vorgehend
Landgericht Köln, 15 O 35/12, 06.12.2012
Oberlandesgericht Köln, 13 U 261/12, 11.11.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 304/13
Verkündet am:
10. September 2015
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
EuInsVO vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren Art. 3 Abs. 1, 16, Abs. 1, 25,
Abs. 1, 26
Zur Anerkennung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach englischem Recht
im Inland.
BGH, Urteil vom 10. September 2015 - IX ZR 304/13 - OLG Köln
LG Köln
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. September 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den
Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin
Möhring

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird der die Berufung zurückweisende Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. November 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Parteien streiten um die Wirkungen eines britischen Insolvenzverfahrens im Inland. Anlass ist die Inanspruchnahme des Beklagten durch die Klägerin aus einer Bürgschaft.
2
Der Beklagte war alleiniger Aktionär und Vorstand der H. AG (fortan: Gesellschaft) und hatte sich für Darlehensforderungen der Klägerin gegen die Gesellschaft selbstschuldnerisch verbürgt. Nachdem die Gesellschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, kündigte die Klägerin ein Darlehen in Höhe von 1.410.000 € fristlos und nahm den Beklagten aus der Bürgschaft in Anspruch. Es kam zu vorgerichtlicher Korrespondenz, die der Beklagte zunächst aus dem Iran und später aus dem Vereinigten Königreich führte. Auf Antrag des Beklagten wurde dort am 26. August 2011 ein Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet.
3
Nachdem die Darlehensschuld durch Verwertung anderer Sicherheiten teilweise zurückgeführt werden konnte, hat die Klägerin den Beklagten mit Klage vom 24. Januar 2012 vor dem Landgericht Köln aus der Bürgschaft auf Zahlung von 165.696,44 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Der Beklagte hat sich der Inanspruchnahme mit dem Hinweis auf das britische Insolvenzverfahren widersetzt. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision führt zur Aufhebung des die Berufung zurückweisenden Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.


5
Das Berufungsgericht hat einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gemäß Art. 26 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (fortan: EuInsVO) angenommen, weshalb der Einwand des Beklagten, im Vereinigten Königreich sei ein Insolvenzverfahren nach englischem Recht über sein Vermögen anhängig, nicht durchgreife. Der Beklagte habe den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen einzig in das Vereinigte Königreich verlegt, um sich rechtsmissbräuchlich den berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen. Zwar müsse im Grundsatz anerkannt werden, dass sich ein ausländisches Insolvenzgericht für örtlich zuständig erkläre. Dass insoweit eine ordnungsgemäße Prüfung stattgefunden habe, ergebe sich aus den vom Beklagten vorgelegten Dokumenten jedoch nicht, ergänzenden Vortrag habe er nicht gehalten.

II.


6
Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Aufgrund der bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 26 EuInsVO nicht angenommen werden.
7
1. Nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 der Verordnung zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Ohne weitere Förmlichkeiten werden die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen ebenfalls anerkannt, wenn diese von einem Gericht getroffen worden sind, dessen Eröffnungsentscheidung nach Art. 16 EuInsVO anerkannt wird (Art. 25 Abs. 1 EuInsVO).
8
Die Formulierung des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO ("durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht") ist nicht dahingehend zu verstehen, dass im Anerkennungs- staat zu prüfen ist, ob das Gericht für die Verfahrenseröffnung zuständig war. Dies verbietet der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. die 22. Begründungserwägung zur EuInsVO). Dieser verlangt, dass die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten die Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens anerkennen, ohne die vom ersten Gericht hinsichtlich seiner Zuständigkeit angestellte Beurteilung überprüfen zu können (EuGH, Urteil vom 2. Mai 2006, C-341/04, Eurofood IFSC Ltd, Slg. 2006, I-3813 Rn. 38 ff; vom 21. Januar 2010, C-444/07, MG Probud Gdynia sp. z o.o., Slg. 2010, I-00417 Rn. 29). Dies gilt auch für die Anerkennung der zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen im Sinne des Art. 25 Abs. 1 EuInsVO (EuGH, Urteil vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 30 ff).
9
Nach Art. 26 EuInsVO kann sich jeder Mitgliedstaat allerdings weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist (EuGH, Urteil vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 33).
10
2. Eine Anwendung des Ordre-Public-Vorbehalts gemäß Art. 26 EuInsVO kommt in Betracht, wenn das Ergebnis der Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaats stünde. Es muss sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmit- gliedstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (EuGH, Urteil 28. März 2000, C-7/98, Krombach , Slg. 2000, I-01935 Rn. 37; vom 11. Mai 2000, C-38/98, Renault, Slg. 2000, I-02973 Rn. 30; vom 2. April 2009, C-394/07, Gambazzi, Slg. 2009, I-2563 Rn. 27; vom 28. April 2009, C-420/07, Apostolides, Slg. 2009, I-3571 Rn. 59; vom 6. September 2012, C-619/10, RIW 2012, 781 Rn. 51). Der OrdrePublic -Vorbehalt des Art. 26 EuInsVO kann demnach nur in Ausnahmefällen einschlägig sein (EuGH, Urteil vom 2. Mai 2006, aaO Rn. 62; vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 34).
11
3. Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.
12
a) Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass der Beklagte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (vgl. Beck, ZVI 2011, 355, 358 ff) tatsächlich in das Vereinigte Königreich verlegt hatte. Es hat für ausschlaggebend gehalten, dass die Verlegung durch den Schuldner erfolgt sei, um sich den berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen, was als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei. Diese Erwägung trägt nicht. Ein Verstoß gegen die inländische öffentliche Ordnung liegt nicht schon dann vor, wenn das mitgliedstaatliche Gericht einen in seinem Zuständigkeitsbereich allein zur Erlangung der Restschuldbefreiung begründeten Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners anerkennt.
13
b) Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gemäß Art. 26 EuInsVO folgt auch nicht daraus, dass sich das Berufungsgericht nicht hat davon überzeugen können, ob eine ordnungsgemäße Prüfung durch den englischen Richter habe stattgefunden. Jedenfalls bis zur Grenze der - im Streitfall nicht festge- stellten - Willkür begründen den Fehler bei der Annahme der internationalen Zuständigkeit keinen Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung (vgl. Schmidt/Brinkmann, InsO, 18. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 8; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 10a; Mohrbutter /Ringstmeier/Wenner, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., Kap. 20 Rn. 193).

III.


14
Der die Berufung zurückweisende Beschluss kann folglich keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil es an Feststellungen zum Inhalt des englischen Rechts fehlt.
15
1. Nach § 293 ZPO hat der Tatrichter ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie er sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Jedoch darf sich die Ermittlung des fremden Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis , insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Der Tatrichter ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat. Er muss dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen (BGH, Urteil vom 23. Juni 2003 - II ZR 305/01, NJW 2003, 2685, 2686; vom 14. Januar 2014 - II ZR 192/13, WM 2014,357 Rn. 15).
16
2. Vom Inhalt des englischen Rechts hängt ab, ob der Beklagte passiv prozessführungsbefugt und die Klage deshalb zulässig ist. Die Prozessfüh- rungsbefugnis kann beeinflusst werden durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und durch dessen Einstellung oder Aufhebung (BGH, Beschluss vom 25. September 2008 - IX ZB 205/06, ZInsO 2008, 1279 Rn. 7). Dies gilt auch für ein Insolvenzverfahren nach englischem Recht. Auf die Frage, ob das Verfahren Wirkungen im Inland zeitigt, kommt es nicht an, wenn die Prozessführungsbefugnis auch unter Berücksichtigung des englischen Rechts anzunehmen ist.
17
a) Das Berufungsgericht hat bislang keine Feststellungen über die Durchführung und eine etwaige Beendigung des am 26. August 2011 eröffneten Insolvenzverfahrens getroffen. Nach dem im Revisionsverfahren gehaltenen Parteivortrag hat der Beklagte am 26. August 2012 Restschuldbefreiung ("discharge from bankruptcy") erlangt. Mit der Restschuldbefreiung dürfte das Insolvenzverfahren abgeschlossen worden sein (vgl. Insolvency Act 1986, Section 278 (b); Zilkens, Die discharge in der englischen Privatinsolvenz, 2006, S. 91; Renger, Wege zur Restschuldbefreiung nach dem Insolvency Act 1986, 2012, S. 130). Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt könnte die Klägerin wieder berechtigt gewesen sein, ihren Bürgschaftsanspruch außerhalb des englischen Insolvenzverfahrens zu verfolgen, was auf die passive Prozessführungsbefugnis des Beklagten schließen ließe (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2014, aaO Rn. 11).
18
b) Sollte das englische Recht der Prozessführungsbefugnis des Beklagten weiterhin entgegenstehen, wäre die Klage zulässig, wenn das im Vereinigten Königreich eröffnete Insolvenzverfahren in Deutschland nicht anzuerkennen sein sollte. Auch dies kann nicht ohne Feststellungen zum Inhalt des englischen Rechts beurteilt werden.
19
aa) Die Klägerin hat sich darauf berufen, der Beklagte habe die Eröffnung des englischen Insolvenzverfahrens durch Täuschung des Insolvenzrichters über den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen erlangt. Tatsächlich habe der Beklagte weiterhin in Deutschland gelebt, so dass der englische Insolvenzrichter international nicht zuständig gewesen sei.
20
(1) Im Schrifttum wird teilweise angenommen, dass der inländische Gläubiger von der Einlegung eines Rechtsbehelfs in dem Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung absehen und sich stattdessen im Inland auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung berufen kann, wenn der Schuldner die Eröffnungsentscheidung durch Täuschung des Gerichts erlangt hat (so etwa Mankowski , KTS 2011, 185, 205 f; Schmidt/Brinkmann, InsO, 18. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 8; Uhlenbruck/Lüer, InsO, 14. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 6). Danach wäre ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 26 EuInsVO im Streitfall schon dann anzunehmen, wenn es der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 1996 - IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79, 91 f; Beschluss vom 18. September 2001 - IX ZB 104/00, WM 2002, 143, 144; vom 6. Oktober 2005 - IX ZB 360/02, WM 2006, 597, 598) gelänge, die behauptete Täuschung nachzuweisen. Auf eine Rechtsschutzmöglichkeit im Vereinigten Königreich käme es nicht an. Andere Autoren gehen davon aus, dass auch die Erlangung einer Eröffnungsentscheidung infolge Täuschung des Gerichts - soweit möglich - durch Einlegung eines Rechtsbehelfs im Eröffnungsstaat geltend gemacht werden muss (Jacoby, GPR 2007, 200, 204 f; Mehring, ZInsO 2012, 1247,1250; Priebe, ZInsO 2012, 2074, 2083; Vallender, ZInsO 2009, 616, 620; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 10a).
21
(2) Richtig ist die letztgenannte Ansicht. Nach der 22. Begründungserwägung zur EuInsVO sollen die zulässigen Gründe für eine Nichtanerkennung der in einem Mitgliedstaat getroffenen Entscheidungen über die Eröffnung, Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt sein. Dies verdeutlicht den Ausnahmecharakter des Ordre-Public-Vorbehalts gemäß Art. 26 EuInsVO. Dessen Anwendung ist nicht unbedingt notwendig, wenn die von einem mitgliedstaatlichen Insolvenzverfahren betroffene Person im Staat der Verfahrenseröffnung zureichenden Rechtsschutz suchen kann. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gebietet es daher, dass die betroffene Person die Gerichte im Eröffnungsstaat anruft, wenn sie meint, der Schuldner habe die Eröffnungsentscheidung durch Täuschung über den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen erschlichen. Damit verbundene Erschwernisse für die Person sind zur Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitender Wirkung (vgl. die 2. Begründungserwägung zur EuInsVO) hinzunehmen.
22
Dies haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union durch die kürzlich erfolgte Neufassung der EuInsVO (Verordnung (EU) 2015/848 vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren; ABl. L 141/19 vom 5. Juni 2015) bestätigt. Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung sieht das Recht (auch) jedes Gläubigers vor, die Eröffnungsentscheidung aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anzufechten. Dabei handelt es sich um eine von mehreren Schutzvorkehrungen, um betrügerisches oder missbräuchliches Forum Shopping zu verhindern (vgl. die 29. Begründungserwägung zur Verordnung iVm der 34. Erwägung "darüber hinaus"). Danach kann und muss der Gläubiger auch im Falle einer durch Täuschung erschlichenen Zuständigkeitsentscheidung Rechtsschutz im Staat der Verfahrenseröffnung suchen. Nichts anderes gilt nach derzeit noch geltender Rechtslage, wenn das Recht des Eröffnungsstaats eine entsprechende Rechtsschutzmöglichkeit vorsieht.
23
bb) Die Klägerin hat sich ferner darauf berufen, sie habe keinerlei Möglichkeit gehabt, zur internationalen Zuständigkeit des Colchester County Court Stellung zu nehmen. Sie hat hierzu vorgetragen, das Schreiben des Official Receiver vom 6. Oktober 2011, mittels dessen sie über die Verfahrenseröffnung informiert werden sollte, sei nicht zugegangen. Bis zur Zustellung der Klagerwiderung am 26. April 2012 habe die Klägerin keinerlei Kenntnis von dem englischen Insolvenzverfahren gehabt.
24
(1) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist Art. 26 EuInsVO anwendbar, wenn die Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von einem solchen Verfahren betroffenen Person ergangen ist. Dabei geht es um den allgemeinen unionsrechtlichen Rechtsgrundsatz, dass jedermann Anspruch auf ein faires Verfahrens hat. Der Richter im Inland kann sich nicht darauf beschränken, seine eigenen Vorstellungen von der Mündlichkeit des Verfahrens und von der fundamentalen Rolle, die diese in seiner Rechtsordnung spielt, zu übertragen. Vielmehr muss er anhand sämtlicher Umstände beurteilen, ob die betroffene Person in dem mitgliedstaatlichen Verfahren hinreichend die Möglichkeit hatte, gehört zu werden (EuGH, Urteil vom 2. Mai 2006, C-341/04, Eurofood IFSC Ltd, Slg. 2006, I-3813 Rn. 65 ff).
25
(2) Das Berufungsgericht wird deshalb unter Würdigung sämtlicher Umstände zu prüfen haben, ob sich die Klägerin nach englischem Recht hinreichend Gehör verschaffen und zur internationalen Zuständigkeit des Colchester City Court Stellung nehmen konnte. Eine Rechtsschutzmöglichkeit könnte auch in dem Verfahren zur Annullierung englischer Insolvenzeröffnungsentscheidungen zu erblicken sein.
26
Gemäß Insolvency Act 1986, Section 282 (1) (a) kann der Eröffnungsbeschluss annulliert werden, wenn dieser aus Gründen, die bei dessen Erlass schon vorlagen, nicht hätte ergehen dürfen. Da der Insolvency Act keine Regelung enthält, durch welche der berechtigte Personenkreis beschränkt wird, dürften alle Betroffenen berechtigt sein, die Annullierung zu beantragen. Der Antrag soll auch noch nach Eintritt der Restschuldbefreiung gestellt werden können und mit der dann erfolgenden Annullierung die bereits eingetretene Durchsetzungssperre entfallen (Mehring, ZInsO 2012, 1247, 1250 f; Goslar, NZI 2012, 912, 915 f; Priebe, ZInsO 2012, 2074, 2081; Renger, Wege zur Restschuldbefreiung nach dem Insolvency Act 1986, 2012, S. 98 ff; vgl. auch High Court of Justice Birmingham, Entscheidung vom 29. August 2012, Case No. 957 of

2010).


27
(3) Allein der Umstand, dass der Gläubiger keine verfahrensrechtliche Möglichkeit hatte, sich in dem ausländischen Verfahren Gehör zu verschaffen, reicht allerdings nicht aus, um der ausländischen Entscheidung die Anerkennung zu versagen. Vielmehr muss gemäß Art. 26 EuInsVO die Anerkennung oder die Vollstreckung der Entscheidung in dem Mitgliedstaat zu einem Ergebnis führen, das offensichtlich mit der inländischen öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist (vgl. Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 2. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 6; HK-InsO/Stephan, 7. Aufl., Art. 26 EuInsVO Rn. 2; Kemper in Kübler/Prütting/ Bork, InsO, 2010, Art. 26 Rn. 4; Mohrbutter/Ringstmeier/Wenner, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., Kap. 20 Rn. 193). Ein solches Ergebnis könnte dann gegeben sein, wenn festgestellt wird, dass der Beklagte sich rechtsmissbräuchlich die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts im Vereinigten Königreich erschlichen hat, indem er die Verlegung des Mittelpunktes seiner hauptsächlichen Interessen vorgetäuscht hat.
28
Die Klägerin hat mit ihrer im Revisionsverfahren erhobenen Gegenrüge geltend gemacht, für den Fall, dass es tatsächlich darauf ankomme, ob der Beklagte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen nur zum Schein in das Vereinigte Königreich verlegt habe, hätte sie sich auf einen entsprechenden Hinweis zum Beweis für ihre Behauptung, dass der Beklagte weiter in Deutschland gewohnt habe, auf das Zeugnis der Ehefrau des Beklagten berufen. Sollte es nach der Feststellung des englischen Rechts durch das Berufungsgericht hierauf noch ankommen, weil für die Klägerin keine Möglichkeit gegeben war oder ist, ihre Rechte im englischen Insolvenzverfahren wahrzunehmen, wird ihr Gelegenheit zu geben sein, ihren Vortrag insoweit noch zu ergänzen und Beweis für den ihr obliegenden Nachweis der Zuständigkeitserschleichung anzutreten.
29
3. Ist die Klage deshalb zulässig, weil der Beklagte zwischenzeitlich Restschuldbefreiung erlangt hat und aus diesem Grund (wieder) prozessführungsbefugt ist, kann der streitgegenständliche Bürgschaftsanspruch ohne weiteres durchsetzbar sein, wenn die Restschuldbefreiung den Bürgschaftsanspruch nicht umfasst (vgl. dazu Insolvency Act 1986, Section 281; Zilkens, Die discharge in der englischen Privatinsolvenz, 2006, S. 77 f; Renger, Wege zur Restschuldbefreiung nach dem Insolvency Act 1986, 2012, S. 111 ff; jeweils zur Reichweite der Restschuldbefreiung). Für den Fall, dass der Bürgschaftsanspruch von der Restschuldbefreiung erfasst wird, kann die Klage nur dann begründet sein, wenn die Restschuldbefreiung in Deutschland nicht anzuerkennen ist. Die vorstehenden Ausführungen unter 2. b) gelten sinngemäß. Da der Ordre-Public-Vorbehalt des Art. 26 EuInsVO sowohl für die Eröffnungsentscheidung nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO gilt als auch auf Entscheidungen im Sinne des Art. 25 Abs. 1 EuInsVO anzuwenden ist, kann offenbleiben, ob es sich bei der Restschuldbefreiung nach englischem Recht um einen Fall des Art. 25 Abs. 1 EuInsVO handelt oder ob wegen der im Regelfall automatisch eintretenden Befreiung (vgl. Renger, aaO S. 104 f; Priebe, ZInsO 2012, 2074, 2079) Art. 16 Abs. 1 EuInsVO einschlägig ist (vgl. Vallender, ZInsO 2009, 616, 618; Mansel in Festschrift von Hoffmann, 2011, S. 683, 685; Mankowski, KTS 2011, 185, 201).
Kayser Vill Lohmann
Pape Möhring
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 06.12.2012 - 15 O 35/12 -
OLG Köln, Entscheidung vom 11.11.2013 - 13 U 261/12 -

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 293 Fremdes Recht; Gewohnheitsrecht; Statuten


Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind. Bei Ermittlung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind. Bei Ermittlung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 305/01 Verkündet am:
23. Juni 2003
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Bei der Ermittlung ausländischen Rechts darf sich der Tatrichter nicht auf die
Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muß unter Ausschöpfung
der ihm zugänglichen Erkenntnismöglichkeiten auch die konkrete Ausgestaltung
des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische
Rechtsprechung, berücksichtigen.
BGH, Urteil vom 23. Juni 2003 - II ZR 305/01 - OLG Koblenz
LG Koblenz
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 23. Juni 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht
und die Richter Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Münke und Graf

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Teilurteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. Oktober 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Kläger nehmen den Beklagten auf Schadensersatz wegen eines Unfalls in Anspruch, bei dem ihre damals 25-jährige Tochter am 2. Februar 1990 in P., Thailand, getötet wurde. Der Beklagte und die Tochter der Kläger waren mit gemieteten Jet-Ski auf dem Meer vor P. zusammengestoßen. Der Beklagte ist der Auffassung, daß nicht ein Fahrfehler seinerseits, sondern die Fahrweise der Tochter der Kläger den Unfall verursacht habe, etwaige Ansprüche der Kläger im übrigen aber verjährt seien.

Die Kläger verlangen, soweit es für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, Ersatz aufgewendeter Bestattungskosten (5.044,00 DM) sowie eine monatliche Unterhaltsrente von 970,00 DM für die Zeit vom 1. März 1990 bis einschließlich Juli 1995 (63.050,00 DM). Das Landgericht hat die Klage nach Einholung von Gutachten zum thailändischen Recht hinsichtlich beider Forderungen wegen Verjährung abgewiesen. Die Berufung der Kläger blieb ohne Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Erstattung der Beerdigungskosten und Zahlung der Unterhaltsrente weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht geht auf der Grundlage der schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. W. vom 10. März 1997 und 13. August 1999 davon aus, daß sich der Ersatzanspruch der Kläger hinsichtlich der Bestattungskosten und der Unterhaltsrente nach thailändischem Recht beurteile und nach diesem Recht verjährt sei. Für die Verjährungsfrist sei die Vorschrift des Art. 308 thail. SchiffahrtsG maßgebend, wonach Ansprüche aus einem Zusammenstoß von Wasserfahrzeugen, zu denen Jet-Ski zu rechnen seien, in sechs Monaten ab Kenntnis von dem Zusammenstoß verjährten. Es handele sich bei Art. 308 thail. SchiffahrtsG um eine Spezialvorschrift, die andere Verjährungsregelungen verdränge. Die Verjährung sei nicht unterbrochen worden. Zur Unterbrechung habe es des Anhängigmachens eines Strafverfahrens bedurft, was neben der von den Klägern behaupteten Einreichung einer Anklageschrift gegen den Beklagten bei Gericht am 19. März 1990 die Annah-
me dieser Anklage durch das Gericht vorausgesetzt hätte. Die Kläger hätten die Annahme der Anklageschrift jedoch nicht dargelegt.
Das hält revisionsrechtlicher Prüfung nur teilweise stand.
II. 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß sich die Forderungen der Kläger auf Unterhalt und Ersatz der Beerdigungskosten nach thailändischem Recht beurteilen. Für Ansprüche aus unerlaubter Handlung, wie sie die Kläger gegen den Beklagten geltend machen, ist nach dem zur Tatzeit gewohnheitsrechtlich geltenden, nunmehr in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 EGBGB kodifizierten Tatortgrundsatz das Recht des Staates maßgebend, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat. Der nach der Behauptung der Kläger vom Beklagten verschuldete Unfall ihrer Tochter hat sich in Thailand ereignet. Dort trat als Folge des Unfalls der Tod der Tochter ein.
2. Das Berufungsgericht ist der ihm nach § 293 ZPO obliegenden Pflicht zur Ermittlung des anzuwendenden thailändischen Rechts jedoch nur unzureichend nachgekommen, wie die Revision mit Recht rügt.

a) Die Frage, ob das Berufungsgericht das thailändische Recht zutreffend angewandt und ausgelegt hat, ist revisionsrechtlicher Nachprüfung entzogen , da ausländisches Recht nach §§ 549 Abs. 1, 562 ZPO a.F. nicht revisibel ist. Einer Überprüfung zugänglich ist jedoch das Verfahren des Berufungsgerichts , das als deutsches Gericht deutsches Verfahrensrecht anzuwenden hatte.
Nach § 293 ZPO hat der Tatrichter das ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln (st.Rspr., vgl. Sen.Urt. v. 29. Juni 1987 - II ZR 6/87, NJW 1988, 647 m.w.N.). Wie er sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem
pflichtgemäßen Ermessen, jedoch darf sich die Ermittlung des fremden Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muß auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen (BGH, Urt. v. 24. März 1987 - VI ZR 112/86, NJW 1988, 648): der Tatrichter ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat, er muß dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen (vgl. Sen.Urt. v. 21. Januar 1991 - II ZR 49/90, NJW-RR 1991, 1211, 1212).

b) Mit der Beschränkung auf die Gutachten des Sachverständigen Dr. W. vom 10. März 1997 und 13. August 1999 ist das Oberlandesgericht seinen Pflichten aus § 293 ZPO nicht gerecht geworden.
Beide Gutachten stützen sich hinsichtlich der Verjährungsfrage sowohl, was die maßgebliche Frist angeht, als auch hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Unterbrechung allein auf die gesetzlichen Vorschriften; sie beziehen weder Rechtslehre noch Rechtsprechung Thailands ein. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 13. August 1999, das sich vertieft mit der Verjährungsproblematik auseinandersetzt, sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er von Deutschland aus keine Aussagen zur praktischen Handhabung des Verhältnisses der Verjährungsvorschrift des Art. 308 thail. SchiffahrtsG (sechs Monate ) zu den entsprechenden Bestimmungen des Art. 448 thail. ZHGB (ein Jahr ab Kenntnis von Handlung und Ersatzpflicht oder 10 Jahre von der Begehung der unerlaubten Handlung an, im Falle fahrlässiger Tötung sogar 15 Jahre) in der thailändischen Rechtsprechung und Rechtsliteratur machen könne. Unter diesen Umständen hätten die Ausführungen Dr. W. das Berufungsgericht veranlassen müssen, von Amts wegen weitere Ermittlungen in bezug
auf die tatsächliche Handhabung der von dem Sachverständigen geschilderten Verjährungsvorschriften anzustellen.
Weitere Ermittlungen waren außerdem auch deshalb geboten, weil die Kläger, worauf die Revision mit Recht hinweist, unter Beweisantritt vorgetragen hatten, daß die von dem Sachverständigen Dr. W. aus den einschlägigen Gesetzen abgeleitete Rechtsauffassung zur Verjährungsproblematik unrichtig sei: Art. 308 thail. SchiffahrtsG sei gegenüber Art. 448 thail. ZHGB nicht lex specialis; die Einreichung einer Anklageschrift durch den Staatsanwalt führe nach thailändischem Recht automatisch zur Eröffnung des Strafverfahrens, einer Annahme der Anklage durch das Gericht bedürfe es entgegen der Ansicht des Sachverständigen nicht.
Bei sachgerechter Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens hätte das Berufungsgericht daher das Gutachten eines anderen Sachverständigen, der Zugang zur thailändischen Rechtslehre und Rechtspraxis hat, einholen
müssen. Da nicht auszuschließen ist, daß es dann zu einer den Klägern günstigen Entscheidung gelangt wäre, kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben.
Röhricht Goette Kurzwelly
Münke Graf
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b) Nach § 293 ZPO hat der Tatrichter ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie er sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Jedoch darf sich die Ermittlung des fremden Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis , insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Der Tatrichter ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat. Er muss dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen (BGH, Urteil vom 23. Juni 2003 - II ZR 305/01, NJW 2003, 2685, 2686 mwN). Vom Revisionsgericht wird insoweit lediglich überprüft, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere sich anbietende Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hinreichend ausgeschöpft hat (BGH, Beschluss vom 30. April 2013 - VII ZB 22/12, WM 2013, 1225 Rn. 39).
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ist Zwar der Beschluss des High Court of Justice in London vom 2. Oktober 2006 erst nach Abschluss der Beschwerdeinstanz in das Verfahren eingeführt worden. Der Senat hat die Aufhebung des Insolvenzverfahrens in Großbritannien aber gleichwohl als neue Tatsache bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Gemäß § 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO gilt im Rechtsbeschwerdeverfahren § 559 ZPO entsprechend. Nach dieser Vorschrift ist neues tatsächliches Vorbringen in der Revision zwar grundsätzlich nicht zulässig. Aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit ist § 559 Abs. 1 ZPO aber einschränkend dahin auszulegen, dass neue, für die Prozessführungsbefugnis des Klägers erhebliche Umstände dann in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen sind, wenn das Revisionsgericht hierdurch nicht mit der Bewertung von Tatsachen belastet wird und wenn schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht beeinträchtigt werden (BGHZ 28, 13, 15; BGH, Urt. v. 6. Mai 1981 - IX ZR 45/80, WM 1981, 678, 679; v. 10. Juli 1995 - II ZR 75/94, WM 1995, 1806, 1807; Beschl. v. 22. Februar 2001 - IX ZB 71/99, WM 2001, 971, 972; jeweils zur Vorgängerregelung des § 561 Abs. 1 ZPO; Hk-ZPO/Kayser, 2. Aufl. § 559 Rn. 14; Musielak/Ball, ZPO 6. Aufl. § 559 Rn. 8 f; Zöller/Gummer, ZPO 26. Aufl. § 559 Rn. 7). Zu den prozessual bedeutsamen Tatsachen, die danach auch dann noch berücksichtigt werden müssen, wenn sie erst nach Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung eingetreten sind, gehören insbesondere auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei (BGHZ 157, 213, 214; Hk-ZPO/Kayser, aaO Rn. 11) und dessen Einstellung oder Aufhebung (BGHZ 28, 13, 16; BGH, Urt. v. 6. Mai 1981, aaO; Hk-ZPO/Kayser, aaO Rn. 14). Diese Grundsätze sind im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden (BGH, Beschl. v. 20. Februar 2001 - III ZB 71/99, WM 2001, 971, 972).