Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2012 - 4 StR 142/12

bei uns veröffentlicht am25.09.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 142/12
vom
25. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. September 2012 gemäß § 46
Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 2. November 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Der Beschluss des Landgerichts Halle vom 28. Februar 2012, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Angeklagte zu tragen. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
a) in den Fällen II. 2 bis II. 4 sowie II. 6 bis II. 11 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und angeordnet, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer die verhängte Freiheitsstrafe in Höhe von vier Monaten als vollstreckt gilt. Ferner hat es eine Verfallsentscheidung getroffen.

I.


2
Dem Angeklagten ist nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da ihn an der Versäumung der Frist kein (Mit-)Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO). Der Beschluss des Landgerichts Halle vom 28. Februar 2012, durch den das Rechtsmittel als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.

II.


3
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.
4
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
1. Von Januar 1998 an betrieb der Angeklagte in H. ein Bordell in dem als Beherbergungsbetrieb ausgelegten Objekt „K. “. Die dort tätigen, vorwiegend aus Kolumbien und Osteuropa stammenden Prostituierten mussten an den Angeklagten ein festes Entgelt als Zimmermiete entrichten und durften im Gegenzug sämtliche Einnahmen behalten. Im Sommer richtete der Angeklagte in dem Nachtclub „D. “ einen weiteren Bordellbetrieb ein, den er gemeinsam mit zwei gesondert verfolgten Mittätern führte. Auch in diesem Betrieb waren Frauen aus Kolumbien und Osteuropa tätig. Ihre Einnahmen hatten sie zur Hälfte an den Angeklagten abzuführen, der sie nach Abzug der Betriebskosten mit seinen Mittätern zu gleichen Teilen aufteilte. Der Angeklagte nahm durch seine regelmäßige Anwesenheit in den beiden Bordellbetrieben und seine dem Personal gegenüber erteilten Weisungen maßgeblichen Einfluss auf den jeweiligen Betriebsablauf. Er entschied insbesondere über die Zimmerbelegung und kümmerte sich um die Getränkeversorgung.
6
Im Tatzeitraum zwischen März 2000 und Juni 2002 waren insgesamt mindestens zwölf Frauen zu unterschiedlichen Zeiten in den beiden Bordellbetrieben als Prostituierte tätig. Im Einzelnen handelte es sich um die kolumbianischen Staatsangehörigen V. (13. Dezember 2001), „J. “ (15. September 2001), P. (13. Dezember 2001), R. (13. Dezember 2001), F. (1. bis 12. Juni 2002), V. O. und L. O. (beide am 12. Juni 2002) sowie die Moldawierin K. (März bis Dezember 2000), jeweils tätig im „K. “, und die Rumäninnen C. (9. April bis 12. Juni 2002) und Fl. (6. bis 12. Juni 2002), die ukrainische Staatsangehörige H. (April 2002 bis 12. Juni 2002) und die russische Staatsangehörige Ch. (9. April bis 12. Juni 2002), jeweils tätig im Nachtclub „D. “.
7
2. Das Landgericht hat jeweils den Tatbestand des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern im Sinne des § 92a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in der vom 1. November 1997 bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung als erfüllt angesehen. Der Angeklagte habe den illegalen Aufenthalt der Frauen gefördert, indem er ihnen durch die Bereitstellung entsprechender Räumlichkeiten Gelegenheit zur Ausübung der Prostitution gegeben habe. Er habe dabei billigend in Kauf genommen, dass die aus Kolumbien und Osteuropa eingereisten Frauen nicht über die zur Ausübung der Prostitution erforderliche Arbeitserlaubnis verfügt hätten. Er habe durch seine nicht nur unerhebliche Beteiligung an den von den Prostituierten abgeführten Einnahmen seinen Lebensunterhalt dauerhaft finanzieren wollen.

III.


8
Es begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht für die Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern allein darauf abgestellt hat, ob die in den beiden Bordellen tätigen ausländischen Prostituierten eine Arbeitserlaubnis hatten oder nicht. Der Schuldspruch erweist sich daher lediglich in den Fällen II. 1 und 5 der Urteilsgründe als im Ergebnis rechtsfehlerfrei; in den verbleibenden Fällen hält er rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war bei der Frage, ob sich ein Ausländer im Tatzeitraum durch die Aufnahme einer Arbeit nach damaliger Rechtslage wegen unerlaubten Aufenthalts gemäß § 92 AuslG – und wer ihm hierbei behilflich war, als Gehilfe – strafbar machen konnte, zunächst danach zu unterscheiden, ob der Ausländer über ein formell gültiges Visum verfügte oder nicht. War ein solches erteilt, entfaltete es Tatbestandswirkung unabhängig von seiner materiell-rechtlichen Richtigkeit (BGH, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105); der Aufenthalt war daher auch dann erlaubt , wenn das Visum den Aufenthalt zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nicht umfasste (vgl. BGH aaO, S. 116) oder rechtsmissbräuchlich erlangt worden war (BGH aaO, S. 115 – vgl. insoweit zur geltenden Rechtslage nach Einführung des § 95 Abs. 6 AufenthG BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 – 5 StR 567/11, NJW 2012, 2210, unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 10. April 2012 – Rs. C-83/12 PPU, EuGRZ 2012, 310). Demgegenüber ist der vom Land- gericht gewählte Ansatz im Ausgangspunkt in den Fällen zutreffend, in denen der Ausländer für die Einreise kein Visum benötigte, solange er keine Erwerbstätigkeit aufnahm. In diesem Fall konnte sich der Ausländer, der gleichwohl arbeitete, durch die Arbeitsaufnahme wegen unerlaubten Aufenthalts strafbar machen, die Unterstützung hierbei eine Beihilfehandlung darstellen (vgl. BGH aaO, S. 116).
10
2. Insofern hat die Strafkammer jedoch bei der rechtlichen Bewertung des von ihr festgestellten Tatgeschehens das für die Entscheidung maßgebliche Regelungsgefüge außer Acht gelassen, das sich aus dem Ineinandergreifen nationaler und unionsrechtlicher Vorschriften ergibt.
11
a) Die Staaten der Europäischen Union (EU) haben gemäß Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABl. L 81 vom 21. März 2001, S. 1 ff. – EUVisaVO) in Verbindung mit den zugehörigen Anhängen I und II für die Zeit ab dem 10. April 2001 unionseinheitlich verbindlich festgelegt, ob und unter welchen Voraussetzungen Staatsangehörige von Drittländern beim Überschreiten der Außengrenzen der EU im Besitz eines Visums sein mussten (sog. Positiv- bzw. Negativstaaten). Wegen des allgemeinen unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs im Fall der Kollision zwischen nationalem und Unionsrecht (st. Rspr.; vgl. nur EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964 – Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1253, 1269 – Costa/ENEL; Urteil vom 22. Oktober 1998 – Rs. C-10/97 bis C-22/97, NJW 1999, 200 – IN.CO.GE.’90 u.a.; BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 – Solange II)gehen diese Bestimmungen der EUVisaVO dem inzwischen aufgehobenen AuslG wie auch dem an seine Stelle getretenen AufenthG vor. Anders als das deutsche Recht, das im Visum sowohl eine Einreise- als auch eine Aufenthaltsgenehmigung sieht, regelt die EUVisaVO die Einreise über eine Außengrenze der EU. Der erlaubte Aufenthalt eines nach der EUVisaVO visumsfrei nach Deutschland eingereisten Drittausländers ergibt sich vorrangig aus Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), bei dem es sich ebenfalls um unmittelbar anzuwendendes, den nationalen Bestimmungen vorgehendes Recht handelt (zum Ganzen vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 29. September 2003 – 12 TG 2339/03, EzAR 011 Nr. 19; BayObLG, Beschluss vom 21. Mai 2002 – 4 St RR 44/02, NStZ-RR 2002, 249; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. April 2008 – 3 Ss 79/07, StraFo 2008, 258; Dienelt/Röseler in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., AufenthG, § 4 Rn. 19 ff.; Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 2. Aufl., S. 137 f.; dies. ZAR 2002, 315).
12
b) Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 SDÜ stellt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht auf eine beabsichtigte Erwerbstätigkeit ab. Jedoch erlaubt Art. 4 Abs. 3 EUVisaVO i.V.m. Anhang II den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU, Ausnahmen von der Visumsbefreiung für solche Drittausländer abweichend zu regeln, die während ihres Aufenthalts einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Eine solche für den Tatzeitraum maßgebliche Ausnahmeregelung enthielt § 3 Abs. 1 Satz 2 AuslG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 12 DVAuslG für Drittausländer aus den in Anlage I zur DVAuslG aufgeführten Drittstaaten (vgl. dazu BayObLG, Beschluss vom 21. Mai 2002 – 4 St RR 44/02 aaO, Tz. 9 f.; Hess. VGH, Beschluss vom 7. Februar 2003 – 12 TG 212/03, NVwZ-RR 2003, 897; a.A. Westphal/Stoppa, ZAR 2002, 315, 316 f.; dies. InfAuslR 2001, 309, 311). Die der Kommission der EU gemäß Art. 5 Abs. 1 EUVisaVO mitgeteilte und gemäß Art. 5 Abs. 2 EUVisaVO im Amtsblatt der EU vom 19. Dezember 2001 (Nr. C 363/21) veröffentlichte Liste der Staaten entspricht im Wesentlichen der Positivliste der Anlage I zur DVAuslG; Rumänien fand sich in der der Kommission übersandten Liste bis zum 21. März 2003 (vgl. ABl. EU Nr. C 68/2) indes nicht.
13
3. Ob die Erwerbstätigkeit der von dem Angeklagten beschäftigten Prostituierten im vorliegenden Fall zu deren unerlaubtem Aufenthalt und damit zur Strafbarkeit des Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens führt, hängt demgemäß zunächst davon ab, ob die betreffenden Frauen einem Positiv - oder einem Negativstaat im Sinne der genannten Bestimmungen angehören. Dies ist gesondert nach Maßgabe der – insoweit nicht deckungsgleichen – Anlagen zur EUVisaVO und denen zur DVAuslG zu prüfen. Diese Prüfung ergibt für den maßgeblichen Zeitraum hier Folgendes:
14
a) Kolumbien (Fälle II. 1 bis 4, 6 und 7 der Urteilsgründe):
15
aa) Kolumbien war Negativstaat i.S.d. Anhangs I zu Art. 1 Abs. 1 EUVisaVO, jedoch Positivstaat i.S.d. Anlage zur DVAuslG, weshalb kolumbianische Staatsangehörige bei der Überquerung der EU-Außengrenzen im Tatzeitraum visumspflichtig waren. Da die Regelungen der EUVisaVO, wie bereits ausgeführt, nicht an den illegalen Aufenthalt, sondern an die illegale Einreise anknüpfen, § 92 AuslG jedoch auf die Rechtslage nach dem AuslG und der DVAuslG abstellte, richtet sich die Strafbarkeit im vorliegenden Fall allein nach den Bestimmungen des AuslG (vgl. dazu Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die Polizei, 2. Aufl., S. 143). Als sog. Positivstaater im Sinne der DVAuslG bedurften sie gemäß § 1 Abs. 1 DVAuslG für die Dauer von drei Monaten keiner Aufenthaltsgenehmigung, sofern sie einen Pass besaßen und keine Erwerbstätigkeit aufnahmen. Mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit endete die in § 1 Abs. 1 DVAuslG normierte Befreiung vom Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung , der Tatbestand des § 92a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung war erfüllt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2004 – 4 StR 67/04, Tz. 18). Eine andere rechtliche Beurteilung kann, wie ausgeführt, vor dem Hintergrund des auch vom Generalbundesanwalt in Bezug genommenen Urteils des Bundesgerichtshofs vom 27. April 2005 (2 StR 457/04, BGHSt 50, 105) indes dann in Betracht kommen, wenn eine der nach der DVAuslG nicht visumspflichtige kolumbianische Staatsangehörige im Besitz eines Visums nach der EUVisaVO war.
16
bb) Danach erweist sich die Verurteilung im Fall II. 1 der Urteilsgründe als rechtsfehlerfrei, da die kolumbianische Staatsangehörige V. nach den Feststellungen (UA 13) nicht im Besitz eines gültigen Visums angetroffen wurde und eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte.
17
In den Fällen II. 2, 3 und 7 hat das Landgericht, von seinem rechtlichen Ausgangspunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen zum Vorhandensein eines gültigen Visums getroffen. Hingegen ergibt sich das Vorhandensein eines gültigen Visums für die kolumbianischen Staatsangehörigen R. und F. aus den Feststellungen (UA 14, 16). Dem Senat ist indes insoweit ein Freispruch verwehrt, da er nicht ausschließen kann, dass die neue Verhandlung Feststellungen zu einer Einbindung des Angeklagten in die Beschaffung der Visa ergibt, die dessen Strafbarkeit nach § 92 Abs. 2 Nr. 2, § 92a Abs. 1 AuslG begründen können.
18
b) Ukraine und Russland (Fälle II. 9 und 10 der Urteilsgründe):
19
aa) Bei der Ukraine und Russland handelt es sich um Negativstaaten sowohl im Sinne der Anhänge zur EUVisaVO als auch derjenigen zur DVAuslG. Nach den vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 27. April 2005 (aaO) zur Auslegung der §§ 92, 92a AuslG entwickelten Grundsätzen war der Aufenthalt der diesen Staaten angehörigen Frauen bei Vorliegen eines formell wirksamen Visums unabhängig von der während des Aufenthalts aufgenommenen Erwerbstätigkeit und – vor Einführung des § 95 Abs. 6 AufenthG (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 – 5 StR 567/11 aaO, Tz. 14) – unabhängig davon erlaubt, ob die Aufnahme dieser Tätigkeit bereits bei Erteilung des Visums beabsichtigt war und den Behörden verschwiegen wurde.
20
bb) In den Fällen II. 9 und 10 sind die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit des Angeklagten nicht hinreichend dargetan. Als sog. Negativstaaterinnen im Sinne der EUVisaVO und der DVAuslG bedurften die ukrainische Staatsangehörige H. und die russische Staatsangehörige Ch. eines Visums. Das Landgericht hat insoweit lediglich bei der russischen Staatsangehörigen Ch. eine Einreise „als Touristin“ festgestellt (UA 21), nicht aber, ob sie tatsächlich über ein entsprechendes Visum verfügte. Beide Fälle bedürfen daher ebenfalls erneuter Verhandlung und Entscheidung.
21
c) Rumänien (Fälle II. 8 und 11 der Urteilsgründe):
22
aa) Rumänien war im Tatzeitraum Positivstaat i.S.d. Anhangs II zur EUVisaVO, jedoch Negativstaat i.S.d. Anlage I zur DVAuslG, der Aufenthalt eines rumänischen Staatsangehörigen im Schengen-Gebiet danach gemäß Art. 20 Abs. 1 SDÜ nach Maßgabe von Art. 5 Abs. 1 SDÜ für maximal drei Monate innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten visumsfrei erlaubt. Da Rumänien auf der der EU-Kommission für den Tatzeitraum mitgeteilten Liste über die länderspezifischen Ausnahmeregelungen zur Visumspflicht bei Erwerbstätigkeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EUVisaVO nicht enthalten ist, stand die Erwerbstätigkeit der hier betroffenen rumänischen Staatsangehörigen einem legalen Aufenthalt nur unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 lit. e SDÜ entgegen , also bei einem Verstoß der Tätigkeit gegen Rechtsvorschriften. Insoweit kommt im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen § 284 Abs. 3 i.V.m. § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III i.d.F. vom 1. Januar 1998 (Arbeitsgenehmigung bei unselbständiger Tätigkeit) oder gegen Vorschriften des Gewerbe-, Gesundheits- und Steuerrechts (bei selbständiger Tätigkeit) in Betracht (vgl. dazu VG Ansbach, Beschluss vom 22. September 2003 – AN 19 S 03.01339; Westphal/Stoppa, ZAR 2002, 315, 319 zur Ausübung der Prostitution).
23
bb) Danach kann der Schuldspruch in den Fällen II. 8 und 11 (rumänische Staatsangehörige C. und Fl. ) ebenfalls keinen Bestand haben. Zwar bedurften beide Frauen keines Visums und fielen auch nicht unter die länderspezifische Ausnahmeregelung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 EUVisaVO; der neue Tatrichter wird jedoch der Frage nachgehen müssen, ob die – freiberuflich oder abhängig ausgestaltete – Erwerbstätigkeit als Prostituierte in diesen Fällen gegen Gesetze verstieß und damit die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 lit. e SDÜ vorlagen.
24
d) Moldawien (Fall II. 5 der Urteilsgründe):
25
Die Verurteilung im Fall II. 5 der Urteilsgründe ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die moldawische Staatsangehörige K. bedurfte im Jahr 2000 als Negativstaaterin im Sinne der DVAuslG sowohl nach nationalem Recht als auch nach der zur Tatzeit geltenden Verordnung (EG) Nr. 574/1999 des Rates vom 12. März 1999 (ABl. L 72 vom 18. März 1999, S. 2 ff.) eines gültigen Visums. Über ein solches verfügte sie jedoch nicht; als sie angetroffen wurde, war sie lediglich im Besitz eines abgelaufenen Touristenvisums (UA 9).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörden des
Ausstellermitgliedstaats über den wahren Reisezweck erlangte
, jedoch formell bestandskräftige Visa von Drittstaatsangehörigen
schließen deren Strafbarkeit wegen illegaler Einreise und
illegalen Aufenthalts (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG) sowie eine
Strafbarkeit gemäß den hieran anknüpfenden Schleusungstatbeständen
verfassungsrechtlich unbedenklich nicht aus; Unionsrecht steht
dem nicht entgegen (im Anschluss an die Vorabentscheidung
des Gerichtshofs der Europäischen Union durch Urteil vom
10. April 2012 in der Rechtssache C-83/12 PPU).
BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 – 5 StR 567/11
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Mai 2012

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. August 2011 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt – nach Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union – im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ohne Erfolg. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:
3
a) Der Angeklagte gehörte vietnamesischen Banden an, deren Ziel es war, vietnamesische Staatsbürger illegal nach Deutschland zu verbringen. Eine Bande ging in der Weise vor, dass der ungarischen Botschaft in Vietnam vorgespiegelt wurde, bei gegen ein Entgelt von 11.000 bis 15.000 $ zu schleusenden vietnamesischen Staatsbürgern handele es sich um Mitglieder touristischer Reisegruppen. Die vorgeblichen Reisegruppen bestanden jeweils aus 20 bis 30 Personen. In der irrigen Annahme, dass die Reisen tatsächlich stattfinden würden, erteilte die ungarische Botschaft den Betroffenen Touristenvisa, die einen kurzen Aufenthalt in allen Schengenstaaten ermög- lichten. Die Reisen wurden in den ersten Tagen zum Schein gemäß Reiseprogramm durchgeführt, bevor die Betroffenen dem vorab gefassten Tatplan entsprechend von Paris aus in die jeweiligen Zielländer – zumeist Deutschland – weiter transportiert wurden. Die in Berlin eintreffenden Geschleusten wurden zunächst in so genannten „Safehouses“ untergebracht, bis sie dann von in Deutschland ansässigen Verwandten abgeholt und anderweitig einquartiert wurden.
4
Die weitere Bande machte sich den Umstand zunutze, dass vietnamesische Arbeitskräfte in Schweden als Beerenpflücker auf wenige Monate befristete Arbeitsvisa erlangen konnten, die einen Aufenthalt im Schengenraum erlaubten. Bei der Beantragung der Visa wurde den zuständigen Behörden vorgespiegelt, dass die zu schleusenden Personen als Beerenpflücker arbeiten wollten, während sie in Wahrheit planten, sich unmittelbar nach ihrer Ankunft in Schweden weiter nach Deutschland oder in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union schleusen zu lassen.
5
b) Dem – wenngleich nicht wegen ausländerrechtlicher Straftaten, jedoch nicht unerheblich vorgeahndeten – Angeklagten liegt im Einzelnen zur Last:
6
aa) Am 21. Juni 2010 nahm er mit zwei anderen Bandenmitgliedern sechs vietnamesische Staatsbürger in Empfang, die mit erschlichenen ungarischen Touristenvisa von Paris kommend in Berlin eingetroffen waren. Mit einem Mittäter sorgte er dafür, dass diese und drei weitere geschleuste Personen durch Verwandte oder Bekannte abgeholt und untergebracht wurden. Dafür erhielt er 500 €. Dem Plan entsprechend tauchten die vietnamesischen Staatsbürger nach ihrer Ankunft in Deutschland unter (Tat 1).
7
bb) Am 4. Juli 2010 holte er mit zwei Bandenmitgliedern zehn in gleicher Weise nach Berlin verbrachte vietnamesische Staatsbürger ab und sorgte für deren Unterbringung. Er erhielt Geldleistungen in unbekannter Höhe (Tat 2).
8
cc) Am 17. Juli 2010 fuhren der Angeklagte und ein Mittäter nach Schweden, um den Transport einer Gruppe von vietnamesischen Staatsangehörigen nach Berlin zu organisieren. Diese hatten unter Hilfestellung der Bande schwedische Arbeitsvisa als Beerenpflücker erschlichen. Jeder viet- namesische Staatsangehörige hatte für die Schleusung 2.000 € an den An- geklagten zu zahlen. Der Mittäter fuhr mit vier geschleusten Personen am 19. Juli 2010 nach Berlin. Deren Unterbringung in Berlin wurde von einem weiteren Mittäter durchgeführt (Tat 3).
9
dd) Anschließend organisierten der deswegen in Schweden verbliebene Angeklagte und sein dorthin zurückgekehrter Mittäter nach gleichem Muster die Schleusung weiterer vietnamesischer Staatsbürger nach Berlin. Auch diese Personen mussten jeweils 2.000 € anden Angeklagten bezahlen. In der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 2010 wurden acht vietnamesische Staatsangehörige von Schweden nach Berlin verbracht, wo deren Aufnahme und Unterbringung organisiert wurde (Tat 4).
10
2. Der Schuldspruch wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 97 Abs. 2 i.V.m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und b i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 3 und § 96 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) wird von den Feststellungen getragen. Entgegen vormaliger Rechtslage (hierzu BGH, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105) schadet es dabei nicht, dass die geschleusten Personen zur Tatzeit jeweils über Visa verfügten, die formal die Einreise in den Schengenraum und den dortigen Aufenthalt erlaubten. Denn nach dem durch Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970, 1988) eingeführten § 95 Abs. 6 AufenthG steht für die Tatbestände nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG einem Han- deln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln aufgrund eines durch falsche Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.
11
a) Die Voraussetzungen des § 95 Abs. 6 AufenthG sind erfüllt. Die zu schleusenden Personen gaben – unterstützt durch im angefochtenen Urteil teils benannte Bandenmitglieder – gegenüber den Amtsträgern der ungarischen Botschaft in Vietnam bewusst wahrheitswidrig vor, zu touristischen Zwecken bzw. zum Zweck des Beerenpfückens in Schweden für einen Kurzaufenthalt in den Schengenraum einreisen zu wollen (vgl. Art. 21 der nach deren Art. 58 Abs. 2 ab dem 5. April 2010 geltenden Verordnung [EG] Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft, ABl. L 243 vom 15. September 2009, S. 1 – Visakodex – i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a, c, d und e der Verordnung [EG] Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, ABl. L 105 vom 13. April 2006, S. 1 – Schengener Grenzkodex –). Demgegenüber hatten sie von Anfang an die Absicht, dauerhaft in Deutschland zu bleiben, was der Erteilung der Visa zwingend entgegenstand (vgl. Art. 21 Abs. 1 Visakodex, Art. 5 Abs. 1 lit. e Schengener Grenzkodex; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 6 Rn. 22). Nur aufgrund der Fehlvorstellung der Amtsträger über den wahren Zweck der Reisen wurden die Visa nach den Feststellungen erteilt. Soweit das Landgericht die Festnahme eines Angehörigen der ungarischen Botschaft erwähnt (UA S. 9), steht dies den Feststellungen zu Irrtümern der maßgebenden Funktionsträger nicht entgegen. Im Übrigen wären andernfalls Fälle der Kollusion nach § 95 Abs. 6 AufenthG gegeben, die zu demselben Ergebnis führen würden.
12
Für die Annahme deutscher Strafgewalt irrelevant ist, dass sich die Vorgänge zum Erschleichen der Visa im Ausland abgespielt haben. Das gilt schon deswegen, weil es sich bei § 95 Abs. 6 AufenthG nicht um einen eigenständigen Straftatbestand, sondern um eine Gleichstellungsklausel in Bezug auf das in § 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG normierte (negative) Tatbe- standsmerkmal des Fehlens eines erforderlichen Aufenthaltstitels handelt (vgl. Wohlers JZ 2001, 850, 853 f.; aM wohl Stoppa in Huber, Aufenthaltsgesetz , 2010, § 95 Rn. 368 ff.; Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 280 ff.).
13
b) § 95 Abs. 6 AufenthG stellt für die Fälle des unerlaubten Aufenthalts und der unerlaubten Einreise (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG) ein Handeln aufgrund eines solchermaßen erlangten Aufenthaltstitels einem Handeln ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel gleich. Die Vorschrift bewirkt in den relevanten Fällen trotz Vorhandensein eines verwaltungsrechtlich formell bestandskräftigen Aufenthaltstitels eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG, die ihrerseits den Anknüpfungspunkt für die „Schleusungstatbestände“ nach §§ 96, 97 AufenthG bilden können (aM Schott, aaO, S. 283 f.).
14
aa) Dass der Gesetzgeber diese Rechtsfolge herbeiführen wollte, unterliegt keinem Zweifel. Unter anderem mit der Einführung des § 95 Abs. 6 AufenthG reagierte er auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. April 2005 (BGHSt aaO). Darin wurde entschieden, dass ausländerrechtlichen Erlaubnissen für die verwaltungsakzessorischen Straftatbestände des Aufenthaltsgesetzes Tatbestandswirkung zukommt, weswegen rechtsmissbräuchlich erlangte, jedoch formell wirksame Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigungen (Visa) die Strafbarkeit wegen illegaler Einreise und illegalen Aufenthalts (§ 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3, auch i.V.m. § 96 Abs. 1 AufenthG) ausschließen (BGHSt aaO, S. 110 ff.). Der Behebung von Strafbarkeitslücken aufgrund dieser Entscheidung dienten verschiedene im genannten Gesetz enthaltene Maßnahmen (hierzu Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/5065 S. 164, 182 f., 199). Mit dem an § 330d Nr. 5 StGB angelehnten § 95 Abs. 6 AufenthG wollte der Gesetzgeber sämtliche Fälle erfassen, „in denen die strafbefreiende Genehmigung auf unlautere Weise erlangt worden ist“ (BT- Drucks. 16/5065 S. 199; vgl. hierzu auch den diesbezüglichen Hinweis in BGHSt aaO, S. 115).
15
bb) In § 95 Abs. 6 AufenthG hat der gesetzgeberische Wille auch unter dem Blickwinkel des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) hinreichenden Niederschlag gefunden. Für die illegale Einreise erscheint dies eindeutig und wird im Schrifttum soweit ersichtlich auch nicht bestritten (vgl. MünchKomm-StGB/Gericke, 1. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 107). Gleiches gilt indessen entgegen vereinzelten Stimmen in der Literatur (Gericke , aaO, § 95 AufenthG Rn. 28; Schott, aaO, S. 282 f.) auch in Bezug auf § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (so im Ergebnis der Großteil des Schrifttums, vgl. Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand April 2010, § 95 AufenthG Rn. 11a; Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 22; Mosbacher in GK/AufenthG, Stand Juli 2008, § 95 Rn. 57; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Oktober 2010, § 95 AufenthG Rn. 110; Brocke, NStZ 2009, 546, 548).
16
Allerdings ersetzt § 95 Abs. 6 AufenthG ausdrücklich nur das Fehlen des erforderlichen Aufenthaltstitels und erwähnt die weitere in § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG enthaltene Voraussetzung einer vollziehbaren Ausreisepflicht nicht. Der Umstand, dass ein formell bestandskräftiger Aufenthaltstitel grundsätzlich eine vollziehbare Ausreisepflicht hindert, führt indessen nicht dazu, dass die ausdrücklich auch auf § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zielende Rege- lung des § 95 Abs. 6 AufenthG „fehlgeschlagen“ ist (so Gericke, aaO; Schott, aaO). Aus der Gleichstellung des Handelns auf Grund eines erschlichenen Aufenthaltstitels mit dem Handeln ohne Aufenthaltstitel folgt vielmehr auch, dass im Rahmen der Strafvorschriften des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG die mit einem erschlichenen Aufenthaltstitel erfolgte Einreise als unerlaubt und die Ausreisepflicht somit als vollziehbar anzusehen ist (vgl. § 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG). Ausdrücklicher Erwähnung im Gesetzestext bedarf dies nicht zwingend.
17
c) Über eine Duldung verfügten die eingeschleusten Personen nicht. Im Hinblick darauf, dass sie sich im Bundesgebiet von vornherein vor den Behörden verborgen haben, stellt sich die Frage eines die Erfüllung des Tat- bestands ausschließenden hypothetischen Duldungsanspruchs (hierzu BVerfG – Kammer – NStZ 2003, 488, 489) mithin nicht (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2004 – 1 StR 76/04, BGHR AuslG § 92 Unerlaubter Aufenthalt 4 mwN; Beschluss vom 2. September 2009 – 5 StR 266/09, BGHSt 54, 140,

142).


18
d) § 95 Abs. 6 AufenthG lockert im vorbezeichneten Umfang die Akzessorietät der betroffenen Strafrechtsbestimmungen zum – unionsrechtlich ausgeformten – Verwaltungsrecht. Im Hinblick darauf, dass zur Beurteilung unionsrechtlicher Zulässigkeit eines solchen Konzepts einschlägige oder übertragbare Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht ersichtlich gewesen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2011 – 2 BvR 1969/09 Rn. 25, und vom 22. September 2011 – 2 BvR 947/11 Rn. 14, jeweils mwN), hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom 8. Februar 2012 (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – 5 StR 351/11, wistra 2012, 152) gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: „Sind die die Erteilung und Annullierung eines einheitlichen Vi- sums regelnden Art. 21, 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15. September 2009, S. 1, Visakodex – VK) dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Einschleusens von Ausländern in Fällen entgegenstehen, in denen die geschleusten Personen zwar über ein Visum verfügen, dieses aber durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaates über den wahren Reisezweck erlangt haben?“
19
Mit Urteil vom 10. April 2012 (Rechtssache C-83/12 PPU) hat der Gerichtshof auf das Vorabentscheidungsersuchen hin für Recht erkannt: „Die Art. 21 und 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) sind dahin auszulegen , dass sie einer aus der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Einschleusens von Ausländern in Fällen, in denen die geschleusten Personen, die Drittstaatsangehörige sind, über ein Visum verfügen, das sie durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörden des Ausstellermitgliedstaats über den wahren Reisezweck erlangt haben und das nicht zuvor annulliert worden ist, nicht entgegenstehen.“
20
Bei Anwendung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall ist das Landgericht in Einklang mit dem Unionsrecht davon ausgegangen, dass die formell vorhandenen Visa der geschleusten Personen wegen Erfüllung des § 95 Abs. 6 AufenthG einer Strafbarkeit des Angeklagten nicht entgegenstehen.
21
e) Auch durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht gegeben. Die Lockerung der Verwaltungsakzessorietät hat § 95 Abs. 6 AufenthG mit § 330d Nr. 5 StGB und ähnlichen Bestimmungen (§ 34 Abs. 8 AWG, § 16 Abs. 4 CWÜAG) gemein. Einfachrechtlich liegen diese Maßnahmen im Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Vertrauensschutz ist mangels schutzwürdigen Vertrauens der geschleusten Personen und der diese unterstützenden Mitglieder der Schleuserorganisationen offensichtlich nicht verletzt (vgl. Gericke, aaO, § 95 AufenthG Rn. 107, Heine in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 330d Rn. 27 mit zahlreichen Nachweisen). Auch der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (vgl. dazu etwa BVerfGE 116, 164 mwN) hindert nicht, einer durch die Beteiligten rechtsmissbräuchlich erlangten rechtswidrigen Erlaubnis, die aus diesem Grunde von den zuständigen Verwaltungsbe- hörden zu „annullieren“, also mit Wirkung ex tuncaufzuheben (vgl. Art. 34 Abs. 1 Visakodex) und damit aus von den Betroffenen selbst zu verantwortenden Gründen von Anfang an schwer fehlerbehaftet ist, eine die Strafbarkeit ausschließende Wirkung zu versagen (für § 330d Nr. 5 StGB hM, vgl. etwa Heine, aaO, § 330d Rn. 27; LK-StGB/Steindorf, 11. Aufl., § 330d Rn. 6; SSW-StGB/Saliger, 2009, § 330d Rn. 15; Wohlers, aaO, S. 854 f.; je mwN auch zur Gegenansicht; siehe auch Hecker in Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 2011, § 28 Rn. 17). Vielmehr verhilft die Regelung dem gleichfalls verfassungsrechtlich abgesicherten Gebot wirksamer Verfolgung und Ahndung von Straftaten (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 27. März 2012 – 2BvR 2258/09 Rn. 50 mwN) zum Erfolg. Typischerweise ist eine formell erklärte Annullierung der Visa in Konstellationen wie der hier zu beurteilenden weder vor noch nach der Einreise der geschleusten Personen faktisch möglich. Dementsprechend würden die einschlägigen Tatbestände ohne Bestand des § 95 Abs. 6 AufenthG weitgehend leerlaufen. Wenn der Gesetzgeber den vordergründigen Widerstreit der genannten Belange dahin auflöst, dass er dem Gebot effektiver Verfolgung und Ahndung von Straftaten den Vorrang gibt, so ist dies von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
22
3. Eines Anfrageverfahrens zum Zweck der Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen (§ 132 Abs. 2, 3 GVG) im Hinblick auf BGHSt aaO bedurfte es nach der seither erfolgten Gesetzesänderung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2011 – 5 StR 394, 440, 474/10, BGHSt 56, 248, 251 mwN).
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(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörden des
Ausstellermitgliedstaats über den wahren Reisezweck erlangte
, jedoch formell bestandskräftige Visa von Drittstaatsangehörigen
schließen deren Strafbarkeit wegen illegaler Einreise und
illegalen Aufenthalts (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG) sowie eine
Strafbarkeit gemäß den hieran anknüpfenden Schleusungstatbeständen
verfassungsrechtlich unbedenklich nicht aus; Unionsrecht steht
dem nicht entgegen (im Anschluss an die Vorabentscheidung
des Gerichtshofs der Europäischen Union durch Urteil vom
10. April 2012 in der Rechtssache C-83/12 PPU).
BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 – 5 StR 567/11
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Mai 2012

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. August 2011 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt – nach Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union – im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ohne Erfolg. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:
3
a) Der Angeklagte gehörte vietnamesischen Banden an, deren Ziel es war, vietnamesische Staatsbürger illegal nach Deutschland zu verbringen. Eine Bande ging in der Weise vor, dass der ungarischen Botschaft in Vietnam vorgespiegelt wurde, bei gegen ein Entgelt von 11.000 bis 15.000 $ zu schleusenden vietnamesischen Staatsbürgern handele es sich um Mitglieder touristischer Reisegruppen. Die vorgeblichen Reisegruppen bestanden jeweils aus 20 bis 30 Personen. In der irrigen Annahme, dass die Reisen tatsächlich stattfinden würden, erteilte die ungarische Botschaft den Betroffenen Touristenvisa, die einen kurzen Aufenthalt in allen Schengenstaaten ermög- lichten. Die Reisen wurden in den ersten Tagen zum Schein gemäß Reiseprogramm durchgeführt, bevor die Betroffenen dem vorab gefassten Tatplan entsprechend von Paris aus in die jeweiligen Zielländer – zumeist Deutschland – weiter transportiert wurden. Die in Berlin eintreffenden Geschleusten wurden zunächst in so genannten „Safehouses“ untergebracht, bis sie dann von in Deutschland ansässigen Verwandten abgeholt und anderweitig einquartiert wurden.
4
Die weitere Bande machte sich den Umstand zunutze, dass vietnamesische Arbeitskräfte in Schweden als Beerenpflücker auf wenige Monate befristete Arbeitsvisa erlangen konnten, die einen Aufenthalt im Schengenraum erlaubten. Bei der Beantragung der Visa wurde den zuständigen Behörden vorgespiegelt, dass die zu schleusenden Personen als Beerenpflücker arbeiten wollten, während sie in Wahrheit planten, sich unmittelbar nach ihrer Ankunft in Schweden weiter nach Deutschland oder in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union schleusen zu lassen.
5
b) Dem – wenngleich nicht wegen ausländerrechtlicher Straftaten, jedoch nicht unerheblich vorgeahndeten – Angeklagten liegt im Einzelnen zur Last:
6
aa) Am 21. Juni 2010 nahm er mit zwei anderen Bandenmitgliedern sechs vietnamesische Staatsbürger in Empfang, die mit erschlichenen ungarischen Touristenvisa von Paris kommend in Berlin eingetroffen waren. Mit einem Mittäter sorgte er dafür, dass diese und drei weitere geschleuste Personen durch Verwandte oder Bekannte abgeholt und untergebracht wurden. Dafür erhielt er 500 €. Dem Plan entsprechend tauchten die vietnamesischen Staatsbürger nach ihrer Ankunft in Deutschland unter (Tat 1).
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bb) Am 4. Juli 2010 holte er mit zwei Bandenmitgliedern zehn in gleicher Weise nach Berlin verbrachte vietnamesische Staatsbürger ab und sorgte für deren Unterbringung. Er erhielt Geldleistungen in unbekannter Höhe (Tat 2).
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cc) Am 17. Juli 2010 fuhren der Angeklagte und ein Mittäter nach Schweden, um den Transport einer Gruppe von vietnamesischen Staatsangehörigen nach Berlin zu organisieren. Diese hatten unter Hilfestellung der Bande schwedische Arbeitsvisa als Beerenpflücker erschlichen. Jeder viet- namesische Staatsangehörige hatte für die Schleusung 2.000 € an den An- geklagten zu zahlen. Der Mittäter fuhr mit vier geschleusten Personen am 19. Juli 2010 nach Berlin. Deren Unterbringung in Berlin wurde von einem weiteren Mittäter durchgeführt (Tat 3).
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dd) Anschließend organisierten der deswegen in Schweden verbliebene Angeklagte und sein dorthin zurückgekehrter Mittäter nach gleichem Muster die Schleusung weiterer vietnamesischer Staatsbürger nach Berlin. Auch diese Personen mussten jeweils 2.000 € anden Angeklagten bezahlen. In der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 2010 wurden acht vietnamesische Staatsangehörige von Schweden nach Berlin verbracht, wo deren Aufnahme und Unterbringung organisiert wurde (Tat 4).
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2. Der Schuldspruch wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 97 Abs. 2 i.V.m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und b i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 3 und § 96 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) wird von den Feststellungen getragen. Entgegen vormaliger Rechtslage (hierzu BGH, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105) schadet es dabei nicht, dass die geschleusten Personen zur Tatzeit jeweils über Visa verfügten, die formal die Einreise in den Schengenraum und den dortigen Aufenthalt erlaubten. Denn nach dem durch Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970, 1988) eingeführten § 95 Abs. 6 AufenthG steht für die Tatbestände nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG einem Han- deln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln aufgrund eines durch falsche Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.
11
a) Die Voraussetzungen des § 95 Abs. 6 AufenthG sind erfüllt. Die zu schleusenden Personen gaben – unterstützt durch im angefochtenen Urteil teils benannte Bandenmitglieder – gegenüber den Amtsträgern der ungarischen Botschaft in Vietnam bewusst wahrheitswidrig vor, zu touristischen Zwecken bzw. zum Zweck des Beerenpfückens in Schweden für einen Kurzaufenthalt in den Schengenraum einreisen zu wollen (vgl. Art. 21 der nach deren Art. 58 Abs. 2 ab dem 5. April 2010 geltenden Verordnung [EG] Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft, ABl. L 243 vom 15. September 2009, S. 1 – Visakodex – i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a, c, d und e der Verordnung [EG] Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, ABl. L 105 vom 13. April 2006, S. 1 – Schengener Grenzkodex –). Demgegenüber hatten sie von Anfang an die Absicht, dauerhaft in Deutschland zu bleiben, was der Erteilung der Visa zwingend entgegenstand (vgl. Art. 21 Abs. 1 Visakodex, Art. 5 Abs. 1 lit. e Schengener Grenzkodex; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 6 Rn. 22). Nur aufgrund der Fehlvorstellung der Amtsträger über den wahren Zweck der Reisen wurden die Visa nach den Feststellungen erteilt. Soweit das Landgericht die Festnahme eines Angehörigen der ungarischen Botschaft erwähnt (UA S. 9), steht dies den Feststellungen zu Irrtümern der maßgebenden Funktionsträger nicht entgegen. Im Übrigen wären andernfalls Fälle der Kollusion nach § 95 Abs. 6 AufenthG gegeben, die zu demselben Ergebnis führen würden.
12
Für die Annahme deutscher Strafgewalt irrelevant ist, dass sich die Vorgänge zum Erschleichen der Visa im Ausland abgespielt haben. Das gilt schon deswegen, weil es sich bei § 95 Abs. 6 AufenthG nicht um einen eigenständigen Straftatbestand, sondern um eine Gleichstellungsklausel in Bezug auf das in § 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG normierte (negative) Tatbe- standsmerkmal des Fehlens eines erforderlichen Aufenthaltstitels handelt (vgl. Wohlers JZ 2001, 850, 853 f.; aM wohl Stoppa in Huber, Aufenthaltsgesetz , 2010, § 95 Rn. 368 ff.; Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 280 ff.).
13
b) § 95 Abs. 6 AufenthG stellt für die Fälle des unerlaubten Aufenthalts und der unerlaubten Einreise (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG) ein Handeln aufgrund eines solchermaßen erlangten Aufenthaltstitels einem Handeln ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel gleich. Die Vorschrift bewirkt in den relevanten Fällen trotz Vorhandensein eines verwaltungsrechtlich formell bestandskräftigen Aufenthaltstitels eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG, die ihrerseits den Anknüpfungspunkt für die „Schleusungstatbestände“ nach §§ 96, 97 AufenthG bilden können (aM Schott, aaO, S. 283 f.).
14
aa) Dass der Gesetzgeber diese Rechtsfolge herbeiführen wollte, unterliegt keinem Zweifel. Unter anderem mit der Einführung des § 95 Abs. 6 AufenthG reagierte er auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. April 2005 (BGHSt aaO). Darin wurde entschieden, dass ausländerrechtlichen Erlaubnissen für die verwaltungsakzessorischen Straftatbestände des Aufenthaltsgesetzes Tatbestandswirkung zukommt, weswegen rechtsmissbräuchlich erlangte, jedoch formell wirksame Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigungen (Visa) die Strafbarkeit wegen illegaler Einreise und illegalen Aufenthalts (§ 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3, auch i.V.m. § 96 Abs. 1 AufenthG) ausschließen (BGHSt aaO, S. 110 ff.). Der Behebung von Strafbarkeitslücken aufgrund dieser Entscheidung dienten verschiedene im genannten Gesetz enthaltene Maßnahmen (hierzu Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/5065 S. 164, 182 f., 199). Mit dem an § 330d Nr. 5 StGB angelehnten § 95 Abs. 6 AufenthG wollte der Gesetzgeber sämtliche Fälle erfassen, „in denen die strafbefreiende Genehmigung auf unlautere Weise erlangt worden ist“ (BT- Drucks. 16/5065 S. 199; vgl. hierzu auch den diesbezüglichen Hinweis in BGHSt aaO, S. 115).
15
bb) In § 95 Abs. 6 AufenthG hat der gesetzgeberische Wille auch unter dem Blickwinkel des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) hinreichenden Niederschlag gefunden. Für die illegale Einreise erscheint dies eindeutig und wird im Schrifttum soweit ersichtlich auch nicht bestritten (vgl. MünchKomm-StGB/Gericke, 1. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 107). Gleiches gilt indessen entgegen vereinzelten Stimmen in der Literatur (Gericke , aaO, § 95 AufenthG Rn. 28; Schott, aaO, S. 282 f.) auch in Bezug auf § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (so im Ergebnis der Großteil des Schrifttums, vgl. Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand April 2010, § 95 AufenthG Rn. 11a; Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 22; Mosbacher in GK/AufenthG, Stand Juli 2008, § 95 Rn. 57; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Oktober 2010, § 95 AufenthG Rn. 110; Brocke, NStZ 2009, 546, 548).
16
Allerdings ersetzt § 95 Abs. 6 AufenthG ausdrücklich nur das Fehlen des erforderlichen Aufenthaltstitels und erwähnt die weitere in § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG enthaltene Voraussetzung einer vollziehbaren Ausreisepflicht nicht. Der Umstand, dass ein formell bestandskräftiger Aufenthaltstitel grundsätzlich eine vollziehbare Ausreisepflicht hindert, führt indessen nicht dazu, dass die ausdrücklich auch auf § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zielende Rege- lung des § 95 Abs. 6 AufenthG „fehlgeschlagen“ ist (so Gericke, aaO; Schott, aaO). Aus der Gleichstellung des Handelns auf Grund eines erschlichenen Aufenthaltstitels mit dem Handeln ohne Aufenthaltstitel folgt vielmehr auch, dass im Rahmen der Strafvorschriften des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG die mit einem erschlichenen Aufenthaltstitel erfolgte Einreise als unerlaubt und die Ausreisepflicht somit als vollziehbar anzusehen ist (vgl. § 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG). Ausdrücklicher Erwähnung im Gesetzestext bedarf dies nicht zwingend.
17
c) Über eine Duldung verfügten die eingeschleusten Personen nicht. Im Hinblick darauf, dass sie sich im Bundesgebiet von vornherein vor den Behörden verborgen haben, stellt sich die Frage eines die Erfüllung des Tat- bestands ausschließenden hypothetischen Duldungsanspruchs (hierzu BVerfG – Kammer – NStZ 2003, 488, 489) mithin nicht (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2004 – 1 StR 76/04, BGHR AuslG § 92 Unerlaubter Aufenthalt 4 mwN; Beschluss vom 2. September 2009 – 5 StR 266/09, BGHSt 54, 140,

142).


18
d) § 95 Abs. 6 AufenthG lockert im vorbezeichneten Umfang die Akzessorietät der betroffenen Strafrechtsbestimmungen zum – unionsrechtlich ausgeformten – Verwaltungsrecht. Im Hinblick darauf, dass zur Beurteilung unionsrechtlicher Zulässigkeit eines solchen Konzepts einschlägige oder übertragbare Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht ersichtlich gewesen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2011 – 2 BvR 1969/09 Rn. 25, und vom 22. September 2011 – 2 BvR 947/11 Rn. 14, jeweils mwN), hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom 8. Februar 2012 (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – 5 StR 351/11, wistra 2012, 152) gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: „Sind die die Erteilung und Annullierung eines einheitlichen Vi- sums regelnden Art. 21, 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15. September 2009, S. 1, Visakodex – VK) dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Einschleusens von Ausländern in Fällen entgegenstehen, in denen die geschleusten Personen zwar über ein Visum verfügen, dieses aber durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaates über den wahren Reisezweck erlangt haben?“
19
Mit Urteil vom 10. April 2012 (Rechtssache C-83/12 PPU) hat der Gerichtshof auf das Vorabentscheidungsersuchen hin für Recht erkannt: „Die Art. 21 und 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) sind dahin auszulegen , dass sie einer aus der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Einschleusens von Ausländern in Fällen, in denen die geschleusten Personen, die Drittstaatsangehörige sind, über ein Visum verfügen, das sie durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörden des Ausstellermitgliedstaats über den wahren Reisezweck erlangt haben und das nicht zuvor annulliert worden ist, nicht entgegenstehen.“
20
Bei Anwendung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall ist das Landgericht in Einklang mit dem Unionsrecht davon ausgegangen, dass die formell vorhandenen Visa der geschleusten Personen wegen Erfüllung des § 95 Abs. 6 AufenthG einer Strafbarkeit des Angeklagten nicht entgegenstehen.
21
e) Auch durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht gegeben. Die Lockerung der Verwaltungsakzessorietät hat § 95 Abs. 6 AufenthG mit § 330d Nr. 5 StGB und ähnlichen Bestimmungen (§ 34 Abs. 8 AWG, § 16 Abs. 4 CWÜAG) gemein. Einfachrechtlich liegen diese Maßnahmen im Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Vertrauensschutz ist mangels schutzwürdigen Vertrauens der geschleusten Personen und der diese unterstützenden Mitglieder der Schleuserorganisationen offensichtlich nicht verletzt (vgl. Gericke, aaO, § 95 AufenthG Rn. 107, Heine in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 330d Rn. 27 mit zahlreichen Nachweisen). Auch der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (vgl. dazu etwa BVerfGE 116, 164 mwN) hindert nicht, einer durch die Beteiligten rechtsmissbräuchlich erlangten rechtswidrigen Erlaubnis, die aus diesem Grunde von den zuständigen Verwaltungsbe- hörden zu „annullieren“, also mit Wirkung ex tuncaufzuheben (vgl. Art. 34 Abs. 1 Visakodex) und damit aus von den Betroffenen selbst zu verantwortenden Gründen von Anfang an schwer fehlerbehaftet ist, eine die Strafbarkeit ausschließende Wirkung zu versagen (für § 330d Nr. 5 StGB hM, vgl. etwa Heine, aaO, § 330d Rn. 27; LK-StGB/Steindorf, 11. Aufl., § 330d Rn. 6; SSW-StGB/Saliger, 2009, § 330d Rn. 15; Wohlers, aaO, S. 854 f.; je mwN auch zur Gegenansicht; siehe auch Hecker in Sieber u.a., Europäisches Strafrecht, 2011, § 28 Rn. 17). Vielmehr verhilft die Regelung dem gleichfalls verfassungsrechtlich abgesicherten Gebot wirksamer Verfolgung und Ahndung von Straftaten (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 27. März 2012 – 2BvR 2258/09 Rn. 50 mwN) zum Erfolg. Typischerweise ist eine formell erklärte Annullierung der Visa in Konstellationen wie der hier zu beurteilenden weder vor noch nach der Einreise der geschleusten Personen faktisch möglich. Dementsprechend würden die einschlägigen Tatbestände ohne Bestand des § 95 Abs. 6 AufenthG weitgehend leerlaufen. Wenn der Gesetzgeber den vordergründigen Widerstreit der genannten Belange dahin auflöst, dass er dem Gebot effektiver Verfolgung und Ahndung von Straftaten den Vorrang gibt, so ist dies von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
22
3. Eines Anfrageverfahrens zum Zweck der Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen (§ 132 Abs. 2, 3 GVG) im Hinblick auf BGHSt aaO bedurfte es nach der seither erfolgten Gesetzesänderung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2011 – 5 StR 394, 440, 474/10, BGHSt 56, 248, 251 mwN).
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(1) Ordnungswidrig handelt, wer als Unternehmerin oder Unternehmer Dienst- oder Werkleistungen in erheblichem Umfang ausführen lässt, indem sie oder er eine andere Unternehmerin oder einen anderen Unternehmer beauftragt, von dem sie oder er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass diese oder dieser zur Erfüllung dieses Auftrags

1.
entgegen § 284 Absatz 1 oder § 4a Absatz 5 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes eine Ausländerin oder einen Ausländer beschäftigt oder
2.
eine Nachunternehmerin oder einen Nachunternehmer einsetzt oder es zulässt, dass eine Nachunternehmerin oder ein Nachunternehmer tätig wird, die oder der entgegen § 284 Absatz 1 oder § 4a Absatz 5 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes eine Ausländerin oder einen Ausländer beschäftigt.

(2) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

1.
entgegen § 42 Absatz 4 oder § 287 Abs. 3 sich die dort genannte Gebühr oder den genannten Aufwendungsersatz erstatten lässt,
1a.
entgegen § 82 Absatz 6 Satz 3 einen Nachweis nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erbringt,
2.
entgegen § 165 Absatz 5 einen dort genannten Beschluß nicht oder nicht rechtzeitig bekanntgibt,
3.
entgegen § 284 Abs. 1 oder § 4a Absatz 5 Satz 1 oder 2 des Aufenthaltsgesetzes eine Ausländerin oder einen Ausländer beschäftigt,
4.
entgegen § 284 Absatz 1 oder entgegen § 4a Absatz 3 Satz 4 oder Absatz 4, § 6 Absatz 2a, § 7 Absatz 1 Satz 4 erster Halbsatz, § 16a Absatz 3 Satz 1, § 16b Absatz 3, auch in Verbindung mit Absatz 7 Satz 3, § 16b Absatz 5 Satz 3 zweiter Halbsatz, § 16c Absatz 2 Satz 3, § 16d Absatz 1 Satz 4, Absatz 3 Satz 2 oder Absatz 4 Satz 3, § 16f Absatz 3 Satz 4, § 17 Absatz 3 Satz 1, § 20 Absatz 1 Satz 4, auch in Verbindung mit Absatz 2 Satz 2, § 23 Absatz 1 Satz 4 erster Halbsatz, § 24 Absatz 6 Satz 2 erster Halbsatz oder § 25 Absatz 4 Satz 3 erster Halbsatz, Absatz 4a Satz 4 erster Halbsatz oder Absatz 4b Satz 4 erster Halbsatz des Aufenthaltsgesetzes eine Beschäftigung ausübt,
5.
entgegen § 39 Absatz 4 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes eine Auskunft nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig erteilt,
6.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 288a Abs. 1 zuwiderhandelt,
7.
entgegen § 288a Abs. 2 Satz 1 eine Auskunft nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erteilt oder eine Unterlage nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vorlegt,
8.
entgegen § 288a Abs. 3 Satz 2 eine Maßnahme nicht duldet,
9.
einer Rechtsverordnung nach § 292 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist,
10.
(weggefallen)
11.
entgegen § 296 Abs. 2 oder § 296a eine Vergütung oder einen Vorschuss entgegennimmt,
12.
(weggefallen)
13.
entgegen § 298 Abs. 2 Satz 1 eine Unterlage nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig zurückgibt,
14.
(weggefallen)
15.
(weggefallen)
16.
einer Rechtsverordnung nach § 352 Abs. 2 Nr. 2 oder § 357 Satz 1 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist,
17. u. 18.
(weggefallen)
19.
entgegen
a)
§ 312 Absatz 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Satz 2, oder Absatz 3 oder § 313 Absatz 1, auch in Verbindung mit Absatz 3,
b)
§ 312a Absatz 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Satz 2, oder § 314 Absatz 1, auch in Verbindung mit Absatz 2,
eine dort genannte Tatsache nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig bescheinigt oder eine Bescheinigung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig übermittelt,
20.
entgegen § 313 Absatz 2, auch in Verbindung mit Absatz 3, eine Nebeneinkommensbescheinigung nicht oder nicht rechtzeitig verlangt,
21.
entgegen § 313a Absatz 1 Satz 2 zweiter Halbsatz einen Nachweis nicht oder nicht rechtzeitig zuleitet,
22.
(weggefallen)
23.
entgegen § 315 Abs. 1, 2 Satz 1 oder Abs. 3, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 4, § 315 Absatz 5 Satz 1, auch in Verbindung mit Satz 2, § 316, § 317 oder als privater Arbeitgeber oder Träger entgegen § 318 Abs. 1 Satz 1 eine Auskunft nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erteilt oder entgegen § 318 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 eine Mitteilung an die Agentur für Arbeit nicht oder nicht rechtzeitig erteilt,
24.
entgegen § 319 Abs. 1 Satz 1 Einsicht oder Zutritt nicht gewährt,
25.
entgegen § 320 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 oder 2 oder Abs. 5 einen Nachweis nicht, nicht richtig oder nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erbringt, eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig oder nicht vollständig führt oder eine Anzeige nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erstattet,
26.
entgegen § 60 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Ersten Buches eine Angabe nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht oder
27.
entgegen § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Ersten Buches eine Änderung in den Verhältnissen, die für einen Anspruch auf eine laufende Leistung erheblich ist, nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig mitteilt.

(3) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen der Absätze 1 und 2 Nr. 3 mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro, in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1, 5 bis 9 und 11 bis 13 mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Euro, in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2, 4, 16, 26 und 27 mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu zweitausend Euro geahndet werden.