakten gezeigt habe, dass die Antragsschrift nicht den wesentlichen Inhalt der Ermittlungsergebnisse wiedergebe (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2015 - 2 BvR 912/15 -, juris, Rn. 35). Etwas anderes gilt aber, wenn der Antrag auf gerichtliche Entscheidung maßgeblich auch mit Inhalten aus den Ermittlungsakten begründet wird. In diesem Fall ist der Antragsteller gehalten, soll die vom Gesetzgeber implizit vorgesehene und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Schlüssigkeitsprüfung allein auf der Grundlage des gestellten Antrags (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>) nicht unterlaufen werden, zumindest den wesentlichen Inhalt der Beweismittel mitzuteilen, aus denen er auszugsweise vorträgt oder gar zitiert. Bei einer nur selektiven, im Einzelfall vielleicht sogar sinnentstellenden Wiedergabe von Teilen der Einlassung des Beschuldigten oder eines Zeugen kann ein unzutreffendes Bild vom Ermittlungsergebnis entstehen, das nicht ohne Weiteres wieder berichtigt werden kann. Soweit dies den Antragsteller verpflichtet, gegebenenfalls auch Umstände vorzutragen, welche den Beschuldigten entlasten könnten, ist dies hinzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 2015 - 2 BvR 987/11 -, juris, Rn. 34).

16

b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung jedenfalls im Ergebnis gerecht.

17

aa) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin stellt das Oberlandesgericht nicht entscheidend darauf ab, dass die Antragsschrift nicht die erforderliche Schlüssigkeitsprüfung erlaube. Zwar verhält sich das Oberlandesgericht dazu nicht ausdrücklich; es legt aber dar, dass der Antragsschrift eine nahezu geschlossene und verständliche Darstellung des Sachverhalts zu entnehmen sei. Dies impliziert nach dem vom Oberlandesgericht angelegten einfachgesetzlichen Maßstab, dass eine Schlüssigkeitsprüfung allein auf Grundlage der Antragsschrift und ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten möglich ist. Aus der weiteren Begründung des angegriffenen Beschlusses geht hervor, dass das Oberlandesgericht ausschließlich bemängelt, dass die Antragsschrift aus den Angaben des Zeugen S. nur selektiv zitiere. Damit bezieht sich das Oberlandesgericht erkennbar auf den weiteren Aspekt des in der Entscheidung angeführten einfachgesetzlichen Maßstabs, wonach entlastende Umstände nicht verschwiegen werden dürften. Bei verständiger Würdigung der angegriffenen Entscheidung begibt sich das Oberlandesgericht auch nicht in den - verfassungsrechtlich bedenklichen - Widerspruch, einerseits die Möglichkeit einer Schlüssigkeitsprüfung allein auf Grundlage der Antragsschrift zu fordern, andererseits aber unter Hinweis auf die Ermittlungsakten anzunehmen, die Antragsschrift gebe nicht das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen wieder.

18

bb) Zu den tragenden Erwägungen der angegriffenen Entscheidung gehört der Umstand, dass die Antragsschrift eine den Beschuldigten entlastende Einlassung des Zeugen S. nicht wiedergegeben habe. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Allerdings begegnet der vom Oberlandesgericht insofern angelegte einfachgesetzliche Maßstab mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlichen Bedenken.

19

(1) Der Zweck des Klageerzwingungsverfahrens darf nicht darauf verkürzt werden, den Oberlandesgerichten eine bloße Aufsicht über die Richtigkeit der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsbescheide zu überantworten. Für die gerichtliche Kontrolle im Klageerzwingungsverfahren kommt es vielmehr darauf an, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung aus der Sicht des Oberlandesgerichts genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht.

20

Verlangt das Gericht für die Zulässigkeit des Antrags eine Wiedergabe der Ermittlungsergebnisse auch dann, wenn diese für die in den Bescheiden der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft dokumentierten Entscheidungen keine Rolle spielen und sich die Antragsschrift auch im Übrigen nicht auf die Ermittlungsakten bezieht, so verfehlt dies die norminternen Direktiven der Rechtsschutzgarantie in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise.

21

Im Lichte von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG interpretiert, gestattet § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO allerdings, dass die Oberlandesgerichte in die Lage versetzt werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Um sie vor einer Überlastung durch unsachgemäße und unsubstantiierte Anträge zu bewahren, kann für einen zulässigen Antrag gefordert werden, dass die Antragsschrift in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergibt sowie eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthält, der bei Unterstellung eines hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigt. Entlastende Umstände, auf die sich auch Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft nicht stützen und deren Angabe nicht erforderlich ist, um das Ermittlungsverfahren in groben Zügen darzustellen, sind für eine Schlüssigkeitsprüfung insoweit nicht unentbehrlich.

22

Der wesentliche Inhalt eines Beweismittels, der in den staatsanwaltschaftlichen Bescheiden keine Rolle spielt, muss nur dann dargestellt werden, wenn die Antragsschrift auf die Ermittlungsakten zurückgreift, insbesondere weil sie auf diesem Weg das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts aufzeigen möchte. In diesem Fall kann eine selektive Wiedergabe dem Zweck des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO zuwiderlaufen. Gelingt es der Antragsschrift aber, die Unrichtigkeit der staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen darzustellen und auf der Grundlage der dort verarbeiteten Ermittlungsergebnisse schlüssig das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts zu belegen, ist diesem Zweck Genüge getan. Anders als das Oberlandesgericht meint, ist die Frage, ob aus seiner Sicht genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht, keine Voraussetzung für den Zugang des Antragstellers zu Gericht, sondern für die Anklageerhebung (§§ 170, 174 StPO). Dass sich aus den Ermittlungen insgesamt ein hinreichender Tatverdacht ergibt, darf daher nicht zu einer Voraussetzung der Zulässigkeit des Antrags gemäß § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO gemacht werden.

23

(2) Die Anwendung von § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO im vorliegenden Fall genügt vorliegend jedoch den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Beschwerdeführerin hatte sich dazu entschieden, die Einlassungen des Beschuldigten und der Zeugen in der Antragsschrift wiederzugeben, und dabei umfangreich auf Inhalte der Ermittlungsakten zurückgegriffen. Sie war daher gehalten, zumindest den wesentlichen Inhalt der Beweismittel mitzuteilen, um eine nur selektive und dadurch gegebenenfalls sinnentstellende Darstellung der Ermittlungsergebnisse zu verhindern.

24

Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Antragsschrift gebe insoweit nicht den wesentlichen Inhalt der Ermittlungsergebnisse wieder, verfassungsrechtlich noch vertretbar. Die Antragsschrift gibt unter anderem die Angaben des Zeugen S. wieder, der als einziger etwas darüber aussagen konnte, ob der Geschädigte das Messer bei Abgabe des zweiten Schusses noch in der Hand hielt. Bei der Wiedergabe dieser Aussage hat sie die vom Oberlandesgericht hervorgehobenen Passagen jedoch ausgelassen, obwohl für die Beschwerdeführerin Anlass bestanden hätte, insofern vollständig vorzutragen. Der Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft schildert insoweit, dass der Beschuldigte der Auffassung gewesen sei, schießen zu müssen, weil der Geschädigte das noch unbeschädigte Messer in der erhobenen rechten Hand gehalten und so den Eindruck erweckt habe, angreifen zu wollen. Der Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft greift die Aussage des Zeugen S. auf, wonach das Messer in der Hand des Geschädigten unbeschädigt gewesen sei. Dagegen behauptet die Antragsschrift, zusätzliche Ermittlungen hätten zeigen können, dass das Messer durch den ersten Schuss bereits zerstört worden sei und der Geschädigte zum Zeitpunkt des zweiten Schusses das Messer nicht mehr in der Hand gehalten habe. Dieser Umstand ist maßgeblich für die rechtliche Erwägung, dass die Tötung des Geschädigten durch Notwehr gerechtfertigt war. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dabei handele es sich um einen den Beschuldigten entlastenden Umstand von solchem Gewicht, dass er neben den diesen belastenden Aspekten nicht habe verschwiegen werden dürfen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche zeigt auch die Beschwerdeführerin nicht auf.

25

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussichten auf Erfolg.

2

1. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die gerichtliche Versagung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Klageerzwingungsverfahrens, um, soweit dies überhaupt ersichtlich wird, einer Strafanzeige gegen mehrere Ministerialbeamte, welchen die Beschwerdeführerin strafbares Handeln wegen Geldwäsche (§ 261 StGB) vorwirft, zum Erfolg zu verhelfen. Nachdem die Staatsanwaltschaft Berlin mit Bescheid vom 7. Mai 2014 und die Generalstaatsanwaltschaft Berlin mit Bescheid vom 6. Juni 2014 das Ermittlungsverfahren eingestellt haben, hat das Kammergericht mit Beschluss vom 25. Juli 2014 den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig verworfen. Mit Beschluss vom 18. September 2014 hat es auch die hiergegen erhobene Gehörsrüge als unzulässig verworfen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG geltend.

3

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unzulässig, weil ihre Begründung keinen nachvollziehbaren Sachverhalt mitteilt (§ 23 Abs. 1, § 92 BVerfGG).

4

3. In der Sache selbst hätte die Verfassungsbeschwerde auch keine Aussichten auf Erfolg haben können.

5

a) Zwar begegnen die Anforderungen, die das Kammergericht an einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Klageerzwingungsantrag gestellt hat, im Hinblick auf das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG Bedenken.

6

aa) Nach Art. 19 Abs. 4 GG darf der Zugang zu den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 <274>; 78, 88 <99>; 88, 118 <124>; BVerfGK 14, 211 <214>). Dies muss der Richter auch bei der Auslegung prozessualer Normen beachten. Er darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leer laufen lassen (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>; 96, 27 <39>). Formerfordernisse dürfen nicht weiter gehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt (vgl. BVerfGE 88, 118 <125>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. November 1999 - 2 BvR 1339/98 -, NJW 2000, S. 1027). Dies gilt auch für die Darlegungsanforderungen nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214>, m.w.N.).

7

bb) Soweit das Kammergericht unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung ausführt, dass der Antrag auf Prozesskostenhilfe auch mitteilen müsse, was bisher im Ermittlungsverfahren geschehen ist und was die Staatsanwaltschaft zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat (so Beschluss des KG vom 25. Juli 2014 - 3 Ws 377/14 -, S. 3), erscheint dies jedenfalls dann überzogen, wenn die Bescheide der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft insoweit keine Angaben enthalten und der Antragsteller diese Kenntnisse erst durch Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erlangen kann (§ 406e Abs. 1 StPO). Die bloße Erteilung von Auskünften, zu denen keine Einschaltung eines Rechtsanwalts erforderlich ist (vgl. § 406e Abs. 5 StPO), dürfte zur Erfüllung der vorgenannten Anforderungen nicht genügen. Wenn ein Antragsteller sich aber zur Begründung seines Antrags auf Prozesskostenhilfe eines Rechtsanwalts bedienen muss, widersprechen die aufgestellten Anforderungen an den Inhalt des Prozesskostenhilfeantrags offenkundig dem Sinn und Zweck des Prozesskostenhilfeverfahrens und stellen insoweit überzogene Anforderungen an den Zugang zu Gericht dar.

8

b) Auch soweit das Kammergericht beanstandet, dass sich dem Antragsvorbringen nicht entnehmen lasse, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich die Beschuldigten im Ermittlungsverfahren eingelassen hätten und ob Zeugen vernommen worden seien (Beschluss des KG vom 25. Juli 2014 - 3 Ws 377/14 -, S. 3), verstößt dies gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Wenn, wie vorliegend, nach den Feststellungen des Kammgerichts der Antragsteller den Inhalt der Bescheide von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft als solchen mitgeteilt hat, sind darüber hinausgehende Anforderungen an das Vorbringen in Prozesskostenhilfeverfahren nicht zumutbar, da die verlangten Kenntnisse erst nach erfolgter Akteneinsicht durch einen beigeordneten Rechtsanwalt erlangt werden können.

9

c) Die erst aus den Anlagen der vorliegenden Verfassungsbeschwerde feststellbare Verkennung der Bedeutung und Tragweite der Grundrechte, hier insbesondere des Art. 19 Abs. 4 GG, durch das Kammergericht ergibt letztlich jedoch keinen Anlass, die Verfassungsbeschwerde anzunehmen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil das Begehren der Beschwerdeführerin mangels Verletzteneigenschaft im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO im Ergebnis keinen Erfolg haben kann.

10

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

11

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Der Prüfung des Revisionsgerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge.

(2) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen auch diejenigen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, sofern sie nicht nach den Vorschriften dieses Gesetzes unanfechtbar sind.

(3) Das Revisionsgericht ist an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf das angefochtene Urteil nur geprüft werden, wenn die Mängel nach den §§ 551 und 554 Abs. 3 gerügt worden sind.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 4. November 2013 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Das LSG Niedersachsen-Bremen hat im Urteil vom 4.11.2013 einen Anspruch der im Jahr 1951 geborenen Klägerin auf Vormerkung weiterer Kindererziehungszeiten für ihre 1971 und 1974 geborenen Kinder verneint. Es hat darin in Auseinandersetzung mit einschlägiger Rechtsprechung des BVerfG ausführlich begründet, weshalb für Mütter vor dem 1.1.1992 geborener Kinder aus Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG über die Regelung in § 249 Abs 1 SGB VI hinaus kein aktuell durchsetzbarer Anspruch auf Berücksichtigung von mehr als zwölf Monaten an Kindererziehungszeiten herleitbar sei.

2

Zur Begründung der vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision trägt die Klägerin vor:

"Die Begründung erfolgt daraus, dass die derzeitige Verwaltungs- und Rechtslage der Verfassung widerspricht, den Grundgesetzartikeln 2 und 6 GG.

Es findet eine unberechtigte Differenzierung/Ungleichbehandlung zwischen Müttern statt, die Kinder vor 1992 und danach geboren haben.

Dies ist von grundsätzlicher Bedeutung, wobei mitgeteilt wird, dass sich die Auslegung von Verfassungsrecht (Grundgesetzartikeln) im Laufe der Zeit durch Veränderungen der Gesellschaft und anderen Einstellungen ändern kann - wie hier aus Sicht der Revisionsführerin gegeben.

Zwar sind in den 1990iger Jahren Entscheidungen des Bundessozialgerichts und des Bundesverfassungsgerichts dahingehend ergangen, dass keine Ungleichbehandlung vorliegt, dieses Denken bzw. diese Rechtsansicht ist aber im Wanken begriffen was sich daraus ergibt, dass das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in dem Urteil vom 04.11.2013 die Revision zugelassen hat.

Anzumerken sei auch, dass der Gesetzgeber ja im Begriff ist, wohl, Änderungen vorzunehmen, wenn denn eine Koalition zustande kommen sollte. Insoweit hat noch der Gesetzgeber die Ungleichbehandlung aufgegriffen, aber unzureichend in der Planung wohl aufgenommen, da immer noch keine völlige Gleichstellung der Rechtslage zwischen den "Alt-Müttern" und "Neu-Müttern" (also vor 1992 bzw. nach 1992) vorgesehen ist.

Deswegen wird gebeten, antragsgemäß zu erkennen.

Soweit weiterer Vortrag erforderlich sein sollte, wird um einen Hinweis gebeten."

3

Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der ergangenen Bescheide der Behörde und der Vordergerichte die Beklagte kostenpflichtig zu verurteilen, der Revisionsführerin Rentenanwartschaften für die vor 1992 geborenen leiblichen Kinder O. und S. Kindererziehungszeiten zuzuerkennen, wie für Kinder, die nach 1992 geboren sind.

4

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

da die Ausführungen in der Revisionsbegründung nicht einmal ansatzweise geeignet seien, den Erfordernissen des § 164 Abs 2 S 3 SGG Genüge zu tun.

5

II. Die Revision ist unzulässig (§ 169 SGG). Die Klägerin hat das Rechtsmittel nicht ausreichend begründet (§ 164 SGG).

6

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach Satz 3 dieser Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22; BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f - jeweils mwN; zustimmend bereits BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

7

Wendet sich die Revision - wie hier - dagegen, dass in der angefochtenen Entscheidung eine mit der Verfassung nicht vereinbare Vorschrift angewandt worden sei, ist in der Begründung näher darzulegen, weshalb ein Verstoß gegen das GG vorliegen soll. Der Revisionsführer muss sich dabei - zumindest kurz - mit den Gründen der Vorinstanz rechtlich auseinandersetzen; er muss erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Vorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; BSG vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 14; BSG vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10). Dafür bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 22 S 36 und Nr 28 S 44).

8

Dieses Formerfordernis soll im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der Revisionsführer bzw sein Prozessbevollmächtigter das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat (vgl BSG vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10; BSG vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10 mwN), bevor er durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für die Revision übernimmt und so ggf von der Durchführung aussichtsloser Revisionen absieht (BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16 mwN).

9

Die vorliegende Revisionsbegründung genügt den genannten Anforderungen nicht. Ihr kann lediglich entnommen werden, dass die Klägerin eine Verletzung (wohl) von Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG geltend macht, wenn sie meint, dass eine unberechtigte Ungleichbehandlung zwischen Müttern stattfinde, die ihre Kinder vor 1992 bzw danach geboren hätten. Sie versäumt es aber, im Einzelnen darzulegen, weshalb diese Verfassungsnormen durch die angefochtene Entscheidung verletzt werden. Weder gibt sie den Sachverhalt, über den das Berufungsgericht entschieden hat, noch dessen (verfassungs-)rechtliche Argumentation wieder; auch mit den von ihr erwähnten einschlägigen Entscheidungen des BSG und des BVerfG, "dass keine Ungleichbehandlung vorliegt", setzt sie sich nicht auseinander. Die pauschale Behauptung, dass die diesen Entscheidungen zugrunde liegende Rechtsansicht "im Wanken begriffen" sei, genügt für eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung bei Weitem nicht.

10

Nichts anderes folgt aus der Bitte der Klägerin um einen Hinweis des Gerichts, falls weiterer Vortrag erforderlich sein sollte. Der Senat war nicht verpflichtet, die anwaltlich vertretene Klägerin vorab auf Mängel in ihrer Revisionsbegründung hinzuweisen; die Bestimmung des § 106 Abs 1 SGG wird insoweit von der spezielleren Regelung in § 164 Abs 2 SGG verdrängt. Diese Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass ein Rechtsanwalt auch ohne Hilfe des Gerichts in der Lage sein muss, eine Revision formgerecht zu begründen. Gerade dies ist ein rechtfertigender Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG; diese Bestimmung darf nicht unter Berufung auf die Hinweispflicht des Gerichts umgangen werden (vgl BSG vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - Juris RdNr 7; Senatsbeschluss vom 16.11.2011 - B 13 R 317/11 B - BeckRS 2012, 70222 RdNr 6; BSG vom 31.7.2013 - B 5 R 214/13 B - BeckRS 2013, 71677 RdNr 8).

11

Die mithin nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Die Revision ist bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision nach § 134 Abs. 3 Satz 2 schriftlich einzulegen. Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist bei dem Bundesverwaltungsgericht eingelegt wird. Die Revision muß das angefochtene Urteil bezeichnen.

(2) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision abgeholfen oder läßt das Bundesverwaltungsgericht die Revision zu, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Urteil nach § 133 Abs. 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Darauf ist in dem Beschluß hinzuweisen.

(3) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision nach § 134 Abs. 3 Satz 2 zu begründen; im Falle des Absatzes 2 beträgt die Begründungsfrist einen Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.

Tenor

Die Revision wird als unzulässig verworfen.

Zwischen den Beteiligten sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten zuletzt noch darüber, ob im Rahmen der Anrechnung der Verletztenrente des Klägers auf dessen Altersrente für schwerbehinderte Menschen (vormals: Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige) der abgesenkte Freibetrag in Höhe einer "Grundrente Ost" zu berücksichtigen ist. Mit Bescheid vom 23.11.1998 und Widerspruchsbescheid vom 13.10.1999 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß seine Altersrente und rechnete dabei von Anfang an die bezogene Unfallrente an. Von der Anrechnung ausgenommen wurde ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Da der Kläger seinen Wohnsitz am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer hatte, berücksichtigte die Beklagte diesen Freibetrag in Höhe der für das Beitrittsgebiet abgesenkten Grundrentensätze. Während des Verfahrens vor den Instanzgerichten wurde der Anrechnungsbetrag mehrfach fortgeschrieben. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.10.2002). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klage gegen weitere Verwaltungsakte abgewiesen (Urteil vom 10.4.2008).

2

Mit der vom LSG hinsichtlich der Anrechnung der Unfallrente zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Das BSG hat im Blick auf eine eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG vom 13.11.2008 - B 13 R 129/08 R - das Ruhen des Verfahrens angeordnet (Beschluss vom 19.5.2009). Im Verfahren vor dem BVerfG hat der dortige Beschwerdeführer das Verfahren für erledigt erklärt. Das BVerfG hat es mit Beschluss vom 8.6.2012 - 1 BvR 349/09 - Juris abgelehnt, die Auslagen nach Erledigung und Rücknahme der Verfassungsbeschwerde zu erstatten. Der Senat hat das ruhende Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist unzulässig (§ 169 SGG). Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 SGG).

4

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 der Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22). Sie haben den Zweck, eine Entlastung des Revisionsgerichts sowie im Interesse aller Beteiligten eine umfassende Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten (vgl Senatsurteil vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16 und BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom BSG für notwendig erachteten (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

5

Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 und vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f sowie BSG vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.

6

Der Kläger rügt eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Die fehlerhafte Anwendung dieser Normen kann schlüssig nur dadurch gerügt werden, dass der Revisionsführer zunächst angibt, auf welchen festgestellten Sachverhalt das Berufungsgericht die Vorschrift in welcher Weise angewandt hat. Ohne diese stets notwendigen Angaben ist eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen.

7

Das Rechtsmittel gibt bereits nicht an, von welchem Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich relevanter Tatumstände) das BSG im Revisionsverfahren auszugehen hat. Aus der Revisionsbegründung geht lediglich hervor, dass die Beklagte auf die Altersrente des Klägers dessen Verletztenrente aus der Unfallversicherung angerechnet habe und dabei wegen des Wohnsitzes des Klägers am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer lediglich den reduzierten "Freibetrag Ost" zugrunde gelegt habe. Dabei lässt die Revisionsbegründung bereits offen, ob diese tatsächlichen Angaben dem Berufungsgericht überhaupt zuzurechnen sind, dh ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das LSG im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Des Weiteren geht der Kläger nirgendwo darauf ein, an welcher genauen Stelle er dem Berufungsurteil welche der genannten Tatumstände entnehmen möchte. Für das Revisionsgericht sind indes die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 SGG). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das BSG nicht in die Lage versetzt, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind. Es ist nicht Aufgabe des erkennenden Senats, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.

8

Darüber hinaus setzt sich der Kläger auch nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Normen in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden sind (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedanken des Vordergerichts einzugehen (BSG Urteil vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f). Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 ff). Insbesondere bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG Urteil vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12, 20 und 28).

9

Das LSG hat sich eingehend mit Wortlaut, Gesetzesbegründung und Systematik der streitbefangenen Norm beschäftigt und insbesondere auch einen Verfassungsverstoß gegen Art 14 GG und Art 3 Abs 1 GG verneint. Es hat sich dabei insbesondere auf den Beschluss des BSG vom 29.11.2007 - B 13 RJ 25/05 R - gestützt. Auf diese Gründe und den konkreten Subsumtionsschluss des LSG geht der Kläger nur unzureichend ein. Er beschränkt sich vielmehr darauf, dem Ergebnis des Berufungsgerichts seine eigene Rechtsauffassung entgegenzuhalten. Danach ermächtige § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI den Rentenversicherungsträger nicht, bei der Berücksichtigung des Freibetrags zwischen unfallverletzten Rentenbewerbern in den alten und neuen Bundesländern zu differenzieren. Dabei stützt er sich insbesondere auf die Entscheidungen des 4. Senats des BSG vom 10.4.2003 - B 4 RA 32/02 R - und vom 20.10.2005 - B 4 RA 27/05 R -, an denen der ab 1.1.2008 anstelle des 4. Senats für Streitigkeiten aus der Rentenversicherung zuständige 5a-Senat des BSG nicht mehr festgehalten hat (Beschluss vom 30.7.2008 - B 5a R 6/08 S). Der Hinweis des Klägers auf das von ihm selbst vertretene Auslegungsergebnis ersetzt nicht die eingehende Auseinandersetzung mit den Überlegungen, von denen sich das LSG bei seiner Rechtsauslegung hat leiten lassen.

10

Letztlich macht der Kläger mit seinem Vortrag eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) geltend. Eine formgerechte Verfahrensrüge der Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung liegt aber nicht vor, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt oder diese eigene Würdigung als überlegen bezeichnet. Dem Revisionsgericht ist es nämlich nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50; BSG Urteil vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16).

11

Die vorliegende Verfahrensdauer gibt keinen Anlass, von den im Gesetz vorgesehenen Anforderungen an die Begründung der Revision abzuweichen. Die Verfahrensdauer ergibt sich vorliegend im Wesentlichen daraus, dass der Senat den Rechtsstreit wegen einer ausstehenden Entscheidung des BVerfG zum Ruhen gebracht hat. Ein derartiges Zuwarten erschien vorliegend geboten, um den Kläger in den Genuss einer ihm möglicherweise positiven Entscheidung des BVerfG kommen zu lassen. Endet das verfassungsgerichtliche Verfahren indessen erfolglos, begründet der bisherige Prozessverlauf keine Erwartung hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision oder darauf, dass sich das Revisionsgericht hierauf nicht mehr berufen werde.

12

Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

Tenor

1. Die Gesetzgebungszuständigkeit für die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ergibt sich aus Artikel 73 Nummer 6 des Grundgesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) geltenden Fassung.

2. Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Absatz 4 GG gesetzt sind.

3. Der Einsatz der Streitkräfte nach Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

Gründe

A.

I.

1

1. Der Zweite Senat hat mit Beschluss vom 19. Mai 2010 (2 BvF 1/05) gemäß § 48 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts beim Ersten Senat angefragt, ob dieser an den Rechtsauffassungen festhält, wonach

2

1. die Gesetzgebungszuständigkeit für § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) sich nicht auf Art. 73 Nr. 1 oder Art. 73 Nr. 6 GG, sondern allein auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stützen lässt (BVerfGE 115, 118<140 f.>),

3

2. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulässt (BVerfGE 115, 118<146 ff., 150 f.>), und

4

3. § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar sind, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (BVerfGE 115, 118<149 f.>).

5

2. Der Anfrage liegt zugrunde, dass der Zweite Senat in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (2 BvF 1/05) auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung und der Hessischen Landesregierung darüber zu entscheiden hat, ob § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG, die die Voraussetzungen und Modalitäten eines Einsatzes der Streitkräfte zur Abwehr besonders schwerer von Luftfahrzeugen ausgehender Unglücksfälle regeln, mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Der Normenkontrollantrag betraf ursprünglich die §§ 13 bis 15 LuftSiG. Nachdem § 14 Abs. 3 LuftSiG, der zum Abschuss eines gegen das Leben von Menschen eingesetzten Luftfahrzeugs ermächtigte, durch Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 für nichtig erklärt wurde (BVerfGE 115, 118 <119>), haben die Antragstellerinnen ihren Antrag insoweit für erledigt erklärt. Damit stehen in dem Ausgangsverfahren nur noch § 13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und § 15 LuftSiG zur Prüfung. Der Zweite Senat möchte in diesem Verfahren abweichend von den genannten Rechtsauffassungen entscheiden (§ 16 BVerfGG, § 48 Abs. 2 GOBVerfG).

6

3. Der Erste Senat hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2010 erklärt, dass er an seinen Rechtsauffassungen festhält.

7

4. Mit Beschluss vom 3. Mai 2011 hat der Zweite Senat das Plenum angerufen.

8

5. Die Antragstellerinnen des Ausgangsverfahrens, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, das Bundesministerium des Innern und die (weiteren) Landesregierungen erhielten Kenntnis von der Vorlage. Stellungnahmen sind nicht eingegangen.

II.

9

Das Plenum ist zur Entscheidung über die Vorlage berufen.

10

1. Die Anrufung des Plenums (§ 16 BVerfGG) ist geboten, wenn ein Senat von einer Rechtsauffassung des anderen Senatsabweichen möchte, die für die Entscheidung des anderen Senats tragend war (vgl. BVerfGE 4, 27 <28>; 77, 84 <104>; 96, 375 <404>; 112, 1 <23>; 112, 50 <63>). Die Rechtsauffassungen, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht, waren in dem Urteil des Ersten Senats, mit dem über die Gültigkeit der gesetzlichen Ermächtigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG entschieden wurde, tragend im für die Anwendung des § 16 BVerfGG maßgebenden Sinne.

11

2. An der tragenden Qualität fehlt es diesen Rechtsauffassungen nicht deshalb, weil § 14 Abs. 3 LuftSiG in dem Urteil nicht allein auf ihrer Grundlage, sondern auch wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG für nichtig erklärt wurde. Tragend sind jedenfalls diejenigen Rechtsauffassungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele (vgl. BVerfGE 96, 375 <404>). Der Urteilsausspruch des Ersten Senats zu § 14 Abs. 3 LuftSiG lautete, dass die Bestimmung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig sei (BVerfGE 115, 118<119>). Dieses im Urteilstenor ausgesprochene Entscheidungsergebnis hätte nicht dieselbe Gestalt, wenn der Erste Senat sich nicht über seine Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG hinaus auch auf Auslegungen des Art. 35 GG gestützt hätte, auf die sich die vorliegende Anfrage bezieht.

12

Allerdings wäre der Urteilsausspruch unverändert geblieben, wenn der Erste Senat seine Entscheidung allein auf die unter 1. und 2. der Anfrage aufgeführten Rechtsauffassungen gestützt hätte, nicht dagegen auch auf die Annahme, § 13 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG seien mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar, soweit sie eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung auch für die Fälle des Art. 35 Abs. 3 GG vorsehen (Ziff. 3. der Anfrage). Diese letztere Annahme, die allein die Auslegung des Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, kann hinweggedacht werden, ohne dass sich daraus Konsequenzen für den Urteilstenor ergäben. Denn dieser wird, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft, zugleich durch die Rechtsauffassung gestützt, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen nicht zulasse (Ziff. 2. der Anfrage).

13

Dennoch ist auch die drittgenannte Rechtsauffassung für das Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006 tragend im hier maßgebenden Sinne. Wird das Kriterium, dem zufolge tragend diejenigen Rechtsauffassungen sind, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele, als nicht nur notwendiges, sondern hinreichendes, abschließend definierendes verstanden, so ist allerdings in Fällen, in denen das konkrete Entscheidungsergebnis auf mehrere voneinander unabhängige und jeweils selbständig tragfähige Rechtsauffassungen gestützt ist, keine dieser Rechtsauffassungen, für sich betrachtet, tragend. Ob und inwieweit ein solches Verständnis dem mit § 16 BVerfGG verfolgten Anliegen der Rechtsklarheit und den besonderen Erfordernissen der Kooperation zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts im Allgemeinen gerecht wird, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Jedenfalls wenn ein konkretes Ergebnis der Entscheidung eines Senats - wie im vorliegenden Fall der Tenor des Urteils des Ersten Senats vom 15. Februar 2006, soweit er Art. 35 Abs. 3 GG betrifft - sich auf mehrere selbständig tragfähige Rechtsauffassungen stützt und der andere Senat nicht nur von einer dieser Rechtsauffassungen, sondern von allen abweichen möchte, kann deren tragende Qualität nicht auf der Grundlage einer isolierten Betrachtung jeder einzelnen dieser Rechtsauffassungen nach dem genannten Kriterium verneint werden (vgl. zur Divergenzvorlage im einfachgesetzlichen Prozessrecht BFH, Beschluss vom 22. Juli 1977 - III B 34/74 -, BFHE 123, 112, Leitsatz 4). Eine Betrachtung, die jeder einzelnen der fraglichen Rechtsauffassungen für sich genommen die tragende Qualität mit Blick auf die Tragfähigkeit der jeweils verbleibenden anderen abspricht und so darauf hinausläuft, dass dem gefundenen Entscheidungsergebnis eine tragende Begründung im Ganzen abgesprochen wird, würde es in dieser Konstellation dem abweichungswilligen Senat ermöglichen, von Rechtsauffassungen des anderen Senats, die jedenfalls in der Gesamtbetrachtung tragend sind, insgesamt ohne Anrufung des Plenums abzuweichen. Dies kann schon deshalb nicht richtig sein, weil damit Divergenzen, die nicht einzelne Rechtsauffassungen, sondern Komplexe von selbständig tragfähigen Rechtsauffassungen betreffen, trotz Entscheidungserheblichkeit der Bereinigung durch das Plenum entzogen wären.

B.

I.

14

Zur ersten Vorlagefrage:

15

Die Gesetzgebungszuständigkeit für §13, § 14 Abs. 1, 2 und 4 und §15 LuftSiG ergibt sich nicht aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, sondern als Annexkompetenz aus Art. 73 Nr. 6 GG in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) geltenden Fassung (Art. 73 Nr. 6 GG a.F.; heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Ob und inwieweit daneben Art. 73 Nr. 1 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) als Kompetenzgrundlage in Betracht kommt, bleibt offen.

16

1. Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bieten für Bundesrecht, das den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand regelt, keine ausdrückliche Kompetenzgrundlage. Ihrem Wortlaut nach regeln diese Bestimmungen, soweit sie den Einsatz der Streitkräfte betreffen, materielle und prozedurale Voraussetzungen für einen solchen Einsatz. Ungeschriebene Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes in Sachnormen außerhalb des VII. Abschnitts des Grundgesetzes (Art. 70 ff.) aufzusuchen, liegt auch in systematischer Hinsicht und nach dem Schutzzweck der föderalen Zuständigkeitsordnung, die grundsätzlich nicht durch die Normen des materiellen Verfassungsrechts, sondern durch gesonderte, strikt auszulegende (vgl. BVerfGE 12, 205 <228>; 15, 1 <17>) und in ihrer Reichweite von materiellrechtlichen Vorgaben unabhängige Kompetenzvorschriften bestimmt ist, nicht nahe. Gegen eine solche Kompetenzzuschreibung spricht zudem, dass sich aus ihr nur schwer Klarheit über die Rechtsnatur der zugeschriebenen Kompetenz - ausschließlich oder konkurrierend - gewinnen lässt.

17

2 a) Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die §§ 13 ff. LuftSiG folgt aus Art. 73 Nr. 6 GG a.F. (heute Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG), der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Luftverkehr zuweist. Nach tradierter und im Grundsatz unbestrittener Auffassung steht dem Bund, soweit er für ein bestimmtes Sachgebiet die Gesetzgebungszuständigkeit hat, als Annexkompetenz auch die Gesetzgebungsbefugnis für die damit in einem notwendigen Zusammenhang stehenden Regelungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in diesem Bereich zu (vgl. BVerfGE 3, 407 <433>; 8, 143, <150>; 78, 374 <386 f.>; 109, 190 <215>).

18

b) Dies gilt auch für das Sachgebiet "Luftverkehr". Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Luftverkehr umfasst daher als Annex jedenfalls die Befugnis, Regelungen zur Abwehr solcher Gefahren zu treffen, die gerade aus dem Luftverkehr herrühren (vgl., mit im Einzelnen unterschiedlichen Abgrenzungen, jeweils aber mindestens die eben genannte Regelungskompetenz einschließend, BVerwGE 95, 188 <191>; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1996 - 1 C 33/94 -, NVwZ-RR 1997, S. 350 <351>; Laschewski, Der Einsatz der deutschen Streitkräfte im Inland, 2005,S. 130; Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum, 2005, S. 24; Burkiczak, NZWehrr2006, S. 89 <95>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737>; Odendahl, Die Verwaltung 38 <2005>, S. 425 <438>; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1279 f.>; Gramm, NZWehrr 2003, S. 89 <96>).

19

Allerdings bedarf die Notwendigkeit des Zusammenhangs zwischen einer dem Bund zugewiesenen Regelungskompetenz für ein bestimmtes Sachgebiet und einschlägigen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung strenger Prüfung. Dies gilt erst recht, wenn die sachgebietliche Kompetenz zu den ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, insbesondere also zu den in Art. 73 GG aufgeführten, gehört. Jedenfalls für die Abwehr derjenigen spezifisch aus dem Luftverkehr herrührenden Gefahren, auf die die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zielen, ist der erforderliche notwendige Zusammenhang gegeben. Denn bei dezentraler Regelungskompetenz hätten unzureichend abwehrwirksame Regelungen eines einzelnen Landes erhebliche negative Folgen für die Sicherheit, die mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht im Wesentlichen auf das betreffende Land beschränkt wären.

20

aa) Art. 73 Nr. 6 GG a.F. scheidet als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG nicht deshalb aus, weil es sich bei diesen Bestimmungen nicht um eigenständiges Gefahrenabwehrrecht des Bundes, sondern allein um Verfahrens- und Mittelbereitstellungsregelungen für den Fall der Unterstützung von Gefahrenabwehrmaßnahmen der Länder handelte (vgl. BVerfGE 115, 118 <141>). Ungeachtet der Frage, ob dies eine Zuordnung zum Gefahrenabwehrrecht ausschlösse, beschränken sich die Vorschriften nicht auf das Vorfeld außenwirksamer Eingriffe. § 13 LuftSiG regelt nicht nur die Voraussetzungen für die unterstützende Bereitstellung von Streitkräften, sondern unmittelbar die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür, dass Streitkräfte, wenn auch in einer unterstützenden Funktion, "eingesetzt werden" können (Abs. 1), sowie die Zuständigkeiten zur Entscheidung über "einen Einsatz" (Abs. 2 und 3) und die normativen Rahmenbedingungen hierfür (Abs. 4: "Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes."). Auch § 14 und § 15 LuftSiG sind als materielle Eingriffsnormen gefasst. Sie regeln, dass die Streitkräfte Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben "dürfen" (§ 14 Abs. 1 LuftSiG), dass sie auf Ersuchen der zuständigen Flugsicherungsstelle im Luftraum Luftfahrzeuge "überprüfen, umleiten oder warnen" können (§ 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG), welche "Maßnahmen" sie "auszuwählen" haben (§ 14 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG), welche sonstigen Maßgaben im Hinblick auf Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne einzuhalten sind (§ 14 Abs. 2 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG), und dass der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe ermächtigen kann, die fraglichen "Maßnahmen … anzuordnen" (§ 15 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG). Der zwischenzeitlich für nichtig erklärte § 14 Abs. 3 LuftSiG bestimmte, unter welchen Voraussetzungen die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt "zulässig" sein sollte. Auch § 21 LuftSiG, der mit Blick auf das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich festhält, dass - unter anderem - das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit "nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt" wird, spricht für eine unmittelbar eingriffsermächtigende Bedeutung der Regelungen zum Streitkräfteeinsatz.

21

bb) Die Gesetzgebungsgeschichte ergibt keine Anhaltspunkte, die diesen Befund in Frage stellen, sondern bestätigt, dass nicht etwa nur die Bereitstellung von Ressourcen für allein auf landesrechtlicher Grundlage wahrzunehmende Aufgaben der Gefahrenabwehr geregelt, sondern unmittelbares Eingriffsrecht geschaffen werden sollte. So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs, jenseits des von den Gefahrenabwehrbehörden der Länder Bewältigbaren sollten die Streitkräfte "ihre Maßnahmen" treffen (vgl. BTDrucks 15/2361, S. 20). § 14 LuftSiG regele "die Zwangsmittel der Streitkräfte, die ihnen zur Unterstützung der Polizei zur Verfügung stehen", und Absatz 3 verleihe "die Befugnis, unmittelbar mit Waffengewalt auf Luftfahrzeuge einzuwirken" (a.a.O., S. 21). In Bundesrat und Bundestag wurden die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen zum Streitkräfteeinsatz dementsprechend als "Befugnisnormen" verstanden, die zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr "aus eigenem Recht" ermächtigen sollten (vgl. aus dem Bundesrat die Niederschrift der 812. Sitzung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates, vom 4. Dezember 2003 - In 0141 (812) - Nr. 52/03 -, S. 37 f.; aus dem Bundestag s. die hinsichtlich der Auslegung als eingriffsermächtigende Befugnisnormen unwidersprochenen Redebeiträge der Abgeordneten Bosbach, BTPlProt 15/89, S. 7884, und Binninger, a.a.O., S. 7891). Nach den Worten des damaligen Bundesinnenministers Schily sollte das Gesetz "Luftsicherheit aus einer Hand" und damit "Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, zumal für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr", gewährleisten (BTPlProt 15/89, S. 7881 f.). Auch damit war vorausgesetzt, dass die §§ 13 ff. LuftSiG nicht bloß innerföderale Bereitstellungsvorgänge regeln, sondern zugleich außenwirksame Eingriffsermächtigungen enthalten.

22

3. Da der Bund demnach gemäß Art. 73 Nr. 6 GG a.F. regelungszuständig war, bedarf keiner Entscheidung, ob darüber hinaus Art. 73 Nr. 1 GG a.F., der im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben als Kompetenzgrundlage für die §§ 13 ff. LuftSiG in Anspruch genommen wurde (BTDrucks 15/2361, S. 14), eine Gesetzgebungszuständigkeit für diese Bestimmungen kraft Sachzusammenhangs ihres Regelungsgegenstandes mit dem Verteidigungswesen begründete.

II.

23

Zur zweiten Vorlagefrage:

24

Art. 35 Abs. 2Satz 2 und Abs. 3 GG schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei Einsätzen der Streitkräfte nach diesen Bestimmungen nicht grundsätzlich aus, lassen Einsätze aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die insbesondere sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die nach Art. 87a Abs. 4 GG einem Einsatz der Streitkräfte zum Kampf in inneren Auseinandersetzungen gesetzt sind.

25

1. Außer zur Verteidigung dürfen nach Art. 87a Abs. 2 GG die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Die begrenzende Funktion dieser Regelung ist durch strikte Texttreue bei der Auslegung der grundgesetzlichen Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte im Innern zu wahren (vgl. BVerfGE 90, 286 <356 f.>; 115, 118 <142>; BVerwGE 127, 1 <12 f.>).

26

Die Verfassung begrenzt einen Streitkräfteeinsatz im Inneren in bewusster Entscheidung auf äußerste Ausnahmefälle. Soweit es um den Schutz vor Straftätern und Gegnern der freiheitlichen Ordnung geht, stellt deshalb Art. 87a Abs. 4 GG für einen Einsatz der Streitkräfte strenge Anforderungen, die selbst im Fall des inneren Notstands gemäß Art. 91 GG noch nicht automatisch erreicht sind. Im Unterschied dazu erlauben Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG einen Streitkräfteeinsatz zur Unterstützung der Polizeikräfte bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall. Auch damit bindet die Verfassung den Einsatz der Streitkräfte an Anforderungen, die nicht immer schon dann erfüllt sind, wenn die Polizei durch das allgemeine Ziel der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung überfordert ist; dies zeigt sich bereits darin, dass in Fällen von besonderer Bedeutung gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich nur Unterstützung durch Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes angefordert werden kann.

27

Nicht zuletzt um diesen differenzierten und restriktiven Regelungen der Verfassung Rechnung zu tragen, sah der Erste Senat den Streitkräfteeinsatz im Rahmen des Art. 35 GG auf Mittel begrenzt, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürfen. Hieran hält das Plenum nicht fest (2.). Die von der Verfassung gewollten engen Grenzen für einen Streitkräfteeinsatz im Inneren ergeben sich aus anderen Kriterien (3.).

28

2. Eine Beschränkung des Streitkräfteeinsatzes auf diejenigen Mittel, die nach dem Gefahrenabwehrrecht des Einsatzlandes der Polizei zur Verfügung stehen oder verfügbar gemacht werden dürften, ist durch den Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG und die Systematik des Grundgesetzes nicht zwingend vorgegeben; der Regelungszweck spricht eher gegen eine solche Beschränkung (a). Auch eine Gesamtbetrachtung der Gesetzesmaterialien zwingt nicht zu der Annahme, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eine derartige Beschränkung beabsichtigt hat (b).

29

a) Nach Art. 35 GG kann unter den jeweils näher bezeichneten Voraussetzungen im regionalen Katastrophennotstand ein Land "Kräfte und Einrichtungen... der Streitkräfte" anfordern (Abs. 2 Satz 2) und im überregionalen Katastrophennotstand die Bundesregierung "Einheiten ... der Streitkräfte" einsetzen (Abs. 3 Satz 1). Eine Beschränkung der damit zugelassenen Einsätze auf die Verwendung polizeilicher Einsatzmittel muss dem Wortlaut der Bestimmungen nicht entnommen werden. Sie ergibt sich insbesondere nicht zwingend daraus, dass Art. 35 GG den Einsatz der Streitkräfte nur zur "Unterstützung der Polizeikräfte" (Abs. 3 Satz 1) beziehungsweise zur polizeiunterstützenden "Hilfe" (Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1) vorsieht. Mit welchen Mitteln die Hilfe oder Unterstützung geleistet werden darf, ist damit noch nicht festgelegt.

30

Systematische Erwägungen sprechen dafür, dass aus der von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG vorgegebenen unterstützenden Funktion der Streitkräfte keine Beschränkung auf die aktuell oder potentiell polizeirechtlich zulässigen Einsatzmittel folgt. Denn auch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG lässt für den dort umschriebenen Fall des inneren Notstandes einen Einsatz der Streitkräfte nur "zur Unterstützung" der Landes- und der Bundespolizei zu, beschränkt damit aber anerkanntermaßen den dort geregelten Einsatz, jedenfalls soweit es um die Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer geht, nicht von vornherein auf die Mittel, die den unterstützten Polizeien zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148>; BTDrucks V/2873, S. 2, 14; Hase, in: AK-GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2001, Art. 87a Abs. 4 Rn. 5; Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87a Rn. 169, 177 (Stand 10/2008); Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 4 Rn. 165; Kokott, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 68; Keidel, Polizei und Polizeigewalt im Notstandsfall, 1971, S. 195 f., 197; Karpinski, Öffentlich-rechtliche Grundsätze für den Einsatz der Streitkräfte im Staatsnotstand, 1974, S. 76; Baldus, NVwZ 2004, S. 1278 <1280>; Linke, AöR 129 <2004>, S. 489>). Die Identität der Formulierungen deutet trotz der unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen sie verwendet werden, darauf hin, dass ihnen keine unterschiedliche Bedeutung zukommen sollte, zumal die Bestimmungen im Gesetzgebungsverfahren durch Aufspaltung einer ursprünglich einheitlichen Regelung entstanden sind und daher nicht davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber die Übereinstimmung des Wortlauts nicht vor Augen stand.

31

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Zulassung des Streitkräfteeinsatzes in den erfassten Katastrophenfällen eine wirksame Gefahrenabwehr ermöglichen soll. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unterstreicht dies mit der Bezugnahme auf das zur "wirksamen Bekämpfung" Erforderliche. Daher sprechen nach Auffassung des Plenums die besseren Gründe für eine Auslegung, die unter den engen Voraussetzungen, unter denen ein Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG überhaupt in Betracht kommt (s.u. 3.), die Verwendung ihrer spezifischen Mittel nicht generell ausschließt.

32

b) Die Entstehungsgeschichte steht dem nicht entgegen. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber stand allerdings als typischer Anwendungsfall der Verfassungsbestimmungen zum Katastrophennotstand nicht ein Einsatzfall wie der in § 13 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 LuftSiG geregelte, sondern vor allem die Erfahrung der norddeutschen Flutkatastrophe des Jahres 1962 vor Augen (vgl. BVerfGE 115, 118 <148, m.w.N.>). Auch wenn dieses Ereignis die Vorstellung der am Gesetzgebungsprozess Beteiligten von den Erfordernissen eines Streitkräfteeinsatzes in einer begrenzenden Weise geprägt haben mag, schließt das nicht aus, Art. 35 Abs. 2 und 3 GG auch auf andersartige von Wortlaut und Systematik der Vorschrift erfasste Bedrohungslagen anzuwenden, und zwingt nicht zu einer angesichts heutiger Bedrohungslagen nicht mehr zweckgerechten Auslegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG.

33

Die Gesetzesmaterialien geben zur Frage der zulässigen Einsatzmittel keine eindeutigen Aufschlüsse. Zwar ist der Gesetzgebungsgeschichte zu entnehmen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die Regelung des Katastrophennotstandes bewusst aus der Regelung des inneren Notstandes herausgelöst hat, um die Bekämpfung des Katastrophennotstandes von der des inneren Notstands deutlicher abzuheben. Auch finden sich Anhaltspunkte dafür, dass einzelnen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten für den Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 GG, sei es generell oder für den Fall des regionalen Katastrophennotstandes nach Absatz 2, eine Beschränkung der zulässigen Einsatzmittel durch das Polizeirecht des Einsatzlandes vorschwebte. Insgesamt ergibt sich jedoch kein klares Bild, das die Annahme eines insoweit bestimmten Willens des verfassungsändernden Gesetzgebers stützen könnte.

34

aa) Nach dem Bericht des Rechtsausschusses, auf den die Gesetz gewordene Fassung der hier zu betrachtenden Grundgesetzbestimmungen zurückgeht, sollte mit dessen Vorschlägen zur Regelung des inneren Notstandes "die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben" und der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr nur zugelassen werden, "wenn dies zur Bekämpfung militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich" sei (BTDrucks V/2873, S. 2 , 14 ; vgl. auch Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, S. 10; Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes, 1971, Art. 35 Rn. 2). Diese Äußerung muss nicht dahin verstanden werden, dass sie über die Konstellation des inneren Notstandes hinaus auch auf die des Katastrophennotstandes zielt, und zwingt daher nicht zu der Annahme, dass für den Fall des Katastrophennotstandes ein bewaffneter Einsatz der Streitkräfte prinzipiell ausgeschlossen werden sollte.

35

Die Erläuterungen zum vorgeschlagenen Art. 35 GG behandeln die Frage der einsetzbaren Mittel nicht. Zu Art. 35 Abs. 2 GG wird zwar unter anderem ausgeführt, dass die zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes den Normen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts unterstehen sollen (vgl. BTDrucks V/2873, S. 10); zu Art. 35 Abs. 3 GG findet sich dagegen keine entsprechende Erläuterung. Aus der Berichtsbegründung zu Art. 87a Abs. 4 GG geht hervor, dass der Ausschuss nach dem Ergebnis der durchgeführten Anhörungen die im Regierungsentwurf vorgesehene Formulierung, wonach die Streitkräfte "als Polizeikräfte" einsetzbar sein sollten, für zu eng befunden hatte, da eine Beschränkung etwa auf den Einsatz nichtmilitärischer Waffen nicht sachgerecht sei. Der Ausschuss schlug daher stattdessen vor, dass die Streitkräfte nur "zur Unterstützung der Polizei" eingesetzt werden dürften (a.a.O., S. 14). Dem folgte der verfassungsändernde Gesetzgeber. Die gleiche Abkehr von der ursprünglich vorgesehenen Formulierung ist aber auch in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG erfolgt. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung muss eine Bedeutung für die Auslegung des Art. 35 GG nicht deshalb abgesprochen werden, weil erst der Rechtsausschuss des Bundestages (vgl. BTDrucks V/2873) vorgeschlagen hat, die nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks V/1879) in Art. 91 GG angesiedelte Regelung des Streitkräfteeinsatzes bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen aus dem Zusammenhang der Bestimmungen zum inneren Notstand zu lösen und in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG zu regeln. Umgekehrt lässt sich auch argumentieren, dass gerade diese Herauslösung aus dem ursprünglich vorgesehenen einheitlichen Regelungszusammenhang es nahegelegt hätte, für den Fall des nunmehr gesondert in Art. 35 GG geregelten Katastrophennotstandes einem etwaigen Willen, die Art und Weise des zulässigen Einsatzes enger zu bestimmen als für den Fall des inneren Notstandes, durch entsprechend unterschiedliche Formulierung der jeweiligen Regelungen Ausdruck zu geben.

36

Das Protokoll der Anhörung zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", auf die ausweislich des Berichts des Rechtsausschusses (vgl. BTDrucks V/2873,S. 14) dessen Vorschlag zurückgeht, die Worte "als Polizeikräfte" durch die Gesetz gewordenen Formulierungen zu ersetzen, zeigt zudem, dass sowohl bei den angehörten Sachverständigen als auch auf Seiten der Abgeordneten, die sich an der Aussprache beteiligten, in der Frage der Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen unterschiedliche und häufig - unter anderem hinsichtlich des Zusammenhangs mit der Frage der maßgebenden einfachrechtlichen Eingriffsgrundlagen - auch unklare Auffassungen bestanden (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75).

37

So wiesen etwa der schleswig-holsteinische Innenminister Dr. Schlegelberger und der hamburgische Innensenator Ruhnau unwidersprochen auf die Funktion des Streitkräfteeinsatzes hin, Einsatzmittel bereitzustellen, über die die Polizei nicht verfüge (a.a.O., S. 3, 6, 12), vertraten aber - im Zusammenhang mit Einsätzen im Fall des inneren Notstandes - zugleich die Auffassung, dass Einsätze sich auf der Grundlage "des Polizeirechts mit polizeilichen Mitteln" beziehungsweise "nach den Einsatzprinzipien und mit den Einsatzmitteln der Polizei" vollziehen müssten (a.a.O., S. 4, 6, 12). Dabei wurde zudem nicht deutlich, ob allein an das Landespolizeirecht (vgl. Ruhnau, a.a.O., S. 14) als Rechtsgrundlage gedacht war oder auch an Bundesrecht, das in verschiedenen Diskussionsbeiträgen als anwendbar vorausgesetzt wurde (vgl. zum UZwG des Bundes Ruhnau u.a., a.a.O., S. 7, 58; für den Fall überregionaler Einsätze auch S. 14). Verschiedene Äußerungen deuten darauf hin, dass man sich einen Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand vor allem in der Form des Objektschutzes und der Abwehr von Plünderungen vorstellte (a.a.O., S. 5, 27, 28, 57 f., 71). Zur Sprache kam anderseits aber auch der Fall der Sprengung eines Hauses oder einer Brücke (a.a.O., S. 63).

38

In der Zweiten Beratung des Gesetzentwurfs, der neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung der Bericht des Rechtsausschusses (BTDrucks V/2873) zugrunde lag, fielen nur vereinzelt Äußerungen, die einen Bezug zum Inhalt der beschlossenen Regelungen in der Frage des bei Einsätzen der Streitkräfte anwendbaren Rechts oder unmittelbar in der Frage der bei solchen Einsätzen anwendbaren Mittel aufweisen. Auch diese Äußerungen sind nicht eindeutig und weisen, sofern sie überhaupt bestimmte Vorstellungen vom Inhalt der beschlossenen Regelungen zum Ausdruck bringen sollten, in unterschiedliche Richtungen (BTPlProt 5/174, S. 9313 f.; 5/175, S. 9437, 9452).

39

bb) Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird danach weder ein eindeutiger Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers hinsichtlich der in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einsetzbaren Mittel noch eine klare Konzeption in der Frage des anwendbaren Rechts erkennbar. Angesichts dieses Befundes ist es nicht zwingend, im Rahmen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen nach textlicher, systematischer und teleologischer Auslegung nicht ausgeschlossenen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln - der, soweit es um die Abwehr von Gefahren durch ein als Angriffsmittel genutztes Luftfahrzeug geht, nur auf bundesrechtlicher Eingriffsgrundlage in Betracht kommt - allein deshalb für unzulässig zu halten, weil die konkreten Gefahrenfälle, die ihn erforderlich machen könnten, dem historischen verfassungsändernden Gesetzgeber noch nicht gegenwärtig waren.

40

3. Der Einsatz der Streitkräfte als solcher wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel kommt allerdings nur unter engen Voraussetzungen in Betracht.

41

Bei der Auslegung und Anwendung der Voraussetzungen, unter denen Art. 35 Abs. 2 und 3 GG einen Einsatz der Streitkräfte erlaubt, sind der Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG und das Verhältnis der den Katastrophennotstand betreffenden Bestimmungen zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG) zu berücksichtigen. Art. 87a Abs. 2 GG zielt darauf, die Möglichkeiten für einen Einsatz der Streitkräfte im Innern zu begrenzen (vgl. BVerfGE 115, 118 <142>). Art. 87a Abs. 4 GG unterwirft auf dem Hintergrund historischer Erfahrungen (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <169 ff.>, m.w.N.) den Einsatz der Streitkräfte zur Bewältigung innerer Auseinandersetzungen besonders strengen Beschränkungen. Diese Beschränkungen dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass der Einsatz statt auf der Grundlage des Art. 87a Abs. 4 GG auf der des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt. Das gilt erst recht für die Verwendung spezifisch militärischer Kampfmittel im Rahmen eines solchen Einsatzes.

42

a) Enge Grenzen sind dem Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand auf diesem Hintergrund durch das in Art. 35 Abs. 2 Satz 2GG ausdrücklich genannte und von Art. 35 Abs. 3Satz 1 GG in Bezug genommene Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalls gesetzt.

43

aa) Die genannten Bestimmungen unterscheiden Naturkatastrophen und besonders schwere Unglücksfälle. Beide Ereignisarten wurden bereits im Gesetzgebungsverfahren unter dem Begriff der Katastrophe zusammengefasst (vgl. die Anhörung des Rechts- und des Innenausschusses zum Thema "Der innere Notstand und der Katastrophennotstand", Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses am 30. November 1967, Nr. 59, Nr. 75). Hieraus wie auch aus der normativen Parallelisierung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG wird deutlich, dass der hier verwendete Begriff des besonders schweren Unglücksfalls nur Ereignisse von katastrophischen Dimensionen erfasst (vgl. BVerfGE 115, 118 <143>). Insbesondere stellt nicht jede Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG dar, der den Streitkräfteeinsatz erlaubte (vgl. Krings/Burkiczak, NWVBl 2004, S. 249 <252>). Besonders schwere Unglücksfälle sind vielmehr ungewöhnliche Ausnahmesituationen. Eine Betrauung der Streitkräfte mit Aufgaben der Gefahrenabwehr, die über die Bewältigung solcher Sondersituationen hinausgehen, kann daher nicht auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG gestützt werden.

44

bb) Die Voraussetzungen des besonders schweren Unglücksfalls gemäß Art. 35 Abs. 2 und 3 GG bestimmen sich zugleich in Abgrenzung zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand (Art. 87a Abs. 4 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG).

45

(1) Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG regelt den Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr von Gefahren für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, die das Land, in dem die Gefahr droht, zu bekämpfen selbst nicht in der Lage oder nicht bereit ist. Dabei erlaubt Art. 87a Abs. 4 GG den Einsatz der Streitkräfte insbesondere zur Unterstützung der Polizei bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer. Die Regelung der Abwehr innerer Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen, hat damit ihren Platz in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG gefunden (vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 35 Rn. 15; Wolff, ThürVBl 2003, S. 176 <177>). Insoweit entfaltet daher diese Vorschrift grundsätzlich eine Sperrwirkung für den Einsatz der Streitkräfte nach anderen Bestimmungen (vgl. auch Fiebig, Der Einsatz der Bundeswehr im Innern, 2004, S. 326; Fischer, JZ 2004, S. 376 <381>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1290>).

46

(2) Der Annahme eines besonders schweren Unglücksfalls steht bei einem Ereignis von katastrophischem Ausmaß nicht entgegen, dass es absichtlich herbeigeführt ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <143 f.>). Angesichts der in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 GG getroffenen Regelung der militärischen Bekämpfung nichtstaatlicher Gegner können die Streitkräfte auf der Grundlage von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG jedoch zur Bekämpfung eines Angreifers nur in Ausnahmesituationen eingesetzt werden, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind. So stellen namentlich Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, keinen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 GG dar, der es rechtfertigen könnte, Streitkräfte auf der Grundlage dieser Bestimmung einzusetzen. Denn nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG dürfen selbst zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer Streitkräfte auch dann, wenn das betreffende Land zur Bekämpfung der Gefahr nicht bereit oder in der Lage ist (Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG), nur unter der Voraussetzung eingesetzt werden, dass Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes besteht (vgl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 <731 f.>).

47

cc) Der Unglücksfall muss, wie im Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 deutlich zum Ausdruck kommt, bereits vorliegen, damit zu seiner Bekämpfung oder zur Bekämpfung seiner Schadensfolgen Streitkräfte eingesetzt werden dürfen. Das bedeutet nicht, dass auch Schäden notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen (vgl. BVerfGE 115, 118 <144 f.>). Von einem Unglücksfall kann auch dann gesprochen werden, wenn zwar die zu erwartenden Schäden noch nicht eingetreten sind, der Unglücksverlauf aber bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht. Ist die Katastrophe bereits in Gang gesetzt und kann sie nur noch durch den Einsatz der Streitkräfte unterbrochen werden, muss nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat. Der Schadenseintritt muss jedoch unmittelbar bevorstehen. Dies ist der Fall, wenn der katastrophale Schaden, sofern ihm nicht rechtzeitig entgegengewirkt wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze eintreten wird (vgl. BVerfGE 115, 118 <145>). Ein ins Vorfeld des Katastrophengeschehens verlagerter Einsatz der Streitkräfte ist unzulässig.

48

b) Der Einsatz der Streitkräfte wie der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel ist zudem auch in einer solchen Gefahrenlage nur als ultima ratio zulässig. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG sieht für den Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ausdrücklich vor, dass die Streitkräfte nur eingesetzt werden dürfen, soweit es zur wirksamen Bekämpfung der durch eine Naturkatastrophe oder einen besonders schweren Unglücksfall veranlassten Gefahr erforderlich ist. Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zielt auf die Subsidiarität der Bundesintervention im Verhältnis zu den Ländern (vgl. Magen, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. I, 1. Aufl. 2002, Art. 35 Rn. 37; Bauer, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 53; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29). Im Übrigen entspricht die strenge Beschränkung auf das Erforderliche - sowohl was das Ob als auch was das Wie, einschließlich der konkreten Einsatzmittel, angeht - für Einsätze nach Absatz 2 Satz 2 wie für Einsätze nach Absatz 3 Satz 1 des Art. 35 GG dem in Art. 87a Abs. 2 GG zum Ausdruck gebrachten Willen des Verfassungsgebers zur engen Begrenzung des zulässigen Streitkräfteeinsatzes im Innern (vgl. Knödler, BayVBl 2002, S. 107 <108>).

49

c) Im Ergebnis sieht Art. 35 GG differenzierte Möglichkeiten einer Verwendung der Streitkräfte zur Gewährleistung der Luftsicherheit vor.

50

aa) Aus Art. 87a Abs. 2 GG ergeben sich Grenzen hinsichtlich der Abwehr von Gefahren, die von einem als Angriffsmittel genutzten Flugzeug ausgehen, nur, soweit es sich um einen Einsatz handelt. Deshalb sind Maßnahmen der Streitkräfte in einer den Verursachern gegenüber rein unterstützenden und solche Unterstützung vorbereitenden Funktion - etwa zur Hilfe bei technisch oder durch gesundheitliche Probleme eines Piloten bedingten Orientierungsschwierigkeiten und zur Aufklärung, ob solche Hilfe benötigt wird - nicht ausgeschlossen. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang (vgl. BTDrucks V/2873, S. 13; BVerwGE 132, 110 <119>; Brenneisen, in: ders./Staack/Kischewski, 60 Jahre Grundgesetz, 2010, S. 485 <488>; Wolff, in: Weingärtner, Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 2010, S. 171 <177>). Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen. Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden (vgl. BVerwGE 132, 110 <119 f.>; Fehn/Brauns, Bundeswehr und innere Sicherheit, 2003, S. 38 f.; Senger, Streitkräfte und materielles Polizeirecht, 2011, S. 79 ff. <80>).

51

bb) Eine umfassende Gefahrenabwehr für den Luftraum mittels der Streitkräfte kann auf Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht gestützt werden. Insbesondere berechtigt nicht jeder Luftzwischenfall, zu dessen Bewältigung eine technische Unterstützung nicht ausreicht, automatisch zum Einsatz der Streitkräfte. De constitutione lata ist der Einsatz der Streitkräfte nur bei besonders gravierenden Luftzwischenfällen zulässig, die den qualifizierten Anforderungen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG genügen.

III.

52

Zur dritten Vorlagefrage:

53

Der Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist, auch in Eilfällen, allein aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegialorgan zulässig.

54

1. Das Grundgesetz unterscheidet systematisch zwischen Befugnissen und Zuständigkeiten der Bundesregierung und solchen einzelner Bundesminister (s. etwa einerseits Art. 84 Abs. 2, Art. 87a Abs. 4 Satz 1, Art. 91 Abs. 2 Satz 3, Art. 108 Abs. 7 GG, andererseits Art. 65 Satz 2, Art. 65a, Art. 95 Abs. 2, Art. 112 Satz 1 GG). Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG weist die Befugnis, im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes Einheiten der Streitkräfte einzusetzen, der Bundesregierung zu. Die Bundesregierung besteht nach Art. 62 GG aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Der Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand setzt danach einen Beschluss der Bundesregierung als Kollegium (vgl. BVerfGE 26, 338 <396>; 91, 148 <166>; 115, 118 <149>) voraus. Es gilt nichts anderes als für den Einsatz der Streitkräfte im Fall des inneren Notstandes, für den Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ebenfalls die Entscheidungszuständigkeit der Bundesregierung vorsieht und der unstreitig nur aufgrund eines Kabinettsbeschlusses zulässig ist (s. statt vieler Heun, in: Dreier, GG, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 87a Rn. 33; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 160; Ruge, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 87a Rn. 8; Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 87a Rn. 37; Denninger, in: Benda/ Maihofer/Vogel, HdVerfR, 2. Aufl. 1994, § 16 Rn. 60).

55

Zu einer Delegation der zugewiesenen Beschlusszuständigkeit auf ein einzelnes Mitglied (vgl. Robbers, in: Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ProtokollNr. 15/35, S. 54) ist die Bundesregierung nicht befugt. Staatsorganisationsrechtliche Kompetenzen stehen im Grundsatz nicht zur freien Disposition ihrer Träger (vgl. zum Verhältnis von Bundes- und Länderkompetenzen BVerfGE 1, 14 <35>; 39, 96 <109>; 41, 291 <311>; 63, 1 <39>). Sie sind daher grundsätzlich weder verzichtbar noch beliebig delegierbar. Darin unterscheiden sie sich von subjektiven Rechten, über die der Inhaber im Prinzip verfügen kann.

56

2. Eine Eilkompetenz für ein anderes als das regulär vorgesehene Organ, wie sie in verschiedenen Grundgesetzbestimmungen für den Fall der Gefahr im Verzug vorgesehen ist (Art. 13 Abs. 2, Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz GG; vgl. auch Art. 119 Satz 3 GG: Auswechselung des Weisungsadressaten bei Gefahr im Verzug), sieht Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vor; ermächtigt wird allein die Bundesregierung. Danach besteht eine Delegationsbefugnis der Bundesregierung oder eine Befugnis des Gesetzgebers zu abweichender Zuständigkeitsbestimmung auch für Eilfälle nicht (vgl. Bauer, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 32; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 35 Rn. 79; Hömig, in: ders., GG, 9. Aufl. 2010, Art. 35 Rn. 10; Erbguth, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 41; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 8; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 49; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 35 Rn. 29; Martínez Soria, DVBl 2004, S. 597 <603>; v. Danwitz, Rechtsfragen terroristischer Angriffe auf Kernkraftwerke, 2002, S. 56; Arndt, DVBl 1968, S. 729 <732>; Sattler, NVwZ 2004, S. 1286 <1289>; Lepsius, in: Festgabe für Dr. Burkhard Hirsch, 2006, S. 47 <57>).

57

Die Ressortzuständigkeit der Bundesminister (Art. 65 Satz 2 GG) und die Zuweisung der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte an den Bundesminister der Verteidigung (Art. 65a GG) können eine abweichende Auslegung (vgl. Epping, Schriftliche Stellungnahme im Rahmender öffentlichen Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 26. April 2004, ADrs 15(4)102B, S. 8) nicht begründen, weil Art. 35 Abs. 3 Satz 1GG für die Befugnis, über den Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand zu entscheiden, eine demgegenüber speziellere Regelung trifft.

58

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in einzelnen Bereichen Eilzuständigkeiten in Abweichung von einer grundsätzlich gegebenen Parlamentszuständigkeit anerkannt hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388> und BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 - 2 BvE 8/11 -, juris, Rn. 109 ff., 113, 150). Dies betraf Bereiche, für die die Entscheidungszuständigkeit im Grundgesetz gerade nicht ausdrücklich geregelt ist. Die Frage, ob und inwieweit Sonderkompetenzen für Eilfälle auch entgegen ausdrücklich - und ohne Ausnahme für den Eilfall -im Grundgesetz getroffenen Zuständigkeitsregelungen anerkennungsfähig sein könnten, ist damit nicht beantwortet.

59

Angesichts der nach Wortlaut und Systematik eindeutigen ausschließlichen Kompetenzzuweisung an die Bundesregierung kann eine abweichende Zuständigkeit nicht aus einem auf wirksame Gefahrenabwehr gerichteten Zweck des Art. 35 Abs. 3 GG (vgl. Franz, Der Staat 45 <2006>, S. 501 <530>; Franz/Günther, VBlBW 2006, S. 340 <343>; Schenke, NJW 2006, S. 736 <737 f.>; Palm, AöR 132 <2007>, S. 95 <104>; Ladiges, Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, 2007, S. 252) oder aus staatlichen Schutzpflichten (Epping, a.a.O., S. 8) abgeleitet werden. Der Verfassungsgesetzgeber hat Einsätze der Streitkräfte bewusst nur unter engen Voraussetzungen zugelassen. Für die Auslegung der betreffenden Vorschriften, die in einer politisch hochumstrittenen Materie als Ergebnis ausführlicher, kontroverser Diskussionen zustande gekommen sind, gilt das Gebot strikter Texttreue (s.o. unter II.). Jedenfalls deshalb verbietet sich eine auf die Vermeidung von Schutzlücken gerichtete teleologische Verfassungsinterpretation, die vom bewusst und in Übereinstimmung mit der Systematik gewählten ausdrücklichen Wortlaut abweicht. Aus demselben Grund kann - unabhängig von der allgemeineren Frage des möglichen Stellenwerts von Notstandsgesichtspunkten, die in positiven Verfassungsbestimmungen gerade nicht aufgegriffen sind - auch auf ungeschriebene Sonderkompetenzen für Eil- und Notfälle (vgl. Wieland, in: Fleck, Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, S. 167 <179>; Epping, Schriftliche Stellungnahme, a.a.O., S. 8) jedenfalls bei Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zurückgegriffen werden.

Abw. Meinung

60

Die Entscheidung des Plenums trage ich zur ersten und dritten Vorlagefrage mit, der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage stimme ich hingegen nicht zu.

61

Das Bundesverfassungsgericht wird gerne als Ersatzgesetzgeber bezeichnet; mit der nun getroffenen Entscheidung des Plenums läuft das Gericht Gefahr, künftig mit der Rollenzuschreibung als verfassungsändernder Ersatzgesetzgeber konfrontiert zu werden. Denn mit seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage schenkt das Plenum den Vorgaben des eigenen Gerichts zur Verfassungsinterpretation keine ausreichende Beachtung. Es wird weder der Wortlaut der einschlägigen Verfassungsnormen unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte hinreichend gewürdigt (dazu BVerfGE 88, 40 <56>), noch erfolgt eine systematische Auslegung mit Blick auf die Einheit der Verfassung (dazu BVerfGE 55, 274 <300>) als "vornehmstes Interpretationsprinzip" (so aber BVerfGE 19, 206 <220>). Im Ergebnis hat die Auslegung der Regelungen zum Katastrophennotstand, die der Plenarbeschluss bei seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage zugrunde legt, die Wirkungen einer Verfassungsänderung. Deshalb folge ich dem Plenarbeschluss insoweit nicht.

I.

62

Das Grundgesetz ist auch eine Absage an den deutschen Militarismus, der Ursache für die unvorstellbaren Schrecken und das millionenfache Sterben in zwei Weltkriegen war. 1949 ist die Bundesrepublik Deutschland als Staat ohne Armee entstanden; schon die Einfügung der Wehrverfassung in das Grundgesetz im Jahr 1956 wird zu Recht "eine Wende in der Entwicklung der Bundesrepublik" genannt (Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., 2003, Bd. I, § 9 Rn. 51). Dabei wurde durch Art. 143 GG in der Fassung von 1956 klargestellt, dass im Zuge der "Wiederbewaffnung" eine Befugnis zum Einsatz der Streitkräfte im Inneren selbst in Fällen des Notstandes nicht gegeben war (vgl. Meixner, in: Dolzer/Kahl/Waldhoff/Graßhof, BK, Art. 143 Rn. 4 ). Nach diesem ersten folgte 1968 ein zweiter Schritt im Zuge der Implementierung der Notstandsverfassung in das Grundgesetz. Nun wurde der Einsatz der Streitkräfte auch im Inland zugelassen, allerdings nur in wenigen eng begrenzten Fällen, die zudem in der Verfassung ausdrücklich geregelt sein müssen (Art. 87a Abs. 2 GG). Dies sind der regionale und der überregionale Katastrophennotstand (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG), der äußere Notstand (Art. 87a Abs. 3 GG) und der Staatsnotstand als qualifizierter Fall des inneren Notstandes (Art. 87a Abs. 4 GG). Dabei ist mit der Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren noch keine Aussage über die Mittel getroffen, die hierbei zum Einsatz gelangen können. Vielmehr bleibt - wie vom Ersten Senat im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) erkannt - ein Einsatz spezifisch militärischer Waffen in Fällen des Katastrophennotstandes auch dann ausgeschlossen, wenn gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Satz 1 GG die Streitkräfte herangezogen werden dürfen. Bei beiden Verfassungsänderungen hat der Gesetzgeber also nicht aus dem Blick verloren, dass der Einsatz von Streitkräften im Inneren mit besonderen Gefahren für Demokratie und Freiheit verbunden ist und daher ebenso strikter wie klarer Begrenzung bedarf.

63

Auch und gerade seitdem nach der Notstandsgesetzgebung der Einsatz des Militärs im Inneren nicht mehr schlechthin unzulässig ist, bleibt strenge Restriktion geboten. Es ist sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 87a Abs. 4 GG), ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit Aufgabe allein der Polizei. Ihre Funktion ist die der Gefahrenabwehr und nur über hierfür geeignete und erforderliche Waffen darf die Polizei verfügen; hingegen sind Kampfeinsätze der Streitkräfte auf die Vernichtung des Gegners gerichtet, was spezifisch militärische Bewaffnung notwendig macht. Beide Aufgaben sind strikt zu trennen. Hiermit zieht unsere Verfassung aus historischen Erfahrungen die gebotenen Konsequenzen und macht den grundsätzlichen Ausschluss der Streitkräfte von bewaffneten Einsätzen im Inland zu einem fundamentalen Prinzip des Staatswesens. Mit anderen Worten: Die Trennung von Militär und Polizei gehört zum genetischen Code dieses Landes (so Heinrich Wefing, in: Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/2008/42/Bundeswehr).

64

Wer hieran etwas ändern will, muss sich nicht nur der öffentlichen politischen Debatte stellen, sondern auch die zu einer Verfassungsänderung erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten (Art. 79 Abs. 2 GG) für sich gewinnen. Im Anschluss an das Urteil des Ersten Senats war demgemäß eine Änderung des Grundgesetzes beabsichtigt, um den am 11. September 2001 deutlich gewordenen Gefahren des internationalen Terrorismus effektiv begegnen zu können. Das Vorhaben scheiterte, weil sich - trotz der damaligen "großen" Regierungskoalition - für die von der Bundesregierung beabsichtigte Zulassung "militärischer Mittel" generell in "besonders schweren Unglücksfällen" im Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit fand und allenfalls eine Begrenzung militärischer Kampfeinsätze zur Abwehr von Angriffen aus der Luft oder von See aus hätte erreicht werden können (vgl. Zeit-Online vom 14. Januar 2009, http://www.zeit.de/online/2008/42/bundeswehr-grundgesetz). Der Plenarbeschluss gibt nun das, was für die Bundesregierung vor drei Jahren gegen einen der Koalitionspartner - und auch gegen die Stimmverhältnisse im Bundesrat - nicht durchsetzbar war. Selbst wenn man es unerträglich empfindet, dass die Streitkräfte hiernach bei terroristischen Angriffen untätig in der Rolle des Zuschauers verharren müssen, ist es nicht Aufgabe und nicht Befugnis des Bundesverfassungsgerichts korrigierend einzuschreiten.

II.

65

Nach meiner Ansicht schließt das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung den Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen sowohl in Fällen des regionalen (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG) wie in Fällen des überregionalen (Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG) Katastrophennotstandes aus; insoweit ist also an der Auffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118 <146 ff., 150 f.>) festzuhalten. Hierbei kann dahinstehen, ob die Wortlautargumente, die im Urteil des Ersten Senats in den Vordergrund gestellt wurden, den Argumenten des Plenarbeschlusses Stand halten und die ihnen beigelegte tragende Bedeutung weiterhin beanspruchen können. Denn es lässt sich auch mit einer historischen Verfassungsinterpretation, vor allem aber mit einer systematischen Auslegung des Grundgesetzes begründen, dass ein Einsatz der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung in beiden Fällen des Katastrophennotstandes nicht erlaubt und damit aufgrund des Art. 87a Abs. 2 GG von Verfassungs wegen untersagt ist.

66

1. Der Plenarbeschluss will zwar davon ausgehen, dass sich aus den Gesetzgebungsmaterialien "insgesamt kein klares Bild" für einen bestimmten Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers ergebe. Bei vollständiger Ausschöpfung der verfügbaren Quellen und bei Würdigung der dort dokumentierten Erklärungen im Zusammenhang vermag ich diese Einschätzung allerdings nicht zu teilen.

67

a) Unklarheiten können, anders als der Plenarbeschluss ausführt, nicht aus dem Protokoll über die gemeinsame Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses des Bundestages am 30. November 1967 (BTDrucks V/1879 und V/2130) hergeleitet werden. Zwar trifft es zu, dass die dort festgehaltenen Äußerungen der verschiedenen angehörten Sachverständigen unterschiedliche Meinungen zur Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Waffen wiedergeben; ferner ist auch zutreffend, dass diese Anhörung Grundlage für den Bericht des Rechtsausschusses wurde, der wiederum Grundlage für den Gesetzesbeschluss des Bundestages zur Verfassungsänderung geworden ist. Es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, sondern ist schon im Ansatz fernliegend, dass das uneinheitliche Meinungsbild einer Anhörung unverändert in die Beschlussfassung des Rechtsausschusses eingeflossen ist. Das Gegenteil ist richtig. Der Rechtsausschuss musste - jedenfalls mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder - eine klare Entscheidung treffen und hat dies auch getan.

68

Die Auffassung des Rechtsausschusses steht allerdings der Einschätzung des Plenums entgegen und findet in dessen Argumentation keine hinreichende Beachtung: Nachdem die Sachverständigen Kluncker und Kuhlmann in der gemeinsamen Informationssitzung des Innen- und des Rechtsausschusses angeregt hatten, den waffenlosen Einsatz der Bundeswehreinheiten im Katastrophen- und Unglücksfall zum Ausdruck zu bringen (vgl. Protokoll der 3. öffentlichen Informationssitzung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses vom 30. November 1967, a.a.O., S. 42, 50), nimmt der schriftliche Bericht des Rechtsausschusses diese Hinweise auf, zieht daher den Einsatz militärisch bewaffneter Streitkräfte überhaupt nur für den Fall des Art. 87a Abs. 4 GG in Betracht und beschränkt ihn zugleich auf den Staatsnotstand als eine besonders gefährdende Situation des inneren Notstandes. Im Bericht des Rechtsausschusses heißt es unmissverständlich (BTDrucks V/2873, S. 2):

69

"Der Hauptunterschied zur Regierungsvorlage liegt darin, dass die Schwelle für den Einsatz der Streitkräfte als bewaffnete Macht angehoben worden ist. Der Rechtsausschuss schlägt vor, den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr nur dann zuzulassen, wenn dies zur Bekämpfung von Gruppen militärisch bewaffneter Aufständischer erforderlich ist (Artikel 87a Abs. 4)."

70

Entgegen der Ansicht des Plenums, das die Bedeutung dieser Äußerung ins Ungewisse stellt ("… muss nicht dahin verstanden werden …"), wird damit ein bewaffneter Einsatz auch in den Fällen des Katastrophennotstandes ausgeschlossen; denn diese Passage findet sich unter der Überschrift "Innerer Notstand" in dem Abschnitt des Berichts, der sich eingehend dazu verhält, dass die zuvor in der Regierungsvorlage zusammenfassend geregelten "Fälle des Inneren Notstandes" nunmehr nach ihrem "sachlichen Inhalt" getrennt in eigenen Vorschriften normiert werden sollen. Da angesichts der Zusammenfassung im Regierungsentwurf seinerzeit in den Begriff des "Inneren Notstandes" auch die Fälle des Katastrophennotstandes einbezogen wurden (vgl. Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetzes - Kommentar, 1971, Art. 35 Rn. 2), war der Ausschluss spezifisch militärischer Waffen ersichtlich auch und gerade für die nun in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gesondert zu regelnden Einsätze bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen gewollt.

71

b) Dies wird - entgegen der Ansicht des Plenums - durch weitere Quellen bestätigt. Ein anderes Verständnis trifft nicht die historischen Gegebenheiten im Umfeld der Verfassungsänderung des Jahres 1968. Das Plenum lässt völlig außer Acht, dass zur Zeit der Notstandsgesetzgebung eine weitergehende Zulassung des Einsatzes militärisch bewaffneter Einheiten der Streitkräfte im Inneren politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Seit dem Bundestag im Jahre 1960 ein erster Entwurf vorgelegt worden war, kam es über Jahre hinweg zu grundlegenden politischen Diskussionen in der - angesichts der Erfahrungen mit der deutschen Geschichte - sensibilisierten Öffentlichkeit, die sich im Zuge der abschließenden Beratungen noch erheblich verschärften (vgl. etwa Scheuner, in: Lenz, a.a.O., Einleitung, S. 13). So richtete sich der vor allem von den Gewerkschaften getragene Widerstand gegen die Notstandsverfassung in Sonderheit gegen die zutreffend erkannte Gefahr eines Einsatzes der Streitkräfte als innenpolitisches Machtinstrument gegen die Bevölkerung namentlich bei Arbeitskämpfen (vgl. Hoffmann, in: Sterzel, Kritik der Notstandsgesetze, 1968, S. 87 f.). Als Beispiel für die mit der Notstandsgesetzgebung verknüpften Befürchtungen mag das von Ekkehart Stein und Helmut Ridder schon 1963 verfasste Memorandum der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler "Der permanente Notstand" (abgedruckt in Ridder, Gesammelte Schriften, 2010, S. 563 <566>) dienen, in dem es heißt:

72

"Das Friedensrecht darf nicht vom Kriegsrecht material unterwandert werden, d.h. im Frieden dürfen keine Maßnahmen zugelassen werden, die in einem Krieg zur Bewältigung dieser extremen Gefahrenlage entwickelt wurden und nur im Kriegsfall zu rechtfertigen sind."

73

Vor diesem Hintergrund stellte der Abgeordnete Dr. Lenz (CDU/CSU) als Berichterstatter des Rechtsausschusses bei den abschließenden Beratungen im Bundestag die restriktiven Ziele beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte klar (PlProt 5/174, S. 9311 <9313>):

74

"Es ist nicht wahr, dass durch diese Vorlage der Bürgerkrieg vorbereitet wird. Sowohl bei der Formulierung des staatsbürgerlichen Widerstandsrechts als auch bei der Möglichkeit der Bundesregierung, im äußersten Notfall Truppen gegen militärisch bewaffnete Aufständische einzusetzen, hat der Rechtsausschuss sich bemüht, klarzustellen, dass dies nur die Ultima ratio, das letzte Mittel sein dürfte, wenn alle anderen Mittel versagt haben."

75

2. Diese historisch fundierte Ausgangsprämisse des verfassungsändernden Gesetzgebers findet deutlichen Niederschlag in der Systematik, die das Grundgesetz mit der Implementierung der "Notstandsverfassung" durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl I S. 709) erfahren hat. Der Plenarbeschluss geht hierauf nicht ein.

76

Gerade wegen der starken öffentlichen Kritik, die sich an dem Streitkräfteeinsatz im Fall des inneren Notstandes entzündet hatte, wandte sich der Rechtsausschuss gegen eine zusammenfassende Regelung, wie sie in dem vorangegangenen Regierungsentwurf vorgeschlagen worden war. Die Trennung der - als unproblematisch angesehenen - Regelung des Katastrophennotstandes einerseits von der des inneren Notstandes andererseits erfolgte, um die entstandene Debatte zu entpolitisieren und den Verdacht auszuräumen, dass mit dem Katastrophennotstand auch der innere Notstand bekämpft werden solle (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Dies belegt einmal mehr, dass diese beiden Fälle des Streitkräfteeinsatzes im Inneren völlig unterschiedliche, sich nicht überschneidende Anwendungsbereiche haben und deshalb nicht durch die Zulassung spezifisch militärischer Bewaffnung auch in Fällen des Katastrophennotstandes vermengt werden dürfen. Demgemäß führt der Berichterstatter des Rechtsausschusses, der Abgeordnete Dr. Lenz, in dem von ihm 1971 verfassten Kommentar zur Notstandsverfassung bei Art. 35 Abs. 2 GG (a.a.O., Art. 35 Rn. 9) aus:

77

"Die Anforderung geschieht 'zur Hilfe'. Damit ist ein unbewaffneter - dies ist vor allem im Hinblick auf die Streitkräfte von Bedeutung - technischer Hilfseinsatz gemeint."

78

In Einklang damit steht der Hinweis in dem abschließenden Bericht des Rechtsausschusses, dass die im Fall des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG zur Verfügung gestellten Kräfte anderer Länder und des Bundes "den Rechtsnormen des im Einsatzland geltenden Landespolizeirechts" unterstehen (BTDrucks V/2873, S. 10). Zu Art. 35 Abs. 3 GG verweist der Bericht ausdrücklich auf die Ausführungen zu Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG (BTDrucks V/2873, S. 10). Für beide Fälle des Katastrophennotstandes wurden also mit der Maßgeblichkeit des Landespolizeirechts die Voraussetzungen für die Einbindung der Streitkräfte in den zivilen Katastrophenschutz geschaffen und damit nur polizeiliche Maßnahmen, nicht aber militärische Kampfmaßeinsätze ermöglicht (vgl. auch Cl. Arndt, DVBl 1968, S. 729 f.). Auch die im Bericht des Rechtsausschusses im Einzelnen angeführten Beispiele für den Einsatz der Streitkräfte in den Fällen von Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, nämlich "Absperrungen von gefährdeten Grundstücken und Verkehrsregelungen" (BTDrucks V/2873, S. 10), sprechen deutlich für einen Einsatz der Streitkräfte, der hinsichtlich der einsetzbaren Mittel nicht über die im jeweiligen Landespolizeirecht der Länder vorgesehenen hinausgehen darf. In der Begründung des Rechtsausschusses zu Art. 87a Abs. 4 GG findet sich demgegenüber die Aussage, dass für den dort geregelten Einsatzfall militärische Mittel nicht von vornherein ausgeschlossen werden sollten, wobei konsequenterweise nicht auf die Anwendbarkeit des jeweiligen Landespolizeirechts verwiesen wird (BTDrucks V/2873, S. 14).

79

3. Weiteres kommt hinzu. Im Rahmen der systematischen Auslegung ist auch zu beachten, dass im Fall des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG allein der Bundesregierung eine Initiativbefugnis zusteht, sie demnach - wie auch der Plenarbeschluss in Bestätigung der Rechtsauffassung des Ersten Senats (BVerfGE 115, 118 <149 f.>) zur dritten Vorlagefrage zutreffend erkennt - nur als Kollegialorgan über den Einsatz der Streitkräfte in überregionalen Katastrophen- oder Unglücksfällen zu befinden vermag. Diese Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers für das Initiativrecht nur der Bundesregierung als Kollegialorgan ist auch für die Zulässigkeit eines bewaffneten Einsatzes der Streitkräfte im Inneren von Belang; denn sie gibt auch Aufschluss über den als zulässig angesehenen und der Regelung daher zugrunde gelegten Mitteleinsatz.

80

Entscheidungen eines Gremiums erfordern naturgemäß einen größeren zeitlichen Vorlauf; das Verfahren ist schwerfälliger als das einer ministeriellen Einzelentscheidung und bringt daher schwerwiegende Effektivitätsnachteile mit sich. Diese können bis zur Erfolglosigkeit einer Maßnahme infolge Zeitablaufs reichen, wenn es sich um eine Gefahrenlage handelt, die ein sofortiges Eingreifen zwingend erfordert. Hingegen zeichnen sich die Naturkatastrophen und Unglücksfälle, für die in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG ein Einsatz der Streitkräfte vorgesehen wurde, typischerweise dadurch aus, dass sie einen gewissen, wenn auch eng begrenzten zeitlichen Spielraum lassen. Unglücksfälle treten generell, Naturkatastrophen bisweilen so plötzlich ein, dass nur noch eine Bekämpfung hinsichtlich der Folgen möglich ist, was aufgrund der Notwendigkeit, Einsatzkräfte und Material heranzuführen, ohnehin geraume Zeit in Anspruch nehmen muss. Ansonsten weisen Naturkatastrophen in ihrer Entstehung oder Folgeentwicklung eine zeitliche Streckung zumindest über Stundenzeiträume auf. All diese Umstände erlauben die Befassung eines Kollegialorgans wie der Bundesregierung, ohne hierdurch die Wirksamkeit des Streitkräfteeinsatzes ernsthaft zu gefährden.

81

Hingegen ist ein unausweichlicher Druck zur Entscheidung innerhalb kürzester Frist gerade für solche Gefahren typisch, denen effektiv nur mit dem Einsatz solcher Waffen begegnet werden kann, die in ihrer zerstörenden Wirkung über die polizeirechtlich zulässige Bewaffnung hinausgehen. Spezifische Militärwaffen sind mit ihrer zerstörerischen Kraft auf die Vernichtung des Gegners angelegt. Ist außerhalb einer kriegerischen Auseinandersetzung zur Gefahrenabwehr der Einsatz solcher Vernichtungskraft im Sinne der Verhältnismäßigkeitsmaxime angemessen und insbesondere auch erforderlich, so wird typischerweise - wie eben bei der Entführung von Flugzeugen zum Einsatz als Anschlagswaffe ("Renegade"-Fälle) - ein Verlauf bereits eingeleitet sein, der bei ungehindertem Fortgang in kürzester Zeit den Verlust zahlreicher Menschenleben oder ungeheuere Schäden erwarten lässt und daher nur durch den Einsatz massivster Mittel endgültig gestoppt werden kann. Solche Gefährdungslagen sind also dadurch gekennzeichnet, dass ihrer Beseitigung jede zeitliche Verzögerung abträglich ist. Dann wäre aber die Betrauung eines in der Entscheidungsfindung vergleichsweise schwerfälligen Kollegialorgans mit der Initiativbefugnis zum Einschreiten geradezu dysfunktional und als Zuständigkeitsentscheidung mit Blick auf die vom verfassungsändernden Gesetzgeber angestrebte "wirksame Bekämpfung" fernliegend. Wenn daher - wie in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG geschehen - der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Bundesregierung einem Kollegialorgan die Zuständigkeit für die Einsatzentscheidung zuweist, kann hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass er von vornherein den Einsatz spezifisch militärischer Waffen nicht für erforderlich hielt und damit auch nicht legitimieren wollte.

III.

82

Dem geschilderten Ergebnis einer historischen und systematischen Auslegung des Grundgesetzes entspricht die Rechtsauffassung des Ersten Senats im Urteil vom 15. Februar 2006, wonach "auch im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes ein Einsatz der Streitkräfte mit typisch militärischen Waffen von Verfassungs wegen nicht erlaubt ist" (BVerfGE 115, 118 <150>). Ihm ließe sich aber auch noch dadurch Rechnung tragen, dass die im Plenarbeschluss dargestellte "Sperrwirkung" des Art. 87a Abs. 4 GG als unüberwindliche Schranke des Einsatzes militärischer Waffen im Inland strikt eingehalten wird. Damit wäre der Einsatz militärspezifischer Waffen in Katastrophenfällen namentlich gegen Sachen - wie etwa bei dem gängigen Beispiel des Bombardierens von Deichen zur Herbeiführung einer kontrollierten Überflutung - zu rechtfertigen. Das Plenum will diesen Weg zwar beschreiten und bringt dies scheinbar auch im Beschlusstenor mit der Antwort auf die zweite Vorlagefrage zum Ausdruck. Allerdings erfährt der Tenor durch die anschließenden Gründe des Beschlusses eine entscheidende Ausdehnung, die als tragende Begründung letztlich für das Verständnis und die Wirkungen der Entscheidung des Plenums maßgeblich ist (vgl. BVerfGE 3, 261 <264>; 36, 342 <359 f.> jeweils zu Art. 100 Abs. 3 GG). Damit macht das Plenum den Ansatz einer "strikten Begrenzung" durch Art. 87a Abs. 4 GG selbst zur Makulatur; denn der "Sperrwirkung" wird nur "grundsätzlich" Geltung beigelegt, was es ermöglicht, Inlandseinsätze der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung auch dann zuzulassen, wenn es gilt, einem "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretenden "katastrophalen Schaden" entgegenzuwirken, der auch durch absichtliches Handeln verursacht sein kann.

83

1. Vieles spricht dafür, dass die Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers bei Regelung des Katastrophennotstandes in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG neben Naturkatastrophen - wie der Hamburger Sturmflut 1962 - nur auf besonders schwere Unglücksfälle im Sinne schicksalhafter, zufälliger Verläufe gerichtet waren (vgl. etwa die Beispiele bei Lenz, a.a.O., Art. 35 Rn. 6 "Explosionsunglück" oder "Kollision von Öltankern in Küstennähe"). Der Erste Senat hat den Begriff des Unglücksfalls jedoch auch für solche Schadensereignisse geöffnet, die "von Dritten absichtlich herbeigeführt werden" (BVerfGE 115, 118 <144>). Erst damit konnte es zu Überschneidungen mit der Regelung des (inneren) Staatsnotstandes in Art. 87a Abs. 4 GG kommen, der unter engen Voraussetzungen einen Waffeneinsatz der Streitkräfte nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische erlaubt.

84

Will man daher mit dem Ersten Senat den Einsatz militärischer Waffen in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nicht schon generell untersagen, so ist zur Wahrung der in der Verfassung angelegten strikten Trennung zwischen Katastrophennotstand einerseits und innerem Notstand andererseits ein geeignetes Kriterium zu finden, das Umgehungen der streng restriktiven Regelung für Kampfeinsätze in Art. 87a Abs. 4 GG zwingend und effektiv vermeidet. Dazu ist es notwendig, den Zweck der verfassungsrechtlichen Trennung beider Einsätze ernst zu nehmen. Es ging darum, den Katastrophenschutz durch Unterstützung der Streitkräfte zu verbessern, gleichzeitig aber die damit faktisch auch eröffnete Möglichkeit zu verschließen, das Militär als innenpolitisches Machtinstrument zu nutzen (vgl. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. Februar 1968, dort S. 10). Selbst wenn Gewalttätigkeiten oder Unruhen drohen sollten, die in ihren Folgen das Ausmaß besonders schwerer Unglücksfälle erreichen, dürfen bewaffnete Streitkräfte im Inneren nicht etwa dazu eingesetzt werden, um allein schon durch ihre Präsenz die Bevölkerung etwa bei Demonstrationen einzuschüchtern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Art. 87a Abs. 4 GG eine Sperrwirkung beigelegt werden, die es verhindert, dass bewaffnete Streitkräfte gegen Menschen zum Einsatz kommen, die vorsätzlich die öffentliche Sicherheit gefährden, selbst wenn sie sich absichtlich und in aggressiver Weise gegen den Staat wenden und sich hierbei strafbar machen sollten. Die Bekämpfung solcher Gefährdungen ist selbstverständlich zulässig und geboten, aber sie ist nach dem geltenden Verfassungsrecht in Deutschland eine ausschließlich polizeiliche, nicht jedoch eine militärische Aufgabe. Dies bestätigt die Verfassung selbst durch Art. 91 GG. Denn sogar wenn es zu einer Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kommt, sieht Art. 91 GG für diesen Fall des inneren Notstandes nur den Einsatz von Polizeikräften anderer Länder oder der Bundespolizei vor, nicht aber den Einsatz der Streitkräfte. Deren Heranziehung macht Art. 87a Abs. 4 GG schon für den bloßen Objektschutz vielmehr von weiteren Voraussetzungen abhängig, wobei der Einsatz von Waffen in jedem Fall nur gegen organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische zulässig ist (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 18). Mit den Waffen des Militärs dürfen also nur Personengruppen bekämpft werden, die selbst militärisch bewaffnet sind, sich gegen den Staat erhoben haben und über ein System der Einsatzleitung verfügen (vgl. Lenz, a.a.O., Art. 87a Rn. 19).

85

2. Der Plenarbeschluss geht darüber hinaus. Er ist zwar von der redlichen und anerkennenswerten Absicht getragen, den bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren restriktiv zu halten, setzt sich aber über die selbst erkannte Sperrwirkung hinweg und kann daher mit den von ihm entwickelten Kriterien eine Umgehung der engen Voraussetzungen des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 GG durch die weniger strengen Voraussetzungen des Katastrophennotstandes nicht verhindern. Durch den Versuch der weiteren Einhegung des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG durch das Erfordernis eines zwar nicht das "Vorfeld" eines Unglücksfalls erfassenden, gleichwohl aber "unmittelbar bevorstehenden" Schadenseintritts "von katastrophischen Dimensionen" wird die Rechtsanwendung zwar um neue Begrifflichkeiten bereichert, nicht aber um die nötige Klarheit und Berechenbarkeit. Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der täglichen Anwendungspraxis viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, persönliche Bewertungspräferenzen und unsichere, wenn nicht gar voreilige Prognosen lassen. Jedenfalls bei Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter Streitkräfte ist das nicht hinnehmbar. Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen. Wie ist beispielsweise zu verhindern, dass im Zusammenhang mit regierungskritischen Großdemonstrationen - wie etwa im Juni 2007 aus Anlass des "G8-Gipfels" in Heiligendamm - schon wegen befürchteter Aggressivität einzelner teilnehmender Gruppen "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Kürze" eintretende massive Gewalttätigkeiten mit "katastrophalen Schadensfolgen" angenommen werden und deswegen bewaffnete Einheiten der Bundeswehr aufziehen? Der bloße Hinweis des Plenums, dass Gefahren, die "aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen", nicht genügen sollen, kann in diesen Fällen die selbst definierten Einsatzvoraussetzungen kaum wirksam suspendieren.

86

3. Dass die vom Plenarbeschluss entwickelte Lösung einer überzeugenden dogmatischen Grundlage entbehrt, kommt hinzu. Wie es angesichts der auch im Plenarbeschluss anerkannten Sperrwirkung zulässig sein kann, diese gleichwohl -und sei es auch nur in besonders qualifizierten Unglücksfällen - bei Seite zu schieben und den Einsatz bewaffneter Streitkräfte auch dann zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Art. 87a Abs. 4 GG nicht vorliegen, erschließt sich nicht und wird in der Entscheidung nicht begründet. Eine Begründung lässt sich auch schwerlich finden; denn wenn - bildlich gesprochen - das Öffnen einer Tür verboten ist, dann kann es nicht erlaubt sein, sie auch nur einen Spalt weit zu öffnen.

IV.

87

Letztlich wirft der Plenarbeschluss auch die Frage auf, was durch den nun erweiterten Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Inneren an Vorteilen für den Schutz der Bevölkerung namentlich vor terroristischen Angriffen erreicht werden kann. Die Antwort lautet: wenig bis nichts.

88

1. Angesichts des beim Zweiten Senat anhängigen Normenkontrollverfahrens wird darüber zu befinden sein, welche Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes zur Abwehr besonders schwerer Unglücksfälle durch den Einsatz bewaffneter Einheiten der Streitkräfte verfassungsrechtlichen Bestand haben können. Auf der Grundlage des Plenarbeschlusses mag es de lege lata zulässig sein, dass Kampfflugzeuge unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 LuftSiG "Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben". Die erfolgreiche Gefahrenabwehr durch solche Maßnahmen wird allerdings insbesondere in "Renegade"-Fällen deshalb wenig wahrscheinlich sein, weil Konsequenzen in Form eines Abschusses unzulässig sind, nachdem die - eine "unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt" gestattende - Vorschrift des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch das Urteil des Ersten Senats für verfassungswidrig und nichtig erklärt worden ist (BVerfGE 115, 118). De lege ferenda mag ohne Verfassungsänderung eine gesetzliche Neuregelung möglich sein, diese könnte jedoch eine unmittelbare Einwirkung mit militärischer Waffengewalt nur gegen ein unbemanntes Luftfahrzeug erlauben oder ausschließlich gegen die Personen gerichtet sein, die das Luftfahrzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen einsetzen wollen (vgl. BVerfGE 115, 118 <160>). Hingegen kann der deutsche Gesetzgeber den Abschuss solcher Flugzeuge nicht erlauben, in denen sich - wie bei den terroristischen Angriffen am 11. September 2001 - Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden, die selbst Opfer der Luftpiraten geworden sind. Insoweit hat auch der Plenarbeschluss nichts daran geändert, dass die den Umständen nach wahrscheinliche Tötung dieser Menschen mit dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar ist. Es kommt hinzu, dass - auch nach der Auffassung des Plenums - ohne Verfassungsänderung allein die Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG über den Einsatz militärischer Waffen gegen Luftfahrzeuge befinden kann, was angesichts des vergleichsweise kleinen deutschen Luftraums kaum jemals rechtzeitig zu einer Maßnahme nach § 14 Abs. 1 LuftSiG oder - nach gesetzlicher Neuregelung - zu einem eingeschränkt zulässigen Abschuss eines Luftfahrzeugs führen wird. Soll danach der Rahmen, den das materielle Verfassungsrecht für eine effektive Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum lässt, genutzt werden, so ist trotz der erweiterten Zulässigkeit von Kampfeinsätzen nach der Entscheidung des Plenums eine Verfassungsänderung gleichwohl unvermeidlich.

89

2. Es lässt sich nicht leugnen und ist positiv zu bewerten, dass die Antwort des Plenums deutlich hinter dem aus der Vorlagefrage ersichtlichen Anliegen des Zweiten Senats zurückbleibt, das auf eine Umgestaltung der Regelungen des Katastrophennotstandes hin zu einer subsidiären allgemeinen Gefahrenabwehr mit militärischen Waffen zielte. Gleichwohl hat das Plenum aber zugunsten eines geringen, praktisch kaum realisierbaren Gewinns an Sicherheit die Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte im Inneren mit Hilfe derart unbestimmter Rechtsbegriffe erweitert, dass militärische Einsätze zu innenpolitischen Zwecken nicht ausgeschlossen werden können. Für einen kaum messbaren Nutzen wurden fundamentale Grundsätze aufgegeben. Daher wäre es ein fataler Fehler, sich angesichts der Entscheidung des Plenums damit zu trösten, dass der Berg gekreißt, aber nur eine Maus geboren hat.

Tenor

Die Revision wird als unzulässig verworfen.

Zwischen den Beteiligten sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten zuletzt noch darüber, ob im Rahmen der Anrechnung der Verletztenrente des Klägers auf dessen Altersrente für schwerbehinderte Menschen (vormals: Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige) der abgesenkte Freibetrag in Höhe einer "Grundrente Ost" zu berücksichtigen ist. Mit Bescheid vom 23.11.1998 und Widerspruchsbescheid vom 13.10.1999 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß seine Altersrente und rechnete dabei von Anfang an die bezogene Unfallrente an. Von der Anrechnung ausgenommen wurde ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Da der Kläger seinen Wohnsitz am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer hatte, berücksichtigte die Beklagte diesen Freibetrag in Höhe der für das Beitrittsgebiet abgesenkten Grundrentensätze. Während des Verfahrens vor den Instanzgerichten wurde der Anrechnungsbetrag mehrfach fortgeschrieben. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.10.2002). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klage gegen weitere Verwaltungsakte abgewiesen (Urteil vom 10.4.2008).

2

Mit der vom LSG hinsichtlich der Anrechnung der Unfallrente zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Das BSG hat im Blick auf eine eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG vom 13.11.2008 - B 13 R 129/08 R - das Ruhen des Verfahrens angeordnet (Beschluss vom 19.5.2009). Im Verfahren vor dem BVerfG hat der dortige Beschwerdeführer das Verfahren für erledigt erklärt. Das BVerfG hat es mit Beschluss vom 8.6.2012 - 1 BvR 349/09 - Juris abgelehnt, die Auslagen nach Erledigung und Rücknahme der Verfassungsbeschwerde zu erstatten. Der Senat hat das ruhende Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist unzulässig (§ 169 SGG). Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 SGG).

4

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 der Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22). Sie haben den Zweck, eine Entlastung des Revisionsgerichts sowie im Interesse aller Beteiligten eine umfassende Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten (vgl Senatsurteil vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG vom 20.1.2005 - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16 und BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom BSG für notwendig erachteten (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

5

Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen Rügen sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 und vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 S 19 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f sowie BSG vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.

6

Der Kläger rügt eine Verletzung des § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Die fehlerhafte Anwendung dieser Normen kann schlüssig nur dadurch gerügt werden, dass der Revisionsführer zunächst angibt, auf welchen festgestellten Sachverhalt das Berufungsgericht die Vorschrift in welcher Weise angewandt hat. Ohne diese stets notwendigen Angaben ist eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen.

7

Das Rechtsmittel gibt bereits nicht an, von welchem Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich relevanter Tatumstände) das BSG im Revisionsverfahren auszugehen hat. Aus der Revisionsbegründung geht lediglich hervor, dass die Beklagte auf die Altersrente des Klägers dessen Verletztenrente aus der Unfallversicherung angerechnet habe und dabei wegen des Wohnsitzes des Klägers am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer lediglich den reduzierten "Freibetrag Ost" zugrunde gelegt habe. Dabei lässt die Revisionsbegründung bereits offen, ob diese tatsächlichen Angaben dem Berufungsgericht überhaupt zuzurechnen sind, dh ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das LSG im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Des Weiteren geht der Kläger nirgendwo darauf ein, an welcher genauen Stelle er dem Berufungsurteil welche der genannten Tatumstände entnehmen möchte. Für das Revisionsgericht sind indes die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 SGG). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das BSG nicht in die Lage versetzt, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind. Es ist nicht Aufgabe des erkennenden Senats, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.

8

Darüber hinaus setzt sich der Kläger auch nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Normen in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden sind (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedanken des Vordergerichts einzugehen (BSG Urteil vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20 S 33 f). Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 ff). Insbesondere bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG Urteil vom 11.11.1993 - 7 RAr 94/92 - Juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12, 20 und 28).

9

Das LSG hat sich eingehend mit Wortlaut, Gesetzesbegründung und Systematik der streitbefangenen Norm beschäftigt und insbesondere auch einen Verfassungsverstoß gegen Art 14 GG und Art 3 Abs 1 GG verneint. Es hat sich dabei insbesondere auf den Beschluss des BSG vom 29.11.2007 - B 13 RJ 25/05 R - gestützt. Auf diese Gründe und den konkreten Subsumtionsschluss des LSG geht der Kläger nur unzureichend ein. Er beschränkt sich vielmehr darauf, dem Ergebnis des Berufungsgerichts seine eigene Rechtsauffassung entgegenzuhalten. Danach ermächtige § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI den Rentenversicherungsträger nicht, bei der Berücksichtigung des Freibetrags zwischen unfallverletzten Rentenbewerbern in den alten und neuen Bundesländern zu differenzieren. Dabei stützt er sich insbesondere auf die Entscheidungen des 4. Senats des BSG vom 10.4.2003 - B 4 RA 32/02 R - und vom 20.10.2005 - B 4 RA 27/05 R -, an denen der ab 1.1.2008 anstelle des 4. Senats für Streitigkeiten aus der Rentenversicherung zuständige 5a-Senat des BSG nicht mehr festgehalten hat (Beschluss vom 30.7.2008 - B 5a R 6/08 S). Der Hinweis des Klägers auf das von ihm selbst vertretene Auslegungsergebnis ersetzt nicht die eingehende Auseinandersetzung mit den Überlegungen, von denen sich das LSG bei seiner Rechtsauslegung hat leiten lassen.

10

Letztlich macht der Kläger mit seinem Vortrag eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) geltend. Eine formgerechte Verfahrensrüge der Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung liegt aber nicht vor, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt oder diese eigene Würdigung als überlegen bezeichnet. Dem Revisionsgericht ist es nämlich nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50; BSG Urteil vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16).

11

Die vorliegende Verfahrensdauer gibt keinen Anlass, von den im Gesetz vorgesehenen Anforderungen an die Begründung der Revision abzuweichen. Die Verfahrensdauer ergibt sich vorliegend im Wesentlichen daraus, dass der Senat den Rechtsstreit wegen einer ausstehenden Entscheidung des BVerfG zum Ruhen gebracht hat. Ein derartiges Zuwarten erschien vorliegend geboten, um den Kläger in den Genuss einer ihm möglicherweise positiven Entscheidung des BVerfG kommen zu lassen. Endet das verfassungsgerichtliche Verfahren indessen erfolglos, begründet der bisherige Prozessverlauf keine Erwartung hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision oder darauf, dass sich das Revisionsgericht hierauf nicht mehr berufen werde.

12

Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen früheren Beginn der ab Januar 2006 gewährten Erziehungsrente.

2

Die Ehe der 1956 geborenen Klägerin mit dem Versicherten wurde Ende 2000 geschieden. Aus der Ehe stammt der 1994 geborene Sohn. Die Klägerin hat nicht wieder geheiratet.

3

Der Versicherte verstarb am 29.6.2001. Auf den Antrag der Klägerin vom Juli 2001 gewährte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Halbwaisenrente für ihren Sohn. Ein Hinweis der BfA auf die Möglichkeit des Antrags auf Erziehungsrente nach § 47 SGB VI erfolgte nicht.

4

Auf den erst im Dezember 2010 gestellten Antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin Erziehungsrente (Bescheid vom 20.4.2011) für die Zeit vom 1.1.2006 bis zum 31.7.2012 (dem Monatsende der Vollendung des 18. Lebensjahres des Sohnes). Ab Mai 2011 ergab sich ein laufender Rentenzahlbetrag iHv 441,14 Euro monatlich und für die Zeit vom 1.1.2006 bis 30.4.2011 eine einmalige Nachzahlung von 29 435 Euro. Die Beklagte ging - wegen des unterbliebenen Hinweises der BfA auf die Möglichkeit eines Antrags auf Erziehungsrente im Juli 2001 - von einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch aus und begrenzte die rückwirkend zu leistende Erziehungsrente auf einen Zeitraum von vier Jahren.

5

Der Widerspruch, mit dem die Klägerin eine Rentenzahlung bereits ab Juli 2001 beanspruchte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17.10.2011), ebenso das Klage- und Berufungsverfahren (Urteile des SG Gelsenkirchen vom 25.4.2012 und des LSG vom 24.5.2013). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, weil es - wie schon die Beklagte und das SG - von einer analogen Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ausgegangen ist und sich hierfür auf Rechtsprechung des BSG berufen hat(Hinweis auf BSG 4b/9a. Senat vom 11.4.1985 - 4b/9a RV 5/84 - SozR 1300 § 44 Nr 17; BSG 11a. Senat vom 9.9.1986 - 11a RA 28/85 - BSGE 60, 245 = SozR 1300 § 44 Nr 24; BSG 1. Senat vom 21.1.1987 - 1 RA 27/86 - SozR 1300 § 44 Nr 25; BSG 14. Senat vom 28.1.1999 - B 14 EG 6/98 B - SozR 3-1300 § 44 Nr 25; BSG 9. Senat vom 14.2.2001 - B 9 V 9/00 R - BSGE 87, 280 = SozR 3-1200 § 14 Nr 31; BSG 13. Senat vom 27.3.2007 - B 13 R 58/06 R - BSGE 98, 162 = SozR 4-1300 § 44 Nr 9). Für die Begrenzung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch analoge Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X bei Beratungsfehlern in einem Erstfeststellungsverfahren spreche, dass die Interessenlage mit der bei nachträglicher Korrektur eines bindenden belastenden Verwaltungsakts(§ 44 SGB X in direkter Anwendung)vergleichbar sei. Der 9. Senat (aaO) habe zu Recht darauf verwiesen, dass der Herstellungsanspruch, der die Verletzung einer Nebenpflicht des Leistungsträgers (zB Beratung) sanktioniere, nicht weiter reichen könne als der Anspruch nach § 44 Abs 1 SGB X als Rechtsfolge der Verletzung einer Hauptpflicht (Leistungsgewährung durch rechtmäßigen Verwaltungsakt). Der 13. Senat (aaO) habe diese Argumentation dahin ergänzt, dass die Vermeidung unterschiedlicher Rechtsfolgen im Grenzbereich beider Rechtsinstitute für eine Gleichbehandlung beider Fallkonstellationen spreche. Hinzu komme, dass der Herstellungsanspruch auf gesetzlich zulässige Amtshandlungen beschränkt sei; bei der nachträglichen Leistungsgewährung seien deshalb auch gesetzliche Ausschlussfristen zu beachten. Insofern könne, worauf der 1. Senat (aaO) zutreffend hingewiesen habe, der neben dem Korrekturanspruch aus § 44 SGB X bestehende Herstellungsanspruch auch nicht über den gesetzlichen Anspruch(aus § 44 SGB X) hinausgehen. Schließlich spreche - so der 11a. Senat (aaO) - für die analoge Anwendung und damit zeitliche Begrenzung der Rückwirkung des Herstellungsanspruchs im Rahmen der Erstfeststellung auch die Aktualität der Sozialleistungen, die im Wesentlichen dem laufenden Unterhalt des Berechtigten dienten sowie das Interesse des Leistungsträgers an einer Überschaubarkeit seiner Leistungsverpflichtungen.

6

Demgegenüber seien die vom 4. Senat des BSG gegen die analoge Anwendung von § 44 Abs 4 SGB X vorgebrachten Argumente (Verweis auf BSG 4. Senat vom 2.8.2000 - B 4 RA 54/99 R - SozR 3-2600 § 99 Nr 5 und vom 6.3.2003 - B 4 RA 38/02 R - BSGE 91, 1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1)nicht überzeugend. Soweit der 4. Senat darauf verweise, dass der Gesetzgeber mit § 99 SGB VI, § 44 Abs 4 SGB X und § 45 SGB I ein in sich stimmiges und lückenfreies Regelungskonzept für das Rentenversicherungsrecht ausgestaltet habe, das einer richterrechtlichen Ergänzung oder gar Durchbrechung nicht offenstehe, sei nicht zu übersehen, dass der Gesetzgeber bisher von einer gesetzlichen Regelung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs abgesehen habe. Auch aus dem Gebot, die sozialen Rechte möglichst weitgehend zu verwirklichen (§ 2 Abs 2 SGB I), könne nicht abgeleitet werden, auf den Herstellungsanspruch lediglich die Verjährungsregelung des § 45 SGB I, nicht jedoch die Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB X anzuwenden. Bereits die Begründung des Herstellungsanspruchs durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung (Schließung einer Lücke im Schadensersatzrecht) sei eine Begünstigung gegenüber der Gesetzeslage (Hinweis auf Senatsurteil vom 27.3.2007 - B 13 R 58/06 R - BSGE 98, 162 = SozR 4-1300 § 44 Nr 9). Die von der Klägerin angeführte, dem 4. Senat des BSG folgende Entscheidung des SG Freiburg (vom 4.11.2009 - S 19 R 4538/08 - Juris) stehe dem nicht entgegen.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die entsprechende Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Der Anwendungsbereich der Norm sei auf die Fälle der Korrektur von Verwaltungsakten beschränkt. Die Vorschrift sei weder Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, noch sei eine analoge Anwendung auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geboten. Daher sei der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG zu folgen. § 44 Abs 4 SGB X finde im hier vorliegenden Erstfeststellungsverfahren keine Anwendung.

8

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 2013 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25. April 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 20. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Oktober 2011 zu verurteilen, ihr Erziehungsrente nach den gesetzlichen Bestimmungen des SGB VI bereits ab dem 1. Juli 2001 zu gewähren.

9

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Sie verteidigt die Entscheidungen der Vorinstanzen und verweist ergänzend darauf, dass sich Umfang und Grenzen des auf richterlicher Rechtsfortbildung beruhenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs an der Rechtsordnung als Ganzes zu orientieren hätten. Hierzu gehöre wegen der strukturellen Ähnlichkeit zu § 44 SGB X auch die Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 SGB X.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

12

Die Vorinstanzen haben zu Recht die auf einen früheren Rentenbeginn gerichtete Anfechtungs-und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Erziehungsrente für die Zeit vor Januar 2006.

13

Auf der Grundlage der bindenden Tatsachenfeststellung des LSG (§ 163 SGG)hat die Klägerin einen Anspruch auf rückwirkende Leistung der Erziehungsrente wegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch Verletzung von Beratungspflichten im Juli 2001 (§§ 14, 15 SGB I). Die Beklagte hat ihr daher zu Recht auf ihren im Dezember 2010 gestellten Antrag rückwirkend Leistungen ab Januar 2006 gewährt. Der Klägerin steht kein weitergehender Leistungsanspruch - bereits ab Juli 2001 - zu, als ihn die Beklagte im angefochtenen Bescheid anerkannt hat.

14

Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest: Wenn ein Berechtigter Anspruch auf rückwirkende Leistungen aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs hat, werden diese längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren rückwirkend erbracht. Die Vorschrift des § 44 Abs 4 SGB X ist insoweit entsprechend anzuwenden(1.). Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht iS des § 41 Abs 3 SGG von Rechtsprechung anderer Senate des BSG ab(2.).

15

1. Nach § 44 Abs 4 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist(Satz 1). Dabei wird nach Satz 2 der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt nach Satz 3 bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

16

Zwar kommt § 44 Abs 4 SGB X im vorliegenden Fall nicht unmittelbar zur Anwendung. Denn ein bindender (§ 77 SGG) rechtswidriger Verwaltungsakt, der in einem Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X zurückzunehmen wäre, liegt nicht vor. Der Senat hat jedoch bereits entschieden, dass in Erstfeststellungsverfahren, in denen - wie hier - ein Anspruch auf rückwirkende Leistungserbringung aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erhoben wird, § 44 Abs 4 SGB X entsprechende Anwendung findet(vgl Senatsurteil vom 27.3.2007 - B 13 R 58/06 R - BSGE 98, 162 = SozR 4-1300 § 44 Nr 9). Hieran hält der Senat fest.

17

Bereits in seiner Entscheidung vom 27.3.2007 hat der Senat unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des BSG (BSG 11a. Senat vom 9.9.1986 - 11a RA 28/85 - BSGE 60, 245, 246 ff = SozR 1300 § 44 Nr 24 S 62 ff; BSG 11a. Senat vom 9.9.1986 - 11a RA 10/86 - Juris; BSG 1. Senat vom 21.1.1987 - 1 RA 27/86 - SozR 1300 § 44 Nr 25 S 67 f; BSG 14. Senat vom 28.1.1999 - B 14 EG 6/98 B - SozR 3-1300 § 44 Nr 25 S 60 f; BSG 9. Senat vom 14.2.2001 - B 9 V 9/00 R - BSGE 87, 280, 288 f = SozR 3-1200 § 14 Nr 31 S 114 f; BSG 9. Senat vom 16.12.2004 - B 9 VJ 2/03 R - Juris RdNr 30) auf die vergleichbare Interessenlage bei der nachträglichen Korrektur eines bindenden Verwaltungsakts (§ 44 SGB X) und beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verwiesen. In beiden Fällen wird vom Leistungsträger das Recht unrichtig angewandt, und in beiden Fällen hat dies zur Folge, dass der Leistungsberechtigte nicht die ihm zustehende Leistung erlangt. Einen ins Gewicht fallenden Unterschied hat das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht darin gesehen, dass der Berechtigte einmal einen ablehnenden Verwaltungsakt erhalten, ein andermal dagegen schon im Vorfeld von der Anspruchsverfolgung abgesehen hat. Denn so oder so ist der Leistungsträger gleichermaßen zur Korrektur verpflichtet. Auf ein Verschulden des Leistungsträgers kommt es hier wie dort nicht an; auch der Umfang seiner Verpflichtung ist grundsätzlich der gleiche. Aus diesen Gründen kann es für den zeitlichen Umfang der rückwirkenden Leistung nicht wesentlich sein, ob der Leistungsträger eine Leistung durch Verwaltungsakt zu Unrecht versagt oder er aus anderen ihm zuzurechnenden Gründen den Berechtigten nicht in den Leistungsgenuss kommen lässt; der Berechtigte ist im letzteren Fall keinesfalls schutzwürdiger als im ersten. Die Rechtsähnlichkeit der Fallgruppen erfordert daher die Gleichbehandlung. Der Herstellungsanspruch, der die Verletzung einer Nebenpflicht des Leistungsträgers (zB Beratung) sanktioniert, kann nicht weiter reichen als der Anspruch nach § 44 Abs 1 SGB X als Rechtsfolge der Verletzung der Hauptpflicht. Für die Gleichbehandlung der Fälle einer nachträglichen Korrektur eines bindenden Verwaltungsakts (§ 44 SGB X) mit denen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs spricht auch, dass hiermit im Grenzbereich beider Rechtsinstitute unterschiedliche Rechtsfolgen vermieden werden (so Senatsurteil vom 27.3.2007, aaO, RdNr 16 bis 19; dem folgend für den Bereich der Ausgleichsleistungen nach dem Recht der beruflichen Rehabilitierung: BVerwG vom 30.6.2011, BVerwGE 140, 103, 112).

18

Die gegenteilige - einen Analogieschluss ablehnende - Rechtsansicht des 4. Senats des BSG (vgl die Nachweise im Einzelnen unter 2.) überzeugt hingegen nicht. Zwar wird argumentiert, dass ein Berechtigter, der einen rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakt erhalten hat, Anlass zu Überlegungen habe, ob hiergegen Rechtsmittel einzulegen seien, demgegenüber wisse der aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch Berechtigte typischerweise nichts von seinen Ansprüchen, weil kein Verwaltungsakt ergangen ist. Diese Argumentation wird jedoch durch die Regelung des § 48 Abs 4 SGB X und deren Verweisung auf § 44 Abs 4 SGB X entkräftet. Der Senat hat schon darauf hingewiesen, dass auch hier typischerweise Fallkonstellationen erfasst werden, in denen der Bürger nicht durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt auf ein (fehlerhaftes) Verwaltungshandeln aufmerksam gemacht worden ist (vgl Senatsurteil vom 27.3.2007, aaO, RdNr 25). Demgegenüber tritt in den Hintergrund, dass auch bei Nichtausnutzung einer nach § 48 Abs 1 SGB X für den Betroffenen günstigeren Änderung dieser zumindest den ursprünglichen, von der Änderung betroffenen Bescheid in den Händen hat.

19

Nicht überzeugend ist auch das Argument, dem Analogieschluss stehe entgegen, dass der Normkomplex von § 99 SGB VI, § 44 Abs 4 SGB X und § 45 SGB I ein in sich stimmiges und lückenfreies Regelungskonzept sei, das keiner richterrechtlichen Ergänzung oder gar Durchbrechung bedürfe. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber bisher von einer gesetzlichen Regelung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs abgesehen und die Verantwortung zur näheren Ausgestaltung dieses Rechtsinstituts weiterhin bei der Rechtsprechung belassen hat. Der Senat folgt ferner nicht der Argumentation, der Rechtsprechung sei verwehrt, den Versicherten eine vollständige Herstellung des grundrechtlich geschützten Zustands mit allen rechtmäßigen und faktisch noch möglichen Mitteln zu verweigern, falls der Rentenversicherungsträger ein derartiges Recht verletzt hat. Denn zwar kann der Herstellungsanspruch auch als Verwirklichung des Gebots verstanden werden, soziale Rechte möglichst weitgehend zu verwirklichen (§ 2 Abs 2 SGB I). Hieraus kann jedoch keine - erst recht keine grundrechtlich bewehrte - Pflicht gefolgert werden, auf den Herstellungsanspruch lediglich die Verjährungsregelung des § 45 SGB I, nicht jedoch die Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB X anzuwenden. Denn die Begründung des Herstellungsanspruchs durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung (Schließung einer Lücke im Schadensersatzrecht) stellt bereits eine Begünstigung gegenüber der Gesetzeslage dar und hieran ändert auch die Begrenzung seiner Rückwirkung in entsprechender Anwendung des § 44 SGB X nichts(so Senatsurteil vom 27.3.2007, aaO, RdNr 25, 27, 30).

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Diese Überlegungen hält der erkennende Senat nach wie vor für ausschlaggebend. Sie stehen insbesondere nicht im Widerspruch zu den Senatsurteilen vom 8.12.2005 (BSGE 95, 300 = SozR 4-2200 § 1290 Nr 1) und 22.10.1996 (BSGE 79, 177, 180 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6), in denen der Senat die Herleitung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes aus § 44 Abs 4 SGB X dahingehend, dass die rückwirkende Erbringung von Sozialleistungen durchweg auf vier Jahre begrenzt ist(so BSG 11a. Senat vom 9.9.1986 - 11a RA 28/85 - BSGE 60, 245, 247 = SozR 1300 § 44 Nr 24 S 63; BSG 1. Senat vom 21.1.1987 - 1 RA 27/86 - SozR 1300 § 44 Nr 25 S 66 f; BSG 14. Senat vom 28.1.1999 - B 14 EG 6/98 B - SozR 3-1300 § 44 Nr 25 S 60 f), abgelehnt hat. Denn den dortigen Fällen lag kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zugrunde. Streitgegenständlich waren vielmehr Ansprüche auf Altersruhegeld, die nach dem bis zum 1.1.1992 geltenden Recht antragsunabhängig entstanden waren, so dass es einer Antragsfiktion über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht bedurfte, und sich somit allein die Frage nach der Verjährung der Ansprüche (§ 45 SGB I) stellte. Die analoge Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X im vorliegenden Fall rechtfertigt sich demgegenüber gerade durch die besondere Nähe der Erstfeststellung mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu den Fällen des § 44 Abs 1 SGB X. So wäre es mit dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung schwer zu vereinbaren, wenn der Leistungsberechtigte in Fällen, in denen der Leistungsträger die Folgen einer rechtswidrigen Leistungsversagung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 44 SGB X) beseitigen muss, Leistungseinschränkungen für die Vergangenheit hinnehmen muss, hingegen in Fällen, in denen zum Ausgleich vorenthaltener Leistungen aufgrund der Verletzung bloßer (sanktionsloser) Nebenpflichten kraft Richterrechts eine dem geschriebenen Recht vergleichbare "Folgenbeseitigung" angestrebt wird, der Berechtigte weiter zurückreichende Leistungen als im erstgenannten Fall in Anspruch nehmen könnte. Deshalb darf der neben dem Korrekturanspruch aus § 44 SGB X bestehende Herstellungsanspruch nicht über den gesetzlichen Anspruch hinausgehen. Nur dies wird schließlich dem Umstand gerecht, dass sich in zahlreichen Fallgestaltungen die Anwendungsbereiche des § 44 SGB X und des Herstellungsanspruchs so nahe kommen bzw überschneiden, dass eine unterschiedliche Rückwirkung je nach schließlich einschlägiger Rechtsgrundlage nicht nachvollziehbar wäre: Den im Senatsurteil vom 27.3.2007 (aaO, RdNr 19) genannten Beispielsfällen kann noch die Fallkonstellation hinzugefügt werden, dass vorgetragen wird, der Träger habe dem Beschwerdeadressaten Informationen vorenthalten, die ihn zur rechtzeitigen Anfechtung veranlasst hätten (hierzu Hessisches LSG vom 23.8.2013 - L 5 R 359/12 - Juris).

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Diesem Ergebnis stehen auch keine verfassungsrechtlichen Gründe entgegen. Wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsurteil vom 7.2.2012 - B 13 R 40/11 R - BSGE 110, 97 = SozR 4-5075 § 3 Nr 2, RdNr 27), ist der Gesetzgeber bei der Regelung der Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der (materiellen) Gerechtigkeit über das verfassungsrechtlich Gebotene mit der seit 1.1.1981 in Kraft getretenen Regelung von § 44 Abs 1 SGB X bereits hinausgegangen. Zudem ist die Regelung des § 44 Abs 4 SGB X eine den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrende und damit zulässige Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums iS des Art 14 Abs 1 S 2 GG(so schon BSG vom 23.7.1986 - 1 RA 31/85 - BSGE 60, 158, 161 ff = SozR 1300 § 44 Nr 23 S 54). Im Fall der analogen Anwendung der Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB X beim richterrechtlich entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kann daher kein weitergehender Grundrechtsschutz bestehen.

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2. Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht iS des § 41 Abs 2 SGG von der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (Urteile vom 2.8.2000 - B 4 RA 54/99 R - SozR 3-2600 § 99 Nr 5, vom 6.3.2003 - B 4 RA 38/02 R - BSGE 91, 1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1 und vom 26.6.2007 - B 4 R 19/07 R - SozR 4-1300 § 44 Nr 12)ab, in denen der 4. Senat die entsprechende Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X im Rahmen von Erstfeststellungsverfahren, denen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zugrunde liegt, ablehnt.

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Eine Vorlage wegen abweichender Rechtsprechung an den Großen Senat des BSG (§ 41 Abs 2 SGG)kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei den Ausführungen des 4. Senats in den vorbezeichneten Entscheidungen jeweils um nicht tragende Erwägungen handelt. Voraussetzung für eine Divergenzvorlage ist aber, dass die aufgeworfene Rechtsfrage sowohl für die neue als auch die frühere Entscheidung entscheidungserheblich ist. Die Beantwortung der Rechtsfrage muss die Entscheidung derart tragen, dass sie ein unabdingbares Glied in der Gedankenkette des erkennenden Senats ist (BSG vom 18.11.1980 - GS 3/79 - BSGE 51, 23, 25 = SozR 1500 § 42 Nr 7 S 11). Hieran fehlt es vorliegend.

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In dem vom 4. Senat am 2.8.2000 entschiedenen Fall war - wovon dieser Senat bei seiner Entscheidung selbst ausging (BSG 4. Senat, aaO, S 30) - der sozialrechtliche Herstellungsanspruch bereits tatbestandlich nicht anwendbar (so Senatsurteil vom 27.3.2007, aaO, RdNr 35). Im Urteil des 4. Senats vom 6.3.2003 (BSG 4. Senat, aaO) waren die Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 44 Abs 4 SGB X auf den Herstellungsanspruch ebenfalls nicht tragend. Denn sie erfolgten lediglich im Rahmen der Hinweise an das LSG, wie ggf zu entscheiden sein werde, wenn bestimmte weitere Feststellungen getroffen würden (s Senatsurteil vom 27.3.2007, aaO, RdNr 36 bis 37). Dem vom 4. Senat am 26.6.2007 entschiedenen Fall lag schließlich kein Erstfeststellungsverfahren, sondern ein Überprüfungsverfahren zugrunde, so dass § 44 Abs 4 SGB X unmittelbar anzuwenden war(BSG 4. Senat, aaO, RdNr 51 f). Auch hier erfolgten die Ausführungen zur analogen Anwendbarkeit des § 44 Abs 4 SGB X im Rahmen eines Obiter Dictum und gehörten somit nicht zu den tragenden Erwägungen.

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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.