Die Kehrseite des Erinnerns – Der BGH verneint den Auslistungsanspruch des Klägers
Erinnerungen sind ein bedeutsamer Teil menschlichen Lebens – Manche möchte man für immer im Kopf behalten, manche hingegen nur verlieren. Ob es nun wirklich ein Recht auf Vergessen gibt, ist schwer zu sagen. Vielmehr kann das Recht aber bestimmen, dass Erinnerungen nicht mehr hervorgeholt werden dürfen – So hat das Bundesverfassungsgericht in einer grundlegenden Entscheidung (1 BvR 16/13) die Berichterstattung über Straftäter verboten, die ihre Strafe bereits verbüßt haben.
Es geht beim Recht auf Vergessen nicht darum, das Erinnern zu verhindern. Vielmehr verhindert es technisch, das Erinnerungen per Suchalgorithmus Menschen unaufgefordert aufgedrängt werden, obwohl sie danach gar nicht suchen.
Sachverhalte sollten unauffindbar gemacht werden, wenn diese für den Betroffenen unliebsam sind und im Laufe der Zeit so sehr an Relevanz für das öffentliche Meinungsbild verloren haben, dass sie nach einer Abwägung zwischen öffentlichen Interesse und persönlichen Interesse verzichtbar geworden sind.
Im folgenden Sachverhalt ging es auch um das Recht auf Vergessen, speziell um das Begehren, Artikel auf Google verschwinden zu lassen:
Auslistungsbegehren des Klägers gegen Google, Art. 17 I DSGVO
Der Kläger, als Geschäftsführer eines Regionalverbandes einer Wohlfahrtsorganisation, wollte einen Auslistungsanspruch, d.h. einen Löschungsanspruch, gegen Google geltend machen. Grund hierfür war folgendes Prozedere:
Im Jahr 2011 wies der Regionalverband ein finanzielles Defizit in Höhe von knapp einer Million Euro auf. Kurz zuvor meldete sich der Kläger krank – Über beides, insbesondere von Gesundheitsdaten des Klägers, erstattete die regionale Tagespresse Bericht und nannte insbesondere den vollen Namen des handelnden Geschäftsführers. Der Kläger begehrte nunmehr von der Beklagten, namentlich der Verantwortlichen für die Internetsuchmaschine „Google“, es zu unterlassen, diese Presseartikel bei einer Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste anzuzeigen.
Der Instanzenzug im Überblick – Welche Instanzen das Auslistungsbegehren seither beschäftigte
Ergibt sich in der digitalen Welt infolge eines gewissen Zeitablaufs ein Vorrang des Vergessens vor dem Erinnern? Gewährt ein solches Recht auf Vergessen werden dem Einzelnen einen Auslistungsanspruch gegenüber unliebsamen Berichten aus der Vergangenheit?
Mit diesen Fragen beschäftigten sich das Landgericht Frankfurt a.M., das Berufungsgericht sowie der BGH:
1. Das LG wies die Klage aufgrund eines öffentlichen Interesses an der Berichterstattung ab
Das LG Frankfurt (AZ 2-03 O 190/16) wies die Klage ab mit der Begründung, dass bei einem öffentlichen Interesse an einer Berichterstattung kein „Recht auf Vergessenwerden“ bestehe. Ein ehemaliger Geschäftsführer eines Unternehmens habe keinen Auslistungsanspruch von Suchergebnissen von über 6 Jahre alten Berichten, falls an dieser Berichterstattung noch ein öffentliches Interesse bestehe.
Im strittigen Falle sei der Kläger der Öffentlichkeit bekannt und für vielfache soziale Tätigkeiten von Bedeutung. Finanzielle Schwierigkeiten des Regionalverbandes des Klägers würde eine Vielzahl von Personen in unmittelbarer Weise betreffen, die von diesen Dienstleistungen abhängig seien.
Bezüglich sensibler Daten, wie zB. die Gesundheitsdaten des Klägers, sei eine weitere Abwägung erforderlich. Seien die Abgaben über den Gesundheitszustand wie im strittigen Fall jedoch eher allgemein und nicht näher konkretisiert, bestehe diesbezüglich kein Löschungsanspruch.
2. Das Interesse des Betroffenen muss nach Ansicht des OLG hinter dem Öffentlichkeitsinteresse zurücktreten
Das OLG Frankfurt (AZ 16 U 193/17) entschied, dass es Google dem Grundsatz nach nicht verwehrt bleiben darf, ältere unliebsame Presseartikel über Personen in der Trefferliste anzuzeigen, selbst wenn diese Gesundheitsdaten enthalten. Es komme vielmehr nach Inkrafttreten der DSGVO darauf an, ob das Interesse des Betroffenen im Einzelfall schwerer wiegt als das Öffentlichkeitsinteresse.
Das durch die DSGVO anerkannte „Recht auf Vergessen“gem. Art. 17 I DSGVO überwiegt entgegen einer Entscheidung des EuGH zum früheren Recht (Urteil vom 13.05 2014 –- C.131/12, Google Spain) nicht grundsätzlich das öffentliche Informationsinteresse.
(Die DSGVO erlangt erst seit dem 25. Mai 2018 unmittelbare Anwendung.)
Das Rechtsschutzziel des Klägers, namentlich das Auslistungsersuchen (Löschungsbegehren) gemäß Art. 17 I DSGVO sei zunächst gegeben. Der Begriff Löschung erfasse nicht nur das bloße Vernichten von Daten, sondern vielmehr auch das Unkenntlichmachen von personenbezogenen Daten und die Unterlassung der erneuten Anzeige bestimmter URLs.
Art. 17 DSGVO sei vielmehr auch die richtige Rechtsgrundlage – Die Rechtsbestimmung wurde als Reaktion auf die EuGH – Entscheidung zum Recht auf Vergessen in Sachen Google Spain geschaffen.
In dieser Entscheidung verpflichtete der EUGH Google basierend auf der damals anwendbaren Datenschutzlinie dazu, Links von Dritten aus der Ergebnisliste zu entfernen.
Die Voraussetzungen des datenschutzrechtlichen Auslistungsanspruchs seien nach Ansicht des OLG vielmehr jedoch nicht gegeben. Abzuwägen seien das klägerische Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Recht von Google und seinen Nutzern auf Kommunikationsfreiheit.
Nach Ansicht des OLG müsse das Anonymitätsinteresse des Klägers hinter das Interesse der Öffentlichkeit an der weiteren Zurverfügungstellung der Berichte zurücktreten. Die Artikel in der Trefferliste enthielten zwar sensible Daten, namentlich Gesundheitsdaten des Klägers. Deren Schutz gehe aber nur so weit, wie er „erforderlich“ sei. Bei der Interessenabwägung greift das Gericht auf die Rechtsprechung des BGH zur mittelbaren Störerhaftung zurück:
Danach sei ein Suchmaschinenbetreiber (wie Google) erst dann zur Handlung verpflichtet, wenn er durch einen konkreten Hinweis Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung erlangt hat
– An einer derartigen Rechtsverletzung fehle es im vorliegenden Falle, vielmehr sei Google zu einer präventiven Kontrolle nicht verpflichtet.
Das OLG wies indes darauf hin, dass die ursprüngliche Berichterstattung rechtmäßig war und ein erhebliches öffentliches Interesse bestand. – Dies beziehe sich vielmehr auch auf die gesundheitsbezogenen Angaben des Klägers, welche erklärten, aus welchen Gründen er zu Mitarbeit im Regionalverband nicht zur Verfügung stand.
Ein anderes Ergebnis lasse sich nach Ansicht des OLG auch nicht aus dem vom EuGH anerkannten „Recht auf Vergessen“. Aus dem Ablauf von 6 – 7 Jahren seit Veröffentlichung der Artikel ließe sich nicht die Erledigung jegliches Informationsinteresses ableiten.
Der EuGH (C131/12) habe zwar in einer Entscheidung vor Erlass der DSGVO angenommen, dass grundsätzlich das Anonymisierungsinteresse des Betroffenen das Interesse an der fortbestehenden Verlinkung überwiege. Nach Ansicht des EuGH könne lediglich in Ausnahmesituationen der Grundrechtseingriff durch ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit gerechtfertigt sein. Das OLG betonte jedoch, dass sich diese Entscheidung nicht auf einen vergleichbaren presserechtlichen Sachverhalt bezogen habe. Dieser Regel–Ausnahme – Mechanismus sei nach Ansicht des OLG unter Geltung der DSGVO nicht mehr anwendbar. Vielmehr müsse mit „Vorsicht den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung“ getragen werden.
Aus den genannten Gründen könne sich der Kläger nicht auf einen Unterlassungsanspruch wegen unerlaubten Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts berufen.
3. Der BGH verneinte einen Anspruch des Klägers auf Löschung der veröffentlichten Artikel
Das OLG ließ die Revision zum BGH zu, da die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der DSGVO von grundlegender Bedeutung und höchstrichterlich nicht geklärt seien. Das folgende Urteil stellt das erste obergerichtliche Urteil zu Löschungsfragen nach der neuen DSGVO dar.
Ob dem einzelnen Betroffenen infolge eines gewissen Zeitablaufs ein Vorrang des Vergessens vor dem Erinnern gewährt wird beantwortete der BGH (VI ZR 476/18)mit:
Es kommt darauf an.
Mit Blick auf das Auslistungsbegehren gegenüber Suchmaschinenbetreibern hat der VI. Zivilsenat des BGH die umfassende Abwägung aller involvierten Interessen betont.
Der Senat legte dar, dass in derartigen Fällen die existente multipolare Interessenlage die Entscheidung maßgeblich präge. So konkurrieren im vorliegenden Falle einerseits die Rechte des Betroffenen Art. 7 und Art. 8 der Grundrechtecharta (GRCH), die dem Schutz der Privatsphäre sowie personenbezogenen Daten dienen, während sich der Suchmaschinenbetreiber Google zugleich auf sein Recht auf unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GRChberufen kann. Die verlinkten Presseartikel beinhalteten zwar Gesundheitsdaten des Klägers i. S. v. Art. 9 I DSGVO. Die Verarbeitung der Daten durch die Beklagte sei jedoch zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationentsprechend Art. 17 III lit. a DSGVO erforderlich.
Der BGH schloss sich dem OLG an und verneinte (anders als der EUGH) einen grundsätzlichen Vorrang der Interessen des Betroffenen. Der BGH schloss demnach ein solches pauschales Vorrangverhältnis aus.
Daraus folge, dass die notwendige Grundrechtsabwägung im Ergebnis nach Ansicht des BGH zur Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung der Beklagten führe:
Entsprechend der Darlegung der BGH-Richter trete das Interesse des Klägers hinter den Interessen der Suchmaschine, den Interessen der Nutzer und der Öffentlichkeit sowie den Interessen der für die verlinkten Zeitungsartikel verantwortlichen Presseorgane zurück.Vielmehr betonten die Richter die fortdauernde Rechtmäßigkeit der verlinkten Berichterstattung. Die fraglichen Ergebnisse dürfen demnach auch weiterhin in der Ergebnisliste angezeigt werden, wenn der Name des Klägers in der Suchmaschine Google gesucht wird. Ein Auslistungsanspruch gem. Art. 17 I DS-GVO sei in der Folge nicht gegeben.
Aus dem Gebot der gleichberechtigten Grundrechtsabwägung folgerte der BGH vielmehr, dass die Verantwortlichen einer Suchmaschine nicht erst dann tätig werden müssen, wenn er von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung der Betroffenen Kenntnis erlangt. Die Pflichten der Suchmaschinenbetreiber wurden demnach konkretisiert; der BGH nimmt solche in der Folge strenger in die Pflicht.
4. Praktische Relevanz des Urteils
Welche praktische Bedeutung hat diese höchstrichterliche Entscheidung in Bezug auf Löschungsbegehren für die Zukunft?
Im vorliegenden Fall hat der BGH das Recht auf Vergessen – speziell auf den Fall von Auslistungsbegehren – verschärft. Dies war infolge der unmittelbaren Anwendbarkeit der Verordnung seit Mai 2018 auch notwendig – Die dargelegte Entscheidung Google Spain kann damit in gewisser Hinsicht als überholt betrachtet werden. Das Interesse des Betroffenen genießt demnach keinen pauschalen Vorrang gegenüber kollidierenden Interessenlagen. Vielmehr müssen in Zukunft auch die kollidierenden Grundrechte, so wie die Interessen der Anbieter von Inhalten sowie das Öffentlichkeitsinteresse in die Einzelfallprüfung einbezogen werden (Gebot der gleichberechtigten Abwägung). Indes müssen Suchmaschinenbetreiber zu Recht nun strengere Pflichten zur Vorbeugung von Rechtsverletzungen von Betroffenen gerecht werden.
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[E.K.]
Rechtsanwalt
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