Bundessozialgericht Urteil, 25. Okt. 2016 - B 1 KR 7/16 R

bei uns veröffentlicht am25.10.2016

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1322,33 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.

2

Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses in N.
 (H.). Sie behandelte den bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherten H. K. (Versicherter) in der Zeit vom 15. bis zum 22.3.2009 stationär (Implantation einer Hüfttotalendoprothese), kodierte nach der hier anzuwendenden ICD-10-GM Version 2009 als Nebendiagnose ua I97.8 (Sonstige Kreislaufkomplikationen nach medizinischen Maßnahmen, anderenorts nicht klassifiziert) und berechnete hierfür 7715,25 Euro (23.3.2009; Fallpauschale - Diagnosis Related Group - 2009 I05Z: Anderer großer Gelenkersatz oder Revision oder Ersatz des Hüftgelenkes ohne komplizierende Diagnose, ohne Arthrodese, ohne komplexen Eingriff, mit äußerst schweren CC), die die Beklagte beglich. Die Beklagte veranlasste wegen Zweifeln an der zutreffenden Kodierung der Nebendiagnosen eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Der MDK meinte gutachtlich (28.7.2009/18.12.2009), dass die Nebendiagnose I97.8 nach den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) nicht nachvollziehbar sei. Hinzuzunehmen sei I89.0 (Lymphödem, anderenorts nicht klassifiziert) und Y69 (Zwischenfälle bei chirurgischem Eingriff und medizinischer Behandlung). Bei korrekter Kodierung werde die DRG I47B (Revision oder Ersatz des Hüftgelenkes ohne komplizierende Diagnose, ohne Arthrodese, ohne äußerst schwere CC, Alter > 15 Jahre, ohne komplizierenden Eingriff) angesteuert. Die Beklagte bat erfolglos um Rechnungskorrektur auf der Basis DRG I47B (zuletzt 24.2.2010). Sie erklärte, sie habe den streitigen Betrag in Höhe von 1322,33 Euro aufgerechnet (29.3.2010). Im Rahmen der Abrechnung fasste die Beklagte unter einer Sammelnummer von der Klägerin in Rechnung gestellte Beträge sowie von ihr geforderte Erstattungsbeträge zusammen (31.3.2010). Die Sammelüberweisung weist bezogen auf die für die Behandlung des Versicherten in Rechnung gestellte Krankenhausvergütung einen Minusbetrag von 7715,25 Euro, einen positiven Betrag von 6392,92 Euro und die Differenz von 1322,33 Euro (ebenfalls als Minusbetrag) aus. Ferner wurden im Rahmen dieser Sammelabrechnung weitere Rechnungen der Klägerin iHv 8215,72 Euro (Rechnung vom 4.8.2009 Nr 30753103), 5194,61 Euro (Rechnung vom 4.11.2009 Nr 30753629), 2153,99 Euro (Rechnung vom 22.11.2009 Nr 30753789) und 6333,56 Euro (Rechnung vom 22.12.2009 Nr 30753075) als (Erstattungs-)Beträge eingestellt. Als Zwischensumme errechnete die Beklagte einen Minusbetrag von 23 220,21 Euro, der von den übrigen in der Sammelrechnung aufgeführten Rechnungsbeträgen der Klägerin (Gesamtforderung von 53 301,42 Euro) in Abzug gebracht wurde. Hieraus errechnete die Beklagte eine Gesamtsumme iHv 30 081,21 Euro, die sie der Klägerin gutschrieb.

3

Das SG hat die Beklagte zur Zahlung von 1322,33 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen (vorgerichtliche Anwaltskosten) abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 1.7.2013). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die von der Beklagten erklärte Aufrechnung sei unwirksam. Eine wirksame Aufrechnung iS des § 388 BGB setze bei Sammelrechnungen die Benennung der spezifizierten Forderung und der konkreten Gegenforderung voraus. Hieran fehle es. Es sei nicht erkennbar, in welcher Reihenfolge und in welcher Höhe die jeweils unstrittigen Forderungen der Klägerin zum Erlöschen gebracht werden sollten. Die fehlende Bestimmtheit der Aufrechnungserklärung werde auch nicht durch die Auslegungsregel des § 396 Abs 1 S 2 BGB iVm § 366 Abs 2 BGB geheilt(Urteil vom 14.7.2015).

4

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm §§ 387, 388, 389, 396 Abs 1 BGB iVm § 366 Abs 2 BGB.

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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2015 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 1. Juli 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der beklagten KK ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Der klagenden Krankenhausträgerin steht der im Gleichordnungsverhältnis zulässigerweise mit der (echten) Leistungsklage (stRspr, vgl zB BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9 mwN; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12) verfolgte Vergütungsanspruch aus der Behandlung anderer Versicherter zu (dazu 1.). Ob die Beklagte diesen Vergütungsanspruch iHv 1322,33 Euro dadurch erfüllte, dass sie mit einem aus der Behandlung des Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch wirksam aufrechnete, kann der erkennende Senat wegen fehlender Feststellungen des LSG aber nicht entscheiden (dazu 2.).

9

1. Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen anderer Versicherter der Beklagten zunächst Anspruch auf die abgerechnete Vergütung weiterer 1322,33 Euro hatte; eine nähere Prüfung des erkennenden Senats erübrigt sich insoweit (vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens zB BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 15; BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 4 RdNr 8).

10

2. Der Senat kann wegen fehlender Feststellungen des LSG nicht in der Sache selbst abschließend über den Erfolg der Berufung gegen das - soweit hier noch streitbefangenen - der Klage stattgebende SG-Urteil entscheiden. Wenn der Beklagten ein Erstattungsanspruch iHv 1322,33 Euro zustand, erfüllte sie den der Klägerin zustehenden Vergütungsanspruch durch wirksame Aufrechnung analog § 387 BGB(§ 69 Abs 1 S 3 SGB V) gegen die Vergütungsforderung der Klägerin. Der Klägerin steht dann auch kein Zinsanspruch zu (dazu a). Es steht nicht fest, dass die Voraussetzungen des Gegenanspruchs aus öffentlich-rechtlicher Erstattung erfüllt waren. Es fehlen Feststellungen des LSG dazu, dass bei der Behandlung des Versicherten entweder ein (therapiebedürftiges) Lymphödem nach chirurgischem Eingriff oder eine bloße nach einer Operation kurzfristig auftretende Schwellung vorlag (dazu b).

11

a) Der Klägerin steht kein Vergütungsanspruch nebst Zinsen zu, wenn die Beklagte einen Erstattungsanspruch iHv 1322,33 Euro hatte. Der Vergütungsanspruch ist dann durch Aufrechnung analog § 387 BGB erfüllt. Die von der Beklagten gegenüber der Klägerin erklärte Aufrechnung ist wirksam. Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann (§ 387 BGB). Die Beklagte konnte mit einer Gegenforderung aus öffentlich-rechtlicher Erstattung gegen die Hauptforderung aufrechnen, wenn der Erstattungsanspruch bestand (vgl dazu allgemein BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 9 ff mwN; zur Aufrechnung BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 15). Der Vergütungsanspruch der Klägerin und der von der Beklagten geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch erfüllten die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten war auch - seine Existenz unterstellt - fällig und der Vergütungsanspruch der Klägerin erfüllbar.

12

Die Aufrechnung erfolgt nach § 388 S 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Sie setzt voraus, dass sowohl die Passiv- als auch die Aktivforderung - wenn auch im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) - hinreichend konkret bezeichnet werden (Schlüter in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl 2016, § 388 RdNr 1). Die Erklärung braucht nicht ausdrücklich abgegeben werden, es genügt die klare Erkennbarkeit des Aufrechnungswillens (vgl BVerfG NJW-RR 1993, 764, 765; BGHZ 26, 241, 244; BGHZ 37, 233; BFHE 139, 487; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl 2016, § 388 RdNr 1; Schlüter aaO), selbst wenn der wirkliche Wille nur unvollkommen oder andeutungsweise aus der Erklärung erkennbar wird (BSG SozR 1300 § 31 Nr 3 mwN). Dabei ist auf den für die Auslegung von Willenserklärungen maßgebenden objektiven Empfängerhorizont abzustellen (vgl nur BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 15 RdNr 11; BGH Urteil vom 20.11.2012 - X ZR 108/10 - Juris RdNr 9; BGH Beschluss vom 20.10.2005 - IX ZR 246/03 - Juris RdNr 3; dazu aa). Für den Fall nicht eindeutiger Erklärungen des Aufrechnenden schafft die Verweisung des § 396 Abs 1 S 2 BGB auf § 366 BGB eine Erleichterung(dazu bb).

13

aa) Die Beklagte hat die Aufrechnung nach diesen Grundsätzen wirksam erklärt. Zwar genügt das Schreiben vom 29.3.2010 nicht den Anforderungen an die Aufrechnungserklärung, weil es die Passivforderung (Hauptforderung, gegen die die KK aufrechnen will) nicht bezeichnet. Das Schreiben vom 29.3.2010 kann aber nicht isoliert, sondern nur in Verbindung mit dem Zahlungsavis vom 31.3.2010 bewertet werden. Denn bei der Auslegung von Willenserklärungen sind auch ergänzende Umstände zu berücksichtigen (BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 15 RdNr 11), etwa eine rechtmäßige allgemeine Übung, mündliche Hinweise der KK oder - wie hier - die "Erläuterung" der Aufrechnung durch das Zahlungsavis. Nachdem die Beklagte mit dem Schreiben vom 29.3.2010 erklärt hat, den "strittigen Betrag in Höhe von 1322,33 Euro", also mit der Gegenforderung aufgerechnet zu haben, kommt durch den Abzug dieses Erstattungsbetrags von unstreitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin im Zahlungsavis der Aufrechnungswille der Beklagten nach dem objektiven Empfängerhorizont hinreichend deutlich zum Ausdruck. Dementsprechend ist auch die Klägerin von einer Aufrechnungserklärung ausgegangen; sie hat hiergegen (zunächst) lediglich eingewandt, die Gegenforderung sei nicht fällig. Hieran ändert nichts, dass im Zahlungsavis die gezahlte Vergütung iHv 7715,25 Euro als Negativposten und die zustehende Vergütung iHv 6392,92 Euro als Gutschrift ausgewiesen sind. Denn der Differenzbetrag von 1322,33 Euro, der mit unstreitigen Forderungen der Klägerin aufgerechnet werden soll, wird im Zahlungsavis eindeutig beziffert. Bezieht man das Schreiben vom 29.3.2010 mit ein, bleibt kein Zweifel an der Höhe der geltend gemachten Erstattungsforderung und an dem hierdurch bekundeten Aufrechnungswillen. Bei dieser am objektiven Empfängerhorizont ausgerichteten Auslegung ist zudem zu berücksichtigen, dass derartige "Sammelabrechnungen" im Abrechnungsverhältnis zwischen den Beteiligten, wovon auch das LSG ausgeht, geschäftsüblich sind.

14

bb) Die Aufrechnungserklärung ist auch hinreichend bestimmt. Dem Zahlungsavis kann zwar nicht entnommen werden, gegen welche der dort aufgeführten Forderungen der Klägerin die Beklagte mit ihrem Erstattungsanspruch aufgerechnet hat. Die Aufrechnung der Beklagten ist deshalb aber entgegen der Auffassung des LSG nicht unwirksam. Bei einer Mehrheit von Forderungen kann der aufrechnende Teil gemäß § 396 Abs 1 S 1 BGB die Forderungen bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen, wenn der eine oder der andere Teil mehrere zur Aufrechnung geeignete Forderungen hat. Wird die Aufrechnung - wie hier - ohne eine solche Bestimmung erklärt, findet § 366 Abs 2 BGB entsprechende Anwendung, der die Tilgungsreihenfolge nach dem vermuteten, vernünftigen Beteiligtenwillen(Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl 2016, § 366 RdNr 10) vornimmt. Danach wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt. Diese Tilgungsreihenfolge findet auch dann Anwendung, wenn - wie hier - sowohl der Gläubiger als auch der Schuldner mehrere Forderungen geltend machen (BGH Urteil vom 24.3.2004 - VIII ZR 44/03 - NJW 2004, 2230, 2232; BGH Urteil vom 27.10.1999 - VIII ZR 184/98 - NJW 2000, 958; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl 2016, § 396 RdNr 1; Schlüter in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl 2016, § 396 RdNr 1; Staudinger/Gursky, Bd 2 §§ 362 - 396 BGB, 2016, § 396 RdNr 46 f; E. Wagner in Erman, BGB, 14. Aufl 2014, § 396 BGB RdNr 1; Rüßmann in jurisPK-BGB, 7. Aufl 2014, § 396 RdNr 4). Hierzu sind sowohl auf Seiten der Klägerin als auch auf Seiten der Beklagten die Rangfolge der jeweiligen Forderungen entsprechend der Regelung des § 366 Abs 2 BGB zu bestimmen und sodann in einem zweiten Schritt die Tilgungsreihenfolge festzulegen. Danach ist es auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Klägerin - wie das LSG meint - durch die Aufrechnung der Beklagten in die Gefahr gebracht werde, in der Buchhaltung gegen zwingende Vorschriften des HGB zu verstoßen.

15

b) Ob die Voraussetzungen des Gegenanspruchs aus öffentlich-rechtlicher Erstattung iHv 1322,33 Euro erfüllt waren, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Die Beklagte zahlte der Klägerin 1322,33 Euro Krankenhausvergütung für die Behandlung des Versicherten im Zeitraum vom 15. bis 22.3.2009 ohne Rechtsgrund, wenn die Klägerin für die zugunsten des Versicherten erbrachten Leistungen einen jedenfalls in diesem Umfang überhöhten Betrag berechnete. In dieser Höhe stand der Beklagten dann ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu (vgl zur entsprechenden Anwendung auf überzahlte Krankenhausvergütung zB BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 9 ff mwN, stRspr).

16

Die von der Klägerin geltend gemachte Krankenhausvergütung bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Operationen und Prozeduren sind für die Zuordnung eines Behandlungsfalls zu einer DRG bedeutsam, soweit ihnen die Vertragsbeteiligten im durch die höherrangigen Normen vorgegebenen Rechtsrahmen Abrechnungsrelevanz beimessen dürfen und mittels FPV, DKR, ICD-10-GM, OPS und Groupierung beigemessen haben (BSG SozR 4-5562 § 2 Nr 1 RdNr 10). Zu Recht sind sich die Beteiligten darüber einig, dass der Anspruch auf die um 1322,33 Euro höhere Vergütung voraussetzt, dass als Nebendiagnose ua I97.8 (Sonstige Kreislaufkomplikationen nach medizinischen Maßnahmen, anderenorts nicht klassifiziert) zu kodieren war. Eine weitere Differenzierung des Kodes für Kreislaufkomplikationen nach medizinischen Maßnahmen sieht der ICD-10-GM bislang nicht vor. Nach dem ICD-10-Diagnosethesaurus ist ein Lymphödem nach chirurgischem Eingriff mit I97.8 zu kodieren (vgl dazu auch Änderungsvorschlag der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung, recherchiert am 8.9.2016 unter http://www.dimdi.de). Das vom SG eingeholte Gutachten geht von einem komplikationslosen Ablauf der Behandlung aus. Gefäßauffälligkeiten seien nicht dokumentiert. Im Pflegebericht werde nur ein kurzfristiger Schwellzustand angegeben, der nicht gleichbedeutend mit einem Lymphödem sei. Die Kodierung der Nebendiagnose I97.8 wäre danach zwar fehlerhaft. Eine Würdigung des vom SG eingeholten Gutachtens hat das LSG aber - aus seiner Sicht zu Recht - unterlassen und folgerichtig auch keine Tatsachen festgestellt, die eine abschließende Entscheidung durch den Senat zulassen. Entsprechende Feststellungen wird das LSG nachzuholen haben.

17

3. Der erkennende Senat macht nicht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 202 S 1 SGG iVm § 563 Abs 1 S 2 ZPO(zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 563 Abs 1 S 2 ZPO vgl nur BSGE 32, 253, 255; BSG SozR 3-1750 § 565 Nr 1 S 3; BSG SozR 3-1500 § 170 Nr 7 S 12; BSG SozR 3-1750 § 565 Nr 2 S 6; BSG Beschluss vom 28.9.2010 - B 1 KR 46/10 B - Juris RdNr 7 f) an einen anderen Spruchkörper des LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Dies kommt etwa in Betracht, wenn das Vertrauen eines Beteiligten auf ein faires Verfahren vor dem Senat des LSG, der die zurückverwiesene Sache entschieden hat, nachhaltig erschüttert ist (vgl BSG SozR 3-1750 § 565 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 170 Nr 7; BSG SozR 3-1750 § 565 Nr 2), wenn ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des erkennenden Senats des LSG (vgl BFHE 240, 570; BFH Urteil vom 28.10.2015 - X R 47/13 - Juris RdNr 24 mwN) oder der Beachtung der Bindungswirkung nach § 170 Abs 5 SGG bestehen(BSG SozR 4-1500 § 170 Nr 2 RdNr 79; BSG Beschluss vom 28.9.2010 - B 1 KR 46/10 B - Juris RdNr 7; zum Ganzen Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 170 RdNr 8). Derartige ernstliche Zweifel bzw Umstände sind im Streitfall nicht erkennbar. Der Senat hat keine Anhaltspunkte, die auf eine unsachliche, unfaire oder voreingenommene Einstellung des LSG der Beklagten gegenüber schließen lassen. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände genügt hierfür nicht schon die Unrichtigkeit des Urteils ("greifbare Rechtswidrigkeiten"; BFH Urteil vom 28.10.2015 - X R 47/13 - Juris RdNr 24).

18

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

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1.
Krankenhäuser, die nach den landesrechtlichen Vorschriften als Hochschulklinik anerkannt sind,
2.
Krankenhäuser, die in den Krankenhausplan eines Landes aufgenommen sind (Plankrankenhäuser), oder
3.
Krankenhäuser, die einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen abgeschlossen haben.

Die Aufrechnung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Die Erklärung ist unwirksam, wenn sie unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgegeben wird.

(1) Hat der eine oder der andere Teil mehrere zur Aufrechnung geeignete Forderungen, so kann der aufrechnende Teil die Forderungen bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen. Wird die Aufrechnung ohne eine solche Bestimmung erklärt oder widerspricht der andere Teil unverzüglich, so findet die Vorschrift des § 366 Abs. 2 entsprechende Anwendung.

(2) Schuldet der aufrechnende Teil dem anderen Teil außer der Hauptleistung Zinsen und Kosten, so findet die Vorschrift des § 367 entsprechende Anwendung.

(1) Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt.

(2) Trifft der Schuldner keine Bestimmung, so wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt.

(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.

(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.

(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.

(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.

Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann.

Die Aufrechnung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Die Erklärung ist unwirksam, wenn sie unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgegeben wird.

Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind.

(1) Hat der eine oder der andere Teil mehrere zur Aufrechnung geeignete Forderungen, so kann der aufrechnende Teil die Forderungen bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen. Wird die Aufrechnung ohne eine solche Bestimmung erklärt oder widerspricht der andere Teil unverzüglich, so findet die Vorschrift des § 366 Abs. 2 entsprechende Anwendung.

(2) Schuldet der aufrechnende Teil dem anderen Teil außer der Hauptleistung Zinsen und Kosten, so findet die Vorschrift des § 367 entsprechende Anwendung.

(1) Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt.

(2) Trifft der Schuldner keine Bestimmung, so wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann.

(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.

(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.

(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.

(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.

Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann.

Die Aufrechnung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Die Erklärung ist unwirksam, wenn sie unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgegeben wird.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 108/10 Verkündet am:
20. November 2012
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Friedhofserweiterung
BGB §§ 133 E, 157 A; VOB/A § 26 Nr. 1 Buchst. c aF, § 17 Abs. 1 Nr. 3 nF

a) Der Erklärungswert der vom öffentlichen Auftraggeber vorformulierten Vergabeunterlagen
ist gemäß den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden, auf
den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter abstellenden Grundsätzen
zu ermitteln.

b) Der gestellten Vergabebedingung einer "rechtsverbindlichen" Unterzeichnung des
Angebots kommt lediglich der Erklärungsgehalt zu, dass der Unterzeichner bei
Angebotsabgabe über die erforderliche Vertretungsmacht verfügt haben muss.

c) Wann die Aufhebung einer Ausschreibung wegen "deutlicher" Überschreitung des
vertretbar geschätzten Auftragswerts rechtmäßig ist, ist aufgrund einer umfassenden
Interessenabwägung zu entscheiden, bei der insbesondere zu berücksichtigen
ist, dass einerseits den öffentlichen Auftraggebern nicht das Risiko einer deutlich
überhöhten Preisbildung zugewiesen werden, die Aufhebung andererseits
aber auch kein Instrument zur Korrektur der in Ausschreibungen erzielten Submissionsergebnisse
sein darf (Weiterführung von BGH, Urteil vom 8. September 1998
- X ZR 48/97, BGHZ 139, 259 und Urteil vom 12. Juni 2001 - X ZR 150/99, VergabeR
2001, 293).
BGH, Urteil vom 20. November 2012 - X ZR 108/10 - OLG München
LG Ingolstadt
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Meier-Beck, den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens, den Richter
Gröning und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das am 5. Juli 2010 verkündete Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 1. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin beteiligte sich an der öffentlichen Ausschreibung der beklagten Gemeinde für eine Friedhofserweiterung mit Neubau der Friedhofsmauer und Aussegnungshalle. Die von der Beklagten gestellten Vordrucke für das Angebotsschreiben wiesen ein Feld für eine "rechtsverbindliche Unterschrift" und einen Stempel des Bieters auf und enthielten daneben den Hinweis: "Wird das Angebotsschreiben nicht an dieser Stelle rechtsverbindlich unterschrieben, gilt das Angebot als nicht abgegeben."
2
Die Klägerin gab ein Angebot ab, das unter Berücksichtigung eines Preisnachlasses mit einer Angebotssumme von 261.368,78 € abschloss. Es war von einer Angestellten ohne einen Vertretungszusatz unterzeichnet und mit dem Firmenstempel der Klägerin versehen.
3
Das Angebot der Klägerin war, nachdem die Beklagte ein verspätet abgegebenes Angebot eines Wettbewerbers aus der Wertung nehmen musste, das preisgünstigste Angebot. Mit der Begründung, die Finanzierung sei nicht gesichert, hob die Beklagte das Vergabeverfahren auf und ging bei identischem Leistungsverzeichnis zur beschränkten Ausschreibung über, ohne die Klägerin daran zu beteiligen. Den Zuschlag erhielt ein Bewerber mit einem Angebotspreis von 242.000 €.
4
Die Klägerin hat Teilklage auf Erstattung ihres positiven Interesses in Höhe von 5.001 € erhoben, die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und widerklagend die Feststellung begehrt, dass der Klägerin auch kein weiterer Schadensersatz zusteht. Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Es hat angenommen, dass der Klägerin zwar kein Anspruch auf Erstattung des positiven Interesses zustehe, wohl aber ein solcher auf Ersatz des negativen Interesses aufgrund der Nichtbeteiligung an der zweiten Ausschreibung. Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung des Rechtsmittels der Klägerin die Klage insgesamt abgewiesen und nach dem Widerklageantrag erkannt.
5
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin den geltend gemachten Anspruch auf das positive Interesse und den Antrag auf Abweisung der Widerklage weiter.

Entscheidungsgründe:


6
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung sinngemäß im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin setze die Abgabe eines formal wirksamen Angebots voraus. Daran fehle es vor dem Hintergrund des von der Beklagten aufgestellten Erfordernisses einer rechtswirksamen Unterschrift. Dieses stelle klar, dass das Angebot wirksam zu sein habe und so gefasst sein müsse, dass es nur noch angenommen zu werden brauche , um den Auftraggeber von Ungewissheiten und Verzögerungen freizustellen , die mit der Unterzeichnung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht verbunden sein könnten. Es sei zu respektieren, wenn der Auftraggeber sich den daraus möglicherweise erwachsenden Schwierigkeiten nicht stellen wolle und deshalb über ein lediglich "unterschriebenes" Angebot hinaus die Rechtsverbindlichkeit der Angebotserklärung fordere. Für die Klägerin habe demgegenüber die Angestellte ohne Geschäftsführerin oder Prokuristin zu sein und ohne Vertretungskennzeichen gehandelt. Dass sie als Sekretärin mit der Bearbeitung von Ausschreibungsunterlagen betraut gewesen und nach dem Ergebnis der landgerichtlichen Beweisaufnahme intern auch zur Unterschriftsleistung ermächtigt gewesen sei, genüge den Vorgaben der Beklagten nicht. Dieser sei nicht zuzumuten, erst durch weitere Nachforschungen zu klären, ob Vertretungsmacht vorgelegen habe.
7
II. Diese Begründung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Klägerin hatte ein wirksames Angebot abgegeben.
8
1. Das Berufungsgericht hat Inhalt und Bedeutung der Unterschriftsklausel nicht rechtsfehlerfrei ermittelt.
9
a) Mit der Unterschriftsklausel hat die Beklagte als Vergabestelle eine vorformulierte Vergabebedingung gestellt. Welcher Erklärungswert dem Inhalt von Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) unter Berücksichtigung des Umstands zu ermitteln, dass die Vergabeunterlagen von der Vergabestelle vorformuliert sind (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - X ZR 78/07, VergabeR 2008, 782 Rn. 10 - Nachunternehmererklärung). Maßgeblich für das Verständnis ist dabei der objektive Empfängerhorizont der potenziellen Bieter (BGH, Urteil vom 11. November 1993 - VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64; BGH, VergabeR 2008, 782 Rn. 10; BGH, Urteil vom 3. April 2012 - X ZR 130/10, VergabeR 2012, 724 Rn. 10 - Straßenausbau).
10
b) Dem Berufungsurteil ist nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht geprüft hat, wie das Erfordernis einer "rechtsverbindlichen Unterschrift" aus Sicht der potenziellen Bieter zu verstehen war. Es scheint die Klausel dahin zu verstehen, dass sie nicht nur eine wirksame, den Bieter rechtlich bindende Unterzeichnung des Angebots verlangt, sondern dass auch nachgewiesen oder zumindest erkennbar sein muss, dass der Unterzeichner über gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt. Denn seine Feststellung, dass die Unterzeichnerin des von der Klägerin abgegebenen Angebots "intern zur Unterschrift berechtigt" gewesen sei, kann nicht anders verstanden werden, als dass die Unterzeichnerin des Angebots die Klägerin kraft ihr erteilter Vollmacht vertreten konnte. Seine Annahme, dass dies den Vorgaben der ausschreibenden Stelle nicht genüge, begründet das Berufungsgericht jedoch nur mit der Erwägung, es sei der Beklagten nicht zuzumuten, die Vertretungsberechtigung des Unterzeichners erst durch weitere Nachforschungen zu klären. Entscheidend ist jedoch nicht, was der Beklagten zuzumuten ist, sondern welche Erklärungen die Bieter den Vergabeunterlagen als ihnen abverlangt entnehmen konnten.
11
2. Da weitere Feststellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind, kann der Senat die Auslegung der Unterschriftsklausel selbst vornehmen (vgl. BGH, VergabeR 2012, 724 Rn. 10 - Straßenausbau). Nach den maßgeblichen Verständnismöglichkeiten der mit der Ausschreibung angesprochenen Bieterkreise ist ihr der Erklärungsgehalt beizulegen, dass der Unterzeichner bei Angebotsabgabe über die erforderliche Vertretungsmacht verfügt haben muss (in diesem Sinne bereits OLG Naumburg, NZBau 2008, 789, 791; ebenso Beck'scher VOB/A-Komm./Prieß § 21 Rn. 6 ff.). Der Gesichtspunkt einer interessengerechten Auslegung rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis.
12
Soweit das Berufungsgericht das Risiko vollmachtloser Vertretung bei Handeln einer Person, deren Vertretungsmacht nicht dem Inhalt des Handelsregisters entspreche und die sich auch nicht durch eine Vollmachtsurkunde legitimiere , für den öffentlichen Auftraggeber anspricht, ist schon fraglich, inwieweit die etwaige Erhebung dieses Einwands eines Bieters, der den Vertrag nicht erfüllen will, bei wirklichkeitsnaher Betrachtung erfolgversprechend und wahrscheinlich wäre. Jedenfalls wäre es mit dem Gebot der klaren und eindeutigen Abfassung von Vergabeunterlagen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - X ZR 78/07, VergabeR 2008, 782 Rn. 10 - Nachunternehmererklärung; BGH, VergabeR 2012, 724 Rn. 9) unvereinbar, der Klausel aufgrund der Hinzufügung des Attributs "rechtsverbindlich" (unterschrieben) nach dem Empfängerhorizont den Erklärungsgehalt beizulegen, mit dem Angebot müsse die Bevollmächtigung des Unterzeichners dokumentiert werden, wenn nicht die gesetzlichen Vertreter oder Prokuristen des bietenden Unternehmens unterschrieben haben (dagegen auch Prieß, aaO Rn. 12).
13
Der mit der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. Dezember 2004 (VergabeR 2005, 222) entschiedene Fall wies die Besonderheit auf, dass sich die Vertretungsbefugnis des Bieters, eines städtischen Eigenbetriebs, aus einer gesetzlichen Vorschrift, der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen, ergab und das Angebot nicht von der danach vertretungsberechtigten Person unterschrieben war. Für die Schlussfolgerung, dass das Angebot eines Formkaufmanns (§ 6 HGB) nur dann im Sinne der Unterschriftsklausel "rechtsverbindlich" unterschrieben ist, wenn es die Unterschrift des gesetzlichen Vertreters oder eines Prokuristen aufweist, oder ein Dritter seiner Unterschrift zumindest einen Vertretungszusatz hinzugefügt hat, bietet die Entscheidung dieses Falles keine Grundlage. Das Gesetz sieht bei Formkaufleuten eine "rechtswirksame", nicht aus dem Handelsregister ersichtliche Vertretung durch andere Personen als die gesetzlichen Vertreter und Prokuristen vor (§ 54 Abs. 1 HGB) und unterscheidet generell zwischen dem Bestehen von Vertretungsmacht und deren Nachweis. Der vom Berufungsgericht erwähnte Vertretungszusatz ist nicht konstitutiv für die Wirksamkeit der Erklärung einer zur Vertretung bevollmächtigten Person, sondern allenfalls für die Frage von Bedeutung, ob ihr Vertretungswille hinreichend hervortritt. Im Streitfall war der Wille, für die Klägerin zu handeln, nach den Umständen (Firmenstempel im Unterschriftsfeld einer die Klägerin als Bieterin benennenden Urkunde) offensichtlich (§ 164 Abs. 1 BGB).
III. Das Berufungsurteil ist hiernach aufzuheben und die Sache zur Prü14 fung der weiteren Voraussetzungen des von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruchs an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
15
IV. Für die erneute Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
16
Ein auf das positive Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch eines Bieters setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass dem Bieter bei ordnungsgemäßem Verlauf des Vergabeverfahrens der Zuschlag hätte erteilt werden müssen und dass der ausgeschriebene oder ein diesem wirtschaftlich gleichzusetzender Auftrag vergeben worden ist (BGH, Urteil vom 8. September 1998 - X ZR 48/97, BGHZ 139, 259; Urteil vom 26. Januar 2010 - X ZR 86/08, VergabeR 2010, 855 Rn. 16 - Abfallentsorgung I). Die letztere Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Danach kann die Klägerin ihr positives Interesse erstattet verlangen, wenn die Beklagte das erste Vergabeverfahren nicht vergaberechtskonform hätte aufheben dürfen, weil die Voraussetzungen aus § 26 Nr. 1 Buchst. c VOB/A aF nicht vorlagen.
17
1. Ob es sich so verhält, wird nach Lage des Falles in erster Linie davon abhängen, ob die Differenz zwischen den geschätzten Kosten einerseits und den Angebotspreisen der ersten Ausschreibung andererseits eine Aufhebung nach § 26 Nr. 1 Buchst. c VOB/A 2006 gestatteten.
18
a) Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, kann es einen schwerwiegenden Grund zur Aufhebung darstellen, wenn die vor der Ausschreibung vorgenommene Kostenschätzung der Vergabestelle aufgrund der bei ihrer Aufstellung vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar erscheint und die im Vergabeverfahren abgegebenen Gebote deutlich darüber liegen (BGH, Urteil vom 8. September 1998 - X ZR 99/96, BGHZ 139, 280).
19
b) Für die Schätzung muss die Vergabestelle oder der von ihr gegebenenfalls beauftragte Fachmann Methoden wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis ernsthaft erwarten lassen.
20
Die Gegenstände der Schätzung und der ausgeschriebenen Maßnahme müssen deckungsgleich sein. Maßgeblich dafür sind im Ausgangspunkt die Positionen des Leistungsverzeichnisses, das der konkret durchgeführten Ausschreibung zugrunde liegt. Das Ergebnis der Schätzung ist verwertbar, soweit sie mit diesem Leistungsverzeichnis übereinstimmt. Es ist gegebenenfalls anzupassen , soweit die der Schätzung zugrunde gelegten Preise oder Preisbe- messungsfaktoren im Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens nicht mehr aktuell waren und sich nicht unerheblich verändert hatten.
21
c) Wann ein vertretbar geschätzter Auftragswert so "deutlich" überschritten ist, dass eine sanktionslose Aufhebung der Ausschreibung nach § 26 Nr. 1 Buchst. c VOB/A aF/§ 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nF gerechtfertigt ist, lässt sich nicht durch allgemeinverbindliche Werte nach Höhe oder Prozentsätzen festlegen. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 - X ZR 150/99, VergabeR 2001, 293, 298). Dabei ist davon auszugehen, dass einerseits den öffentlichen Auftraggebern nicht das Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung weit jenseits einer vertretbaren Schätzung der Auftragswerte zugewiesen werden darf, sondern sie in solchen Fällen zur sanktionsfreien Aufhebung des Vergabeverfahrens berechtigt sein müssen, dass andererseits das Institut der Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht zu einem für die Vergabestellen latent verfügbaren Instrument zur Korrektur der in öffentlichen Ausschreibungen bzw. offenen Verfahren erzielten Submissionsergebnisse geraten darf. Außerdem ist zu berücksichtigen , dass § 26 Nr. 1 VOB/A aF (§ 17 Abs. 1 VOB/A nF) nach Sinn und Zweck der Regelung eng auszulegen ist (BGH, Urteil vom 8. September 1998 - X ZR 48/97, BGHZ 139, 259, 263) und dass auch mit angemessener Sorgfalt durchgeführte Schätzungen nur Prognoseentscheidungen sind, von denen die nachfolgenden Ausschreibungsergebnisse erfahrungsgemäß mitunter nicht unerheblich abweichen. Das Ausschreibungsergebnis muss deshalb in der Regel ganz beträchtlich über dem Schätzungsergebnis liegen, um die Aufhebung zu rechtfertigen.
22
Dass der Auftrag nach der beschränkten Ausschreibung zu einer Auftragssumme von 242.000 € vergeben werden konnte, ist für die Frage, ob das wertungsfähige Submissionsergebnis der ersten Ausschreibung deutlich über- teuert war, nur von eingeschränktem Erkenntniswert. Denn dabei ist zu bedenken , dass das Submissionsergebnis der vorangegangenen öffentlichen Ausschreibung nach Maßgabe von § 22 VOB/A aF, § 14 VOB/A nF publik geworden ist und dass dies die Preisbildung im zweiten Vergabeverfahren beeinflussen konnte. Nach den Mechanismen des Marktes wird für einen Bieter, der das Ergebnis der ersten Ausschreibung kennt, die Annahme naheliegen, diesen Preis unterbieten zu müssen, um eine realistische Chance auf den Zuschlag zu haben, auch wenn das Angebot mit dem geringsten Preis (rd. 244.000 €) letztlich nicht gewertet werden durfte. Dass die Baumaßnahme zum Preis von 242.000 € durchgeführt wurde, rechtfertigt unter diesen Voraussetzungen nicht die Annahme, dass dieser Preis der Marktpreis (vgl. OLG Karlsruhe, VergabeR 2010, 96, 100) war.
23
d) Erweist sich der geschätzte Auftragswert schon im Ausgangspunkt als nicht vertretbar, kommt es für die Rechtmäßigkeit der Aufhebung auf die Differenz zwischen dem angemessenen Wert und dem wertungsfähigen Submissionsergebnis an.
24
2. Soweit die Beklagte die Aufhebungsentscheidung mit der nicht gewährleisteten Sicherung der Finanzierung begründet hat, bemerkt der Senat, dass eine Aufhebung der Ausschreibung regelmäßig dann nicht vergaberechtskonform ist, wenn die fehlende Finanzierung auf Fehler des Auftraggebers bei der Ermittlung des Finanzierungsbedarfs und der daran anschließenden Einwerbung der benötigten Mittel zurückzuführen ist (BGHZ 139, 280, 286). Zur Vermeidung irregulärer Vergabeentscheidungen kann dem Auftraggeber darüber hinaus auch nicht gestattet sein, nach Gutdünken eine bestimmte Auftragssumme nachträglich für allein noch finanzierbar zu erklären. Im Streitfall hat die Beklagte nach ihrem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vorbringen den günstigsten Angebotspreis aus der beschränkten Ausschreibung als letztlich finanzierbar bezeichnet. Dies reicht nicht aus, um den Anspruch auf entgangenen Gewinn eines Bieters mit einem höheren, aber den vertretbar geschätzten Auftragswert nicht deutlich übersteigenden Preis erfolgreich infrage zu stellen.
Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens
Gröning Schuster
Vorinstanzen:
LG Ingolstadt, Entscheidung vom 04.11.2009 - 52 O 1231/08 -
OLG München, Entscheidung vom 05.07.2010 - 21 U 5466/09 -

(1) Hat der eine oder der andere Teil mehrere zur Aufrechnung geeignete Forderungen, so kann der aufrechnende Teil die Forderungen bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen. Wird die Aufrechnung ohne eine solche Bestimmung erklärt oder widerspricht der andere Teil unverzüglich, so findet die Vorschrift des § 366 Abs. 2 entsprechende Anwendung.

(2) Schuldet der aufrechnende Teil dem anderen Teil außer der Hauptleistung Zinsen und Kosten, so findet die Vorschrift des § 367 entsprechende Anwendung.

(1) Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt.

(2) Trifft der Schuldner keine Bestimmung, so wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt.

(1) Hat der eine oder der andere Teil mehrere zur Aufrechnung geeignete Forderungen, so kann der aufrechnende Teil die Forderungen bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen. Wird die Aufrechnung ohne eine solche Bestimmung erklärt oder widerspricht der andere Teil unverzüglich, so findet die Vorschrift des § 366 Abs. 2 entsprechende Anwendung.

(2) Schuldet der aufrechnende Teil dem anderen Teil außer der Hauptleistung Zinsen und Kosten, so findet die Vorschrift des § 367 entsprechende Anwendung.

(1) Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt.

(2) Trifft der Schuldner keine Bestimmung, so wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt.

(1) Das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird.

(2) Wird an einen Dritten zum Zwecke der Erfüllung geleistet, so finden die Vorschriften des § 185 Anwendung.

(1) Hat der eine oder der andere Teil mehrere zur Aufrechnung geeignete Forderungen, so kann der aufrechnende Teil die Forderungen bestimmen, die gegeneinander aufgerechnet werden sollen. Wird die Aufrechnung ohne eine solche Bestimmung erklärt oder widerspricht der andere Teil unverzüglich, so findet die Vorschrift des § 366 Abs. 2 entsprechende Anwendung.

(2) Schuldet der aufrechnende Teil dem anderen Teil außer der Hauptleistung Zinsen und Kosten, so findet die Vorschrift des § 367 entsprechende Anwendung.

(1) Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt.

(2) Trifft der Schuldner keine Bestimmung, so wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Landessozialgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der im Juli 1978 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger leidet an Zerebralparese mit Bewegungsstörungen seit Geburt im Sinne einer spastischen Tetraplegie und einer massiven statomotorischen Retardierung. Er ließ sich seit 1993 regelmäßig in dem von dem Neurologen und Chirotherapeuten Prof. Dr. Kozijavkin geleiteten Institut in der Ukraine behandeln. Dessen Therapiekonzept, das er selbst "System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation (SINR)" nennt (im Folgenden "Methode Kozijavkin"), besteht in einer sogenannten multimodalen Behandlung. Anträge für die Erteilung von Kostenzusagen für Behandlungen vom 19.9. bis 3.10.2000, 10. bis 24.4.2001, 28.9. bis 12.10.2001, 20.3. bis 3.4.2002 und vom 25.3. bis 8.4.2003 lehnte die Beklagte jeweils ab (Bescheid vom 17.8.2000; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 5.3.2001; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 21.8.2001; Widerspruchsbescheid vom 5.12.2001; Bescheide vom 6.3.2002 und 26.2.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2003). Das SG hat die dagegen erhobenen Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide dazu verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (Urteil vom 3.2.2005). Auf die Sprungrevision der Beklagten hat das BSG das SG-Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen (Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R -). Es hat ausgeführt, das über den vom Kläger erhobenen Anspruch ohne weitere Sachaufklärung nicht entschieden werden kann. Das LSG hat ohne weitere Beweiserhebung die Klage abgewiesen (LSG-Beschluss vom 3.3.2010).

2

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger nunmehr gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss. Er rügt die Verletzung der Bindung an die Beurteilung des BSG (§ 170 Abs 5 SGG).

3

II. Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet.

4

1. Dem LSG-Beschluss liegt ein Verfahrensfehler zugrunde (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), den der Kläger entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gerügt hat. Der Kläger beruft sich darauf, dass das LSG die Bindung missachtet habe, der ein Gericht unterliegt, an das eine Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung vom BSG zurückverwiesen wird (§ 170 Abs 5 SGG). Die Nichtbeachtung der Bindungswirkung ist ein die Revisionszulassung rechtfertigender Verfahrensfehler (vgl BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 4).

5

Der LSG-Beschluss kann auch auf der Verletzung des gerügten Verfahrensfehlers beruhen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Kläger beruft sich darauf, dass das LSG nach der Zurückverweisung durch das BSG Beweis nach Maßgabe des BSG-Urteils hätte erheben müssen, dies aber unterlassen hat. Insoweit hat der Kläger ausreichend dargelegt, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann.

6

Der von dem Kläger gerügte Verfahrensmangel liegt auch vor. Während das BSG geurteilt hat, dass über den vom 1978 geborenen Kläger erhobenen Anspruch nicht ohne weitere - im Einzelnen näher umschriebene - Sachaufklärung entschieden werden kann (vgl BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - RdNr 2, 11), hat das LSG tatsächlich ohne die ihm aufgegebenen, hinsichtlich ihres Ergebnisses offenen Ermittlungsmaßnahmen die Klage abgewiesen. Dabei hat es sich auf vom BSG abweichende Rechtsansichten gestützt, für die in den Fällen des § 170 Abs 5 SGG kein Raum ist. Das LSG hat nämlich ausgeführt, nach seiner eigenen Rechtsprechung gebe es keine Erstattungspflicht für Versicherte, "die die Erwachsenengrenze (heute 18, früher 21 Jahre) eindeutig überschreiten". Das kollidiert ersichtlich mit der für das LSG maßgeblichen rechtlichen Beurteilung des Revisionsgerichts.

7

2. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Dies ist - wie ausgeführt - hier der Fall. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Er verweist den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des LSG Niedersachsen-Bremen zurück (§ 202 SGG iVm § 563 Abs 1 Satz 2 ZPO), da das Vertrauen des Klägers auf ein faires Verfahren vor dem bereits mit der Sache befassten Spruchkörper des LSG durch die Missachtung der Bindungswirkung des § 170 Abs 5 SGG nachhaltig erschüttert ist; es bestehen ernstliche Zweifel daran, dass der Spruchkörper des LSG nach einer zweiten Zurückverweisung an ihn auf der Grundlage des vom BSG verbindlich ausgelegten Bundesrechts in einem Folgeverfahren abschließend entscheiden wird, ohne dass von einem Beteiligten erneut das Revisionsgericht wegen prozessverzögernder Missachtung der Bindungswirkung angerufen werden muss (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 170 Nr 2 RdNr 79 mwN).

8

Der 4. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen hat nach Eingang der zurückverwiesenen Sache im März 2006 keine der ihm bindend aufgegebenen Ermittlungen vorgenommen und erstmals mit Schreiben an den Kläger vom 29.1.2010 unter Hinweis auf eine angeblich bestehende "grundsätzliche Kontroverse zwischen dem BSG und dem 4. LSG-Senat" gemeint, mit Blick auf das Lebensalter des Klägers eigener, vom BSG abweichender Rechtsprechung folgen zu können. An dieser Ankündigung hat der LSG-Senat festgehalten, obwohl er die Vorgaben des erkennenden BSG-Senats im ersten Zurückverweisungsurteil zutreffend verstanden hat und der Prozessbevollmächtigte des Klägers das LSG umgehend darauf hingewiesen hat, dass seine beabsichtigte Vorgehensweise gegen § 170 Abs 5 SGG verstößt und aufgrund erneuter Revision zur erneuten Zurückverweisung führen werde. Offensichtlich geht der 4. LSG-Senat dennoch davon aus, ihm stehe es trotz der Bindungswirkung des § 170 Abs 5 SGG frei, sich auf eigene, abweichende Rechtsauffassungen zu stützen. Dies trifft indes nicht zu.

9

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 10. Oktober 2013  2 K 4112/12 E aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte in den Streitjahren 2007 bis 2009 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Apotheke. Die Umsätze wurden im Wesentlichen in Form von Bargeschäften getätigt. Der Kläger ist nach §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuches buchführungspflichtig. Er verwendet in seiner Apotheke als sog. Vorsystem das EDV-System "A" der Firma X, ein speziell für Apotheken entwickeltes Warenwirtschaftssystem mit integrierter Kassenfunktion. Die Buchführung wird mittels eines DATEV-Programms durch den Steuerberater erstellt.

2

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) führte für die Streitjahre eine Außenprüfung durch. Zusammen mit der Prüfungsanordnung wies der Prüfer darauf hin, er beabsichtige von dem nach § 147 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) bestehenden Recht des Zugriffs auf Daten, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems (Warenwirtschafts- und Kassensystem) erstellt worden seien, Gebrauch zu machen und bat um Angaben zum EDV-System sowie um Zurverfügungstellung der entsprechenden Daten auf einem Datenträger. Dem kam der Kläger durch Vorlage einer CD-ROM nach, die jedoch keine Daten der PC-Kasse enthielt.

3

Im Verlauf der Prüfung forderte der Prüfer mehrfach die Datei BP_Kassenumsatz.csv aus dem vom Kläger eingesetzten EDV-System "A" an, die Informationen aller Barverkäufe im Detail enthält (Kassenauftragszeile). Der Kläger verweigerte die Vorlage dieser Datei und übergab stattdessen einen Datenträger mit den saldierten Tagesabschluss-Werten (CD "[Name des Klägers] Z-Bons 2007-2009"). Gegen die Datenanforderung legte er Einspruch ein, den das FA nach Abschluss der Außenprüfung mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig verwarf.

4

Der Prüfer war der Ansicht, weil der Kläger alle Warenbewegungen und Erlöse über das PC-Kassensystem erfasse, gehörten die Vorgangsdaten der einzeln aufgezeichneten Geschäftsvorfälle zu den Grundaufzeichnungen, da sich nur mit diesen das Zustandekommen der gebuchten Erlöse überprüfen lasse. Der Kläger sei der Vorlageaufforderung nicht nachgekommen, sodass die erklärten Erlöse nicht geprüft werden könnten. Aufgrund dieses elementaren Mangels habe die Buchführung die Vermutung für die sachliche Richtigkeit i.S. des § 158 AO verloren, weswegen eine Hinzuschätzung von 3 % der Barumsätze vorzunehmen sei. Das FA folgte der Auffassung des Prüfers und erließ u.a. entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2009.

5

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 91 veröffentlichte Urteil, der Kläger sei als Einzelhändler von der Verpflichtung zur Einzelaufzeichnung befreit. Soweit der Kläger freiwillig oder aus berufsrechtlichen Gründen weitergehende Aufzeichnungen gefertigt habe, sei er nicht zu deren Herausgabe verpflichtet gewesen, so dass die Voraussetzungen gemäß § 162 Abs. 2 AO nicht erfüllt seien und dem FA daher keine Schätzungsbefugnis zugestanden habe. Insbesondere sei das FA nicht befugt gewesen, allein aufgrund der Weigerung des Klägers, die angeforderte Datei BP_Kassenumsatz.csv herauszugeben, pauschale Zuschätzungen vorzunehmen.

6

Die Revision des FA führte zu dem veröffentlichten Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vom 16. Dezember 2014 X R 47/13 (BFH/NV 2015, 793), in dem der erkennende Senat feststellte, es habe eine Verpflichtung des Klägers bestanden, dem FA einen Datenträger mit der aus dem PC-Kassensystem "A" der Firma X generierten Datei BP_Kassenumsatz.csv vorzulegen. Durch das Zwischenurteil sollte den Beteiligten --wie in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2014 ausdrücklich erläutert-- Gelegenheit gegeben werden, auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Senats zu einer Einigung zu kommen. Der Antrag des Klägers vom 24. April 2015, erneut einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, wurde durch Beschluss vom 6. Mai 2015 zwar mit dem Hinweis abgelehnt, der Senat werde --sollte eine Einigung bis zum Jahresende 2015 nicht erreicht werden können-- das Verfahren fortsetzen und ein Endurteil fällen. Nachdem das FA aber mit Schriftsatz vom 10. August 2015 vorgetragen hat, aus seiner Sicht erscheine eine --vom angerufenen Senat angeregte-- Einigung als aussichtslos, und der Kläger dieser Einschätzung nicht widersprochen hat, wird das Verfahren bereits jetzt fortgesetzt.

7

Das FA vertritt weiterhin die Auffassung, seine Schätzung sei rechtmäßig und könne den Änderungsbescheiden zugrunde gelegt werden.

8

Es beantragt,
das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an einen anderen Senat des FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Das FA habe unter den Umständen des Streitfalls nicht einfach schätzen dürfen. Bevor nicht die streitige Frage des Datenzugriffsrechts geklärt gewesen sei, hätte das FA in der Weigerung, die angeforderte Datei herauszugeben, kein zu sanktionierendes Verhalten sehen dürfen.

11

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten und unterstützt das Vorbringen des FA.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

13

1. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger sei als Einzelhändler von der Verpflichtung befreit gewesen, die jeweiligen "Verkäufe über die Ladentheke" einzeln aufzuzeichnen, so dass die Voraussetzungen gemäß § 162 Abs. 2 AO nicht erfüllt gewesen seien und dem FA keine Schätzungsbefugnis zugestanden habe.

14

Durch das Zwischenurteil vom 16. Dezember 2014 hat der erkennende Senat indes bindend entschieden, der Kläger sei verpflichtet gewesen, dem FA einen Datenträger mit der aus dem PC-Kassensystem "A" der Firma X generierten Datei BP_Kassenumsatz.csv vorzulegen. Da die Anforderung der Kasseneinzeldaten durch das FA infolgedessen rechtmäßig war und der Kläger ihr nicht nachgekommen ist, war das FA dem Grunde nach zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 2 AO befugt.

15

2. Der erkennende Senat vermag nicht der Auffassung des FG zu folgen, es widerspreche dem Zweck des § 162 Abs. 2 AO, eine darin genannte Pflichtverletzung anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige seine Herausgabepflicht bestreite, dies umfänglich begründe und die Vorlage der angeforderten Datei mit der Maßgabe anbiete, dass eine Pflicht zuvor gerichtlich festgestellt werde. Ebenso schließt sich der Senat nicht der finanzgerichtlichen Auffassung an, der Streit um vorgreifliche Rechtsfragen, deren isolierte Justiziabilität der Bundesfinanzhof (BFH) kurz zuvor in einem im Bundessteuerblatt veröffentlichten Urteil bestätigt habe, stelle keine mit der Zuschätzung zu belegende Verletzung von Pflichten i.S. von § 162 Abs. 2 AO dar.

16

Zwar wäre es wünschenswert gewesen, wenn die vorgreifliche und strittige Frage, ob und inwieweit eine Vorlagepflicht besteht, gerichtlich geklärt worden wäre, bevor das FA Schätzungsbescheide erlässt. Der Umstand, dass dies nicht geschehen ist, führt indes nicht dazu, dass die objektiv gegebene Verletzung der Herausgabepflicht entfällt. Diese berechtigt auch dann zur Schätzung, wenn die Existenz der Herausgabepflicht streitig war, der Steuerpflichtige hierüber --ggf. auch schuldlos-- irrte und die Frage erst nach Erlass der Schätzungsbescheide höchstrichterlich geklärt wurde.

17

Gründet die Schätzungsbefugnis darauf, dass der Steuerpflichtige Unterlagen nicht vorlegen kann (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO), so ist es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unerheblich, warum er sie nicht vorlegen kann, namentlich, ob ihn hieran ein Verschulden trifft (vgl. BFH-Entscheidungen vom 28. Juni 1972 I R 182/69, BFHE 106, 427, BStBl II 1972, 819, unter 1.b; vom 9. März 1994 VIII S 9/93, BFH/NV 1995, 28, unter II.3.b ff.; vom 19. Juli 2010 X S 10/10 (PKH), BFH/NV 2010, 2017, sowie vom 26. Oktober 2011 X B 44/11, BFH/NV 2012, 168, unter II.1.b). Gründet die Schätzungsbefugnis darauf, dass der Steuerpflichtige Unterlagen nicht vorlegen will, so kann nichts anderes gelten, sodass in diesem Fall § 162 Abs. 2 AO entsprechend anzuwenden ist (so auch BFH-Beschluss vom 18. November 2009 VIII B 16/08, BFH/NV 2010, 389, unter II.1.; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 162 AO Rz 37; Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 162 Rz 61; Buciek in Beermann/Gosch, AO § 162 Rz 63).

18

3. Das FG hat --nach seiner Überzeugung zu Recht, da es bereits den Grund für eine Schätzung verneint hat-- keine Feststellungen zur Schätzung der Höhe nach getroffen, so dass die Sache zurückzuverweisen ist.

19

a) Ist ein Steuerpflichtiger seinen Verpflichtungen gemäß § 162 Abs. 2 AO nicht nachgekommen und sind deshalb die Besteuerungsgrundlagen von der Finanzbehörde geschätzt worden, ist das FG gehalten, von seiner eigenen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO Gebrauch zu machen (siehe BFH-Urteil vom 18. Mai 1999 I R 102/98, BFH/NV 1999, 1492, unter II.). Das FG kann seine Verpflichtung zur eigenen Schätzung zwar auch dadurch erfüllen, dass es die Schätzung der Finanzbehörde prüft und als eigene übernimmt und sich dann darauf beschränkt, substantiierten Einwendungen gegen die Schätzung des FA nachzugehen (vgl. BFH-Entscheidungen vom 12. Oktober 2005 VIII B 241/04, BFH/NV 2006, 326, und vom 6. Juni 2012 I R 99/10, BFHE 237, 335, BStBl II 2013, 196, unter 5.). Es ist aber nicht an die vom FA gewählte Schätzungsmethode gebunden, weil es nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO eine eigene, selbständige Schätzungsbefugnis besitzt.

20

b) Im Streitfall kann den Urteilsgründen keine finanzgerichtliche Schätzung entnommen werden. Das FG spricht sich zwar gegen die vom FA vorgenommene umsatzbezogene pauschale Zuschätzung aus; in diesen Äußerungen liegt jedoch keine --konkludente-- eigene Schätzung. Das FG weist nämlich in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die Befugnis zur Zuschätzung im Streitfall mit der umstrittenen Rechtsfrage zur Herausgabepflicht "steht und fällt". Da jedoch das FG bereits diese Verpflichtung als nicht gegeben ansieht, ist in seinem Urteil auch keine eigene Schätzung --und sei es auch nur hilfsweise-- zu erkennen.

21

Die ihm obliegende Schätzung hat das FG daher nachzuholen.

22

4. Der Senat sieht keinen sachlichen Grund, die Streitsache --wie vom FA beantragt-- an einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen.

23

Gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung kann der BFH die Rechtssache durch besondere Anordnung an einen anderen Senat des FG zurückverweisen (z.B. BFH-Urteil vom 10. November 1993 I R 68/93, BFH/NV 1994, 798, unter II.2., m.w.N.). Da die Zurückverweisung an einen anderen Senat das Recht des Betroffenen auf seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) berührt, setzt sie besondere sachliche Gründe voraus, um eine willkürfreie Ermessensausübung zu gewährleisten. So kommt sie in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des FG-Senats bestehen, der das aufgehobene Urteil gesprochen hat (BFH-Urteil vom 25. November 2009 I R 18/08, BFH/NV 2010, 941, unter II.6.b). Von einer Zurückverweisung an einen anderen Senat ist insbesondere dann Gebrauch zu machen, wenn das Revisionsgericht aufgrund der besonderen Umstände befürchten muss, dass es dem Vordergericht schwerfallen wird, sich die rechtliche Beurteilung, die zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils führte, voll zu eigen zu machen (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 798, unter II.2.).

24

Derartige Zweifel bzw. Umstände sind im Streitfall nicht erkennbar. Da sich die Frage einer Zurückverweisung nur bei rechtsfehlerhafter Vorentscheidung stellt, kann die Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG nicht mit der Unrichtigkeit des Urteils ("greifbare Rechtswidrigkeiten") begründet werden (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 941, unter II.6.b, m.w.N.). Auch die vom FA angeführte Urteilspassage reicht nicht aus, um auf eine unsachliche, unfaire oder voreingenommene Einstellung des FG dem FA gegenüber schließen zu können.

25

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Landessozialgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der im Juli 1978 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger leidet an Zerebralparese mit Bewegungsstörungen seit Geburt im Sinne einer spastischen Tetraplegie und einer massiven statomotorischen Retardierung. Er ließ sich seit 1993 regelmäßig in dem von dem Neurologen und Chirotherapeuten Prof. Dr. Kozijavkin geleiteten Institut in der Ukraine behandeln. Dessen Therapiekonzept, das er selbst "System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation (SINR)" nennt (im Folgenden "Methode Kozijavkin"), besteht in einer sogenannten multimodalen Behandlung. Anträge für die Erteilung von Kostenzusagen für Behandlungen vom 19.9. bis 3.10.2000, 10. bis 24.4.2001, 28.9. bis 12.10.2001, 20.3. bis 3.4.2002 und vom 25.3. bis 8.4.2003 lehnte die Beklagte jeweils ab (Bescheid vom 17.8.2000; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 5.3.2001; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 21.8.2001; Widerspruchsbescheid vom 5.12.2001; Bescheide vom 6.3.2002 und 26.2.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2003). Das SG hat die dagegen erhobenen Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide dazu verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (Urteil vom 3.2.2005). Auf die Sprungrevision der Beklagten hat das BSG das SG-Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen (Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R -). Es hat ausgeführt, das über den vom Kläger erhobenen Anspruch ohne weitere Sachaufklärung nicht entschieden werden kann. Das LSG hat ohne weitere Beweiserhebung die Klage abgewiesen (LSG-Beschluss vom 3.3.2010).

2

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger nunmehr gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss. Er rügt die Verletzung der Bindung an die Beurteilung des BSG (§ 170 Abs 5 SGG).

3

II. Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet.

4

1. Dem LSG-Beschluss liegt ein Verfahrensfehler zugrunde (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), den der Kläger entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gerügt hat. Der Kläger beruft sich darauf, dass das LSG die Bindung missachtet habe, der ein Gericht unterliegt, an das eine Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung vom BSG zurückverwiesen wird (§ 170 Abs 5 SGG). Die Nichtbeachtung der Bindungswirkung ist ein die Revisionszulassung rechtfertigender Verfahrensfehler (vgl BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 4).

5

Der LSG-Beschluss kann auch auf der Verletzung des gerügten Verfahrensfehlers beruhen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Kläger beruft sich darauf, dass das LSG nach der Zurückverweisung durch das BSG Beweis nach Maßgabe des BSG-Urteils hätte erheben müssen, dies aber unterlassen hat. Insoweit hat der Kläger ausreichend dargelegt, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann.

6

Der von dem Kläger gerügte Verfahrensmangel liegt auch vor. Während das BSG geurteilt hat, dass über den vom 1978 geborenen Kläger erhobenen Anspruch nicht ohne weitere - im Einzelnen näher umschriebene - Sachaufklärung entschieden werden kann (vgl BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - RdNr 2, 11), hat das LSG tatsächlich ohne die ihm aufgegebenen, hinsichtlich ihres Ergebnisses offenen Ermittlungsmaßnahmen die Klage abgewiesen. Dabei hat es sich auf vom BSG abweichende Rechtsansichten gestützt, für die in den Fällen des § 170 Abs 5 SGG kein Raum ist. Das LSG hat nämlich ausgeführt, nach seiner eigenen Rechtsprechung gebe es keine Erstattungspflicht für Versicherte, "die die Erwachsenengrenze (heute 18, früher 21 Jahre) eindeutig überschreiten". Das kollidiert ersichtlich mit der für das LSG maßgeblichen rechtlichen Beurteilung des Revisionsgerichts.

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2. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Dies ist - wie ausgeführt - hier der Fall. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Er verweist den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des LSG Niedersachsen-Bremen zurück (§ 202 SGG iVm § 563 Abs 1 Satz 2 ZPO), da das Vertrauen des Klägers auf ein faires Verfahren vor dem bereits mit der Sache befassten Spruchkörper des LSG durch die Missachtung der Bindungswirkung des § 170 Abs 5 SGG nachhaltig erschüttert ist; es bestehen ernstliche Zweifel daran, dass der Spruchkörper des LSG nach einer zweiten Zurückverweisung an ihn auf der Grundlage des vom BSG verbindlich ausgelegten Bundesrechts in einem Folgeverfahren abschließend entscheiden wird, ohne dass von einem Beteiligten erneut das Revisionsgericht wegen prozessverzögernder Missachtung der Bindungswirkung angerufen werden muss (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 170 Nr 2 RdNr 79 mwN).

8

Der 4. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen hat nach Eingang der zurückverwiesenen Sache im März 2006 keine der ihm bindend aufgegebenen Ermittlungen vorgenommen und erstmals mit Schreiben an den Kläger vom 29.1.2010 unter Hinweis auf eine angeblich bestehende "grundsätzliche Kontroverse zwischen dem BSG und dem 4. LSG-Senat" gemeint, mit Blick auf das Lebensalter des Klägers eigener, vom BSG abweichender Rechtsprechung folgen zu können. An dieser Ankündigung hat der LSG-Senat festgehalten, obwohl er die Vorgaben des erkennenden BSG-Senats im ersten Zurückverweisungsurteil zutreffend verstanden hat und der Prozessbevollmächtigte des Klägers das LSG umgehend darauf hingewiesen hat, dass seine beabsichtigte Vorgehensweise gegen § 170 Abs 5 SGG verstößt und aufgrund erneuter Revision zur erneuten Zurückverweisung führen werde. Offensichtlich geht der 4. LSG-Senat dennoch davon aus, ihm stehe es trotz der Bindungswirkung des § 170 Abs 5 SGG frei, sich auf eigene, abweichende Rechtsauffassungen zu stützen. Dies trifft indes nicht zu.

9

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 10. Oktober 2013  2 K 4112/12 E aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte in den Streitjahren 2007 bis 2009 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Apotheke. Die Umsätze wurden im Wesentlichen in Form von Bargeschäften getätigt. Der Kläger ist nach §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuches buchführungspflichtig. Er verwendet in seiner Apotheke als sog. Vorsystem das EDV-System "A" der Firma X, ein speziell für Apotheken entwickeltes Warenwirtschaftssystem mit integrierter Kassenfunktion. Die Buchführung wird mittels eines DATEV-Programms durch den Steuerberater erstellt.

2

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) führte für die Streitjahre eine Außenprüfung durch. Zusammen mit der Prüfungsanordnung wies der Prüfer darauf hin, er beabsichtige von dem nach § 147 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) bestehenden Recht des Zugriffs auf Daten, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems (Warenwirtschafts- und Kassensystem) erstellt worden seien, Gebrauch zu machen und bat um Angaben zum EDV-System sowie um Zurverfügungstellung der entsprechenden Daten auf einem Datenträger. Dem kam der Kläger durch Vorlage einer CD-ROM nach, die jedoch keine Daten der PC-Kasse enthielt.

3

Im Verlauf der Prüfung forderte der Prüfer mehrfach die Datei BP_Kassenumsatz.csv aus dem vom Kläger eingesetzten EDV-System "A" an, die Informationen aller Barverkäufe im Detail enthält (Kassenauftragszeile). Der Kläger verweigerte die Vorlage dieser Datei und übergab stattdessen einen Datenträger mit den saldierten Tagesabschluss-Werten (CD "[Name des Klägers] Z-Bons 2007-2009"). Gegen die Datenanforderung legte er Einspruch ein, den das FA nach Abschluss der Außenprüfung mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig verwarf.

4

Der Prüfer war der Ansicht, weil der Kläger alle Warenbewegungen und Erlöse über das PC-Kassensystem erfasse, gehörten die Vorgangsdaten der einzeln aufgezeichneten Geschäftsvorfälle zu den Grundaufzeichnungen, da sich nur mit diesen das Zustandekommen der gebuchten Erlöse überprüfen lasse. Der Kläger sei der Vorlageaufforderung nicht nachgekommen, sodass die erklärten Erlöse nicht geprüft werden könnten. Aufgrund dieses elementaren Mangels habe die Buchführung die Vermutung für die sachliche Richtigkeit i.S. des § 158 AO verloren, weswegen eine Hinzuschätzung von 3 % der Barumsätze vorzunehmen sei. Das FA folgte der Auffassung des Prüfers und erließ u.a. entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2009.

5

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 91 veröffentlichte Urteil, der Kläger sei als Einzelhändler von der Verpflichtung zur Einzelaufzeichnung befreit. Soweit der Kläger freiwillig oder aus berufsrechtlichen Gründen weitergehende Aufzeichnungen gefertigt habe, sei er nicht zu deren Herausgabe verpflichtet gewesen, so dass die Voraussetzungen gemäß § 162 Abs. 2 AO nicht erfüllt seien und dem FA daher keine Schätzungsbefugnis zugestanden habe. Insbesondere sei das FA nicht befugt gewesen, allein aufgrund der Weigerung des Klägers, die angeforderte Datei BP_Kassenumsatz.csv herauszugeben, pauschale Zuschätzungen vorzunehmen.

6

Die Revision des FA führte zu dem veröffentlichten Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vom 16. Dezember 2014 X R 47/13 (BFH/NV 2015, 793), in dem der erkennende Senat feststellte, es habe eine Verpflichtung des Klägers bestanden, dem FA einen Datenträger mit der aus dem PC-Kassensystem "A" der Firma X generierten Datei BP_Kassenumsatz.csv vorzulegen. Durch das Zwischenurteil sollte den Beteiligten --wie in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2014 ausdrücklich erläutert-- Gelegenheit gegeben werden, auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Senats zu einer Einigung zu kommen. Der Antrag des Klägers vom 24. April 2015, erneut einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, wurde durch Beschluss vom 6. Mai 2015 zwar mit dem Hinweis abgelehnt, der Senat werde --sollte eine Einigung bis zum Jahresende 2015 nicht erreicht werden können-- das Verfahren fortsetzen und ein Endurteil fällen. Nachdem das FA aber mit Schriftsatz vom 10. August 2015 vorgetragen hat, aus seiner Sicht erscheine eine --vom angerufenen Senat angeregte-- Einigung als aussichtslos, und der Kläger dieser Einschätzung nicht widersprochen hat, wird das Verfahren bereits jetzt fortgesetzt.

7

Das FA vertritt weiterhin die Auffassung, seine Schätzung sei rechtmäßig und könne den Änderungsbescheiden zugrunde gelegt werden.

8

Es beantragt,
das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an einen anderen Senat des FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Das FA habe unter den Umständen des Streitfalls nicht einfach schätzen dürfen. Bevor nicht die streitige Frage des Datenzugriffsrechts geklärt gewesen sei, hätte das FA in der Weigerung, die angeforderte Datei herauszugeben, kein zu sanktionierendes Verhalten sehen dürfen.

11

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten und unterstützt das Vorbringen des FA.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

13

1. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger sei als Einzelhändler von der Verpflichtung befreit gewesen, die jeweiligen "Verkäufe über die Ladentheke" einzeln aufzuzeichnen, so dass die Voraussetzungen gemäß § 162 Abs. 2 AO nicht erfüllt gewesen seien und dem FA keine Schätzungsbefugnis zugestanden habe.

14

Durch das Zwischenurteil vom 16. Dezember 2014 hat der erkennende Senat indes bindend entschieden, der Kläger sei verpflichtet gewesen, dem FA einen Datenträger mit der aus dem PC-Kassensystem "A" der Firma X generierten Datei BP_Kassenumsatz.csv vorzulegen. Da die Anforderung der Kasseneinzeldaten durch das FA infolgedessen rechtmäßig war und der Kläger ihr nicht nachgekommen ist, war das FA dem Grunde nach zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 2 AO befugt.

15

2. Der erkennende Senat vermag nicht der Auffassung des FG zu folgen, es widerspreche dem Zweck des § 162 Abs. 2 AO, eine darin genannte Pflichtverletzung anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige seine Herausgabepflicht bestreite, dies umfänglich begründe und die Vorlage der angeforderten Datei mit der Maßgabe anbiete, dass eine Pflicht zuvor gerichtlich festgestellt werde. Ebenso schließt sich der Senat nicht der finanzgerichtlichen Auffassung an, der Streit um vorgreifliche Rechtsfragen, deren isolierte Justiziabilität der Bundesfinanzhof (BFH) kurz zuvor in einem im Bundessteuerblatt veröffentlichten Urteil bestätigt habe, stelle keine mit der Zuschätzung zu belegende Verletzung von Pflichten i.S. von § 162 Abs. 2 AO dar.

16

Zwar wäre es wünschenswert gewesen, wenn die vorgreifliche und strittige Frage, ob und inwieweit eine Vorlagepflicht besteht, gerichtlich geklärt worden wäre, bevor das FA Schätzungsbescheide erlässt. Der Umstand, dass dies nicht geschehen ist, führt indes nicht dazu, dass die objektiv gegebene Verletzung der Herausgabepflicht entfällt. Diese berechtigt auch dann zur Schätzung, wenn die Existenz der Herausgabepflicht streitig war, der Steuerpflichtige hierüber --ggf. auch schuldlos-- irrte und die Frage erst nach Erlass der Schätzungsbescheide höchstrichterlich geklärt wurde.

17

Gründet die Schätzungsbefugnis darauf, dass der Steuerpflichtige Unterlagen nicht vorlegen kann (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO), so ist es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unerheblich, warum er sie nicht vorlegen kann, namentlich, ob ihn hieran ein Verschulden trifft (vgl. BFH-Entscheidungen vom 28. Juni 1972 I R 182/69, BFHE 106, 427, BStBl II 1972, 819, unter 1.b; vom 9. März 1994 VIII S 9/93, BFH/NV 1995, 28, unter II.3.b ff.; vom 19. Juli 2010 X S 10/10 (PKH), BFH/NV 2010, 2017, sowie vom 26. Oktober 2011 X B 44/11, BFH/NV 2012, 168, unter II.1.b). Gründet die Schätzungsbefugnis darauf, dass der Steuerpflichtige Unterlagen nicht vorlegen will, so kann nichts anderes gelten, sodass in diesem Fall § 162 Abs. 2 AO entsprechend anzuwenden ist (so auch BFH-Beschluss vom 18. November 2009 VIII B 16/08, BFH/NV 2010, 389, unter II.1.; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 162 AO Rz 37; Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 162 Rz 61; Buciek in Beermann/Gosch, AO § 162 Rz 63).

18

3. Das FG hat --nach seiner Überzeugung zu Recht, da es bereits den Grund für eine Schätzung verneint hat-- keine Feststellungen zur Schätzung der Höhe nach getroffen, so dass die Sache zurückzuverweisen ist.

19

a) Ist ein Steuerpflichtiger seinen Verpflichtungen gemäß § 162 Abs. 2 AO nicht nachgekommen und sind deshalb die Besteuerungsgrundlagen von der Finanzbehörde geschätzt worden, ist das FG gehalten, von seiner eigenen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO Gebrauch zu machen (siehe BFH-Urteil vom 18. Mai 1999 I R 102/98, BFH/NV 1999, 1492, unter II.). Das FG kann seine Verpflichtung zur eigenen Schätzung zwar auch dadurch erfüllen, dass es die Schätzung der Finanzbehörde prüft und als eigene übernimmt und sich dann darauf beschränkt, substantiierten Einwendungen gegen die Schätzung des FA nachzugehen (vgl. BFH-Entscheidungen vom 12. Oktober 2005 VIII B 241/04, BFH/NV 2006, 326, und vom 6. Juni 2012 I R 99/10, BFHE 237, 335, BStBl II 2013, 196, unter 5.). Es ist aber nicht an die vom FA gewählte Schätzungsmethode gebunden, weil es nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO eine eigene, selbständige Schätzungsbefugnis besitzt.

20

b) Im Streitfall kann den Urteilsgründen keine finanzgerichtliche Schätzung entnommen werden. Das FG spricht sich zwar gegen die vom FA vorgenommene umsatzbezogene pauschale Zuschätzung aus; in diesen Äußerungen liegt jedoch keine --konkludente-- eigene Schätzung. Das FG weist nämlich in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die Befugnis zur Zuschätzung im Streitfall mit der umstrittenen Rechtsfrage zur Herausgabepflicht "steht und fällt". Da jedoch das FG bereits diese Verpflichtung als nicht gegeben ansieht, ist in seinem Urteil auch keine eigene Schätzung --und sei es auch nur hilfsweise-- zu erkennen.

21

Die ihm obliegende Schätzung hat das FG daher nachzuholen.

22

4. Der Senat sieht keinen sachlichen Grund, die Streitsache --wie vom FA beantragt-- an einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen.

23

Gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung kann der BFH die Rechtssache durch besondere Anordnung an einen anderen Senat des FG zurückverweisen (z.B. BFH-Urteil vom 10. November 1993 I R 68/93, BFH/NV 1994, 798, unter II.2., m.w.N.). Da die Zurückverweisung an einen anderen Senat das Recht des Betroffenen auf seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) berührt, setzt sie besondere sachliche Gründe voraus, um eine willkürfreie Ermessensausübung zu gewährleisten. So kommt sie in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des FG-Senats bestehen, der das aufgehobene Urteil gesprochen hat (BFH-Urteil vom 25. November 2009 I R 18/08, BFH/NV 2010, 941, unter II.6.b). Von einer Zurückverweisung an einen anderen Senat ist insbesondere dann Gebrauch zu machen, wenn das Revisionsgericht aufgrund der besonderen Umstände befürchten muss, dass es dem Vordergericht schwerfallen wird, sich die rechtliche Beurteilung, die zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils führte, voll zu eigen zu machen (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 798, unter II.2.).

24

Derartige Zweifel bzw. Umstände sind im Streitfall nicht erkennbar. Da sich die Frage einer Zurückverweisung nur bei rechtsfehlerhafter Vorentscheidung stellt, kann die Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG nicht mit der Unrichtigkeit des Urteils ("greifbare Rechtswidrigkeiten") begründet werden (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 941, unter II.6.b, m.w.N.). Auch die vom FA angeführte Urteilspassage reicht nicht aus, um auf eine unsachliche, unfaire oder voreingenommene Einstellung des FG dem FA gegenüber schließen zu können.

25

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.