Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Okt. 2017 - 1 StR 426/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:251017B1STR426.17.0
bei uns veröffentlicht am25.10.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 426/17
vom
25. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern
ECLI:DE:BGH:2017:251017B1STR426.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 25. Oktober 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 20. April 2017 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die vom Angeklagten in dieser Sache in Bulgarien erlittene Freiheitsentziehung auf die hier verhängte Strafe in der Weise angerechnet wird, dass ein Tag Auslieferungshaft zwei Tagen inländischer Haft entspricht. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und den Verfall von Wertersatz in Höhe von 3.100 Euro angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt lediglich zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Ergänzung des Strafausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte ist ein in Bulgarien wohnhafter syrischer Staatsangehöriger , der dort ein Restaurant und einen Supermarkt betrieb. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 20. November 2014 entschloss er sich, die wiederholte Schleusung von Flüchtlingen aus dem Flüchtlingsheim der bulgarischen Stadt H. nach Deutschland gegen ein Entgelt von mindestens 200 Euro je Person zu organisieren und sich dadurch eine weitere Einnahmequelle von nicht unerheblichem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Die geschleusten Flüchtlinge nahmen Kontakt zu dem unter Aliasnamen handelnden Angeklagten auf, indem sie ihn anriefen oder ihn sogleich an einem bekannten Treffpunkt nahe der Unterkunft aufsuchten. Die Telefonnummer des Angeklagten war Aushängen in dem Flüchtlingsheim zu entnehmen, in denen er als eine Art „Reiseunternehmer“ auftrat.
4
Vom 20. November 2014 bis zum 14. März 2015 organisierte er mindestens sechs Fahrten mit insgesamt 31 syrischen Staatsangehörigen, die ein Fahrer im Auftrag des Angeklagten mit einem Personenkraftwagen von Bulgarien aus über Ungarn nach Deutschland transportierte. Nach der Einreise stellten mindestens 21 von ihnen in Deutschland einen Asylantrag. Die letzte Fahrt endete in einer Polizeikontrolle auf der Bundesautobahn A 93. Alle transportierten Personen verfügten – dies kontrollierte der Angeklagte jeweils vor Fahrtantritt – über einen „bulgarischen Flüchtlingspass“.
5
Der Angeklagte wusste um die Praxis der bulgarischen Behörden, dass geflüchtete Personen, die als Asylsuchende für einige Monate in der Flücht- lingsunterkunft untergebracht waren, binnen 14 Tagen nach Erhalt des „bulgarischen Flüchtlingspasses“ diese Unterkunft verlassen mussten und keine staatliche Unterstützung mehr erhielten. Des Weiteren war dem Angeklagten bekannt, dass alle von ihm geschleusten Personen nicht nur Kurzbesuche, sondern einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland anstrebten und „nicht über einen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik“ verfügten.
6
2. Das Landgericht hat dies als gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern in sechs Fällen gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b, Abs. 2 Nr. 1, § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1 AufenthG gewertet, weil sich die transportierten Personen mit Grenzübertritt nach Deutschland der unerlaubten Einreise schuldig gemacht hätten. Der bulgarische Flüchtlingsausweis erlaube keine Einreise der syrischen Staatsangehörigen. Dies hat das Landgericht insbesondere mit Blick auf den beabsichtigten Daueraufenthalt verneint.

II.

7
Der Schuldspruch wird von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragen. Insbesondere sind die Personen, denen der Angeklagte unter Verwirklichung von Schleusermerkmalen zur Einreise in die Bundesrepublik verholfen hat, ohne den nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel und daher unerlaubt eingereist. Im Einzelnen:
8
1. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass den syrischen Staatsangehörigen die Einreise in die Bundesrepublik nicht nach Art. 20 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) gestattet war, weil es sich bei ihnen nicht um „sichtvermerksfreie Drittausländer“ handelte. Dies folgt schon daraus, dass die in Bulgarien anerkannten Flüchtlinge dort keinen „Wohnsitz“ hatten.
9
a) Das Tatbestandsmerkmal der „sichtvermerksfreien Drittausländer“ in Art. 20 SDÜ nimmt Bezug auf Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABl. L 81 vom 21. März 2001, S. 1 – EGVisaVO ). Nach dessen Satz 1 dürfen Angehörige der im Anhang II der Verord- nung genannten Staaten die EU-Außengrenzen für einen Kurzaufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, visumfrei passieren (sog. „Positivstaater“, zu denen syrische Staatsangehörige nicht zählen). Ihnen stehen Personen mit Flüchtlingsstatus und Wohnsitz in dem EU-Mitgliedstaat gleich, der ihnen ein Reisedokument ausgestellt hat (vgl. Art. 1 Abs. 2 Satz 2, 3. Spiegelstrich EG-VisaVO). Die Regelungen der EG-VisaVO sind gemäß Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang II Nr. 8 der EU-Beitrittsakte 2005 (Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht, ABl. L 157 vom 21. Juni 2005, S. 203) auch in Bulgarien anzuwenden. Im Anschluss an das Passieren der EU-Außengrenze gestattet sodann Art. 20 SDÜ den Kurzaufenthalt der nach Art. 1 Abs. 2 EG-VisaVO privilegierten Personen im Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten und das Überschreiten der Binnengrenzen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2012 – 4 StR 142/12, NStZ 2013, 481, 482; OVG Münster, Beschluss vom 11. November 2015 – 18 B 387/15, NVwZ-RR 2016, 354, 356).
10
b) Den geschleusten Flüchtlingen war die Einreise in die Bundesrepublik nicht nach Art. 20 SDÜ gestattet. Denn sie erfüllten mangels eines „Wohnsitzes“ in Bulgarien nicht die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 2 Satz 2, 3. Spie- gelstrich EG-VisaVO. Dieses Tatbestandsmerkmal hat aufgrund der Bezüge der EG-VisaVO zum „Europäischen Übereinkommen über die Aufhebung des Sichtvermerkszwangs für Flüchtlinge“ vom 20. April 1959 (BGBl. II 1961 S. 1098 – EuSVkÜbk) entsprechend dessen Art. 1 Abs. 1 keine andere Bedeutung als der „gewöhnliche Aufenthalt“ (vgl. Erwägungsgrund7 der EG-VisaVO; ebenso Baetge, StAZ 2016, 289, 290 zum „Wohnsitz“ in Art. 12 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl. II 1953 S. 560 – GenferFlüchtlingskonvention). Demgemäß decken sich die englischen Fassungen der EG-VisaVO („reside“) und des Übereinkommens („resident“).
11
In unionsrechtlichen Rechtsquellen ist unter dem gewöhnlichen Aufenthalt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Kern der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer Person zu verstehen, der aufgrund einer Gesamtabwägung der tatsächlichen Umstände (wie Dauer des Aufenthalts, soziale und familiäre Bindungen, Beweggründe) zu bestimmen ist (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 15. September 1994 – C-452/93, Slg. 1994, I-4295 Rn. 22; vom 25. Februar 1999 – C-90/97, Slg. 1999, I-1075 Rn. 28 f.; vom 11. November 2004 – C-372/02, Slg. 2004, I-10761 Rn. 37; vom 17. Juli 2008 – C-66/08, Slg. 2008, I-6041 Rn. 48; vom 5. Juni 2014 – C-255/13 Rn. 44 f. und vom 11. September 2014 – C-394/13 Rn. 34). Dafür, dass der Regelungskontext und der Zweck des Art. 1 Abs. 2 Satz 2, 3. Spiegelstrich EGVisaVO , anerkannten Flüchtlingen (und Personen ohne Staatsangehörigkeit) ein visumfreies Passieren der EU-Außengrenzen für Kurzaufenthalte zu ermöglichen , ein grundlegend anderes Verständnis erfordern könnten, ist nichts ersichtlich.
12
Den gewöhnlichen Aufenthalt im Einzelfall festzustellen, ist Sache der nationalen Gerichte (vgl. EuGH, Urteile vom 22. Dezember 2010 – C-497/10, Slg. 2010, I-14309 Rn. 56 aE und vom 16. Mai 2013 – C-589/10 Rn. 52). Nach den Feststellungen des Landgerichts mussten die geschleusten Personen mit Gewährung des Flüchtlingsstatus das ihnen für einige Monate als Unterkunft zugewiesene Flüchtlingsheim auf Weisung der bulgarischen Behörden kurzfristig verlassen. Auch unter besonderer Berücksichtigung der Situation geflohener Personen ist es daher mangels Festigung sozialer Bindungen und des nicht weiter beabsichtigten Aufenthalts in Bulgarien nicht zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in Bulgarien als „Person mit Flüchtlingsstatus“ gekommen (vgl. auch OVG Magdeburg, Beschluss vom 13. September 1999 – A 3 S 638/98, BeckRS 2016, 43435; Vienenkötter, Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Internationalen Familien- und Erbrecht der EU, 2017, S. 351). Zu- dem hätte ein solcher spätestens mit dem Verlassen des Flüchtlingsheims ohne einen Bleibe- und Rückkehrwillen sein Ende finden müssen. Dass Personen ein gewöhnlicher Aufenthalt fehlen kann, entspricht der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 – C-497/10, Slg. 2010, I-14309 Rn. 57). Diese Möglichkeit belegt zudem Art. 12 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, der das Personalstatut von Flüchtlingen hilfsweise an deren (schlichten) Aufenthalt knüpft.
13
c) Der Senat weicht dabei von der dem Urteil des Landgerichts zugrundeliegenden Begründung ab, weil er anstatt auf den Einreisezweck auf den fehlenden fortbestehenden „Wohnsitz“ abstellt.
14
Da ein „Wohnsitz“ in Bulgarien bei einem Reiseantrittder geschleusten Personen – wie festgestellt – aus der Flüchtlingsunterkunft heraus offensichtlich nicht einmal hätte fortbestehen können, kann der Senat ausschließen, dass sich der Angeklagte anders hätte verteidigen können, wäre bereits das Landgericht auf diesen Gesichtspunkt eingegangen.
15
2. Die Einreise der geschleusten Flüchtlinge nach Deutschland erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als erlaubt.
16
a) Art. 21 SDÜ, wonach ein Aufenthaltstitel und das Reisedokument eines Mitgliedstaats die Bewegungsfreiheit im Schengen-Raum (für einen Kurzaufenthalt) verbürgen, findet im Verhältnis zu Bulgarien keine Anwendung. Die Vorschrift ist in Anhang II Nr. 2 der EU-Beitrittsakte 2005 nicht genannt, fällt also nach deren Art. 4 Abs. 2 unter den für Bulgarien zwar bindenden, aber noch unanwendbaren Teil des Schengen-Besitzstands (vgl. Winkelmann, ZAR 2010, 270, 277). Dass von dort stammende Aufenthaltstitel nicht genügen (vgl. Stahmann/Schild in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., § 6 AufenthG Rn. 4; Visumhandbuch Auswärtiges Amt, 67. Erg.-Lfg., Aufenthaltsfragen allgemein S. 15), lässt sich zudem etwa Erwägungsgrund 3 der ÄndVO (EU) Nr. 265/2010 vom 25. März 2010 (ABl. L 85 vom 31. März 2010, S. 1) entnehmen, mit der unter anderem Art. 21 Abs. 2a in das SDÜ eingefügt worden ist. Demnach sollten neben sonstigen Aufenthaltstiteln auch Visa für den längerfristigen Aufenthalt den freien Personenverkehr unter jenen Mitgliedstaaten verbürgen, die – anders als Bulgarien – den Schengen-Besitzstand vollständig anwenden.
17
b) Die visumfreie Einreise ermöglichte ebenso wenig § 18 AufenthV, der ebenfalls an die Flüchtlingseigenschaft und den von bestimmten Staaten ausgestellten Reiseausweis anknüpft. Schon die – vormalige – Ermächtigungsgrundlage für § 18 AufenthV in der EG-VisaVO (Art. 3, 2. Spiegelstrich aF) knüpfte nicht anders als Art. 1 Abs. 1 EuSVkÜbk daran an, dass sich die Flüchtlinge in näher bezeichneten Drittstaaten (gewöhnlich) aufhalten (engli- sche Fassung: „reside“). Aufgrund des abschließenden Charakters des vorran- gigen EU-Rechts (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2012 – 4 StR 142/12, NStZ 2013, 481, 482 mwN), wie ihn auch § 15 AufenthV betont, ist nicht anzunehmen, dass der deutsche Verordnungsgeber die visumfreie Einreise von Flüchtlingen mit Reisedokumenten eines EU-Mitgliedstaates ohne dortigen gewöhnlichen Aufenthalt ermöglichen wollte (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 23. September 2013 – 3 Bs 131/13, NVwZ-RR 2014, 490, 492). In der geforderten Rückkehrberechtigung findet dies seinen Ausdruck. Das Landgericht hat darüber hinaus die Anwendbarkeit von § 16 AufenthV zutreffend verneint.
18
c) Auch aus Art. 16a Abs. 1 GG lässt sich für die geschleusten Personen , die in Deutschland im Anschluss an ihre Einreise Asyl beantragt haben, keine Befugnis ableiten, in die Bundesrepublik einzureisen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – 4 StR 178/14, NStZ-RR 2015, 184, 185 f.).
19
3. Schließlich sind den Urteilsgründen jene subjektiven Umstände zu entnehmen, die für eine Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Einschleusens von Ausländern notwendig sind. Die – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hinreichend bestimmt geregelte – Strafbarkeit des Schleusers nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt unerlaubte Einreisen als vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttaten voraus; Umstände, die gleichwohl einer Bestrafung der eingereisten Personen entgegenstehen können, sind hingegen unmaßgeblich (vgl. zum Vorrang des Rückführungsverfahrens BGH, Urteile vom 8. März 2017 – 5 StR 333/16, NJW 2017, 1624 f. und vom 4. Mai2017 – 3 StR 69/17, Rn. 20 f.; vgl. zudem aaO Rn. 19 und BGH, Urteil vom 26. Feb- ruar 2015 – 4 StR 178/14, NStZ-RR 2015, 184, 186 zu § 95 Abs. 5 AufenthG). Das Landgericht ist im Einklang hiermit davon ausgegangen, dass nicht nur der Angeklagte, sondern auch die geschleusten Personen vorsätzlich handelten.
20
Den auf die Haupttaten der unerlaubt einreisenden Personen und auf die eigenen Tatbeiträge bezogenen, „doppelten“ Vorsatz des Angeklagten hat das Landgericht auf Basis einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung festgestellt.
21
Nach den getroffenen Feststellungen ist offenkundig, dass diese Personen um alle relevanten äußeren Umstände inklusive ihres fehlenden Wohnsitzes in Bulgarien wussten, aus denen sich die unerlaubte Einreise ergab. Darüber hinaus ist auch ein nach § 16 StGB zu behandelnder (so LG Landshut, Urteil vom 11. April 2011 – 5 Ns 35 Js 28732/08, juris Rn. 38 ff. unter Hinweis auf eine unveröffentlichte Entscheidung des OLG München; BeckOK AuslR/ Hohoff, § 95 AufenthG Rn. 25; aA etwa MüKoStGB/Gericke, 2. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 44) Irrtum über den rechtlichen Bedeutungsgehalt des Merkmals „erforderlicher Aufenthaltstitel“ (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 AufenthG) auszuschließen. Die Urteilsgründe belegen ein Vorstellungsbild der Flüchtlinge, dass ihr an einen dortigen Wohnsitz anknüpfendes bulgarisches Reisedokument für die Einreise in die Bundesrepublik nicht genügte. Damit geht konform, dass zumindest die Mehrzahl von ihnen „entsprechend ihrer be- reits bei Reiseantritt bestehenden Absicht“ (UA S. 5 f.) einen Asylantrag in der Bundesrepublik stellte.

III.

22
Die Revision bleibt auch im Strafausspruch erfolglos. Sie führt lediglich zu einer Ergänzung der Entscheidung um die unterbliebene Anrechnungsentscheidung.
23
1. Entgegen der Auffassung der Revision liegt ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB nicht vor. Mit der Erwägung im Rahmen der Strafzumessung, der Angeklagte habe die Schleusungsfahrten „geschäftsmäßig organisiert“, hat das Landgericht ihm im Sinne der nachfolgend genannten Umstände die Organisation einer erheblichen Anzahl an Schleusungen in einem recht kurzen Zeitraum und für eine Vielzahl von Personen als Ausdruck krimineller Energie anlasten wollen. Dies geht über das Merkmal „gewerbsmäßig“ des § 96 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AufenthG hinaus. Da gewerbsmäßig nur die Absicht umschreibt, sich eine fortlaufende Einnahmequelle zu sichern, aber nicht notwendig eine geschäftsmäßige Organisation umfasst, liegt keine unzulässige Doppelverwertung vor.
24
2. Allerdings hat das Landgericht entgegen § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB keine Bestimmung über den Maßstab getroffen, nach dem die in Bulgarien vollzogene Auslieferungshaft des Angeklagten auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen ist. Dies holt der Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nach (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2003 – 5 StR 170/03, juris Rn. 2). Aufgrund der im Einzelfall hinter deutschen Verhältnissen zurückbleibenden Haftbedingungen in Bulgarien, wie sie Entscheidungen im Auslieferungsverfahren zu entnehmen sind (vgl. etwa OLG München, Beschluss vom 4. April 2017 – 1 AR 328/16, juris Rn. 47), legt der Senat einen Anrechnungsmaßstab von 1:2 fest, um eine Beschwer des Angeklagten auszuschließen.

IV.

25
Angesichts des nur geringfügigen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit sämtlichen Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Raum Bellay Fischer Bär Hohoff

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er

1.
einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt,
2.
den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt,
2a.
zwar ein nach § 4 erforderliches Visum bei Einreise besitzt, dieses aber durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkt oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen wurde und deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder annulliert wird, oder
3.
nach § 11 Absatz 1, 6 oder 7 nicht einreisen darf, es sei denn, er besitzt eine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8.

(2) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden können Ausnahme-Visa und Passersatzpapiere ausstellen.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 142/12
vom
25. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. September 2012 gemäß § 46
Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 2. November 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Der Beschluss des Landgerichts Halle vom 28. Februar 2012, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Angeklagte zu tragen. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
a) in den Fällen II. 2 bis II. 4 sowie II. 6 bis II. 11 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und angeordnet, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer die verhängte Freiheitsstrafe in Höhe von vier Monaten als vollstreckt gilt. Ferner hat es eine Verfallsentscheidung getroffen.

I.


2
Dem Angeklagten ist nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da ihn an der Versäumung der Frist kein (Mit-)Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO). Der Beschluss des Landgerichts Halle vom 28. Februar 2012, durch den das Rechtsmittel als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.

II.


3
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.
4
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
1. Von Januar 1998 an betrieb der Angeklagte in H. ein Bordell in dem als Beherbergungsbetrieb ausgelegten Objekt „K. “. Die dort tätigen, vorwiegend aus Kolumbien und Osteuropa stammenden Prostituierten mussten an den Angeklagten ein festes Entgelt als Zimmermiete entrichten und durften im Gegenzug sämtliche Einnahmen behalten. Im Sommer richtete der Angeklagte in dem Nachtclub „D. “ einen weiteren Bordellbetrieb ein, den er gemeinsam mit zwei gesondert verfolgten Mittätern führte. Auch in diesem Betrieb waren Frauen aus Kolumbien und Osteuropa tätig. Ihre Einnahmen hatten sie zur Hälfte an den Angeklagten abzuführen, der sie nach Abzug der Betriebskosten mit seinen Mittätern zu gleichen Teilen aufteilte. Der Angeklagte nahm durch seine regelmäßige Anwesenheit in den beiden Bordellbetrieben und seine dem Personal gegenüber erteilten Weisungen maßgeblichen Einfluss auf den jeweiligen Betriebsablauf. Er entschied insbesondere über die Zimmerbelegung und kümmerte sich um die Getränkeversorgung.
6
Im Tatzeitraum zwischen März 2000 und Juni 2002 waren insgesamt mindestens zwölf Frauen zu unterschiedlichen Zeiten in den beiden Bordellbetrieben als Prostituierte tätig. Im Einzelnen handelte es sich um die kolumbianischen Staatsangehörigen V. (13. Dezember 2001), „J. “ (15. September 2001), P. (13. Dezember 2001), R. (13. Dezember 2001), F. (1. bis 12. Juni 2002), V. O. und L. O. (beide am 12. Juni 2002) sowie die Moldawierin K. (März bis Dezember 2000), jeweils tätig im „K. “, und die Rumäninnen C. (9. April bis 12. Juni 2002) und Fl. (6. bis 12. Juni 2002), die ukrainische Staatsangehörige H. (April 2002 bis 12. Juni 2002) und die russische Staatsangehörige Ch. (9. April bis 12. Juni 2002), jeweils tätig im Nachtclub „D. “.
7
2. Das Landgericht hat jeweils den Tatbestand des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern im Sinne des § 92a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in der vom 1. November 1997 bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung als erfüllt angesehen. Der Angeklagte habe den illegalen Aufenthalt der Frauen gefördert, indem er ihnen durch die Bereitstellung entsprechender Räumlichkeiten Gelegenheit zur Ausübung der Prostitution gegeben habe. Er habe dabei billigend in Kauf genommen, dass die aus Kolumbien und Osteuropa eingereisten Frauen nicht über die zur Ausübung der Prostitution erforderliche Arbeitserlaubnis verfügt hätten. Er habe durch seine nicht nur unerhebliche Beteiligung an den von den Prostituierten abgeführten Einnahmen seinen Lebensunterhalt dauerhaft finanzieren wollen.

III.


8
Es begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht für die Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern allein darauf abgestellt hat, ob die in den beiden Bordellen tätigen ausländischen Prostituierten eine Arbeitserlaubnis hatten oder nicht. Der Schuldspruch erweist sich daher lediglich in den Fällen II. 1 und 5 der Urteilsgründe als im Ergebnis rechtsfehlerfrei; in den verbleibenden Fällen hält er rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war bei der Frage, ob sich ein Ausländer im Tatzeitraum durch die Aufnahme einer Arbeit nach damaliger Rechtslage wegen unerlaubten Aufenthalts gemäß § 92 AuslG – und wer ihm hierbei behilflich war, als Gehilfe – strafbar machen konnte, zunächst danach zu unterscheiden, ob der Ausländer über ein formell gültiges Visum verfügte oder nicht. War ein solches erteilt, entfaltete es Tatbestandswirkung unabhängig von seiner materiell-rechtlichen Richtigkeit (BGH, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105); der Aufenthalt war daher auch dann erlaubt , wenn das Visum den Aufenthalt zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nicht umfasste (vgl. BGH aaO, S. 116) oder rechtsmissbräuchlich erlangt worden war (BGH aaO, S. 115 – vgl. insoweit zur geltenden Rechtslage nach Einführung des § 95 Abs. 6 AufenthG BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 – 5 StR 567/11, NJW 2012, 2210, unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 10. April 2012 – Rs. C-83/12 PPU, EuGRZ 2012, 310). Demgegenüber ist der vom Land- gericht gewählte Ansatz im Ausgangspunkt in den Fällen zutreffend, in denen der Ausländer für die Einreise kein Visum benötigte, solange er keine Erwerbstätigkeit aufnahm. In diesem Fall konnte sich der Ausländer, der gleichwohl arbeitete, durch die Arbeitsaufnahme wegen unerlaubten Aufenthalts strafbar machen, die Unterstützung hierbei eine Beihilfehandlung darstellen (vgl. BGH aaO, S. 116).
10
2. Insofern hat die Strafkammer jedoch bei der rechtlichen Bewertung des von ihr festgestellten Tatgeschehens das für die Entscheidung maßgebliche Regelungsgefüge außer Acht gelassen, das sich aus dem Ineinandergreifen nationaler und unionsrechtlicher Vorschriften ergibt.
11
a) Die Staaten der Europäischen Union (EU) haben gemäß Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABl. L 81 vom 21. März 2001, S. 1 ff. – EUVisaVO) in Verbindung mit den zugehörigen Anhängen I und II für die Zeit ab dem 10. April 2001 unionseinheitlich verbindlich festgelegt, ob und unter welchen Voraussetzungen Staatsangehörige von Drittländern beim Überschreiten der Außengrenzen der EU im Besitz eines Visums sein mussten (sog. Positiv- bzw. Negativstaaten). Wegen des allgemeinen unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs im Fall der Kollision zwischen nationalem und Unionsrecht (st. Rspr.; vgl. nur EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964 – Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1253, 1269 – Costa/ENEL; Urteil vom 22. Oktober 1998 – Rs. C-10/97 bis C-22/97, NJW 1999, 200 – IN.CO.GE.’90 u.a.; BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 – Solange II)gehen diese Bestimmungen der EUVisaVO dem inzwischen aufgehobenen AuslG wie auch dem an seine Stelle getretenen AufenthG vor. Anders als das deutsche Recht, das im Visum sowohl eine Einreise- als auch eine Aufenthaltsgenehmigung sieht, regelt die EUVisaVO die Einreise über eine Außengrenze der EU. Der erlaubte Aufenthalt eines nach der EUVisaVO visumsfrei nach Deutschland eingereisten Drittausländers ergibt sich vorrangig aus Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), bei dem es sich ebenfalls um unmittelbar anzuwendendes, den nationalen Bestimmungen vorgehendes Recht handelt (zum Ganzen vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 29. September 2003 – 12 TG 2339/03, EzAR 011 Nr. 19; BayObLG, Beschluss vom 21. Mai 2002 – 4 St RR 44/02, NStZ-RR 2002, 249; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. April 2008 – 3 Ss 79/07, StraFo 2008, 258; Dienelt/Röseler in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., AufenthG, § 4 Rn. 19 ff.; Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 2. Aufl., S. 137 f.; dies. ZAR 2002, 315).
12
b) Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 SDÜ stellt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht auf eine beabsichtigte Erwerbstätigkeit ab. Jedoch erlaubt Art. 4 Abs. 3 EUVisaVO i.V.m. Anhang II den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU, Ausnahmen von der Visumsbefreiung für solche Drittausländer abweichend zu regeln, die während ihres Aufenthalts einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Eine solche für den Tatzeitraum maßgebliche Ausnahmeregelung enthielt § 3 Abs. 1 Satz 2 AuslG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 12 DVAuslG für Drittausländer aus den in Anlage I zur DVAuslG aufgeführten Drittstaaten (vgl. dazu BayObLG, Beschluss vom 21. Mai 2002 – 4 St RR 44/02 aaO, Tz. 9 f.; Hess. VGH, Beschluss vom 7. Februar 2003 – 12 TG 212/03, NVwZ-RR 2003, 897; a.A. Westphal/Stoppa, ZAR 2002, 315, 316 f.; dies. InfAuslR 2001, 309, 311). Die der Kommission der EU gemäß Art. 5 Abs. 1 EUVisaVO mitgeteilte und gemäß Art. 5 Abs. 2 EUVisaVO im Amtsblatt der EU vom 19. Dezember 2001 (Nr. C 363/21) veröffentlichte Liste der Staaten entspricht im Wesentlichen der Positivliste der Anlage I zur DVAuslG; Rumänien fand sich in der der Kommission übersandten Liste bis zum 21. März 2003 (vgl. ABl. EU Nr. C 68/2) indes nicht.
13
3. Ob die Erwerbstätigkeit der von dem Angeklagten beschäftigten Prostituierten im vorliegenden Fall zu deren unerlaubtem Aufenthalt und damit zur Strafbarkeit des Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens führt, hängt demgemäß zunächst davon ab, ob die betreffenden Frauen einem Positiv - oder einem Negativstaat im Sinne der genannten Bestimmungen angehören. Dies ist gesondert nach Maßgabe der – insoweit nicht deckungsgleichen – Anlagen zur EUVisaVO und denen zur DVAuslG zu prüfen. Diese Prüfung ergibt für den maßgeblichen Zeitraum hier Folgendes:
14
a) Kolumbien (Fälle II. 1 bis 4, 6 und 7 der Urteilsgründe):
15
aa) Kolumbien war Negativstaat i.S.d. Anhangs I zu Art. 1 Abs. 1 EUVisaVO, jedoch Positivstaat i.S.d. Anlage zur DVAuslG, weshalb kolumbianische Staatsangehörige bei der Überquerung der EU-Außengrenzen im Tatzeitraum visumspflichtig waren. Da die Regelungen der EUVisaVO, wie bereits ausgeführt, nicht an den illegalen Aufenthalt, sondern an die illegale Einreise anknüpfen, § 92 AuslG jedoch auf die Rechtslage nach dem AuslG und der DVAuslG abstellte, richtet sich die Strafbarkeit im vorliegenden Fall allein nach den Bestimmungen des AuslG (vgl. dazu Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 2. Aufl., S. 143). Als sog. Positivstaater im Sinne der DVAuslG bedurften sie gemäß § 1 Abs. 1 DVAuslG für die Dauer von drei Monaten keiner Aufenthaltsgenehmigung, sofern sie einen Pass besaßen und keine Erwerbstätigkeit aufnahmen. Mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit endete die in § 1 Abs. 1 DVAuslG normierte Befreiung vom Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung , der Tatbestand des § 92a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung war erfüllt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2004 – 4 StR 67/04, Tz. 18). Eine andere rechtliche Beurteilung kann, wie ausgeführt, vor dem Hintergrund des auch vom Generalbundesanwalt in Bezug genommenen Urteils des Bundesgerichtshofs vom 27. April 2005 (2 StR 457/04, BGHSt 50, 105) indes dann in Betracht kommen, wenn eine der nach der DVAuslG nicht visumspflichtige kolumbianische Staatsangehörige im Besitz eines Visums nach der EUVisaVO war.
16
bb) Danach erweist sich die Verurteilung im Fall II. 1 der Urteilsgründe als rechtsfehlerfrei, da die kolumbianische Staatsangehörige V. nach den Feststellungen (UA 13) nicht im Besitz eines gültigen Visums angetroffen wurde und eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte.
17
In den Fällen II. 2, 3 und 7 hat das Landgericht, von seinem rechtlichen Ausgangspunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen zum Vorhandensein eines gültigen Visums getroffen. Hingegen ergibt sich das Vorhandensein eines gültigen Visums für die kolumbianischen Staatsangehörigen R. und F. aus den Feststellungen (UA 14, 16). Dem Senat ist indes insoweit ein Freispruch verwehrt, da er nicht ausschließen kann, dass die neue Verhandlung Feststellungen zu einer Einbindung des Angeklagten in die Beschaffung der Visa ergibt, die dessen Strafbarkeit nach § 92 Abs. 2 Nr. 2, § 92a Abs. 1 AuslG begründen können.
18
b) Ukraine und Russland (Fälle II. 9 und 10 der Urteilsgründe):
19
aa) Bei der Ukraine und Russland handelt es sich um Negativstaaten sowohl im Sinne der Anhänge zur EUVisaVO als auch derjenigen zur DVAuslG. Nach den vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 27. April 2005 (aaO) zur Auslegung der §§ 92, 92a AuslG entwickelten Grundsätzen war der Aufenthalt der diesen Staaten angehörigen Frauen bei Vorliegen eines formell wirksamen Visums unabhängig von der während des Aufenthalts aufgenommenen Erwerbstätigkeit und – vor Einführung des § 95 Abs. 6 AufenthG (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 – 5 StR 567/11 aaO, Tz. 14) – unabhängig davon erlaubt, ob die Aufnahme dieser Tätigkeit bereits bei Erteilung des Visums beabsichtigt war und den Behörden verschwiegen wurde.
20
bb) In den Fällen II. 9 und 10 sind die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit des Angeklagten nicht hinreichend dargetan. Als sog. Negativstaaterinnen im Sinne der EUVisaVO und der DVAuslG bedurften die ukrainische Staatsangehörige H. und die russische Staatsangehörige Ch. eines Visums. Das Landgericht hat insoweit lediglich bei der russischen Staatsangehörigen Ch. eine Einreise „als Touristin“ festgestellt (UA 21), nicht aber, ob sie tatsächlich über ein entsprechendes Visum verfügte. Beide Fälle bedürfen daher ebenfalls erneuter Verhandlung und Entscheidung.
21
c) Rumänien (Fälle II. 8 und 11 der Urteilsgründe):
22
aa) Rumänien war im Tatzeitraum Positivstaat i.S.d. Anhangs II zur EUVisaVO, jedoch Negativstaat i.S.d. Anlage I zur DVAuslG, der Aufenthalt eines rumänischen Staatsangehörigen im Schengen-Gebiet danach gemäß Art. 20 Abs. 1 SDÜ nach Maßgabe von Art. 5 Abs. 1 SDÜ für maximal drei Monate innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten visumsfrei erlaubt. Da Rumänien auf der der EU-Kommission für den Tatzeitraum mitgeteilten Liste über die länderspezifischen Ausnahmeregelungen zur Visumspflicht bei Erwerbstätigkeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EUVisaVO nicht enthalten ist, stand die Erwerbstätigkeit der hier betroffenen rumänischen Staatsangehörigen einem legalen Aufenthalt nur unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 lit. e SDÜ entgegen , also bei einem Verstoß der Tätigkeit gegen Rechtsvorschriften. Insoweit kommt im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen § 284 Abs. 3 i.V.m. § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III i.d.F. vom 1. Januar 1998 (Arbeitsgenehmigung bei unselbständiger Tätigkeit) oder gegen Vorschriften des Gewerbe-, Gesundheits- und Steuerrechts (bei selbständiger Tätigkeit) in Betracht (vgl. dazu VG Ansbach, Beschluss vom 22. September 2003 – AN 19 S 03.01339; Westphal/Stoppa, ZAR 2002, 315, 319 zur Ausübung der Prostitution).
23
bb) Danach kann der Schuldspruch in den Fällen II. 8 und 11 (rumänische Staatsangehörige C. und Fl. ) ebenfalls keinen Bestand haben. Zwar bedurften beide Frauen keines Visums und fielen auch nicht unter die länderspezifische Ausnahmeregelung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 EUVisaVO; der neue Tatrichter wird jedoch der Frage nachgehen müssen, ob die – freiberuflich oder abhängig ausgestaltete – Erwerbstätigkeit als Prostituierte in diesen Fällen gegen Gesetze verstieß und damit die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 lit. e SDÜ vorlagen.
24
d) Moldawien (Fall II. 5 der Urteilsgründe):
25
Die Verurteilung im Fall II. 5 der Urteilsgründe ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die moldawische Staatsangehörige K. bedurfte im Jahr 2000 als Negativstaaterin im Sinne der DVAuslG sowohl nach nationalem Recht als auch nach der zur Tatzeit geltenden Verordnung (EG) Nr. 574/1999 des Rates vom 12. März 1999 (ABl. L 72 vom 18. März 1999, S. 2 ff.) eines gültigen Visums. Über ein solches verfügte sie jedoch nicht; als sie angetroffen wurde, war sie lediglich im Besitz eines abgelaufenen Touristenvisums (UA 9).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Inhaber von Reiseausweisen für Flüchtlinge oder für Staatenlose sind für die Einreise und den Kurzaufenthalt vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit, sofern

1.
der Reiseausweis von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, der Schweiz oder von einem in Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 aufgeführten Staat ausgestellt wurde,
2.
der Reiseausweis eine Rückkehrberechtigung enthält, die bei der Einreise noch mindestens vier Monate gültig ist und
3.
sie keine Erwerbstätigkeit mit Ausnahme der in § 17 Abs. 2 bezeichneten ausüben.
Satz 1 Nr. 2 gilt nicht für Inhaber von Reiseausweisen für Flüchtlinge, die von einem der in Anlage A Nr. 3 genannten Staaten ausgestellt wurden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 142/12
vom
25. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. September 2012 gemäß § 46
Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 2. November 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Der Beschluss des Landgerichts Halle vom 28. Februar 2012, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Angeklagte zu tragen. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
a) in den Fällen II. 2 bis II. 4 sowie II. 6 bis II. 11 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und angeordnet, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer die verhängte Freiheitsstrafe in Höhe von vier Monaten als vollstreckt gilt. Ferner hat es eine Verfallsentscheidung getroffen.

I.


2
Dem Angeklagten ist nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da ihn an der Versäumung der Frist kein (Mit-)Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO). Der Beschluss des Landgerichts Halle vom 28. Februar 2012, durch den das Rechtsmittel als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.

II.


3
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.
4
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
1. Von Januar 1998 an betrieb der Angeklagte in H. ein Bordell in dem als Beherbergungsbetrieb ausgelegten Objekt „K. “. Die dort tätigen, vorwiegend aus Kolumbien und Osteuropa stammenden Prostituierten mussten an den Angeklagten ein festes Entgelt als Zimmermiete entrichten und durften im Gegenzug sämtliche Einnahmen behalten. Im Sommer richtete der Angeklagte in dem Nachtclub „D. “ einen weiteren Bordellbetrieb ein, den er gemeinsam mit zwei gesondert verfolgten Mittätern führte. Auch in diesem Betrieb waren Frauen aus Kolumbien und Osteuropa tätig. Ihre Einnahmen hatten sie zur Hälfte an den Angeklagten abzuführen, der sie nach Abzug der Betriebskosten mit seinen Mittätern zu gleichen Teilen aufteilte. Der Angeklagte nahm durch seine regelmäßige Anwesenheit in den beiden Bordellbetrieben und seine dem Personal gegenüber erteilten Weisungen maßgeblichen Einfluss auf den jeweiligen Betriebsablauf. Er entschied insbesondere über die Zimmerbelegung und kümmerte sich um die Getränkeversorgung.
6
Im Tatzeitraum zwischen März 2000 und Juni 2002 waren insgesamt mindestens zwölf Frauen zu unterschiedlichen Zeiten in den beiden Bordellbetrieben als Prostituierte tätig. Im Einzelnen handelte es sich um die kolumbianischen Staatsangehörigen V. (13. Dezember 2001), „J. “ (15. September 2001), P. (13. Dezember 2001), R. (13. Dezember 2001), F. (1. bis 12. Juni 2002), V. O. und L. O. (beide am 12. Juni 2002) sowie die Moldawierin K. (März bis Dezember 2000), jeweils tätig im „K. “, und die Rumäninnen C. (9. April bis 12. Juni 2002) und Fl. (6. bis 12. Juni 2002), die ukrainische Staatsangehörige H. (April 2002 bis 12. Juni 2002) und die russische Staatsangehörige Ch. (9. April bis 12. Juni 2002), jeweils tätig im Nachtclub „D. “.
7
2. Das Landgericht hat jeweils den Tatbestand des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern im Sinne des § 92a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in der vom 1. November 1997 bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung als erfüllt angesehen. Der Angeklagte habe den illegalen Aufenthalt der Frauen gefördert, indem er ihnen durch die Bereitstellung entsprechender Räumlichkeiten Gelegenheit zur Ausübung der Prostitution gegeben habe. Er habe dabei billigend in Kauf genommen, dass die aus Kolumbien und Osteuropa eingereisten Frauen nicht über die zur Ausübung der Prostitution erforderliche Arbeitserlaubnis verfügt hätten. Er habe durch seine nicht nur unerhebliche Beteiligung an den von den Prostituierten abgeführten Einnahmen seinen Lebensunterhalt dauerhaft finanzieren wollen.

III.


8
Es begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht für die Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern allein darauf abgestellt hat, ob die in den beiden Bordellen tätigen ausländischen Prostituierten eine Arbeitserlaubnis hatten oder nicht. Der Schuldspruch erweist sich daher lediglich in den Fällen II. 1 und 5 der Urteilsgründe als im Ergebnis rechtsfehlerfrei; in den verbleibenden Fällen hält er rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war bei der Frage, ob sich ein Ausländer im Tatzeitraum durch die Aufnahme einer Arbeit nach damaliger Rechtslage wegen unerlaubten Aufenthalts gemäß § 92 AuslG – und wer ihm hierbei behilflich war, als Gehilfe – strafbar machen konnte, zunächst danach zu unterscheiden, ob der Ausländer über ein formell gültiges Visum verfügte oder nicht. War ein solches erteilt, entfaltete es Tatbestandswirkung unabhängig von seiner materiell-rechtlichen Richtigkeit (BGH, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105); der Aufenthalt war daher auch dann erlaubt , wenn das Visum den Aufenthalt zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nicht umfasste (vgl. BGH aaO, S. 116) oder rechtsmissbräuchlich erlangt worden war (BGH aaO, S. 115 – vgl. insoweit zur geltenden Rechtslage nach Einführung des § 95 Abs. 6 AufenthG BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 – 5 StR 567/11, NJW 2012, 2210, unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 10. April 2012 – Rs. C-83/12 PPU, EuGRZ 2012, 310). Demgegenüber ist der vom Land- gericht gewählte Ansatz im Ausgangspunkt in den Fällen zutreffend, in denen der Ausländer für die Einreise kein Visum benötigte, solange er keine Erwerbstätigkeit aufnahm. In diesem Fall konnte sich der Ausländer, der gleichwohl arbeitete, durch die Arbeitsaufnahme wegen unerlaubten Aufenthalts strafbar machen, die Unterstützung hierbei eine Beihilfehandlung darstellen (vgl. BGH aaO, S. 116).
10
2. Insofern hat die Strafkammer jedoch bei der rechtlichen Bewertung des von ihr festgestellten Tatgeschehens das für die Entscheidung maßgebliche Regelungsgefüge außer Acht gelassen, das sich aus dem Ineinandergreifen nationaler und unionsrechtlicher Vorschriften ergibt.
11
a) Die Staaten der Europäischen Union (EU) haben gemäß Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABl. L 81 vom 21. März 2001, S. 1 ff. – EUVisaVO) in Verbindung mit den zugehörigen Anhängen I und II für die Zeit ab dem 10. April 2001 unionseinheitlich verbindlich festgelegt, ob und unter welchen Voraussetzungen Staatsangehörige von Drittländern beim Überschreiten der Außengrenzen der EU im Besitz eines Visums sein mussten (sog. Positiv- bzw. Negativstaaten). Wegen des allgemeinen unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs im Fall der Kollision zwischen nationalem und Unionsrecht (st. Rspr.; vgl. nur EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964 – Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1253, 1269 – Costa/ENEL; Urteil vom 22. Oktober 1998 – Rs. C-10/97 bis C-22/97, NJW 1999, 200 – IN.CO.GE.’90 u.a.; BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 – Solange II)gehen diese Bestimmungen der EUVisaVO dem inzwischen aufgehobenen AuslG wie auch dem an seine Stelle getretenen AufenthG vor. Anders als das deutsche Recht, das im Visum sowohl eine Einreise- als auch eine Aufenthaltsgenehmigung sieht, regelt die EUVisaVO die Einreise über eine Außengrenze der EU. Der erlaubte Aufenthalt eines nach der EUVisaVO visumsfrei nach Deutschland eingereisten Drittausländers ergibt sich vorrangig aus Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), bei dem es sich ebenfalls um unmittelbar anzuwendendes, den nationalen Bestimmungen vorgehendes Recht handelt (zum Ganzen vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 29. September 2003 – 12 TG 2339/03, EzAR 011 Nr. 19; BayObLG, Beschluss vom 21. Mai 2002 – 4 St RR 44/02, NStZ-RR 2002, 249; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. April 2008 – 3 Ss 79/07, StraFo 2008, 258; Dienelt/Röseler in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., AufenthG, § 4 Rn. 19 ff.; Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 2. Aufl., S. 137 f.; dies. ZAR 2002, 315).
12
b) Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 SDÜ stellt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht auf eine beabsichtigte Erwerbstätigkeit ab. Jedoch erlaubt Art. 4 Abs. 3 EUVisaVO i.V.m. Anhang II den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU, Ausnahmen von der Visumsbefreiung für solche Drittausländer abweichend zu regeln, die während ihres Aufenthalts einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Eine solche für den Tatzeitraum maßgebliche Ausnahmeregelung enthielt § 3 Abs. 1 Satz 2 AuslG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 12 DVAuslG für Drittausländer aus den in Anlage I zur DVAuslG aufgeführten Drittstaaten (vgl. dazu BayObLG, Beschluss vom 21. Mai 2002 – 4 St RR 44/02 aaO, Tz. 9 f.; Hess. VGH, Beschluss vom 7. Februar 2003 – 12 TG 212/03, NVwZ-RR 2003, 897; a.A. Westphal/Stoppa, ZAR 2002, 315, 316 f.; dies. InfAuslR 2001, 309, 311). Die der Kommission der EU gemäß Art. 5 Abs. 1 EUVisaVO mitgeteilte und gemäß Art. 5 Abs. 2 EUVisaVO im Amtsblatt der EU vom 19. Dezember 2001 (Nr. C 363/21) veröffentlichte Liste der Staaten entspricht im Wesentlichen der Positivliste der Anlage I zur DVAuslG; Rumänien fand sich in der der Kommission übersandten Liste bis zum 21. März 2003 (vgl. ABl. EU Nr. C 68/2) indes nicht.
13
3. Ob die Erwerbstätigkeit der von dem Angeklagten beschäftigten Prostituierten im vorliegenden Fall zu deren unerlaubtem Aufenthalt und damit zur Strafbarkeit des Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens führt, hängt demgemäß zunächst davon ab, ob die betreffenden Frauen einem Positiv - oder einem Negativstaat im Sinne der genannten Bestimmungen angehören. Dies ist gesondert nach Maßgabe der – insoweit nicht deckungsgleichen – Anlagen zur EUVisaVO und denen zur DVAuslG zu prüfen. Diese Prüfung ergibt für den maßgeblichen Zeitraum hier Folgendes:
14
a) Kolumbien (Fälle II. 1 bis 4, 6 und 7 der Urteilsgründe):
15
aa) Kolumbien war Negativstaat i.S.d. Anhangs I zu Art. 1 Abs. 1 EUVisaVO, jedoch Positivstaat i.S.d. Anlage zur DVAuslG, weshalb kolumbianische Staatsangehörige bei der Überquerung der EU-Außengrenzen im Tatzeitraum visumspflichtig waren. Da die Regelungen der EUVisaVO, wie bereits ausgeführt, nicht an den illegalen Aufenthalt, sondern an die illegale Einreise anknüpfen, § 92 AuslG jedoch auf die Rechtslage nach dem AuslG und der DVAuslG abstellte, richtet sich die Strafbarkeit im vorliegenden Fall allein nach den Bestimmungen des AuslG (vgl. dazu Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 2. Aufl., S. 143). Als sog. Positivstaater im Sinne der DVAuslG bedurften sie gemäß § 1 Abs. 1 DVAuslG für die Dauer von drei Monaten keiner Aufenthaltsgenehmigung, sofern sie einen Pass besaßen und keine Erwerbstätigkeit aufnahmen. Mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit endete die in § 1 Abs. 1 DVAuslG normierte Befreiung vom Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung , der Tatbestand des § 92a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung war erfüllt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2004 – 4 StR 67/04, Tz. 18). Eine andere rechtliche Beurteilung kann, wie ausgeführt, vor dem Hintergrund des auch vom Generalbundesanwalt in Bezug genommenen Urteils des Bundesgerichtshofs vom 27. April 2005 (2 StR 457/04, BGHSt 50, 105) indes dann in Betracht kommen, wenn eine der nach der DVAuslG nicht visumspflichtige kolumbianische Staatsangehörige im Besitz eines Visums nach der EUVisaVO war.
16
bb) Danach erweist sich die Verurteilung im Fall II. 1 der Urteilsgründe als rechtsfehlerfrei, da die kolumbianische Staatsangehörige V. nach den Feststellungen (UA 13) nicht im Besitz eines gültigen Visums angetroffen wurde und eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte.
17
In den Fällen II. 2, 3 und 7 hat das Landgericht, von seinem rechtlichen Ausgangspunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen zum Vorhandensein eines gültigen Visums getroffen. Hingegen ergibt sich das Vorhandensein eines gültigen Visums für die kolumbianischen Staatsangehörigen R. und F. aus den Feststellungen (UA 14, 16). Dem Senat ist indes insoweit ein Freispruch verwehrt, da er nicht ausschließen kann, dass die neue Verhandlung Feststellungen zu einer Einbindung des Angeklagten in die Beschaffung der Visa ergibt, die dessen Strafbarkeit nach § 92 Abs. 2 Nr. 2, § 92a Abs. 1 AuslG begründen können.
18
b) Ukraine und Russland (Fälle II. 9 und 10 der Urteilsgründe):
19
aa) Bei der Ukraine und Russland handelt es sich um Negativstaaten sowohl im Sinne der Anhänge zur EUVisaVO als auch derjenigen zur DVAuslG. Nach den vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 27. April 2005 (aaO) zur Auslegung der §§ 92, 92a AuslG entwickelten Grundsätzen war der Aufenthalt der diesen Staaten angehörigen Frauen bei Vorliegen eines formell wirksamen Visums unabhängig von der während des Aufenthalts aufgenommenen Erwerbstätigkeit und – vor Einführung des § 95 Abs. 6 AufenthG (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 – 5 StR 567/11 aaO, Tz. 14) – unabhängig davon erlaubt, ob die Aufnahme dieser Tätigkeit bereits bei Erteilung des Visums beabsichtigt war und den Behörden verschwiegen wurde.
20
bb) In den Fällen II. 9 und 10 sind die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit des Angeklagten nicht hinreichend dargetan. Als sog. Negativstaaterinnen im Sinne der EUVisaVO und der DVAuslG bedurften die ukrainische Staatsangehörige H. und die russische Staatsangehörige Ch. eines Visums. Das Landgericht hat insoweit lediglich bei der russischen Staatsangehörigen Ch. eine Einreise „als Touristin“ festgestellt (UA 21), nicht aber, ob sie tatsächlich über ein entsprechendes Visum verfügte. Beide Fälle bedürfen daher ebenfalls erneuter Verhandlung und Entscheidung.
21
c) Rumänien (Fälle II. 8 und 11 der Urteilsgründe):
22
aa) Rumänien war im Tatzeitraum Positivstaat i.S.d. Anhangs II zur EUVisaVO, jedoch Negativstaat i.S.d. Anlage I zur DVAuslG, der Aufenthalt eines rumänischen Staatsangehörigen im Schengen-Gebiet danach gemäß Art. 20 Abs. 1 SDÜ nach Maßgabe von Art. 5 Abs. 1 SDÜ für maximal drei Monate innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten visumsfrei erlaubt. Da Rumänien auf der der EU-Kommission für den Tatzeitraum mitgeteilten Liste über die länderspezifischen Ausnahmeregelungen zur Visumspflicht bei Erwerbstätigkeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EUVisaVO nicht enthalten ist, stand die Erwerbstätigkeit der hier betroffenen rumänischen Staatsangehörigen einem legalen Aufenthalt nur unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 lit. e SDÜ entgegen , also bei einem Verstoß der Tätigkeit gegen Rechtsvorschriften. Insoweit kommt im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen § 284 Abs. 3 i.V.m. § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III i.d.F. vom 1. Januar 1998 (Arbeitsgenehmigung bei unselbständiger Tätigkeit) oder gegen Vorschriften des Gewerbe-, Gesundheits- und Steuerrechts (bei selbständiger Tätigkeit) in Betracht (vgl. dazu VG Ansbach, Beschluss vom 22. September 2003 – AN 19 S 03.01339; Westphal/Stoppa, ZAR 2002, 315, 319 zur Ausübung der Prostitution).
23
bb) Danach kann der Schuldspruch in den Fällen II. 8 und 11 (rumänische Staatsangehörige C. und Fl. ) ebenfalls keinen Bestand haben. Zwar bedurften beide Frauen keines Visums und fielen auch nicht unter die länderspezifische Ausnahmeregelung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 EUVisaVO; der neue Tatrichter wird jedoch der Frage nachgehen müssen, ob die – freiberuflich oder abhängig ausgestaltete – Erwerbstätigkeit als Prostituierte in diesen Fällen gegen Gesetze verstieß und damit die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 lit. e SDÜ vorlagen.
24
d) Moldawien (Fall II. 5 der Urteilsgründe):
25
Die Verurteilung im Fall II. 5 der Urteilsgründe ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die moldawische Staatsangehörige K. bedurfte im Jahr 2000 als Negativstaaterin im Sinne der DVAuslG sowohl nach nationalem Recht als auch nach der zur Tatzeit geltenden Verordnung (EG) Nr. 574/1999 des Rates vom 12. März 1999 (ABl. L 72 vom 18. März 1999, S. 2 ff.) eines gültigen Visums. Über ein solches verfügte sie jedoch nicht; als sie angetroffen wurde, war sie lediglich im Besitz eines abgelaufenen Touristenvisums (UA 9).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

Die Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern für Kurzaufenthalte richtet sich nach dem Recht der Europäischen Union, insbesondere dem Schengener Durchführungsübereinkommen und der Verordnung (EU) 2018/1806 in Verbindung mit den nachfolgenden Bestimmungen.

Die Inhaber der in Anlage A zu dieser Verordnung genannten Dokumente sind für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet, auch bei Überschreitung der zeitlichen Grenze eines Kurzaufenthalts, vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit, soweit völkerrechtliche Verpflichtungen, insbesondere aus einem Sichtvermerksabkommen, die vor dem 1. September 1993 gegenüber den in Anlage A aufgeführten Staaten eingegangen wurden, dem Erfordernis des Aufenthaltstitels oder dieser zeitlichen Begrenzung entgegenstehen.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 178/14
vom
26. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
15. Januar 2015 in der Sitzung am 26. Februar 2015, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin – in der Verhandlung –
als Verteidigerin,
Justizangestellte – in der Verhandlung –,
Justizangestellte – bei der Verkündung –
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 16. Dezember 2013 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts unterstützte der Angeklagte zusammen mit unbekannt gebliebenen Mittätern sich in Griechenland aufhaltende syrische Staatsangehörige bei der Weiterreise in ihre eigentlichen Zielländer (unter anderem die Bundesrepublik Deutschland). Die syrischen Staats- angehörigen waren zuvor ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel „illegal“ über die Türkei nach Griechenland eingereist, hatten dort keinen Asylantrag gestellt und versuchten, sich bis zu ihrer angestrebten Weiterreise in Griechenland ohne Kenntnis der dortigen Behörden aufzuhalten. Für die Schleusung handelte er mit den Schleusungswilligen oder deren Angehörigen einen Gesamtpreis aus, der durchschnittlich mehrere Tausend Euro pro Person betrug. Durch den erwarteten finanziellen Gewinn aus seiner wiederholten Schleusertätigkeit wollte der Angeklagte seinen Lebensunterhalt bestreiten. Keiner der syrischen Staatsangehörigen verfügte über einen gültigen Pass oder einen für die Einreise nach Deutschland erforderlichen Aufenthaltstitel.
3
1. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt Ende März/Anfang April 2012 sagte der Angeklagte dem syrischen Staatsangehörigen Z. C. in Athen für einen Schleuserlohn in Höhe von 4.000 Euro pro Person zu, ihn und seine Familie bei der Weiterreise in die Bundesrepublik Deutschland zu unterstützen. In der Folge quartierte er die Familie in einer von ihm angemieteten Wohnung in Athen ein und verschaffte ihnen über Mittäter gefälschte Ausweise. Ende April 2012 wurden zunächst die Ehefrau und die vier Kinder des Z. C. auf dem Luftweg nach Frankreich verbracht und anschließend von dort aus im Auftrag des Angeklagten mit dem Pkw nach Deutschland eingeschleust. Z. C. reiste Anfang Mai 2012 in die Schweiz. Von dort verbrachte ihn ein von dem Angeklagten beauftragter Mittäter mit dem Pkw über die deutsche Grenze. Sämtliche Mitglieder der Familie des Z. C. haben „mittlerweile“ Asylanträge in Deutschland gestellt (Fall 2 b) aa) (a) der Urteilsgründe).
4
2. Ende April oder Anfang Mai 2012 unterstützte der Angeklagte für einen Schleuserlohn von insgesamt 5.000 Euro die Einreise des syrischen Staatsangehörigen S. , indem er ihm Unterkunft in einer seiner zu diesem Zweck angemieteten Wohnungen verschaffte und über Mittäter mit einem gefälschten ägyptischen Reisepass und einer gestohlenen griechischen Aufenthaltserlaubnis versorgte. Am 26. Mai 2012 reiste S. mit einem Linienflug von Athen nach München. Als er im Ankunftsbereich des Flughafengebäudes von Bundespolizisten angetroffen und kontrolliert wurde, wies er sich mit dem verfälschten Reisepass und der gestohlenen Aufenthaltserlaubnis aus.
Weitere Ausweispapiere führte er nicht mit. Im Anschluss an die polizeiliche Feststellung stellte er Asylantrag (Fall 2 b) aa) (b) der Urteilsgründe).
5
3. Im Mai 2012 unterstützte der Angeklagte für einen Schleuserlohn von insgesamt 10.000 Euro im Auftrag des in Deutschland lebenden M. A. die Weiterreise der bereits nach Griechenland eingeschleusten syrischen Staatsangehörigen B. I. und A. J. , indem er sie in Athen in seinen Wohnungen unterbrachte, mit den erforderlichen Informationen versorgte und sie dazu veranlasste, Lichtbilder für von Mittätern zu fälschende Ausweise anzufertigen. Am 6. Juni 2012 reisten beide mit einem Linienflug von Athen nach Frankfurt (Main), wo sie im Ankunftsbereich des Flughafens von Bundespolizisten angetroffen und kontrolliert wurden. Beide führten keine Ausweispa- piere mit sich. „Zwischenzeitlich“ haben sie in der Bundesrepublik Deutschland jeweils einen Asylantrag gestellt (Fall 2 b) aa) (c) der Urteilsgründe).
6
4. Anfang Juni 2012 reiste der nicht näher identifizierte syrische Staatsangehörige „O. “ mit einem Linienflug von Griechenland aus in die Schweiz und wurde am 9. Juni 2012 durch den gesondert Verfolgten H. im Auftrag des Angeklagten mit dem Pkw von Basel nach Freiburg verbracht. Dabei führte O. keine Ausweisdokumente bei sich (Fall 2 b) aa) (d) der Urteilsgründe ).
7
5. Im Mai/Juni 2012 unterstützte der Angeklagte für einen in der Höhe nicht feststellbaren Schleuserlohn den syrischen Staatsangehörigen Z. Si. und dessen Familie bei der Weiterreise in die Bundesrepublik Deutschland, indem er sie in Athen in verschiedenen Wohnungen unterbrachte. Außerdem wurden von Mittätern des Angeklagten gefälschte Pässe beigebracht und Z. Si. mit einer gestohlenen griechischen Aufenthaltserlaubnis ver- sorgt. Die Ehefrau und die Kinder des Z. Si. reisten in der Folge mit den gefälschten Pässen auf dem Luftweg nach Frankreich und wurden von dort aus mit dem Pkw in das Bundesgebiet geschleust. Am 24. Juli 2012 reiste Z. Si. als Passagier eines Linienflugzeugs von Athen nach Rom. Im Auftrag des Angeklagten fuhr der gesondert Verfolgte H. den Z. Si. sodann am 25. Juli 2012 mit dem Pkw über die Schweiz nach Deutschland. Kurz nach dem Grenzübertritt bei Weil am Rhein wurde das Fahrzeug einer Polizeikontrolle unterzogen. Hierbei wies sich Z. Si. mit einem verfälschten ägyptischen Reisepass und der gestohlenen griechischen Aufenthaltserlaubnis aus, die er in Athen erhalten hatte. Im Anschluss an die polizeiliche Feststellung stellte er einen „Asylantrag“ (Fall 2 b) aa) (e) der Urteilsgründe).
8
6. Im Juli 2012 übernahm der Angeklagte für einen Schleuserlohn von 5.500 Euro die Organisation der Weiterreise des zuvor von Unbekannten über die Türkei nach Griechenland eingeschleusten Y. in die Bundesrepublik Deutschland. In der Folge vermittelte er Y. eine Unterkunft in Athen, versorgte ihn mit den benötigten Informationen und leitete ein Passbild für die Anfertigung eines gefälschten Ausweises an Mittäter weiter. Am 26. Juli 2012 wurde Y. von Mittätern des Angeklagten zum Flughafengebracht und mit einem gefälschten ägyptischen Reisepass sowie einer gestohlenen griechischen Aufenthaltserlaubnis versehen. Anschließend reiste er mit einem Linienflug nach Rom. Noch am selben Tag wurde er von dem gesondert Verfolgten H. im Auftrag des Angeklagten über die Schweiz nach Deutschland gebracht. Bei einer nach seiner Einreise über die schweizerischdeutsche Grenze durchgeführten Kontrolle durch eine Streife der Bundespolizei auf der Tankanlage Bremgarten/Hartheim an der Bundesautobahn A 5 wies sich Y. mit dem verfälschten ägyptischen Reisepass und der gestoh- lenen griechischen Aufenthaltserlaubnis aus. Im Anschluss an die polizeiliche Feststellung stellte er einen „Asylantrag“ (Fall 2 b) aa) (f) der Urteilsgründe).

II.


9
Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
10
1. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte in sechs Fällen anderen unter Verwirklichung von Schleusermerkmalen gewerbsmäßig dazu Hilfe geleistet hat, unerlaubt in das Bundesgebiet einzureisen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) und deshalb wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in sechs Fällen nach § 96 Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, § 53 StGB strafbar ist.
11
a) Alle von dem Angeklagten unterstützten syrischen Staatsbürger – auch die Minderjährigen (vgl. dazu BayObLG, NStZ-RR 2003, 275, 276) – sind ohne den nach § 3 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Pass und ohne den nach § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel (Sichtvermerk) in das Bundesgebiet eingereist. Ihre Einreise war damit unerlaubt im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG.
12
b) Soweit die von dem Angeklagten unterstützten syrischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland um Asyl nachgesucht haben, steht Art. 16a Abs. 1 GG dieser Bewertung nicht entgegen. Denn die Asylbewerber sind jeweils nicht unmittelbar aus dem Verfolgerstaat (Syrien), sondern aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (Frankreich, Griechenland) oder aus der Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und konnten sich schon deshalb nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf das Asylgrundrecht berufen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 2. März 2010 – 4 Ss 1558/09, juris, Rn. 9 m. Anm. Senge, jurisPR-StrafR 20/2010 Anm. 2; OLG Köln, NStZ-RR 2004, 24 f.; BayObLG, BayObLGSt 1998, 172, 173; BVerwG, NVwZ 1992, 682, 684; NVwZ 1984, 591; Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 183 ff.; Stoppa in: Huber, AufenthG § 95 Rn. 354 mwN).
13
c) Dies gilt auch für die auf dem Luftweg unmittelbar aus Griechenland eingereisten Asylbewerber S. (Fall 2 b) aa) (b) der Urteilsgründe ), B. I. und A. J. (Fall 2 b) aa) (c) der Urteilsgründe).
14
aa) Nach dem vom verfassungsändernden Gesetzgeber in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG gewählten Konzept der sicheren Drittstaaten ist der persönliche Geltungsbereich des in Art. 16a Abs. 1 GG gewährten Asylgrundrechts auf Ausländer beschränkt, die nicht aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat eingereist sind, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S. 560) – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – vom 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S. 953) sichergestellt ist. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften hat der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG selbst zu sicheren Drittstaaten bestimmt. Aus der Entstehungsgeschichte der Norm wie auch aus der Zielsetzung , die der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Drittstaatenregelung verfolgt, ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten unmittelbar kraft Verfassung sichere Drittstaaten sind. Der zweite Halbsatz in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG („... in dem die Anwendung ... sichergestellt ist“) bezieht sich ausschließlich auf „den anderen Drittstaat“, mithin auf Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Ausländer in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften generell Schutz vor politischer Verfolgung und vor Weiterschiebung in einen Staat finden kann, in dem ihm politische Verfolgung oder sonstige menschenrechtswidrige Behandlung oder Bestrafung droht; nur für andere Staaten ist diese Annahme noch von der vorgängigen Prüfung abhängig, ob dort ein Schutz entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährt wird (BVerfGE 94, 49, Rn. 159; vgl. BT-Drucks. 12/4152, S. 4). Auch für Griechenland als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ergibt sich damit der Status eines sicheren Drittstaates unmittelbar aus der Verfassung.
15
bb) Der Umstand, dass zur Tatzeit keine Rücküberstellungen nach Griechenland gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II – VO) erfolgen durften, weil dort eine Umsetzung der Schutzmechanismen für Flüchtlinge entsprechend den Standards der Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr gewährleistet war (vgl. EGMR (GK), NVwZ 2011, 413 [Verstoß gegen Art. 3 und 13 EMRK]; EuGH, NVwZ 2012, 417; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 29; NVwZ 2010, 318; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2010 – V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, Rn. 26; BVerwG, EZAR NF 65 Nr. 14, S. 3; Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 409) und Deutschland deshalb in Bezug auf aus Griechenland eingereiste Asylbewerber von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II – VO Gebrauch gemacht hat, steht dem nicht entgegen (a.A. Schott-Mehring, ZAR 2014, 142, 146 ff.; Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 187 f.). Auch wenn Griechenland vor diesem Hintergrund zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Schleusungen nicht mehr uneinge- schränkt als „sicherer Drittstaat“ im asylverfahrensrechtlichen Sinn einzuordnen war (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 29), hat sich dadurch die verfassungsrechtliche Ausgangslage nicht verändert.
16
cc) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die einer Rücküberstellung entgegenstehenden Defizite im griechischen Asylverfahren und das generelle Ausüben des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II – VO dazu geführt haben, dass die eingeschleusten Ausländer trotz ihres zwischenzeit- lichen Aufenthalts in Griechenland als „Flüchtling“ im Sinne von § 95 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 GFK einzustufen sind (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 29; siehe auch OLG Köln, NStZ-RR 2004, 24). Zwar geht ein Flüchtling seines Schutzes durch Art. 31 Abs. 1 GFK grundsätzlich nicht schon dadurch verlustig, dass er aus einem Drittstaat einreist und nicht direkt aus dem Herkunftsstaat, sofern er diesen Drittstaat nur als „Durchgangsland“ nutzt und sich der Aufenthalt in diesem nicht schuldhaft verzögert (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 31 mwN). Durch den Schutz des Art. 31 Abs. 1 GFK entstünde aber lediglich ein den Asylsuchenden betreffender persönlicher Strafaufhebungsgrund , der das bereits verwirklichte Unrecht der unerlaubten Einreise unberührt ließe und deshalb auf die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 1 AufenthG ohne Einfluss wäre (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 22; BGH, Beschluss vom 25. März 1999 – 1 StR 344/98, NStZ 1999, 409 zu § 92 Abs. 4 AuslG; Senge in Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 195. Ergänzungslieferung 2013, § 95 AufenthG Rn. 68; Gericke in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 118).
17
d) Der Umstand, dass gegen die noch im Ankunftsbereich der Flughäfen Frankfurt und München von der Bundespolizei kontrollierten syrischen Staats- angehörigen S. (Fall 2 b) aa) (b) der Urteilsgründe), B. I. und A. J. (Fall 2 b) aa) (c) der Urteilsgründe) keine Maßnahmen nach § 18 AsylVfG eingeleitet worden sind, steht der Annahme einer unerlaubten Einreise nicht entgegen.
18
aa) Eine grenzpolizeiliche Einreisegestattung zur Durchführung des Asylverfahrens nach § 18 Abs. 1 AsylVfG, der als Sondertatbestand die allgemeinen Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes über die Anforderungen an eine erlaubte Einreise (§ 14 AufenthG) modifiziert (vgl. BeckOK-AuslR/Hohoff, 6. Edition, AufenthG, § 95 Rn. 33; Winkelmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 53), liegt nicht vor, weil die angeführten Asylbewerber im Zeitpunkt der Kontrolle durch die Beamten der Bundespolizei bereits eingereist waren.
19
(1) Der Begriff der Einreise bestimmt sich nach der Verordnung (EG) 562/2006 vom 15. März 2006 (Schengener Grenzkodex), die im Rahmen ihres Geltungsbereiches der nationalen Regelung in § 13 AufenthG vorgeht. Nach Art. 20 Schengener Grenzkodex dürfen Binnengrenzen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden. Der damit verbundene Wegfall jedweder Grenzübergangskontrolle und der Abbau aller Grenzübergangsstellen führt dazu , dass sich der Grenzübertritt nicht mehr nach § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, sondern nach § 13 Abs. 2 Satz 3 AufenthG richtet. Ein Ausländer ist daher an einer Binnengrenze bereits dann eingereist, wenn er die Grenzlinie (physisch) überschritten und das Hoheitsgebiet des Zielstaates betreten hat (vgl. BeckOKAuslR /Dollinger, 6. Edition, AufenthG, § 13 Rn. 9; Fränkel in HK-AuslR, § 13 AufenthG Rn. 20; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 2014, § 13 AufenthG Rn. 18; Ritter, ZAR 2000, 69; Westphal/Stoppa, NJW 1999, 2137, 2138). Reist der Ausländer mit einem Binnenflug (Art. 2 Nr. 3 Schengener Grenzkodex) ein, gilt nach Art. 2 Nr. 1b Schengener Grenzkodex der „Flughafen“ als Binnengrenze. Dies hat zur Folge, dass der für die Vollendung der Einreise maßgebliche (physische) Grenzübertritt nicht schon mit dem Überfliegen der (geografischen ) Grenzlinie stattfindet (so aber Stoppa in Huber, Aufenthaltsgesetz, § 95 Rn. 117), sondern erst mit dem Betreten des Hoheitsgebietes des Zielstaates am Flughafen erfolgt (vgl. OLG München, EZAR NF 57 Nr. 10; GK-Aufenthaltsgesetz /Mosbacher, § 95 Rn. 99). Nicht erforderlich ist es hingegen, dass der Passagier eines Binnenfluges (vgl. Art. 2 Nr. 3 Schengener Grenzkodex) auch schon in den öffentlichen Bereich des Flughafengeländes gelangt ist oder den Flughafenbereich verlassen hat. Beide Gesichtspunkte knüpfen an die in § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG geregelte Grenzsituation an und setzen voraus, dass der Flughafen eine Grenzübergangsstelle ist, an der Grenzübertrittskontrollen stattfinden (vgl. Westphal in Huber, Aufenthaltsgesetz, § 13 Rn. 17). Dies ist aber nur bei ankommenden Flügen aus Drittstaaten der Fall, bei denen der Flughafen als Außengrenze gilt (Art. 2 Nr. 2 iVm Art. 2 Nr. 1b Schengener Grenzkodex) und Grenzübergangsstelle (Art. 2 Nr. 8 Schengener Grenzkodex) ist, nicht aber bei Binnenflügen (zur notwendigen Trennung der Passagierströme aus ankommenden Binnenflügen und Flügen aus Drittstaaten vgl. Anhang VI Nr. 2.1.1 zum Schengener Grenzkodex; Nanz, ZAR 1994, 99, 101; Haas, Die Schengener Abkommen und ihre strafprozessualen Implikationen, 2001, S. 52 f.).
20
(2) Danach hatten S. , B. I. und A. J. den Tatbestand der unerlaubten Einreise im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG bereits vollständig verwirklicht, als sie im nichtöffentlichen Bereich der Flughäfen in Frankfurt/Main und München von Bundespolizeibeamten angetroffen wurden und erstmals ein Asylersuchen anbrachten.
21
bb) Der Umstand, dass die Beamten der Bundespolizei keine Zurückschiebung nach § 18 Abs. 3 iVm Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG, § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) veranlasst haben, hat den aufgrund ihrer Einreise aus einem sicheren Drittstaat von der grundrechtlichen Asylgewährung nach Art. 16a Abs. 2 GG ausgeschlossenen Ausländern zwar nach § 26a Abs. 1 Satz 3 iVm § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylVfG einen einfachgesetzlichen Zugang zum Asylrecht eröffnet (vgl. Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 26a AsylVfG Rn. 10; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 195. Ergänzungslieferung 2013, § 26a AsylVfG Rn. 8; Schmidt-Sommerfeld in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 26a AsylVfG Rn. 2). An der zu diesem Zeitpunkt bereits vollendeten unerlaubten Einreise ändert dies aber nichts (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 6. Mai 2010 – V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1510 Rn. 8).
22
2. Die weitere Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin

(1) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen anderen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet, eine Handlung

1.
nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a zu begehen und
a)
dafür einen Vorteil erhält oder sich versprechen lässt oder
b)
wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt oder
2.
nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2, Abs. 1a oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b oder Nr. 2 zu begehen und dafür einen Vermögensvorteil erhält oder sich versprechen lässt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1

1.
gewerbsmäßig handelt,
2.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, handelt,
3.
eine Schusswaffe bei sich führt, wenn sich die Tat auf eine Handlung nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a bezieht,
4.
eine andere Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden, wenn sich die Tat auf eine Handlung nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a bezieht, oder
5.
den Geschleusten einer das Leben gefährdenden, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt.
Ebenso wird bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 Buchstabe a zugunsten eines minderjährigen ledigen Ausländers handelt, der ohne Begleitung einer personensorgeberechtigten Person oder einer dritten Person, die die Fürsorge oder Obhut für ihn übernommen hat, in das Bundesgebiet einreist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2 und 5 und Absatz 3 sind auf Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder eines Schengen-Staates anzuwenden, wenn

1.
sie den in § 95 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 oder Abs. 2 Nr. 1 bezeichneten Handlungen entsprechen und
2.
der Täter einen Ausländer unterstützt, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzt.

(5) § 74a des Strafgesetzbuchs ist anzuwenden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Die sogenannte Rückführungsrichtlinie steht der Strafbarkeit
des „Schleusers“ nach § 96 AufenthG nicht entgegen.
BGH, Urteil vom 8. März 2017 – 5 StR 333/16
LG Hamburg –
ECLI:DE:BGH:2017:080317U5STR333.16.0
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 333/16
vom 8. März 2017 in der Strafsache gegen

1.



2.



3.



wegen des Verdachts des Einschleusens von Ausländern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:080317U5STR333.16.0
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. März 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer, Richter Prof. Dr. Sander, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Berger, Richter Prof. Dr. Mosbacher als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt V. als Verteidiger der Angeklagten R. ,
Rechtsanwältin H. als Verteidigerin des Angeklagten B. ,
Rechtsanwältin Vo. als Verteidigerin der Angeklagten Ri. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. April 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagten aus rechtlichen Gründen vom Vor1 wurf des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 96 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf Sachbeanstandungen gestützten Revisionen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


1. Den Angeklagten wird vorgeworfen, in der Zeit vom 22. Mai 2013 bis
2
zum 13. Juni 2014 in insgesamt 14 Fällen den Tatbestand des (gewerbsmäßig begangenen) Einschleusens von Ausländern verwirklicht zu haben. Sie sollen in Venezuela dortige Staatsangehörige für die Ausübung der Prostitution in Deutschland angeworben haben. Die Angeworbenen, die über gültige Pässe verfügt hätten, seien nach Angabe eines touristischen Reisezwecks visumsfrei eingereist und hier unter Beteiligung der Angeklagten der Prostitution nachgegangen. Sie hätten sich jeweils nicht länger als drei Monate im Gebiet der Schengen-Staaten aufgehalten. Die Angeklagten R. und Ri. hätten dabei die Anwerbungen durchgeführt und den Prostituierten in Deutschland gegen Bezahlung Wohnungen bzw. ein Lokal zur Prostitutionsausübung zur Verfügung gestellt. Der Angeklagte B. habe ihnen Freier vermittelt und Prostitutionserlöse eingefordert sowie vereinnahmt. Er habe zudem in einem Fall – wie auch mehrfach die Angeklagte R. – bei der Einreise geholfen.
2. Das Landgericht hat den Sachverhalt im Wesentlichen so festgestellt,
3
wie er in der Anklageschrift geschildert ist. Danach war den AngeklagtenR. und Ri. insbesondere bewusst, dass die Angeworbenen mit dem Ziel der Aufnahme der Prostitution visumsfrei als Touristen eingereist wa- ren und „nicht über einen Aufenthaltstitel oder eine Arbeitserlaubnis“ verfügten. Eine diesbezügliche Kenntnis des Angeklagten B. hat das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt.
3. Das Landgericht hat den Straftatbestand des § 96 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
4
Nr. 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen nicht als erfüllt angesehen. Einer Strafbarkeit der Angeklagten stehe entgegen, dass das Verhalten der eingereisten Venezolaner bei europarechtskonformer Auslegung unter Berücksichtigung der sogenannten Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008, S. 98) nicht strafbar sei. Es fehle damit an der für die Strafbarkeit der Angeklagten vorausgesetzten „akzessorischen Haupttat“.

II.


Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Die Freisprüche
5
halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Annahme des Landgerichts, das Verhalten der Angeklagten erfülle
6
nicht den Tatbestand des § 96 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, weil es an einer für die Strafbarkeit erforderlichen „Haupttat“ fehle, begegnet durchgreifenden Bedenken.

a) Durch § 96 Abs. 1 AufenthG werden nach allgemeinen Regeln strafba7 re Teilnahmehandlungen an den dort in Bezug genommenen (Haupt-)Taten bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen als selbständige täterschaftlich begangene Taten unter Strafe gestellt. Trotz dieser Verselbständigung gelten für die Tathandlungen des § 96 Abs. 1 AufenthG die allgemeinen Regeln der Teilnahme einschließlich des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät; die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift setzt daher lediglich eine vorsätzliche und rechtswidrige, nicht notwendig jedoch auch mit Strafe zu ahndende Haupttat des Geschleusten voraus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2015 – 2 StR 389/13, NJW 2016, 419, 420; vom 13. Januar 2015 – 4 StR 378/14, NStZ 2015, 399, 400 f.; MüKo-StGB/Gericke, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 2 f.; Mosbacher in Ignor/Mosbacher, Hdb. ArbeitsstrafR, 3. Aufl., § 4 Rn. 243, 272; NK-AuslR/Fahlbusch, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 11 ff.).

b) Die festgestellten Haupttaten entsprechen diesen Anforderungen.
8
9
Denn mit Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfiel für die zuvor visumsfrei als vorgebliche Touristen eingereisten, ersichtlich auch insofern vorsätzlich handelnden Venezolaner als „Positivstaater“ die Befreiung vom Erfordernis ei- nes Aufenthaltstitels (§ 17 Abs. 1 AufenthV i.V.m. Art. 1 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Anhang II der EG-VisaVO vom 15. März 2001, ABl. L 81 vom 21. März 2001, S. 1). Damit waren sie ab diesem Zeitpunkt vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Variante 1 AufenthG; vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2012 – 4 StR 142/12, NStZ 2013, 481; MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 95 AufenthG Rn. 36 ff.; Mosbacher, aaO, § 4 Rn. 191). Dieser Pflicht kamen sie nicht nach. Vielmehr hielten sie sich weiterhin – nunmehr unerlaubt – in Deutschland auf und gingen der Prostitution nach.

c) Entgegen der Ansicht des Landgerichts scheitert eine Verurteilung der
10
Angeklagten nicht an einer etwaigen, sich aus dem Vorrang des Rückführungsverfahrens ergebenden Straflosigkeit der „Haupttäter“.
aa) In Rechtsprechung und Literatur wird allerdings unter Verweis auf
11
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH [Große Kammer], EuGRZ 2011, 687; EuGH [1. Kammer], InfAuslR 2011, 320 Rn. 53 ff.) die Auffassung vertreten, dass der in der Rückführungsrichtlinie normierte absolute Vorrang des Rückführungsverfahrens eine Bestrafung illegal aufhältiger Personen nach § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausschließe, wenn ein behördliches Rückführungsverfahren noch nicht endgültig beendet sei und sich der Ausreisepflichtige diesem Verfahren nicht entzogen habe (vgl. HansOLG Hamburg, OLGSt AufenthG § 95 Nr. 5; KG, NStZ-RR 2012, 347; MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 95 AufenthG Rn. 29 f.; BeckOK-AuslR/Hohoff, 12. Ed., § 95 AufenthG Rn. 27; noch weitergehend Hörich/Bergmann NJW 2012, 3339).
12
bb) Der Senat kann dahingestellt lassen, ob dieser Rechtsansicht uneingeschränkt zu folgen ist. Denn auch auf ihrer Grundlage sind die in § 96 AufenthG bezeichneten „Schleusungstatbestände“ hier vollständig verwirklicht.
(1) Hinsichtlich der Fälle 1 und 2 ist der Freispruch der Angeklagten be13 reits deswegen rechtsfehlerhaft, weil die Ausreisepflichtigen inzwischen freiwillig ausgereist sind. Nach vollzogener Ausreise kann aber kein Vorrang des Rückführungsverfahrens (mehr) gegeben sein.
(2) Die Annahme des Landgerichts, der Vorrang des Rückführungsver14 fahrens schließe in allen abgeurteilten Fällen die Tatbestandsmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit der „Haupttaten“ aus und führe damit zur Straflosigkeit (auch) der Angeklagten, trifft nicht zu.
(a) Die Rückführungsrichtlinie will ein harmonisiertes und effizientes Ver15 fahren zur Rückführung sich illegal in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhaltender „Drittstaatsangehöriger“ gewährleisten und eine mögliche Beeinträchtigung ihrer praktischen Wirksamkeit ausschließen; eine Strafhaft wegen unerlaubten Aufenthalts ist dabei nach Meinung des EuGH grundsätzlich geeignet, das Rückkehrverfahren scheitern zu lassen bzw. zu verzögern (vgl. zuletzt EuGH [Große Kammer], InfAuslR 2016, 269 Rn. 63 mwN). Dementsprechend soll eine Freiheitsstrafe nicht allein deshalb verhängt werden, weil sich ein „Drittstaatsangehöriger“ illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, nachdem ihm eine Anordnung zum Verlassen des Staatsgebiets bekannt gegeben worden und die darin gesetzte Frist abgelaufen ist (vgl. EuGH [1. Kammer], InfAuslR 2011, 320 Rn. 58).
16
(b) Die Rückführungsrichtlinie und das auf ihrer Grundlage durchgeführte Rückführungsverfahren machen indes das mit einem unerlaubten Aufenthalt verbundene Unrecht nicht ungeschehen. Den zuständigen Behörden wird lediglich ein Verfahren vorgegeben, um den unerlaubten Aufenthalt bei Vorliegen der dort geregelten Maßgaben schnellstmöglich zu beenden. Davon ausgehend spricht nichts dafür, dass es unionsrechtlich geboten sein könnte, Fallkonstellationen wie die gegenständlichen als nach nationalem Strafrecht nicht tatbestandsmäßig oder nicht rechtswidrig anzusehen. Hinzu kommt, dass sich die Rechtsprechung des EuGH ausdrücklich nur gegen die Verhängung bzw. den Vollzug von Freiheitsstrafe wendet, der die Gefahr der Beeinträchtigung des Rückführungsverfahrens innewohnt (vgl. auch MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 95 AufenthG Rn. 30 mwN), nicht dagegen aber gegen die Durchführung des Strafverfahrens als solchem. Auch daraus wird ersichtlich, dass durch die vom EuGH angestellten Erwägungen, die sich auf einer praktischen Ebene bewegen , nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des illegalen Aufenthalts in Frage gestellt werden.
Darüber hinaus stehen Rückführungsrichtlinie und -verfahren in keinerlei
17
Zusammenhang mit dem Unrecht des „Schleusers“ oder sonstigen Hintermanns des unerlaubten Aufenthalts. Schon nach ihrem eindeutigen Wortlaut findet die Rückführungsrichtlinie lediglich Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige, nicht auf deren Schleuser (Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 2008/115/EG). Es besteht insoweit sogar die in mehreren europarechtlichen Instrumenten verankerte gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung, Anstiftung und Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt wirksam zu sanktionieren (Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 Buchst. a des Rahmenbeschlusses 2002/946/JI; Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2002/90, ABl. L 328 vom 5. Dezember 2002, S. 1, 17; hierzu EuGH, NJW 2012, 1641, 1642 Rn. 43 ff. nach Vor- abentscheidungsersuchen in BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2012 – 5 StR 351/11, NJW 2012, 1669, 1670 f. Rn. 17; vom 8. Februar 2012 – 5 StR 567/11,BGHR AEUV Art. 267 Abs. 4 Inhaftierung 1). Sie könnte nicht erfüllt werden, wenn die hier betroffenen „Schleusungstatbestände“ aufgrund des Fehlens einer rechtswidrigen Haupttat in einem beträchtlichen Umfang leerlaufen würden (vgl. EuGH aaO; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – 5 StR 351/11, aaO).
Danach kann aus dem Vorrang des Rückführungsverfahrens – ungeach18 tet der exakten rechtlichen Konstruktion – allenfalls die persönliche Straflosigkeit der illegal Aufhältigen bzw. ein diesbezügliches (partielles) Bestrafungsverbot hergeleitet werden (vgl. zur Einordnung als persönlicher Strafaufhebungsgrund : MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 95 AufenthG Rn. 30 aE; BeckOKAuslR /Hohoff, aaO, § 95 AufenthG Rn. 27 aE). Da hiervon weder die Tatbestands - noch die Rechtswidrigkeitsebene tangiert ist, verbleibt es nach den Grundsätzen der limitierten Akzessorietät bei der Strafbarkeit des „Schleusers“ (zu Art. 31 Genfer Flüchtlingskonvention BGH, Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 344/98, NStZ 1999, 409; Beschluss vom 12. September 2002 – 4 StR 163/02, NJW 2002, 3642, 3643; MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 96 AufenthG Rn. 3; Mosbacher, aaO, § 4 Rn. 243). Anders als das Landgericht meint, bedarf es im Zuge der vorgenommenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung.
2. Das angefochtene Urteil führt hinsichtlich des Angeklagten B.
19
beweiswürdigend aus, es sei nicht festzustellen gewesen, ob dieser Angeklagte dem Angeworbenen L. R. für die Einreise 1.000 € als „Vorzeigegeld“ zur Verfügung gestellt habe (UA S. 25 f.). Der Senat geht nicht davon aus, dass hiermit den Freispruch zusätzlich tragend ein vorsätzliches Handeln des Ange- klagten insgesamt in Frage gestellt werden sollte (vgl. zur „Motivation“ des Angeworbenen durch den Angeklagten UA S. 23 und zur Vereinnahmung des Prostitutionserlöses im Fall 10 UA S. 10, 12).
3. Der Senat hebt das Urteil mit den an sich rechtsfehlerfrei getroffenen
20
Feststellungen auf, weil die freigesprochenen Angeklagten keine Möglichkeit hatten, die Feststellungen mit einer Revision anzugreifen. Eines vorherigen Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV bedarf es nicht, denn die Rechtsfrage ist eindeutig und zweifelsfrei zu beantworten („acte claire“, vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27. Juni 2016 – 1 StR 19/16 mwN).
4. Angesichts dessen kommt es nicht mehr darauf an, ob der Freispruch
21
der Angeklagten trotz der Beschränkung gemäß § 154a StPO schon deshalb keinen Bestand haben kann, weil das Landgericht, das vor einer solchen Entscheidung zur Wiedereinbeziehung ausgeschiedener Straftatbestände verpflichtet gewesen wäre, das festgestellte Geschehen nicht in Bezug auf Verstöße gegen Straf- und Bußgeldvorschriften geprüft hat, die eine illegale Beschäftigung und Beauftragung von Ausländern oder die Teilnahme an deren illegaler Erwerbstätigkeit sanktionieren (vgl. § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III, §§ 10 ff. SchwarzArbG, § 98 Abs. 2a, Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, hierzu insgesamt Mosbacher , aaO, § 4 Rn. 1 ff.).
Mutzbauer Sander König
Berger Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 178/14
vom
26. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
15. Januar 2015 in der Sitzung am 26. Februar 2015, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin – in der Verhandlung –
als Verteidigerin,
Justizangestellte – in der Verhandlung –,
Justizangestellte – bei der Verkündung –
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 16. Dezember 2013 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts unterstützte der Angeklagte zusammen mit unbekannt gebliebenen Mittätern sich in Griechenland aufhaltende syrische Staatsangehörige bei der Weiterreise in ihre eigentlichen Zielländer (unter anderem die Bundesrepublik Deutschland). Die syrischen Staats- angehörigen waren zuvor ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel „illegal“ über die Türkei nach Griechenland eingereist, hatten dort keinen Asylantrag gestellt und versuchten, sich bis zu ihrer angestrebten Weiterreise in Griechenland ohne Kenntnis der dortigen Behörden aufzuhalten. Für die Schleusung handelte er mit den Schleusungswilligen oder deren Angehörigen einen Gesamtpreis aus, der durchschnittlich mehrere Tausend Euro pro Person betrug. Durch den erwarteten finanziellen Gewinn aus seiner wiederholten Schleusertätigkeit wollte der Angeklagte seinen Lebensunterhalt bestreiten. Keiner der syrischen Staatsangehörigen verfügte über einen gültigen Pass oder einen für die Einreise nach Deutschland erforderlichen Aufenthaltstitel.
3
1. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt Ende März/Anfang April 2012 sagte der Angeklagte dem syrischen Staatsangehörigen Z. C. in Athen für einen Schleuserlohn in Höhe von 4.000 Euro pro Person zu, ihn und seine Familie bei der Weiterreise in die Bundesrepublik Deutschland zu unterstützen. In der Folge quartierte er die Familie in einer von ihm angemieteten Wohnung in Athen ein und verschaffte ihnen über Mittäter gefälschte Ausweise. Ende April 2012 wurden zunächst die Ehefrau und die vier Kinder des Z. C. auf dem Luftweg nach Frankreich verbracht und anschließend von dort aus im Auftrag des Angeklagten mit dem Pkw nach Deutschland eingeschleust. Z. C. reiste Anfang Mai 2012 in die Schweiz. Von dort verbrachte ihn ein von dem Angeklagten beauftragter Mittäter mit dem Pkw über die deutsche Grenze. Sämtliche Mitglieder der Familie des Z. C. haben „mittlerweile“ Asylanträge in Deutschland gestellt (Fall 2 b) aa) (a) der Urteilsgründe).
4
2. Ende April oder Anfang Mai 2012 unterstützte der Angeklagte für einen Schleuserlohn von insgesamt 5.000 Euro die Einreise des syrischen Staatsangehörigen S. , indem er ihm Unterkunft in einer seiner zu diesem Zweck angemieteten Wohnungen verschaffte und über Mittäter mit einem gefälschten ägyptischen Reisepass und einer gestohlenen griechischen Aufenthaltserlaubnis versorgte. Am 26. Mai 2012 reiste S. mit einem Linienflug von Athen nach München. Als er im Ankunftsbereich des Flughafengebäudes von Bundespolizisten angetroffen und kontrolliert wurde, wies er sich mit dem verfälschten Reisepass und der gestohlenen Aufenthaltserlaubnis aus.
Weitere Ausweispapiere führte er nicht mit. Im Anschluss an die polizeiliche Feststellung stellte er Asylantrag (Fall 2 b) aa) (b) der Urteilsgründe).
5
3. Im Mai 2012 unterstützte der Angeklagte für einen Schleuserlohn von insgesamt 10.000 Euro im Auftrag des in Deutschland lebenden M. A. die Weiterreise der bereits nach Griechenland eingeschleusten syrischen Staatsangehörigen B. I. und A. J. , indem er sie in Athen in seinen Wohnungen unterbrachte, mit den erforderlichen Informationen versorgte und sie dazu veranlasste, Lichtbilder für von Mittätern zu fälschende Ausweise anzufertigen. Am 6. Juni 2012 reisten beide mit einem Linienflug von Athen nach Frankfurt (Main), wo sie im Ankunftsbereich des Flughafens von Bundespolizisten angetroffen und kontrolliert wurden. Beide führten keine Ausweispa- piere mit sich. „Zwischenzeitlich“ haben sie in der Bundesrepublik Deutschland jeweils einen Asylantrag gestellt (Fall 2 b) aa) (c) der Urteilsgründe).
6
4. Anfang Juni 2012 reiste der nicht näher identifizierte syrische Staatsangehörige „O. “ mit einem Linienflug von Griechenland aus in die Schweiz und wurde am 9. Juni 2012 durch den gesondert Verfolgten H. im Auftrag des Angeklagten mit dem Pkw von Basel nach Freiburg verbracht. Dabei führte O. keine Ausweisdokumente bei sich (Fall 2 b) aa) (d) der Urteilsgründe ).
7
5. Im Mai/Juni 2012 unterstützte der Angeklagte für einen in der Höhe nicht feststellbaren Schleuserlohn den syrischen Staatsangehörigen Z. Si. und dessen Familie bei der Weiterreise in die Bundesrepublik Deutschland, indem er sie in Athen in verschiedenen Wohnungen unterbrachte. Außerdem wurden von Mittätern des Angeklagten gefälschte Pässe beigebracht und Z. Si. mit einer gestohlenen griechischen Aufenthaltserlaubnis ver- sorgt. Die Ehefrau und die Kinder des Z. Si. reisten in der Folge mit den gefälschten Pässen auf dem Luftweg nach Frankreich und wurden von dort aus mit dem Pkw in das Bundesgebiet geschleust. Am 24. Juli 2012 reiste Z. Si. als Passagier eines Linienflugzeugs von Athen nach Rom. Im Auftrag des Angeklagten fuhr der gesondert Verfolgte H. den Z. Si. sodann am 25. Juli 2012 mit dem Pkw über die Schweiz nach Deutschland. Kurz nach dem Grenzübertritt bei Weil am Rhein wurde das Fahrzeug einer Polizeikontrolle unterzogen. Hierbei wies sich Z. Si. mit einem verfälschten ägyptischen Reisepass und der gestohlenen griechischen Aufenthaltserlaubnis aus, die er in Athen erhalten hatte. Im Anschluss an die polizeiliche Feststellung stellte er einen „Asylantrag“ (Fall 2 b) aa) (e) der Urteilsgründe).
8
6. Im Juli 2012 übernahm der Angeklagte für einen Schleuserlohn von 5.500 Euro die Organisation der Weiterreise des zuvor von Unbekannten über die Türkei nach Griechenland eingeschleusten Y. in die Bundesrepublik Deutschland. In der Folge vermittelte er Y. eine Unterkunft in Athen, versorgte ihn mit den benötigten Informationen und leitete ein Passbild für die Anfertigung eines gefälschten Ausweises an Mittäter weiter. Am 26. Juli 2012 wurde Y. von Mittätern des Angeklagten zum Flughafengebracht und mit einem gefälschten ägyptischen Reisepass sowie einer gestohlenen griechischen Aufenthaltserlaubnis versehen. Anschließend reiste er mit einem Linienflug nach Rom. Noch am selben Tag wurde er von dem gesondert Verfolgten H. im Auftrag des Angeklagten über die Schweiz nach Deutschland gebracht. Bei einer nach seiner Einreise über die schweizerischdeutsche Grenze durchgeführten Kontrolle durch eine Streife der Bundespolizei auf der Tankanlage Bremgarten/Hartheim an der Bundesautobahn A 5 wies sich Y. mit dem verfälschten ägyptischen Reisepass und der gestoh- lenen griechischen Aufenthaltserlaubnis aus. Im Anschluss an die polizeiliche Feststellung stellte er einen „Asylantrag“ (Fall 2 b) aa) (f) der Urteilsgründe).

II.


9
Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
10
1. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte in sechs Fällen anderen unter Verwirklichung von Schleusermerkmalen gewerbsmäßig dazu Hilfe geleistet hat, unerlaubt in das Bundesgebiet einzureisen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) und deshalb wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in sechs Fällen nach § 96 Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, § 53 StGB strafbar ist.
11
a) Alle von dem Angeklagten unterstützten syrischen Staatsbürger – auch die Minderjährigen (vgl. dazu BayObLG, NStZ-RR 2003, 275, 276) – sind ohne den nach § 3 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Pass und ohne den nach § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel (Sichtvermerk) in das Bundesgebiet eingereist. Ihre Einreise war damit unerlaubt im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG.
12
b) Soweit die von dem Angeklagten unterstützten syrischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland um Asyl nachgesucht haben, steht Art. 16a Abs. 1 GG dieser Bewertung nicht entgegen. Denn die Asylbewerber sind jeweils nicht unmittelbar aus dem Verfolgerstaat (Syrien), sondern aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (Frankreich, Griechenland) oder aus der Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und konnten sich schon deshalb nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf das Asylgrundrecht berufen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 2. März 2010 – 4 Ss 1558/09, juris, Rn. 9 m. Anm. Senge, jurisPR-StrafR 20/2010 Anm. 2; OLG Köln, NStZ-RR 2004, 24 f.; BayObLG, BayObLGSt 1998, 172, 173; BVerwG, NVwZ 1992, 682, 684; NVwZ 1984, 591; Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 183 ff.; Stoppa in: Huber, AufenthG § 95 Rn. 354 mwN).
13
c) Dies gilt auch für die auf dem Luftweg unmittelbar aus Griechenland eingereisten Asylbewerber S. (Fall 2 b) aa) (b) der Urteilsgründe ), B. I. und A. J. (Fall 2 b) aa) (c) der Urteilsgründe).
14
aa) Nach dem vom verfassungsändernden Gesetzgeber in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG gewählten Konzept der sicheren Drittstaaten ist der persönliche Geltungsbereich des in Art. 16a Abs. 1 GG gewährten Asylgrundrechts auf Ausländer beschränkt, die nicht aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat eingereist sind, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S. 560) – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – vom 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S. 953) sichergestellt ist. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften hat der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG selbst zu sicheren Drittstaaten bestimmt. Aus der Entstehungsgeschichte der Norm wie auch aus der Zielsetzung , die der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Drittstaatenregelung verfolgt, ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten unmittelbar kraft Verfassung sichere Drittstaaten sind. Der zweite Halbsatz in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG („... in dem die Anwendung ... sichergestellt ist“) bezieht sich ausschließlich auf „den anderen Drittstaat“, mithin auf Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Ausländer in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften generell Schutz vor politischer Verfolgung und vor Weiterschiebung in einen Staat finden kann, in dem ihm politische Verfolgung oder sonstige menschenrechtswidrige Behandlung oder Bestrafung droht; nur für andere Staaten ist diese Annahme noch von der vorgängigen Prüfung abhängig, ob dort ein Schutz entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährt wird (BVerfGE 94, 49, Rn. 159; vgl. BT-Drucks. 12/4152, S. 4). Auch für Griechenland als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ergibt sich damit der Status eines sicheren Drittstaates unmittelbar aus der Verfassung.
15
bb) Der Umstand, dass zur Tatzeit keine Rücküberstellungen nach Griechenland gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II – VO) erfolgen durften, weil dort eine Umsetzung der Schutzmechanismen für Flüchtlinge entsprechend den Standards der Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr gewährleistet war (vgl. EGMR (GK), NVwZ 2011, 413 [Verstoß gegen Art. 3 und 13 EMRK]; EuGH, NVwZ 2012, 417; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 29; NVwZ 2010, 318; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2010 – V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, Rn. 26; BVerwG, EZAR NF 65 Nr. 14, S. 3; Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 409) und Deutschland deshalb in Bezug auf aus Griechenland eingereiste Asylbewerber von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II – VO Gebrauch gemacht hat, steht dem nicht entgegen (a.A. Schott-Mehring, ZAR 2014, 142, 146 ff.; Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 187 f.). Auch wenn Griechenland vor diesem Hintergrund zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Schleusungen nicht mehr uneinge- schränkt als „sicherer Drittstaat“ im asylverfahrensrechtlichen Sinn einzuordnen war (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 29), hat sich dadurch die verfassungsrechtliche Ausgangslage nicht verändert.
16
cc) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die einer Rücküberstellung entgegenstehenden Defizite im griechischen Asylverfahren und das generelle Ausüben des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II – VO dazu geführt haben, dass die eingeschleusten Ausländer trotz ihres zwischenzeit- lichen Aufenthalts in Griechenland als „Flüchtling“ im Sinne von § 95 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 GFK einzustufen sind (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 29; siehe auch OLG Köln, NStZ-RR 2004, 24). Zwar geht ein Flüchtling seines Schutzes durch Art. 31 Abs. 1 GFK grundsätzlich nicht schon dadurch verlustig, dass er aus einem Drittstaat einreist und nicht direkt aus dem Herkunftsstaat, sofern er diesen Drittstaat nur als „Durchgangsland“ nutzt und sich der Aufenthalt in diesem nicht schuldhaft verzögert (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 31 mwN). Durch den Schutz des Art. 31 Abs. 1 GFK entstünde aber lediglich ein den Asylsuchenden betreffender persönlicher Strafaufhebungsgrund , der das bereits verwirklichte Unrecht der unerlaubten Einreise unberührt ließe und deshalb auf die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 1 AufenthG ohne Einfluss wäre (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BvR 450/11, juris, Rn. 22; BGH, Beschluss vom 25. März 1999 – 1 StR 344/98, NStZ 1999, 409 zu § 92 Abs. 4 AuslG; Senge in Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 195. Ergänzungslieferung 2013, § 95 AufenthG Rn. 68; Gericke in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 118).
17
d) Der Umstand, dass gegen die noch im Ankunftsbereich der Flughäfen Frankfurt und München von der Bundespolizei kontrollierten syrischen Staats- angehörigen S. (Fall 2 b) aa) (b) der Urteilsgründe), B. I. und A. J. (Fall 2 b) aa) (c) der Urteilsgründe) keine Maßnahmen nach § 18 AsylVfG eingeleitet worden sind, steht der Annahme einer unerlaubten Einreise nicht entgegen.
18
aa) Eine grenzpolizeiliche Einreisegestattung zur Durchführung des Asylverfahrens nach § 18 Abs. 1 AsylVfG, der als Sondertatbestand die allgemeinen Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes über die Anforderungen an eine erlaubte Einreise (§ 14 AufenthG) modifiziert (vgl. BeckOK-AuslR/Hohoff, 6. Edition, AufenthG, § 95 Rn. 33; Winkelmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 53), liegt nicht vor, weil die angeführten Asylbewerber im Zeitpunkt der Kontrolle durch die Beamten der Bundespolizei bereits eingereist waren.
19
(1) Der Begriff der Einreise bestimmt sich nach der Verordnung (EG) 562/2006 vom 15. März 2006 (Schengener Grenzkodex), die im Rahmen ihres Geltungsbereiches der nationalen Regelung in § 13 AufenthG vorgeht. Nach Art. 20 Schengener Grenzkodex dürfen Binnengrenzen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden. Der damit verbundene Wegfall jedweder Grenzübergangskontrolle und der Abbau aller Grenzübergangsstellen führt dazu , dass sich der Grenzübertritt nicht mehr nach § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, sondern nach § 13 Abs. 2 Satz 3 AufenthG richtet. Ein Ausländer ist daher an einer Binnengrenze bereits dann eingereist, wenn er die Grenzlinie (physisch) überschritten und das Hoheitsgebiet des Zielstaates betreten hat (vgl. BeckOKAuslR /Dollinger, 6. Edition, AufenthG, § 13 Rn. 9; Fränkel in HK-AuslR, § 13 AufenthG Rn. 20; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 2014, § 13 AufenthG Rn. 18; Ritter, ZAR 2000, 69; Westphal/Stoppa, NJW 1999, 2137, 2138). Reist der Ausländer mit einem Binnenflug (Art. 2 Nr. 3 Schengener Grenzkodex) ein, gilt nach Art. 2 Nr. 1b Schengener Grenzkodex der „Flughafen“ als Binnengrenze. Dies hat zur Folge, dass der für die Vollendung der Einreise maßgebliche (physische) Grenzübertritt nicht schon mit dem Überfliegen der (geografischen ) Grenzlinie stattfindet (so aber Stoppa in Huber, Aufenthaltsgesetz, § 95 Rn. 117), sondern erst mit dem Betreten des Hoheitsgebietes des Zielstaates am Flughafen erfolgt (vgl. OLG München, EZAR NF 57 Nr. 10; GK-Aufenthaltsgesetz /Mosbacher, § 95 Rn. 99). Nicht erforderlich ist es hingegen, dass der Passagier eines Binnenfluges (vgl. Art. 2 Nr. 3 Schengener Grenzkodex) auch schon in den öffentlichen Bereich des Flughafengeländes gelangt ist oder den Flughafenbereich verlassen hat. Beide Gesichtspunkte knüpfen an die in § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG geregelte Grenzsituation an und setzen voraus, dass der Flughafen eine Grenzübergangsstelle ist, an der Grenzübertrittskontrollen stattfinden (vgl. Westphal in Huber, Aufenthaltsgesetz, § 13 Rn. 17). Dies ist aber nur bei ankommenden Flügen aus Drittstaaten der Fall, bei denen der Flughafen als Außengrenze gilt (Art. 2 Nr. 2 iVm Art. 2 Nr. 1b Schengener Grenzkodex) und Grenzübergangsstelle (Art. 2 Nr. 8 Schengener Grenzkodex) ist, nicht aber bei Binnenflügen (zur notwendigen Trennung der Passagierströme aus ankommenden Binnenflügen und Flügen aus Drittstaaten vgl. Anhang VI Nr. 2.1.1 zum Schengener Grenzkodex; Nanz, ZAR 1994, 99, 101; Haas, Die Schengener Abkommen und ihre strafprozessualen Implikationen, 2001, S. 52 f.).
20
(2) Danach hatten S. , B. I. und A. J. den Tatbestand der unerlaubten Einreise im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG bereits vollständig verwirklicht, als sie im nichtöffentlichen Bereich der Flughäfen in Frankfurt/Main und München von Bundespolizeibeamten angetroffen wurden und erstmals ein Asylersuchen anbrachten.
21
bb) Der Umstand, dass die Beamten der Bundespolizei keine Zurückschiebung nach § 18 Abs. 3 iVm Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG, § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) veranlasst haben, hat den aufgrund ihrer Einreise aus einem sicheren Drittstaat von der grundrechtlichen Asylgewährung nach Art. 16a Abs. 2 GG ausgeschlossenen Ausländern zwar nach § 26a Abs. 1 Satz 3 iVm § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylVfG einen einfachgesetzlichen Zugang zum Asylrecht eröffnet (vgl. Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 26a AsylVfG Rn. 10; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 195. Ergänzungslieferung 2013, § 26a AsylVfG Rn. 8; Schmidt-Sommerfeld in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 26a AsylVfG Rn. 2). An der zu diesem Zeitpunkt bereits vollendeten unerlaubten Einreise ändert dies aber nichts (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 6. Mai 2010 – V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1510 Rn. 8).
22
2. Die weitere Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

(1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt.

(2) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würden, kann wegen vorsätzlicher Begehung nur nach dem milderen Gesetz bestraft werden.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

(1) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen anderen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet, eine Handlung

1.
nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a zu begehen und
a)
dafür einen Vorteil erhält oder sich versprechen lässt oder
b)
wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt oder
2.
nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2, Abs. 1a oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b oder Nr. 2 zu begehen und dafür einen Vermögensvorteil erhält oder sich versprechen lässt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1

1.
gewerbsmäßig handelt,
2.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, handelt,
3.
eine Schusswaffe bei sich führt, wenn sich die Tat auf eine Handlung nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a bezieht,
4.
eine andere Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden, wenn sich die Tat auf eine Handlung nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a bezieht, oder
5.
den Geschleusten einer das Leben gefährdenden, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt.
Ebenso wird bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 Buchstabe a zugunsten eines minderjährigen ledigen Ausländers handelt, der ohne Begleitung einer personensorgeberechtigten Person oder einer dritten Person, die die Fürsorge oder Obhut für ihn übernommen hat, in das Bundesgebiet einreist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2 und 5 und Absatz 3 sind auf Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder eines Schengen-Staates anzuwenden, wenn

1.
sie den in § 95 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 oder Abs. 2 Nr. 1 bezeichneten Handlungen entsprechen und
2.
der Täter einen Ausländer unterstützt, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzt.

(5) § 74a des Strafgesetzbuchs ist anzuwenden.

(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.

(2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt oder durch Anrechnung erledigt ist.

(3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere im Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe entspricht ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz. Wird eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung angerechnet, so bestimmt das Gericht den Maßstab nach seinem Ermessen.

(5) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 44 gilt Absatz 1 entsprechend. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

5 StR 170/03

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. Mai 2003
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Mai 2003

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge- richts Göttingen vom 13. November 2002 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jedoch wird die Urteilsformel dahin ergänzt, daß die in dieser Sache in Portugal erlittene Freiheitsentziehung auf die hier verhängte Freiheitsstrafe in der Weise angerechnet wird, daß ein Tag Auslieferungshaft zwei Tagen inländischer Haft entspricht.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e Die Urteilsformel bedarf der Ergänzung hinsichtlich der Anrechnung und des Anrechnungsmaßstabs der in Portugal erlittenen Freiheitsentziehung. Die Entscheidung wirkt – konstitutiv – und muß daher auch in der Urteilsformel ihren Ausdruck finden (vgl. BGHSt 27, 287, 288; BGH, Beschl. vom 12. März 2003 – 5 StR 67/03; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 51 Rdn. 18).
Im Hinblick darauf, daß es sich nur um wenige Tage Auslieferungshaft handelt (bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren), hält der Senat es nicht für geboten, die Sache zur Nachholung der Entscheidung nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB zurückzuverweisen, sondern bestimmt den Maßstab selbst. Eine günstigere Anrechnung als im Verhältnis 1 : 2 hält er für ausgeschlossen (vgl. BGH NStE Nr. 28 zu § 51 StGB).
Harms Häger Gerhardt Brause Schaal

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.