Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 S t R 1 4 7 / 1 4
vom
31. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Dr. Quentin,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin T. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers L. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21. November 2013 werden verworfen. 2. Die Rechtsmittelführer haben die Kosten ihrer Revisionen zu tragen. Ferner werden dem Angeklagten die durch sein Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen der Nebenkläger auferlegt. Die Staatskasse hat auch die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt sowie Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Sie haben keinen Erfolg.

I.


2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen fuhr der Angeklagte am 17. Januar 2013 mit dem von ihm gesteuerten Pkw mit mindestens 90 km/h gegen einen Baum, um sich selbst zu töten. Hierbei nahm er billigend in Kauf, dass seine Ehefrau, die neben ihm in dem Fahrzeug saß, an den Folgen der Kollision versterben könnte. Während der Angeklagte schwer verletzt überlebte, verstarb seine Ehefrau kurze Zeit später an den bei dem Aufprall erlittenen Verletzungen.
3
Das Landgericht hat den Sachverhalt als Totschlag in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr bewertet. Es ist der Auffassung , dass das Mordmerkmal der Heimtücke nicht vorliege, da Zweifel daran bestünden, dass der Angeklagte die objektiv gegebene Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt habe. Denn er habe nicht ausschließbar den Tatentschluss in einer psychischen Ausnahmesituation spontan gefasst. Niedrige Beweggründe seien nicht gegeben, weil der Angeklagte - jedenfalls nicht ausschließbar - aus Verzweiflung über seine Lebenssituation (u.a. vieljährige Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme) und aus Angst vor einer endgültigen Trennung von seiner von ihm geliebten Ehefrau, der drohenden Trennung von seinen Kindern und dem Verlust des ihm seit vielen Jahren vertrauten Familienlebens gehandelt habe.

II.


4
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg.
5
Insbesondere weist die Beweiswürdigung zum Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau keinen Rechtsfehler auf. Auch ein Verstoß gegen den in-dubio-Grundsatz liegt aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 16. Mai 2014 dargelegten Gründen nicht vor.

III.


6
Der vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revision der Staatsanwaltschaft , die eine Verurteilung des Angeklagten wegen - heimtückischen - Mordes erstrebt, bleibt der Erfolg ebenfalls versagt. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Zuschrift vom 16. Mai 2014 bemerkt der Senat:
7
a) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 12. Februar 2009 - 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264; vom 19. Oktober 2011 - 1 StR 273/11 [juris Rn. 24]; vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Dieses Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 - 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f.; vom 10. Februar 2010 - 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176; Beschluss vom 24. November 2009 - 1 StR 520/09, StV 2010, 287, 289 jeweils mwN).
8
Anders kann es jedoch bei "Augenblickstaten", insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein (BGH, Urteil vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Argund Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt hat (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Beschlüsse vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; vom 24. April 2012 - 5 StR 95/12, NStZ 2012, 693, 694 jeweils mwN).
9
Hierbei handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634, 635 jeweils mwN).
10
b) Daran gemessen ist die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke durch das Landgericht aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
11
Das Schwurgericht hat nicht verkannt, dass nach der Rechtsprechung allein auf Grund der von ihm zugunsten des Angeklagten angenommenen erheblichen Einschränkung des Steuerungsvermögens nicht ohne Weiteres auf das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins geschlossen werden darf (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2008 - 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634 mwN). Wenn es aber gleichwohl angesichts der besonderen äußeren und inneren Umstände der Tat unter Berücksichtigung des Vor- sowie des Nachtatgeschehens eine sichere Überzeugung vom Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke nicht zu gewinnen vermochte, so hält sich dies im Rahmen der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
12
Auch zeigt die Revision der Staatsanwaltschaft keine durchgreifenden Lücken, Widersprüche oder sonstige Rechtsfehler in der tatrichterlichen Beweiswürdigung auf. Richtig ist zwar, dass der Zweifelssatz nicht bedeutet, dass das Gericht von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muss, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen. Vorliegend bestand aber für das Landgericht selbst nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten die Möglichkeit, dass entweder ein das Ausnutzungsbewusstsein nicht in Frage stellender "Bilanzselbstmord" oder aber eine spontane, ungeplante Umsetzung latent vorhandener Suizidabsichten gegeben war, die zu einer psychischen Ausnahmesituation mit einer "ausgeprägten Einengung des Bewusstseinsinhalts" (UA S. 48) und damit zum Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins geführt hat. Überzogene Anforderungen an die Überzeugungsbildung hat das Landgericht dabei nicht gestellt. Vielmehr ist es rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es der Zweifelssatz in einem solchen Fall gebietet, von der für den Angeklagten günstigeren Konstellation auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 - 2 StR 123/01, StV 2001, 666,

667).


13
Ebenso wenig ist es aus Rechtsgründen zu beanstanden, dass das Schwurgericht einerseits davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte wusste, dass sich seine Ehefrau neben ihm in dem Fahrzeug befand und er deren Tod billigend in Kauf nahm sowie ihre Gefährdung sogar beabsichtigte, es aber andererseits angenommen hat, der Angeklagte habe deren Arg- und Wehrlosigkeit bei der Tatbegehung nicht bewusst ausgenutzt. Hierin liegt insbesondere kein zu einem Rechtsfehler führender Widerspruch, sondern die vom Tatrichter zu verantwortende Schlussfolgerung, dass der Angeklagte zu Wahrnehmungen zwar fähig war und er aufgrund dieser eine Entscheidung (billigendes Inkaufnehmen des Todes) traf, ihm eine darüber hinausgehende "Bedeutungskenntnis" aber gefehlt hat und er sich infolgedessen nicht bewusst gewesen ist, die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers auszunutzen (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer Bender Quentin

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Referenzen

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.

(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen

1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c),
1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d),
2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316),
3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder
4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.

(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.

(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.

(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.

(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.

(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 529/08
vom
12. Februar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Nebenkläger-Vertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 2. Juli 2008 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen zum Ausnutzungsbewusstsein hinsichtlich der Heimtücke aufgehoben ; die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
2
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der Sachrüge beanstandet sie, dass der Angeklagte nicht wegen Mordes verurteilt ist.

I.


3
Der Angeklagte und Andrea Sch. - das spätere Tatopfer - hatten seit 1987 eine von Anfang an konfliktbeladene Beziehung unterhalten, in deren Verlauf es mehrfach zu Trennungen und anschließenden Versöhnungen kam. Ihre im April 2004 geschlossene Ehe wurde im April 2007 geschieden. Am Tattage, dem 3. Oktober 2007, machte der Angeklagte, dem zugetragen worden war, dass sich Andrea Sch. mit einem verheirateten Mann in einem Lokal aufgehalten und mit diesem getrunken habe, ihr Vorhaltungen, weil sie mit jenem Mann "fremdgegangen“ sei. Im weiteren Verlauf des Tages kam es zwischen dem Angeklagten und Andrea Sch. zu zahlreichen telefonischen Kontakten. Gegen 20.15 Uhr rief der Angeklagte Andrea Sch. , die sich zu diesem Zeitpunkt außerhalb ihrer Wohnung aufhielt, ein weiteres Mal an und erklärte, sie und ihre Freundin könnten sich "auf ein Schlachtfest vorbereiten" und sich "gegenseitig zugucken". Andrea Sch. wusste mit dieser Äußerung des Angeklagten , der mehrfach ohne realistischen Hintergrund verbal ausfällig geworden war, nichts anzufangen. Gegen 21.00 Uhr kehrte sie in Begleitung der Zeugin K. in ihre Wohnung zurück. Im Arbeitszimmer nahmen beide am PC Platz und suchten das Internetportal "Gesichterparty" auf. Der alkoholgewohnte, mitelgradig alkoholisierte Angeklagte hatte sich zuvor Zugang zu der Wohnung verschafft und sich hinter einer Couch versteckt. Das Landgericht hat zum weiteren Geschehen folgendes festgestellt: "Andrea Sch. und die Zeugin K. bemerkten den in der Tür stehenden Angeklagten erst, als dieser mit erhobener Stimme und in bösem Ton sinngemäß äußerte 'Ach, Gesichterparty ist dir wichtiger!'. Zwischen dem Angeklagten, der um den in der Mitte des Raumes stehenden Schreibtisch herum auf Andrea Sch. zuging, und Andrea Sch. gab es einen kurzen Wortwechsel. Der Angeklagte drückte dann mit der linken Hand Andrea Sch. nach hinten, so dass sie in der Ecke des Raumes stand. Er stach sodann mit dem von ihm mitgeführten Klappmesser mit einer Klingenlänge von etwa 7,5 cm vielfach auf Andrea Sch. ein, und zwar insbesondere in deren Hals- und Brustbereich, um sie zu töten, und äußerte dabei 'Das hast du davon!' ".
4
Danach deutete er mit dem Messer auf die Zeugin K. und fragte: "Willst du auch?". Dann äußerte er, er wolle gemeinsam mit Andrea Sch. sterben und rammte sich zweimal das Messer mit Kraft in den Oberkörper und brach am Tatort zusammen. Andrea Sch. erlag den ihr zugefügten Stichverletzungen.

II.


5
Revision des Angeklagten
6
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dies gilt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 28. Oktober 2008 ausgeführten Gründen , auf die insoweit Bezug genommen wird, insbesondere auch für die von der Revision angegriffene Verneinung der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB. Auch die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint. Zwar kann die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB grundsätzlich nicht allein deswegen verneint werden, weil außer der Sucht noch weitere Persönlichkeitsmängel eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf aber nicht ausschließlich zur Besserung des Täters , also ohne gleichzeitige günstige Auswirkungen auf die Interessen der öffentlichen Sicherheit im Sinne einer Verminderung der vom alkoholabhängigen Täter ausgehenden Gefährlichkeit erfolgen. Vielmehr ist erforderlich, dass bei erfolgreichem Verlauf der Behandlung jedenfalls das Ausmaß der Gefährlichkeit des Täters nach Frequenz und krimineller Intensität der von ihm zu befürchtenden Straftaten deutlich herabgesetzt wird (vgl. Senat NStZ 2003, 86 m.w.N.). Davon hat sich das auch insoweit sachverständig beratene Landgericht, wie sich den Urteilsausführungen noch hinreichend entnehmen lässt, jedoch nicht zu überzeugen vermocht.

III.


7
Revision der Staatsanwaltschaft
8
Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die vom Generalbundesanwalt nur insoweit vertretene Revision hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg, soweit sie sich gegen die Verneinung des Mordmerkmals „Heimtücke“ wendet.
9
1. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das Mordmerkmal „niedrige Beweggründe“ rechtsfehlerfrei abgelehnt. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden Motive, welche der Tat ihr Gepräge geben, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und besonders verwerflich sind (BGH NStZ-RR 2007, 111 m.w.N.).
10
Ein solcher Fall ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass Eifersucht eine nicht unbeträchtliche Rolle gespielt hat. Dass es diese Motivation nicht als tatbeherrschend angesehen hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer war nach den Feststellungen von einem ständigen "Hin und Her" geprägt. Es kam zwischen ihnen häufig zu Streitigkeiten , wobei auch massive Beschimpfungen und Beleidigungen nicht untypisch waren. Der Angeklagte befand sich bei Begehung der Tat in einer – jedenfalls von ihm subjektiv so empfundenen – psychisch erheblich belastenden Situation. Vor diesem Hintergrund hält es sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums, dass das Landgericht die für den Angeklagten bestimmenden Motive in ihrer Gesamtheit nicht als niedrig im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gewertet hat.
11
2. Die Staatsanwaltschaft beanstandet jedoch die Verneinung des Mordmerkmals "Heimtücke" zu Recht.
12
a) Nach den Feststellungen war Andrea Sch. , was das Landgericht nicht verkannt hat, bei Beginn des tödlichen Angriffs des Angeklagten arglos und infolgedessen wehrlos. Sie versah sich, als sie in ihre Wohnung zurückgekehrt war, trotz der telefonischen Äußerung des Angeklagten, sie und ihre Freundin könnten sich "auf ein Schlachtfest vorbereiten", keines Angriffs. Der Angeklagte hatte keinen Schlüssel zu der Wohnung und hatte auch nicht etwa angekündigt, er werde sich Zugang zur Wohnung verschaffen. Lauert der Täter – wie hier – seinem ahnungslosen Opfer auf, um an dieses heranzukommen, kommt es nicht darauf an, ob und wann es die von dem ihm gegenüber tretenden Täter ausgehende Gefahr erkennt (vgl. BGH NStZ 1984, 261; NStZ-RR 1996, 98).
13
b) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535). Die Erwägungen mit denen das Landgericht diese Voraussetzungen verneint hat, entbehren einer tragfähigen Grundlage.
14
Die Ankündigung des Angeklagten, das Tatopfer und dessen Freundin könnten sich "auf ein Schlachtfest" vorbereiten, spricht entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht gegen das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten. Der Entscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH NStZ 2007, 268), auf die das Landgericht ersichtlich abgestellt hat, lag eine andersartige Fallgestaltung zugrunde. Der Täter war dem Opfer kurz nach der telefonischen Ankündigung: "Ich komme jetzt zu dir ins Restaurant und mache dich platt" - wenn auch mit verdeckter Waffe – entgegengetreten. Kann sich das spätere Opfer auf eine in Kürze zu erwartende Konfrontation einstellen, liegt es fern, dass der Täter das Ausnutzungsbewusstsein hat. So liegt es hier jedoch nicht. Der Angeklagte war vielmehr heimlich in die Wohnung des Tatopfers eingedrungen und hatte sich dort hinter einer Couch versteckt. Es liegt nahe, dass er dies tat, um das Tatopfer zu überraschen, denn er konnte, weil er nicht mehr über einen Schlüssel zu der Wohnung verfügte, davon ausgehen, dass das Tatopfer nicht damit rechnete, dass er sich in der Wohnung aufhielt. Dafür, dass sich der Angeklagte der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst war, spricht zudem, dass er erst einige Zeit nach dem Eintreffen des Tatopfers in der Tür zum Arbeitszimmer auftauchte und sofort zum Angriff überging.
15
Soweit das Landgericht ausgeführt hat, auch die Alkoholisierung des Angeklagten spreche gegen die Annahme des erforderlichen Ausnutzungsbewusstseins , fehlt dafür jedwede Begründung. Dass der Angeklagte alkoholbedingt die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers nicht in sein Bewusstsein aufgenommen haben könnte, versteht sich im Hinblick auf die Ausführungen zur uneingeschränkten Schuldfähigkeit nicht von selbst.
16
c) Die danach rechtsfehlerhafte Verneinung des Mordmerkmals „Heimtücke“ führt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen zum Ausnutzungsbewusstsein hinsichtlich der Heimtücke. Die übrigen Feststellungen sind jedoch rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die den bestehen gebliebenen nicht widersprechen, sind zulässig.
Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 273/11
vom
19. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Totschlags
zu 2.: Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Oktober
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten R. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
der Angeklagte S. persönlich sowie seine Erziehungsberechtigten,
- in der Verhandlung - ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte - in der Verhandlung - ,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 16. Dezember 2010 werden verworfen.
Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Jugendkammer des Landgerichts Heilbronn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und den Angeklagten S. wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit Totschlag durch Unterlassen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte R. mit zwei Verfahrensrügen und der Sachrüge. Der Angeklagte S. erhebt die allgemeine Sachrüge. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin werden ebenfalls auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt. Sie erstreben bezüglich beider Angeklagten eine Verurteilung wegen Mordes. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben Erfolg.

II.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts brüstete sich der zur Tatzeit 18-jährige Angeklagte R. oftmals in seinem Umfeld in E. damit, dass er Kontakt zur Unterwelt habe. Er umgab sich mit jüngeren Jugendlichen, die ihn schätzten. Von Gleichaltrigen wurde er als Angeber verlacht. Dem damals 14-jährigen A. M. , dem späteren Opfer, verschaffte er einen scharfkantig geschliffenen Wurfstern. Als dessen Mutter den nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstand bei ihm fand, stellte sie ihren Sohn zur Rede und erstattete am 8. Dezember 2009 Anzeige bei der Polizei. Der Angeklagte R. und A. M. wurden von dieser vorgeladen.
3
R. verkündete als Reaktion auf diese Anzeige im Dezember 2009 und Januar 2010 mehrfach, er werde A. M. umbringen. Seine Altersgenossen machten sich darüber lustig. Einer wettete sogar mit ihm um 10 Euro, dass er dies nicht tun werde. Auch gegenüber dem späteren Opfer und in der Clique um den damals 14-jährigen Angeklagten S. äußerte er, er werde A. M. wegen dieser Sache umbringen. Dort wurde die Ankündigung ernst genommen. Da aber nichts geschah und R. mit A. M. wieder normalen Umgang pflegte, geriet die Sache immer mehr in den Hintergrund.
4
Der Angeklagte S. wusste, dass R. sich immer wieder damit gebrüstet hatte, er werde A. M. umbringen. Am 23. Februar 2010 machte er dies zum Thema in SMS, die er mit der Zeugin K. austauschte. Unter anderem schrieb er: "ich glaub der stirbt heut abend xP …". Als die Zeugin frag- te, warum das eigentlich sein müsse, erwiderte er: "weil der kumpel bei bullen angezeigt hat …".
5
Zwei Tage später, am 25. Februar 2010, kauften R. und A. M. gemeinsam ein. Sie erwarben einen Tetrapack Eistee und eine Flasche Wodka für Mixgetränke. Sie trafen auf die Gruppe um S. . Gemeinsam begaben sie sich zur elterlichen Wohnung des Angeklagten S. , um diesen zu veranlassen , sich der Gruppe anzuschließen. R. , der nun einen konkreten Tatplan hatte, wollte S. zur Mitwirkung beim Vorgehen gegen A. M. bewegen. Zu diesem Zweck stachelte er M. auf, S. im weiteren Verlauf des Abends zu schlagen. Er wollte dadurch eine feindselige Einstellung des Angeklagten S. gegenüber M. erreichen.
6
Die Gruppe zog dann mit dem überredeten S. hinter das Feuerwehrhaus von E. , um "herumzuhängen" und Eistee mit Wodka zu trinken. Tatsächlich kam es dort zwischen A. M. und dem Angeklagten S. zu einer Rangelei, die von ersterem ausging. Dabei konnte festgestellt werden, dass S. ein Klappmesser bei sich trug. Nachdem R. die Streitenden getrennt hatte, wollte S. gehen. M. stellte ihm noch ein Bein, so dass er stolperte und der Länge nach hinfiel. Er wurde schadenfroh ausgelacht und fühlte sich stark gekränkt. Dann ging er in Richtung Straße, um den Heimweg anzutreten.
7
2. Zum Tatgeschehen hat die Strafkammer Folgendes festgestellt:
8
Der Angeklagte R. war entschlossen, A. M. an diesem Abend zu töten. Er hatte bereits ein Seil, ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 76 mm und gummierte Arbeitshandschuhe mitgebracht. R. wollte S. , eine Person seines Vertrauens, zur Absicherung und Unterstützung dabei haben. Deshalb eilte er ihm nach, zeigte ihm das Seil und sagte, heute werde er dem A. "was machen". Er könne das aber nicht alleine tun, es müsse noch jemand dabei sein. S. ging davon aus, R. werde A. M. mit dem Seil drosseln, aber nicht töten, um ihm so eine schmerzhafte Abreibung zu verpassen. Er wollte R. durch Dabeibleiben Hilfe leisten, weil ihm diese Abreibung auch wegen seiner eigenen vorangegangenen Auseinandersetzung mit M. verdient erschien.
9
Beide kehrten zum Platz hinter dem Feuerwehrhaus zurück. Sie gaben vor, dass sie den Streit zwischen M. und S. klären und mit ihm den restlichen Eistee/Wodka trinken wollten. Die übrigen Gruppenmitglieder entfernten sich. Es war gegen 19.30 Uhr.
10
Als die Angeklagten mit M. alleine waren, ging R. auf ihn zu und versetzte ihm einen wuchtigen Faustschlag mitten ins Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging. Er kam auf dem Bauch zu liegen und war zu keiner Gegenwehr mehr fähig. Möglicherweise war er sofort bewusstlos (UA S. 32). R. zog die gummierten Arbeitshandschuhe über, legte dem A. M. das Seil von hinten schlingenförmig um den Hals und kniete sich auf dessen Rücken, um ihn mit seinem Körpergewicht am Boden zu halten. Dann wickelte er die Seilenden links und rechts um seine Handrücken und zog mit aller Kraft zu, um ihn zu töten. Er drosselte ihn mindestens zwei bis drei Minuten, bis dieser nur noch röchelte. Ob eine zweite Person Abwehrversuche unterbunden hat, konnte die Kammer nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Zu Gunsten des Angeklagten S. geht sie davon aus, dass er die Tat des R. nur durch seine Anwesenheit gefördert und ihm psychischen Beistand geleistet hat, indem er ihm ein Gefühl erhöhter Sicherheit vermittelte (UA S. 8, 32). Als S. bemerkte , dass M. nur noch röchelte, forderte er R. mit den Worten "es reicht jetzt" auf, den Drosselungsvorgang zu beenden. Dieser fuhr jedoch damit fort und erwiderte, er, S. , könne jetzt gehen, er werde nicht mehr gebraucht.
11
Spätestens jetzt wusste S. , dass R. A. M. bis zum Tode strangulieren werde. Ihm war auch klar, dass er eine Mitverantwortung für die Situation des Opfers trug und in der Lage war, dessen Tötung zu verhindern. Er hätte R. von dem am Boden liegenden, röchelnden und mit den Füßen zappelnden M. herunterstoßen oder zumindest mit dem mitgeführten Mobiltelefon Hilfe rufen können. Beides wäre ihm möglich und zumutbar gewesen. R. war ihm keinesfalls körperlich überlegen, und zudem hatte er sein Klappmesser bei sich. Er griff nicht ein, obwohl er sicher voraussah, dass sein Unterlassen unvermeidlich zur Tötung des A. M. führen würde, weil ihm dessen Person und Schicksal vollkommen gleichgültig waren. Er billigte die Tötung durch R. und ging nach Hause.
12
Als er sich entfernt hatte, entschloss sich R. , A. M. mit dem mitgebrachten Messer zu töten, weil ihm das Strangulieren zu lange dauerte und zu anstrengend war. Er versetzte ihm 30 Messerstiche ins Genick und die rechte Halsseite. Die Stiche waren teils derart wuchtig, dass das Messer bis zum Heft in den Hals eindrang. Sie verletzten die rechte Halsschlagader und die tiefe Halsvene, was zum alsbaldigen Todeseintritt durch Verbluten führte.
13
Beim Angeklagten R. liegt eine akzentuierte Persönlichkeitsfehlentwicklung mit gefühlsarmen, empathiearmen, narzisstischen und verdeckt aggressiven Momenten vor, die jedoch den Schweregrad einer Persönlichkeitsstörung nicht erreicht. Aufgrund dessen entstand bei ihm ein gewaltiger innerer Handlungsdruck , endlich einmal ernst zu machen und sich Respekt zu verschaffen. Er wollte groß und bedeutend sein und dafür sorgen, dass er E. in aller Munde bringen werde. Dies war das Motiv für die Tat, nicht mehr die erstattete Strafanzeige.
14
3. Der Angeklagte S. startete, zuhause angekommen, seinen Computer , loggte sich in den Internet-Dienst "kwick" ein und tippte um 19.42 Uhr auf seiner Seite den Text: "Stadt heute war geil".
15
Der Angeklagte R. zog nach der Tatausführung die Arbeitshandschuhe aus, verstaute das Seil in den umgekehrten Handschuhen und rief um 19.44 Uhr den Angeklagten S. auf dessen Mobiltelefon an. Dann klingelte er an der Tür S. , zeigte diesem seine blutigen Hände und sagte, A. sei tot, er habe ihm in den Hals gestochen. Nachdem er im Bad das Blut von seinen Händen gewaschen hatte, präsentierte er S. die Leiche. Dieser sah sie kurz an und ging wieder nach Hause. Danach berichtete R. auf dem Rathausplatz von E. zwei Bekannten, dass er M. getötet habe und zeigte ihnen zum Beweis das blutverschmierte Seil und die Handschuhe. Den Zeugen G. führte er zur Leiche. Er schilderte ihm auch Einzelheiten des Tathergangs. R. brüstete sich noch gegenüber weiteren Zeugen mit der Tötung. Später führte er auch den Zeugen B. zur Leiche und erklärte ihm, er habe A. M. "geschlitzt". Dabei lachte er "sich euphorisch ins Fäustchen".
16
4. Die Strafkammer hat folgende Wertungen getroffen:
17
Beim Angeklagten R. hat sie die Mordmerkmale der niedrigen Beweggründe , der Heimtücke und der grausamen Begehungsweise geprüft und verneint. Sie hat eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit weder aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur noch aufgrund der maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,8 o/oo bejaht.
18
Beim Angeklagten S. hat sie eine psychische Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung durch eine abstrakt lebensgefährdende Behandlung infolge seiner Anwesenheit am Tatort angenommen. Aufgrund eines neuen Willensentschlusses zum Entfernen vom Tatort habe er sich des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht. Die Garantenpflicht ergebe sich aus seinem vorangegangenen rechtswidrigen Tun. Ein Mord liege bei dem von ihr festgestellten Motiv nicht vor. Eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sei auch bei ihm weder aufgrund seiner ausgeprägten Gleichgültigkeit und Empathielosigkeit noch aufgrund seiner Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,2 o/oo gegeben.

III.

19
Die Revisionen der Angeklagten waren zu verwerfen. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen allgemeinen Sachrügen hat keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Wegen der vom Angeklagten R. geltend gemachten Verfahrensrügen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift Bezug genommen.
20
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin war das Urteil aufzuheben.
21
1. Die Verneinung der Mordmerkmale Heimtücke und aus niedrigen Beweggründen bei der Tatausführung durch den Angeklagten R. hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
22
a) Das Landgericht hat ein heimtückisches Handeln mit der Begründung abgelehnt, es habe weder ein hinterlistiger Angriff des Angeklagten R. auf A. M. festgestellt werden können, noch dass dieser die Arglosigkeit und dadurch bedingte Wehrlosigkeit seines Opfers ausgenutzt habe, um die Tat zu begehen. Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft.
23
Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilf- losen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15).
24
Das ist hier der Fall. Im Dezember 2009 und Januar 2010 hatte R. zwar wiederholt damit gedroht, M. wegen der Strafanzeige umzubringen. Im Februar aber pflegte er nach den Feststellungen wieder normalen Umgang mit ihm wie mit den übrigen jüngeren Jugendlichen aus der Clique. Am Tattag ging er sogar mit ihm Eistee und Wodka einkaufen für den folgenden gemeinsamen Verzehr. Zu dem Zeitpunkt war R. bereits zur Tötung an diesem Abend entschlossen und hatte die späteren Tatwerkzeuge bei sich. Er baute gezielt bei M. Vertrauen auf, indem er u.a. auch die von ihm selbst provozierte Rangelei mit S. als Streitschlichter beendete. Als er kurz vor der Tat S. vom Heimweg zurückholte und beide hinter das Feuerwehrhaus zurückkehrten, gaben sie vor, dass sie den Streit zwischen S. und M. klären und mit ihm den restlichen Eistee/Wodka trinken wollten. Sie wiegten ihn dadurch in Sicherheit , so dass er keineswegs mit einer von ihnen ausgehenden Gefahr rechnen konnte, als er mit ihnen allein zurückblieb. Dass der überraschende Faustschlag ins Gesicht, der erste Angriff, von vorne erfolgte, ändert an der heimtückischen Begehungsweise nichts. Zu dem Zeitpunkt war das Opfer infolge Arglosigkeit wehrlos, was R. bewusst ausnutzte. M. , der den Angriff erst im letzten Augenblick erkennen konnte, blieb keine Möglichkeit mehr, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Es reicht aus, wenn der Täter sich bewusst ist, ei- nen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535).
25
b) Das Landgericht hat bei dem Angeklagten R. als bestimmendes Motiv seinen Drang angesehen, sich bei den Jugendlichen seines Umfelds Respekt zu verschaffen und nicht mehr verlacht zu werden. Diesen Drang nach sozialem Ansehen hat es objektiv als niedrigen Beweggrund bewertet, aber nicht ausschließen können, dass die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, insbesondere seine Tendenz zur narzisstischen Selbstaufblähung, ihm die Einsicht versperrt habe, aus einem niedrigen Beweggrund zu handeln. Dies begegnet rechtlichen Bedenken.
26
Das Landgericht hat insoweit den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt. Darauf, ob der Angeklagte seine Motive selbst als "niedrig" bewertete, kommt es nicht an (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 27). Das Landgericht hat seine Einsichtsfähigkeit beim Tötungsvorsatz bejaht und eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit verneint. Es hat ihm bei der Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 JGG seine Tatmotivation angelastet. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Angeklagte bei seinem Handeln aus dieser Motivation von gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen bestimmt gewesen wäre, die er gedanklich nicht hätte beherrschen und willensmäßig nicht hätte steuern können. Die Strafkammer hätte insoweit in ihre Überlegungen das Vortat- und Nachtatverhalten des Angeklagten R. einbeziehen müssen. Er hat die Tat minuziös geplant. Er hat nicht nur die Tatwerkzeuge mitgebracht und beim Opfer Vertrauen aufgebaut, sondern auch die Tatbeteiligung S. s raffiniert iniziiert , indem er den Streit zwischen ihm und dem späteren Opfer provozierte. Nach der Tat war R. trotz seiner narzisstischen Selbstaufblähung nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Gü. sich durchaus darüber im Klaren, dass es polizeiliche Ermittlungen geben werde. Er war tunlichst bemüht, nicht in Verdacht zu geraten oder festgenommen zu werden. Dafür hat er etliche Vertuschungshandlungen vorgenommen. Er äußerte gegenüber Mitgliedern aus der Clique um S. , die vor der Tat ebenfalls hinter dem Feuerwehrhaus gewesen waren, er müsse für ein paar Tage ausE. verschwinden und sie sollten sagen, dass sie ihn am Tattag nicht gesehen hätten. Auf die Frage des Zeugen B. , ob man nicht die Polizei rufen solle, antwortete er, dass er das bloß nicht machen solle, weil ihm - R. - sonst nur wenig Zeit bleibe, um unterzutauchen. Dem Zeugen G. zeigte er eine Pistole und sagte, wenn die Polizei käme, werde er sich den Weg frei schießen. Diese Verhaltensweisen sind ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme, dem Angeklagten R. sei bei der Begehung der Tat die besondere Verwerflichkeit seines Tuns nicht bewusst gewesen. Bei Mord aus niedrigen Beweggründen ist diese Annahme umso eher zu verneinen, je schwerwiegender die Tat ist (BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 26).
27
2. Beim Angeklagten S. begegnet die fehlende Annahme der Mordmerkmale aus niedrigen Beweggründen und der Heimtücke ebenfalls rechtlichen Bedenken.
28
a) Nach den Urteilsfeststellungen war in seiner Person ein Grund für die Tötung des A. M. nicht gegeben. Er unterließ ein Einschreiten, weil ihm das Opfer als Person und dessen Schicksal vollkommen gleichgültig waren. Nach Auffassung der Kammer kann Gleichgültigkeit schon "per se" kein niedriger Beweggrund sein.
29
Die Ablehnung dieses Mordmerkmals entbehrt einer tragfähigen Grundlage. Ein Beweggrund ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist (BGHSt 35, 116; 47, 128 mwN). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Daran fehlt es hier.
30
Die Kammer hätte sich in diesem Zusammenhang mit dem SMS-Verkehr des Angeklagten S. zwei Tage vor der Tat und seinem Chatten unmittelbar nach dem Entfernen vom Tatort auseinander setzen müssen. Der Interneteintrag "Stadt heute war geil" bezieht sich naheliegend auf das gerade von ihm miterlebte Geschehen. Da er tatenlos nach Hause ging und die Tötung des A. M. durch R. sicher voraussah, könnte dies zu dem möglichen Schluss führen, dass er sich über die Tötung freute. Eine solche Freude wäre als niedriger Beweggrund in seiner Person anzusehen.
31
Dabei ist auch auf die SMS vor der Tat zwischen ihm und der Zeugin K. abzustellen. Daraus könnte zu entnehmen sein, dass S. die Tötung des Opfers als Bestrafung für die Anzeige bei der Polizei billigte und sich dieses Motiv zu eigen machte (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1993 - 5 StR 359/93; BGH NStZ 1996, 384). Als er der Zeugin mitteilte, ich glaub der stirbt heut Abend, weil der Kumpel bei Bullen angezeigt hat, antwortete sie "Booh, soh behindert mach ihn tod …". Die Anzeigeerstattung als Tötungsmotiv ist hier ebenfalls als auf tiefster Stufe stehend anzusehen wegen des krassen Missverhältnisses zwischen Anlass und Tat (BGH NStZ-RR 2010, 175). Hinzu kommt, dass nicht das Tatopfer, sondern dessen Mutter die Strafanzeige erstattete.
32
Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung der gleichgültigen Haltung des Angeklagten S. gegenüber dem Opfer hätte die Kammer erörtern müssen, ob er den Totschlag durch Unterlassen in dem Bewusstsein beging, keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen. Eine solche Einstellung stellt einen niedrigen Beweggrund dar, wenn der Täter meint, nach eigenem Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können (BGHSt 47, 128; BGHR aaO niedrige Beweggründe 44).
33
b) Das Landgericht hat das Mordmerkmal Heimtücke beim Angeklagten S. nicht geprüft. Eine solche Prüfung hätte aber nach den festgestellten Umständen nahe gelegen. Die Kammer hat das Verhalten des Angeklagten S. vor der Tat und nach der Tat nur getrennt gesehen und nicht in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt. Als R. den Angeklagten S. vom Heimweg zurückholte, das Seil zeigte und ihn um Unterstützung bat, weil er heute dem A. "was machen" werde, ist es im Hinblick auf den oben unter
a) geschilderten SMS-Verkehr und auf das Chatten nach der Tat nicht fern liegend ,dass S. schon zu diesem Zeitpunkt davon ausging, R. werde M. töten. Die Kammer stellt lediglich fest, wann S. "spätestens" vom Tötungsplan des R. wusste, und schließt einen gemeinsamen Tatplan aus. Wenn S. aber bei der Rückkehr zum Feuerwehrhaus den Plan des Angeklagten R. erkannt hatte und dann gemeinsam mit ihm vorgab, den Streit zwischen ihm selbst und M. klären und nach Entfernen der Übrigen mit diesem den Rest Eistee/Wodka trinken zu wollen, so erkannte er auch das Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch R. und schloss sich dessen Handeln an.
34
3. Zudem hält die Beweiswürdigung hinsichtlich der Begründung fehlender Abwehrverletzungen ebenfalls revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
35
Nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Be. ist davon auszugehen, dass ein Mensch, der zu Tode stranguliert wird, sich im Todeskampf wehrt und versucht, eine auf dem Rücken sitzende Person abzuschütteln, jedenfalls so lange bis er selbst bewusstlos geworden ist. Da jedoch Abwehrspuren bei A. M. fehlten, insbesondere Schürfungen an Ellenbogen und Knien, hält er es eher für wahrscheinlich, dass eine weitere Person beteiligt war, um das Opfer zu Boden zu bringen oder dort zu halten, und dass einer der Angreifer Abwehrversuche unterbunden hat. Die Kammer sieht die Möglichkeit, dass das Opfer durch eine zweite Person an der Gegenwehr gehindert wurde, hält es aber auch für möglich, dass es durch den ersten Angriff, den Faustschlag des Angeklagten R. , sofort bewusstlos war und sich deshalb nicht mehr wehren konnte. Von letzterem geht sie zu Gunsten des Angeklagten S. aus (UA S. 32).
36
Insoweit ist die Beweiswürdigung jedoch lückenhaft. Nach den Urteilsfeststellungen röchelte und zappelte das Opfer mit den Füßen, als S. sich vom Tatort entfernte (UA S. 9). Dem Angeklagten R. dauerte die Tötung durch Strangulieren zu lange und wurde zu anstrengend. Beides spricht eher gegen eine Bewusstlosigkeit sofort nach dem Faustschlag. Dies hätte die Kammer in ihre Überlegungen bezüglich der fehlenden Abwehrverletzungen einbeziehen müssen, zumal sie es an anderer Stelle auch als möglich ansieht, dassM. das Bewusstsein erst nach zwei bis drei Minuten des Strangulierens verloren haben könnte (UA S. 9). In dem Zusammenhang hätte sie auch erörtern müssen , wie M. nach einem Faustschlag mitten ins Gesicht auf dem Bauch zu liegen kam. Angaben des Sachverständen Be. dazu fehlen.
37
Wenn aber M. nicht schon nach dem Faustschlag durch R. bewusstlos war, so liegt es nahe, dass der einzige Anwesende, der Angeklagte S. , an der Unterbindung von Abwehrversuchen und der Lage des Opfers am Boden beteiligt war. Dabei wird auch die Aussage des Angeklagten S. in seiner zweiten polizeilichen Vernehmung zu berücksichtigen sein, in der er angegeben hat, als R. ihm das Seil gezeigt habe, habe er zu ihm gesagt, er werde A. heute umbringen, könne das aber nicht alleine tun. All diese Umstände deuten gerade nicht auf psychische Beihilfe zu einem Denkzettel hin. Bei aktiver Tatbeteiligung kann eine Mittäterschaft des Angeklagten S. am Heimtückemord in Betracht kommen, selbst wenn er die weitere Tatausführung dem Angeklagten R. überließ (§ 24 Abs. 2 StGB).

IV.

38
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zu verweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO).
39
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
40
1. Bezüglich des Angeklagten R. wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, auch die Mordmerkmale der grausamen Begehungsweise und des Handelns aus Mordlust zu prüfen.
41
2. Sollte es bezüglich des Angeklagten S. zu einem Schuldspruch wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Totschlags bzw. Mordes durch Unterlassen kommen, würde bezüglich der Konkurrenzverhältnisse Tateinheit in Betracht kommen. Auch eine Veränderung des Tatplans während der Tatausführung steht der Annahme natürlicher Handlungseinheit nicht grundsätzlich entgegen.
42
3. Selbst wenn die Feststellungen insgesamt aufzuheben waren, sind bei der Bejahung der vollen Schuldfähigkeit hinsichtlich beider Angeklagten nach den bisherigen Feststellungen Rechtsfehler nicht zu erkennen. Weniger naheliegend scheint demgegenüber die Verneinung schädlicher Neigungen beim Angeklagten S. . Nack Wahl Elf RiBGH Prof. Dr. Jäger ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Sander
5 StR 438/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 23. April 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen mit der Sachrüge geführte Revision. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
2
1. Das Landgericht hat – zum Anlass der Tat im Wesentlichen auf der Basis der Einlassung des Angeklagten – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Angeklagte lebte mit der später von ihm getöteten H. – unterbrochen durch Haftzeiten des Angeklagten – seit 2002 zusammen. Nach frühzeitigem Missbrauch von Alkohol und Betäubungsmitteln beschränkte sich sein Rauschmittelkonsum zwischen 2009 und 2011 auf Alkohol , wobei er, Vorgaben seiner die Beziehung dominierenden Lebensgefährtin folgend, nicht mehr als vier bis fünf halbe Liter Bier am Tag trank. Die Alkoholreglementierung war mitunter Anlass für Streitigkeiten, im Rahmen derer H. gegenüber dem Angeklagten auch gelegentlich handgreif- lich wurde. Der Angeklagte verübte hingegen bei diesen und anderen Auseinandersetzungen niemals Gewalt gegen seine Lebensgefährtin.
4
Am Abend des 23. September 2011 hatte der Angeklagte die ihm zugebilligte Alkoholmenge bereits konsumiert. Gleichwohl fragte H. , ob er noch zwei Bier haben wolle, was er bejahte. Sie holte von einer Tankstelle zwei Flaschen Bier, von denen der Angeklagte trank. Es kam zu sexuellen Handlungen. Nach deren Abschluss erzählte sie dem Angeklagten, dass sie beim Bierholen ihren früheren Dealer für Flunitrazepam getroffen habe. Sie werde noch einmal losgehen, um für sich und ihn „Flunis“ zu holen. Der mittelgradig alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentrati- on 1,74 ‰) reagierte enttäuscht. Er hatte geglaubt, seine Lebensgefährtin, die früher Heroin und rauschmittelhaltige Medikamente konsumiert hatte, habe ihr Suchtproblem überwunden. Er machte ihr Vorhaltungen. Im Zuge des sich anschließenden Streits wurde H. immer aggressiver und schlug den Angeklagten gegen den Mund.
5
Für H. war der Streit nun beendet. Sie wollte am Ange- klagten vorbeigehen. „Dabei rechnete sie mit keinem Angriff auf ihr Leben, insbesondere weil der Angeklagte auch bei vorangegangenen Streitigkeiten sie weder geschlagen hatte noch anderweitig gewalttätig gegen sie vorgegangen war. Dies erkannte der Angeklagte trotz seiner alkoholischen Beein- flussung und nutzte es zur Tatbegehung aus“ (UA S. 12). Erergriff ein Küchenmesser , packte H. , umklammerte sie mit einem Arm um den Hals, zog sie an sich heran und versetzte ihr neun kraftvoll geführte Messerstiche in die Brust. Danach lockerte er seinen Griff und stach ihr fünfmal in den Rücken. Sie sank zu Boden. Um ihren Tod sicher herbeizuführen , würgte der Angeklagte sie am Hals. Sie verstarb binnen weniger Minuten an den Folgen multipler Stichverletzungen in der linken Lunge.
6
Der Angeklagte reinigte einen Teil der Küche und die Handflächen der Getöteten. Dann fesselte er sie mit einer Kinderstrumpfhose an den Armen und mit den Streifen eines zuvor zerrissenen Geschirrtuchs an den Beinen, um einen Überfall vorzutäuschen. Er zog sich saubere Kleidung an. Seine verschmutzte Kleidung und die zur Reinigung verwendeten Gegenstände packte er in einen Plastikmüllsack, den er im Müllcontainer eines Baumarkts entsorgte. Gegen 22 Uhr verließ er die Wohnung endgültig und begab sich in die Innenstadt von Leipzig. Den ein Jahr acht Monate alten gemeinsamen Sohn ließ er schlafend in der Wohnung zurück.
7
Um sich ein Alibi zu verschaffen, versuchte er im weiteren Verlauf der Nacht, die Polizei durch entsprechende Anrufe zu einer Nachschau in der Wohnung zu veranlassen. Nachdem dies fehlgeschlagen war, täuschte er einen Einbruch in einem Autohaus vor und wurde kurzzeitig festgenommen. Gegen 5.50 Uhr begab er sich wieder in die Wohnung. Er alarmierte die Poli- zei, weil er „seine Frau“ blutüberströmt und gefesselt vorgefunden habe. Den Polizeibeamten warf er vor, nicht auf seine Anrufe reagiert und deshalb das Versterben seiner Lebensgefährtin mitverschuldet zu haben. Auch gegenüber eintreffenden Hilfskräften verhielt er sich aggressiv.
8
2. Die Verurteilung des in seiner Schuldfähigkeit nicht relevant beeinträchtigten Angeklagten wegen Mordes (§ 211 StGB) hält rechtlicher Prüfung stand. Der Erörterung bedarf nur die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke sowie des hierauf bezogenen Ausnutzungsbewusstseins. Sie weist keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
9
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Argund Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist, dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31 mwN).
10
Das Schwurgericht ist davon ausgegangen, dasssich H. keines erheblichen Angriffs auf ihre körperliche Unversehrtheit oder gar auf ihr Leben versah, als sie versuchte, an dem Angeklagten vorbeizugehen. Es leitet dies – trotz des vorangegangenen Streits mit der diesen aus Opfersicht „abschließenden“ Ohrfeige – ausdem Umstand ab, dass der Angeklagte im Verlauf der langjährigen Beziehung niemals gegen seine Lebensgefährtin gewalttätig geworden war, obwohl diese ihrerseits mitunter zugeschlagen hatte. Ferner stützt es sich auf das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens , wonach außer einer oberflächlichen Schnittverletzung an der Kuppe des rechten Ringfingers keine Verletzungen an der Getöteten festgestellt wurden, die darauf hindeuten könnten, dass diese noch die Möglichkeit hatte, die Stiche etwa durch instinktives Hochreißen der Arme abzuwehren.
11
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung können Arg- und Wehrlosigkeit auch dann gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleichwohl nicht mit einer Tätlichkeit rechnet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; Urteil vom 6. September 2012 – 3 StR 171/12 mwN). Für seine Würdigung durfte und musste das Schwur- gericht dabei den bisherigen Verlauf der Beziehung heranziehen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692), in deren Rahmen der Angeklagte Handgreiflichkeiten seiner Lebensgefährtin niemals „mit gleicher Münze“ vergolten hatte. Der hieraus in Verbindung mit den rechtsmedizinischen Befunden abgeleitete Schluss, diese habe sich im Zeitpunkt des Angriffs in Sicherheit gewogen und den Angriff auf ihr Leben allenfalls im letzten, eine Gegenwehr nicht mehr zulassenden Augenblick erkannt, erscheint naheliegend, jedenfalls aber möglich, und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. „Zwingend“ muss er entgegen der Auffas- sung der Revision nicht sein. Gleichfalls wäre, anders als die Verteidigung meint, angesichts von fünf Stichverletzungen mit einer Tiefe von jeweils acht Zentimetern (UA S. 27) nicht zu beanstanden, dass die Schwurgerichtskam- mer direkten Tötungsvorsatz auch für den Fall als gegeben ansieht, dass der Angeklagte seine Lebensgefährtin – für sich genommen nicht tödlich wirkend – zuerst in den Rücken gestochen hat.
12
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO S. 635, je mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO mwN). Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2004 – 5 StR 401/04, vom 20. Januar 2004 – 4 StR 491/04, aaO, vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO, und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO).
13
Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht verkannt. Sachverständig beraten hat es einen die Erkenntnisfähigkeit in Frage stellenden tiefgreifenden Erregungszustand insbesondere mit Blick auf das komplexe und sehr zielgerichtete Nachtatverhalten des Angeklagten verneint. Die mittelgradige Alkoholisierung des außerordentlich trinkgewöhnten Angeklagten hat es dabei bedacht. An das psychiatrische Gutachten anknüpfend ist es zu dem Er- gebnis gelangt, dass der einsichtsfähige Angeklagte die schutzlose Lage des keinen Arg hegenden Opfers zutreffend erfasst und ausgenutzt hat.
14
Trotz nicht ganz unmissverständlicher, ersichtlich als Hilfserwägungen zu verstehender Ausführungen des Landgerichts (UA S. 32 f., 37, 48) ist den Feststellungen (UA S. 12) noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Angeklagte den Angriff von hinten begangen, also die neun Stiche in die Brust hinter seiner Lebensgefährtin stehend und diese umklammernd vollführt hat, um ihr nach Lockerung des Griffs dann die fünf Stiche in den Rücken zu versetzen. Auf dieser, die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Befunde in eigener Würdigung bewertender Grundlage liegt die Schlussfolgerung des Landgerichts besonders nahe, der Angeklagte habe mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt. Das Gleiche würde gelten, wenn der Angeklagte entsprechend dem vom rechtsmedizinischen Sachverständigen angenommenen Verlauf (UA S. 32) seiner Lebensgefährtin zunächst von hinten die Stiche in den Rücken versetzt, sie dann – weiter hinter ihr stehend – an sich herangezogen und ihr die tödlichen Stiche in die Brust versetzt hat. Bei einem derartigen Vorgehen drängt sich auf, dass der Täter den Überraschungscharakter seines Angriffs bewusst ausgenützt hat, ohne dass es etwa des gezielten Herbeiführens eines Hinterhalts bedürfte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503).
15
Nichts wesentlich anderes ergäbe sich, wenn man die vom Landgericht im Wege einer Hilfserwägung erörterte (UA S. 32 f.) Variante zugrunde legte, dass der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vor ihr stehend zunächst die Stiche in die Brust und ihr danach die Stiche in den Rücken versetzt hat. Es handelte sich um eine mit einem Blick zu erfassende Situation; zudem wird ein Angreifer, schon um Schreie und Widerstand möglichst zu vermeiden , stets bestrebt sein, ein Überraschungsmoment auszunützen. Dass die Lebensgefährtin des Angeklagten namentlich in Anbetracht des bisherigen Verlaufs der Beziehung ungeachtet ihres aggressiven Verhaltens nicht mit einem körperlichen Angriff von Seiten des Angeklagten rechnete, ist hinrei- chend schlüssig belegt. Ferner ist die Tat von außergewöhnlichem Vernichtungswillen geprägt, der die Grenzen eines tödlichen Spontanangriffs deutlich überschreitet, und ist das Nachtatverhalten insofern besonders gestaltet, als es sich nicht nur wegen des Zurücklassens des schlafenden Kleinkindes bei der blutigen Leiche der Mutter als hochgradig verwerflich darstellt, sondern auch als überaus kalkuliert und kontrolliert auf Täuschung ausgerichtet. Jedenfalls angesichts dieser besonderen Fallgestaltung kann der Senat die dem Urteil ausreichend zu entnehmende Hilfsüberlegung des Landgerichts hinnehmen, dass der Angeklagte ungeachtet seiner Intoxikation und Erregung die Arglosigkeit des Opfers auch für den weniger wahrscheinlichen Fall eines Angriffs von vorn in sein Vorstellungsbild aufgenommen hat. Damit ist insgesamt von Rechts wegen nichts dagegen zu erinnern, dass das sachverständig beratene Tatgericht unter den hier gegebenen Vorzeichen davon ausgegangen ist, der in seinen kognitiven Fähigkeiten nicht relevant beeinträchtigte Täter habe den Bedeutungsgehalt der tatsächlichen Lage zu Beginn seines tödlichen Angriffs zutreffend eingeschätzt (vgl. auch BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f., und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO).
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 5/13
vom
30. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 30. Juli 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 10. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, ihr ein lebenslanges Berufsverbot erteilt und festgestellt , dass auf die Anordnung des Verfalls von 106.058 Euro nur verzichtet wird, weil Ansprüche Dritter entgegenstehen. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachbeschwerde und Verfahrensrügen gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel ist mit der Sachrüge begründet, so dass es auf die Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.

I.

2
Nach den Feststellungen war die Angeklagte als Jugendliche drogenabhängig gewesen und der Prostitution nachgegangen. Dabei hatte sie den 50 Jahre älteren H. H. als Freier kennen gelernt. Dieser beschaffte ihr Drogen als Gegenleistung für sexuelle Dienste. Von 1999 bis 2011 holte die Angeklagte den Hauptschulabschluss nach, erwarb die Fachoberschulreife und dann die allgemeine Hochschulreife, studierte Medizin, legte das Staatsexamen ab und erlangte ihre Approbation als Ärztin. Anfang 2011 wurde sie promoviert. Inzwischen war sie medikamentenabhängig. Am 15. Januar 2010 heiratete sie H. H. . Ihr Ehemann vereitelte in der Folge ihre Bewerbungen um eine Anstellung in einem Krankenhaus, indem er Bewerbungsschreiben heimlich Begleitschreiben beifügte, in denen er auf ihre frühere Drogenabhängigkeit hinwies. Im Jahre 2010 nahm die Angeklagte eine außereheliche Beziehung mit dem Zeugen G. auf. Am 16. Februar 2011 erreichte sie die Zusage einer Anstellung als Ärztin in einem Krankenhaus in U. .
3
In der Zwischenzeit veranlasste H. H. die Sperrung seines Girokontos, über das auch die Angeklagte verfügen konnte. Ihre Bankkarte wurde eingezogen, als sie in U. an einem Geldautomaten Geld abheben wollte. Diese Tatsache und die Entdeckung eines der Begleitbriefe ihres Ehemanns zu den Bewerbungsschreiben führten nach ihrer Rückkehr aus U. am 17. Februar 2010 zum Streit zwischen den Eheleuten. Am Abend des 18. Februar 2010 erklärte die Angeklagte ihrem Ehemann, dass sie sich von ihm trennen wolle. Er ohrfeigte sie und schob sie beiseite. Sie nahm in der Küche und auf der Toilette vier Tabletten des Beruhigungsmittels Flunitrazepam mit einigen Schlucken Wein ein und begab sich zu ihrem Ehemann in das Wohnzimmer. Dieser erklärte, dass sie tun müsse, was er sage. Er hielt ihr eine Tüte mit mindestens zehn Ampullen Morphin und einer Ampulle Piritramidan vor, die er in einem Schrank gefunden hatte, und bemerkte, sie sei wieder dort gelandet, wo sie hingehöre; sie sei eine "drogenabhängige Straßennutte". Er habe alles Geld vom Girokonto abgehoben und trage es bei sich, so dass sie ihn künftig um Geld bitten müsse. Die Angeklagte erwiderte, sie verdiene ihr eigenes Geld. Dann nahm sie die Tüte mit den Ampullen und lief in die Küche. H. H. rief ihr aus dem Wohnzimmer zu, er werde dafür sorgen , dass sie ihre Approbation verlieren werde; er habe sich schon im Klinikum A. danach erkundigt, wie man ihr die Approbation entziehen könne. Als sie erwiderte, das könne er nicht tun, rief er, er habe alles, um sie wieder in die Gosse zu schicken.
4
Die Angeklagte stellte anhand der Verbindungsliste des Telefons fest, dass ihr Ehemann tatsächlich mit dem Klinikum A. telefoniert hatte. Ihr wurde bewusst, dass sie bis zum ersten eigenen Verdienst noch Monate lang auf seine finanzielle Unterstützung angewiesen sei, außerdem, dass er dazu entschlossen war, mit allen Mitteln eine Trennung zu verhindern. Sie sah sich in Gefahr, die zugesagte Anstellung in dem Krankenhaus in U. zu verlieren und die Beziehung zu dem Zeugen G. aufgeben zu müssen. Zur Beseitigung dieser Gefahr und der Quelle ständiger Beleidigungen und Erniedrigungen beschloss sie, ihren Ehemann zu töten.
5
Die Angeklagte zog, "vor Wut und Aufregung am ganzen Körper zitternd" , in der Küche die Inhalte aller Ampullen aus der Plastiktüte auf eine Spritze, nahm diese in die rechte Hand, rannte ins Wohnzimmer und näherte sich schreiend ihrem Ehemann. Dieser hielt ihre Arme fest und schlug ihr dann mit der flachen Hand auf die rechte Wange. Er fragte sie, was sie mit der Spritze wolle. Die Angeklagte entriss ihre rechte Hand aus seinem Griff, stieß ihn auf die Couch, stach ihm die Spritze in den Oberschenkel und drückte die Injektionslösung hinein. Hierbei handelte sie in der Erwartung, dass die Injektion tödlich sein werde. Die Morphininjektion führte zu Benommenheit, Bewusstlosigkeit und Atemstillstand mit der Folge des Todes von H. H. .
6
Das Landgericht hat die Handlung der Angeklagten als heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangenen Mord beurteilt. H. H. habe nicht mit einem Angriff auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerechnet, weil es zuvor noch nie zu einer Anwendung von Gewalt durch die Angeklagte gegen ihn gekommen sei und weil er nicht gewusst habe, welches Mittel in der Spritze war. Diese Arglosigkeit und die daraus resultierende Wehrlosigkeit des Ehemanns habe die Angeklagte bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt. Sie habe sein Lebensrecht missachtet, um Nachteile in ihrem Fortkommen auszuschließen und ihren Ehemann als Kenner ihres früheren Drogenkonsums und ihrer Abhängigkeit von Benzodiazepinen auszuschalten.

II.

7
Die Bewertung der Tat als Mord ist rechtsfehlerhaft.
8
1. Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Es bestehen bereits Bedenken gegen die Annahme , H. H. sei zu Beginn des Angriffs der Angeklagten auf sein Leben arglos und infolgedessen wehrlos gewesen. Jedenfalls hat das Landgericht die Behauptung, die Angeklagte habe dies bewusst zur Tötung ihres Ehemanns ausgenutzt, nicht belegt. Ausnutzungsbewusstsein kann zwar im Einzelfall ohne Weiteres aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden , wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände und auf die nähere Erläuterung der Feststellung eines Ausnutzungsbewusstseins kann aber dann nicht verzichtet werden, wenn gewichtige Umstände dagegen sprechen. Dazu zählen hier die hochgradige Erregung der Angeklagten, die Einnahme von Flunitrazepam vor der Tat und die Tatsache, dass sie ihrem Ehemann schreiend mit der Spritze in der Hand entgegentrat, so dass Arglosigkeit objektiv zweifelhaft erscheint und auch aus der Sicht der Angeklagten fern gelegen haben könnte. Damit hat sich das Landgericht zu Unrecht nicht auseinandergesetzt.
9
2. Die Bewertung des Handlungsantriebs der Angeklagten als sonst niedriger Beweggrund ist vom Landgericht ebenfalls nicht tragfähig begründet worden und erscheint angesichts der Feststellungen als fern liegend. Bei Motiven wie Wut und Erregung kommt es darauf an, ob diese Gefühlsregung jedes nachvollziehbaren Grundes entbehrt und das Handlungsmotiv in deutlich weiter reichendem Maß als bei einem Totschlag verachtenswert erscheint (vgl. Fischer, StGB 60. Aufl. § 211 Rn. 14a). Dies ist hier offenkundig nicht der Fall, weil der Getötete der Angeklagten, nur um ihr ein selbstbestimmtes Leben unmöglich zu machen und sie weiter seinem Machtanspruch zu unterwerfen, eine Anschwärzung angedroht hatte, die zum Verlust ihrer gesamten beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz führen sollte. Angesichts dessen würde die Motivationslage eher die Annahme eines minder schweren Falls des Totschlags nach § 213 Alt. 2 StGB nahelegen als die Bewertung als Mord aus niedrigen Beweggründen.
Fischer Schmitt Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 520/09
vom
24. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2009 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Karlsruhe vom 22. Juni 2009 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

1
Nach den Urteilsfeststellungen stritten der Angeklagte und sein im selben Haus lebender Bruder oft, vor allem um Geld. Nach einem Streit um 85,-- Euro schoss der Bruder dem Angeklagten am Vormittag des 7. Dezember 2007 auf dem Speicher zweimal mit einer Schreckschusswaffe ins Gesicht. Der Angeklagte kam ins Krankenhaus, wo er äußerlich ruhig und unaufgeregt wirkte. Obwohl er stationär aufgenommen werden sollte, fuhr er am Abend ohne Abmeldung nach Hause. Dort stellte er fest, dass der Bruder entgegen seiner Erwartung nicht verhaftet war. Schon vorher vorhandene Hass- und Wutgefühle kamen hoch, mit dem Gedanken „er oder ich“ nahm er ein Bajonett, ging durch das Haus über eine Treppe zu der in einem anderen Stockwerk gelegenen Wohnung des Bruders und betrat das Zimmer, in dem der Bruder war. Der war völlig überrascht , da er den Angeklagten im Krankenhaus vermutete. In Tötungsabsicht stach der Angeklagte auf den Bruder ein, der sich wegen seiner Überraschung nicht Erfolg versprechend wehren konnte, vor allem, aber nicht ausschließlich ins Gesicht und in den Hals. Der Bruder verstarb alsbald an einem Stich ins rechte Auge, der ins Kleinhirn ging, und einem Stich in den Halsansatz, der die Lunge durchstieß. Ein weiterer Stich in den Wangenknochen, der die Wirbelsäulenarterie durchtrennte, war potentiell lebensbedrohlich. Nach der Tat rief der Angeklagte die Polizei. Bei seiner Festnahme erklärte er den Beamten, es sei gut, dass der Bruder tot sei, er gehe dafür gerne ins Gefängnis. Einen hinzukommenden Mieter forderte er auf, die Miete weiter zu bezahlen, auch wenn der Bruder jetzt tot sei.
2
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der zum äußeren Geschehensablauf voll geständige Angeklagte wegen heimtückisch begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit hat die Strafkammer nach sachverständiger Beratung verneint.

II.

3
Die Revision erhebt eine Verfahrensrüge und die näher ausgeführte Sachrüge. Ihr gesamtes Vorbringen zielt darauf, das Landgericht habe den seelischen Zustand des Angeklagten bei der Tat nicht rechtsfehlerfrei festgestellt und gewürdigt. Diese Mängel hätten vor allem zur fehlerhaften Annahme einer uneingeschränkten Schuldfähigkeit geführt; es sei aber auch nicht auszuschließen, dass sie sich auf die hiervon unabhängige Frage der Bejahung der subjektiven Voraussetzungen hinsichtlich des Mordmerkmals der Heimtücke ausgewirkt haben.
4
Die Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
1. Zur Verfahrensrüge:
6
a) Ihr liegt Folgendes zu Grunde:
7
Der Verteidiger des Angeklagten benannte sich zu folgenden Themen selbst als Zeugen: „1). Bei der Haftbefehlseröffnung, ca. 18 Std. nach der Tat, war der Angeklagte nicht in der Lage, wahrzunehmen, dass ich ihn als Verteidiger und nicht als Haftrichter aufsuchte. 2). Am … folgenden Besuchstag … war der Angeklagte nach wie vor in … hochgradiger Erregung; er war nicht in der Lage, Angaben zum Tathergang zu machen … über das hinausgehend, was er … bei der Polizei geäußert hatte. 3). … einige Wochen später war für mich der Grad der Erregung bei einem … weiteren Treffen erkennbar als er - wieder im Besitz seiner Erinnerung den Tathergang schilderte, wie er von seinem Bruder angegriffen wurde. In diesem Moment sprang er auf, aufgeregt als er die Situation auf dem Speicher nachspielte“.
8
Nachdem der Verteidiger diesen Antrag gestellt hatte, erklärte der Angeklagte , dass er den Verteidiger insoweit von der Schweigepflicht befreie.
9
b) Die Strafkammer hält den Beweisantrag unter Berufung auf BGH, Beschl. vom 12. September 2007 - 5 StR 257/07 (NStZ 2008, 115 = StV 2008, 284 mit im Kern kritischer Anmerkung Beulke/Ruhmannseder aaO, 285) für unzulässig. Mitteilungen des Angeklagten an seinen Verteidiger und Umstände, die zur Entscheidung über Art und Inhalt der Verteidigungsstrategie geführt haben, gehörten zum Kernbereich der Verteidigung und seien gerichtlicher Kognition entzogen.
10
Ergänzend ist ausgeführt, soweit eine Verwechslung des Verteidigers mit dem Haftrichter behauptet sei, fehle es an dem für einen Beweisantrag erforderlichen Tatsachenvortrag. Es werde nicht klar, „aufgrund welcher Tatsachen dies so gewesen sei, sondern gibt allenfalls die Einschätzung des Pflichtverteidigers wieder“. Entsprechendes gelte für den im zweiten Teil des Antrags unter Beweis gestellten „Zustand hochgradiger Erregung“.
11
Unabhängig von alledem sei die beantragte Beweiserhebung aber auch dann, wenn ein in jeder Hinsicht zulässiger Beweisantrag vorläge, kein Gebot der Aufklärungspflicht. Die Beweiserhebung sei erkennbar darauf gerichtet, Befundtatsachen für einen Affekt i.S.d. § 20 StGB zu erbringen. Der Sachverständige habe jedoch auf entsprechende Anfrage erklärt und - im Beschluss dargelegt - näher erläutert, dass auch dann, wenn das Antragsvorbringen in vollem Umfang zu Grunde zu legen sei, „sich keine Anhaltspunkte finden lassen, die dafür gesprochen hätten, einen Affekt festzustellen“.
12
c) Der Senat neigt nicht zu der Auffassung, dass der Antrag unzulässig sei (aa); er hält den Beweisantrag auch für hinreichend konkretisiert (bb). Die Rüge bleibt dennoch erfolglos, weil die Strafkammer im Ergebnis zu Recht (auch) von der Bedeutungslosigkeit des Antrags ausgegangen ist (cc).
13
(aa) Der Verteidiger hat gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO für ihm in dieser Eigenschaft anvertraute oder bekannt gewordene Tatsachen ein Zeugnisverweigerungsrecht. Es entfällt, wenn er von seiner Schweigepflicht entbunden wurde, § 53 Abs. 2 Satz 1 StPO. Dies zeigt ohne weiteres, dass ein Verteidiger grundsätzlich Zeuge sein kann, und zwar auch in dem Verfahren, in dem er den Angeklagten verteidigt (vgl. die Nachw. bei Beulke/Ruhmannseder aaO Fußn. 23, 26). Der Senat neigt nicht zu der Auffassung, dass hiervon, wie die Strafkammer im Anschluss an einen nicht tragenden Hinweis („obiter dictum“) in der genannten Entscheidung des 5. Strafsenats meint, eine Ausnahme gilt, wenn sich die Aussage des Verteidigers auf den „Kernbereich“ der Verteidigung beziehen soll. Was im Einzelnen zu diesem Kernbereich zählt - also z.B. hier die (si- cher der Schweigepflicht unterfallende) Erkenntnis des Verteidigers, dass der Angeklagte ihn zunächst nicht vom Haftrichter unterscheiden konnte - kann dabei offen bleiben. Das gesamte Verhältnis zwischen Verteidiger und Mandant ist durch § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO, flankiert durch § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB, davor geschützt, dass der Verteidiger gegen den Willen des Mandanten über in diesem Zusammenhang von ihm gewonnene Erkenntnisse als Zeuge aussagen muss („besonders geschützter Freiraum“, Beulke/Ruhmannseder aaO, 286). Daraus folgt aber nicht, dass der Angeklagte, der sich von einer solchen Aussage Wesentliches für seine Verteidigung verspricht, nicht wirksam auf diesen Schutz verzichten darf, indem er den Verteidiger von seiner Schweigepflicht befreit. Der Senat hat bereits ausgesprochen, dass es sogar im Falle einer Beweisgewinnung unter Verletzung von Schutzrechten des Angeklagten - abgehörtes Selbstgespräch in einem Krankenzimmer - „schwerlich vorstellbar“ erscheine, „dem Angeklagten ‚zum Schutze seiner Menschenwürde’ zu verbieten, diese Information zum Inbegriff der Hauptverhandlung zu machen“ (BGHSt 50, 206, 215; vgl. hierzu auch Roxin/Schäfer/Widmaier StV 2006, 655, 656; vgl. auch Nack StraFo 1998, 366 ff.). Zur Möglichkeit eines Angeklagten, sich zu seiner Entlastung der - aus anderen Gründen freilich ungeeigneten - Kontrolle durch einen „Lügendetektor“ zu unterwerfen, hat der Senat ausgeführt, dass ihm dies bei differenzierender , auf sein Einverständnis abstellender Sichtweise nicht mit dem Hinweis auf gebotenen Schutz seiner Persönlichkeitsrechte versagt werden kann (BGHSt 44, 308, 317 m.w.N.). An diesen Maßstäben gemessen kann die vom Angeklagten mit dem Ziel seiner Entlastung gewünschte Zeugenvernehmung seines Verteidigers, deren Grundlage - Befreiung von der Schweigepflicht - im Gesetz vorgesehen ist (§ 53 Abs. 2 Satz 1 StPO) und die er nach seinem Belieben herbeiführen kann, schwerlich wegen gebotenen Schutzes der Verteidigungsinteressen unzulässig sein. Unabhängig davon erscheint auch fraglich, ob hier eigene Erläuterungen des Angeklagten zum Zusammenwirken seines psy- chischen Zustands und seiner Äußerungen gegenüber dem Verteidiger und eine Verteidigererklärung ein ausreichender Ersatz wären (zu Bedenken gegen diese in BGH StV 2008, 284, 285 erwogene Möglichkeit vgl. auch Beulke /Ruhmannseder aaO, 287).
14
(bb) Der Beweisantrag ist auch genügend konkretisiert. Die Behauptung, der Angeklagte habe bei der Haftbefehlseröffnung den Verteidiger mit dem Haftrichter verwechselt, ist eine Tatsachenbehauptung. Bei sinngerechter Auslegung enthält sie die Behauptung entsprechender Äußerungen des Angeklagten. Wie der Verteidiger auf anderem Wege zu der Annahme einer solchen Verwechslung gelangt sein könnte, ist nicht leicht vorstellbar. Unabhängig davon ist der Antrag auch im Blick auf eine schlagwortartige Verkürzung des Beweisthemas ausreichend ; unter diesem Blickwinkel hat der Bundesgerichtshof etwa die Behauptung einer „Anstiftung“ des Angeklagten durch einen Dritten (BGHSt 1, 137, 138), die Behauptung, Zeugen hätten bei der Polizei „nicht die Wahrheit gesagt“ (BGHSt 39, 141, 143 f.), oder die Behauptung, ein Zeuge leide unter einer „krankheitsbedingten Alkoholabhängigkeit mit Persönlichkeitsdeformation“ (NStZ 2008, 52, 53) als für Beweisanträge hinreichende Tatsachenbehauptungen anerkannt. Hieran gemessen ist auch die behauptete Verwechslung als genügende Tatsachenbehauptung für einen Beweisantrag anzusehen, ebenso die im zweiten Teil des Beweisantrags behauptete hochgradige Erregung des Angeklagten.
15
(cc) Die Rüge bleibt gleichwohl erfolglos, weil die Strafkammer den Antrag auch der Sache nach im letzten Teil ihres Beschlusses mit tragfähigen Erwägungen als bedeutungslos zurückgewiesen hat. Der Grundsatz, dass die Ablehnung eines Beweisantrags nicht auf mehrere, insbesondere sich gegenseitig ausschließende Gründe gestützt werden kann (BGH NStZ 2004, 51 ; Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 120), ist hier nicht einschlägig. Die Möglichkeit, einen Antrag schon aus formalen Gründen - hier: generelle Unzulässigkeit der Beweiserhebung sowie unzulänglicher Tatsachenvortrag - zurückzuweisen, steht nicht in innerem Widerspruch zu der Erwägung , der Antrag bliebe (hier: wegen Bedeutungslosigkeit) selbst dann erfolglos, wenn die genannten formalen Mängel nicht vorlägen, die Beweiserhebung also generell zulässig und das Vorbringen genügend tatsachenfundiert wäre. Die Informationsfunktion des Ablehnungsbeschlusses gemäß § 244 Abs. 6 StPO (vgl. Fischer aaO Rdn. 119) wird - anders als bei unterschiedlichen sachlichen Ablehnungsgründen - durch solche „gestuften“ Ablehnungsgründe nicht eingeschränkt, sondern erweitert.
16
Im Übrigen hat die Strafkammer allerdings im Ansatz mit der Erwägung, auch bei einem zulässigen Beweisantrag sei es kein Gebot der Aufklärungspflicht , diesem nachzugehen, verschiedene Gesichtspunkte vermengt: Allerdings kann auch ein unzulässiger Beweisantrag nach Maßgabe der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zur Notwendigkeit weiterer Beweiserhebungen führen (vgl. BGH NStZ 2008, 52); liegt jedoch ein in jeder Hinsicht zulässiger Beweisantrag vor, richtet sich seine Verbescheidung nicht nach der Aufklärungspflicht, sondern er kann nur nach Maßgabe von § 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 oder Abs. 5 StPO abgelehnt werden. Der aufgezeigte Mangel im Prüfansatz gefährdet unter den hier gegebenen Umständen den Bestand des Urteils allerdings nicht. Die Strafkammer geht zu Recht davon aus, dass der Beweisantrag Anknüpfungspunkte für die Schuldfähigkeitsbeurteilung erbringen sollte. Wenn, so die Strafkammer nach sachverständiger Beratung, auch im Falle des Gelingens des Beweises solche Anhaltspunkte nicht zu erwarten sind, führt dies unterschiedslos zugleich dazu, dass sich die Strafkammer zur Erhebung dieser Beweise nicht gedrängt sehen muss und dass die Beweiserhebung für die Entscheidung ohne Bedeutung ist. Ein aus anderen Gründen rechtsfehlerhafter Prüfungsmaßstab ist nicht zu erkennen. Die Strafkammer folgt dem Sachverständigen dahin, dass die ge- nannten Beweisbehauptungen, ihre Erweislichkeit unterstellt, keinen Anhaltspunkt für einen „relevanten“ Affekt erkennen lassen. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich daraus keine rechtsfehlerhafte „Beweislastverteilung“. Tatsachen, die keinen Anhaltspunkt für eine bestimmte Schlussfolgerung ergeben , können auch nicht nach Maßgabe des Zweifelssatzes die wesentliche Grundlage für die Annahme sein, diese Schlussfolgerung sei nicht auszuschließen.
17
2. In der Sache hält die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit auch unter Berücksichtigung des gesamten hiergegen gerichteten Revisionsvorbringens - im Zusammenhang mit den Angriffen gegen die Annahme von Bedeutungslosigkeit des Beweisantrags ebenso wie zur Begründung der Sachrüge - insgesamt der rechtlichen Überprüfung Stand. Zusammenfassend und ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat insoweit: Die Strafkammer hat nach sachverständiger Beratung in ihre Erwägungen zur Schuldfähigkeit alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen. Sie hat dabei die generell sich konflikthaft zuspitzende Täter-Opfer-Beziehung ebenso erwogen wie die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und die „grundsätzlich … affektbegünstigende Ausgangssituation“ (Schüsse am Morgen) sowie die Feststellungen zum Vor- und Nachtatverhalten. Wenn sie im Ergebnis dem zeitlichen Abstand zwischen Schüssen und Tat von fast neun Stunden - in denen sich der Angeklagte unauffällig verhielt -, der Tatvorbereitung - der Angeklagte nahm erst das Bajonett und ging dann durch das Haus in ein anderes Stockwerk zur Wohnung des Bruders - und dem Nachtatverhalten - er billigte seine Tat und ermahnte einen Mieter zu weiterer Vertragstreue - maßgebliches Gewicht beimisst und einen die volle Schuldfähigkeit in Frage stellenden Affekt verneint, so überschreitet sie damit nicht die dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung gezogenen Grenzen. Bei dem Revisionsvorbringen handelt es sich letztlich um den im Revisionsverfahren unbehelflichen Versuch, eine rechtsfehlerfreie tatrichterliche Be- weiswürdigung durch eine eigene zu ersetzen. Soweit die Revision erwägt, es deute auf nur eingeschränkte Schuldfähigkeit hin, dass der Angeklagte selbst die Polizei rief, kann dies schon im Ansatz die Möglichkeit einer lückenhaften Prüfung durch die Strafkammer nicht verdeutlichen. Die alsbaldige Übernahme von Verantwortung für eine Tat ist offenbar keine Grundlage für die Annahme, der Täter habe bei der Tat nicht voll verantwortlich gehandelt, wie dies etwa bei einer spontan und abrupt begangenen Tat ohne Schutz vor Entdeckung der Fall sein kann (sog. „fehlende Sicherheitstendenz“, vgl. hierzu BGH NStZ 2005, 149 f. m.w.N.). Der Senat teilt auch nicht die Auffassung, gegen die von der Strafkammer als Beleg uneingeschränkter Schuldfähigkeit bewertete Erhaltung der „Introspektionsfähigkeit“ des Angeklagten nach der Tat spreche, dass er keine genauen Angaben zu den Verletzungen und der en Todesursächlichkeit machen konnte. Ob der entsprechende Hinweis der Strafkammer überhaupt ergeben soll, dass die Polizei alsbald nach der Tat Details zur Todesursache vom Angeklagten wissen wollte, liegt eher fern. Welche Verletzungen genau durch ins Körperinnere gerichtete Stiche dort eingetreten sind - ob und wie stark also etwa Kleinhirn, Lunge oder Wirbelsäulenarterie getroffen waren - und welche der Stiche letztlich tödlich waren, kann nämlich offensichtlich niemand allein durch äußerliches Betrachten der Leiche erkennen. Nach alledem ist die Strafkammer ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass am Tattage selbst tragfähige Indizien für einen schuldmindernden oder sonst bedeutsamen Affekt nicht erkennbar nach außen getreten sind. Auf dieser Grundlage ist es nicht zu beanstanden, dass sie es abgelehnt hat, aus den im Beweisantrag genannten Erkenntnissen, die wesentlich später angefallen sein sollen, auch bei deren Erweislichkeit gegenteilige Schlüsse zu ziehen.
18
3. Die Strafkammer begründet ihre Annahme, der Angeklagte habe die für die Bewertung der Tat als heimtückisch wesentlichen Elemente in sein Bewusstsein aufgenommen („Ausnutzungsbewusstsein“) damit, dass eine Ausnahmesi- tuation, wie sie bei Tatbegehung im Rahmen eines affektiven Durchbruchs gegeben sein kann, nicht vorlag. Dies ist nicht zu beanstanden. Bei erhaltener Einsichtsfähigkeit - anderes ist hier nicht ersichtlich - ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, regelmäßig nicht beeinträchtigt (BGH, Urt. vom 27. Februar 2008 - 2 StR 603/07; aus forensisch-psychiatrischer Sicht ebenso Dannhorn NStZ 2007, 297, 299). Selbst die Annahme einer affektbedingt erheblich verminderten Schuldfähigkeit könnte für sich genommen die Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins nicht tragen (BGH aaO; NStZ 2003, 535; vgl. auch BGH NStZ-RR 2000, 166). Unter welchen - jedenfalls besonderen - konkreten Umständen des Einzelfalles die Möglichkeit affektbedingt fehlenden Ausnutzungsbewusstseins bei voll erhaltener Schuldfähigkeit (vgl. BGHSt 6, 329, 332) in Betracht kommen kann, kann hier offen bleiben. Die Strafkammer hat jedenfalls, nicht zuletzt gestützt auf ihre Feststellungen zum Vor- und Nachtatverhalten, keine Anhaltspunkte für derartige Besonderheiten feststellen können, ohne dass ihr dabei Rechtsfehler unterlaufen wären. Daher brauchte sie die von ihr im Grundsatz gesehene genannte Ausnahmemöglichkeit auch nicht breiter als geschehen zu erörtern.
19
Auch sonst enthält das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Sander
5 StR 438/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 23. April 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen mit der Sachrüge geführte Revision. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
2
1. Das Landgericht hat – zum Anlass der Tat im Wesentlichen auf der Basis der Einlassung des Angeklagten – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Angeklagte lebte mit der später von ihm getöteten H. – unterbrochen durch Haftzeiten des Angeklagten – seit 2002 zusammen. Nach frühzeitigem Missbrauch von Alkohol und Betäubungsmitteln beschränkte sich sein Rauschmittelkonsum zwischen 2009 und 2011 auf Alkohol , wobei er, Vorgaben seiner die Beziehung dominierenden Lebensgefährtin folgend, nicht mehr als vier bis fünf halbe Liter Bier am Tag trank. Die Alkoholreglementierung war mitunter Anlass für Streitigkeiten, im Rahmen derer H. gegenüber dem Angeklagten auch gelegentlich handgreif- lich wurde. Der Angeklagte verübte hingegen bei diesen und anderen Auseinandersetzungen niemals Gewalt gegen seine Lebensgefährtin.
4
Am Abend des 23. September 2011 hatte der Angeklagte die ihm zugebilligte Alkoholmenge bereits konsumiert. Gleichwohl fragte H. , ob er noch zwei Bier haben wolle, was er bejahte. Sie holte von einer Tankstelle zwei Flaschen Bier, von denen der Angeklagte trank. Es kam zu sexuellen Handlungen. Nach deren Abschluss erzählte sie dem Angeklagten, dass sie beim Bierholen ihren früheren Dealer für Flunitrazepam getroffen habe. Sie werde noch einmal losgehen, um für sich und ihn „Flunis“ zu holen. Der mittelgradig alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentrati- on 1,74 ‰) reagierte enttäuscht. Er hatte geglaubt, seine Lebensgefährtin, die früher Heroin und rauschmittelhaltige Medikamente konsumiert hatte, habe ihr Suchtproblem überwunden. Er machte ihr Vorhaltungen. Im Zuge des sich anschließenden Streits wurde H. immer aggressiver und schlug den Angeklagten gegen den Mund.
5
Für H. war der Streit nun beendet. Sie wollte am Ange- klagten vorbeigehen. „Dabei rechnete sie mit keinem Angriff auf ihr Leben, insbesondere weil der Angeklagte auch bei vorangegangenen Streitigkeiten sie weder geschlagen hatte noch anderweitig gewalttätig gegen sie vorgegangen war. Dies erkannte der Angeklagte trotz seiner alkoholischen Beein- flussung und nutzte es zur Tatbegehung aus“ (UA S. 12). Erergriff ein Küchenmesser , packte H. , umklammerte sie mit einem Arm um den Hals, zog sie an sich heran und versetzte ihr neun kraftvoll geführte Messerstiche in die Brust. Danach lockerte er seinen Griff und stach ihr fünfmal in den Rücken. Sie sank zu Boden. Um ihren Tod sicher herbeizuführen , würgte der Angeklagte sie am Hals. Sie verstarb binnen weniger Minuten an den Folgen multipler Stichverletzungen in der linken Lunge.
6
Der Angeklagte reinigte einen Teil der Küche und die Handflächen der Getöteten. Dann fesselte er sie mit einer Kinderstrumpfhose an den Armen und mit den Streifen eines zuvor zerrissenen Geschirrtuchs an den Beinen, um einen Überfall vorzutäuschen. Er zog sich saubere Kleidung an. Seine verschmutzte Kleidung und die zur Reinigung verwendeten Gegenstände packte er in einen Plastikmüllsack, den er im Müllcontainer eines Baumarkts entsorgte. Gegen 22 Uhr verließ er die Wohnung endgültig und begab sich in die Innenstadt von Leipzig. Den ein Jahr acht Monate alten gemeinsamen Sohn ließ er schlafend in der Wohnung zurück.
7
Um sich ein Alibi zu verschaffen, versuchte er im weiteren Verlauf der Nacht, die Polizei durch entsprechende Anrufe zu einer Nachschau in der Wohnung zu veranlassen. Nachdem dies fehlgeschlagen war, täuschte er einen Einbruch in einem Autohaus vor und wurde kurzzeitig festgenommen. Gegen 5.50 Uhr begab er sich wieder in die Wohnung. Er alarmierte die Poli- zei, weil er „seine Frau“ blutüberströmt und gefesselt vorgefunden habe. Den Polizeibeamten warf er vor, nicht auf seine Anrufe reagiert und deshalb das Versterben seiner Lebensgefährtin mitverschuldet zu haben. Auch gegenüber eintreffenden Hilfskräften verhielt er sich aggressiv.
8
2. Die Verurteilung des in seiner Schuldfähigkeit nicht relevant beeinträchtigten Angeklagten wegen Mordes (§ 211 StGB) hält rechtlicher Prüfung stand. Der Erörterung bedarf nur die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke sowie des hierauf bezogenen Ausnutzungsbewusstseins. Sie weist keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
9
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Argund Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist, dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31 mwN).
10
Das Schwurgericht ist davon ausgegangen, dasssich H. keines erheblichen Angriffs auf ihre körperliche Unversehrtheit oder gar auf ihr Leben versah, als sie versuchte, an dem Angeklagten vorbeizugehen. Es leitet dies – trotz des vorangegangenen Streits mit der diesen aus Opfersicht „abschließenden“ Ohrfeige – ausdem Umstand ab, dass der Angeklagte im Verlauf der langjährigen Beziehung niemals gegen seine Lebensgefährtin gewalttätig geworden war, obwohl diese ihrerseits mitunter zugeschlagen hatte. Ferner stützt es sich auf das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens , wonach außer einer oberflächlichen Schnittverletzung an der Kuppe des rechten Ringfingers keine Verletzungen an der Getöteten festgestellt wurden, die darauf hindeuten könnten, dass diese noch die Möglichkeit hatte, die Stiche etwa durch instinktives Hochreißen der Arme abzuwehren.
11
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung können Arg- und Wehrlosigkeit auch dann gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleichwohl nicht mit einer Tätlichkeit rechnet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; Urteil vom 6. September 2012 – 3 StR 171/12 mwN). Für seine Würdigung durfte und musste das Schwur- gericht dabei den bisherigen Verlauf der Beziehung heranziehen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692), in deren Rahmen der Angeklagte Handgreiflichkeiten seiner Lebensgefährtin niemals „mit gleicher Münze“ vergolten hatte. Der hieraus in Verbindung mit den rechtsmedizinischen Befunden abgeleitete Schluss, diese habe sich im Zeitpunkt des Angriffs in Sicherheit gewogen und den Angriff auf ihr Leben allenfalls im letzten, eine Gegenwehr nicht mehr zulassenden Augenblick erkannt, erscheint naheliegend, jedenfalls aber möglich, und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. „Zwingend“ muss er entgegen der Auffas- sung der Revision nicht sein. Gleichfalls wäre, anders als die Verteidigung meint, angesichts von fünf Stichverletzungen mit einer Tiefe von jeweils acht Zentimetern (UA S. 27) nicht zu beanstanden, dass die Schwurgerichtskam- mer direkten Tötungsvorsatz auch für den Fall als gegeben ansieht, dass der Angeklagte seine Lebensgefährtin – für sich genommen nicht tödlich wirkend – zuerst in den Rücken gestochen hat.
12
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO S. 635, je mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO mwN). Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2004 – 5 StR 401/04, vom 20. Januar 2004 – 4 StR 491/04, aaO, vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO, und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO).
13
Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht verkannt. Sachverständig beraten hat es einen die Erkenntnisfähigkeit in Frage stellenden tiefgreifenden Erregungszustand insbesondere mit Blick auf das komplexe und sehr zielgerichtete Nachtatverhalten des Angeklagten verneint. Die mittelgradige Alkoholisierung des außerordentlich trinkgewöhnten Angeklagten hat es dabei bedacht. An das psychiatrische Gutachten anknüpfend ist es zu dem Er- gebnis gelangt, dass der einsichtsfähige Angeklagte die schutzlose Lage des keinen Arg hegenden Opfers zutreffend erfasst und ausgenutzt hat.
14
Trotz nicht ganz unmissverständlicher, ersichtlich als Hilfserwägungen zu verstehender Ausführungen des Landgerichts (UA S. 32 f., 37, 48) ist den Feststellungen (UA S. 12) noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Angeklagte den Angriff von hinten begangen, also die neun Stiche in die Brust hinter seiner Lebensgefährtin stehend und diese umklammernd vollführt hat, um ihr nach Lockerung des Griffs dann die fünf Stiche in den Rücken zu versetzen. Auf dieser, die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Befunde in eigener Würdigung bewertender Grundlage liegt die Schlussfolgerung des Landgerichts besonders nahe, der Angeklagte habe mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt. Das Gleiche würde gelten, wenn der Angeklagte entsprechend dem vom rechtsmedizinischen Sachverständigen angenommenen Verlauf (UA S. 32) seiner Lebensgefährtin zunächst von hinten die Stiche in den Rücken versetzt, sie dann – weiter hinter ihr stehend – an sich herangezogen und ihr die tödlichen Stiche in die Brust versetzt hat. Bei einem derartigen Vorgehen drängt sich auf, dass der Täter den Überraschungscharakter seines Angriffs bewusst ausgenützt hat, ohne dass es etwa des gezielten Herbeiführens eines Hinterhalts bedürfte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503).
15
Nichts wesentlich anderes ergäbe sich, wenn man die vom Landgericht im Wege einer Hilfserwägung erörterte (UA S. 32 f.) Variante zugrunde legte, dass der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vor ihr stehend zunächst die Stiche in die Brust und ihr danach die Stiche in den Rücken versetzt hat. Es handelte sich um eine mit einem Blick zu erfassende Situation; zudem wird ein Angreifer, schon um Schreie und Widerstand möglichst zu vermeiden , stets bestrebt sein, ein Überraschungsmoment auszunützen. Dass die Lebensgefährtin des Angeklagten namentlich in Anbetracht des bisherigen Verlaufs der Beziehung ungeachtet ihres aggressiven Verhaltens nicht mit einem körperlichen Angriff von Seiten des Angeklagten rechnete, ist hinrei- chend schlüssig belegt. Ferner ist die Tat von außergewöhnlichem Vernichtungswillen geprägt, der die Grenzen eines tödlichen Spontanangriffs deutlich überschreitet, und ist das Nachtatverhalten insofern besonders gestaltet, als es sich nicht nur wegen des Zurücklassens des schlafenden Kleinkindes bei der blutigen Leiche der Mutter als hochgradig verwerflich darstellt, sondern auch als überaus kalkuliert und kontrolliert auf Täuschung ausgerichtet. Jedenfalls angesichts dieser besonderen Fallgestaltung kann der Senat die dem Urteil ausreichend zu entnehmende Hilfsüberlegung des Landgerichts hinnehmen, dass der Angeklagte ungeachtet seiner Intoxikation und Erregung die Arglosigkeit des Opfers auch für den weniger wahrscheinlichen Fall eines Angriffs von vorn in sein Vorstellungsbild aufgenommen hat. Damit ist insgesamt von Rechts wegen nichts dagegen zu erinnern, dass das sachverständig beratene Tatgericht unter den hier gegebenen Vorzeichen davon ausgegangen ist, der in seinen kognitiven Fähigkeiten nicht relevant beeinträchtigte Täter habe den Bedeutungsgehalt der tatsächlichen Lage zu Beginn seines tödlichen Angriffs zutreffend eingeschätzt (vgl. auch BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f., und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO).
Basdorf Schaal Schneider Dölp König
5 StR 65/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 4. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Mai 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 29. Oktober 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und das asservierte Tatmesser eingezogen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen fühlte die 15 Jahre jüngere Ehefrau des 1956 in Stettin geborenen, nach einem Verkehrsunfall dauerhaft arbeitsunfähigen Angeklagten sich spätestens seit Herbst 2008 in ihrer Ehe unglücklich und versuchte seither, sich aus dieser zu lösen. Etwa im August 2009 lernte sie das spätere Tatopfer Sch. kennen und ging mit ihm eine Beziehung ein. Im November 2009 bezog sie eine „nur zwei Hausnummern“ von der gemeinsamen Wohnung entfernte eigene Wohnung. Der Angeklagte reagierte darauf sehr gekränkt. Zwei Tage nach ihrem Umzug besuchte er seine Ehefrau in deren neuer Wohnung. Es kam zwischen beiden zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Von den herbeigerufenen Polizeibeamten, die den Angeklagten zusammengekauert auf dem Bett der Ehefrau liegend vorfanden, ließ er sich freiwillig mitnehmen. Mit seinem Einverständnis wurde er in das Zentrum für integrative Psychiatrie in Kiel gebracht, dort etwa einen Monat lang stationär behandelt und schließlich mit der Diagnose einer „Störung der Impulskontrolle mit gewalttätigen Übergriffen vor dem Hintergrund von überwertigen Eifersuchtsideen“ (UA S. 10) in ambulante Weiterbehandlung entlassen. In der Folgezeit sah sich der Angeklagte gezwungen, die eheliche Wohnung zum 31. März 2010 aufzugeben.
3
Inzwischen beabsichtigte seine Ehefrau, gemeinsam mit ihren beiden jüngeren Kindern – der älteste Sohn befand sich in einem Internat – in das Haus von Sch. umzuziehen. Auf die Bemühungen des Angeklagten um klärende Gespräche ging sie immer weniger ein. Der Angeklagte entwickelte zunehmend die Vorstellung, dass Sch. es tatsächlich gar nicht auf seine Ehefrau, sondern – zumindest auch – auf seine 1994 geborene Tochter C. „abgesehen“ hätte (UA S. 11). Da die Sorgerechtssituation ungeklärt war und der Angeklagte seine Befürchtung mit seiner Ehefrau im Beisein von Sch. ausdiskutieren wollte, vereinbarte er telefonisch ein Treffen für den 28. März 2010 in der Wohnung der Ehefrau. Der Angeklagte begab sich mit Kuchen und einem Spielzeug für seinen jüngsten Sohn M. zu ihrer Wohnung. „Dabei führte er auch ein aus seiner Wohnung stammendes … einseitig geschliffenes Messer mit einer Gesamtlänge von ca. 33 cm, einer Klingenlänge von ca. 20 cm und einer maximalen Klingenbreite von 3 cm unter seiner Kleidung verborgen mit sich“ (UA S. 13). Ob er bereits zu diesem Zeitpunkt den Entschluss gefasst hatte, Sch. mit dem Messer zu töten oder auch nur zu verletzen, vermochte die Schwurgerichtskammer nicht sicher festzustellen.
4
Im Wohnzimmer der Ehefrau kam es zu einer Auseinandersetzung in teils angespannter Atmosphäre. Als sich die Stimmung erneut zu verschlechtern begann, brachte die Ehefrau ihren Sohn M. unter einem Vorwand aus dem Zimmer. Kurz nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, vernahm sie „komische Geräusche“ und Schreie von Sch. aus dem Wohnzimmer. Sie begab sich unverzüglich zurück ins Wohnzimmer, wo sie den Angeklagten mit einem Messer auf der Couch stehend erblickte, während Sch.
„halb sitzend, halb rücklings auf der Couch liegend versuchte, sich mit den Füßen gegen den Angeklagten zu wehren, und sich dabei den Bauch hielt“ (UA S. 14). Der Angeklagte hatte Sch. mit dem mitgebrachten Messer eine mindestens 25 cm tief in den Oberkörper eindringende kombinierte Schnitt-Stich-Verletzung zugefügt, in deren Folge es zu Verletzungen der Leber, des Dünndarms, der Milzvene und einer Nierenvene sowie der rechten Beckenschlagader kam. Darüber hinaus stach der Angeklagte Sch. in die linke Brustseite, was zu einer Verletzung der Lunge führte, und fügte ihm zwei weitere Stichverletzungen im Bereich der Extremitäten zu. Aufgrund der Verletzungen verstarb Sch. am folgenden Morgen im Krankenhaus.
5
Das Landgericht hat die Tat – unter Bejahung des Tatbestandsmerkmals der Heimtücke – als Mord gewertet. Sachverständig beraten ist es zur Annahme der vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangt.
6
2. Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Die Feststellungen des Urteils zur unmittelbaren Tatsituation tragen nicht die Annahme des Tatbestandsmerkmals der Heimtücke.
7
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen, noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (BGH, Urteil vom 26. November 1986 – 3 StR 372/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 150/96, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21 mwN).
8
b) Dass der Angriff Sch. „völlig unvermittelt“ (UA S. 32) traf, leitet die Strafkammer aus der Kürze des seit dem Verlassen des Zimmers durch die Zeugin Sa. verstrichenen Zeitraumes sowie daraus her, dass die Sitzposition Sch. s nach dem gegen ihn geführten Angriff mit derjenigen zum Zeitpunkt des Verlassens des Wohnzimmers durch die Zeugin „praktisch identisch“ war und keine Abwehrspuren an den Händen des Opfers festgestellt werden konnten. Während die Position von Täter und Opfer während der Tat auch durch die objektive Spurenlage belegt werden, beruhen die Feststellungen über die Kürze des seit dem Verlassen des Wohnzimmers durch die Zeugin Sa. verstrichenen Zeitraumes alleine auf deren mit ihrem Einverständnis in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben gegenüber der Polizei. Da eine Befragung der Zeugin, die in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht hat, nicht möglich war, ist schon eine Stützung der Feststellungen auf ihre insoweit eher unpräzisen Angaben vor der Polizei problematisch (vgl. zur Problematik allgemein BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 5 StR 482/10 Rn. 11 mwN). Dies bedarf indes keiner Vertiefung, da die Feststellungen jedenfalls nicht die Annahme des erforderlichen Ausnutzungsbewusstseins tragen.
9
c) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür ist erforderlich, dass er die Umstände, welche die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH, Urteile vom 26. November 1986 und vom 30. Mai 1996 aaO; BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691 jeweils mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteil vom 13. August 1997 – 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26 mwN); psychische Ausnahmezustände können auch unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Bewusstseins des Ausnutzens entgegenstehen (BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 – 5 StR 508/06, NStZ 2007, 330).
10
Das Landgericht geht mit dem zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten gehörten Sachverständigen davon aus, dass der Angeklagte „sich zur Tatzeit angesichts des sich für ihn abzeichnenden endgültigen Verlustes seiner Ehefrau und möglicherweise auch seiner Kinder in einem Zustand affektiver Erregung befunden“ habe (UA S. 35). Im Zusammenhang mit der Beurteilung seiner Schuldfähigkeit berücksichtigt es auch, „dass der Angeklagte auf der Grundlage seiner narzisstischen Persönlichkeitszüge und der mit ihr verbundenen Kränkbarkeit, seiner erhöhten Erregbarkeit und seiner eingeschränkten Frustrationstoleranz eine gewisse Disposition aufwies, auf narzisstische Kränkungen impulsiv zu reagieren“ (UA S. 35). Schließlich stellt es in Rechnung, dass „zwischen dem Angeklagten und Sch. als dem den Bestand seiner Familie bedrohenden ‚Nebenbuhler’ zumindest von seiner Seite aus seit einiger Zeit eine konflikthafte Beziehung bestand, die sich in der Tatsituation durch die nicht auszuschließende erstmalige sichere Erkenntnis , dass seine Ehefrau mit ihren beiden jüngeren Kindern umgehend zu Sch. ziehen werde, erneut aktualisierte“ (UA S. 36). Zwar hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran , die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen ; dies ist vielmehr Tatfrage (BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 aaO mwN). Es bedarf jedoch in der Regel der Darlegung gegenläufiger Beweisanzeichen , aus denen das Tatgericht folgert, dass der Täter trotz seiner Erregung die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände in sein Bewusstsein aufgenommen hat (BGH, Urteil vom 9. Februar 2000 – 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166).
11
hat Dies das Landgericht mit einem Umstand begründet, der als Grundlage für eine den Angeklagten nachteilige Schlussfolgerung ungeeignet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235). Das vom Landgericht für eine gezielte Ausnutzung der Argund Wehrlosigkeit Sch. s maßgeblich herangezogene Beweisanzeichen ist, dass sich der Angeklagte dem 1,86 m großen und 122 kg schweren Tatopfer bei einer eigenen Körpergröße von 1,80 m und 73 kg Körpergewicht „nach eigenen Angaben körperlich unterlegen fühlte“ und „sich daher bei lebensnaher Betrachtung nur von einem unvermuteten Angriff Erfolg versprechen konnte“ (UA S. 33). Die Wahrnehmung einer eigenen körperlichen Unterlegenheit , die das Landgericht einer Einlassung zur Darstellung einer ganz anderen – seinen Feststellungen nicht zugrunde gelegten – Tatsituation entnommen hat, kann hier indes nicht als Grundlage der Schlussfolgerungen ausreichen, dass der Angeklagte trotz seiner aus dem Verlust seiner bisherigen Existenz und seinen besonderen Persönlichkeitsmerkmalen resultierenden Erregung die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände in sein Bewusstsein aufgenommen hat. Das Landgericht hat zudem bei seiner Vorgehensweise aus einer als widerlegt angesehenen, der Verteidigung dienenden Einlassung einen Umstand herangezogen, den es – hierzu in Widerspruch – belastend verwertet hat.
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3. Darüber hinaus sind auch die Feststellungen rechtsfehlerhaft, mit denen das Landgericht einen die Schuldfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindernden Affekt ausschließt.
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der Bei Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten geht das Landgericht – wie bereits dargelegt – davon aus, dass sich der Angeklagte bei der Tatbegehung in einem Zustand affektiver Erregung befunden habe. Gegen das Bestehen eines damit verbundenen und seine Schuldfähigkeit in relevantem Umfang einschränkenden Affekts spreche nach Ansicht des Sachverständigen – dem sich das Landgericht anschließt – indes, „dass der Angeklagte im Zusammenhang mit der Tatausführung eine von ihm getroffe- ne Entscheidung im Wege eines geordneten Handelns umgesetzt habe, um ein eigenes Zeichen“ zu setzen (UA S. 35). Diese Annahme ist weder vor dem Hintergrund der Feststellungen des angefochtenen Urteils, noch vor demjenigen der Einlassung des Angeklagten nachvollziehbar. Der Umstand, dass der Angeklagte nach der Tat die Tatwaffe gereinigt und in die Küchenschublade gelegt hat, wird in diesem Zusammenhang als „systematisches Vertuschungsbemühen“ eingeschätzt (UA S. 35), das ganz erheblich gegen einen schwerwiegenden Affekt spreche. Das Landgericht setzt sich nicht damit auseinander, dass in der Reinigung der Tatwaffe in der Küche auch ein reflexhafter, instinkt- und emotionsgeleiteter Versuch der Herstellung des „status quo ante“ gelegen haben könnte. Schließlich wird auch die – rechtsfehlerhaft festgestellte – „heimtückische Vorgehensweise“ (UA S. 36) des Angeklagten bei der Tatausführung als gegen einen erheblich schuldmindernden Affekt sprechender Umstand herangezogen.
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Das 4. angeklagte Tatgeschehen bedarf damit umfassender neuer tatgerichtlicher Prüfung. Bei dieser wird insbesondere die Frage nochmals kritisch zu überprüfen sein, ob es nachweisbar ist, dass der Angeklagte das Tatmesser zu der Verabredung mitgebracht hat. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass für den Fall, dass Heimtücke wegen fehlender subjektiver Voraussetzungen zu verneinen wäre und die dies begründende psychische Verfassung des Angeklagten den Grad erheblich verminderter Schuldfähig- keit erreichte, bei einem Schuldspruch nur wegen Totschlags eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zur Vermeidung einer Doppelberücksichtigung desselben Umstands nach tatgerichtlichem Ermessen versagt werden kann.
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 123/01
vom
9. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Mai 2001 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 23. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Der Tatrichter hat - worauf auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift abstellt - das Mordmerkmal Heimtücke nicht rechtsfehlerfrei bejaht. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte, dem die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Tatzeit zugebilligt wurden, seiner schlafenden Frau in Tötungsabsicht mit einer gußeisernen Bratpfanne auf den Kopf geschlagen und sie, als der Griff der Pfanne abbrach, mit beiden Händen erwürgt. Der Angeklagte, der die finanzielle Situation der Familie als aussichtslos empfand, seiner stark alkoholkranken Frau hiervon aber nichts mitgeteilt hatte,
war entschlossen, sich selbst umzubringen. Zugleich hatte er sich entschieden, auch seine Frau zu töten. Denn er schämte sich vor ihr und hatte große Angst, ihr die wahren Umstände zu offenbaren. Er war zudem der Meinung, daß seine Frau es in dieser desolaten finanziellen Situation nicht ohne ihn schaffen würde und ihr Obdachlosigkeit und Verwahrlosung drohten. Nach der Tötung seiner Frau unternahm der Angeklagte verschiedene Selbsttötungsversuche, die aber alle scheiterten. Ohne Rechtsfehler ist der Tatrichter davon ausgegangen, daß der Angeklagte bei der Tötung bewußt die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau ausgenutzt hat. Die vom Landgericht für die - allerdings naheliegende - Bejahung der erforderlichen feindlichen Willensrichtung gegebene Begründung ist aber rechtlich nicht fehlerfrei. Zum einen ist die Feststellung zu einem der Tatmotive nicht nachvollziehbar. Zum anderen liegt ein Verstoß gegen den Zweifelssatz vor. Der Tatrichter läßt zunächst die Frage offen, ob die Befürchtung des Angeklagten, "seine Ehefrau komme ohne ihn nicht zurecht, ihr drohe Obdachlosigkeit und Verwahrlosung bereits objektiv nicht nachvollziehbar ist und ob hier insoweit allein auf die subjektive Sichtweise des Angeklagten abzustellen ist." Das Landgericht führt dann aus: "Denn jedenfalls kann schon nicht festgestellt werden, daß das 'pseudoaltruistische' Motiv, der Ehefrau ein Leben in Obdachlosigkeit und Verwahrlosung zu ersparen, bei der Tötung im Vordergrund stand. Wie bereits ausgeführt, lag der Tat vielmehr ein Motivbündel zugrunde , das auch eigensüchtige Beweggründe enthielt. Denn nach der eigenen Einlassung des Angeklagten war ein weiteres wichtiges Tatmotiv, daß er sich vor seiner Ehefrau schämte und große Angst vor ihrer Reaktion hatte, wenn er
ihr die Kündigung und deren Hintergründe sowie die aktuelle finanzielle Situation offenbaren würde. Er rechnete damit, daß seine Frau ihm Vorwürfe machen würde, zumal er ihr in der Vergangenheit immer Vorhaltungen wegen ihrer Alkoholkrankheit gemacht hatte. In den Fällen, in denen der Tat ein ganzes Motivbündel zugrundeliegt, wobei nicht feststeht, welches Motiv im Vordergrund stand, muß nicht zugunsten des Täters angenommen werden, daß das 'pseudoaltruistische' Moment leitend war. Das Fehlen sicherer Erkenntnisse über die Beweggründe des Angeklagten steht der Annahme einer feindseligen Willensrichtung nicht entgegen (vgl. BGH MDR 1974, 366; NJW 1978, 709)." Diese Überlegungen des Tatrichters sind schon deshalb nicht tragfähig, weil das "weitere wichtige Tatmotiv" einer unangenehmen Offenbarung der Ehefrau gegenüber kein Motiv für die Tötung auch der Ehefrau sein konnte. Denn bereits durch den beabsichtigten Selbstmord hätte der Angeklagte sich etwaige Vorwürfe erspart. Seine Annahme, er müsse hierzu - vorab - auch seine Ehefrau töten, ist ohne nähere Darlegung nicht nachvollziehbar. Es ist auch ein Verstoß gegen den Zweifelssatz gegeben. Richtig ist zwar, daß der Zweifelssatz nicht bedeutet, daß das Gericht von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muß, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen (st. Rspr. vgl. hierzu Kleinknecht /Meyer-Goßner StPO § 261 Rdn. 26). Sind aber mehrere Tatmotive ausdrücklich als gegeben festgestellt, gebietet es - nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten - der Zweifelssatz, das für den Angeklagten günstigste als leitend anzusehen. Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß auf diesen rechtlich bedenklichen Feststellungen und Erwägungen die Annahme des Mordmerkmales Heimtücke beruht. Das angefochtene Urteil war daher mit den Feststellungen aufzuheben. Der Senat kann weiter nicht ausschließen, daß ein neuer Tatrichter aufgrund rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen und Überlegungen erneut zu einem Schuldspruch wegen Heimtückemordes gelangt. Es ist nämlich nicht ohne weiteres ersichtlich, daß der Angeklagte begründet meinte, zum Besten des Opfers zu handeln. Ein Fall des erweiterten Selbstmordes (vgl. BGH NJW 1978, 709) scheidet aus, weil der Angeklagte und seine Frau nicht übereinstimmend handelten. Vielmehr hat der Angeklagte einseitig seiner Frau das Lebensrecht abgesprochen. Der Senat ist daher nicht dem Antrag des Generalbundesanwalts auf Schuldspruchänderung in Totschlag gefolgt, sondern hat die Sache insgesamt zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Der neue Tatrichter wird auch zu beachten haben, daß eine strafschärfende Wertung des Umstandes, daß der Angeklagte nach dem Scheitern des ersten Angriffs mit der Pfanne sofort hartnäckig nachgesetzt hat, besorgen läßt, daß dem Angeklagten rechtsfehlerhaft (§ 46 Abs. 3 StGB) die Tatvollendung als solche zur Last gelegt wurde (vgl. auch BGHR StGB § 46 Abs. 3 Vollendung 1). Jähnke Bode Rothfuß Fischer Elf

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.