Verwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Juli 2014 - 7 K 5217/12
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des BfArM vom 04.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2012 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Anbau von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Mit Schreiben vom 27.01.2011 und vom 03.05. 2011 beantragte der Kläger die Erteilung einer Erlaubnis für den Erwerb bzw. den Anbau von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – Bundesopiumstelle –. Zur Begründung gab er an, er sei seit März 2007 in Schmerztherapie wegen Migräne mit und ohne Aura, eines LWS-Syndroms, eines Karpaltunnelsyndroms an beiden Händen und diabetischer Polyneuropathie. Im Rahmen der Therapie seien ihm verschiedene Schmerzmittel, Antiepileptika und Antidepressiva verordnet worden. Bei den Antiepileptika sei es zu erheblichen Nebenwirkungen wie Gleichgewichtsstörungen, Konzentrations- und Reaktionsverminderung gekommen, weswegen sie wieder abgesetzt worden seien. Bei einigen Schmerzmitteln seien allergische Reaktionen oder Magenschmerzen aufgetreten. Andere Schmerzpatienten hätten über positive Wirkungen von Cannabis berichtet.
3Den Schreiben war eine Mitteilung der DAK Hamburg vom 25.01.2011 beigefügt, in dem diese die Kostenübernahme für eine Behandlung mit „Cannabis“ ablehnt. Ferner legte der Kläger Arztberichte des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vom 14.08.2007 (Privatdozent Dr. med. B. N. ) und des Schmerz- und Palliativzentrums Hamburg vom 18.12.2009 (Dr. med. D. M. ) vor.
4Auf Anforderung der Beklagten reichte der Kläger mit Schreiben vom 23.12.2011 weitere Unterlagen ein, insbesondere ein ärztliches Attest von Dr. med. C. L. (Schmerztherapie, Zentrum am Rothenbaum, Hamburg) vom 22.12.2011 sowie Fotos von bereits vorgenommenen Sicherheitsmaßnahmen (Bl. 40 ff. VV). Im Arztbericht wird bestätigt, dass der Kläger seit seiner Jugend an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und zahlreichen Begleiterkrankungen leide. Im Vordergrund der Beschwerden stünden derzeit die neuropathischen Schmerzen in beiden Beinen, verbunden mit Krämpfen und Schlaflosigkeit, ferner rechtsseitige Rückenschmerzen mit radikulärer Ausstrahlung und Läsion des Spinalnerven im Bereich L5/S1 R. Ferner bestehe bei dem Patienten eine unberechenbare Sturzneigung und eingeschränkte Gehstrecke. Diese Beschwerden beeinträchtigten den Patienten so stark, dass er als Folge unter einer ausgeprägten depressiven Störung mit suizidalen Anwandlungen leide.
5Durch die angewandte multimodale Behandlung einschließlich einer medikamentösen Opiat-Therapie mit Targin und Oxycodon hätten die Schmerzen reduziert werden können, nicht aber die Krämpfe und die Fallneigung. Durch eine probeweise Medikation mit Bedica sei es innerhalb von wenigen Tagen zu einer deutlichen Reduktion der nächtlichen Krämpfe, einer radikalen Schlafverbesserung, einer Verminderung der Schmerzen und Reduzierung des Depressionswertes gekommen. Gleichzeitig habe die Opiatmedikation erheblich reduziert werden können. Es werde eine tägliche Dosis von 2 g Bedica empfohlen, mithin ein 4-Wochen-Bedarf von 56 g.
6Ferner legte der Kläger ein Schreiben der DAK vom 11.01.2012 vor, mit dem ein Antrag auf Kostenübernahme für „Dronabinol“ oder „Bedica THC“ abgelehnt wurde.
7Am 20.01.2012 wurde dem Kläger die Erlaubnis zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten in der vom Arzt empfohlenen Menge über eine Apotheke erteilt.
8Mit Schreiben vom 08.01.2012 beantragte der Kläger erneut die Erlaubnis zum Eigenanbau in seiner Wohnung und erläuterte die Einzelheiten des Anbaus und der vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen.
9Auf Anforderung des BfArM machte der Kläger mit Schreiben vom 29.02.2012 weitere Angaben zur Sicherung des Anbaus in seiner Wohnung und legte zusätzliche Fotos vor. Der vorgesehene Raum habe einen separaten Eingang, der abgeschlossen sei. Die gesamte Wohnung sei videoüberwacht. Die Türschlösser entsprächen der Sicherheitsstufe 3. Der Raum für den Anbau sei zusätzlich gesichert. Fenster und Balkontür seien abschließbar und mit einem Stahlbügel zusätzlich verschlossen. Die Ernte werde in einem Stahlschrank aufbewahrt, in dem sich ein Tresor befinde.
10Ferner wurde eine Berechnung über die Kosten des Anbaus im Vergleich zu den Kosten des Erwerbs der Cannabisblüten aus der Apotheke vorgelegt. Demnach fielen beim Kauf der Cannabisblüten in der Apotheke bei einem Bedarf von 672 g jährlich Kosten in Höhe von 9.504,00 Euro an; demgegenüber seien beim Anbau einmalig Anschaffungskosten in Höhe von 570,55 Euro und jährliche Verbrauchskosten in Höhe von 503,50 aufzubringen.
11Mit Bescheid vom 04.05.2012 lehnte das BfArM die Erteilung der Erlaubnis für den Anbau von Cannabisblüten für die Eigentherapie ab. In der Begründung wurde angegeben, der Erlaubnis stehe der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entgegen, weil die nach den Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten (hier Ziff. 1 und 2) geforderten Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen seien.
12Der Anbau von Cannabispflanzen für die Eigentherapie sei auch zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung weder geeignet noch notwendig. Wegen des schwankenden Wirkstoffgehalts beim Eigenanbau sei die Einhaltung einer vom Arzt verantworteten Dosierungsempfehlung nicht möglich und unerwünschte Nebenwirkungen könnten nicht vorhergesehen und zielgerichtet bekämpft werden.
13Ferner stehe der Erlaubniserteilung das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 entgegen, das die Errichtung einer staatlichen Cannabisagentur bei einer Genehmigung des Anbaus von Cannabis erfordere. Eine nationale Cannabisagentur bestehe in Deutschland nicht.
14Bei einem Verstoß gegen die Konvention sei das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland und die effiziente Kontrolle im Betäubungsmittelbereich gefährdet. Diese Gesichtspunkte überwögen gegenüber dem Interesse an der Erteilung einer Erlaubnis zum Eigenanbau. Die Erlaubniserteilung sei nicht geboten, da dem Kläger die Cannabis-Therapie grundsätzlich aufgrund der Genehmigung zum Erwerb des Medizinalhanfs aus der Apotheke zur Verfügung stehe.
15Am 18.05.2012 legte der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch ein. In seiner ausführlichen Widerspruchsbegründung vom 13.05.2012 und 20.05.2012 bezieht sich der Kläger zunächst auf das Urteil des VG Köln vom 11.01.2011 – 7 K 3889/09 - und auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005. Danach sei eine Einzelfallprüfung erforderlich, die die Behörde nicht getroffen habe. Der Erlaubniserteilung stünden weder Sicherheitsaspekte noch internationale Abkommen entgegen. Die Therapiealternative mit Cannabisblüten aus der Apotheke sei nicht erschwinglich.
16Durch Widerspruchsbescheid vom 28.08.2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. In der Begründung werden die Ausführungen des Ablehnungsbescheides vom 04.05.2012 wiederholt.
17Am 06.09.2012 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er seinen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für den Cannabisanbau zum Zweck der Eigentherapie weiterverfolgt.
18Er macht geltend, dass er einen Anspruch auf die Erlaubnis zum Anbau habe, da er Cannabis vor allem zur Schmerzlinderung benötige. Entgegen der Behauptung der Beklagten gebe es durchaus wissenschaftliche Forschung zum Einsatz von Cannabis für Schmerzpatienten in Schweden, Holland und der Schweiz sowie einigen außereuropäischen Ländern. Hierzu hat der Kläger verschiedene Unterlagen vorgelegt (Beiakte 4). Cannabis sei in neurologischen Fachkliniken bei Migräne, unter der er ebenfalls leide, erfolgreich getestet worden. Die deutsche Schmerzliga und die Bundesärztekammer hätten eine Freigabe von Cannabis in ihrer Stellungnahme zur Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages am 09.05.2012 empfohlen.
19Eine erschwingliche Therapiealternative mit einem zugelassenen Arzneimittel bestehe nicht. Seine Krankenkasse lehne die Kostenübernahme ausweislich des vorgelegten Schreibens der Bergischen Krankenkasse vom 08.03.2013 weiterhin ab, weil die Behandlung mit Dronabinol vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht genehmigt worden sei. Bei einer chronischen Schmerzerkrankung liege auch kein notstandsähnlicher Ausnahmefall vor.
20Zwingende Versagungsgründe seien nicht gegeben. Insbesondere seien die Sicherungsmaßnahmen in seiner Wohnung ausreichend. Hierzu legt der Kläger erneut Fotos vor (Bl. 23 ff., 55, 56 d. A. und Beiakte 4). Die Beklagte könne die Sicherheitsvorkehrungen in seiner Wohnung jederzeit selbst überprüfen. Die Beklagte erhebe Anforderungen an die Sicherheit in einer Privatwohnung, die nicht zu erfüllen seien. Die Richtlinien des BfArM für die Sicherung von Betäubungsmittelvorräten könnten nur bei Unternehmen, nicht aber bei Privatpersonen Anwendung finden. Es sei Aufgabe des BfArM, die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen durch Nebenbestimmungen anzuordnen.
21Wirkstoffschwankungen beim Eigenanbau stünden der Erlaubnis nicht entgegen. Diese bestünden auch bei den Blüten aus der Apotheke. Die Zucht der Pflanze und Wiederverwendung der Samen biete eine ausreichende Stabilität bei gleichbleibender Qualität.
22Die Entscheidung des BfArM, die Erlaubnis zu verweigern, sei ermessensfehlerhaft. Insbesondere könne er nicht auf den Erwerb von niederländischem Medizinalhanf verwiesen werden, da dessen Bezug für ihn unerschwinglich sei. Bei einem monatlichen Bedarf von 60 g Cannabisblüten entstünden Kosten in Höhe von 864,48 €. Dieser Betrag könne von ihm, als Frührentner, nicht aufgebracht werden.
23Nach den Angaben im Prozesskostenhilfeantrag bezieht der Kläger derzeit eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 292,80 € zuzüglich Leistungen der Grundsicherung nach SGB XII in Höhe von 902,10 € monatlich. Die Folge der unzureichenden Versorgung mit Cannabis seien erneute starke Schmerzen, Ataxien, fehlender Schlaf und die fehlende Möglichkeit, außerhalb der Wohnung etwas zu unternehmen.
24Die Beklagte habe im Rahmen der Ermessensausübung auch keine Feststellungen zur Schwere der Erkrankung des Klägers getroffen, die sich fortlaufend verschlechtere und zu immer größeren Einschränkungen aufgrund der Ataxie führe, einhergehend mit starken Depressionen. Unter Beachtung der Wertentscheidung des Grundgesetzes sei selbst ein Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffübereinkommen hinzunehmen. Im Übrigen liege ein Verstoß gegen das ÜK 1961 nicht vor. Eine Cannabisagentur sei bei dem Anbau für die Eigentherapie nicht unbedingt notwendig. Insoweit wird Bezug genommen auf ein Gutachten von Prof. Dr. Lorenz Böllinger vom 15.02.2009.
25Auf Anforderung des Gerichts hat der Kläger außerdem eine ärztliche Stellungnahme seines behandelnden Schmerztherapeuten Dr. med. B. L. vom 11.12.2013 (Bl. 104 d.A.) vorgelegt, in der dieser bestätigt, dass der Zustand gegenüber dem Befund vom 22.12.2011 unverändert sei. Eine Kombination aus Targin, Antikonvulsiva und Antidepressiva sei keine Therapiealternative, da der Kläger die Antikonvulsiva wegen zentraler Nebenwirkungen nicht vertrage und die Antidepressiva zwar zu einer Schmerzverminderung führten, aber keine Wirkungen auf die Krämpfe hätten. Eine Kombinationstherapie aus Bedica (Cannabisblüten), Targin und Antidepressiva lasse dagegen eine Besserung der Schmerz- und Lebensqualität erwarten.
26Ferner hat der Kläger ein neurologisches Gutachten von Dr. med. M1. I. vom 18.06.2012, Lieferscheine und Rechnungen der S. -Apotheke Hamburg über die Lieferung von Cannabis flos Bedica aus dem Jahr 2012, weitere Fotos aus seiner Wohnung, ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Hamburg zu einem Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln vom 07.09.2012 (6001 Js 295/12) und weitere Unterlagen vorgelegt (Beiakten 3 und 4).
27Der Kläger beantragt,
28die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 04.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2012 zu verpflichten, ihm eine Erlaubnis für den Anbau von Cannabispflanzen zum Zweck der Eigentherapie zu erteilen,
29hilfsweise,
30über den Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
31Die Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Sie wiederholt im Wesentlichen die Begründung der angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor, das OVG NRW habe im Urteil vom 07.12.2012 – 13 A 414/11 – in einem Parallelverfahren bestätigt, dass ein Anspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis jedenfalls dann nicht bestehe, wenn dem Antragsteller eine gleichwirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung stehe. Bis heute habe der Kläger keinen Therapieversuch mit dem Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ unternommen. Zwar habe ihm diese Therapiealternative bisher nicht zur Verfügung gestanden, da seine Krankenkasse die Kostenübernahme abgelehnt habe. Vor dem Hintergrund, dass in dem Verfahren OVG NRW - 13 A 414/11 - eine Kostenzusage der Krankenkasse erfolgt sei, sei anzuregen, dass der Kläger erneut einen Antrag auf Kostenerstattung bei seiner Krankenkasse stelle und einen ärztlich überwachten, mindestens dreimonatigen Therapieversuch mit Dronabinol unternehme.
34Auf Anfrage des Gerichts hat die Beklagte mitgeteilt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Empfehlung für den Einsatz cannabishaltiger Arzneimittel bei den Indikationen „chronische neuropathische Schmerzen“ oder „diabetischer Neuropathie“ gegeben habe. Dies sei aktuell auch nicht vorgesehen. Die Anwendung von Cannabis in diesen Anwendungsgebieten sei nicht wissenschaftlich anerkannt. Kontrollierte Studien, die die Sicherheit und Wirksamkeit von Cannabis insoweit belegten, lägen nicht vor.
35Weiterhin hat die Beklagte die „Richtlinien über Maßnahmen zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten bei Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG“ mit Stand vom 01.01.2007 vorgelegt. Nach Auffassung des BfArM sind diese Richtlinien, die der Einheitlichkeit und Transparenz der Sicherungsmaßnahmen dienten, auch beim Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken zu beachten. Die Anforderungen richteten sich nach dem Gefährdungsgrad und der Bestands- oder Jahreshöchstmenge des betreffenden Betäubungsmittels. Da sich Cannabis in der Sicherungsklasse S 3 befinde, erfordere bereits der Anbau einer einzigen Cannabispflanze mit einem Gewicht über 100 g eine Sicherung nach Ziff. 1 und 2 der Richtlinie. Es sei daher eine Raumsicherung nach Ziff. 2 sowie für die Lagerung ein Wertschutzschrank nach Ziff. 1 der Richtlinie erforderlich.
36Wenn diese Richtlinien keine Anwendung finden sollten, wäre jedenfalls eine weitere Prüfung der Sicherheitslage, ggfs. unter Inaugenscheinnahme der konkreten örtlichen Gegebenheiten durch das BfArM, erforderlich. Wegen der Mannigfaltigkeit der hierbei zu beachtenden Kriterien könnten die Anforderungen an die Sicherung des Cannabisanbaus in einer Privatwohnung nicht pauschal definiert werden.
37Die vorgetragenen Sicherheitsvorkehrungen in der Wohnung des Klägers seien nach wie vor nicht ausreichend. Die nunmehr eingereichten Fotos ließen eine Beurteilung der konkreten Beschaffenheit des Schlosses nicht zu. Zudem sei nicht erkennbar, ob es sich überhaupt um Fotos aus der Wohnung des Klägers handele.
38Ferner stehe der Erlaubniserteilung das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 entgegen, das die Errichtung einer staatlichen Cannabisagentur bei einer Genehmigung des Anbaus von Cannabis erfordere. Dies gelte auch für den Anbau im geringen Umfang zum Zweck der Eigentherapie, wie der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) auf eine Anfrage des BfArM im Schreiben vom 30.07.2010 bestätigt habe. Denn die Errichtung der Agentur diene dem Zweck, ausnahmslos alle Ernten zu erfassen und zu kontrollieren mit dem Ziel, der Gefahr einer illegalen Entnahme oder Weitergabe von Teilmengen zu begegnen.
39Im Rahmen der nach § 5 Abs. 2 BtMG zu treffenden Ermessensentscheidung überwiege das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Wahrung ihres internationalen Ansehens die Belange des Klägers. Dem Ansehen werde erheblicher und unvertretbarer Schaden zugefügt, wenn die Bundesrepublik trotz der klaren Feststellung des INCB gegen seine Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstoßen würde. Außerdem seien die Einhaltung der Konvention und die Zusammenarbeit mit den Internationalen Behörden unverzichtbar für eine effiziente Überwachung und Kontrolle im Betäubungsmittelbereich. Hier gehe es nicht um die grundsätzliche Frage des Einsatzes von Cannabis zu therapeutischen Zwecken, sondern speziell um den Anbau, bei dem eine effektive Kontrolle über den Umfang und die Lagerbestände nicht gegeben sei. Bei der Abwägung sei auch die international große drogenpolitische Bedeutung des Themas „Cannabis“ zu berücksichtigen. Demgegenüber würden die Belange des Klägers ausreichend durch die Erlaubnis zum Erwerb von Medizinal-Hanf gewahrt. Außerdem spreche auch der erwähnte Aspekt der Therapiesicherheit gegen die Erteilung der Erlaubnis.
40Auf Anforderung des Gerichts hat die Beklagte im Verfahren 7 K 4450/11 mit Schriftsatz vom 03.07.2014 eine Auskunft zur internationalen Handhabung des Cannabisanbaus zu medizinischen Zwecken einschließlich entsprechender Unterlagen vorgelegt, auf die Bezug genommen wird. Eine Kopie des Schriftsatzes mit den Unterlagen wurde dem Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgehändigt.
41Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie in den Verfahren 7 K 4447/11 und 7 K 4450/11, auf die von der Beklagten eingereichten Verwaltungsvorgänge und die vom Kläger vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
42E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
43Die Klage ist zulässig und in überwiegendem Umfang begründet.
44Soweit der Kläger hilfsweise die Neubescheidung seines Antrages auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zur Eigentherapie und Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide des BfArM beantragt hat, hat die Klage Erfolg. Der Bescheid des BfArM vom 16.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis, vorbehaltlich einer noch vom BfArM zu treffenden Ermessensentscheidung über die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen in Form einer Nebenbestimmung zur Erlaubnis. Da diese Ermessensentscheidung noch nicht vorliegt, ist der Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Erlaubnis noch nicht spruchreif, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, und war daher als unbegründet abzuweisen.
45Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide ist nach allgemeinen Grundsätzen im Fall der Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend. Aus dem anwendbaren materiellen Recht, also den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, ergeben sich keine Gründe für die Berücksichtigung eines anderen Zeitpunktes.
46Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist die Klage hinsichtlich des Hilfsantrages begründet. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis, die sich aus § 3 Abs. 2 BtMG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG unter Berücksichtigung einer verfassungskonformen Auslegung ergeben, sind erfüllt. Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 BtMG stehen der Erlaubniserteilung nicht entgegen bzw. können durch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis beseitigt werden. Die Kammer ist auch zu der Auffassung gelangt, dass das in § 3 Abs. 2 BtMG eingeräumte Ermessen der Beklagten im vorliegenden Verfahren auf Null reduziert ist, weil nur die Erteilung der Erlaubnis den grundrechtlich geschützten Interessen des Klägers gerecht werden kann und damit allein rechtmäßig ist. Lediglich hinsichtlich der Auswahl der noch anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen steht dem BfArM noch Ermessen zu.
47Nach § 3 Abs. 2 BtMG kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Der Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung fällt unter die Anlage I des BtMG und bedarf daher einer Erlaubnis des BfArM.
48Nach der Anlage I zu § 1 Nr. 1 BtMG zählt Cannabis grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln, für die eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur im Ausnahmefall erteilt werden kann. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen offensichtlich nicht vor. Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11.05.2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (Anlage III), ist hier nicht betroffen. Auch sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, nicht „zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“ bestimmt (Anlage II). Denn diese Ausnahme bezieht sich nach der Gesetzesbegründung ausschließlich auf die Herstellung von Zubereitungen mit dem Ziel der Herstellung eines Fertigarzneimittels,
49vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - und Beschluss vom 16.11.2011 - 13 B 1199/11 - juris.
50Die für den Anbau von Cannabispflanzen geltende Erlaubnispflicht in Verbindung mit der hieran anknüpfenden Strafbarkeit bei Fehlen der Erlaubnis begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, sofern für die Erteilung der Erlaubnis die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - geltenden Kriterien berücksichtigt werden. Denn die Gefährlichkeit des Cannabisgenusses ist auch nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere für bestimmte Risikogruppen wie Jugendliche, nicht widerlegt, und rechtfertigt daher nach wie vor das grundsätzliche Verkehrsverbot,
51vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.11.2011 - 13 B 1199/11 - und VG Köln, Beschluss vom 13.09.2011 - 7 L 1172/11 - .
52Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 - u. a., BVerfGE 90, 145, 187 die Verfassungsmäßigkeit des strafbewehrten Cannabisverbots bejaht und ausgeführt, dass nach dem seinerzeitigen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand mit dem Cannabisgenuss beträchtliche Gefahren und Risiken für die Gesundheit des einzelnen und der Bevölkerung, vor allem der jugendlichen Bevölkerung, verbunden seien. Insbesondere könne ein Dauergenuss in hoher Dosierung – eventuell im Zusammenwirken mit anderen Ursachen – zu Toleranzbildung, psychischer Abhängigkeit und weiteren psychischen Störungen führen und damit die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen beeinträchtigen. Ein „Umsteigeeffekt“ auf härtere Drogen sei in Einzelfällen nicht auszuschließen. Ein akuter Cannabisrausch beeinträchtige in erheblichem Maß die Fahrtüchtigkeit und damit die Sicherheit des Straßenverkehrs. Die generelle Ungefährlichkeit von Cannabis sei wissenschaftlich nicht gesichert.
53An dieser Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen vom 29.06.2004 - 2 BvL 8/02 - , DVBl. 2004, 1108, vom 30.06.2005 - 2 BvR 1772/02 - , PharmR 2005, 374 und vom 15.08.2006 - 2 BvR 1441/06 - , juris, festgehalten.
54Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 21.12.2000 - 3 C 20/00 - , NJW 2001, 1365, dieser Rechtsprechung angeschlossen und ausgeführt, dass auch die nach dem Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994 erzielten Forschungsergebnisse bisher nicht den Beweis einer generellen Unbedenklichkeit von Cannabis erbracht hätten. Diese Auffassung wurde im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.10.2006 - 3 B 109.06 - bestätigt.
55Im vorliegenden Verfahren wurden keine aktuellen Forschungsergebnisse benannt, die eine günstigere Einschätzung des Risikopotentials von Cannabis rechtfertigen würden. Sogar von den Befürwortern einer allgemeinen Freigabe des Cannabiskonsums oder zumindest einer Freigabe für medizinische Zwecke wird eingeräumt, dass insbesondere der hochdosierte Dauergenuss nicht unerhebliche Risiken für bestimmte Bevölkerungsgruppen, insbesondere für Jugendliche oder Personen mit einer instabilen Psyche birgt,
56vgl. Krumdiek, „Cannabis sativa L. und das Aufleben alter Vorurteile“, NStZ 2008, 437, 444; Grotenhermen/Müller-Vahl, „Das therapeutische Potenzial von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498 f..
57Ein Gelegenheitskonsum wird zwar, insbesondere bei erwachsenen Konsumenten, in der Regel als gesundheitlich unproblematisch angesehen. Jedoch können die erwünschten psychischen Wirkungen des akuten Cannabisrausches, z. B. Entspannung, Gelassenheit, Leichtigkeit, Euphorie, Intensivierung von Wahrnehmung und Gemeinschaftserleben, auch in seltenen Fällen in das Gegenteil umschlagen und zu vorübergehenden Angstzuständen, Verwirrung, Halluzinationen, Erinnerungslücken, Übelkeit und Schwindel führen.
58Bedeutsamer sind aber die dauerhaften Folgen eines Cannabiskonsums. Trotz teilweise widersprüchlicher Forschungsergebnisse ist heute anerkannt, dass ein dauerhafter und hochdosierter Cannabiskonsum mit psychischen, sozialen und körperlichen Risiken, insbesondere bei dafür anfälligen Personen, verbunden sein kann.
59Es kann sich bei ca. 4 – 7 % der Konsumenten eine psychische und eine milde körperliche Abhängigkeit entwickeln. Bei einem Entzug können daher leichte Symptome wie innere Unruhe, Reizbarkeit, Angst, Schlafstörungen, Schweißausbrüche entstehen, die den Symptomen eines Nikotinentzuges ähnlich sind und eine Beendigung des Konsums erschweren. Die Sicherstellung des Konsums kann daher im Alltagsleben eine erhebliche Bedeutung gewinnen und andere Aufgaben in den Hintergrund drängen.
60Cannabisabhängigkeit kann insbesondere bei Jugendlichen und bei Vorliegen persönlicher und sozialer Risikofaktoren in Zusammenhang mit Leistungsproblemen in Schule und Beruf sowie familiären und finanziellen Schwierigkeiten stehen, wobei die Kausalität von Cannabis nicht eindeutig geklärt ist. Es spricht einiges dafür, dass dauerhafter Cannabiskonsum, insbesondere bei Jugendlichen oder bei Personen mit entsprechender Disposition den Ausbruch einer Schizophrenie auslösen oder beschleunigen kann.
61Derartige Fälle sind allerdings selten.
62Hochdosierter regelmäßiger Cannabiskonsum schädigt die Lungenfunktion und erhöht das Krebsrisiko, jedenfalls in der verbreiteten Verbindung mit Tabakrauch. Zu den akuten Wirkungen von Cannabis gehört auch eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Der Cannabisgenuss kann daher für Herz/Kreislauf-Patienten gefährlich sein. Ferner hat Cannabiskonsum eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit zur Folge (Aufmerksamkeit, Konzentration, Lernfähigkeit, Gedächtnis), wobei noch ungeklärt ist, ob diese Folgen bei Beendigung des Genusses reversibel sind. Einige Studien weisen darauf hin, dass das nicht ausgereifte Gehirn von Jugendlichen durch die Wirkungen von Cannabis dauerhaft geschädigt werden kann. Nicht auszuschließen ist ein Einfluss auf das Hormon- und Immunsystem, was in der Pubertät zu Entwicklungsverzögerungen führen kann,
63vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, „Das therapeutische Potential von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; „Cannabis-Wirkung, Nebenwirkungen und Risiken“; http:// hanfverband.de, Abruf vom 25.06.2014; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., „Illegale Drogen“, Cannabis, http:// www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Sonnenmoser, „Cannabiskonsum: Für Jugendliche besonders riskant“, 2008, http:// www.aerzteblatt.de, Abruf vom 23.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. für Suchtforschung und Suchttherapie und der Dt. Ges. f. Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, „Cannabisbezogene Störungen“, AWMF online, http://www.uni-duesseldorf.de, eingestellt am 18.12.2006; Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Drugcom: Drogenlexikon: Cannabis, http://www.drugcom.de, Abruf vom 18.06.2014.
64Das Risikopotential von Cannabis wird bestätigt durch die Inanspruchnahme von Drogenberatungsstellen und Therapieangeboten. Cannabis war im Jahr 2012 europaweit unter den Drogenkonsumenten, die sich erstmalig einer Behandlung unterzogen, die am häufigsten gemeldete Droge. In Deutschland gaben 54,5 % der Drogenkonsumenten (11.431 Personen), die erstmalig eine Therapie antraten, Cannabis als Primärdroge an,
65vgl. Europäischer Drogenbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, 2014, S. 13, 36 und 77.
66Vor diesem Hintergrund kann von einer Ungefährlichkeit des Cannabiskonsums nach wie vor nicht ausgegangen werden. Demnach ist das allgemeine, strafrechtlich bewehrte Verkehrsverbot mit Erlaubnisvorbehalt keine unverhältnismäßige Einschränkung des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG. Die von Cannabis ausgehenden Gefahren sind aber anders zu beurteilen, wenn es um den Einsatz des Betäubungsmittels zur Bekämpfung einer Krankheit geht und damit um ein sehr viel höheres Rechtsgut als die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Beschränkung des Zugangs zu Cannabis hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung im Hinblick auf den Eingriff in die Grundrechte von Menschen mit schweren Erkrankungen aus Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 GG nur dann stand, wenn im Einzelfall schon die Möglichkeit einer Linderung der schweren Erkrankung oder die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit die Erlaubnisfähigkeit eröffnet,
67vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - juris.
68Die vom Bundesverwaltungsgericht in der o. g. Entscheidung angegebenen Kriterien für die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Erwerb und sogar für den Anbau von Cannabispflanzen liegen unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls vor. Die Erteilung der Erlaubnis liegt im öffentlichen Interesse.
69Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Beschwerden möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
70Dies ergibt sich aus der Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und für die Wahrung der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 GG. Diesen Bestimmungen kommt im Rahmen des Wertehorizontes des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist,
71vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - juris.
72Der Einsatz von Cannabis ist im vorliegenden Einzelfall zur Linderung der Leiden und Beschwerden des Klägers geeignet und erforderlich. Dies hat die Beklagte bereits dadurch anerkannt, dass sie dem Kläger eine Erlaubnis zum Erwerb von Medizinalhanf aus Holland am 20.01.2012 erteilt hat.
73Die Notwendigkeit der Versorgung des Klägers mit Cannabis liegt auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch vor. Nach den vorliegenden ärztlichen Berichten leidet der Kläger an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und zahlreichen Begleiterkrankungen. Hierzu gehören neuropathische Schmerzen in beiden Beinen, verbunden mit Krämpfen (diabetische Neuropathie), Migräne, chronische Spannungskopfschmerzen, Herzinsuffizienz und Schlaflosigkeit, rechtsseitige Rückenschmerzen mit radikulärer Ausstrahlung und Läsion des Spinalnerven im Bereich L5/S1 aufgrund degenerativer Wirbelsäulenveränderungen, Coxarthrose, Adipositas, Schlafapnoe, Schulter-Nacken-Beschwerden, Paraparese der unteren Beine mit Sturzneigung und einer ausgeprägten depressiven Störung mit Suizidgedanken. Dies ergibt sich aus den ärztlichen Attesten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, Dr. A. N. , vom 14.08.2007, Bl. 10, 11 Beiakte 2, des Schmerz- und Palliativzentrums Hamburg, Dr. D. M. , vom 18.12.2009, Bl. 12, 13 Beiakte 2, des Schmerztherapie-Zentrums Hamburg, Dr. C. L. vom 22.12.2011, Bl. 31 – 33 Beiakte 2 und vom 11.12.2013, Bl. 104 d. A. sowie aus dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. M1. I. vom 18.06.2012. Seit 2010 benutzt der Kläger einen Rollstuhl.
74Dr. L. betont in seiner aktuellen Stellungnahme vom 11.12.2013, dass die Beschwerden chronisch seien und von einer Heilung nicht ausgegangen werden könne. Ziel der Therapie könne nur eine Schmerzlinderung sein. Demnach bedarf der Kläger einer Dauermedikation seiner multiplen Beschwerden mit Cannabis, nachdem andere Behandlungskonzepte fehlgeschlagen sind.
75Es kommt nicht darauf an, ob die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis bei chronischen Schmerzen und den übrigen Beschwerden des Klägers durch kontrollierte Studien wissenschaftlich erwiesen ist. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine subjektiv-individuelle Betrachtung. Aus verfassungsrechtlichen Gründen muss die Erlaubniserteilung schon bei Bestehen der Möglichkeit einer subjektiv empfundenen Linderung einer schweren Erkrankung möglich sein,
76vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - , juris.
77Diese Möglichkeit besteht hier; eine therapeutische Wirkung ist bei den Krankheitsbildern des Klägers nicht ausgeschlossen. Die Wirksamkeit von Cannabis bei einzelnen Patienten, die an chronischen Schmerzen und weiteren Begleitsymptomen leiden, wird in den Fachkreisen überwiegend bejaht (vgl. Grotenhermen, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. vom 07.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)); Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 03.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(6)). Die Wirksamkeit von Cannabisblüten bei Muskelkrämpfen ist im Rahmen der Zulassung von Sativex für das Anwendungsgebiet der spastischen Schmerzen bei Multiple-Sklerose-Patienten nachgewiesen worden. Demnach besteht Grund zu der Annahme, dass Cannabis auch bei den durch die diabetische Polyneuropathie ausgelösten Krämpfen wirksam sein kann.
78Zur Behandlung seiner dauerhaften Schmerzen und Krämpfe steht dem Kläger keine gleich wirksame Behandlungsalternative mit einem zugelassenen und finanzierbaren Arzneimittel zur Verfügung. Die schulmedizinisch angezeigten Schmerzmittel (nicht-steroidale Antirheumatika – NSAR - und Opioide), Antidepressiva und Antikonvulsiva haben nach den glaubhaften Attesten der Ärzte keine befriedigende Besserung der Schmerzen erbracht und waren mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Insbesondere hat der Kläger die Antikonvulsiva wegen der Nebenwirkungen nicht toleriert. Antidepressive Medikamente konnten die durch die Polyneuropathie bedingten Krämpfe und Schlafstörungen nicht bessern. Demgegenüber kann durch den Einsatz von Cannabisblüten die Dosierung des Schmerzmittels Targin reduziert und in der Kombination mit einem Antidepressivum eine deutliche Symptomverbesserung erzielt werden, vgl. das Attest von Dr. B. L. vom 11.12.2013.
79Das sehr teure, cannabishaltige Medikament Sativex ist nur für spastische Schmerzen bei multipler Sklerose zugelassen. Es ist für den Kläger nicht erschwinglich, weil es von den gesetzlichen Krankenkassen nicht erstattet werden kann. Die Voraussetzungen einer Kostenübernahme für einen off-label-use liegen nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte nicht vor, da der Kläger nicht an einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden oder einer wertungsmäßig vergleichbaren Krankheit leidet.
80Das THC-haltige Importarzneimittel bzw. Rezepturarzneimittel Dronabinol ist ebenfalls keine verfügbare Behandlungsalternative, da die Krankenkassen des Klägers die Kostenerstattung mit Schreiben vom 25.01.2011 und vom 08.03.2013 abgelehnt haben.
81Es kann dem Kläger auch nicht immer wieder nahegelegt werden, einen erneuten Kostenerstattungsantrag für Dronabinol bei seiner Krankenkasse zu stellen. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Kostenerstattung liegen nicht vor, da es sich bei Dronabinol nicht um ein in Deutschland zugelassenes Arzneimittel handelt und der Gemeinsame Bundesausschuss für einen „neue Behandlungsmethode“ bisher keine Empfehlung nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausgesprochen hat. Eine Übernahme der Kosten kommt nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung daher nur ausnahmsweise bei Vorliegen bestimmter, eng beschriebener Voraussetzungen in Betracht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Nach der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Kostenerstattung von Dronabinol liegt weder ein sogenanntes „Systemversagen“ hinsichtlich des Verfahrens beim Gemeinsamen Bundesausschuss, noch ein sogenannter „Seltenheitsfall“, also der Fall einer seltenen, nicht erforschten Krankheit vor. Schließlich ist die Kostenerstattung – jedenfalls nach Auffassung der Sozialgerichte - auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Das ist nur bei lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen – wie bei Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion – anzunehmen und liegt im Fall eines chronischen Schmerzsyndroms nicht vor,
82vgl. BSG, Urteile vom 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R -, juris, und vom 27.03.2007 - B 1 KR 30/06 R -, juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2011 - L 4 KR 4903/10 -, juris; Landessozialgericht NRW, Urteile vom 14.02.2008 - L 5 KR 25/06 - und vom 04.01.2012 - L 11 KA 110/10 -, juris; a.A. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19.06.2013 - L 5 KR 91/13 B ER -, juris: bei drohendem Verlust der Fortbewegungsfähigkeit einer MS-Patientin.
83Vor diesem Hintergrund ist es dem Kläger daher nicht zuzumuten, erneut eine Erstattung der Kosten bei seiner Krankenkasse zu beantragen oder einen langwierigen und wenig aussichtsreichen Prozess um die Kostenerstattung vor den Sozialgerichten zu führen.
84Der Kläger kann die Behandlungskosten für einen 4-Wochen Bedarf in Höhe von 672,00 Euro auch nicht von seinem Einkommen aufbringen. Diese Kosten ergeben sich bei einem angenommenen Maximal-Bedarf von 30 mg THC pro Tag x 28 Tage = 840 mg THC, (vgl. Grotenhermen, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 499), und einem Preis von 0,80 Euro/mg Dronabinol, also 840 mg x 0,80 € = 672,00 €, (vgl. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin zur Anhörung des Gesundheitsausschusses 2012, a.a.O., S. 6). Der Kläger bezieht nach seinen Angaben im Prozesskostenhilfeverfahren derzeit eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 292,80 € und zuzüglich Leistungen der Grundsicherung nach SGB XII in Höhe von 902,10 € monatlich, also insgesamt 1194,90 €. Davon können Medikamentenkosten in Höhe von 672,00 Euro nicht finanziert werden, sodass diese Behandlungsalternative für den Kläger nicht verfügbar ist,
85vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - ; NJW 2005, 2200 ff., juris.
86Da dem Kläger somit zur Behandlung seiner starken Schmerzen und der Begleitsymptome keine Therapiealternative zur Verfügung steht, liegt die Erteilung einer Erlaubnis für den Zugang zu Cannabisblüten im öffentlichen Interesse.
87Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 BtMG stehen der Erlaubniserteilung nicht entgegen. Im Fall der Erlaubnis für eine Eigentherapie sind die Versagungsgründe modifiziert auszulegen. Denn diese sind nach der Konzeption des Gesetzes nicht auf die Eigentherapie mit einem nicht verkehrsfähigen Betäubungsmittel der Anlage I zugeschnitten. Vielmehr dient die Erlaubniserteilung regelmäßig gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken, wie beispielsweise die Vorschrift des § 6 BtMG über die erforderliche Sachkenntnis zeigt. Bei der Erteilung der Erlaubnis für die medizinische Selbstversorgung handelt es sich dagegen um einen aus dem Grundrechtsschutz der betroffenen Patienten entwickelten Ausnahmefall, in dem einerseits dem geringeren Gefährdungspotential eines Kleinanbaus in einer Privatwohnung und andererseits den Bedürfnissen und Möglichkeiten einer Privatperson Rechnung getragen werden muss, damit die Möglichkeit der Gewährung des Zugangs nicht völlig leerläuft oder unzumutbar erschwert wird,
88vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
89Nach diesem Maßstab kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, dass er nicht die erforderliche Sachkenntnis hat, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BtMG, der im Fall der Herstellung von Betäubungsmitteln, die Arzneimittel sind, den Nachweis der Sachkunde nach § 15 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes verlangt, ist vorliegend nicht anwendbar. Die Vorschrift geht ersichtlich davon aus, dass es sich um Arzneimittel handelt, die dazu bestimmt sind, später angewendet zu werden und von denen somit eine Gefährdung anderer Menschen ausgehen kann. Die Sachkenntnis als approbierter Apotheker dient dazu, Gefahren abzuwehren, die von einer unsachgemäßen Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln für andere Menschen ausgehen.
90Im vorliegenden Fall der Eigentherapie durch selbstangebautes Cannabis treffen die Gefahren einer unsachgemäßen Herstellung allein den Kläger selbst, der diese Gefahren jedoch wegen der erwünschten, schmerzlindernden Wirkung der Cannabisblüten in Kauf nimmt. Es obliegt daher dem Kläger selbst, sich die erforderliche Sachkenntnis zu verschaffen, um Gesundheitsgefahren aus einer fehlerhaften Qualität des selbst erzeugten Produkts abzuwehren. Die Kammer hat im Hinblick auf die Persönlichkeit des Klägers keine Zweifel daran, dass dieser in der Lage ist, sich die erforderlichen Informationen für einen Kleinanbau zu beschaffen. Diese sind in den einschlägigen Veröffentlichungen der Interessenverbände im Internet ohne Mühe erhältlich.
91Ein Versagungsgrund ergibt sich auch nicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Es liegen keine Tatsachen vor, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Klägers als verantwortliche Person für den Betäubungsmittelverkehr ergeben. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger unerlaubt Teilmengen aus dem Anbau abzweigt und hierdurch einen Betäubungsmittelmissbrauch durch Dritte ermöglichen könnte. Zum einen benötigt der Kläger die angebauten Pflanzen selbst für seine regelmäßige Behandlung. Zum anderen kann die Bundesopiumstelle den Anbau des Klägers hinsichtlich der Zahl der zugelassenen Pflanzen begrenzen, § 9 Abs. 1 Nr. 2 BtMG, und nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BtMG kontrollieren. Eine unerlaubte Weitergabe nicht benötigter Cannabismengen dürfte schon deshalb nicht zu befürchten sein, weil der Kläger sich in diesem Fall strafbar macht und damit rechnen muss, dass die erteilte Erlaubnis wegen Fehlens der Zuverlässigkeit widerrufen wird.
92Die Beklagte kann sich auch nicht auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG berufen. Dem Kläger kann nicht entgegengehalten werden, dass geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr nicht vorhanden sind.
93In der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sind die Voraussetzungen für den Cannabisanbau in einer Privatwohnung bisher nicht geklärt. Zwar hat das OVG NRW im Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - entschieden, dass die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten für den gewerblichen Anbau im großen Stil konzipiert sind und für den Eigenanbau im geringen Umfang in einer Privatwohnung wegen der unterschiedlichen Gefährdungslage keine Anwendung finden. Dem schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an.
94Aus Sinn und Zweck des Betäubungsmittelgesetzes, einen Missbrauch zu verhindern und die medizinische Versorgung sicherzustellen, ergibt sich, dass einerseits dem Gefährdungsgrad des jeweiligen Umgangs mit Betäubungsmitteln angepasste Sicherungen gegen Diebstahl und unbefugte Entnahme vorzunehmen sind, § 15 Satz 1 BtMG, und andererseits den persönlichen und grundrechtlich geschützten Bedürfnissen von Patienten, die auf den Einsatz von Cannabis angewiesen sind, Rechnung getragen werden muss. Welche konkreten Sicherheitsanforderungen sich daraus ergeben, hat das Oberverwaltungsgericht aber nicht generell definiert. Ebensowenig hat sich das BfArM bisher in der Lage gesehen, derartige Richtlinien zu formulieren oder im vorliegenden Fall eine substantiierte Prüfung der Sicherheitsvorkehrungen vorzunehmen. Aus der mit Urteil des OVG NRW vom 11.06.2014 getroffenen Einzelfallentscheidung ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die hier gebotenen Sicherheitsvorkehrungen.
95Die Kammer ist der Auffassung, dass für einen Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung in jedem Fall eine Raumsicherung vorhanden sein muss. Anders als bei der Aufbewahrung von Medizinal-Cannabisblüten genügt ein Wertschutzschrank für die Ernte nicht. Die Anpflanzung muss auch in der Wuchs- und Blühphase vor Diebstahl oder unberechtigter Entnahme durch Mitbewohner oder Besucher geschützt werden, da sowohl die ganzen Pflanzen als auch nicht getrocknete Blätter und Blüten für einen künftigen Betäubungsmittelmissbrauch benutzt werden können.
96Daraus ist abzuleiten, dass in einer Privatwohnung zunächst ein geeigneter Raum für die Anpflanzung zur Verfügung stehen muss. Der Raum muss sodann durch geeignete und zumutbare Vorkehrungen (stabile Türen, Fenster, Wände und Schlösser) zuverlässig vor dem Zutritt ungebetener oder erwünschter Besucher geschützt werden. Sicherungsvorkehrungen, die schnell und leicht überwunden werden können, reichen nicht aus.
97Diese Anforderungen schließen es aus, dass der Anbau in einem Zimmer durchgeführt wird, das zugleich zu Wohn- oder Schlafzwecken genutzt wird und daher ständig betreten wird. Vielmehr kann der Anbau nur in einem separaten Raum stattfinden, der – bis auf den Zutritt des Erlaubnisinhabers zu Pflegezwecken – ständig abgeschlossen sein muss, zum Beispiel ein Abstellraum oder eine zweite Toilette.
98Der Kläger hat für den Anbau einen separaten, fensterlosen Abstellraum in einer 2-Zimmer-Mietwohnung im Erdgeschoss vorgesehen. Zwar sind die vom Kläger eingereichten Privatfotos nicht wirklich aussagekräftig, weil sie nur Bildausschnitte zeigen. Jedoch ergibt sich aus den von der Polizei angefertigten Fotos in der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hamburg - 6001 Js 295/12 - (Bl. 162, Bl. 175 ff. Beiakte 6), dass der Anbau in einem separaten, nicht für Wohnzwecke vorgesehenen Nebenraum seiner Mietwohnung möglich ist. Dieses Foto stimmt mit dem vom Kläger vorgelegten Bild von der Tür des Anbauraums auf Bl. 40 des Verwaltungsvorgangs überein. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung angegebene Raumgröße von 8 – 10 qm bietet ausreichend Platz für die vom Kläger geplante Cannabiskultur.
99Ob die Beschaffenheit der Zimmertür und der Wohnungstür sowie der Fenster und der Balkontür der im Erdgeschloss liegenden Wohnung und die vom Kläger angegebenen Schließeinrichtungen als Diebstahlssicherung ausreichend sind, kann seitens des Gerichts anhand der vorgelegten Fotos nicht abschließend beurteilt werden. Sofern die Angaben des Klägers zur Lagerung der Blüten in einem Waffenschrank mit Tresor, zur Ausrüstung aller Türen mit Schlössern der Sicherheitsstufe 3, zur Sicherung der Fenster und der Balkontür mit Schlössern und Stahlbügeln sowie einer kompletten Videoüberwachung zutreffend sind, dürften diese Vorkehrungen zur Sicherung des Cannabisanbaus nach vorläufiger Einschätzung des Gerichts ausreichend sein.
100Jedoch obliegt es der Behörde, diese Angaben zu prüfen und gegebenenfalls ergänzende weitere Sicherheitsvorkehrungen, eventuell mit Unterstützung der Polizei, festzulegen und hierdurch den Versagungsgrund der ungenügenden räumlichen Sicherung beseitigen. Da eine entsprechende Nebenbestimmung zur Erlaubnis gegenüber der Versagung das mildere Mittel ist, ist die Behörde auf der Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu diesem Vorgehen verpflichtet,
101vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
102Schließlich kann dem BfArM auch nicht in seiner Annahme zugestimmt werden, dass der Anbau in einer Privatwohnung zur Eigentherapie mit den Schutzzwecken des Gesetzes nicht vereinbar ist, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG.
103Der Cannabisanbau in einer Privatwohnung ist zur medizinischen Selbstversorgung des Klägers erforderlich und auch geeignet. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass der Selbstanbau nicht günstiger ist als der Bezug der Blüten aus Holland. Sie hat gegen die vorgelegte Vergleichsrechnung des Klägers keine substantiierten Einwendungen erhoben. Soweit sie darauf hinweist, dass noch aufwändige Sicherungsmaßnahmen für den Anbau erforderlich seien, die den Anbau gegenüber dem Erwerb aus der Apotheke erheblich verteuerten, ist der Einwand unberechtigt. Die Behörde darf nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen anordnen, also solche, die auch von einer Privatperson mit geringem Einkommen, ggfs. unter Inanspruchnahme eines Ratenkredites, finanziert werden können. Im Übrigen sind diese Aufwendungen auch nur einmalig erforderlich. Im Hinblick auf die bereits vom Kläger vorgenommenen Sicherungsmaßnahmen dürften gerade im vorliegenden Fall keine umfangreichen weiteren Vorkehrungen erforderlich sein.
104Schließlich hat die Beklagte auch nicht überzeugend vorgetragen, dass die Therapiesicherheit wegen schwankender Wirkstoffgehalte ernsthaft gefährdet sein könnte. Hierbei verkennt die Beklagte, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Zulassung eines Fertigarzneimittels geht, bei dem die Bundesoberbehörde – neben dem pharmazeutischen Unternehmer – die Verantwortung für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels übernimmt. Auch geht es nicht um die ärztliche Verschreibung eines Betäubungsmittels gemäß § 13 BtMG, bei der der Arzt die Verantwortung für die verordnete Dosierung übernimmt. Vorliegend ist allein zu prüfen, ob eine medizinische Versorgung des Klägers im Wege einer Selbsttherapie mit Cannabis zur Linderung der Beschwerden des Klägers geeignet und im Hinblick auf die Nebenwirkungen vertretbar ist. Hierbei ist sich der Patient bewusst, dass weder die Beklagte noch der begleitende Arzt eine Garantie für die therapeutische Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit des selbst erzeugten Arzneimittels übernehmen. Vielmehr nimmt der Patient das Risiko schwankender Wirkstoffgehalte, die für Cannabis typisch sind, und der damit eventuell verbundenen Nebenwirkungen bewusst in Kauf.
105Die hierbei möglicherweise eintretende Selbstgefährdung des Klägers hält sich in einem vertretbaren Rahmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seit mindestens zwei Jahren Erfahrung mit dem Konsum von Cannabis hat. Auch die bisher konsumierten Cannabisblüten aus der Apotheke weisen innerhalb der Spezifikation gewisse Schwankungen im Wirkstoffgehalt auf. Aus dem Vortrag im Klageverfahren ist zu entnehmen, dass der Kläger sich mit der Problematik befasst hat und durch genetisch identische Pflanzen den Wirkstoffgehalt stabil halten will. Im Verwaltungsverfahren hat er konkrete Angaben zu den Anbaubedingungen gemacht und erklärt, dass durch einheitliche Bedingungen die Reproduzierbarkeit des Wirkstoffgehaltes gesichert werden soll (Bl. 56 und 59 des Verwaltungsvorgangs). Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die vom Kläger geplanten Anbaubedingungen generell ungeeignet sind und damit zu völlig unberechenbaren Gesundheitsgefahren führen können.
106Es ist weder von der Beklagten substantiiert vorgetragen noch aufgrund der Drogeneigenschaften ersichtlich, dass beim Kläger erhebliche und unvertretbare Nebenwirkungen als Folge einer schwankenden Menge der Inhaltsstoffe auftreten könnten. Dies ist im Verlauf des bisherigen Konsums nicht der Fall gewesen. Darüber hinaus steht der Kläger unter ärztlicher Kontrolle und kann daher beim Auftreten von Nebenwirkungen Rat und Hilfe einholen. Überdies sind die schädlichen Nebenwirkungen beim Cannabiskonsum von der Verfassung des jeweiligen Konsumenten abhängig und in der Regel bei erwachsenen Konsumenten nicht schwerwiegend.
107Tödliche Intoxikationen durch eine Überdosis Cannabis sind nicht bekannt. Notfallbehandlungen wegen des Auftretens von Panikzuständen oder Psychosen im akuten Cannabisrausch treten nur gelegentlich bei einem Missbrauch von Cannabis und insbesondere in Verbindung mit Alkohol oder anderen Drogen auf,
108vgl. Wikipedia, „Cannabis als Rauschmittel“, Wirkung , http://de.wikipedia.org, Abruf vom 24.06.2014; Europäischer Drogenbericht 2014, 36; . Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O. Ziff. 3.4.5 und 3.4.11.
109Körperliche Dauerschäden durch den Konsum sind bei Erwachsenen – abgesehen von den Gefahren des Rauches für die Atmungsorgane, die durch Nutzung anderer Konsumformen vermieden werden können (Verdampfung, Kekse) – bisher nicht bekannt,
110vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, „Illegale Drogen“, Cannabis, www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung, a.a.O., Ziff. 3.4.11.
111Die Auslösung einer Schizophrenie oder einer anderen psychischen Erkrankung ist selten und wird vor allem im Zusammenhang mit einer Prädisposition des Patienten und bei Jugendlichen diskutiert. Beim Kläger bestehen hierfür keine Anhaltspunkte,
112vgl. Drugcom, Drogenlexikon, „Macht Kiffen verrückt ?“, www.drugcom.de/häufig -gestellte-fragen, Abruf vom 18.06.2014; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, „Illegale Drogen, Cannabis, www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O. Ziff. 3.4.6.
113.
114Eine irreversible Verminderung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei einem Dauerkonsum ist umstritten, aber nach dem derzeitigen Erkenntnisstand im Rahmen von therapeutischen Dosierungen nicht zu befürchten,
115vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498.
116Demnach ist eine Selbsttherapie des Klägers mit Cannabis aus dem Eigenanbau zu seiner medizinischen Versorgung geeignet und erforderlich.
117Auch die anderen Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes sind durch die Erteilung der Anbauerlaubnis nicht gefährdet, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Ein Missbrauch durch den Kläger liegt nicht vor, da der Kläger das Betäubungsmittel nicht zu Rauschzwecken, sondern zur Linderung seiner Schmerzen einsetzt. Ein Missbrauch durch Dritte kann durch entsprechende Sicherungsmaßnahmen und Kontrollen weitgehend verhindert werden. Auch die mögliche Entstehung einer Abhängigkeit steht dem medizinischen Einsatz von Cannabis nicht entgegen.
118Das Entstehen einer Betäubungsmittelabhängigkeit wäre jedenfalls ausnahmsweise mit dem Gesetzeszweck zu vereinbaren, weil sie im Hinblick auf die Schmerzlinderung das geringere Übel und damit hinzunehmen ist,
119vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
120Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 2 BtMG berufen. Die Erteilung der Anbau-Erlaubnis kann nicht mit der Begründung versagt werden, dass nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 04.02.1977 (BGBl. II, S. 111) – ÜK 1961 – die Einrichtung einer Cannabis-Agentur zum Aufkauf und zur Verteilung der Ernte erforderlich sei, die aber in Deutschland nicht existiere und auch nicht geplant sei. Vielmehr steht das ÜK 1961 der Erteilung einer Anbauerlaubnis für einzelne Privatpersonen zur therapeutischen Selbstversorgung nicht entgegen. Zum einen bringt das Übereinkommen in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll,
121vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - , mit weiteren Nachweisen.
122Zum anderen finden die Vorschriften, die für den Anbau von Cannabis die Einrichtung einer staatlichen Stelle vorschreiben, Art. 28 Abs. 1, Art. 23 ÜK 1961, - entgegen der im Schreiben vom 30.07.2010 geäußerten Rechtsauffassung des INCB - auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Denn diese Vorschriften gehen von einem großflächigen Anbau im Außenbereich aus und schreiben einen Aufkauf der gesamten Erntemenge durch die Agentur vor, um eine illegale Entnahme von Teilmengen zum Zweck des Rauschgiftmissbrauchs zu verhindern.
123Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
124Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Vorgehensweise im Fall eines geringfügigen Anbaus zum sofortigen Verbrauch keinerlei Sinn ergibt, da der Kläger seine Ernte zunächst an die staatliche Stelle aushändigen und dann wiedererwerben müsste. Eine gleichmäßige Versorgung wäre bei diesem Verfahren nicht gesichert.
125Ferner wurde bereits im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG darauf hingewiesen, dass die Gefahren, die von einem Anbau zum Zweck der Eigentherapie in einer Privatwohnung in medizinisch begründeten Ausnahmefällen ausgehen, mit den Gefahren, die bei einem großflächigen gewerblichen Anbau im Außenbereich entstehen, schon im Hinblick auf den Umfang der im Einzelfall anfallenden Betäubungsmittelmenge nicht vergleichbar sind. Darüberhinaus sind Anbauflächen in Privatwohnungen nicht ohne weiteres sichtbar und nur wenigen Personen zugänglich. Eine unerlaubte Abzweigung oder Entnahme von Teilmengen, die durch die staatliche Kontrollstelle verhindert werden soll, ist daher im Fall des geringfügigen Eigenanbaus zu Therapiezwecken nicht im nennenswerten Umfang zu befürchten. Demnach spricht alles dafür, dass das ÜK 1961 der medizinischen Versorgung von Patienten im Wege des Anbaus nicht entgegensteht.
126Da somit die besonderen Voraussetzungen für die Versorgung von schwer kranken Patienten im vorliegenden Verfahren gegeben sind und Versagungsgründe nicht entgegenstehen, steht die Entscheidung über die Erlaubniserteilung grundsätzlich nach § 3 Abs. 2 BtMG im Ermessen der Bundesopiumstelle. Gleichwohl erweist sich die Ablehnung der Erlaubnis als rechtswidrig, weil die Behörde ermessensfehlerhaft gehandelt hat, § 114 VwGO. Sie hat nicht nur wesentliche Elemente außer Acht gelassen, die bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden müssen. Sie hat darüberhinaus nicht erkannt, dass in der vorliegenden Fallkonstellation eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, weil sich hier allein die positive Entscheidung über die Erlaubniserteilung als rechtmäßig erweist.
127Die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung weist einen offensichtlichen und schwerwiegenden Mangel auf. Die Beklagte hat nämlich im Endeffekt die persönlichen Interessen des Klägers am Zugang zu einem Betäubungsmittel, das ihm allein zu einer Linderung seiner Schmerzen verhilft, gar nicht in die Betrachtung eingestellt. Sie ist unzutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen des Klägers dadurch gewahrt werden, dass ihm eine Erwerbserlaubnis für Medizinalhanf aus Holland erteilt worden ist. Sie hat hierbei jedoch nicht zur Kenntnis genommen, dass diese Therapiealternative dem Kläger tatsächlich nicht zur Verfügung steht, weil er sich die hohen Kosten von seinem geringen Einkommen nicht leisten kann und seine Krankenkasse die Erstattung ablehnt,
128vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
129Nach dem ärztlichen Attest vom 19.12.2011 (Bl. 45 des Verwaltungsvorgangs) hat der Kläger einen 4-Wochen-Bedarf von 56 g Cannabisblüten. Eine Veränderung des Bedarfs wurde nicht geltend gemacht. Dafür entstehen ausweislich der vorgelegten Rechnungen der Apotheke Kosten in Höhe von 806,40 Euro (56 g x 14,4 Euro/g = 806,40 Euro, vgl. Bl. 15 – 22 Beiakte 3). Wie bereits ausgeführt, verfügt der Kläger nach den Angaben im Prozesskostenhilfeverfahren über ein monatliches Einkommen in Höhe von 1194,90 €. Es liegt auf der Hand, dass dieser Betrag für eine Finanzierung der erforderlichen Cannabisblüten aus der Apotheke nicht ausreichend ist.
130Diese Behandlungsmöglichkeit steht dem Kläger somit tatsächlich nicht zur Verfügung, wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 – ausdrücklich festgestellt hat. Daraus folgt, dass den privaten Interessen des Klägers durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb gerade nicht Rechnung getragen worden und das Ermessen daher unvollständig und fehlerhaft ausgeübt worden ist.
131Bei sachgerechter Berücksichtigung der Interessen des Klägers an einer Linderung seines Schmerzzustandes hat sich darüber hinaus das Ermessen im vorliegenden Verfahren zugunsten einer Erteilung der Erlaubnis verdichtet, sodass eine Versagung nicht mehr in Betracht kommt. Denn nach Auffassung der Kammer haben die Interessen des Klägers an einer Behandlung seiner Dauerschmerzen ein ganz überragendes Gewicht, während die öffentlichen Interessen an einer Versagung der Erlaubnis eine so geringe Bedeutung haben, dass sie zwingend zurücktreten müssen.
132Die Beklagte hat durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie selbst eingeräumt, dass das Interesse des Klägers am Zugang zu diesem Betäubungsmittel - in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 - Verfassungsrang hat, weil es Ausfluss seines Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG ist. Bringt die Erkrankung derart schwere Beeinträchtigungen mit sich, dass die Entfaltung der Persönlichkeit und die Führung eines selbstbestimmten Lebens bedroht ist, wie dies im Fall starker, lang andauernder Schmerzen der Fall ist, ist auch das oberste Schutzgut der Verfassung, die Menschenwürde, betroffen. Daraus folgt, dass der Zugang zu Cannabis, der hier aus finanziellen Gründen allein in Form eines Eigenanbaus in Betracht kommt, nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt. Im vorliegenden Fall fordert auch das Sozialstaatsprinzip, dass dem Kläger nicht wegen seiner geringen finanziellen Leistungsfähigkeit, die auch Folge seines Gesundheitszustandes ist, der Zugang zu Cannabis verwehrt wird.
133Demgegenüber sind keine öffentlichen Interessen ersichtlich, die von gleichem oder überwiegendem Gewicht wären. Insbesondere kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, die Erlaubniserteilung werde vom Internationalen Suchtstoffkontrollrat als Verstoß gegen das Suchtstoffübereinkommen von 1961 angesehen und daher sei die effektive Zusammenarbeit mit dem INCB bei der Bekämpfung des illegalen Betäubungsmittelhandels und das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.
134Zwar handelt es sich bei der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels und bei der Wahrung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik ebenfalls um wichtige Rechtsgüter. Jedoch hat die Erfüllung der völkervertraglichen Verpflichtungen zum einen keinen Verfassungsrang; zum anderen ist nicht erkennbar, dass diese Rechtgüter durch die Erteilung einer Anbauerlaubnis in eng umgrenzten Ausnahmefällen zur medizinischen Versorgung schwer kranker Patienten ernsthaft bedroht wären.
135Völkerrechtliche Verträge wie das Suchtstoffübereinkommen 1961 werden durch das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG in nationales Recht konvertiert und genießen hierdurch den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Sie entfalten trotz der vom Grundgesetz intendierten Völkerrechtsfreundlichkeit eine Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes. Es ist daher ausnahmsweise zulässig, Völkervertragsrecht nicht zu beachten, sofern nur auf diesem Wege ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abgewendet werden kann,
136vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307 ff. -, juris, Rn. 35, 36, 47, 48 zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
137Dieser Rechtslage wird durch die Regelung in § 5 Abs. 2 BtMG Rechnung getragen, wonach bei einem Verstoß gegen ein internationales Suchtstoffübereinkommen die Erlaubnis versagt werden kann, aber nicht muss. Liegt ein Verstoß gegen ein derartiges Abkommen, wie bereits ausgeführt, nach seinem Schutzzweck gar nicht vor und stehen Grundrechte mit einem hohen Rang einem engen Wortlautverständnis des Abkommens, wie es vom INCB vertreten wird, entgegen, überschreitet eine „schematische Vollstreckung“ dieses Abkommens die Grenzen des Ermessens.
138Hierbei wird vor allem außer Acht gelassen, dass sich die Bewertung von Cannabis als Betäubungsmittel und als Arzneimittel seit dem Abschluss des Suchtstoffübereinkommens von 1961 bedeutend gewandelt hat. Wie sich schon aus dem Grundsatz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 – 2 BvL 43/92 – NJW 1994, 1577, 1579, 1581 ergibt, stellen sich die Gesundheitsrisiken, die der Gesetzgeber noch 1971 bei Erlass des Betäubungsmittelgesetzes mit der Droge Cannabis verbunden hat, inzwischen als geringer dar als ursprünglich angenommen. Insbesondere hat sich das psychische Abhängigkeitspotential als gering erwiesen und die Annahmen, dass Cannabiskonsum allein ursächlich für Psychosen („Cannabispsychose“), Flashbacks (Nachhallpsychosen ohne Konsum), ein „amotivationales Syndrom“ oder den Einstieg in härtere Drogen sein kann, konnten nicht wissenschaftlich belegt werden,
139vgl. Krumdiek, a.a.O. NStZ 2008, 437, 440 ff.; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, Illegale Drogen, Cannabis, a.a.O.; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O., Ziff. 3.4.3, 3.4.4, 3.4.6, 3.4.7, 3.4.8; Drugcom, Drogenlexikon, a.a.O..
140Demgegenüber wurde seinerzeit davon ausgegangen, dass Cannabis für die medizinische Anwendung keine Bedeutung habe, sondern lediglich als Massengenussmittel Verwendung finde. Auch diese Einschätzung ist mittlerweile überholt. Vielmehr kommt ein therapeutischer Einsatz von Cannabis wegen seiner antispastischen, analgetischen, antiemetischen, neuroprotektiven, antiinflammatorischen und antidepressiven Wirkungen bei einer Reihe von Erkrankungen in Betracht, auch wenn ein eindeutiger wissenschaftlicher Beleg für den Nutzen bisher nur teilweise erbracht werden konnte,
141vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt, 2012, 495, 497; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. vom 07.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)); Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 03.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(6)).
142Zugelassen sind bereits Arzneimittel für die Indikationen Spastik (Sativex), Übelkeit und Erbrechen durch Zytostatika (Dronabinol) sowie Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust (Dronabinol).
143Die gewandelte Beurteilung von Cannabis als Heilmittel zeigt sich auch in dem erheblichen Umfang der klinischen Forschung, wie er beispielsweise in der Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin“ vom 27.04.2012/02.05.2012 zur Anhörung des Gesundheitsausschusses am 09.05.2012 (Ausschussdrucksache 17(14)0265(4) zum Ausdruck kommt. Im dortigen Anhang werden mit Stand 31. Dezember 2011 insgesamt 110 kontrollierte Studien mit Cannabis oder Cannabinoiden genannt.
144Demnach kann bezweifelt werden, ob die strengen Regelungen des Suchtstoffübereinkommens von 1961, das für Cannabis die gleichen Kriterien anwendet wie für Opiummohn oder den Kokastrauch, noch dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen.
145In der Konsequenz unterliegt das strikte Verkehrsverbot für Cannabis inzwischen auch international gewissen Auflösungserscheinungen. Dies wird darin deutlich, dass nach der Auskunft der Beklagten vom 03.07.2014 eine Reihe von Staaten den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken mittlerweile erlaubt. Dies gilt für Israel, Kanada, Niederlande, Österreich, Tschechische Republik, das Vereinigte Königreich und 21 von 50 Bundesstaaten der USA. Hierbei konnte von der Bundesopiumstelle nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob in diesen Staaten – mit Ausnahme von den Niederlanden – eine Cannabis-Agentur existiert, ob diese Aufgabe von anderen Behörden wahrgenommen wird und wie die vorgeschriebene Kontrolle des Anbaus, insbesondere der Aufkauf der Ernte organisiert ist.
146Diese Situation macht deutlich, dass auch in anderen Staaten der veränderten Beurteilung von Cannabis als Sucht- und Heilmittel Rechnung getragen und die Regelungen der über 50 Jahre alten Suchtstoffkonvention von 1961 nicht mehr in vollem Umfang eingehalten werden. Dies wird im Jahresbericht 2013 des International Narcotics Control Board - INCB - , den die Beklagte mit Schriftsatz vom 03.07.2014 im Verfahren 7 K 4450/11 vorgelegt hat, auch bestätigt (vgl. Report 2013, S. 93, Ziff. 701). Die Annahme, dass die Erteilung von Erlaubnissen zum Eigenanbau für einzelne schwer kranke, austherapierte Patienten – ohne Cannabisagentur - zu einer Beeinträchtigung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik führen könnte, kann vor diesem Hintergrund nicht nachvollzogen werden. Noch weniger ist ersichtlich, warum durch eine solche Praxis die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Bekämpfung des Drogenhandels und Drogenmissbrauchs gefährdet werden könnte. Denn die begrenzte und überwachte Gewährung des Zugangs zu Cannabis als Heilmittel ist eine Ausnahme vom Verkehrsverbot, die die generelle Bekämpfung des Cannabiskonsums zu Rausch- und Genusszwecken und den hiermit verbundenen kriminellen Drogenhandel nicht in Frage stellt.
147Aus der Auskunft der Beklagten vom 03.07.2014 lässt sich auch nicht entnehmen, dass im Fall der Genehmigung des Anbaus ohne Einrichtung einer Cannabis-Agentur mit einer „Rüge“ des Internationalen Suchtstoffkontrollamtes - INCB - zu rechnen wäre, die das Ansehen der Bundesrepublik ernsthaft schädigen könnte. Vielmehr hat der INCB ausweislich des letzten Jahresberichtes vor allem die Staaten gerügt, die den Konsum zu Genusszwecken freigegeben haben (Uruguay, Colorado, Washington) und auf den wahrscheinlichen Anstieg eines Drogenmissbrauchs hingewiesen, vgl. Report 2013, S. 93, Ziff. 700. Im Übrigen hat der Kontrollrat festgestellt, dass die staatlichen Programme zur medizinischen Anwendung von Cannabis vielfach nicht voll mit den Anforderungen der Konvention übereinstimmten und dazu aufgerufen, diese Übereinstimmung herzustellen (vgl. Report 2013, S. 49 Ziff. 374 und S. 93 Ziff. 701). Er hat allerdings auch die Weltgesundheitsorganisation – WHO- dazu aufgefordert, den medizinischen Nutzen von Cannabis sowie die Gesundheitsgefahren neu zu bewerten (vgl. Report 2013, S. 94, Ziff. 701). Damit hat auch der INCB in Betracht gezogen, dass die Regelungen des ÜK 1961 für Cannabis nicht mehr zeitgemäß sind.
148Auch die von der Beklagten angesprochene international hohe drogenpolitische Bedeutung des „Themas Cannabis“ kann nicht gegen die Erlaubniserteilung ins Feld geführt werden. Es ist zwar zutreffend, dass Cannabis in Deutschland, aber auch weltweit die am häufigsten konsumierte illegale Droge ist, die im Fall einer Abhängigkeitsentwicklung mit nicht unerheblichen psycho-sozialen Folgen verknüpft ist und daher eine breite Aufmerksamkeit in den nationalen und internationalen Drogenberichten findet,
149vgl. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung: Drogen- und Suchtbericht 2013, S. 33, 187, 193; Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht: Europäischer Drogenbericht 2014, S. 13, 18, 34 ff.
150Wie bereits ausgeführt, steht die Erteilung einer Anbauerlaubnis für schwer kranke Patienten aber der weiteren Bekämpfung des Cannabismissbrauchs für Rauschzwecke nicht entgegen. Im Übrigen kann bei der drogenpolitischen Bedeutung des Stoffes „Cannabis“ auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Gefahren der Droge gegenüber den früheren Befürchtungen weit geringer sind als angenommen und deutlich geringer als diejenigen anderer Rauschdrogen wie Alkohol, Nikotin, Heroin, Kokain oder der neuerdings verbreiteten synthetischen Drogen (z.B. Amphetamine, Metamphetamine, Ecstasy, Cathinone, etc.). Insbesondere ist, wie bereits ausgeführt, selbst der Dauerkonsum nicht mit Todesfällen oder einem zunehmenden körperlichen, geistigen und psychischen Verfall verbunden.
151Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 19.05.2005 betont hat, rechtfertigen die verbleibenden Gefahren des Cannabiskonsums für die Gesamtbevölkerung bzw. für die Gruppe der Jugendlichen es nicht, schwer kranken Menschen den legalen Zugang zu Cannabis zu verweigern.
152Selbst wenn Teilmengen aus dem Eigenanbau für die illegale Weitergabe an Dritte abgezweigt oder entwendet werden könnten, wäre das Gesundheitsrisiko der Gesamtbevölkerung bzw. der jugendlichen Gesamtbevölkerung nur in geringem Umfang erhöht. Denn die Drogenmengen, die auf diesem Wege möglicherweise in den Verkehr gelangen, hätten im Verhältnis zu den Drogenmengen, die in Deutschland und in Europa illegal angebaut und gehandelt werden, nur eine geringfügige Bedeutung. Der Jahreskonsum von Cannabis in Europa wurde im Jahr 2012 auf 2000 Tonnen geschätzt. Im Rahmen einer Drogenaffinitätsstudie in Deutschland wurde im Jahr 2011 festgestellt, dass jeder vierte Erwachsenen schon einmal Erfahrung mit Cannabis gemacht hat. Insbesondere in der Gruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren ist der gelegentliche Cannabiskonsum sehr verbreitet, nämlich bei 13,5 %. Die große Menge an beschlagnahmten Drogen bzw. Pflanzen bestätigt eine hohe Konsumprävalenz,
153vgl. Drogen- und Suchtbericht 2013, S. 33 und 42; Europäischer Drogenbericht 2014, S. 18: 80 % aller Sicherstellungen in Europa betreffen Cannabis; in Deutschland wurden 2012 ca. 7.327 kg Haschisch und Marihuana sowie ca. 98.000 Cannabispflanzen sichergestellt.
154Angesichts dieser Mengen ist mit einer nennenswerten Ausweitung des illegalen Drogenkonsums durch privaten Eigenanbau durch einzelne Patienten nicht zu rechnen. Im Gegenteil dürfte die Erteilung von Anbauerlaubnissen den illegalen Drogenhandel schwächen, weil diese Personen nicht mehr auf die Inanspruchnahme des illegalen Marktes angewiesen sind.
155Schließlich können den berechtigten Interessen des Klägers an der Erteilung der Anbauerlaubnis im Rahmen der Ermessensabwägung weder die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs noch die Therapiesicherheit für den Erlaubnisinhaber entgegengehalten werden. Hierbei handelt es sich um Versagungsgründe, die aus den genannten Gründen nicht vorliegen bzw. durch Sicherungs-Maßnahmen der Behörde beseitigt werden können.
156Es ist zwar einzuräumen, dass im Hinblick auf die Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen in einer Privatwohnung möglicherweise Abstriche an der Sicherung der Anpflanzung hingenommen werden müssen. Auch bleibt die medizinische Versorgung mit selbstangebauten Pflanzen hinter einer qualitativ hochwertigen Versorgung mit geprüften Arzneimitteln offenkundig zurück. Jedoch haben diese verbleibenden Risiken des Eigenanbaus von Cannabis im Verhältnis zu dem vitalen Interesse des Klägers an einer Schmerzlinderung und erträglichen Lebenssituation nur ein geringes Gewicht.
157Diese Restrisiken des Eigenanbaus müssen nach Auffassung der Kammer jedenfalls für einen Übergangszeitraum hingenommen werden, da es derzeit für die betroffenen Patienten mit geringem Einkommen keine andere Möglichkeit des Zugangs zu dem für sie erforderlichen Heilmittel gibt. Der medizinische Hanf aus Holland ist nicht finanzierbar und ein Zuwarten auf die künftige Zulassung eines Fertigarzneimittels für die Schmerztherapie nicht zumutbar. Nach Auskunft des BfArM ist derzeit kein Zulassungsantrag anhängig.
158Es sind zwar deutlich bessere Lösungsansätze für die Versorgung von einzelnen Patienten mit Cannabis erkennbar, die eine Überwachung der im Verkehr befindlichen Drogenmengen und die Überwachung der Gesundheit des Patienten effektiver gewährleisten könnten, wie beispielsweise eine Erstattung der Kosten von Medizinal-Cannabisblüten durch die Krankenkassen oder die Zulassung eines gewerblichen Anbaus zu medizinischen Zwecken unter der Kontrolle einer staatlichen Stelle. Solange jedoch hierfür die gesetzlichen Grundlagen nicht geschaffen sind, muss den betroffenen Personen der Anbau von Cannabis nach § 3 Abs. 2 BtMG gestattet werden, damit ihre Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG gewahrt werden. Demnach hat die beklagte Behörde die Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen.
159Da jedoch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bisher nicht durch eine entsprechende Anordnung von Sicherheitsvorkehrungen durch die Bundesopiumstelle ausgeräumt ist, liegen derzeit noch nicht alle Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung vor. Die Sache ist somit nicht spruchreif. Daher war der Hauptantrag des Klägers, das BfArM zu einer Erteilung der Anbauerlaubnis zu verpflichten, unbegründet.
160Die Behörde konnte somit nur zu einer neuen Entscheidung über den Erlaubnisantrag verpflichtet werden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Hierbei steht der Bundesopiumstelle nur noch ein Ermessensspielraum hinsichtlich der erforderlichen Sicherheitsanordnungen und der inhaltlichen Ausgestaltung der Erlaubnis nach § 9 BtMG (z.B. hinsichtlich der Zahl der erforderlichen Pflanzen) zu.
161Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Da die Klage nur in einem geringen Umfang abgewiesen wurde, nämlich nur hinsichtlich der noch zu treffenden Nebenbestimmungen bezüglich der Sicherungsmaßnahmen und anderer Einzelheiten, ist es gerechtfertigt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang aufzuerlegen. Hierbei war auch von Bedeutung, dass die Beklagte es unterlassen hat, Vorgaben für die Sicherung eines Cannabisanbaus in einer Privatwohnung zu erarbeiten und die Einhaltung substantiiert zu prüfen. Hierdurch hat sie dazu beigetragen, dass die Spruchreife nicht hergestellt und damit die Klage zu einem Teil abgewiesen werden musste, § 155 Abs. 4 VwGO.
162Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
163Die Berufung wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, insbesondere wegen der angenommenen Ermessensreduzierung auf null im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG, zugelassen, § 124 a Abs. 1 Nr. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Juli 2014 - 7 K 5217/12
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Juli 2014 - 7 K 5217/12
Referenzen - Gesetze
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113
Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155
Zivilprozessordnung - ZPO | § 711 Abwendungsbefugnis
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 114
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1
Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln
Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 135 Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 1 Betäubungsmittel
Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 3 Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 59
Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 13 Verschreibung und Abgabe auf Verschreibung
Arzneimittelgesetz - AMG 1976 | § 15 Sachkenntnis
Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 5 Versagung der Erlaubnis
Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 9 Beschränkungen, Befristung, Bedingungen und Auflagen
Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 22 Überwachungsmaßnahmen
Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 6 Sachkenntnis
Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 15 Sicherungsmaßnahmen
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenVerwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Juli 2014 - 7 K 5217/12 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).
Verwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Juli 2014 - 7 K 4450/11
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 11. Juni 2014 - 13 A 414/11
Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 15. Apr. 2011 - L 4 KR 4903/10
Bundessozialgericht Urteil, 13. Okt. 2010 - B 6 KA 48/09 R
Bundesverwaltungsgericht Urteil, 06. Apr. 2016 - 3 C 10/14
Verwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Juli 2014 - 7 K 4020/12
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
Tenor
Die Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1963 geborene Kläger ist seit 1985 an Multipler Sklerose erkrankt, die sich zunächst schubweise mit unvollständigen Remissionen entwickelte und inzwischen in die chronische Verlaufsform übergegangen ist. Bei dem Kläger bestehen unter anderem eine ausgeprägte Gangstörung, eine spastische Tetraparese, eine Rumpf- und Extremitätenataxie, Dysarthrie und eine rezidivierende depressive Störung. Die Ataxie tritt im Wesentlichen als Störung der Grob- und Feinmotorik, des freien Gangs, des Standes und der Sprache in Erscheinung. Seit etwa 1987 behandelt der Kläger die Symptome seiner Erkrankung selbständig durch die regelmäßige Zufuhr von Cannabis und ist deswegen zunächst auch straffällig geworden. Zuletzt hat ihn das Amtsgericht Mannheim mit Urteil vom 19. Januar 2005 (3 Ls 310 Js 5518/02 AK 74/04) vom Vorwurf des Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen, da es sein Handeln als gerechtfertigt im Sinne des § 34 StGB ansah. Maßgeblich sei, dass es für die Behandlung der Ataxie keine zugelassenen Therapiealternativen gebe und die AOK die sehr hohen Kosten für das Medikament „Dronabinol“, bestehend aus THC, dem Hauptwirkstoff des Cannabis, nicht übernehme. Der Kläger, der als Fliesenleger tätig war, ist aufgrund seiner Erkrankung seit 1999 in Frührente und bezieht eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von ca. 890,00 Euro.
3Die - auch vom Kläger - erhobene Verfassungsbeschwerde gegen ein drohendes Strafverfahren und gegen die Strafdrohung wegen unerlaubter Einfuhr, unerlaubten Erwerbs oder Besitzes von Cannabis oder Marihuana nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑ nicht zur Entscheidung an, da die Betroffenen zunächst versuchen müssten, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen.
4Der Kläger stellte am 3. Mai 2000 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa und machte geltend, Cannabis löse bei ihm eine sehr gute (zusätzliche) therapeutische Wirksamkeit aus, die nicht durch andere Medizinprodukte oder Heilmittel zu erreichen sei. Das BfArM lehnte seinen Antrag mit Bescheid vom 31. Juli 2000 unter anderem mit der Begründung ab, die beantragte Erlaubnis liege auch mit Blick auf die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht im öffentlichen Interesse, da beim Kläger eine dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende ärztliche Versorgung mit Delta-9-THC durch die Anwendung eines verschreibungsfähigen Cannabisprodukts („Dronabinol“) möglich sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
5Das Sozialgericht Mannheim wies mit Urteil vom 9. August 2001 - S 8 KR 286/00 ‑ die Klage des Klägers auf Bewilligung von „Dronabinol-Tropfen“ als Sachleistung der Krankenkasse ab. Die hiergegen erhobene Berufung wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg durch Urteil vom 25. April 2003 – L 4 KR 3828/01 – zurück. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde wies das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 6. Januar 2005 ‑ B 1 KR 51/03 B ‑ zurück.
6Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 1023/01) auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zum Erwerb und zur Einfuhr von Cannabis zum Zwecke der medizinischen Behandlung, die - unter Zulassung der Berufung - mit Urteil vom 17. Februar 2004 abgewiesen wurde. Mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, in dem in einem auf die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis gerichteten Verfahren festgestellt wurde, diese könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, eine solche Behandlung liege nicht im öffentlichen Interesse, hob das BfArM den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 28. Juni 2006 auf. Daraufhin erklärten die Beteiligten das vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängige Berufungsverfahren (13 A 1534/04) übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt.
7Der Kläger stellte am 25. August 2006 bei der AOK S. -O. erneut einen Kostenübernahmeantrag für das Arzneimittel „Dronabinol“, den die Krankenkasse mit Schreiben vom 28. September 2006 ablehnte.
8Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 wies das BfArM den Kläger unter anderem auf Folgendes hin: Im Zusammenhang mit der Beantragung einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis verlange das Betäubungsmittelgesetz von dem Antragsteller oder einer für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften zu bestellenden verantwortlichen Person einen Nachweis über die erforderliche Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 6 BtMG). Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Kläger selbst oder eine andere Person die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen wolle. Der Sachkenntnisnachweis könne u. a. dadurch erbracht werden, dass der Kläger als Verantwortlichen einen Humanmediziner benenne.
9Unter dem 30. Mai 2007 machte der Kläger geltend: Sein Hausarzt, Dr. C. , habe sich bereit erklärt, ihn zu unterstützen, und sei Verantwortlicher mit Sachkenntnis. Er überprüfe insbesondere, dass die genehmigte Anbaumenge nicht überschritten werde. Im Übrigen habe das Amtsgericht Mannheim festgestellt, dass sein Verhalten gemäß § 34 StGB gerechtfertigt sei. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung komme daher nur die Erteilung der beantragten Genehmigung in Betracht. Ferner übersandte er eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom 27. April 2007.
10Mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 lehnte das BfArM den Antrag des Klägers vom 3. Mai 2000 ab: Die Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa liege nicht im öffentlichen Interesse. Der Eigenanbau von Cannabis sei nicht erforderlich, da auf Delta-9-THC standardisierte Cannabisextrakte erhältlich seien. Bei einem zugrundegelegten durchschnittlichen Monatsbedarf von 500 mg Delta-9-THC lägen die Behandlungskosten bei nur 150 Euro, während die monatlichen Kosten für „Dronabinol“ 350 Euro betrügen. Auch seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 und 6 BtMG gegeben. Weder seien geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für Anbau, Trocknung und Lagerung der Pflanzenteile nachgewiesen, noch sei eine effektive Kontrolle des Cannabiskonsums bei einem Eigenanbau durchführbar. Auch könne nicht von dem erforderlichen Sachkundenachweis abgesehen werden, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet sei. Ferner könnten bei einem Anbau durch Privatpersonen die Voraussetzungen für eine gleich bleibende Qualität nicht gewährleistet werden.
11Hiergegen erhob der Kläger am 8. Januar 2008 Widerspruch und machte unter anderem geltend: Er sei aus finanziellen Gründen auf den Anbau von Cannabis angewiesen. Er verwende seit Jahren aus medizinischen Gründen 100 g Cannabis im Monat, das 5.000 bis 10.000 mg THC entspreche und nach der Berechnung des BfArM monatliche Kosten in Höhe von 1.500 Euro verursachte. Diese Kosten seien für ihn bei einer monatlichen Erwerbsunfähigkeitsrente von (seinerzeit) 860 Euro nicht tragbar.
12Nachdem das BfArM die vom Kläger gesetzten Fristen zur Entscheidung über seinen Widerspruch hat verstreichen lassen, hat der Kläger am 20. Juni 2009 Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 3889/09) erhoben.
13Mit Schreiben vom 19. März 2010 versagte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Zustimmung zu der seitens des BfArM beabsichtigten Erteilung der beantragten Erlaubnis zum Eigenanbau für den Kläger.
14Das Verwaltungsgericht hat am 31. März 2010 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt.
15Daraufhin führte der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2010 aus: Der Anbau der Cannabispflanzen erfolge im Badezimmer. In der Blühphase stünden die Pflanzen in der gemauerten Duschkabine unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe. Im Blühraum stünden 2 x 8 Pflanzen mit einem Altersunterschied von vier Wochen. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) bewahre er in einem kleinen Schrank auf, in dem auch die geernteten Blüten getrocknet würden. Die Blüten von 8 Pflanzen ergäben etwa 100 g Cannabis, was seinem Monatsbedarf entspreche. Ein etwaiger Überschuss werde in einem Tresor gelagert. Die Pflanzenreste würden in einem speziellen Küchenkomposter zu Kompost und Flüssigdünger für andere Gartenpflanzen verarbeitet. Die monatlichen Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. beliefen sich auf etwa 110 Euro. Da die Pflanzen aus Stecklingen gezogen würden, hätten sie bis zu mehreren Jahren die gleiche Genetik und auch die gleiche Wirksamkeit, so dass eine einmalige Bestimmung des THC-Gehalts ausreichend sei. Er plane unter anderem, die Zimmertür zwischen Badezimmer und zentralem Wohnraum durch ein Fingerprintschloss zu schützen und das Flügelfenster zum Bad zusätzlich mit verschließbaren Griffen zu versehen. Zusätzlich könne es mit einem Stahlgitter geschützt werden. Die Tür zum Badezimmer und das Fenster sollten überdies mit einer IP-Kamera überwacht werden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein signifikant niedriger Gefährdungsgrad bestehe, da er, der Kläger, aufgrund seiner Erkrankung fast ausschließlich zu Hause sei. Publikumsverkehr finde nicht statt. Außer ihm und seiner Lebensgefährtin halte sich in der Wohnung nur die Krankengymnastin für die Dauer der Anwendungen auf.
16Mit Schreiben vom 29. Juni 2010 teilte das BfArM dem BMG mit: Die vom Kläger vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien zur Sicherung des Betäubungsmittelverkehrs geeignet und ausreichend. Eine zusätzliche Installation einer Kamera für die seltenen Fälle der Abwesenheit erscheine unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Auch sei für die Lagerung überschüssiger Blüten mit einer Höchstmenge von 100 g ein zertifizierter Wertschutzschrank nicht erforderlich. Notwendig sei allerdings die Anbringung eines zusätzlichen Gitters vor dem ‑ sich häufig in Kippstellung befindlichen - Badezimmerfenster. Auch dürften die Schwankungen des THC-Gehalts bei der von dem Kläger beschriebenen Kultivierungsmethode eher gering sein. Eine konkrete Bestimmung des THC-Gehalts werde von den Untersuchungseinrichtungen ohne das Vorliegen einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nicht durchgeführt. Ferner sei die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht erforderlich. Eine Gefahr der illegalen Weitergabe durch Groß- und Einzelhändler sei beim Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken nicht gegeben, da der Patient die Substanz selbst benötige. Abgesehen davon müssten bei einer Entscheidung gemäß § 5 Abs. 2 BtMG die mit der Einrichtung einer Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen gegenüber dem Interesse des einzelnen Patienten an einer Ausnahmegenehmigung zu medizinischen Zwecken abgewogen werden.
17Mit an das BfArM gerichtetem Schreiben vom 16. Juli 2010 führte das BMG aus: Das Entschließungsermessen des BfArM sei nicht auf Null reduziert. Die Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes (notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung bzw. des Klägers) geböten nicht die Erlaubniserteilung. Eine Versagung bewirke keine Grundrechtsverletzung des Klägers (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), da Therapiealternativen verfügbar seien. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei mangels Kenntnis des Wirkstoffgehalts, der Qualität und der Menge des vom Kläger angebauten Cannabis nicht gegeben. Auch seien die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten anzuwenden. Ferner stelle der Verstoß gegen Internationales Recht einen Versagungsgrund dar. Deutschland arbeite eng mit dem Internationalen Suchtstoffkontrollrat (INCB) zusammen.
18Das BfArM hat eine Stellungnahme des INCB vom 30. Juli 2010 eingeholt. Danach gibt es im Falle der Zulassung des Anbaus keine Ausnahme von der Pflicht zur Errichtung einer staatlichen Opiumstelle und gilt diese Pflicht auch beim Anbau der Hanfkrautpflanze durch eine Einzelperson zum Zwecke der Eigenbehandlung.
19Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 wies das BfArM den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte aus: Der Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken stünden die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG entgegen. Es seien die Richtlinien des BfArM vom 1. Januar 2007 zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten, wonach u. a. zertifizierte Wertschutzschränke zu verwenden seien, nicht eingehalten worden. Beim Anbau in einem einzigen Badezimmer einer 2-Zimmer-Wohnung sei ein Zugang Dritter unvermeidbar. Auch sei der Eigenanbau zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers nicht notwendig und ungeeignet (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Er sei nicht kostengünstiger als Cannabisextrakt oder „Dronabinol“. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei beim Eigenanbau, anders als beim bereits erlaubten Erwerb niederländischen Medizinalhanfs, nicht gewährleistet. Auch könne die Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BtMG versagt werden, wenn sie der Durchführung des Internationalen Suchtstoffabkommens (hier: Einheits-Übereinkommen von 1961 - ÜK 1961 -) entgegenstehe. So liege der Fall hier, weil Deutschland mangels Einrichtung einer Cannabis-Agentur bei Stattgabe des Erlaubnisantrags gegen seine internationalen Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstieße. Bei der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass Deutschland eng mit dem INCB zusammenarbeite und daher das Interesse des Klägers an einer Versorgung und Behandlung mit Cannabis zurückstehen müsse. Abgesehen davon stehe nach § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubniserteilung im Ermessen der Behörde. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der notwendigen medizinischen Versorgung des Klägers schon durch die zur Verfügung stehende alternative Cannabis-Therapie genüge getan werde.
20Der Kläger hat die Klage nach Erlass des Widerspruchsbescheids fortgeführt und geltend gemacht: Bei einer notwendigen medizinischen Anwendung des Betäubungsmittels durch Privatpersonen sei § 5 Abs. 1 BtMG modifiziert anzuwenden. Die von ihm vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien ausreichend. In seiner Wohnung finde kein Publikumsverkehr statt. Da die angebaute Cannabismenge überschaubar sei, bliebe ein Entwenden von Pflanzen auch nicht unbemerkt. Ferner könnten für das durch Eigenanbau gewonnene Pflanzenmaterial ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis keine Erkenntnisse über den Wirkstoff eingeholt werden. Im Übrigen bedürfe es in seinem Fall keiner Einrichtung einer Cannabis-Agentur. Das Schreiben des INCB vom 30. Juli 2010 sei nicht bindend. Auch habe die Beklagte nicht begründet, warum die geforderte Cannabis-Agentur nicht eingerichtet werde. Die Entscheidung der Beklagten sei auch deshalb fehlerhaft, weil sie die für die Bewilligung sprechenden Gründe ‑ insbesondere, dass für ihn der Cannabis-Eigenanbau die einzige realisierbare Möglichkeit der Linderung seiner Beschwerden sei - nicht in ihre Ermessensentscheidung einbezogen habe.
21Der Kläger hat beantragt,
22die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verpflichten, dem Kläger zu erlauben, Cannabis (Indica-Sativa-Hybriden) in seiner Wohnung C1.----straße 24, N.,anzubauen, zu ernten und zum medizinischen Zweck seiner Behandlung zu verwenden sowie bei Bedarf die entsprechenden Mutterpflanzen dieser Spezies zu erwerben und ggf. einzuführen.
23Die Beklagte hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft sowie ergänzend geltend gemacht: Ihre Ermessensausübung sei nicht fehlerhaft. Die mit der Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen seien gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Ausnahmegenehmigung zum Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken sorgfältig abgewogen worden.
26Das Verwaltungsgericht hat unter Zulassung der Berufung die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die ablehnende Entscheidung des BfArM sei rechtswidrig. Zwingende Versagungsgründe lägen nicht vor, zumal die Vorschrift des § 5 Abs. 1 BtMG in Fallgestaltungen wie der vorliegenden modifiziert anzuwenden sei. Die Sicherungsmaßnahmen des Klägers seien ausreichend. Der jahrelange Eigenanbau belege, dass der Kläger sich durch eine Therapie mit dem eigenangebauten Cannabis nicht selbst schädige. Der mit der Erlaubniserteilung verbundene Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffabkommen müsse nicht zwingend zu einer Versagung der Erlaubnis führen. Das BfArM habe gemäß § 5 Abs. 2 BtMG auch bei einem Verstoß gegen das Abkommen einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen die Interessen des Klägers angemessen zu berücksichtigen seien. Dieses Ermessen habe das BfArM bisher nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil es allein darauf abgestellt habe, dass eine Vertragsverletzung dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schade. Soweit das BfArM die Erlaubnis zum Eigenanbau nach § 3 Abs. 2 BtMG im Rahmen seines Ermessens versagt habe, habe es sein Ermessen ebenfalls fehlerhaft ausgeübt. Das BfArM habe keine Prüfung zur Frage der Verfügbarkeit der alternativen Behandlungsmöglichkeiten vorgenommen, insbesondere nicht deren wirtschaftliche Verfügbarkeit festgestellt. Deshalb sei das BfArM verpflichtet, über den Erlaubnisantrag des Klägers neu zu entscheiden und dabei auch seinen gegenwärtigen Gesundheitszustand zu berücksichtigen, was zu einer anderen Entscheidung führen könne.
27Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, der sich der Kläger angeschlossen hat. Der Kläger hat im Berufungsverfahren bei der AOK S. -O. -P. erneut einen Antrag auf Übernahme der Kosten für „Dronabinol“ gestellt, den diese mit Schreiben vom 15. Juni 2012 abgelehnt hat. Auf den auf Veranlassung des Senats gestellten Antrag des Klägers vom 5. Oktober 2012 auf Übernahme der Kosten für Medizinalhanf hat die AOK S. -O. -P. nach erneuter Prüfung mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Kostenübernahme für „Dronabinol“ erklärt. Mit Schreiben vom 8. November 2012 hat sie mitgeteilt, einen Antrag auf Kostenübernahme von Medizinalhanf würde sie beim jetzigen Stand ablehnen, da die Therapie mit „Dronabinol“ bisher als geeignet gegolten habe und keinerlei Informationen zu Zulassungsstatus, Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis flos Bedrocan vorlägen. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 hat die AOK S. -O. -P. erneut mitgeteilt, dass die Möglichkeiten einer Standardtherapie nicht ausgeschöpft seien und daher keine Kostenzusage für Cannabis flos Bedrocan erteilt werde. Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 hat die AOK S. -O. -P. erklärt, ein erneuter Kostenübernahmeantrag für Medizinalhanf hätte auch jetzt keinen Erfolg.
28Der Senat hat mit Urteil vom 7. Dezember 2012 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen sowie die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe mit „Dronabinol“ ein gleich wirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung. Es sei derzeit davon auszugehen, dass „Dronabinol“ beim Kläger eine mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkung aufweise und eine Behandlung bisher nur an der fehlenden Kostenerstattung gescheitert sei. Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats durch Beschluss vom 24. Mai 2013 - 3 B 14.13 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Es hätte sich ihm aufdrängen müssen, den von den Beteiligten angeregten Therapieversuch mit „Dronabinol“ zu ermöglichen um festzustellen, ob es sich für den Kläger um ein gleich wirksames Mittel handele.
29Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor: Es stehe nicht fest, dass für den Kläger keine finanzierbaren Behandlungsalternativen verfügbar seien. Mit „Dronabinol“, für das die Krankenkasse eine Kostenübernahme erteilt habe, stehe ein gleich wirksames Arzneimittel zur Behandlung der bei dem Kläger bestehenden Symptomatik zur Verfügung. Dass hierfür die Höchstverschreibungsmenge überschritten werden müsse, sei unschädlich. Soweit sich der Kläger auf Stellungnahmen seines Arztes berufe, die nach seiner Auffassung das Gegenteil belegen sollten, bleibe die Frage unbeantwortet, aus welchen Gründen die Dosis von „Dronabinol“ - bei gleichzeitiger Reduktion der Cannabisdosis - nicht langsam bei mehreren Gaben täglich erhöht werden könne. Denn es gelte zu beantworten, ob eine Monotherapie mit „Dronabinol“ - in adäquater Darreichungsform und Dosierung - nach entsprechender Titration des „Dronabinol“ und Ausschleichen des Cannabis - zu einer zufriedenstellenden Symptomkontrolle bei dem Kläger führen könne. Dabei sei Zieldiagnose die Tetraspastik und die Ataxie, nicht aber eine ggf. bestehende Cannabisabhängigkeit. Denn die beim Kläger beschriebenen Symptome könnten auch den Entzugssyndromen einer behandlungsbedürftigen Cannabisabhängigkeit zuzuordnen sein. Auch wenn ein solcher Therapieversuch nur stationär erfolgen könne, sei dies dem Kläger zumutbar und auch ethisch vertretbar. Nach stationärer Umstellung könne die Therapie mit „Dronabinol“ in der Dosis von 4 x 20 Tropfen ambulant weitergeführt werden. Im Übrigen seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau nicht modifiziert anzuwenden. Jeder Anbau bedürfe einer umfangreichen Raumsicherung, die bei Aufzucht und Aufbewahrung der angebauten Pflanzen eine unbefugte Entnahme sicher verhindere. Ferner sehe das Internationale Suchtstoffübereinkommen bei jedem Anbau von Cannabis die Anwendung des Kontrollsystems sowie die Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur vor, die die Ernte unverzüglich aufkaufe und sobald wie möglich körperlich in Besitz nehme.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie
33die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
34Der Kläger beantragt,
35das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und nach dem erstinstanz-lichen Klageantrag zu erkennen,
36sowie
37die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
38Er trägt zur Begründung vor: Es gebe für ihn keine verfügbaren Behandlungsalternativen. Er nutze „Dronabinol“ lediglich ergänzend zu seinem selbstangebauten Cannabis. Eine Monotherapie mit „Dronabinol“ sei nicht möglich, weil sie sich nicht ausreichend auf seine Ataxie auswirke. Mit den von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen habe er - wie im Urteil des Senats gefordert - dargelegt, dass „Dronabinol“ nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit wie Cannabis aufweise. Ein stationärer Therapieversuch mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt sei ihm nicht zumutbar. Den stationären Aufenthalt im Jahr 2011 habe er abgebrochen. Ein Therapieversuch mit ungewissem Ausgang sei auch ethisch bedenklich, da es eine für ihn annehmbare und wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit gebe. Ein Therapieversuch mit „Dronabinol“ könne mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes einhergehen, was insbesondere für einen Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung gefährlich sei, weil es keinerlei Garantie gebe, dass eine solche Verschlechterung je wieder rückgängig gemacht werden könne. Auch eine Höchstdosierung mit 4 x 20 Tropfen Dronabinol mit ca. 66 mg THC decke schon rein rechnerisch nicht seinen Cannabisbedarf von 300 bis 500 mg THC pro Tag. Das Medikament „Sativex“ stelle ebenfalls keine verfügbare Behandlungsalternative dar. Er habe sich bereits ohne Erfolg in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen. Aufgrund der Einnahme von „Sativex“, die zudem außerhalb der zugelassenen Indikationen erfolgt sei, habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Eine Therapie mit „Cannabis flos Bedrocan“ stehe ihm nicht zur Verfügung, da die AOK S. -O. -P. am 7. Juni 2013 die Kostenübernahme für Medizinalhanf abgelehnt habe und er die Behandlungskosten nicht allein mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente bestreiten könnte. Im Übrigen stehe der Erlaubniserteilung nicht das ÜK 1961 entgegen. Art. 28 ÜK 1961 sehe die Gestattung des Anbaus von Cannabispflanzen vor. Der in dieser Vorschrift enthaltene Verweis auf das Kontrollsystem nach Art. 23 ÜK sei mit Blick auf die in Rede stehende Genehmigung von wenigen Pflanzen in einem Teil des Badezimmers ersichtlich unsinnig. Es bestehe ferner angesichts der Schwere der Erkrankung und der fehlenden Behandlungsalternativen ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis.
39Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Ärzte Dr. T. und Dr. H. als sachverständige Zeugen. Wegen des Gegenstandes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
40Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die weiteren beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten, Gerichtsakte des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ‑ L 4 KR 3828/01 - und Strafakten der Staatsanwaltschaft Mannheim - 310 Js 5518/02 ‑).
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
42Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Klägers haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet und im Übrigen die Klage abgewiesen.
43Der Versagungsbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags auf Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis zu therapeutischen Zwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
44Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 2 BtMG. Nach dieser Vorschrift kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Für den Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung bedarf es einer Erlaubnis des BfArM. Nach der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG zählt Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor.
45Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11. Mai 2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (vgl. Anlage III), steht hier nicht in Rede. Ebenso wenig sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt (Anlage II). Ein anderweitiges Verständnis der Regelung in Anlage II widerspräche dem erkennbaren Willen des Verordnungsgebers. Dieser hat in der Begründung des Verordnungsentwurfs (BR-Drs. 130/11 vom 3. März 2011) ausdrücklich ausgeführt, dass die Änderungen betreffend Cannabis in den Anlagen I bis III (allein) dem Zweck dienen, cannabishaltige Fertigarzneimittel in Deutschland herstellen, zulassen und verschreiben zu können.
46Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung A. Allgemeiner Teil, I. Ziel und Gegenstand des Verordnungsentwurfs.
47Mit der Aufhebung des generellen Verkehrsverbots für Cannabis sollen lediglich solche cannabishaltigen Arzneimittel verkehrsfähig werden, die unter den strengen Vorgaben des Arzneimittelrechts als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Ferner soll die Herstellung entsprechender Zubereitungen zu medizinischen Zwecken ermöglicht werden.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung B. Besonderer Teil, Zu Artikel 1 (Änderung der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes), Zu den Nummern 1 bis 3 Buchstabe a.
49Die unter der Position Cannabis in Anlage II angeführte Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken steht danach in untrennbarem Zusammenhang mit der Herstellung eines cannabishaltigen Fertigarzneimittels und betrifft nicht den Eigenanbau von Cannabis zwecks Selbstmedikation.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris.
51Die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung liegt unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls, im öffentlichen Interesse.
52Das öffentliche Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG daran, ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu erteilen, ist im Falle des Klägers gegeben. Danach kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Erkrankung möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris (Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu therapeutischen Zwecken); ferner BVerfG, Beschlüsse vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑, NJW 2000, 3126, und vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1772/02 ‑, PharmR 2005, 374.
54Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieser Bestimmung kommt im Wertehorizont des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Leben und körperliche Unversehrtheit sind in weiten Bereichen elementare Voraussetzung für die Wahrnehmung der übrigen Grundrechtsgewährleistungen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden. Dies gilt insbesondere durch die staatliche Unterbindung des Zugangs zu prinzipiell verfügbaren Therapiemethoden zur nicht unwesentlichen Minderung von Leiden.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, m. w. N., juris.
56Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht in enger Beziehung zur Menschenwürde, die zu achten und zu schützen nach Art. 1 GG Aufgabe aller staatlicher Gewalt ist. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur jeweils deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris.
58Die Behandlung des Klägers mit Cannabis liegt hier im öffentlichen Interesse. Der Kläger ist schwer krank. Er leidet seit 1985 an Multipler Sklerose, die inzwischen in die chronische Form übergegangen ist. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom Zentrum für Nervenheilkunde, N. , vom 17. Januar 2012 besteht bei dem Kläger eine sekundär chronische Multiple Sklerose mit ausgeprägter Gangstörung, Rumpf- und Extremitätenataxie, Tetraspastik und psychischer Veränderung (organische, emotional-labile Störung mit beeinträchtigter Impulskontrolle sowie mit leichter kognitiver Störung). Eine Heilung des Klägers scheidet aus.
59Der Annahme eines für eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG erforderlichen öffentlichen Interesses steht nicht von vornherein entgegen, dass die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis bei Multipler Sklerose bisher nicht allgemein wissenschaftlich nachgewiesen ist. Denn bei der vorliegenden schweren Erkrankung des Klägers stellt schon die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit eine Linderung dar, die im öffentlichen Interesse liegt. Bei schweren Erkrankungen - wie vorliegend - ohne Aussicht auf Heilung gebietet es in diesem Rahmen die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur dann auszuschließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten kann.
60Vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, juris.
61Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist nach den dem Senat verfügbaren Erkenntnissen beim Kläger ein therapeutischer Nutzen zu bejahen. Der Kläger wendet Cannabis seit inzwischen mehr als 25 Jahren an. Dies hat zu einer erheblichen subjektiven Linderung seiner Beschwerden, insbesondere im Bereich der Ataxie, Spastik und seiner psychischen Verfassung geführt. Dies wird durch die ärztlichen Befundberichte sowie die Aussage des behandelnden Arztes Dr. T. als sachverständiger Zeuge in der Berufungsverhandlung bestätigt. Bereits in der ärztlichen Stellungnahme der Klinik Dr. F. , Krankenhaus für Multiple Sklerose und andere Nerven- und Stoffwechselleiden, vom 22. Oktober 1999 wird ausgeführt, dass der Kläger aus subjektivem Empfinden aufgrund des Cannabiskonsums eine deutliche Besserung der Symptomatik der Multiplen Sklerose (Spastik beim Einschlafen, Schmerzen in den Muskeln, Zittern, Depressionen, Appetitlosigkeit, Müdigkeitsgefühl, Blasenfunktion, verwaschene Sprache und Gleichgewichtsstörungen) angeben konnte und sich dies mit der allgemeinen Erfahrung decke, dass sich vor allem Schmerzen, Spastik, psychische Beeinträchtigungen und Ataxie unter medizinisch kontrollierter Einnahme von Cannabis bessern können. Bei der Kenntnis des Krankheitsbildes des Klägers und bei den bisherigen guten Erfahrungen, die er mit dem Einsatz von Cannabis zur Linderung der Symptomatik gemacht habe, werde die weitere kontrollierte medizinische Einnahme von Cannabis nervenärztlicherseits uneingeschränkt empfohlen. Auch bestätigt Dr. T. , in dessen ärztlicher Behandlung sich der Kläger seit 1992 befindet, in seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 27. April 2007, dass das Cannabis ohne Zweifel einen nachweisbaren Effekt auf die Ataxie und die erheblichen Stimmungsschwankungen des Klägers habe, der ohne den Konsum von Cannabis aufbrausend sei und ein für seine Umgebung sehr belastendes Verhalten gezeigt habe. Den ärztlichen Bescheinigungen des Dr. T. vom 17. Januar 2012 und 2. Oktober 2012 ist zu entnehmen, dass der Kläger durch die regelmäßige Einnahme von Cannabis eine Besserung der Ataxie und vor allem auch der Beschwerden durch die Spastik erlebt. Das Gangbild sei unter kontinuierlicher Cannabis-Einnahme deutlich sicherer als ohne und die maximale Gehstrecke habe verlängert werden können. Einschließende Spasmen seien unter der Cannabis-Einnahme kaum vorhanden. Ferner führe das regelmäßige Rauchen von Cannabispflanzen-Extrakt beim Kläger zu einem stimmungsmäßigen Ausgleich und die vor Aufnahme des Cannabis-Konsums stark gestörte Impulskontrolle habe sich reguliert. Nach einer aktuellen Stellungnahme des Dr. T. vom 15. Januar 2014 geht es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut. Die Stimmungslage sei ausgeglichen, es bestehe eine ausreichende Beweglichkeit mit einer Gehdauer (mit Handstock) von etwa 30 Minuten. Es beständen keine Schluckschwierigkeiten, die dysarthrische Sprache sei ausreichend verständlich. Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die glaubhaften Angaben des Dr. T. als sachverständiger Zeuge, der in der Berufungsverhandlung angegeben hat, die psychische Verfassung und das Sozialverhalten hätten sich unter der Wirkung von Cannabis deutlich verbessert.
62Dem Kläger steht gegenwärtig kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel für die Behandlung der im Rahmen der Multiplen Sklerose auftretenden Ataxie und Spastik sowie des Psychosyndroms zur Verfügung.
63Anders als in dem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 25. April 2013 ausgeführt, stellt das zugelassene Arzneimittel „Sativex“ für den Kläger keine mögliche Standardtherapie dar. Das Arzneimittel „Sativex“, ein Pflanzenextrakt der Firma Almirall, das neben den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Delta-9-THC) und Cannabidiol (CBD) auch weitere Bestandteile von Cannabis sativa enthält, hat - ungeachtet der Frage seiner Finanzierbarkeit - schon deshalb nicht die gleiche Wirksamkeit wie das von dem Kläger angebaute Cannabis sativa, weil sein Anwendungsbereich auf die Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose beschränkt ist, während sich das vom Kläger angebaute Cannabis insgesamt positiv auf die Beschwerden Ataxie, Spastik und emotionale Labilität auswirkt. „Sativex“ wird laut Fachinformation als Zusatzbehandlung für eine Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose angewendet, die nicht angemessen auf eine andere anti-spastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen. Dies ist bei dem Kläger (gerade) nicht der Fall. Im Gegenteil hat die Einnahme von „Sativex“ bei ihm sogar zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geführt.
64Der Kläger hat sich bereits in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen, der zu einer Verstärkung seiner Beschwerden geführt hat. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 11. August 2011 hat der Kläger „Sativex“ als Ersatz für Marihuana eingenommen. Es habe ihm aber weder in geringen noch in höheren Dosen (bis zu 6 Hübe) geholfen. Die Einnahme von „Sativex“ habe ihn sehr müde gemacht, seine Bewegungen seien ihm schwer gefallen und nur verlangsamt möglich gewesen. Das Befinden und die Motorik hätten sich durch „Sativex“ verschlechtert. Auch habe er schlecht Luft bekommen und vermehrt das Asthmaspray einsetzen müssen. Nach Auskunft seiner Lebensgefährtin habe der Kläger während der Behandlung mit „Sativex“ überwiegend gelegen. In seiner weiteren fachärztlichen Bescheinigung vom 2. Oktober 2012 stellt Dr. T. fest, dass unter Sativex nicht die vergleichbaren Effekte wie unter Cannabis zu erzielen waren. Dem Einwand der Beklagten, der Therapieversuch sei unbeachtlich, weil er jedenfalls hinsichtlich der Dosierung nicht entsprechend der (klinischen) Vorgaben in der Zulassung durchgeführt worden sei, ist nicht zu folgen. Zwar sieht die Fachinformation der Firma Almirall unter Ziffer 4.2 „Art und Dauer der Anwendung“ eine zweiwöchige Titrationsphase vor, innerhalb derer die Anzahl der Sprühstöße entsprechend eines konkreten Dosierungsschemas täglich von einem auf bis zu 12 Sprühstöße langsam erhöht wird. Auch wird darauf hingewiesen, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis die optimale Dosierung gefunden wird, und dass Nebenwirkungen (etwa Müdigkeit) auftreten können, die aber üblicherweise schwach sind und nach einigen Tagen abklingen. Dem Kläger, bei dem die Nebenwirkungen offenbar gerade nicht in bloß schwacher Form aufgetreten sind, ist es mit Blick auf seine ausgeprägte Ataxie aber nicht zumutbar, die bis zu zwei Wochen dauernde Phase der Nebenwirkungen abzuwarten und in dieser Zeit noch weitere Beeinträchtigungen seiner ohnehin stark eingeschränkten Bewegungsfähigkeit hinzunehmen. Mit Blick auf die elementare Bedeutung des Grundrechts des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und unter Achtung seiner Menschenwürde ist es daher aus ethischen Gründen nicht zu verantworten, den schwer kranken Kläger erneut einem mehrwöchigen Behandlungsversuch mit „Sativex“ auszusetzen, obwohl die Behandlung des bei ihm im Vordergrund stehenden Symptoms der Multiplen Sklerose, der Ataxie, vom Anwendungsbereich von „Sativex“ gar nicht erfasst wird.
65Dem Kläger steht auch mit dem verschreibungsfähigen Wirkstoff „Dronabinol“ keine gleich wirksame Therapiealternative zur Verfügung. Zwar ist „Dronabinol“ für ihn nunmehr grundsätzlich verfügbar, nachdem die AOK S. -O. -P. mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Übernahme der Kosten für diesen Wirkstoff erklärt hat. Im Falle des Klägers ist jedoch derzeit anzunehmen, dass „Dronabinol“ nicht genauso wirkt wie Cannabis. Deshalb kann dahinstehen, ob er überhaupt auf das Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ verwiesen werden kann, das kein für die Erkrankung des Klägers zugelassenes (Fertig-)Arzneimittel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist.
66Der Senat geht dabei davon aus, dass „Dronabinol“, das aus dem Cannabis-Hauptwirkstoff Delta-9-THC besteht, grundsätzlich mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkungen auf die Symptome einer Multiplen Sklerose entfalten kann. So wird „Dronabinol“ vorwiegend gegen chronische/neuropathische Schmerzen und Spastik eingesetzt und kann bei Multipler Sklerose Muskelkrämpfe und Spastiken reduzieren. Der Stellungnahme des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) Dr. H. vom 6. Dezember 1999 ist zu entnehmen, dass Cannabis und THC eine Vielzahl von Wirkungen entfalten, die bei der Multiplen Sklerose therapeutischen Nutzen versprechen. THC bzw. Dronabinol sei der pharmakologisch wichtigste Inhaltsstoff der Hanfpflanze (cannabis sativa L.). Wenn auch die Cannabiswirkungen nicht durch die THC-Effekte allein erklärt würden, so machten diese Effekte doch den weitaus größten Teil der Gesamtwirkung aus. In einer Anzahl von Studien sei ein muskelentspannender Effekt von THC bzw. Cannabis nachgewiesen worden. Auch sei in verschiedenen Tiermodellen sowie klinischen Studien der schmerzhemmende Effekt von THC nachgewiesen und der Wirkungsmechanismus weitgehend aufgeklärt worden. Zu vielen anderen von Patienten geschilderten (positiven) Effekten lägen zwar keine klinischen Daten vor, sie würden jedoch häufig und unabhängig voneinander von den Betroffenen vorgetragen. In seiner - vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren überreichten - Stellungnahme vom 6. Februar 2001 verweist Dr. H. ebenfalls darauf, dass die durchgeführten klinischen Studien in ihrer Gesamtheit die Annahme nahelegen, dass Marihuana, Delta-9-THC und Nabilon (ein synthetisches Cannabinoid) wahrscheinlich nützliche symptomatische Wirkungen auf Spastik und Tremor entfalteten. Danach dürfe angenommen werden, dass THC bei Multipler Sklerose therapeutische Wirkung entfalte.
67Auch in dem vom Amtsgericht Mannheim im Strafverfahren 310 Js 5518/02 eingeholten fachneurologischen Aktengutachten des Universitätsklinikums Heidelberg vom 21. Februar 2003 wird die Einnahme von Cannabis und seinen Derivaten (gleichermaßen) zur Behandlung der Symptome der Multiplen Sklerose befürwortet. Ausweislich der Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. med. N. und Dr. med. T1. belegen verschiedene klinische Untersuchungen die Möglichkeit der therapeutischen Anwendung von Cannabisderivaten in der Medizin und insbesondere bei Erkrankungen des Nervensystems. Typische Wirkungen von Cannabis auf den Organismus seien Wohlbefinden und Entspannung, aber auch unerwünschte psychische Effekte wie Angst- und Panikzustände sowie Herzfrequenzbeschleunigung, Blutdruckveränderungen. Weitere Cannabiseffekte bestünden in einer Schmerzlinderung, Muskelrelaxierung, Krampflösung, Bewegungsharmonisierung, Sedierung, Appetitsteigerung, Entzündungshemmung und Bronchialerweiterung. Die zugelassenen Indikationen des synthetisch hergestellten Cannabisderivats Delta-9-THC „Dronabinol“ mit dem Handelsnamen „N1. ®“ seien in den USA zwar auf Gewichtsverlust bei Aids- und Tumorpatienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapiepatienten beschränkt, die mit anderen Medikamenten nicht zu beherrschen seien. Auch liege in Deutschland derzeit keine zugelassene Indikation für Cannabisderivate vor. Es sei dem Arzt jedoch frei gestellt, Cannabis im Rahmen eines individuellen Heilversuchs in Form von „Dronabinol“ zu verordnen. Potentielle Behandlungsindikationen aus neurologischer Sicht, für die in einzelnen Untersuchungen ein günstiger Effekt von Cannabis gezeigt worden sei, beträfen die Symptome der Spastik und Ataxie, des Schmerzes und der Depressionen, die auch bei der Multiplen Sklerose vorkämen. Es gebe mehrere Fallbeispiele, dass Cannabis bzw. seine Derivate für Symptome der Spastik und Ataxie hilfreich sein könnten.
68Ausgehend von der bei der Frage einer Therapiealternative im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG gebotenen konkret-individuellen Betrachtungsweise kann aber gegenwärtig nicht festgestellt werden, dass „Dronabinol“ auch beim Kläger genauso wirkt wie Cannabis. Hierauf deutet bereits die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vom Kläger vorgelegte Bescheinigung von Dr. T. vom 7. Februar 2013 hin, wonach „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen habe. Die Stimmungslage sei dadurch einigermaßen ausgeglichen, die Effekte auf Ataxie und Spasmen seien deutlich weniger spürbar als bei regelmäßigem oralem und inhalativem Cannabiskonsum von bis zu 3 g. Hintergrund dieser Feststellungen ist der Versuch des Klägers gewesen, sich nach der Kostenübernahme für „Dronabinol“ durch die AOK S. -O. -P. Ende 2012 auf diesen Wirkstoff umzustellen. Im Rahmen dieses (ambulanten) Umstellversuchs konnte der Kläger mit einer Dosis von 20 Tropfen „Dronabinol“ morgens eine gewisse Reduzierung des täglichen Cannabiskonsums erreichen. Hingegen muss der Versuch, den Cannabiskonsum mit „Dronabinol“ zu ersetzen und den Kläger allein damit zu behandeln, mit den Stellungnahmen seiner behandelnden Ärzte als gescheitert angesehen werden. Nach den Äußerungen der sachverständigen Zeugen Dr. T. und Dr. H. bewirkt die erreichte Dosis von derzeit 20 Tropfen „Dronabinol“ beim Kläger keine ausreichende Linderung der spastisch-ataktischen Symptomatik, wohingegen eine dafür erforderliche Dosis nicht erreicht werden kann, weil es durch eine Dosissteigerung zu einer erheblichen Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustands kommt. Die Ärzte haben sich dabei maßgeblich auf ihre bisherigen umfangreichen Erfahrungen bei der Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis gestützt, die sie dem Senat widerspruchsfrei und überzeugend vermittelt haben.
69Im Einzelnen:
70Nach der fachärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 7. Februar 2013 hat „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung beim Kläger keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen. Ausweislich seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli 2013 nimmt der Kläger derzeit morgens 20 Tropfen „Dronabinol“ und raucht im Laufe des Tages mindestens 10 Tütchen Haschisch/Marihuana. Unter dieser hohen Dosis fühle sich der Kläger subjektiv wohl. Im Hinblick auf diese Feststellungen hat der erkennende Senat Dr. T. um ergänzende schriftliche Stellungnahme gebeten, ob der Kläger ausschließlich mit „Dronabinol“ behandelt werden könne. Dr. T. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2014 weiter ausgeführt, dass es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut gehe. Eine Stimmungsaufhellung ist nach der Stellungnahme von Dr. T. vom 28. April 2014 erst bei einer Dosis von 20 Tropfen morgens vorübergehend festzustellen gewesen. Eine Besserung der spastisch-ataktischen Symptomatik sei nicht erkennbar gewesen. Der Versuch, die Einzeldosis auf mehr als 20 Tropfen zu steigern, sei misslungen, da es dadurch zu Unruhe, Fahrigkeit, zu Stimmungsschwankungen und auch Dysphorie gekommen sei. Danach ist davon auszugehen, dass die für eine beim Kläger ausreichende Symptomkontrolle ‑ insbesondere im Hinblick auf die Ataxie und Spastik - erforderliche Dosis „Dronabinol“ nicht erreicht werden kann, ohne dass unerwünschte erhebliche Nebenwirkungen im Bereich seiner psychischen Verfassung auftreten.
71Diese Einschätzung hat die Vernehmung der den Kläger behandelnden bzw. betreuenden Ärzte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der sachverständige Zeuge Dr. T. hat angegeben, dass eine weitere Erhöhung der Dosis ausscheide, weil dann die psychischen Zustände - Unruhe, Panik, Anspannung - beim Kläger eintreten würden. Bei der derzeitigen Dosis mit 20 Tropfen habe sich aber auch keine zufriedenstellende positive Lösung eingestellt, so dass weiterhin Cannabisblüten gegeben würden. Dr. T. kommt zu dem Ergebnis, dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ beim Kläger nur eine unwahrscheinliche Möglichkeit darstellt. Dies ist angesichts der von ihm beschriebenen Nebenwirkungen bei einer versuchten Steigerung der Dronabinoldosis, auf die der Kläger zur Symptomkontrolle der Ataxie und Spastik angewiesen wäre, auch plausibel. Dass die ärztlichen Feststellungen zur psychischen Verfassung des Klägers dabei wesentlich auf dessen Eigenwahrnehmung beruhen, mindert nicht deren Aussagewert und ist letztlich dem besonderen psychischen Krankheitsbild des Klägers geschuldet. Es ist dann Aufgabe des den Patienten behandelnden Arztes, die subjektiv unter der Gabe von „Dronabinol“ empfundenen Nebenwirkungen zu objektivieren. Dies hat Dr. T. in der erforderlichen Weise getan, indem er die Selbsteinschätzung des Untersuchten ärztlicherseits bestätigt und sie als ärztliche Feststellungen dem Senat vermittelt hat.
72Die Bewertung durch Dr. T. , dass eine erfolgreiche Monotherapie mit „Dronabinol“ im Falle des Klägers unwahrscheinlich ist, steht im Einklang mit seinen bisherigen schriftlichen Stellungnahmen. Soweit er in seiner Stellungnahme vom 28. April 2014 ausgeführt hat, es sei zu vermuten, dass mit einer Gesamtmenge von 4 x 20 Tropfen „Dronabinol“ am Tag ein einigermaßen dem bisherigen Cannabiskonsum vergleichbarer Effekt zu erzielen sein dürfte, hat er einen vermeintlich darin begründeten Widerspruch in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt. Dort hat Dr. T. klargestellt, dass es sich bei der Möglichkeit einer Monotherapie um eine rein theoretische Annahme seinerseits gehandelt habe. Dies ist auch angesichts seiner weiteren Feststellungen bei der Anwendung von „Dronabinol“ durch den Kläger ohne weiteres nachvollziehbar, weil danach schon eine Steigerung der Dosis von einmalig 20 Tropfen am Tag zu erheblichen Nebenwirkungen - vor allem im psychischen Bereich - geführt hat. Insoweit überwiegen nach Auskunft von Dr. T. die Aussagen des Klägers, dass er bei mehr als 20 Tropfen „Dronabinol“ hektisch, fahrig und panisch geworden sei und im Übrigen die Effekte auf Ataxie und Spasmen deutlich weniger spürbar als bei einem Cannabiskonsum gewesen seien. Dass nur theoretisch und medizinisch nicht begründet die Möglichkeit einer Monotherapie mit „Dronabinol“ besteht, entspricht auch der in der gleichen Stellungnahme des Dr. T. vom 28. April 2014 getroffenen Aussage, es sei unwahrscheinlich, dass durch ein anderes Medikament dem Cannabiskonsum vergleichbare Effekte im Falle des Untersuchten erzielt werden könnten.
73Dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ mit einer Dosierung von 4 x 20 Tropfen zu einer ausreichenden Symptomkontrolle beim Kläger führt, ist auch angesichts der damit vom Kläger aufgenommenen THC-Menge fernliegend. Wie Dr. H. , der den Kläger seit April 2014 in der Cannabisbehandlung begleitet, in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt hat, entspricht der Konsum von 3,5 g Cannabis täglich bei einer THC-Konzentration von 15 %, die regelmäßig bei der vom Kläger angebauten Sorte „Jack Herrer“ anzunehmen ist, 525 mg THC bzw. „Dronabinol“. Diese THC-Menge wird schon rein rechnerisch durch eine Dosis von 4 x 20 Tropfen täglich nicht ansatzweise erreicht. Dabei kann offen bleiben, ob dies, so die Auffassung der Beklagten, einer THC-Menge von nicht nur 66 mg, sondern 80 mg entspricht. Selbst wenn der tägliche Konsum - wie der Kläger an anderer Stelle ausführt - mit 165 mg THC bzw. „Dronabinol“ niedriger anzunehmen sein sollte, kann auch diese Menge durch die von Dr. T. angenommene Höchstmenge „Dronabinol“ nicht vollständig substituiert werden. Hinzu kommt, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, dass bei Patienten, die - wie der Kläger - sehr hohe Dosen Cannabis konsumierten, ein Ersetzen durch reines THC bzw. „Dronabinol“ nicht möglich sei, weil dann die ungefilterte Wirkung des THC zu stark durschlage und die Nebenstoffe des Cannabis fehlten, die bei hohen Dosen eine modulierende Wirkung entfalteten. Die entsprechende subjektive Wahrnehmung durch den Kläger konnte der sachverständige Zeuge angesichts anderer Patienten, mit denen er ähnliche Erfahrungen gemacht hat, bestätigen. Dr. H. hält deshalb eine Umstellung des Klägers auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ für nicht möglich. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung des in der Hauptverhandlung im Strafverfahren des Klägers angehörten Sachverständigen Prof. Dr. N. , der es nachvollziehbar und auch aus medizinischer Sicht als verständlich ansah, dass die Einnahme von „Dronabinol“ allein nicht dieselbe Linderung verschafft habe. Denn in „Dronabinol“ befände sich der reine Wirkstoff THC, wogegen bei der Einnahme von Cannabis andere pflanzliche Faktoren bei der Linderung eine Rolle spielen könnten, die allerdings in ihrer Zusammensetzung wissenschaftlich und medizinisch noch nicht erforscht seien (vgl. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 19. Januar 2005 - 310 Js 5518/02 -).
74Der Senat hat keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des als sachverständigen Zeugen angehörten Dr. H. zu zweifeln. Für seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht vor allem der persönliche Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von ihm gewinnen konnte. Etwaige Zweifel, die in seiner politischen Arbeit für die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) begründet sein könnten, sind dadurch ausgeräumt worden, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend deutlich gemacht hat, als Wissenschaftler, als politisch Engagierter und als Arzt in unterschiedlichen Funktionen tätig zu sein und zwischen diesen Tätigkeiten trennen zu können.
75Dem (sinngemäßen) Einwand der Beklagten, es fehle weiterhin an einer Beschreibung des Therapieverlaufs und seines Ergebnisses, um die Frage der gleichen therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ beantworten zu können, folgt der Senat nicht. Die ärztliche Einschätzung von Dr. T. , dass der Kläger bei realistischer Betrachtungsweise nicht auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ umgestellt werden kann, beruht auf Erkenntnissen aus seiner jahrzehntelangen Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis, zuletzt auf dem Therapieversuch nach der Kostenübernahmeerklärung für „Dronabinol“ durch die Krankenkasse. Sie wird zudem bestätigt durch die Feststellungen von Dr. H. , der umfangreiche Erfahrungen mit Patienten hat, die - wie der Kläger - mit Cannabis und/oder „Dronabinol“ behandelt werden. Welche Erkenntnisse darüber hinaus aus einer Dokumentation des gesamten Therapieverlaufs und dessen Ergebnis mit „Dronabinol“ gewonnen werden könnten, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Allein aus dem Fehlen einer schriftlichen Dokumentation des Therapieverlaufs mit „Dronabinol“ im Einzelnen ist jedenfalls - auch angesichts der zahlreichen schriftlichen fachärztlichen Bescheinigungen - nicht zu schließen, dass die dem Senat in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend vermittelte Einschätzung beider Ärzte auf einer fehlenden tatsächlichen Grundlage und von daher nicht medizinisch fundiert getroffen worden ist.
76Hiervon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und seiner Menschenwürde ist dem Kläger der von der Beklagten geforderte stationäre Umstellversuch auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ nicht zuzumuten. Der schwer chronisch kranke Kläger, der derzeit nach den Aussagen seiner behandelnden Ärzte auf eine auf ihn subjektiv gut abgestimmte Therapieform eingestellt ist, muss sich nicht auf eine lediglich theoretische und damit für ihn nicht ansatzweise erfolgversprechende Therapiealternative mit ungewissem Ausgang einlassen. Eine medizinische Indikation, einen stationären Umstellversuch zu erzwingen, besteht nach Aussage des behandelnden Arztes beim Kläger ebenfalls nicht. Auch deshalb ist nicht anzunehmen, dass überhaupt eine Einrichtung gefunden werden kann, die einen solchen stationären Therapieversuch mit Dronabinoldosen jenseits der üblichen Mengen durchführt, und nicht ersichtlich, wer die Kosten hierfür übernimmt, was auch schon dem Umstellversuch im Dezember 2012 entgegenstand. Ein stationärer Umstellversuchs ist zudem als Möglichkeit einer zusätzlichen Tatsachengewinnung nicht erforderlich, weil der Senat die Überzeugung von einer im Falle des Klägers nicht mit Cannabis vergleichbaren Wirkung von „Dronabinol“ bereits auf der Grundlage der schriftlichen und mündlichen Aussagen der sachverständigen Zeugen gewinnen konnte.
77Mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnisse sieht sich der Senat nicht veranlasst, zur Frage der fehlenden vergleichbaren therapeutischen Wirkung von „Dronabinol“ beim Kläger ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die aussagekräftigen schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte reichen aus, um dem Senat die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung von der beim Kläger nicht vergleichbaren Wirkung einer Monotherapie mit „Dronabinol“ zu ermöglichen.
78Soweit die Lebensgefährtin des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Kläger mit Medizinalhanf der Sorte Bedrocan gut zurecht käme, weil er diese Sorte selbst angebaut habe, steht ihm diese Therapiealternative aus rechtlichen Gründen sowie im Hinblick auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch aus Kostengründen tatsächlich nicht zur Verfügung. Aufgrund der zwischenzeitlich durch die AOK S. -O. -P. erklärten Kostenübernahme für „Dronabinol“ und der damit nach Auffassung der Beklagten verbundenen Therapiealternative sieht sie sich bereits daran gehindert, dem Kläger eine Erwerbserlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen, die Voraussetzung für den Erwerb von Medizinalhanf aus der Apotheke ist. Außerdem kann der Kläger, der eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente von derzeit ca. 890,00 Euro bezieht, die monatlichen Kosten der von ihm benötigen Monatsdosis Cannabis nicht selbst tragen. Während die von ihm benötigten ca. 100 g „Cannabis flos Bedrocan“ monatliche Kosten von mindestens 400,00 Euro, wenn nicht sogar von 1.600,00 Euro, verursachen würden, entstehen ihm durch den Eigenanbau von Cannabis monatliche Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. in Höhe von ca. 110 Euro.
79Der Kläger bekommt die Kosten für „Cannabis flos Bedrocan“ auch nicht von seiner Krankenkasse erstattet. Dies ergibt sich aus der Ablehnung der Kostenübernahme durch die AOK S. -O. -P. vom 7. Juni 2013, die sie zuletzt auf Nachfrage des Senats am 10. Juni 2014 nochmals bestätigt hat. Dass nach der Beweisaufnahme für den Senat feststeht, dass „Dronabinol“ beim Kläger nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit hat wie Cannabis, rechtfertigt nicht die Annahme, die AOK S. -O. -P. werde nunmehr die Kostenübernahme für Medizinalhanf erklären. Dies folgt schon daraus, dass die Kostenübernahme nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 25. April 2013 nicht mit einer alternativen Therapiemöglichkeit mit dem Wirkstoff „Dronabinol“, sondern damit abgelehnt worden ist, dass zum einen beim Kläger keine schwere, lebensbedrohliche oder dem gleichzustellende Erkrankung vorliege und zum anderen die Möglichkeiten der Standardtherapie - hier mit Sativex - nicht ausgeschöpft seien. Es ist dem schwer kranken Kläger nicht mehr zumutbar, ein weiteres Mal den sozialgerichtlichen Klageweg hiergegen auszuschöpfen. Es liegt nicht in der Hand des Klägers, die rechtlichen Rahmenvorgaben für die Zulassung bzw. die krankenkassenrechtliche Kostenübernahme von Medizinalhanf als weitere Behandlungsalternative zu schaffen. Etwas anderes gilt im Hinblick auf den Ausnahmecharakter einer Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis allerdings dann, wenn dem Kläger in Zukunft eine Kostenübernahme für Medizinalhanf erteilt werden würde.
80Der Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis stehen weiter keine zwingenden Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG entgegen. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken modifiziert anzuwenden sind. § 5 Abs. 1 BtMG ist ‑ ebenso wie §§ 6, 7 BtMG - ersichtlich nicht auf Privatpersonen zugeschnitten, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren. Nachdem aber nach § 3 Abs. 2 BtMG auch für diese Personen die Erteilung einer Erlaubnis in Betracht kommt, ist § 5 Abs. 1 BtMG modifziert anzuwenden. Einerseits ist der Schutzzweck der Vorschrift zu beachten, andererseits darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, dass die Erteilung einer Erlaubnis an Privatpersonen, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren, praktisch ausscheidet oder unzumutbar erschwert wird.
81Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. März 2007
82- 13 E 1542/06 ‑, juris.
83Hiervon ausgehend erweist sich die Annahme des BfArM im Versagungsbescheid vom 6. Dezember 2007, der Erteilung der Erlaubnis stehe der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG entgegen, als rechtwidrig, weil sie die modifizierte Anwendung dieser Vorschrift außer Acht lässt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BtMG wird der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln, die keine Arzneimittel sind, durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln erbracht. Diese (strengen) Voraussetzungen dürfte der Kläger zwar offensichtlich nicht erfüllen. Jedoch ist auch § 6 Abs. 2 BtMG auf die Fallgestaltung des privaten Eigenanbaus von Cannabis aus therapeutischen Gründen modifiziert anzuwenden. Um dem Betroffenen die Erteilung der Erlaubnis nicht unzumutbar zu erschweren, kann eine sachkundige Betreuung auch auf andere Weise sichergestellt werden. Dabei käme zum einen in Betracht, den Hausarzt des Klägers, Dr. C. , als Verantwortlichen zu benennen. Dass eine Bereitschaft des Hausarztes Dr. C. zur Übernahme entsprechender Pflichten nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren. Dort hatte der Kläger bereits mit Schriftsatz vom 30. Mai 2007 darauf hingewiesen, dass sich sein Hausarzt Dr. C. zur Unterstützung bereit erklärt habe. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger aufgrund des jahrelangen - nach § 34 StGB gerechtfertigten - Eigenanbaus von Cannabis selbst bereits weitreichende Sachkenntnis gerade hinsichtlich der von ihm verwendeten Cannabissorte angeeignet hat. Abgesehen davon kann das BfArM gemäß § 6 Abs. 2 BtMG im Einzelfall auch von den in Absatz 1 genannten Anforderungen an die Sachkenntnis abweichen, wenn die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen gewährleistet sind. Das BfArM hat das ihm zustehende Ermessen bislang noch nicht ausgeübt, da es das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BtMG zu Unrecht verneint hat. Es hat in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 ausgeführt, dass eine Abweichung von § 6 Abs. 1 BtMG nicht möglich sei, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet seien, und zur Begründung sinngemäß auf die Ausführungen zum Vorliegen der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG verwiesen. Diese Begründung greift jedoch nicht, da die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG - wie nachfolgend ausgeführt ‑ nicht gegeben sind.
84Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind. Wer am Betäubungsmittelverkehr teilnimmt, hat die Betäubungsmittel, die sich in seinem Besitz befinden, gesondert aufzubewahren und gegen unbefugte Entnahme zu sichern (§ 15 Satz 1 BtMG). Das BfArM kann Sicherungsmaßnahmen anordnen, soweit es nach Art oder Umfang des Betäubungsmittelverkehrs, dem Gefährdungsgrad oder der Menge der Betäubungsmittel erforderlich ist (§ 15 Satz 2 BtMG).
85Die Vorschrift soll verhindern, zumindest erschweren, dass der illegale Betäubungsmittelhandel sich im Wege des Diebstahls, der Unterschlagung oder der unbefugten Entnahme aus legalen Betäubungsmitteldepots versorgt. Um die Diebstahlsgefahr möglichst gering zu halten, wird der Erlaubnisinhaber deshalb je nach Menge und Gefährdungsgrad der Betäubungsmittel zu besonderen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet.
86Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 1.
87Das BfArM hat Richtlinien entwickelt, wie Betäubungsmittelvorräte von Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG besonders gegen unbefugte Wegnahme zu sichern sind. Diese Richtlinien (Stand: 1. Januar 2007) unterscheiden drei Vorkehrungen, und zwar 1. Aufbewahrung in (zertifizierten Wertschutz‑)Schränken, 2. Aufbewahrung in Räumen und 3. zusätzliche elektrische Überwachung.
88Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 2.
89Entgegen der Auffassung der Beklagten finden diese Richtlinien beim Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung zur medizinischen Eigenbehandlung des Wohnungsinhabers aber keine Anwendung. Die Richtlinien sind - ebenso wie die Regelung in § 5 Abs. 1 BtMG selbst - nicht auf diese Fallkonstellation zugeschnitten, weil die darin geforderten Sicherungsmaßnahmen (z. B. zertifizierte Wertschutzschränke und -türen) und die hierfür anfallenden Kosten ersichtlich außer Verhältnis zu dem Gefahrenpotential stehen, das die wenigen für die Eigentherapie benötigten Cannabispflanzen bergen. Von Privatpersonen können daher nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen verlangt werden.
90Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. März 2007 - 13 E 1542/06 - und vom 16. November 2011 ‑ 13 B 1199/11 ‑, jeweils juris.
91Hiervon ausgehend greift die Begründung des BfArM in seinen Bescheiden vom 6. Dezember 2007 und 10. August 2010, wonach bereits mangels Einhaltung der Richtlinien vom 1. Januar 2007, insbesondere zur Aufbewahrung der Cannabisvorräte in einem zertifizierten Wertschutzschrank, der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG gegeben sei, nicht durch. Vielmehr können von dem Kläger nur zumutbare und dem Sicherungszweck angemessene Sicherungsmaßnahmen verlangt werden. Die vom Kläger bereits mit Schriftsatz vom 10. Mai 2010 detailliert benannten ‑ zum Teil noch im Planungsstadium befindlichen - Sicherungsmaßnahmen sind mit Blick auf Art und Umfang des Betäubungsmittelverkehrs (Cannabisanbau ausschließlich zum Eigenkonsum) sowie auf den Gefährdungsgrad (gering frequentierte Wohnung des Klägers) als ausreichend anzusehen. Gegen ein Eindringen Unbefugter von außen schützen zunächst die dreifach verriegelte Wohnungseingangstür und die sicherheitsverglasten, sechsfach verriegelten Fenster, die zudem mit einem Aufhebelschutz versehen sind. Befindet sich das Badezimmerfenster in Kippstellung, sorgt die geplante Anbringung eines Gitters für den erforderlichen Schutz. Die Pflanzen sind auch innerhalb der Wohnung ausreichend gegen eine unbefugte Entwendung geschützt. Die Wohnung des Klägers wird kaum von Dritten frequentiert; der Kläger bewohnt die Wohnung zusammen mit seiner Lebensgefährtin und erhält wenig Besuch. Die Kranken-gymnastin, die eine Zeit lang die Wohnung regelmäßig aufgesucht hat, hat ihre Tätigkeit beendet. Die Frage, ob die Wohnung künftig durch externes Pflege-personal aufgesucht wird, stellt sich noch nicht. Für die fernliegende Möglichkeit, dass ein Dritter das Badezimmer des Klägers aufsucht, ist ebenfalls ausreichend Schutz gewährleistet. Die Pflanzen in der Blühphase (2 x 8 Pflanzen) dürften für einen Dritten nicht ohne Weiteres sichtbar sein, weil sie in der gemauerten Dusche unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe herangezogen werden. Jeden-falls würde dem Kläger angesichts der überschaubaren Menge das Fehlen einer Pflanze sofort auffallen. Im Übrigen hat der Kläger die Anbringung eines Fingerprintschlosses angeboten, so dass er das Aufsuchen seines Badezimmers unter Kontrolle hätte. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) sind in einem Schrank aufbewahrt; ein überschüssiger Ertrag aus den getrockneten Blüten von 8 Pflanzen, der nach Angaben des Klägers in etwa seinen Monatsbedarf an 100 g Cannabis deckt, wird in einem Tresor gelagert. Darüber hinaus hat der Kläger ein erhebliches Eigeninteresse, dass das Cannabis nicht an Dritte gelangt, weil er es zur Behandlung selbst benötigt. Für den ‑ seltenen - Fall seiner Abwesenheit will der Kläger ebenfalls vorsorgen. Er beabsichtigt die Überwachung der Tür zum Badezimmer und des Fensters mit einer IP-Kamera, die aufgrund eines programmierten Bewegungsmelders bei Bewegungen im Raum eine E-Mail mit Bildern an ein Handy schickt. In diesem Fall könnte der Kläger umgehend die Polizei benachrichtigen.
92Dass die dargestellten Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, hat das BfArM auch im Berufungsverfahren nicht substantiiert dargelegt. Entgegen der Auffassung des BfArM kommt - mit Blick auf § 15 Satz 2 BtMG ‑ auch eine Erlaubniserteilung unter Auflagen in Betracht. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BtMG kann die Erlaubnis befristet, mit Bedingungen erlassen oder mit Auflagen versehen werden, wenn dies zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Damit können die Nebenbestimmungen auch zwingende Versagungsgründe des § 5 BtMG ausräumen.
93Vgl. VG Berlin, Urteil vom 27. Juni 1996 - VG 14 A 134/94 -, NJW 1997, 816; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 9, Rn. 9.
94Das BfArM kann daher eine Erlaubnis unter der Auflage, bestimmte Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen, erteilen, und damit auch für eine Umsetzung der bislang nur im Planungsstadium befindlichen Sicherheitsvorkehrungen sorgen.
95Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG ist nicht gegeben. Hiernach ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn durch das beantragte Projekt die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet sind.
96Die Erteilung einer Anbauerlaubnis geringer Cannabismengen zur therapeutischen Behandlung einer schweren Krankheit unter ärztlicher Aufsicht verstößt nicht generell gegen § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG, da eine ärztliche Betreuung die erforderliche Sicherheit und Kontrolle gewährleisten kann.
97Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 5, Rn. 14 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑; Weber, BtMG, Kommentar, 4. Auflage 2013, § 5, Rn. 33 unter Bezugnahme auf OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2012 - 13 A 414/11 -.
98Hiervon ausgehend liegt ein Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das vom Kläger (in einer überschaubaren Menge) angebaute Cannabis dem illegalen Betäubungsmittelverkehr zugeführt werden könnte. Der Kläger hat substantiiert dargelegt, dass er das angebaute Cannabis zur Eigentherapie benötigt und die geernteten Blüten ausschließlich für den Eigenverbrauch weiter verarbeitet bzw. - im Ausnahmefall - nicht benötigte Blüten im Tresor aufbewahrt und die Reste der Pflanzen zu Kompost und Dünger verarbeitet. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des angebauten Cannabis durch den Kläger. Zwar hat das BfArM in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 darauf verwiesen, dass ein Betäubungsmittelverkehr zu therapeutischen Zwecken mit Pflanzenteilen, die hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit in keiner Weise arzneimittelrechtlichen Standards entsprechen könnten, weder sicher sein noch wirksam kontrolliert werden könne. Der Senat geht aber in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich der Wirksamkeit und der Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte verfügt und die von ihm praktizierte Vermehrungsmethode eine relative Gewähr für einen konstanten THC-Gehalt der Cannabispflanzen bietet. Auch hat der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren klargestellt, dass der Eigenanbau unter hausärztlicher Kontrolle erfolge. Abgesehen davon ist dem Kläger die fehlende konkrete Bestimmung des THC-Gehalts des von ihm angebauten Cannabis nicht anzulasten, da diese derzeit aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Das BfArM hat bereits in seinem an das BMG gerichteten Schreiben vom 29. Juni 2010 darauf hingewiesen, dass derartige Untersuchungen von den entsprechenden Einrichtungen nicht ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis durchgeführt werden.
99Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist.
100Angesichts der nunmehr belegten unzureichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf durch die AOK S. -O. -P. ist der vom Kläger beantragte Eigenanbau von Cannabis nach den obigen Ausführungen derzeit für seine medizinische Versorgung notwendig und geeignet. Kann der Kläger deshalb seine notwendige medizinische Versorgung gegenwärtig nur durch den Eigenanbau von Cannabis sicherstellen, ist es auch hinzunehmen, dass bei dem schwer kranken Kläger inzwischen eine Betäubungsmittelabhängigkeit entstanden ist.
101Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 BtMG mit der Begründung versagt werden, die Erlaubniserteilung verlange nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl II, S. 111; im Folgenden: ÜK 1961) die Einrichtung einer Cannabis-Agentur, die aber nicht geplant sei. Gemäß § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis (u. a.) versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen entgegensteht. Einer Entscheidung zu Gunsten des Klägers steht das ÜK 1961 nicht entgegen. Zum einen bringt das ÜK 1961 in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 3, Rn. 77.
103Zum anderen finden - entgegen der im Schreiben vom 30. Juli 2010 vertretenen Auffassung des INCB - Art. 28 Abs. 1, 23 ÜK 1961, die bei einer Erlaubniserteilung für den Anbau von Cannabis die Errichtung einer staatlichen Stelle vorsehen, auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Die Bestimmungen sind nach ihrem Sinn und Zweck auf den Fall der Erlaubniserteilung an eine Einzelperson zu therapeutischen Zwecken nicht anwendbar. Gestattet eine Vertragspartei den Anbau von Cannabis zur Gewinnung von Cannabis oder Cannabisharz, so errichtet sie, wenn dies nicht bereits geschehen ist, und unterhält eine oder mehrere staatliche Stellen zur Wahrnehmung der in diesem Artikel vorgesehenen Aufgaben (Art. 28 Abs. 1 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 ÜK 1961). Ausweislich der in Art. 23 ÜK 1961 geregelten Aufgabenzuteilung spricht aber Überwiegendes dafür, dass der „Stelle“, die in der BRD als Cannabis-Agentur eingerichtet würde, nur die Kontrolle über den großflächigen Anbau von Cannabis obliegt und jedenfalls der vorliegende Einzelfall des Eigenanbaus von maximal 24 Cannabispflanzen, die aus therapeutischen Zwecken zum absehbaren Eigenverbrauch gedacht sind, ersichtlich nicht erfasst ist. So bezeichnet etwa die Stelle die Gebiete und Landparzellen, auf denen der Anbau von Cannabis gestattet wird (Art. 23 Abs. 2 a) ÜK 1961) und kauft, nachdem alle Anbauer von Cannabis die gesamte Ernte abgeliefert haben, die geernteten Mengen und nimmt sie körperlich in Besitz (Art. 23 Abs. 2 d) ÜK 1961). Für eine derartige Vorgehensweise besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung. Der Kläger verbraucht das von ihm ‑ in einer überschaubaren Menge ‑ angebaute Cannabis unmittelbar nach der Ernte zu therapeutischen Zwecken. Abgesehen davon hätte die Einrichtung einer Cannabis-Agentur im vorliegenden Fall die geradezu absurde Folge, dass der schwer kranke Kläger, der mangels Behandlungsalternative auf die ständige Verfügbarkeit des von ihm angebauten Cannabis sativa angewiesen ist, die von ihm geerntete (verhältnismäßig geringe) Cannabisernte an die Cannabis-Agentur verkaufen müsste, um sie sodann zurück zu erwerben. Wie zudem die praktische Abwicklung einer derartigen Prozedur dem in N. wohnhaften und durch seine Krankheit an die Wohnung gebundenen Kläger innerhalb eines zumutbaren zeitlichen Rahmens möglich sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
104Abgesehen davon erweist sich eine - wie vom BfArM im Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 getroffene - Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 BtMG aber auch bei Annahme eines Verstoßes gegen das ÜK 1961 als fehlerhaft. Die Ermessenskontrolle ist zwar ihrer Natur nach eine nachvollziehende Kontrolle, dennoch beschränkt sie sich nicht auf die Suche nach der Berücksichtigung sachwidriger Gesichtspunkte. Eine Ermessensentscheidung ist (auch) fehlerhaft, wenn wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen werden, die zu berücksichtigen gewesen wären.
105Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 19. Auflage 2013, § 114 Rn. 12; Wolf, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Auflage 2014, § 114, Rn. 178.
106So liegt hier der Fall, weil das BfArM ausschließlich auf im öffentlichen Interesse liegende Gesichtspunkte abstellt und geltend macht, dass eine Verletzung der sich aus dem ÜK 1961 ergebenden Pflichten die enge Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit dem INCB belastet. Insoweit lässt es wesentliche Belange des Klägers außer Acht, die für die Erteilung der Erlaubnis sprechen. Das BfArM hätte konkret auch die Schwere der Erkrankung des Klägers, die fehlende alternative Behandlungsmöglichkeit und seine hochrangigen Schutzgüter aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berücksichtigen müssen. Ferner hätte es bei seiner Ermessensausübung mit Blick auf die besondere Notlage des Klägers zu seinen Gunsten beachten müssen, dass der Kläger selbst die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht beeinflussen kann.
107Ebenso erweisen sich angesichts der fehlenden ausreichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf die bislang vom BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG getroffenen Ermessenserwägungen als fehlerhaft. Das BfArM geht insoweit zu Unrecht vom Vorliegen einer verfügbaren konkreten Therapiemöglichkeit mit cannabishaltigen Präparaten aus, da diese für den Kläger angesichts seiner geringen Einkünfte tatsächlich nicht erreichbar sind.
108Das Fehlen zwingender Versagungsgründe rechtfertigt es indes nicht, die Beklagte entsprechend dem Antrag des Klägers zur Erteilung der Erlaubnis zu verpflichten, vielmehr steht die begehrte Erlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 -, juris.
110Bei der Ausübung des Ermessens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats wird das BfArM insbesondere § 6 Abs. 2 BtMG zu prüfen sowie über mögliche Nebenbestimmungen zur Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 BtMG zu entscheiden haben.
111Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
112Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
113Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Hinblick auf die modifizierende Anwendung der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG vorliegen.
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des BfArM vom 16.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Anbau von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Am 26.01.2010 stellte der Kläger bei dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – Bundesopiumstelle – einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten über eine Apotheke.
3Beigefügt war eine ärztliche Stellungnahme des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. med. U. N. vom 30.11.2009. Darin war ausgeführt, der Kläger leide seit über 20 Jahren an einem chronischen multiplen Schmerzsyndrom mit Übelkeit, Erbrechen, vegetativer Begleitsymptomatik, reaktiver Depression, Schlafstörungen und Facialisparese (Gesichtslähmung). Weder die bisher durchgeführten medikamentösen Therapien noch mehrere stationäre Aufenthalte in Schmerzkliniken inklusive operativer Eingriffe hätten eine wesentliche Besserung erbracht bzw. seien mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden gewesen. Beschwerdefreiheit habe nur bezüglich der Spannungskopfschmerzen erzielt werden können. Im Hinblick auf die übrigen Beschwerden habe nur die Kombination von verdampftem Cannabis mit einem Opioid in geringer Dosis (Oxycodon) eine hinreichende Schmerzreduktion bei tolerablen Nebenwirkungen erbracht. Als Dosierung wurde eine Tagesdosis von 0,3 – 0,6 g Cannabisblüten, also monatlich eine Menge von ca. 18 g empfohlen.
4Ferner wurden Schreiben der Krankenkasse des Antragstellers vom 22.06.2009 und vom 05.02.2010 eingereicht, wonach die Kosten für das Arzneimittel „Marinol“ nicht übernommen werden könnten.
5Auf Anforderung des BfArM legte der Antragsteller außerdem Arztberichte über stationäre Aufenthalte in der Schmerzklinik Bad Mergentheim vom 08.04.1999, des Facharztes für Schmerztherapie Dr. L. T. vom 20.06.2000, des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie vom 03.12.2004 und der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 07.08.1998 vor.
6Unter dem 10.03.2010 erteilte das BfArM dem Kläger eine Erlaubnis für den Erwerb von Medizinal-Cannabisblüten bis zu einer 4-Wochen-Höchstmenge von Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) von 3240 mg über eine Apotheke.
7Mit Schreiben vom 09.06.2010 beantragte der Kläger eine Erlaubnis zum Anbau und zur Einfuhr von Cannabis sowie zur Einfuhr der Samen. Zur Begründung gab er an, die bisher aus der Apotheke bezogenen Cannabisblüten seien gut wirksam, aber zu teuer, so dass er sich diese auf Dauer nicht leisten könne. Ferner reichte er eine neue Dosierungsempfehlung seines Arztes vom 10.08.2010 ein, wonach der monatliche Bedarf an Cannabisblüten je nach Sorte zwischen 18 g und 54 g liege.
8Mit Verfügung vom 15.03.2011 wurde der Antragsteller aufgefordert, detaillierte Angaben zu den vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen sowie eine vergleichende Vollkostenrechnung hinsichtlich der Kosten des Anbaus und der Kosten des Erwerbs aus der Apotheke vorzulegen.
9Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 08.05.2011 reduzierte der Kläger seinen Antrag vom 09.06.2010 auf den Anbau von Cannabis und präzisierte seine Angaben zu den Sicherungsmaßnahmen für den Anbau in einem abschließbaren Raum seiner Wohnung. Ferner wurde ein Vergleich der Kosten vorgelegt. Danach sollten die Kosten für den „genehmigten Jahresbedarf von 420 g“ beim Erstanbau 886,20 Euro, für die folgenden Anbauphasen höchstens 340,20 Euro betragen. Demgegenüber verlange die jetzige Bezugsapotheke 70 € für eine 5-g-Packung, woraus sich für den Jahresbedarf von 420 g ein Betrag von 5.880,00 Euro ergebe.
10Der Kläger sei nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, diese Kosten aufzubringen. Außerdem sei die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet. Der Monopollieferant, der die Ware aus Holland importiere, habe in dem kurzen Zeitraum zwischen Dezember 2009 und Februar 2011 mehrfach wochenlange Lieferausfälle gehabt. Ferner seien teilweise Mindermengen abgepackt gewesen.
11Am 11.08.2011 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, den Antrag des Klägers vom 09.06.2010 auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zu bescheiden. Gleichzeitig hat der Kläger beantragt, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung der Hauptsache zu erlauben, in seiner Wohnung Hanf (Cannabis sativa) anzubauen, zu ernten und zur Behandlung seiner Schmerzsymptome zu verwenden (7 L 1173/11).
12Mit Bescheid vom 16.08.2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Erlaubniserteilung stünden zwingende Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG entgegen. Die erforderliche Sicherung der Pflanzen während der Anbau- und Wuchsphase gemäß den BfArM-Richtlinien sei in einer Privatwohnung im vorliegenden Fall nicht möglich, § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG.
13Der beantragte Anbau sei auch zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung nicht geeignet, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Aufgrund von Schwankungen bei Wirkstoffgehalt und Qualität des Pflanzenmaterials bei einem Eigenanbau sei eine Dosierungsempfehlung nicht möglich und Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen, auf die nicht zielgerichtet reagiert werden könne.
14Schließlich stehe die beantragte Erlaubnis in Widerspruch zu Art. 28 i.V.m. Art. 23 des Einheitsübereinkommens von 1961 über Suchtstoffe (ÜK 1961), da der Anbau auch zu medizinischen Zwecken der Anwendung des Kontrollsystems und der Einrichtung einer Cannabisagentur zum Aufkauf der Ernte bedürfe. Die Bundesrepublik verfüge aber nicht über eine staatliche Cannabis-Agentur.
15Im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung müssten die Interessen des Klägers gegenüber dem Interesse Deutschlands an der Einhaltung der internationalen Verpflichtungen und der Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs zurücktreten. Ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis für den Anbau bestehe schon deshalb nicht, weil der Kläger die grundsätzliche Möglichkeit zum Erwerb von niederländischem Medizinalhanf habe. Darüber hinaus bestünden bei der Therapie mit selbst angebautem Cannabis gesundheitliche Risiken wegen des schwankenden Wirkstoffgehalts, die gegen die Erteilung der Anbauerlaubnis sprächen.
16Mit Beschluss der Einzelrichterin vom 13.09.2011 – 7 L 1173/11 – wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung glaubhaft gemacht habe. Denn er habe derzeit eine zumutbare Alternative zur Behandlung seiner Schmerzen, weil er die erforderliche Cannabismenge aufgrund der erteilten Erlaubnis des BfArM über die Apotheke aus Holland beziehen könne. Er habe bisher nicht glaubhaft gemacht, dass seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Erwerb des Medizinalhanfs nicht ausreichend sei.
17Gegen den Beschluss legte der Kläger am 27.09.2011 Beschwerde ein. Im Beschwerdeverfahren wurde ein Arztbericht des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. med. U. N. vom 30.11.2011 vorgelegt (Bl. 76 d.A.). Danach sei der gesundheitliche Zustand des Klägers gegenüber dem Facharztbericht vom 30.11.2009 unverändert. Die zur Schmerzbekämpfung erforderliche Dosis an Cannabisblüten sei anhand des klinischen Schmerzverlaufs bestimmt worden. Jedoch könne der Kläger sich derzeit von seinen Ersparnissen nur eine nicht ausreichende Menge von 2-5 mal 5 g Cannabisblüten aus der Apotheke leisten. Daher benutze er Tabak zur Verstärkung der Wirkung.
18Durch Beschluss des OVG NRW vom 16.11.2011 – 13 B 1199/11 – wurde die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen. In der Begründung führte das Gericht u.a. aus, der Kläger habe nach summarischer Prüfung einen Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis nicht glaubhaft gemacht. Es sei keine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen, weil dem Kläger eine zumutbare und erschwingliche Behandlungsalternative in der Form des Erwerbes von Medizinalhanf aus der Apotheke zur Verfügung stehe.
19Der Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung der Erlaubnis zum Anbau von Cannabis vom 06.09.2011 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2011 zurückgewiesen. Der Kläger erklärte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 10.12.2011, dass sich die Klage nunmehr auch gegen den Widerspruchsbescheid vom 30.11.2011 richte.
20Zur Begründung seiner Klage stützt sich der Kläger im Wesentlichen auf den Vortrag aus dem Eilverfahren. Im Einzelnen trägt er vor, die Verwendung von Cannabis zu medizinischen Zwecken sei nach der gesetzlichen Änderung der Anlagen zum BtMG nicht mehr erlaubnispflichtig. Denn der Kläger benötige den Stoff ausschließlich „zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“ und damit falle auch der Anbau zur Eigentherapie unter die Ausnahmebestimmung der Anlage II zum BtMG. Selbst wenn diese Ausnahmebestimmung nicht anwendbar sei, verstoße das Umgangsverbot bei Schmerzpatienten gegen die Menschenwürde und sei eindeutig verfassungswidrig, zumal es keine validen Belege für die Gefährlichkeit des Hanfkonsums gebe.
21Der Kläger habe einen Anspruch auf die medizinische Behandlung seiner Schmerzen mit Cannabisblüten. Der Einsatz von Cannabis bei der Indikation „chronische neuropathische Schmerzen“ sei wissenschaftlich anerkannt, beispielsweise in den Niederlanden durch das Gesundheitsministerium akzeptiert. Auch in Deutschland gebe es kontrollierte klinische Studien zur Verwendung von Cannabis bei dieser Indikation. Ein vergleichbar wirksames Mittel gegen seine Dauerschmerzen gebe es nicht.
22In einem aktuellen Arztbrief vom 05.12.2013 bestätigte der behandelnde Arzt des Klägers, dass die bereits 2009 und 2012 diagnostizierten Symptome (chronisches Schmerzsyndrom, Arthritis beider Knie und anderer Gelenke, Osteopathie, Posttraumatische Belastungsstörung – PTBS - und Tinnitus) unverändert vorlägen und eine medizinische Nutzung von Cannabis indizierten. Der aktuelle Bedarf liege bei ca. 45 g Medizinalhanf. Jedoch könne der Kläger nur 15 g finanzieren und dies nicht dauerhaft. Die PTBS erfordere nach internationalen Studien eine höhere Cannabinoid-Dosierung als das Schmerzsyndrom.
23Versagungsgründe stünden der Erlaubnis nicht entgegen. Insbesondere könne die Sicherheit und Kontrolle des Anbaus gewährleistet werden. Die vom BfArM herangezogenen Richtlinien zu den Sicherheitsanforderungen beim Anbau von Cannabis seien ersichtlich für den gewerbsmäßigen Betäubungsmittelverkehr bestimmt und auf den kleinteiligen, vollständig kontrollierbaren Eigenanbau nicht anwendbar. Im Übrigen sei der Kläger bereit, alle vom BfArM vorgeschriebenen Sicherungsmaßnahmen ergreifen.
24Auch die Therapiesicherheit spreche nicht gegen die Erteilung der Erlaubnis. Die Behauptung des BfArM, dass selbst gezogene Hanfblüten undefinierte Qualitäten und Wirkstoffgehalte hätten, sei unzutreffend. Vielmehr entstünden bei dem vorgesehenen Anbau in einem klimatisierten Raum aus Stecklingen einer Mutterpflanze unter gleichen Anbaubedingungen (Substrat, Licht, Temperatur) immer gleiche Mengen mit gleichen Wirkstoffgehalten.
25Das Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe von 1961 stehe einer Erlaubniserteilung nicht entgegen. Der Anbau für die Eigentherapie falle nicht unter dieses Übereinkommen. Dies ergebe sich auch aus dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten Kurzgutachten von Prof. Dr. Lorenz Böllinger vom 28.04.2010.
26Jedenfalls müsse der Ansehensverlust der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Verletzung von Grundrechten des Klägers zurücktreten. Es verstoße gegen die Menschenwürde des Klägers, wenn ihm die Beklagte den einzigen Ausweg, nämlich den Eigenanbau des benötigten Schmerzmedikamentes vorenthalte. Demgegenüber könne der Kläger nicht auf den unsicheren und unerschwinglichen Bezug von Cannabisblüten aus der Apotheke verwiesen werden. Der derzeitige Monatsbedarf liege laut Arztbericht vom 05.12.2013 bei 45 g, sodass monatliche Kosten in Höhe von 652,50 Euro anfielen. Diesen Betrag könne der Kläger nur teilweise aufbringen. Im Übrigen sei er gezwungen, die Hanfblüten mit Tabak zu strecken bzw. seine Schmerzen mangels ausreichender Medikation zu ertragen.
27Die Einkommens- und Vermögenslage des Klägers habe sich deutlich verschlechtert. Aus der selbständigen Tätigkeit als Informatiker habe der Kläger keine nennenswerten Einkünfte erzielen können. Die Ersparnisse und Wertpapiere seien weitgehend verbraucht. Erst nach vollständiger Aufzehrung dieser Rücklagen könne der Kläger mit Aussicht auf Erfolg Leistungen der Grundsicherung beantragen. Zu diesen Angaben hat der Kläger entsprechende Unterlagen im PKH-Verfahren vorgelegt.
28Die Cannabisblüten aus der Apotheke seien auch nicht immer verfügbar. Laut Mitteilung des Lieferanten „Fagron“ vom 25.11.2013 sei seinerzeit die Sorte „Bedrocan“ nicht lieferbar gewesen.
29Mit Schreiben vom 31.01.2013 erklärte die Krankenkasse des Klägers, dass sie befristet bis zum 31.12.2014 die Kosten für eine private Verordnung des Arzneimittels „Marinol“ übernehme. Mit Schreiben vom 07.11.2013 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage eines Arztberichtes vom 29.04.2013 mit, dass die Behandlung mit Marinol mangels Erfolges habe abgebrochen werden müssen. Aus dem Arztbrief von Dr. U. N. vom 29.04.2013 geht hervor, dass mit Marinol trotz Dosissteigerung auf 7,5 mg Einzeldosis keine vergleichbare Schmerzlinderung und Konzentrationsverbesserung sowie Linderung der Schlafstörungen erreicht werden konnten. Weitere Dosissteigerungen seien wegen einer Zunahme der Nebenwirkungen nicht möglich gewesen.
30Ferner wurde ein Schreiben der Krankenkasse des Klägers vom 27.05.2013 vorgelegt, mit dem diese erklärte, dass eine Umstellung von „Marinol“ auf „Sativex“ nicht erfolgen könne, da es zurzeit keine Daten aus klinischen Studien der Phase III gebe, die die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Sativex bestätigten.
31Mit Schreiben vom 02.01.2014 bestätigte die Krankenkasse des Klägers weiterhin, dass sie die Kosten für den Erwerb von Medizinalhanf (Cannabis Flos) nicht übernehmen könne.
32Der Kläger beantragt,
33die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011 zu verpflichten, dem Kläger eine Erlaubnis für den Anbau von Cannabispflanzen zu erteilen,
34hilfsweise,
35über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabispflanzen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
36Die Beklagte beantragt,
37die Klage abzuweisen.
38Sie beruft sich auf die Begründung der während des Verfahrens ergangenen Bescheide und trägt ergänzend vor, der Therapieversuch mit Marinol im April 2013 werde inhaltlich vom BfArM nicht beanstandet. Da dem Kläger auch weiterhin keine Therapiealternativen zur Verfügung stünden, werde die bestehende Erlaubnis für den Erwerb von Medizinalhanf nicht in Frage gestellt. Der Kläger habe jedoch, wie ausgeführt, keinen Anspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau.
39Der Anbau von Cannabis sei auch nach der Änderung der Anlagen zum BtMG erlaubnispflichtig. Denn die Ausnahme vom Verkehrsverbot in der Anlage II zum BtMG betreffe nur die „Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“, nicht aber den Anbau. Im Übrigen sei mit der „Herstellung von Zubereitungen“ nach den Motiven des Gesetzgebers nur die Herstellung von Fertigarzneimitteln gemeint.
40Eine offenkundige Verfassungswidrigkeit des Verkehrsverbotes für Cannabis sei nicht gegeben. Vielmehr beruhe die Entscheidung des Gesetzgebers auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die der Kläger nicht widerlegt habe.
41Der Erlaubnis für den Anbau stünden zwingende Versagungsgründe entgegen. Insbesondere seien die erforderlichen räumlichen Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen worden, § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG. Auf Anforderung des Gerichts hat das BfArM die „Richtlinien über Maßnahmen zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten bei Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG“ mit Stand vom 01.01.2007 vorgelegt (Bl. 84 d.A.). Nach Auffassung des BfArM sind diese Richtlinien, die der Einheitlichkeit und Transparenz der Sicherungsmaßnahmen dienten, auch beim Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken zu beachten. Die Anforderungen richteten sich nach dem Gefährdungsgrad und der Bestands- oder Jahreshöchstmenge des betreffenden Betäubungsmittels. Da sich Cannabis in der Sicherungsklasse S 3 befinde, erfordere bereits der Anbau einer einzigen Cannabispflanze mit einem Gewicht über 100 g eine Sicherung nach Ziff. 1 und 2 der Richtlinie. Es sei daher für die Anbau- und Wuchsphase eine Raumsicherung nach Ziff. 2 sowie für die Lagerung ein Wertschutzschrank nach Ziff. 1 der Richtlinie erforderlich.
42Wenn diese Richtlinien keine Anwendung finden sollten, wäre jedenfalls eine weitere Prüfung der Sicherheitslage, ggfs. unter Inaugenscheinnahme der konkreten örtlichen Gegebenheiten durch das BfArM erforderlich. Wegen der Mannigfaltigkeit der hierbei zu beachtenden Kriterien könnten die Anforderungen an die Sicherung des Cannabisanbaus in einer Privatwohnung nicht pauschal definiert werden. Eine Anordnung von Nebenbestimmungen zur Gewährleistung der Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs sei nicht ausreichend.
43Der Eigenanbau von Cannabis sei auch zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers weder geeignet noch notwendig, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Wegen des schwankenden Wirkstoffgehalts beim Eigenanbau sei die Einhaltung einer vom Arzt verordneten Dosierungsempfehlung nicht möglich und damit die erforderliche Therapiesicherheit nicht gewährleistet. Der Wirkstoffgehalt von selbst angebautem Cannabis werde nicht nur durch die Klimatisierung des Raums und die Wahl der Stecklinge bestimmt, sondern durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Zwar schwanke auch der Wirkstoffgehalt des Apothekencannabis. Diese Schwankungen hielten sich aber innerhalb zulässiger und bekannter Spezifikationen, die von dem holländischen Lieferanten regelmäßig geprüft und eingehalten würden. Der Eigenanbau sei daher keine gleichwertige Alternative zum genehmigten Erwerb von Apothekencannabis.
44Ferner stehe der Erlaubniserteilung das Internationale Suchtstoffübereinkommen von 1961 entgegen, das die Errichtung einer staatlichen Cannabisagentur bei einer Genehmigung des Anbaus von Cannabis erfordere. Dies gelte auch für den Anbau im geringen Umfang zum Zweck der Eigentherapie, wie der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) auf eine Anfrage des BfArM im Schreiben vom 30.07.2010 bestätigt habe. Eine Erlaubniserteilung ohne die Existenz einer Cannabis-Agentur würde dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik Deutschland erheblichen und unvertretbaren Schaden zufügen. Hierbei sei auch die international große drogenpolitische Bedeutung des Themas „Cannabis“ zu berücksichtigen. Diese Gesichtspunkte überwögen gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Erlaubnis zum Eigenanbau. Hierbei gehe es nicht grundsätzlich um die Frage des Einsatzes von Cannabis zu medizinischen Zwecken, sondern um die spezielle Art des Betäubungsmittelverkehrs, nämlich den Anbau, bei dem eine effektive Kontrolle über den Umfang des Anbaus und der Lagerbestände nicht gegeben sei.
45Die Interessen des Klägers seien dagegen gewahrt, weil dem Kläger die Cannabis-Therapie grundsätzlich und auch tatsächlich aufgrund der Genehmigung zum Erwerb des Medizinalhanfs aus der Apotheke zur Verfügung stehe. Die beanstandeten Lieferengpässe bei dem Lieferanten Fagron könnten aufgrund der von Mitarbeitern des BfArM geführten Gespräche als behoben gelten. Schließlich stünden auch die erwähnten Aspekte der Therapiesicherheit sowie der Sicherheit der Kontrolle der Cannabispflanzen während der Blühphase der Erteilung der Erlaubnis entgegen.
46Auf Anfrage des Gerichts hat das BfArM zur internationalen Handhabung des Cannabisanbaus mitgeteilt, dass lediglich die Gesetzeslage in Uruguay und in den US-Bundesstaaten Colorado (2013) und Washington (2012) den Anbau und Gebrauch von Cannabis zu Genusszwecken erlaubten. Dies habe der Internationale Suchtstoffkontrollrat (INCB) in seinem Jahresbericht 2013 mehrfach gerügt. Hierbei obliege die Kontrolle in Uruguay einer neu einzurichtenden Cannabisagentur; in den US-Bundesstaaten erfolge der Vertrieb über lizensierte Verkaufsstellen.
47Einen behördlich erlaubten Anbau zu medizinischen Zwecken gebe es in den folgenden Ländern: Israel, Kanada, Niederlande, Österreich, Tschechische Republik, USA (21 von 50 Bundesstaaten) und Vereinigtes Königreich. Die Niederlande verfügten über eine staatlich eingerichtete Cannabis-Agentur. Ob die anderen Länder ebenfalls über eine staatliche Cannabis-Agentur verfügten, sei nicht bekannt.
48Jedoch sei anzunehmen, dass die Kontrollaufgaben nach dem ÜK 1961 dort von bereits bestehenden Behörden ausgeübt würden. In welcher Form diese Kontrolle erfolge, sei nicht bekannt und scheine auch zu divergieren. Jedenfalls sei in diesen Ländern anscheinend kein Eigenanbau durch Privatpersonen erlaubt, sondern lediglich durch staatlich kontrollierte Stellen bzw. Unternehmen. Das INCB fordere in seinem Bericht 2013 mehrfach, dass auch die Nutzung von Cannabis zu medizinischen Zwecken mit dem ÜK in Einklang stehen müsse.
49Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 sei insgesamt 299 Personen eine Erlaubnis zum Erwerb von Medizinalhanf erteilt worden. Derzeit verfügten noch 270 Patienten über eine solche Erlaubnis. Anträge auf Zulassung von Fertigarzneimitteln mit einem cannabishaltigen Wirkstoff lägen dem BfArM aktuell nicht vor. Der Stellungnahme des BfArM waren Auszüge aus dem Jahresbericht 2013 des INCB und weitere Unterlagen und Presseberichte über die Rechtslage in der Tschechischen Republik, in den Niederlanden, in Uruguay, in Österreich, in Israel und Colorado beigefügt.
50Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens, des Verfahrens 7 K 4447/11 und der Eilverfahren 7 L 1172/11 und 7 L 1173/11 Bezug genommen.
51E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
52Die Klage war ohne die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens als Untätigkeitsklage nach § 75 Satz 1 VwGO zulässig, da die Beklagte ohne zureichenden Grund nicht innerhalb angemessener Frist über den Antrag des Klägers vom 09.06.2010 entschieden hat. Der Ablehnungsbescheid erging erst am 16.08.2011 und damit mehr als 14 Monate nach der Antragstellung. Bei Erhebung der Untätigkeitsklage am 11.08.2011 waren bereits mehr als drei Monate nach Antragstellung verstrichen, § 75 Satz 2 VwGO. Auch wenn man auf den Eingang des Schreibens des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit den nachgeforderten Angaben am 10.05.2011 abstellt, mit dem der Antrag ergänzt wurde, waren bei Klageerhebung am 11.08.2011 mehr als 3 Monate vergangen. Ein zureichender Grund für die lange Bearbeitungszeit ist weder vorgetragen noch aus dem Verwaltungsvorgang ersichtlich.
53Soweit der Kläger hilfsweise die Neubescheidung seines Antrages auf Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis zur Eigentherapie und Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide des BfArM beantragt hat, ist die Klage begründet. Der Bescheid des BfArM vom 16.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis, vorbehaltlich einer noch vom BfArM zu treffenden Ermessensentscheidung über die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen in Form einer Nebenbestimmung zur Erlaubnis. Da diese Ermessensentscheidung noch nicht vorliegt, ist der Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Erlaubnis noch nicht spruchreif, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, und war daher als unbegründet abzuweisen.
54Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide ist nach allgemeinen Grundsätzen im Fall der Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend. Aus dem anwendbaren materiellen Recht, also den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, ergeben sich keine Gründe für die Berücksichtigung eines anderen Zeitpunktes.
55Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist die Klage hinsichtlich des Hilfsantrages begründet. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis für den Anbau von Cannabis, die sich aus § 3 Abs. 2 BtMG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG unter Berücksichtigung einer verfassungskonformen Auslegung ergeben, sind erfüllt. Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 BtMG stehen der Erlaubniserteilung nicht entgegen bzw. können durch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis beseitigt werden. Die Kammer ist auch zu der Auffassung gelangt, dass das in § 3 Abs. 2 BtMG eingeräumte Ermessen der Beklagten im vorliegenden Verfahren auf Null reduziert ist, weil nur die Erteilung der Erlaubnis den grundrechtlich geschützten Interessen des Klägers gerecht werden kann und damit allein rechtmäßig ist. Lediglich hinsichtlich der Auswahl der noch anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen steht dem BfArM noch Ermessen zu.
56Nach § 3 Abs. 2 BtMG kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Der Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung fällt unter die Anlage I des BtMG und bedarf daher einer Erlaubnis des BfArM.
57Nach der Anlage I zu § 1 Nr. 1 BtMG zählt Cannabis grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln, für die eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur im Ausnahmefall erteilt werden kann. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen offensichtlich nicht vor. Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11.05.2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (Anlage III), ist hier nicht betroffen. Auch sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, nicht „zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken“ bestimmt (Anlage II). Denn diese Ausnahme bezieht sich nach der Gesetzesbegründung ausschließlich auf die Herstellung von Zubereitungen mit dem Ziel der Herstellung eines Fertigarzneimittels,
58vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 – 13 A 414/11 – und Beschluss vom 16.11.2011 – 13 B 1199/11 – juris.
59Die für den Anbau von Cannabispflanzen geltende Erlaubnispflicht in Verbindung mit der hieran anknüpfenden Strafbarkeit bei Fehlen der Erlaubnis begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, sofern für die Erteilung der Erlaubnis die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - geltenden Kriterien berücksichtigt werden. Denn die Gefährlichkeit des Cannabisgenusses ist auch nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere für bestimmte Risikogruppen wie Jugendliche, nicht widerlegt, und rechtfertigt daher nach wie vor das grundsätzliche Verkehrsverbot,
60vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.11.2011 - 13 B 1199/11 - und VG Köln, Beschluss vom 13.09.2011 - 7 L 1172/11 - .
61Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 09.03.1994 – 2 BvL 43/92 – u. a., BVerfGE 90, 145, 187 die Verfassungsmäßigkeit des strafbewehrten Cannabisverbots bejaht und ausgeführt, dass nach dem seinerzeitigen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand mit dem Cannabisgenuss beträchtliche Gefahren und Risiken für die Gesundheit des einzelnen und der Bevölkerung, vor allem der jugendlichen Bevölkerung, verbunden seien. Insbesondere könne ein Dauergenuss in hoher Dosierung – eventuell im Zusammenwirken mit anderen Ursachen – zu Toleranzbildung, psychischer Abhängigkeit und weiteren psychischen Störungen führen und damit die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen beeinträchtigen. Ein „Umsteigeeffekt“ auf härtere Drogen sei in Einzelfällen nicht auszuschließen. Ein akuter Cannabisrausch beeinträchtige in erheblichem Maß die Fahrtüchtigkeit und damit die Sicherheit des Straßenverkehrs. Die generelle Ungefährlichkeit von Cannabis sei wissenschaftlich nicht gesichert.
62An dieser Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen vom 29.06.2004 - 2 BvL 8/02 - , DVBl. 2004, 1108, vom 30.06.2005 - 2 BvR 1772/02 - , PharmR 2005, 374 und vom 15.08.2006 - 2 BvR 1441/06 - , juris, festgehalten.
63Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 21.12.2000 - 3 C 20/00 - , NJW 2001, 1365, dieser Rechtsprechung angeschlossen und ausgeführt, dass auch die nach dem Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994 erzielten Forschungsergebnisse bisher nicht den Beweis einer generellen Unbedenklichkeit von Cannabis erbracht hätten. Diese Auffassung wurde im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.10.2006 - 3 B 109.06 - bestätigt.
64Im vorliegenden Verfahren wurden keine aktuellen Forschungsergebnisse benannt, die eine günstigere Einschätzung des Risikopotentials von Cannabis rechtfertigen würden. Sogar von den Befürwortern einer allgemeinen Freigabe des Cannabiskonsums oder zumindest einer Freigabe für medizinische Zwecke wird eingeräumt, dass insbesondere der hochdosierte Dauergenuss nicht unerhebliche Risiken für bestimmte Bevölkerungsgruppen, insbesondere für Jugendliche oder Personen mit einer instabilen Psyche birgt,
65vgl. Krumdiek, „Cannabis sativa L. und das Aufleben alter Vorurteile“, NStZ 2008, 437, 444; Grotenhermen/Müller -Vahl, „Das therapeutische Potenzial von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498 f..
66Ein Gelegenheitskonsum wird zwar, insbesondere bei erwachsenen Konsumenten, in der Regel als gesundheitlich unproblematisch angesehen. Jedoch können die erwünschten psychischen Wirkungen des akuten Cannabisrausches, z. B. Entspannung, Gelassenheit, Leichtigkeit, Euphorie, Intensivierung von Wahrnehmung und Gemeinschaftserleben, auch in seltenen Fällen in das Gegenteil umschlagen und zu vorübergehenden Angstzuständen, Verwirrung, Halluzinationen, Erinnerungslücken, Übelkeit und Schwindel führen.
67Bedeutsamer sind aber die dauerhaften Folgen eines Cannabiskonsums. Trotz teilweise widersprüchlicher Forschungsergebnisse ist heute anerkannt, dass ein dauerhafter und hochdosierter Cannabiskonsum mit psychischen, sozialen und körperlichen Risiken, insbesondere bei dafür anfälligen Personen, verbunden sein kann.
68Es kann sich bei ca. 4 – 7 % der Konsumenten eine psychische und eine milde körperliche Abhängigkeit entwickeln. Bei einem Entzug können daher leichte Symptome wie innere Unruhe, Reizbarkeit, Angst, Schlafstörungen, Schweißausbrüche entstehen, die den Symptomen eines Nikotinentzuges ähnlich sind und eine Beendigung des Konsums erschweren. Die Sicherstellung des Konsums kann daher im Alltagsleben eine erhebliche Bedeutung gewinnen und andere Aufgaben in den Hintergrund drängen.
69Cannabisabhängigkeit kann insbesondere bei Jugendlichen und bei Vorliegen persönlicher und sozialer Risikofaktoren in Zusammenhang mit Leistungsproblemen in Schule und Beruf sowie familiären und finanziellen Schwierigkeiten stehen, wobei die Kausalität von Cannabis nicht eindeutig geklärt ist. Es spricht einiges dafür, dass dauerhafter Cannabiskonsum, insbesondere bei Jugendlichen oder bei Personen mit entsprechender Disposition den Ausbruch einer Schizophrenie auslösen oder beschleunigen kann.
70Derartige Fälle sind allerdings selten.
71Hochdosierter regelmäßiger Cannabiskonsum schädigt die Lungenfunktion und erhöht das Krebsrisiko, jedenfalls in der verbreiteten Verbindung mit Tabakrauch. Zu den akuten Wirkungen von Cannabis gehört auch eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Der Cannabisgenuss kann daher für Herz/Kreislauf-Patienten gefährlich sein. Ferner hat Cannabiskonsum eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit zur Folge (Aufmerksamkeit, Konzentration, Lernfähigkeit, Gedächtnis), wobei noch ungeklärt ist, ob diese Folgen bei Beendigung des Genusses reversibel sind. Einige Studien weisen darauf hin, dass das nicht ausgereifte Gehirn von Jugendlichen durch die Wirkungen von Cannabis dauerhaft geschädigt werden kann. Nicht auszuschließen ist ein Einfluss auf das Hormon- und Immunsystem, was in der Pubertät zu Entwicklungsverzögerungen führen kann,
72vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, „Das therapeutische Potential von Cannabis und Cannabinoiden“, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; „Cannabis-Wirkung, Nebenwirkungen und Risiken“; http:// hanfverband.de, Abruf vom 25.06.2014; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., „Illegale Drogen“, Cannabis, http:// www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Sonnenmoser, „Cannabiskonsum: Für Jugendliche besonders riskant“, 2008, http:// www.aerzteblatt.de, Abruf vom 23.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. für Suchtforschung und Suchttherapie und der Dt. Ges. f. Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, „Cannabisbezogene Störungen“, AWMF online, http://www.uni-duesseldorf.de, eingestellt am 18.12.2006; Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Drugcom: Drogenlexikon: Cannabis, http://www.drugcom.de, Abruf vom 18.06.2014.
73Das Risikopotential von Cannabis wird bestätigt durch die Inanspruchnahme von Drogenberatungsstellen und Therapieangeboten. Cannabis war im Jahr 2012 europaweit unter den Drogenkonsumenten, die sich erstmalig einer Behandlung unterzogen, die am häufigsten gemeldete Droge. In Deutschland gaben 54,5 % der Drogenkonsumenten (11.431 Personen), die erstmalig eine Therapie antraten, Cannabis als Primärdroge an,
74vgl. Europäischer Drogenbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, 2014, S. 13, 36 und 77.
75Vor diesem Hintergrund kann von einer Ungefährlichkeit des Cannabiskonsums nach wie vor nicht ausgegangen werden. Demnach ist das allgemeine, strafrechtlich bewehrte Verkehrsverbot mit Erlaubnisvorbehalt keine unverhältnismäßige Einschränkung des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG. Die von Cannabis ausgehenden Gefahren sind aber anders zu beurteilen, wenn es um den Einsatz des Betäubungsmittels zur Bekämpfung einer Krankheit geht und damit um ein sehr viel höheres Rechtsgut als die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Beschränkung des Zugangs zu Cannabis hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung im Hinblick auf den Eingriff in die Grundrechte von Menschen mit schweren Erkrankungen aus Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 GG nur dann stand, wenn im Einzelfall schon die Möglichkeit einer Linderung der schweren Erkrankung oder die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit die Erlaubnisfähigkeit eröffnet,
76vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - juris.
77Die vom Bundesverwaltungsgericht in der o. g. Entscheidung angegebenen Kriterien für die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Erwerb und sogar für den Anbau von Cannabispflanzen liegen unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls vor. Die Erteilung der Erlaubnis liegt im öffentlichen Interesse.
78Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Beschwerden möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
79Dies ergibt sich aus der Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und für die Wahrung der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 GG. Diesen Bestimmungen kommt im Rahmen des Wertehorizontes des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist,
80vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - juris.
81Der Einsatz von Cannabis ist im vorliegenden Einzelfall zur Linderung der Leiden und Beschwerden des Klägers geeignet und erforderlich. Dies hat die Beklagte bereits dadurch anerkannt, dass sie dem Kläger eine Erlaubnis zum Erwerb von Medizinalhanf aus Holland am 10.03.2010 erteilt hat.
82Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung mit Cannabis besteht auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch fort. Der Kläger leidet seit 25 Jahren an einem chronischen multiplen Schmerzsyndrom, verbunden mit Übelkeit, Erbrechen, vegetativer Begleitsymptomatik, reaktiver Depression, Schlafstörungen und Facialisparese (Taubheit im Gesicht), vgl. die ärztlichen Atteste des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. U. N. vom 30.11.2009, Bl. 6 – 9 des Verwaltungsvorgang, und vom 30.11.2011, Bl. 76 d. A. in 7 L 1173/11, der Schmerzklinik Bad Mergentheim vom 08.04.1999, Bl. 19 des Verwaltungsvorgangs, des Facharztes für Anästhesiologie Dr. L. T. vom 20.06.2000, Bl. 20 ff. des Verwaltungsvorgangs, des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie vom 03.12.2004, Bl. 28 des Verwaltungsvorgangs, und der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität vom 07.08.1998, Bl. 29 ff. des Verwaltungsvorgangs.
83Der behandelnde Arzt des Klägers, Dr. U. N. , hat mit aktuellem Attest vom 05.12.2013, Bl. 64 d. A., den Fortbestand des Krankheitsbildes bestätigt und ausgeführt, dass nunmehr auch eine Arthritis beider Knie und anderer Gelenke sowie eine posttraumatische Belastungsstörung mit Tinnitus vorlägen. Hierzu hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend ausgeführt, die Arthritis in den Knien habe sich zwischenzeitlich gebessert, nunmehr habe er aber Schmerzen in den Händen und Fingern. Die PTBS zeige sich durch Schlafstörungen und den Tinnitus. Sie sei dadurch ausgelöst worden, dass er schon seit Jahren von Unbekannten verfolgt werde. Bei diesem Beschwerdebild spricht alles dafür, dass es sich um einen chronischen Zustand – möglicherweise mit psychischem Hintergrund - handelt, der vermutlich nicht geheilt werden kann.
84Es kommt auch nicht darauf an, ob die therapeutische Wirksamkeit bei chronischen Schmerzen durch kontrollierte Studien wissenschaftlich erwiesen ist. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine subjektiv-individuelle Betrachtung. Aus verfassungsrechtlichen Gründen muss die Erlaubniserteilung schon bei Bestehen der Möglichkeit einer subjektiv empfundenen Linderung einer schweren Erkrankung möglich sein,
85vgl. BVerwG, Urteil vom 19.05.2005 - 3 C 17.04 - , juris.
86Diese Möglichkeit besteht hier; eine therapeutische Wirkung ist bei den Krankheitsbildern des Klägers nicht ausgeschlossen. Die Wirksamkeit von Cannabis bei einzelnen Patienten, die an chronischen Schmerzen und weiteren Begleitsymptomen leiden, wird in den Fachkreisen überwiegend bejaht (vgl. Grotenhermen, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. vom 07.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)); Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 03.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(6)).
87Zur Behandlung seiner Dauerschmerzen steht dem Kläger keine gleich wirksame Behandlungsalternative mit einem zugelassenen und finanzierbaren Arzneimittel zur Verfügung. Die schulmedizinisch angezeigten Schmerzmittel (nicht-steroidale Antirheumatika – NSAR - und Opioide), Antidepressiva und Beruhigungsmittel haben nach den glaubhaften Attesten der Ärzte keine befriedigende Besserung der Schmerzen erbracht und waren mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Lediglich der Spannungskopfschmerz konnte behoben werden.
88Das sehr teure, cannabishaltige Medikament Sativex ist nur für spastische Schmerzen bei multipler Sklerose zugelassen. Es ist für den Kläger nicht erschwinglich, da seine Krankenkasse die Kostenübernahme mit Schreiben vom 27.05.2013 ausdrücklich abgelehnt hat.
89Das THC-haltige Importarzneimittel bzw. Rezepturarzneimittel Marinol ist keine gleichwertige Behandlungsalternative. Ein von der Krankenkasse finanzierter Therapieversuch ist nach den nachvollziehbaren Angaben des behandelnden Arztes, Dr. T. N. , im Attest vom 29.04.2013 fehlgeschlagen. Dronabinol hat keine ausreichende Schmerzlinderung erbracht, bzw. konnte wegen zunehmender Nebenwirkungen nicht höher dosiert werden. Darüber hinaus war wegen der oralen Aufnahme keine gezielte Behandlung von Schmerzspitzen möglich. Dies hat die Beklagte auch ausdrücklich anerkannt.
90Da dem Kläger somit zur Behandlung seiner starken Schmerzen und der Begleitsymptome keine Therapiealternative zur Verfügung steht, liegt die Erteilung einer Erlaubnis für den Zugang zu Cannabisblüten im öffentlichen Interesse.
91Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 BtMG stehen der Erlaubniserteilung nicht entgegen. Im Fall der Erlaubnis für eine Eigentherapie sind die Versagungsgründe modifiziert auszulegen. Denn diese sind nach der Konzeption des Gesetzes nicht auf die Eigentherapie mit einem nicht verkehrsfähigen Betäubungsmittel der Anlage I zugeschnitten. Vielmehr dient die Erlaubniserteilung regelmäßig gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken, wie beispielsweise die Vorschrift des § 6 BtMG über die erforderliche Sachkenntnis zeigt. Bei der Erteilung der Erlaubnis für die medizinische Selbstversorgung handelt es sich dagegen um einen aus dem Grundrechtsschutz der betroffenen Patienten entwickelten Ausnahmefall, in dem einerseits dem geringeren Gefährdungspotential eines Kleinanbaus in einer Privatwohnung und andererseits den Bedürfnissen und Möglichkeiten einer Privatperson Rechnung getragen werden muss, damit die Möglichkeit der Gewährung des Zugangs nicht völlig leerläuft oder unzumutbar erschwert wird,
92vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
93Nach diesem Maßstab kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, dass er nicht die erforderliche Sachkenntnis hat, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BtMG, der im Fall der Herstellung von Betäubungsmitteln, die Arzneimittel sind, den Nachweis der Sachkunde nach § 15 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes verlangt, ist vorliegend nicht anwendbar. Die Vorschrift geht ersichtlich davon aus, dass es sich um Arzneimittel handelt, die dazu bestimmt sind, später angewendet zu werden und von denen somit eine Gefährdung anderer Menschen ausgehen kann. Die Sachkenntnis als approbierter Apotheker dient dazu, Gefahren abzuwehren, die von einer unsachgemäßen Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln für andere Menschen ausgehen.
94Im vorliegenden Fall der Eigentherapie durch selbstangebautes Cannabis treffen die Gefahren einer unsachgemäßen Herstellung allein den Kläger selbst, der diese Gefahren jedoch wegen der erwünschten, schmerzlindernden Wirkung der Cannabisblüten in Kauf nimmt. Es obliegt daher dem Kläger selbst, sich die erforderliche Sachkenntnis zu verschaffen, um Gesundheitsgefahren aus einer fehlerhaften Qualität des selbst erzeugten Produkts abzuwehren. Die Kammer hat im Hinblick auf die Persönlichkeit des Klägers keine Zweifel daran, dass dieser in der Lage ist, sich die erforderlichen Informationen für einen Kleinanbau zu beschaffen. Diese sind in den einschlägigen Veröffentlichungen der Interessenverbände im Internet ohne Mühe erhältlich.
95Ein Versagungsgrund ergibt sich auch nicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Es liegen keine Tatsachen vor, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Klägers als verantwortliche Person für den Betäubungsmittelverkehr ergeben. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger unerlaubt Teilmengen aus dem Anbau abzweigt und hierdurch einen Betäubungsmittelmissbrauch durch Dritte ermöglichen könnte. Zum einen benötigt der Kläger die angebauten Pflanzen selbst für seine regelmäßige Behandlung. Zum anderen kann die Bundesopiumstelle den Anbau des Klägers hinsichtlich der Zahl der zugelassenen Pflanzen begrenzen, § 9 Abs. 1 Nr. 2 BtMG, und nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BtMG kontrollieren. Eine unerlaubte Weitergabe nicht benötigter Cannabismengen dürfte schon deshalb nicht zu befürchten sein, weil der Kläger sich in diesem Fall strafbar macht und damit rechnen muss, dass die erteilte Erlaubnis wegen Fehlens der Zuverlässigkeit widerrufen wird.
96Die Beklagte kann sich auch nicht auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG berufen. Dem Kläger kann nicht entgegengehalten werden, dass geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr nicht vorhanden sind.
97In der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sind die Voraussetzungen für den Cannabisanbau in einer Privatwohnung bisher nicht geklärt. Zwar hat das OVG NRW im Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - entschieden, dass die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten für den gewerblichen Anbau im großen Stil konzipiert sind und für den Eigenanbau im geringen Umfang in einer Privatwohnung wegen der unterschiedlichen Gefährdungslage keine Anwendung finden. Dem schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an.
98Aus Sinn und Zweck des Betäubungsmittelgesetzes, einen Missbrauch zu verhindern und die medizinische Versorgung sicherzustellen, ergibt sich, dass einerseits dem Gefährdungsgrad des jeweiligen Umgangs mit Betäubungsmitteln angepasste Sicherungen gegen Diebstahl und unbefugte Entnahme vorzunehmen sind, § 15 Satz 1 BtMG, und andererseits den persönlichen und grundrechtlich geschützten Bedürfnissen von Patienten, die auf den Einsatz von Cannabis angewiesen sind, Rechnung getragen werden muss. Welche konkreten Sicherheitsanforderungen sich daraus ergeben, hat das Oberverwaltungsgericht aber nicht generell definiert. Ebensowenig hat sich das BfArM bisher in der Lage gesehen, derartige Richtlinien zu formulieren oder im vorliegenden Fall eine substantiierte Prüfung der Sicherheitsvorkehrungen vorzunehmen. Aus der mit Urteil des OVG NRW vom 11.06.2014 getroffenen Einzelfallentscheidung ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die hier gebotenen Sicherheitsvorkehrungen.
99Die Kammer ist der Auffassung, dass für einen Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung in jedem Fall eine Raumsicherung vorhanden sein muss. Anders als bei der Aufbewahrung von Medizinal-Cannabisblüten genügt ein Wertschutzschrank für die Ernte nicht. Die Anpflanzung muss auch in der Wuchs- und Blühphase vor Diebstahl oder unberechtigter Entnahme durch Mitbewohner oder Besucher geschützt werden, da sowohl die ganzen Pflanzen als auch nicht getrocknete Blätter und Blüten für einen künftigen Betäubungsmittelmissbrauch benutzt werden können.
100Daraus ist abzuleiten, dass in einer Privatwohnung zunächst ein geeigneter Raum für die Anpflanzung zur Verfügung stehen muss. Der Raum muss sodann durch geeignete und zumutbare Vorkehrungen (stabile Türen, Fenster, Wände und Schlösser) zuverlässig vor dem Zutritt ungebetener oder erwünschter Besucher geschützt werden. Sicherungsvorkehrungen, die schnell und leicht überwunden werden können, reichen nicht aus.
101Diese Anforderungen schließen es aus, dass der Anbau in einem Zimmer durchgeführt wird, das zugleich zu Wohn- oder Schlafzwecken genutzt wird und daher ständig betreten wird. Vielmehr kann der Anbau nur in einem separaten Raum stattfinden, der – bis auf den Zutritt des Erlaubnisinhabers zu Pflegezwecken – ständig abgeschlossen sein muss, zum Beispiel ein Abstellraum oder eine zweite Toilette.
102Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger für den Anbau einen separaten, fensterlosen Abstellraum in einer 2-Zimmer-Mietwohnung im 1. Stock vorgesehen (Bl. 116 des Veraltungsvorgangs). Dieser Raum ist grundsätzlich für einen Anbau geeignet, da er nicht für andere Wohnzwecke genutzt werden muss und daher ständig abgeschlossen sein kann. Die Beklagte hat bisher auch nicht überzeugend dargelegt, dass die Raumgröße, 2,4 qm, für einen Anbau nicht ausreichend ist. Im Verwaltungsverfahren des Klageverfahrens 7 K 4447/11 hat der dortige Kläger die Abbildung eines im Handel befindlichen „Anbauschrankes“ mit den Abmessungen 176 x 118 x 78 cm vorgelegt, der getrennte Abteilungen für die Mutterpflanze, die Stecklinge und die Blühphase enthält (Bl. 51 Verwaltungsvorgang), der in dem vorgesehenen Zimmer ohne weiteres aufgestellt werden kann.
103Ob die Beschaffenheit der Zimmertür und der Wohnungstür, die nach den Angaben des Klägers aus Vollholz bestehen und mit einem Sicherheitsschließzylinder und –beschlag sowie Kette (Wohnungstür) bzw. mit einem einfachen Türschloss mit Stahlabdeckung (Zimmertür) versehen sind, als Diebstahlssicherung ausreichend sind, kann seitens des Gerichts nicht abschließend beurteilt werden. Hinsichtlich des einfachen Türschlosses der Zimmertür bestehen Zweifel, da dieses leicht überwunden werden kann. Vielmehr obliegt es der Behörde aufgrund ihrer Sachkenntnis, geeignete und zumutbare weitere Vorkehrungen für den Privatanbau, gegebenenfalls mit Unterstützung der Polizei, zu ermitteln und festzulegen. Hierbei kommen insbesondere weitere Vorrichtungen, die das Öffnen von verschlossenen Türen (Fenstern) verhindern, in Betracht. Der Kläger hat zugesichert, bei Bedarf weitere Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen. Demnach kann die Beklagte durch eine entsprechende Nebenbestimmung zur Erlaubnis, mit der die noch erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen angeordnet werden, den Versagungsgrund der ungenügenden räumlichen Sicherung beseitigen. Da eine entsprechende Nebenbestimmung zur Erlaubnis gegenüber der Versagung das mildere Mittel ist, ist die Behörde auf der Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu diesem Vorgehen verpflichtet,
104vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
105Schließlich kann dem BfArM auch nicht in seiner Annahme zugestimmt werden, dass der Anbau in einer Privatwohnung zur Eigentherapie mit den Schutzzwecken des Gesetzes nicht vereinbar ist, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG.
106Der Cannabisanbau in einer Privatwohnung ist zur medizinischen Selbstversorgung des Klägers erforderlich und auch geeignet. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass der Selbstanbau nicht günstiger ist als der Bezug der Blüten aus Holland. Sie hat gegen die vorgelegte Vergleichsrechnung des Klägers keine substantiierten Einwendungen erhoben. Soweit sie darauf hinweist, dass noch aufwändige Sicherungsmaßnahmen für den Anbau erforderlich seien, die den Anbau gegenüber dem Erwerb aus der Apotheke erheblich verteuerten, ist der Einwand unberechtigt. Die Behörde darf nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen anordnen, also solche, die auch von einer Privatperson mit geringem Einkommen, ggfs. unter Inanspruchnahme eines Ratenkredites, finanziert werden können. Im Übrigen sind diese Aufwendungen auch nur einmalig erforderlich.
107Schließlich hat die Beklagte auch nicht überzeugend vorgetragen, dass die Therapiesicherheit wegen schwankender Wirkstoffgehalte ernsthaft gefährdet sein könnte. Hierbei verkennt die Beklagte, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Zulassung eines Fertigarzneimittels geht, bei dem die Bundesoberbehörde – neben dem pharmazeutischen Unternehmer - die Verantwortung für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels übernimmt. Auch geht es nicht um die ärztliche Verschreibung eines Betäubungsmittels gemäß § 13 BtMG, bei der der Arzt die Verantwortung für die verordnete Dosierung übernimmt. Vorliegend ist allein zu prüfen, ob eine medizinische Versorgung des Klägers im Wege einer Selbsttherapie mit Cannabis zur Linderung der Beschwerden des Klägers geeignet und im Hinblick auf die Nebenwirkungen vertretbar ist. Hierbei ist sich der Patient bewusst, dass weder die Beklagte noch der begleitende Arzt eine Garantie für die therapeutische Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit des selbst erzeugten Arzneimittels übernehmen. Vielmehr nimmt der Patient das Risiko schwankender Wirkstoffgehalte, die für Cannabis typisch sind, und damit eventuell verbundenen Nebenwirkungen bewusst in Kauf.
108Die hierbei möglicherweise eintretende Selbstgefährdung des Klägers hält sich in einem vertretbaren Rahmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine langjährige Erfahrung mit dem Konsum von Cannabis hat und das Risiko schwankender Wirkstoffgehalte vermutlich kennt und einschätzen kann. Aus dem Vortrag im Klageverfahren ist zu entnehmen, dass er sich mit der Problematik befasst hat und durch genetisch identische Pflanzen und gleichbleibende Anbaubedingungen (Licht, Wasser, Dünger) den Wirkstoffgehalt stabil halten will. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass dieses Verfahren generell ungeeignet ist und damit zu völlig unberechenbaren Gesundheitsgefahren führen kann.
109Es ist weder von der Beklagten substantiiert vorgetragen noch aufgrund der Drogeneigenschaften ersichtlich, dass beim Kläger erhebliche und unvertretbare Nebenwirkungen als Folge einer schwankenden Menge der Inhaltsstoffe auftreten könnten. Dies ist im Verlauf des bisherigen Konsums nicht der Fall gewesen. Darüber hinaus steht der Kläger unter ärztlicher Kontrolle und kann daher beim Auftreten von Nebenwirkungen Rat und Hilfe einholen. Überdies sind die schädlichen Nebenwirkungen beim Cannabiskonsum von der Verfassung des jeweiligen Konsumenten abhängig und in der Regel bei erwachsenen Konsumenten nicht schwerwiegend.
110Tödliche Intoxikationen durch eine Überdosis Cannabis sind nicht bekannt. Notfallbehandlungen wegen des Auftretens von Panikzuständen oder Psychosen im akuten Cannabisrausch treten nur gelegentlich bei einem Missbrauch von Cannabis und insbesondere in Verbindung mit Alkohol oder anderen Drogen auf,
111vgl. Wikipedia, „Cannabis als Rauschmittel“, Wirkung , http://de.wikipedia.org, Abruf vom 24.06.2014; Europäischer Drogenbericht 2014, 36; . Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O. Ziff. 3.4.5 und 3.4.11.
112Körperliche Dauerschäden durch den Konsum sind bei Erwachsenen – abgesehen von den Gefahren des Rauches für die Atmungsorgane, die durch Nutzung anderer Konsumformen vermieden werden können (Verdampfung, Kekse) – bisher nicht bekannt,
113vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, „Illegale Drogen“, Cannabis, www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung, a.a.O., Ziff. 3.4.11.
114Die Auslösung einer Schizophrenie oder einer anderen psychischen Erkrankung ist selten und wird vor allem im Zusammenhang mit einer Prädisposition des Patienten und bei Jugendlichen diskutiert. Beim Kläger bestehen hierfür keine Anhaltspunkte,
115vgl. Drugcom, Drogenlexikon, „Macht Kiffen verrückt ?“, www.drugcom.de/häufig -gestellte-fragen, Abruf vom 18.06.2014; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, „Illegale Drogen, Cannabis, www.dhs.de, Abruf vom 24.06.2014; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O. Ziff. 3.4.6.
116.
117Eine irreversible Verminderung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei einem Dauerkonsum ist umstritten, aber nach dem derzeitigen Erkenntnisstand im Rahmen von therapeutischen Dosierungen nicht zu befürchten,
118vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt 2012, 495, 498.
119Demnach ist eine Selbsttherapie des Klägers mit Cannabis aus dem Eigenanbau zu seiner medizinischen Versorgung geeignet und erforderlich.
120Auch die anderen Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes sind durch die Erteilung der Anbauerlaubnis nicht gefährdet, § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Ein Missbrauch durch den Kläger liegt nicht vor, da der Kläger das Betäubungsmittel nicht zu Rauschzwecken, sondern zur Linderung seiner Schmerzen einsetzt. Ein Missbrauch durch Dritte kann durch entsprechende Sicherungsmaßnahmen und Kontrollen weitgehend verhindert werden. Auch die mögliche Entstehung einer Abhängigkeit steht dem medizinischen Einsatz von Cannabis nicht entgegen.
121Das Entstehen einer Betäubungsmittelabhängigkeit wäre jedenfalls ausnahmsweise mit dem Gesetzeszweck zu vereinbaren, weil sie im Hinblick auf die Schmerzlinderung das geringere Übel und damit hinzunehmen ist,
122vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
123Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 2 BtMG berufen. Die Erteilung der Anbau-Erlaubnis kann nicht mit der Begründung versagt werden, dass nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 04.02.1977 (BGBl. II, S. 111) – ÜK 1961 – die Einrichtung einer Cannabis-Agentur zum Aufkauf und zur Verteilung der Ernte erforderlich sei, die aber in Deutschland nicht existiere und auch nicht geplant sei. Vielmehr steht das ÜK 1961 der Erteilung einer Anbauerlaubnis für einzelne Privatpersonen zur therapeutischen Selbstversorgung nicht entgegen. Zum einen bringt das Übereinkommen in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll,
124vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - , mit weiteren Nachweisen.
125Zum anderen finden die Vorschriften, die für den Anbau von Cannabis die Einrichtung einer staatlichen Stelle vorschreiben, Art. 28 Abs. 1, Art. 23 ÜK 1961, - entgegen der im Schreiben vom 30.07.2010 geäußerten Rechtsauffassung des INCB - auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Denn diese Vorschriften gehen von einem großflächigen Anbau im Außenbereich aus und schreiben einen Aufkauf der gesamten Erntemenge durch die Agentur vor, um eine illegale Entnahme von Teilmengen zum Zweck des Rauschgiftmissbrauchs zu verhindern.
126Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
127Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Vorgehensweise im Fall eines geringfügigen Anbaus zum sofortigen Verbrauch keinerlei Sinn ergibt, da der Kläger seine Ernte zunächst an die staatliche Stelle aushändigen und dann wiedererwerben müsste. Eine gleichmäßige Versorgung wäre bei diesem Verfahren nicht gesichert.
128Ferner wurde bereits im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG darauf hingewiesen, dass die Gefahren, die von einem Anbau zum Zweck der Eigentherapie in einer Privatwohnung in medizinisch begründeten Ausnahmefällen ausgehen, mit den Gefahren, die bei einem großflächigen gewerblichen Anbau im Außenbereich entstehen, schon im Hinblick auf den Umfang der im Einzelfall anfallenden Betäubungsmittelmenge nicht vergleichbar sind. Darüberhinaus sind Anbauflächen in Privatwohnungen nicht ohne weiteres sichtbar und nur wenigen Personen zugänglich. Eine unerlaubte Abzweigung oder Entnahme von Teilmengen, die durch die staatliche Kontrollstelle verhindert werden soll, ist daher im Fall des geringfügigen Eigenanbaus zu Therapiezwecken nicht im nennenswerten Umfang zu befürchten. Demnach spricht alles dafür, dass das ÜK 1961 der medizinischen Versorgung von Patienten im Wege des Anbaus nicht entgegensteht.
129Da somit die besonderen Voraussetzungen für die Versorgung von schwer kranken Patienten im vorliegenden Verfahren gegeben sind und Versagungsgründe nicht entgegenstehen, steht die Entscheidung über die Erlaubniserteilung grundsätzlich nach § 3 Abs. 2 BtMG im Ermessen der Bundesopiumstelle. Gleichwohl erweist sich die Ablehnung der Erlaubnis als rechtswidrig, weil die Behörde ermessensfehlerhaft gehandelt hat, § 114 VwGO. Sie hat nicht nur wesentliche Elemente außer Acht gelassen, die bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden müssen. Sie hat darüberhinaus nicht erkannt, dass in der vorliegenden Fallkonstellation eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, weil sich hier allein die positive Entscheidung über die Erlaubniserteilung als rechtmäßig erweist.
130Die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung weist einen offensichtlichen und schwerwiegenden Mangel auf. Die Beklagte hat nämlich im Endeffekt die persönlichen Interessen des Klägers am Zugang zu einem Betäubungsmittel, das ihm allein zu einer Linderung seiner Schmerzen verhilft, gar nicht in die Betrachtung eingestellt. Sie ist unzutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen des Klägers dadurch gewahrt werden, dass ihm eine Erwerbserlaubnis für Medizinalhanf aus Holland erteilt worden ist. Sie hat hierbei jedoch nicht zur Kenntnis genommen, dass diese Therapiealternative dem Kläger tatsächlich nicht zur Verfügung steht, weil er sich die hohen Kosten von seinem geringen Einkommen nicht leisten kann und seine Krankenkasse die Erstattung ablehnt,
131vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.06.2014 - 13 A 414/11 - .
132Der Kläger hat durch Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme (Bl. 64 d.A.) glaubhaft gemacht, dass derzeit ein 4-Wochen-Bedarf in Höhe von bis zu 45 g Cannabisblüten besteht. Dafür entstehen ausweislich der vorgelegten Rechnungen der Apotheke Kosten in Höhe von 652,50 Euro (45 g x 14,5 Euro/g = 812,00 Euro). Der Kläger hat nunmehr im Prozesskostenhilfeverfahren glaubhaft gemacht, dass er keine Einkünfte verfügt, von denen er diese Kosten dauerhaft tragen kann. Die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Informatiker hat ausweislich der vorgelegten Unterlagen (Steuerbescheid 2012/Gewinn-Verlust-Rechnung2013) nur zu äußerst geringfügigen Einnahmen geführt. Das vorhandene Vermögen aus Wertpapieren wurde in der Zwischenzeit zur Lebensführung weitgehend aufgebraucht. Von dem Restbestand ist eine dauerhafte Deckung der Kosten nicht möglich, zumal dieses auch weiterhin zur Deckung des Lebensunterhaltes dient. Demnach dürfte der Kläger zukünftig auf Leistungen der Grundsicherung oder einer Erwerbsminderungsrente angewiesen sein. Ein Wohngeldbescheid ist ihm nach Auskunft des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung bereits erteilt worden.
133Demnach sind die Cannabisblüten aus der Apotheke für den Kläger nicht finanzierbar. Diese Behandlungsmöglichkeit steht dem Kläger somit tatsächlich nicht zur Verfügung, wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 19.05.2005 – 3 C 17.04 – ausdrücklich festgestellt hat. Daraus folgt, dass den privaten Interessen des Klägers durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb gerade nicht Rechnung getragen worden und das Ermessen daher unvollständig und fehlerhaft ausgeübt worden ist.
134Bei sachgerechter Berücksichtigung der Interessen des Klägers an einer Linderung seines Schmerzzustandes hat sich darüber hinaus das Ermessen im vorliegenden Verfahren zugunsten einer Erteilung der Erlaubnis verdichtet, sodass eine Versagung nicht mehr in Betracht kommt. Denn nach Auffassung der Kammer haben die Interessen des Klägers an einer Behandlung seiner Dauerschmerzen ein ganz überragendes Gewicht, während die öffentlichen Interessen an einer Versagung der Erlaubnis eine so geringe Bedeutung haben, dass sie zwingend zurücktreten müssen.
135Die Beklagte hat durch die Erteilung der Erlaubnis für den Erwerb von Cannabis zum Zweck der Eigentherapie selbst eingeräumt, dass das Interesse des Klägers am Zugang zu diesem Betäubungsmittel - in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.05.2005 - Verfassungsrang hat, weil es Ausfluss seines Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG ist. Bringt die Erkrankung derart schwere Beeinträchtigungen mit sich, dass die Entfaltung der Persönlichkeit und die Führung eines selbstbestimmten Lebens bedroht ist, wie dies im Fall starker, lang andauernder Schmerzen der Fall ist, ist auch das oberste Schutzgut der Verfassung, die Menschenwürde, betroffen. Daraus folgt, dass der Zugang zu Cannabis, der hier aus finanziellen Gründen allein in Form eines Eigenanbaus in Betracht kommt, nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt. Im vorliegenden Fall fordert auch das Sozialstaatsprinzip, dass dem Kläger nicht wegen seiner geringen finanziellen Leistungsfähigkeit, die auch Folge seines Gesundheitszustandes ist, der Zugang zu Cannabis verwehrt wird.
136Demgegenüber sind keine öffentlichen Interessen ersichtlich, die von gleichem oder überwiegendem Gewicht wären. Insbesondere kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, die Erlaubniserteilung werde vom Internationalen Suchtstoffkontrollrat als Verstoß gegen das Suchtstoffübereinkommen von 1961 angesehen und daher sei die effektive Zusammenarbeit mit dem INCB bei der Bekämpfung des illegalen Betäubungsmittelhandels und das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.
137Zwar handelt es sich bei der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels und bei der Wahrung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik ebenfalls um wichtige Rechtsgüter. Jedoch hat die Erfüllung der völkervertraglichen Verpflichtungen zum einen keinen Verfassungsrang; zum anderen ist nicht erkennbar, dass diese Rechtgüter durch die Erteilung einer Anbauerlaubnis in eng umgrenzten Ausnahmefällen zur medizinischen Versorgung schwer kranker Patienten ernsthaft bedroht wären.
138Völkerrechtliche Verträge wie das Suchtstoffübereinkommen 1961 werden durch das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG in nationales Recht konvertiert und genießen hierdurch den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Sie entfalten trotz der vom Grundgesetz intendierten Völkerrechtsfreundlichkeit eine Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes. Es ist daher ausnahmsweise zulässig, Völkervertragsrecht nicht zu beachten, sofern nur auf diesem Wege ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abgewendet werden kann,
139vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307 ff. juris, Rn. 35, 36, 47, 48 zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
140Dieser Rechtslage wird durch die Regelung in § 5 Abs. 2 BtMG Rechnung getragen, wonach bei einem Verstoß gegen ein internationales Suchtstoffübereinkommen die Erlaubnis versagt werden kann, aber nicht muss. Liegt ein Verstoß gegen ein derartiges Abkommen, wie bereits ausgeführt, nach seinem Schutzzweck gar nicht vor und stehen Grundrechte mit einem hohen Rang einem engen Wortlautverständnis des Abkommens, wie es vom INCB vertreten wird, entgegen, überschreitet eine „schematische Vollstreckung“ dieses Abkommens die Grenzen des Ermessens.
141Hierbei wird vor allem außer Acht gelassen, dass sich die Bewertung von Cannabis als Betäubungsmittel und als Arzneimittel seit dem Abschluss des Suchtstoffübereinkommens von 1961 bedeutend gewandelt hat. Wie sich schon aus dem Grundsatz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 – 2 BvL 43/92 – NJW 1994, 1577, 1579, 1581 ergibt, stellen sich die Gesundheitsrisiken, die der Gesetzgeber noch 1971 bei Erlass des Betäubungsmittelgesetzes mit der Droge Cannabis verbunden hat, inzwischen als geringer dar als ursprünglich angenommen. Insbesondere hat sich das psychische Abhängigkeitspotential als gering erwiesen und die Annahmen, dass Cannabiskonsum allein ursächlich für Psychosen („Cannabispsychose“), Flashbacks (Nachhallpsychosen ohne Konsum), ein „amotivationales Syndrom“ oder den Einstieg in härtere Drogen sein kann, konnten nicht wissenschaftlich belegt werden,
142vgl. Krumdiek, a.a.O. NStZ 2008, 437, 440 ff.; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, Illegale Drogen, Cannabis, a.a.O.; Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie, a.a.O., Ziff. 3.4.3, 3.4.4, 3.4.6, 3.4.7, 3.4.8; Drugcom, Drogenlexikon, a.a.O..
143Demgegenüber wurde seinerzeit davon ausgegangen, dass Cannabis für die medizinische Anwendung keine Bedeutung habe, sondern lediglich als Massengenussmittel Verwendung finde. Auch diese Einschätzung ist mittlerweile überholt. Vielmehr kommt ein therapeutischer Einsatz von Cannabis wegen seiner antispastischen, analgetischen, antiemetischen, neuroprotektiven, antiinflammatorischen und antidepressiven Wirkungen bei einer Reihe von Erkrankungen in Betracht, auch wenn ein eindeutiger wissenschaftlicher Beleg für den Nutzen bisher nur teilweise erbracht werden konnte,
144vgl. Grotenhermen/Müller-Vahl, Deutsches Ärzteblatt, 2012, 495, 497; Stellungnahme des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. vom 07.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(8)); Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 03.05.2012 zur Anhörung im Gesundheitsausschuss vom 09.05.2012, Ausschuss-Drs. 17(14)0265(6)).
145Zugelassen sind bereits Arzneimittel für die Indikationen Spastik (Sativex), Übelkeit und Erbrechen durch Zytostatika (Dronabinol) sowie Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust (Dronabinol).
146Die gewandelte Beurteilung von Cannabis als Heilmittel zeigt sich auch in dem erheblichen Umfang der klinischen Forschung, wie er beispielsweise in der Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin“ vom 27.04.2012/02.05.2012 zur Anhörung des Gesundheitsausschusses am 09.05.2012 (Ausschussdrucksache 17(14)0265(4) zum Ausdruck kommt. Im dortigen Anhang werden mit Stand 31. Dezember 2011 insgesamt 110 kontrollierte Studien mit Cannabis oder Cannabinoiden genannt.
147Demnach kann bezweifelt werden, ob die strengen Regelungen des Suchtstoffübereinkommens von 1961, das für Cannabis die gleichen Kriterien anwendet wie für Opiummohn oder den Kokastrauch, noch dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen.
148In der Konsequenz unterliegt das strikte Verkehrsverbot für Cannabis inzwischen auch international gewissen Auflösungserscheinungen. Dies wird darin deutlich, dass nach der Auskunft der Beklagten vom 03.07.2014 eine Reihe von Staaten den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken mittlerweile erlaubt. Dies gilt für Israel, Kanada, Niederlande, Österreich, Tschechische Republik, das Vereinigte Königreich und 21 von 50 Bundesstaaten der USA. Hierbei konnte von der Bundesopiumstelle nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob in diesen Staaten – mit Ausnahme von den Niederlanden – eine Cannabis-Agentur existiert, ob diese Aufgabe von anderen Behörden wahrgenommen wird und wie die vorgeschriebene Kontrolle des Anbaus, insbesondere der Aufkauf der Ernte organisiert ist.
149Diese Situation macht deutlich, dass auch in anderen Staaten der veränderten Beurteilung von Cannabis als Sucht- und Heilmittel Rechnung getragen und die Regelungen der über 50 Jahre alten Suchtstoffkonvention von 1961 nicht mehr in vollem Umfang eingehalten werden. Dies wird im Jahresbericht 2013 des International Narcotics Control Board - INCB - , den die Beklagte mit Schriftsatz vom 03.07.2014 vorgelegt hat, auch bestätigt (vgl. Report 2013, S. 93). Die Annahme, dass die Erteilung von Erlaubnissen zum Eigenanbau für einzelne schwer kranke, austherapierte Patienten – ohne Cannabisagentur - zu einer Beeinträchtigung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik führen könnte, kann vor diesem Hintergrund nicht nachvollzogen werden. Noch weniger ist ersichtlich, warum durch eine solche Praxis die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Bekämpfung des Drogenhandels und Drogenmissbrauchs gefährdet werden könnte. Denn die begrenzte und überwachte Gewährung des Zugangs zu Cannabis als Heilmittel ist eine Ausnahme vom Verkehrsverbot, die die generelle Bekämpfung des Cannabiskonsums zu Rausch- und Genusszwecken und den hiermit verbundenen kriminellen Drogenhandel nicht in Frage stellt.
150Aus der Auskunft der Beklagten vom 03.07.2014 lässt sich auch nicht entnehmen, dass im Fall der Genehmigung des Anbaus ohne Einrichtung einer Cannabis-Agentur mit einer „Rüge“ des Internationalen Suchtstoffkontrollamtes - INCB - zu rechnen wäre, die das Ansehen der Bundesrepublik ernsthaft schädigen könnte. Vielmehr hat der INCB ausweislich des letzten Jahresberichtes vor allem die Staaten gerügt, die den Konsum zu Genusszwecken freigegeben haben (Uruguay, Colorado, Washington) und auf den wahrscheinlichen Anstieg eines Drogenmissbrauchs hingewiesen, vgl. Report 2013, S. 93, Ziff. 700. Im Übrigen hat der Kontrollrat festgestellt, dass die staatlichen Programme zur medizinischen Anwendung von Cannabis vielfach nicht voll mit den Anforderungen der Konvention übereinstimmten und dazu aufgerufen, diese Übereinstimmung herzustellen (vgl. Report 2013, S. 49 Ziff. 374 und S. 93 Ziff. 701). Er hat allerdings auch die Weltgesundheitsorganisation – WHO- dazu aufgefordert, den medizinischen Nutzen von Cannabis sowie die Gesundheitsgefahren neu zu bewerten (vgl. Report 2013, S. 94, Ziff. 701). Damit hat auch der INCB in Betracht gezogen, dass die Regelungen des ÜK 1961 für Cannabis nicht mehr zeitgemäß sind.
151Auch die von der Beklagten angesprochene international hohe drogenpolitische Bedeutung des „Themas Cannabis“ kann nicht gegen die Erlaubniserteilung ins Feld geführt werden. Es ist zwar zutreffend, dass Cannabis in Deutschland, aber auch weltweit die am häufigsten konsumierte illegale Droge ist, die im Fall einer Abhängigkeitsentwicklung mit nicht unerheblichen psycho-sozialen Folgen verknüpft ist und daher eine breite Aufmerksamkeit in den nationalen und internationalen Drogenberichten findet,
152vgl. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung: Drogen- und Suchtbericht 2013, S. 33, 187, 193; Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht: Europäischer Drogenbericht 2014, S. 13, 18, 34 ff.
153Wie bereits ausgeführt, steht die Erteilung einer Anbauerlaubnis für schwer kranke Patienten aber der weiteren Bekämpfung des Cannabismissbrauchs für Rauschzwecke nicht entgegen. Im Übrigen kann bei der drogenpolitischen Bedeutung des Stoffes „Cannabis“ auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Gefahren der Droge gegenüber den früheren Befürchtungen weit geringer sind als angenommen und deutlich geringer als diejenigen anderer Rauschdrogen wie Alkohol, Nikotin, Heroin, Kokain oder der neuerdings verbreiteten synthetischen Drogen (z.B. Amphetamine, Metamphetamine, Ecstasy, Cathinone, etc.). Insbesondere ist, wie bereits ausgeführt, selbst der Dauerkonsum nicht mit Todesfällen oder einem zunehmenden körperlichen, geistigen und psychischen Verfall verbunden.
154Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 19.05.2005 betont hat, rechtfertigen die verbleibenden Gefahren des Cannabiskonsums für die Gesamtbevölkerung es nicht, schwer kranken Menschen den legalen Zugang zu Cannabis zu verweigern.
155Selbst wenn Teilmengen aus dem Eigenanbau für die illegale Weitergabe an Dritte abgezweigt oder entwendet werden könnten, wäre das Gesundheitsrisiko der Gesamtbevölkerung bzw. der jugendlichen Gesamtbevölkerung nur in geringem Umfang erhöht. Denn die Drogenmengen, die auf diesem Wege möglicherweise in den Verkehr gelangen, hätten im Verhältnis zu den Drogenmengen, die in Deutschland und in Europa illegal angebaut und gehandelt werden, nur eine geringfügige Bedeutung. Der Jahreskonsum von Cannabis in Europa wurde im Jahr 2012 auf 2000 Tonnen geschätzt. Im Rahmen einer Drogenaffinitätsstudie in Deutschland wurde im Jahr 2011 festgestellt, dass jeder vierte Erwachsenen schon einmal Erfahrung mit Cannabis gemacht hat. Insbesondere in der Gruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren ist der gelegentliche Cannabiskonsum sehr verbreitet, nämlich bei 13,5 %. Die große Menge an beschlagnahmten Drogen bzw. Pflanzen bestätigt eine hohe Konsumprävalenz,
156vgl. Drogen- und Suchtbericht 2013, S. 33 und 42; Europäischer Drogenbericht 2014, S. 18: 80 % aller Sicherstellungen in Europa betreffen Cannabis; in Deutschland wurden 2012 ca. 7.327 kg Haschisch und Marihuana sowie ca. 98.000 Cannabispflanzen sichergestellt.
157Angesichts dieser Mengen ist mit einer nennenswerten Ausweitung des illegalen Drogenkonsums durch privaten Eigenanbau durch einzelne Patienten nicht zu rechnen. Im Gegenteil dürfte die Erteilung von Anbauerlaubnissen den illegalen Drogenhandel schwächen, weil diese Personen nicht mehr auf die Inanspruchnahme des illegalen Marktes angewiesen sind.
158Schließlich können den berechtigten Interessen des Klägers an der Erteilung der Anbauerlaubnis im Rahmen der Ermessensabwägung weder die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs noch die Therapiesicherheit für den Erlaubnisinhaber entgegengehalten werden. Hierbei handelt es sich um Versagungsgründe, die aus den genannten Gründen nicht vorliegen bzw. durch Sicherungs-Maßnahmen der Behörde beseitigt werden können.
159Es ist zwar einzuräumen, dass im Hinblick auf die Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen in einer Privatwohnung möglicherweise Abstriche an der Sicherung der Anpflanzung hingenommen werden müssen. Auch bleibt die medizinische Versorgung mit selbstangebauten Pflanzen hinter einer qualitativ hochwertigen Versorgung mit geprüften Arzneimitteln offenkundig zurück. Jedoch haben diese verbleibenden Risiken des Eigenanbaus von Cannabis im Verhältnis zu dem vitalen Interesse des Klägers an einer Schmerzlinderung und erträglichen Lebenssituation nur ein geringes Gewicht.
160Diese Restrisiken des Eigenanbaus müssen nach Auffassung der Kammer jedenfalls für einen Übergangszeitraum hingenommen werden, da es derzeit für die betroffenen Patienten mit geringem Einkommen keine andere Möglichkeit des Zugangs zu dem für sie erforderlichen Heilmittel gibt. Der medizinische Hanf aus Holland ist nicht finanzierbar und ein Zuwarten auf die künftige Zulassung eines Fertigarzneimittels für die Schmerztherapie nicht zumutbar. Nach Auskunft des BfArM ist derzeit kein Zulassungsantrag anhängig.
161Es sind zwar deutlich bessere Lösungsansätze für die Versorgung von einzelnen Patienten mit Cannabis erkennbar, die eine Überwachung der im Verkehr befindlichen Drogenmengen und die Überwachung der Gesundheit des Patienten effektiver gewährleisten könnten, wie beispielsweise eine Erstattung der Kosten von Medizinal-Cannabisblüten durch die Krankenkassen oder die Zulassung eines gewerblichen Anbaus zu medizinischen Zwecken unter der Kontrolle einer staatlichen Stelle. Solange jedoch hierfür die gesetzlichen Grundlagen nicht geschaffen sind, muss den betroffenen Personen der Anbau von Cannabis nach § 3 Abs. 2 BtMG gestattet werden, damit ihre Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG gewahrt werden. Demnach hat die beklagte Behörde die Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen.
162Da jedoch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bisher nicht durch eine entsprechende Anordnung von Sicherheitsvorkehrungen durch die Bundesopiumstelle ausgeräumt ist, liegen derzeit noch nicht alle Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung vor. Die Sache ist somit nicht spruchreif. Daher war der Hauptantrag des Klägers, das BfArM zu einer Erteilung der Anbauerlaubnis zu verpflichten, unbegründet.
163Die Behörde konnte somit nur zu einer neuen Entscheidung über den Erlaubnisantrag verpflichtet werden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Hierbei steht der Bundesopiumstelle nur noch ein Ermessensspielraum hinsichtlich der erforderlichen Sicherheitsanordnungen und der inhaltlichen Ausgestaltung der Erlaubnis nach § 9 BtMG (z.B. hinsichtlich der Zahl der erforderlichen Pflanzen) zu.
164Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Da die Klage nur in einem geringen Umfang abgewiesen wurde, nämlich nur hinsichtlich der noch zu treffenden Nebenbestimmungen bezüglich der Sicherungsmaßnahmen und anderer Einzelheiten, ist es gerechtfertigt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang aufzuerlegen. Hierbei war auch von Bedeutung, dass die Beklagte es unterlassen hat, Vorgaben für die Sicherung eines Cannabisanbaus in einer Privatwohnung zu erarbeiten und die Einhaltung substantiiert zu prüfen. Hierdurch hat sie dazu beigetragen, dass die Spruchreife nicht hergestellt und damit die Klage zu einem Teil abgewiesen werden musste, § 155 Abs. 4 VwGO.
165Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
166Die Berufung wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, insbesondere wegen der angenommenen Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG, zugelassen, § 124 a Abs. 1 Nr. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer
- 1.
Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder - 2.
ausgenommene Zubereitungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) herstellen
(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
(1) Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer
- 1.
Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder - 2.
ausgenommene Zubereitungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) herstellen
(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.
(1) Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen.
(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, nach Anhörung von Sachverständigen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III zu ändern oder zu ergänzen, wenn dies
- 1.
nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen der Wirkungsweise eines Stoffes, vor allem im Hinblick auf das Hervorrufen einer Abhängigkeit, - 2.
wegen der Möglichkeit, aus einem Stoff oder unter Verwendung eines Stoffes Betäubungsmittel herstellen zu können, oder - 3.
zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Verkehrs mit Betäubungsmitteln oder anderen Stoffen oder Zubereitungen wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit
(3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt in dringenden Fällen zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Stoffe und Zubereitungen, die nicht Arzneimittel oder Tierarzneimittel sind, in die Anlagen I bis III aufzunehmen, wenn dies wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit erforderlich ist. Eine auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassene Verordnung tritt nach Ablauf eines Jahres außer Kraft.
(4) Das Bundesministerium für Gesundheit (Bundesministerium) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III oder die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zu ändern, soweit das auf Grund von Änderungen der Anhänge zu dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl. II S. 111) und dem Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe (BGBl. 1976 II S. 1477) (Internationale Suchtstoffübereinkommen) oder auf Grund von Änderungen des Anhangs des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. L 335 vom 11.11.2004, S. 8), der durch die Richtlinie (EU) 2017/2103 (ABl. L 305 vom 21.11.2017, S. 12) geändert worden ist, erforderlich ist.
(1) Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer
- 1.
Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder - 2.
ausgenommene Zubereitungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) herstellen
(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.
Tenor
Die Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1963 geborene Kläger ist seit 1985 an Multipler Sklerose erkrankt, die sich zunächst schubweise mit unvollständigen Remissionen entwickelte und inzwischen in die chronische Verlaufsform übergegangen ist. Bei dem Kläger bestehen unter anderem eine ausgeprägte Gangstörung, eine spastische Tetraparese, eine Rumpf- und Extremitätenataxie, Dysarthrie und eine rezidivierende depressive Störung. Die Ataxie tritt im Wesentlichen als Störung der Grob- und Feinmotorik, des freien Gangs, des Standes und der Sprache in Erscheinung. Seit etwa 1987 behandelt der Kläger die Symptome seiner Erkrankung selbständig durch die regelmäßige Zufuhr von Cannabis und ist deswegen zunächst auch straffällig geworden. Zuletzt hat ihn das Amtsgericht Mannheim mit Urteil vom 19. Januar 2005 (3 Ls 310 Js 5518/02 AK 74/04) vom Vorwurf des Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen, da es sein Handeln als gerechtfertigt im Sinne des § 34 StGB ansah. Maßgeblich sei, dass es für die Behandlung der Ataxie keine zugelassenen Therapiealternativen gebe und die AOK die sehr hohen Kosten für das Medikament „Dronabinol“, bestehend aus THC, dem Hauptwirkstoff des Cannabis, nicht übernehme. Der Kläger, der als Fliesenleger tätig war, ist aufgrund seiner Erkrankung seit 1999 in Frührente und bezieht eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von ca. 890,00 Euro.
3Die - auch vom Kläger - erhobene Verfassungsbeschwerde gegen ein drohendes Strafverfahren und gegen die Strafdrohung wegen unerlaubter Einfuhr, unerlaubten Erwerbs oder Besitzes von Cannabis oder Marihuana nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑ nicht zur Entscheidung an, da die Betroffenen zunächst versuchen müssten, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen.
4Der Kläger stellte am 3. Mai 2000 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa und machte geltend, Cannabis löse bei ihm eine sehr gute (zusätzliche) therapeutische Wirksamkeit aus, die nicht durch andere Medizinprodukte oder Heilmittel zu erreichen sei. Das BfArM lehnte seinen Antrag mit Bescheid vom 31. Juli 2000 unter anderem mit der Begründung ab, die beantragte Erlaubnis liege auch mit Blick auf die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht im öffentlichen Interesse, da beim Kläger eine dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende ärztliche Versorgung mit Delta-9-THC durch die Anwendung eines verschreibungsfähigen Cannabisprodukts („Dronabinol“) möglich sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
5Das Sozialgericht Mannheim wies mit Urteil vom 9. August 2001 - S 8 KR 286/00 ‑ die Klage des Klägers auf Bewilligung von „Dronabinol-Tropfen“ als Sachleistung der Krankenkasse ab. Die hiergegen erhobene Berufung wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg durch Urteil vom 25. April 2003 – L 4 KR 3828/01 – zurück. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde wies das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 6. Januar 2005 ‑ B 1 KR 51/03 B ‑ zurück.
6Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 1023/01) auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zum Erwerb und zur Einfuhr von Cannabis zum Zwecke der medizinischen Behandlung, die - unter Zulassung der Berufung - mit Urteil vom 17. Februar 2004 abgewiesen wurde. Mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, in dem in einem auf die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis gerichteten Verfahren festgestellt wurde, diese könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, eine solche Behandlung liege nicht im öffentlichen Interesse, hob das BfArM den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 28. Juni 2006 auf. Daraufhin erklärten die Beteiligten das vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängige Berufungsverfahren (13 A 1534/04) übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt.
7Der Kläger stellte am 25. August 2006 bei der AOK S. -O. erneut einen Kostenübernahmeantrag für das Arzneimittel „Dronabinol“, den die Krankenkasse mit Schreiben vom 28. September 2006 ablehnte.
8Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 wies das BfArM den Kläger unter anderem auf Folgendes hin: Im Zusammenhang mit der Beantragung einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis verlange das Betäubungsmittelgesetz von dem Antragsteller oder einer für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften zu bestellenden verantwortlichen Person einen Nachweis über die erforderliche Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 6 BtMG). Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Kläger selbst oder eine andere Person die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen wolle. Der Sachkenntnisnachweis könne u. a. dadurch erbracht werden, dass der Kläger als Verantwortlichen einen Humanmediziner benenne.
9Unter dem 30. Mai 2007 machte der Kläger geltend: Sein Hausarzt, Dr. C. , habe sich bereit erklärt, ihn zu unterstützen, und sei Verantwortlicher mit Sachkenntnis. Er überprüfe insbesondere, dass die genehmigte Anbaumenge nicht überschritten werde. Im Übrigen habe das Amtsgericht Mannheim festgestellt, dass sein Verhalten gemäß § 34 StGB gerechtfertigt sei. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung komme daher nur die Erteilung der beantragten Genehmigung in Betracht. Ferner übersandte er eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom 27. April 2007.
10Mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 lehnte das BfArM den Antrag des Klägers vom 3. Mai 2000 ab: Die Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa liege nicht im öffentlichen Interesse. Der Eigenanbau von Cannabis sei nicht erforderlich, da auf Delta-9-THC standardisierte Cannabisextrakte erhältlich seien. Bei einem zugrundegelegten durchschnittlichen Monatsbedarf von 500 mg Delta-9-THC lägen die Behandlungskosten bei nur 150 Euro, während die monatlichen Kosten für „Dronabinol“ 350 Euro betrügen. Auch seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 und 6 BtMG gegeben. Weder seien geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für Anbau, Trocknung und Lagerung der Pflanzenteile nachgewiesen, noch sei eine effektive Kontrolle des Cannabiskonsums bei einem Eigenanbau durchführbar. Auch könne nicht von dem erforderlichen Sachkundenachweis abgesehen werden, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet sei. Ferner könnten bei einem Anbau durch Privatpersonen die Voraussetzungen für eine gleich bleibende Qualität nicht gewährleistet werden.
11Hiergegen erhob der Kläger am 8. Januar 2008 Widerspruch und machte unter anderem geltend: Er sei aus finanziellen Gründen auf den Anbau von Cannabis angewiesen. Er verwende seit Jahren aus medizinischen Gründen 100 g Cannabis im Monat, das 5.000 bis 10.000 mg THC entspreche und nach der Berechnung des BfArM monatliche Kosten in Höhe von 1.500 Euro verursachte. Diese Kosten seien für ihn bei einer monatlichen Erwerbsunfähigkeitsrente von (seinerzeit) 860 Euro nicht tragbar.
12Nachdem das BfArM die vom Kläger gesetzten Fristen zur Entscheidung über seinen Widerspruch hat verstreichen lassen, hat der Kläger am 20. Juni 2009 Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 3889/09) erhoben.
13Mit Schreiben vom 19. März 2010 versagte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Zustimmung zu der seitens des BfArM beabsichtigten Erteilung der beantragten Erlaubnis zum Eigenanbau für den Kläger.
14Das Verwaltungsgericht hat am 31. März 2010 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt.
15Daraufhin führte der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2010 aus: Der Anbau der Cannabispflanzen erfolge im Badezimmer. In der Blühphase stünden die Pflanzen in der gemauerten Duschkabine unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe. Im Blühraum stünden 2 x 8 Pflanzen mit einem Altersunterschied von vier Wochen. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) bewahre er in einem kleinen Schrank auf, in dem auch die geernteten Blüten getrocknet würden. Die Blüten von 8 Pflanzen ergäben etwa 100 g Cannabis, was seinem Monatsbedarf entspreche. Ein etwaiger Überschuss werde in einem Tresor gelagert. Die Pflanzenreste würden in einem speziellen Küchenkomposter zu Kompost und Flüssigdünger für andere Gartenpflanzen verarbeitet. Die monatlichen Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. beliefen sich auf etwa 110 Euro. Da die Pflanzen aus Stecklingen gezogen würden, hätten sie bis zu mehreren Jahren die gleiche Genetik und auch die gleiche Wirksamkeit, so dass eine einmalige Bestimmung des THC-Gehalts ausreichend sei. Er plane unter anderem, die Zimmertür zwischen Badezimmer und zentralem Wohnraum durch ein Fingerprintschloss zu schützen und das Flügelfenster zum Bad zusätzlich mit verschließbaren Griffen zu versehen. Zusätzlich könne es mit einem Stahlgitter geschützt werden. Die Tür zum Badezimmer und das Fenster sollten überdies mit einer IP-Kamera überwacht werden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein signifikant niedriger Gefährdungsgrad bestehe, da er, der Kläger, aufgrund seiner Erkrankung fast ausschließlich zu Hause sei. Publikumsverkehr finde nicht statt. Außer ihm und seiner Lebensgefährtin halte sich in der Wohnung nur die Krankengymnastin für die Dauer der Anwendungen auf.
16Mit Schreiben vom 29. Juni 2010 teilte das BfArM dem BMG mit: Die vom Kläger vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien zur Sicherung des Betäubungsmittelverkehrs geeignet und ausreichend. Eine zusätzliche Installation einer Kamera für die seltenen Fälle der Abwesenheit erscheine unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Auch sei für die Lagerung überschüssiger Blüten mit einer Höchstmenge von 100 g ein zertifizierter Wertschutzschrank nicht erforderlich. Notwendig sei allerdings die Anbringung eines zusätzlichen Gitters vor dem ‑ sich häufig in Kippstellung befindlichen - Badezimmerfenster. Auch dürften die Schwankungen des THC-Gehalts bei der von dem Kläger beschriebenen Kultivierungsmethode eher gering sein. Eine konkrete Bestimmung des THC-Gehalts werde von den Untersuchungseinrichtungen ohne das Vorliegen einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nicht durchgeführt. Ferner sei die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht erforderlich. Eine Gefahr der illegalen Weitergabe durch Groß- und Einzelhändler sei beim Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken nicht gegeben, da der Patient die Substanz selbst benötige. Abgesehen davon müssten bei einer Entscheidung gemäß § 5 Abs. 2 BtMG die mit der Einrichtung einer Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen gegenüber dem Interesse des einzelnen Patienten an einer Ausnahmegenehmigung zu medizinischen Zwecken abgewogen werden.
17Mit an das BfArM gerichtetem Schreiben vom 16. Juli 2010 führte das BMG aus: Das Entschließungsermessen des BfArM sei nicht auf Null reduziert. Die Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes (notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung bzw. des Klägers) geböten nicht die Erlaubniserteilung. Eine Versagung bewirke keine Grundrechtsverletzung des Klägers (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), da Therapiealternativen verfügbar seien. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei mangels Kenntnis des Wirkstoffgehalts, der Qualität und der Menge des vom Kläger angebauten Cannabis nicht gegeben. Auch seien die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten anzuwenden. Ferner stelle der Verstoß gegen Internationales Recht einen Versagungsgrund dar. Deutschland arbeite eng mit dem Internationalen Suchtstoffkontrollrat (INCB) zusammen.
18Das BfArM hat eine Stellungnahme des INCB vom 30. Juli 2010 eingeholt. Danach gibt es im Falle der Zulassung des Anbaus keine Ausnahme von der Pflicht zur Errichtung einer staatlichen Opiumstelle und gilt diese Pflicht auch beim Anbau der Hanfkrautpflanze durch eine Einzelperson zum Zwecke der Eigenbehandlung.
19Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 wies das BfArM den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte aus: Der Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken stünden die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG entgegen. Es seien die Richtlinien des BfArM vom 1. Januar 2007 zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten, wonach u. a. zertifizierte Wertschutzschränke zu verwenden seien, nicht eingehalten worden. Beim Anbau in einem einzigen Badezimmer einer 2-Zimmer-Wohnung sei ein Zugang Dritter unvermeidbar. Auch sei der Eigenanbau zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers nicht notwendig und ungeeignet (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Er sei nicht kostengünstiger als Cannabisextrakt oder „Dronabinol“. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei beim Eigenanbau, anders als beim bereits erlaubten Erwerb niederländischen Medizinalhanfs, nicht gewährleistet. Auch könne die Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BtMG versagt werden, wenn sie der Durchführung des Internationalen Suchtstoffabkommens (hier: Einheits-Übereinkommen von 1961 - ÜK 1961 -) entgegenstehe. So liege der Fall hier, weil Deutschland mangels Einrichtung einer Cannabis-Agentur bei Stattgabe des Erlaubnisantrags gegen seine internationalen Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstieße. Bei der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass Deutschland eng mit dem INCB zusammenarbeite und daher das Interesse des Klägers an einer Versorgung und Behandlung mit Cannabis zurückstehen müsse. Abgesehen davon stehe nach § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubniserteilung im Ermessen der Behörde. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der notwendigen medizinischen Versorgung des Klägers schon durch die zur Verfügung stehende alternative Cannabis-Therapie genüge getan werde.
20Der Kläger hat die Klage nach Erlass des Widerspruchsbescheids fortgeführt und geltend gemacht: Bei einer notwendigen medizinischen Anwendung des Betäubungsmittels durch Privatpersonen sei § 5 Abs. 1 BtMG modifiziert anzuwenden. Die von ihm vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien ausreichend. In seiner Wohnung finde kein Publikumsverkehr statt. Da die angebaute Cannabismenge überschaubar sei, bliebe ein Entwenden von Pflanzen auch nicht unbemerkt. Ferner könnten für das durch Eigenanbau gewonnene Pflanzenmaterial ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis keine Erkenntnisse über den Wirkstoff eingeholt werden. Im Übrigen bedürfe es in seinem Fall keiner Einrichtung einer Cannabis-Agentur. Das Schreiben des INCB vom 30. Juli 2010 sei nicht bindend. Auch habe die Beklagte nicht begründet, warum die geforderte Cannabis-Agentur nicht eingerichtet werde. Die Entscheidung der Beklagten sei auch deshalb fehlerhaft, weil sie die für die Bewilligung sprechenden Gründe ‑ insbesondere, dass für ihn der Cannabis-Eigenanbau die einzige realisierbare Möglichkeit der Linderung seiner Beschwerden sei - nicht in ihre Ermessensentscheidung einbezogen habe.
21Der Kläger hat beantragt,
22die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verpflichten, dem Kläger zu erlauben, Cannabis (Indica-Sativa-Hybriden) in seiner Wohnung C1.----straße 24, N.,anzubauen, zu ernten und zum medizinischen Zweck seiner Behandlung zu verwenden sowie bei Bedarf die entsprechenden Mutterpflanzen dieser Spezies zu erwerben und ggf. einzuführen.
23Die Beklagte hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft sowie ergänzend geltend gemacht: Ihre Ermessensausübung sei nicht fehlerhaft. Die mit der Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen seien gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Ausnahmegenehmigung zum Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken sorgfältig abgewogen worden.
26Das Verwaltungsgericht hat unter Zulassung der Berufung die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die ablehnende Entscheidung des BfArM sei rechtswidrig. Zwingende Versagungsgründe lägen nicht vor, zumal die Vorschrift des § 5 Abs. 1 BtMG in Fallgestaltungen wie der vorliegenden modifiziert anzuwenden sei. Die Sicherungsmaßnahmen des Klägers seien ausreichend. Der jahrelange Eigenanbau belege, dass der Kläger sich durch eine Therapie mit dem eigenangebauten Cannabis nicht selbst schädige. Der mit der Erlaubniserteilung verbundene Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffabkommen müsse nicht zwingend zu einer Versagung der Erlaubnis führen. Das BfArM habe gemäß § 5 Abs. 2 BtMG auch bei einem Verstoß gegen das Abkommen einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen die Interessen des Klägers angemessen zu berücksichtigen seien. Dieses Ermessen habe das BfArM bisher nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil es allein darauf abgestellt habe, dass eine Vertragsverletzung dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schade. Soweit das BfArM die Erlaubnis zum Eigenanbau nach § 3 Abs. 2 BtMG im Rahmen seines Ermessens versagt habe, habe es sein Ermessen ebenfalls fehlerhaft ausgeübt. Das BfArM habe keine Prüfung zur Frage der Verfügbarkeit der alternativen Behandlungsmöglichkeiten vorgenommen, insbesondere nicht deren wirtschaftliche Verfügbarkeit festgestellt. Deshalb sei das BfArM verpflichtet, über den Erlaubnisantrag des Klägers neu zu entscheiden und dabei auch seinen gegenwärtigen Gesundheitszustand zu berücksichtigen, was zu einer anderen Entscheidung führen könne.
27Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, der sich der Kläger angeschlossen hat. Der Kläger hat im Berufungsverfahren bei der AOK S. -O. -P. erneut einen Antrag auf Übernahme der Kosten für „Dronabinol“ gestellt, den diese mit Schreiben vom 15. Juni 2012 abgelehnt hat. Auf den auf Veranlassung des Senats gestellten Antrag des Klägers vom 5. Oktober 2012 auf Übernahme der Kosten für Medizinalhanf hat die AOK S. -O. -P. nach erneuter Prüfung mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Kostenübernahme für „Dronabinol“ erklärt. Mit Schreiben vom 8. November 2012 hat sie mitgeteilt, einen Antrag auf Kostenübernahme von Medizinalhanf würde sie beim jetzigen Stand ablehnen, da die Therapie mit „Dronabinol“ bisher als geeignet gegolten habe und keinerlei Informationen zu Zulassungsstatus, Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis flos Bedrocan vorlägen. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 hat die AOK S. -O. -P. erneut mitgeteilt, dass die Möglichkeiten einer Standardtherapie nicht ausgeschöpft seien und daher keine Kostenzusage für Cannabis flos Bedrocan erteilt werde. Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 hat die AOK S. -O. -P. erklärt, ein erneuter Kostenübernahmeantrag für Medizinalhanf hätte auch jetzt keinen Erfolg.
28Der Senat hat mit Urteil vom 7. Dezember 2012 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen sowie die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe mit „Dronabinol“ ein gleich wirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung. Es sei derzeit davon auszugehen, dass „Dronabinol“ beim Kläger eine mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkung aufweise und eine Behandlung bisher nur an der fehlenden Kostenerstattung gescheitert sei. Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats durch Beschluss vom 24. Mai 2013 - 3 B 14.13 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Es hätte sich ihm aufdrängen müssen, den von den Beteiligten angeregten Therapieversuch mit „Dronabinol“ zu ermöglichen um festzustellen, ob es sich für den Kläger um ein gleich wirksames Mittel handele.
29Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor: Es stehe nicht fest, dass für den Kläger keine finanzierbaren Behandlungsalternativen verfügbar seien. Mit „Dronabinol“, für das die Krankenkasse eine Kostenübernahme erteilt habe, stehe ein gleich wirksames Arzneimittel zur Behandlung der bei dem Kläger bestehenden Symptomatik zur Verfügung. Dass hierfür die Höchstverschreibungsmenge überschritten werden müsse, sei unschädlich. Soweit sich der Kläger auf Stellungnahmen seines Arztes berufe, die nach seiner Auffassung das Gegenteil belegen sollten, bleibe die Frage unbeantwortet, aus welchen Gründen die Dosis von „Dronabinol“ - bei gleichzeitiger Reduktion der Cannabisdosis - nicht langsam bei mehreren Gaben täglich erhöht werden könne. Denn es gelte zu beantworten, ob eine Monotherapie mit „Dronabinol“ - in adäquater Darreichungsform und Dosierung - nach entsprechender Titration des „Dronabinol“ und Ausschleichen des Cannabis - zu einer zufriedenstellenden Symptomkontrolle bei dem Kläger führen könne. Dabei sei Zieldiagnose die Tetraspastik und die Ataxie, nicht aber eine ggf. bestehende Cannabisabhängigkeit. Denn die beim Kläger beschriebenen Symptome könnten auch den Entzugssyndromen einer behandlungsbedürftigen Cannabisabhängigkeit zuzuordnen sein. Auch wenn ein solcher Therapieversuch nur stationär erfolgen könne, sei dies dem Kläger zumutbar und auch ethisch vertretbar. Nach stationärer Umstellung könne die Therapie mit „Dronabinol“ in der Dosis von 4 x 20 Tropfen ambulant weitergeführt werden. Im Übrigen seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau nicht modifiziert anzuwenden. Jeder Anbau bedürfe einer umfangreichen Raumsicherung, die bei Aufzucht und Aufbewahrung der angebauten Pflanzen eine unbefugte Entnahme sicher verhindere. Ferner sehe das Internationale Suchtstoffübereinkommen bei jedem Anbau von Cannabis die Anwendung des Kontrollsystems sowie die Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur vor, die die Ernte unverzüglich aufkaufe und sobald wie möglich körperlich in Besitz nehme.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie
33die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
34Der Kläger beantragt,
35das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und nach dem erstinstanz-lichen Klageantrag zu erkennen,
36sowie
37die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
38Er trägt zur Begründung vor: Es gebe für ihn keine verfügbaren Behandlungsalternativen. Er nutze „Dronabinol“ lediglich ergänzend zu seinem selbstangebauten Cannabis. Eine Monotherapie mit „Dronabinol“ sei nicht möglich, weil sie sich nicht ausreichend auf seine Ataxie auswirke. Mit den von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen habe er - wie im Urteil des Senats gefordert - dargelegt, dass „Dronabinol“ nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit wie Cannabis aufweise. Ein stationärer Therapieversuch mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt sei ihm nicht zumutbar. Den stationären Aufenthalt im Jahr 2011 habe er abgebrochen. Ein Therapieversuch mit ungewissem Ausgang sei auch ethisch bedenklich, da es eine für ihn annehmbare und wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit gebe. Ein Therapieversuch mit „Dronabinol“ könne mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes einhergehen, was insbesondere für einen Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung gefährlich sei, weil es keinerlei Garantie gebe, dass eine solche Verschlechterung je wieder rückgängig gemacht werden könne. Auch eine Höchstdosierung mit 4 x 20 Tropfen Dronabinol mit ca. 66 mg THC decke schon rein rechnerisch nicht seinen Cannabisbedarf von 300 bis 500 mg THC pro Tag. Das Medikament „Sativex“ stelle ebenfalls keine verfügbare Behandlungsalternative dar. Er habe sich bereits ohne Erfolg in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen. Aufgrund der Einnahme von „Sativex“, die zudem außerhalb der zugelassenen Indikationen erfolgt sei, habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Eine Therapie mit „Cannabis flos Bedrocan“ stehe ihm nicht zur Verfügung, da die AOK S. -O. -P. am 7. Juni 2013 die Kostenübernahme für Medizinalhanf abgelehnt habe und er die Behandlungskosten nicht allein mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente bestreiten könnte. Im Übrigen stehe der Erlaubniserteilung nicht das ÜK 1961 entgegen. Art. 28 ÜK 1961 sehe die Gestattung des Anbaus von Cannabispflanzen vor. Der in dieser Vorschrift enthaltene Verweis auf das Kontrollsystem nach Art. 23 ÜK sei mit Blick auf die in Rede stehende Genehmigung von wenigen Pflanzen in einem Teil des Badezimmers ersichtlich unsinnig. Es bestehe ferner angesichts der Schwere der Erkrankung und der fehlenden Behandlungsalternativen ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis.
39Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Ärzte Dr. T. und Dr. H. als sachverständige Zeugen. Wegen des Gegenstandes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
40Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die weiteren beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten, Gerichtsakte des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ‑ L 4 KR 3828/01 - und Strafakten der Staatsanwaltschaft Mannheim - 310 Js 5518/02 ‑).
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
42Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Klägers haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet und im Übrigen die Klage abgewiesen.
43Der Versagungsbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags auf Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis zu therapeutischen Zwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
44Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 2 BtMG. Nach dieser Vorschrift kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Für den Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung bedarf es einer Erlaubnis des BfArM. Nach der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG zählt Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor.
45Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11. Mai 2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (vgl. Anlage III), steht hier nicht in Rede. Ebenso wenig sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt (Anlage II). Ein anderweitiges Verständnis der Regelung in Anlage II widerspräche dem erkennbaren Willen des Verordnungsgebers. Dieser hat in der Begründung des Verordnungsentwurfs (BR-Drs. 130/11 vom 3. März 2011) ausdrücklich ausgeführt, dass die Änderungen betreffend Cannabis in den Anlagen I bis III (allein) dem Zweck dienen, cannabishaltige Fertigarzneimittel in Deutschland herstellen, zulassen und verschreiben zu können.
46Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung A. Allgemeiner Teil, I. Ziel und Gegenstand des Verordnungsentwurfs.
47Mit der Aufhebung des generellen Verkehrsverbots für Cannabis sollen lediglich solche cannabishaltigen Arzneimittel verkehrsfähig werden, die unter den strengen Vorgaben des Arzneimittelrechts als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Ferner soll die Herstellung entsprechender Zubereitungen zu medizinischen Zwecken ermöglicht werden.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung B. Besonderer Teil, Zu Artikel 1 (Änderung der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes), Zu den Nummern 1 bis 3 Buchstabe a.
49Die unter der Position Cannabis in Anlage II angeführte Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken steht danach in untrennbarem Zusammenhang mit der Herstellung eines cannabishaltigen Fertigarzneimittels und betrifft nicht den Eigenanbau von Cannabis zwecks Selbstmedikation.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris.
51Die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung liegt unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls, im öffentlichen Interesse.
52Das öffentliche Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG daran, ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu erteilen, ist im Falle des Klägers gegeben. Danach kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Erkrankung möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris (Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu therapeutischen Zwecken); ferner BVerfG, Beschlüsse vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑, NJW 2000, 3126, und vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1772/02 ‑, PharmR 2005, 374.
54Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieser Bestimmung kommt im Wertehorizont des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Leben und körperliche Unversehrtheit sind in weiten Bereichen elementare Voraussetzung für die Wahrnehmung der übrigen Grundrechtsgewährleistungen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden. Dies gilt insbesondere durch die staatliche Unterbindung des Zugangs zu prinzipiell verfügbaren Therapiemethoden zur nicht unwesentlichen Minderung von Leiden.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, m. w. N., juris.
56Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht in enger Beziehung zur Menschenwürde, die zu achten und zu schützen nach Art. 1 GG Aufgabe aller staatlicher Gewalt ist. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur jeweils deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris.
58Die Behandlung des Klägers mit Cannabis liegt hier im öffentlichen Interesse. Der Kläger ist schwer krank. Er leidet seit 1985 an Multipler Sklerose, die inzwischen in die chronische Form übergegangen ist. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom Zentrum für Nervenheilkunde, N. , vom 17. Januar 2012 besteht bei dem Kläger eine sekundär chronische Multiple Sklerose mit ausgeprägter Gangstörung, Rumpf- und Extremitätenataxie, Tetraspastik und psychischer Veränderung (organische, emotional-labile Störung mit beeinträchtigter Impulskontrolle sowie mit leichter kognitiver Störung). Eine Heilung des Klägers scheidet aus.
59Der Annahme eines für eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG erforderlichen öffentlichen Interesses steht nicht von vornherein entgegen, dass die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis bei Multipler Sklerose bisher nicht allgemein wissenschaftlich nachgewiesen ist. Denn bei der vorliegenden schweren Erkrankung des Klägers stellt schon die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit eine Linderung dar, die im öffentlichen Interesse liegt. Bei schweren Erkrankungen - wie vorliegend - ohne Aussicht auf Heilung gebietet es in diesem Rahmen die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur dann auszuschließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten kann.
60Vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, juris.
61Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist nach den dem Senat verfügbaren Erkenntnissen beim Kläger ein therapeutischer Nutzen zu bejahen. Der Kläger wendet Cannabis seit inzwischen mehr als 25 Jahren an. Dies hat zu einer erheblichen subjektiven Linderung seiner Beschwerden, insbesondere im Bereich der Ataxie, Spastik und seiner psychischen Verfassung geführt. Dies wird durch die ärztlichen Befundberichte sowie die Aussage des behandelnden Arztes Dr. T. als sachverständiger Zeuge in der Berufungsverhandlung bestätigt. Bereits in der ärztlichen Stellungnahme der Klinik Dr. F. , Krankenhaus für Multiple Sklerose und andere Nerven- und Stoffwechselleiden, vom 22. Oktober 1999 wird ausgeführt, dass der Kläger aus subjektivem Empfinden aufgrund des Cannabiskonsums eine deutliche Besserung der Symptomatik der Multiplen Sklerose (Spastik beim Einschlafen, Schmerzen in den Muskeln, Zittern, Depressionen, Appetitlosigkeit, Müdigkeitsgefühl, Blasenfunktion, verwaschene Sprache und Gleichgewichtsstörungen) angeben konnte und sich dies mit der allgemeinen Erfahrung decke, dass sich vor allem Schmerzen, Spastik, psychische Beeinträchtigungen und Ataxie unter medizinisch kontrollierter Einnahme von Cannabis bessern können. Bei der Kenntnis des Krankheitsbildes des Klägers und bei den bisherigen guten Erfahrungen, die er mit dem Einsatz von Cannabis zur Linderung der Symptomatik gemacht habe, werde die weitere kontrollierte medizinische Einnahme von Cannabis nervenärztlicherseits uneingeschränkt empfohlen. Auch bestätigt Dr. T. , in dessen ärztlicher Behandlung sich der Kläger seit 1992 befindet, in seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 27. April 2007, dass das Cannabis ohne Zweifel einen nachweisbaren Effekt auf die Ataxie und die erheblichen Stimmungsschwankungen des Klägers habe, der ohne den Konsum von Cannabis aufbrausend sei und ein für seine Umgebung sehr belastendes Verhalten gezeigt habe. Den ärztlichen Bescheinigungen des Dr. T. vom 17. Januar 2012 und 2. Oktober 2012 ist zu entnehmen, dass der Kläger durch die regelmäßige Einnahme von Cannabis eine Besserung der Ataxie und vor allem auch der Beschwerden durch die Spastik erlebt. Das Gangbild sei unter kontinuierlicher Cannabis-Einnahme deutlich sicherer als ohne und die maximale Gehstrecke habe verlängert werden können. Einschließende Spasmen seien unter der Cannabis-Einnahme kaum vorhanden. Ferner führe das regelmäßige Rauchen von Cannabispflanzen-Extrakt beim Kläger zu einem stimmungsmäßigen Ausgleich und die vor Aufnahme des Cannabis-Konsums stark gestörte Impulskontrolle habe sich reguliert. Nach einer aktuellen Stellungnahme des Dr. T. vom 15. Januar 2014 geht es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut. Die Stimmungslage sei ausgeglichen, es bestehe eine ausreichende Beweglichkeit mit einer Gehdauer (mit Handstock) von etwa 30 Minuten. Es beständen keine Schluckschwierigkeiten, die dysarthrische Sprache sei ausreichend verständlich. Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die glaubhaften Angaben des Dr. T. als sachverständiger Zeuge, der in der Berufungsverhandlung angegeben hat, die psychische Verfassung und das Sozialverhalten hätten sich unter der Wirkung von Cannabis deutlich verbessert.
62Dem Kläger steht gegenwärtig kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel für die Behandlung der im Rahmen der Multiplen Sklerose auftretenden Ataxie und Spastik sowie des Psychosyndroms zur Verfügung.
63Anders als in dem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 25. April 2013 ausgeführt, stellt das zugelassene Arzneimittel „Sativex“ für den Kläger keine mögliche Standardtherapie dar. Das Arzneimittel „Sativex“, ein Pflanzenextrakt der Firma Almirall, das neben den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Delta-9-THC) und Cannabidiol (CBD) auch weitere Bestandteile von Cannabis sativa enthält, hat - ungeachtet der Frage seiner Finanzierbarkeit - schon deshalb nicht die gleiche Wirksamkeit wie das von dem Kläger angebaute Cannabis sativa, weil sein Anwendungsbereich auf die Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose beschränkt ist, während sich das vom Kläger angebaute Cannabis insgesamt positiv auf die Beschwerden Ataxie, Spastik und emotionale Labilität auswirkt. „Sativex“ wird laut Fachinformation als Zusatzbehandlung für eine Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose angewendet, die nicht angemessen auf eine andere anti-spastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen. Dies ist bei dem Kläger (gerade) nicht der Fall. Im Gegenteil hat die Einnahme von „Sativex“ bei ihm sogar zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geführt.
64Der Kläger hat sich bereits in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen, der zu einer Verstärkung seiner Beschwerden geführt hat. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 11. August 2011 hat der Kläger „Sativex“ als Ersatz für Marihuana eingenommen. Es habe ihm aber weder in geringen noch in höheren Dosen (bis zu 6 Hübe) geholfen. Die Einnahme von „Sativex“ habe ihn sehr müde gemacht, seine Bewegungen seien ihm schwer gefallen und nur verlangsamt möglich gewesen. Das Befinden und die Motorik hätten sich durch „Sativex“ verschlechtert. Auch habe er schlecht Luft bekommen und vermehrt das Asthmaspray einsetzen müssen. Nach Auskunft seiner Lebensgefährtin habe der Kläger während der Behandlung mit „Sativex“ überwiegend gelegen. In seiner weiteren fachärztlichen Bescheinigung vom 2. Oktober 2012 stellt Dr. T. fest, dass unter Sativex nicht die vergleichbaren Effekte wie unter Cannabis zu erzielen waren. Dem Einwand der Beklagten, der Therapieversuch sei unbeachtlich, weil er jedenfalls hinsichtlich der Dosierung nicht entsprechend der (klinischen) Vorgaben in der Zulassung durchgeführt worden sei, ist nicht zu folgen. Zwar sieht die Fachinformation der Firma Almirall unter Ziffer 4.2 „Art und Dauer der Anwendung“ eine zweiwöchige Titrationsphase vor, innerhalb derer die Anzahl der Sprühstöße entsprechend eines konkreten Dosierungsschemas täglich von einem auf bis zu 12 Sprühstöße langsam erhöht wird. Auch wird darauf hingewiesen, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis die optimale Dosierung gefunden wird, und dass Nebenwirkungen (etwa Müdigkeit) auftreten können, die aber üblicherweise schwach sind und nach einigen Tagen abklingen. Dem Kläger, bei dem die Nebenwirkungen offenbar gerade nicht in bloß schwacher Form aufgetreten sind, ist es mit Blick auf seine ausgeprägte Ataxie aber nicht zumutbar, die bis zu zwei Wochen dauernde Phase der Nebenwirkungen abzuwarten und in dieser Zeit noch weitere Beeinträchtigungen seiner ohnehin stark eingeschränkten Bewegungsfähigkeit hinzunehmen. Mit Blick auf die elementare Bedeutung des Grundrechts des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und unter Achtung seiner Menschenwürde ist es daher aus ethischen Gründen nicht zu verantworten, den schwer kranken Kläger erneut einem mehrwöchigen Behandlungsversuch mit „Sativex“ auszusetzen, obwohl die Behandlung des bei ihm im Vordergrund stehenden Symptoms der Multiplen Sklerose, der Ataxie, vom Anwendungsbereich von „Sativex“ gar nicht erfasst wird.
65Dem Kläger steht auch mit dem verschreibungsfähigen Wirkstoff „Dronabinol“ keine gleich wirksame Therapiealternative zur Verfügung. Zwar ist „Dronabinol“ für ihn nunmehr grundsätzlich verfügbar, nachdem die AOK S. -O. -P. mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Übernahme der Kosten für diesen Wirkstoff erklärt hat. Im Falle des Klägers ist jedoch derzeit anzunehmen, dass „Dronabinol“ nicht genauso wirkt wie Cannabis. Deshalb kann dahinstehen, ob er überhaupt auf das Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ verwiesen werden kann, das kein für die Erkrankung des Klägers zugelassenes (Fertig-)Arzneimittel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist.
66Der Senat geht dabei davon aus, dass „Dronabinol“, das aus dem Cannabis-Hauptwirkstoff Delta-9-THC besteht, grundsätzlich mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkungen auf die Symptome einer Multiplen Sklerose entfalten kann. So wird „Dronabinol“ vorwiegend gegen chronische/neuropathische Schmerzen und Spastik eingesetzt und kann bei Multipler Sklerose Muskelkrämpfe und Spastiken reduzieren. Der Stellungnahme des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) Dr. H. vom 6. Dezember 1999 ist zu entnehmen, dass Cannabis und THC eine Vielzahl von Wirkungen entfalten, die bei der Multiplen Sklerose therapeutischen Nutzen versprechen. THC bzw. Dronabinol sei der pharmakologisch wichtigste Inhaltsstoff der Hanfpflanze (cannabis sativa L.). Wenn auch die Cannabiswirkungen nicht durch die THC-Effekte allein erklärt würden, so machten diese Effekte doch den weitaus größten Teil der Gesamtwirkung aus. In einer Anzahl von Studien sei ein muskelentspannender Effekt von THC bzw. Cannabis nachgewiesen worden. Auch sei in verschiedenen Tiermodellen sowie klinischen Studien der schmerzhemmende Effekt von THC nachgewiesen und der Wirkungsmechanismus weitgehend aufgeklärt worden. Zu vielen anderen von Patienten geschilderten (positiven) Effekten lägen zwar keine klinischen Daten vor, sie würden jedoch häufig und unabhängig voneinander von den Betroffenen vorgetragen. In seiner - vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren überreichten - Stellungnahme vom 6. Februar 2001 verweist Dr. H. ebenfalls darauf, dass die durchgeführten klinischen Studien in ihrer Gesamtheit die Annahme nahelegen, dass Marihuana, Delta-9-THC und Nabilon (ein synthetisches Cannabinoid) wahrscheinlich nützliche symptomatische Wirkungen auf Spastik und Tremor entfalteten. Danach dürfe angenommen werden, dass THC bei Multipler Sklerose therapeutische Wirkung entfalte.
67Auch in dem vom Amtsgericht Mannheim im Strafverfahren 310 Js 5518/02 eingeholten fachneurologischen Aktengutachten des Universitätsklinikums Heidelberg vom 21. Februar 2003 wird die Einnahme von Cannabis und seinen Derivaten (gleichermaßen) zur Behandlung der Symptome der Multiplen Sklerose befürwortet. Ausweislich der Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. med. N. und Dr. med. T1. belegen verschiedene klinische Untersuchungen die Möglichkeit der therapeutischen Anwendung von Cannabisderivaten in der Medizin und insbesondere bei Erkrankungen des Nervensystems. Typische Wirkungen von Cannabis auf den Organismus seien Wohlbefinden und Entspannung, aber auch unerwünschte psychische Effekte wie Angst- und Panikzustände sowie Herzfrequenzbeschleunigung, Blutdruckveränderungen. Weitere Cannabiseffekte bestünden in einer Schmerzlinderung, Muskelrelaxierung, Krampflösung, Bewegungsharmonisierung, Sedierung, Appetitsteigerung, Entzündungshemmung und Bronchialerweiterung. Die zugelassenen Indikationen des synthetisch hergestellten Cannabisderivats Delta-9-THC „Dronabinol“ mit dem Handelsnamen „N1. ®“ seien in den USA zwar auf Gewichtsverlust bei Aids- und Tumorpatienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapiepatienten beschränkt, die mit anderen Medikamenten nicht zu beherrschen seien. Auch liege in Deutschland derzeit keine zugelassene Indikation für Cannabisderivate vor. Es sei dem Arzt jedoch frei gestellt, Cannabis im Rahmen eines individuellen Heilversuchs in Form von „Dronabinol“ zu verordnen. Potentielle Behandlungsindikationen aus neurologischer Sicht, für die in einzelnen Untersuchungen ein günstiger Effekt von Cannabis gezeigt worden sei, beträfen die Symptome der Spastik und Ataxie, des Schmerzes und der Depressionen, die auch bei der Multiplen Sklerose vorkämen. Es gebe mehrere Fallbeispiele, dass Cannabis bzw. seine Derivate für Symptome der Spastik und Ataxie hilfreich sein könnten.
68Ausgehend von der bei der Frage einer Therapiealternative im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG gebotenen konkret-individuellen Betrachtungsweise kann aber gegenwärtig nicht festgestellt werden, dass „Dronabinol“ auch beim Kläger genauso wirkt wie Cannabis. Hierauf deutet bereits die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vom Kläger vorgelegte Bescheinigung von Dr. T. vom 7. Februar 2013 hin, wonach „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen habe. Die Stimmungslage sei dadurch einigermaßen ausgeglichen, die Effekte auf Ataxie und Spasmen seien deutlich weniger spürbar als bei regelmäßigem oralem und inhalativem Cannabiskonsum von bis zu 3 g. Hintergrund dieser Feststellungen ist der Versuch des Klägers gewesen, sich nach der Kostenübernahme für „Dronabinol“ durch die AOK S. -O. -P. Ende 2012 auf diesen Wirkstoff umzustellen. Im Rahmen dieses (ambulanten) Umstellversuchs konnte der Kläger mit einer Dosis von 20 Tropfen „Dronabinol“ morgens eine gewisse Reduzierung des täglichen Cannabiskonsums erreichen. Hingegen muss der Versuch, den Cannabiskonsum mit „Dronabinol“ zu ersetzen und den Kläger allein damit zu behandeln, mit den Stellungnahmen seiner behandelnden Ärzte als gescheitert angesehen werden. Nach den Äußerungen der sachverständigen Zeugen Dr. T. und Dr. H. bewirkt die erreichte Dosis von derzeit 20 Tropfen „Dronabinol“ beim Kläger keine ausreichende Linderung der spastisch-ataktischen Symptomatik, wohingegen eine dafür erforderliche Dosis nicht erreicht werden kann, weil es durch eine Dosissteigerung zu einer erheblichen Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustands kommt. Die Ärzte haben sich dabei maßgeblich auf ihre bisherigen umfangreichen Erfahrungen bei der Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis gestützt, die sie dem Senat widerspruchsfrei und überzeugend vermittelt haben.
69Im Einzelnen:
70Nach der fachärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 7. Februar 2013 hat „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung beim Kläger keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen. Ausweislich seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli 2013 nimmt der Kläger derzeit morgens 20 Tropfen „Dronabinol“ und raucht im Laufe des Tages mindestens 10 Tütchen Haschisch/Marihuana. Unter dieser hohen Dosis fühle sich der Kläger subjektiv wohl. Im Hinblick auf diese Feststellungen hat der erkennende Senat Dr. T. um ergänzende schriftliche Stellungnahme gebeten, ob der Kläger ausschließlich mit „Dronabinol“ behandelt werden könne. Dr. T. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2014 weiter ausgeführt, dass es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut gehe. Eine Stimmungsaufhellung ist nach der Stellungnahme von Dr. T. vom 28. April 2014 erst bei einer Dosis von 20 Tropfen morgens vorübergehend festzustellen gewesen. Eine Besserung der spastisch-ataktischen Symptomatik sei nicht erkennbar gewesen. Der Versuch, die Einzeldosis auf mehr als 20 Tropfen zu steigern, sei misslungen, da es dadurch zu Unruhe, Fahrigkeit, zu Stimmungsschwankungen und auch Dysphorie gekommen sei. Danach ist davon auszugehen, dass die für eine beim Kläger ausreichende Symptomkontrolle ‑ insbesondere im Hinblick auf die Ataxie und Spastik - erforderliche Dosis „Dronabinol“ nicht erreicht werden kann, ohne dass unerwünschte erhebliche Nebenwirkungen im Bereich seiner psychischen Verfassung auftreten.
71Diese Einschätzung hat die Vernehmung der den Kläger behandelnden bzw. betreuenden Ärzte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der sachverständige Zeuge Dr. T. hat angegeben, dass eine weitere Erhöhung der Dosis ausscheide, weil dann die psychischen Zustände - Unruhe, Panik, Anspannung - beim Kläger eintreten würden. Bei der derzeitigen Dosis mit 20 Tropfen habe sich aber auch keine zufriedenstellende positive Lösung eingestellt, so dass weiterhin Cannabisblüten gegeben würden. Dr. T. kommt zu dem Ergebnis, dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ beim Kläger nur eine unwahrscheinliche Möglichkeit darstellt. Dies ist angesichts der von ihm beschriebenen Nebenwirkungen bei einer versuchten Steigerung der Dronabinoldosis, auf die der Kläger zur Symptomkontrolle der Ataxie und Spastik angewiesen wäre, auch plausibel. Dass die ärztlichen Feststellungen zur psychischen Verfassung des Klägers dabei wesentlich auf dessen Eigenwahrnehmung beruhen, mindert nicht deren Aussagewert und ist letztlich dem besonderen psychischen Krankheitsbild des Klägers geschuldet. Es ist dann Aufgabe des den Patienten behandelnden Arztes, die subjektiv unter der Gabe von „Dronabinol“ empfundenen Nebenwirkungen zu objektivieren. Dies hat Dr. T. in der erforderlichen Weise getan, indem er die Selbsteinschätzung des Untersuchten ärztlicherseits bestätigt und sie als ärztliche Feststellungen dem Senat vermittelt hat.
72Die Bewertung durch Dr. T. , dass eine erfolgreiche Monotherapie mit „Dronabinol“ im Falle des Klägers unwahrscheinlich ist, steht im Einklang mit seinen bisherigen schriftlichen Stellungnahmen. Soweit er in seiner Stellungnahme vom 28. April 2014 ausgeführt hat, es sei zu vermuten, dass mit einer Gesamtmenge von 4 x 20 Tropfen „Dronabinol“ am Tag ein einigermaßen dem bisherigen Cannabiskonsum vergleichbarer Effekt zu erzielen sein dürfte, hat er einen vermeintlich darin begründeten Widerspruch in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt. Dort hat Dr. T. klargestellt, dass es sich bei der Möglichkeit einer Monotherapie um eine rein theoretische Annahme seinerseits gehandelt habe. Dies ist auch angesichts seiner weiteren Feststellungen bei der Anwendung von „Dronabinol“ durch den Kläger ohne weiteres nachvollziehbar, weil danach schon eine Steigerung der Dosis von einmalig 20 Tropfen am Tag zu erheblichen Nebenwirkungen - vor allem im psychischen Bereich - geführt hat. Insoweit überwiegen nach Auskunft von Dr. T. die Aussagen des Klägers, dass er bei mehr als 20 Tropfen „Dronabinol“ hektisch, fahrig und panisch geworden sei und im Übrigen die Effekte auf Ataxie und Spasmen deutlich weniger spürbar als bei einem Cannabiskonsum gewesen seien. Dass nur theoretisch und medizinisch nicht begründet die Möglichkeit einer Monotherapie mit „Dronabinol“ besteht, entspricht auch der in der gleichen Stellungnahme des Dr. T. vom 28. April 2014 getroffenen Aussage, es sei unwahrscheinlich, dass durch ein anderes Medikament dem Cannabiskonsum vergleichbare Effekte im Falle des Untersuchten erzielt werden könnten.
73Dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ mit einer Dosierung von 4 x 20 Tropfen zu einer ausreichenden Symptomkontrolle beim Kläger führt, ist auch angesichts der damit vom Kläger aufgenommenen THC-Menge fernliegend. Wie Dr. H. , der den Kläger seit April 2014 in der Cannabisbehandlung begleitet, in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt hat, entspricht der Konsum von 3,5 g Cannabis täglich bei einer THC-Konzentration von 15 %, die regelmäßig bei der vom Kläger angebauten Sorte „Jack Herrer“ anzunehmen ist, 525 mg THC bzw. „Dronabinol“. Diese THC-Menge wird schon rein rechnerisch durch eine Dosis von 4 x 20 Tropfen täglich nicht ansatzweise erreicht. Dabei kann offen bleiben, ob dies, so die Auffassung der Beklagten, einer THC-Menge von nicht nur 66 mg, sondern 80 mg entspricht. Selbst wenn der tägliche Konsum - wie der Kläger an anderer Stelle ausführt - mit 165 mg THC bzw. „Dronabinol“ niedriger anzunehmen sein sollte, kann auch diese Menge durch die von Dr. T. angenommene Höchstmenge „Dronabinol“ nicht vollständig substituiert werden. Hinzu kommt, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, dass bei Patienten, die - wie der Kläger - sehr hohe Dosen Cannabis konsumierten, ein Ersetzen durch reines THC bzw. „Dronabinol“ nicht möglich sei, weil dann die ungefilterte Wirkung des THC zu stark durschlage und die Nebenstoffe des Cannabis fehlten, die bei hohen Dosen eine modulierende Wirkung entfalteten. Die entsprechende subjektive Wahrnehmung durch den Kläger konnte der sachverständige Zeuge angesichts anderer Patienten, mit denen er ähnliche Erfahrungen gemacht hat, bestätigen. Dr. H. hält deshalb eine Umstellung des Klägers auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ für nicht möglich. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung des in der Hauptverhandlung im Strafverfahren des Klägers angehörten Sachverständigen Prof. Dr. N. , der es nachvollziehbar und auch aus medizinischer Sicht als verständlich ansah, dass die Einnahme von „Dronabinol“ allein nicht dieselbe Linderung verschafft habe. Denn in „Dronabinol“ befände sich der reine Wirkstoff THC, wogegen bei der Einnahme von Cannabis andere pflanzliche Faktoren bei der Linderung eine Rolle spielen könnten, die allerdings in ihrer Zusammensetzung wissenschaftlich und medizinisch noch nicht erforscht seien (vgl. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 19. Januar 2005 - 310 Js 5518/02 -).
74Der Senat hat keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des als sachverständigen Zeugen angehörten Dr. H. zu zweifeln. Für seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht vor allem der persönliche Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von ihm gewinnen konnte. Etwaige Zweifel, die in seiner politischen Arbeit für die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) begründet sein könnten, sind dadurch ausgeräumt worden, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend deutlich gemacht hat, als Wissenschaftler, als politisch Engagierter und als Arzt in unterschiedlichen Funktionen tätig zu sein und zwischen diesen Tätigkeiten trennen zu können.
75Dem (sinngemäßen) Einwand der Beklagten, es fehle weiterhin an einer Beschreibung des Therapieverlaufs und seines Ergebnisses, um die Frage der gleichen therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ beantworten zu können, folgt der Senat nicht. Die ärztliche Einschätzung von Dr. T. , dass der Kläger bei realistischer Betrachtungsweise nicht auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ umgestellt werden kann, beruht auf Erkenntnissen aus seiner jahrzehntelangen Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis, zuletzt auf dem Therapieversuch nach der Kostenübernahmeerklärung für „Dronabinol“ durch die Krankenkasse. Sie wird zudem bestätigt durch die Feststellungen von Dr. H. , der umfangreiche Erfahrungen mit Patienten hat, die - wie der Kläger - mit Cannabis und/oder „Dronabinol“ behandelt werden. Welche Erkenntnisse darüber hinaus aus einer Dokumentation des gesamten Therapieverlaufs und dessen Ergebnis mit „Dronabinol“ gewonnen werden könnten, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Allein aus dem Fehlen einer schriftlichen Dokumentation des Therapieverlaufs mit „Dronabinol“ im Einzelnen ist jedenfalls - auch angesichts der zahlreichen schriftlichen fachärztlichen Bescheinigungen - nicht zu schließen, dass die dem Senat in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend vermittelte Einschätzung beider Ärzte auf einer fehlenden tatsächlichen Grundlage und von daher nicht medizinisch fundiert getroffen worden ist.
76Hiervon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und seiner Menschenwürde ist dem Kläger der von der Beklagten geforderte stationäre Umstellversuch auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ nicht zuzumuten. Der schwer chronisch kranke Kläger, der derzeit nach den Aussagen seiner behandelnden Ärzte auf eine auf ihn subjektiv gut abgestimmte Therapieform eingestellt ist, muss sich nicht auf eine lediglich theoretische und damit für ihn nicht ansatzweise erfolgversprechende Therapiealternative mit ungewissem Ausgang einlassen. Eine medizinische Indikation, einen stationären Umstellversuch zu erzwingen, besteht nach Aussage des behandelnden Arztes beim Kläger ebenfalls nicht. Auch deshalb ist nicht anzunehmen, dass überhaupt eine Einrichtung gefunden werden kann, die einen solchen stationären Therapieversuch mit Dronabinoldosen jenseits der üblichen Mengen durchführt, und nicht ersichtlich, wer die Kosten hierfür übernimmt, was auch schon dem Umstellversuch im Dezember 2012 entgegenstand. Ein stationärer Umstellversuchs ist zudem als Möglichkeit einer zusätzlichen Tatsachengewinnung nicht erforderlich, weil der Senat die Überzeugung von einer im Falle des Klägers nicht mit Cannabis vergleichbaren Wirkung von „Dronabinol“ bereits auf der Grundlage der schriftlichen und mündlichen Aussagen der sachverständigen Zeugen gewinnen konnte.
77Mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnisse sieht sich der Senat nicht veranlasst, zur Frage der fehlenden vergleichbaren therapeutischen Wirkung von „Dronabinol“ beim Kläger ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die aussagekräftigen schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte reichen aus, um dem Senat die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung von der beim Kläger nicht vergleichbaren Wirkung einer Monotherapie mit „Dronabinol“ zu ermöglichen.
78Soweit die Lebensgefährtin des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Kläger mit Medizinalhanf der Sorte Bedrocan gut zurecht käme, weil er diese Sorte selbst angebaut habe, steht ihm diese Therapiealternative aus rechtlichen Gründen sowie im Hinblick auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch aus Kostengründen tatsächlich nicht zur Verfügung. Aufgrund der zwischenzeitlich durch die AOK S. -O. -P. erklärten Kostenübernahme für „Dronabinol“ und der damit nach Auffassung der Beklagten verbundenen Therapiealternative sieht sie sich bereits daran gehindert, dem Kläger eine Erwerbserlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen, die Voraussetzung für den Erwerb von Medizinalhanf aus der Apotheke ist. Außerdem kann der Kläger, der eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente von derzeit ca. 890,00 Euro bezieht, die monatlichen Kosten der von ihm benötigen Monatsdosis Cannabis nicht selbst tragen. Während die von ihm benötigten ca. 100 g „Cannabis flos Bedrocan“ monatliche Kosten von mindestens 400,00 Euro, wenn nicht sogar von 1.600,00 Euro, verursachen würden, entstehen ihm durch den Eigenanbau von Cannabis monatliche Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. in Höhe von ca. 110 Euro.
79Der Kläger bekommt die Kosten für „Cannabis flos Bedrocan“ auch nicht von seiner Krankenkasse erstattet. Dies ergibt sich aus der Ablehnung der Kostenübernahme durch die AOK S. -O. -P. vom 7. Juni 2013, die sie zuletzt auf Nachfrage des Senats am 10. Juni 2014 nochmals bestätigt hat. Dass nach der Beweisaufnahme für den Senat feststeht, dass „Dronabinol“ beim Kläger nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit hat wie Cannabis, rechtfertigt nicht die Annahme, die AOK S. -O. -P. werde nunmehr die Kostenübernahme für Medizinalhanf erklären. Dies folgt schon daraus, dass die Kostenübernahme nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 25. April 2013 nicht mit einer alternativen Therapiemöglichkeit mit dem Wirkstoff „Dronabinol“, sondern damit abgelehnt worden ist, dass zum einen beim Kläger keine schwere, lebensbedrohliche oder dem gleichzustellende Erkrankung vorliege und zum anderen die Möglichkeiten der Standardtherapie - hier mit Sativex - nicht ausgeschöpft seien. Es ist dem schwer kranken Kläger nicht mehr zumutbar, ein weiteres Mal den sozialgerichtlichen Klageweg hiergegen auszuschöpfen. Es liegt nicht in der Hand des Klägers, die rechtlichen Rahmenvorgaben für die Zulassung bzw. die krankenkassenrechtliche Kostenübernahme von Medizinalhanf als weitere Behandlungsalternative zu schaffen. Etwas anderes gilt im Hinblick auf den Ausnahmecharakter einer Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis allerdings dann, wenn dem Kläger in Zukunft eine Kostenübernahme für Medizinalhanf erteilt werden würde.
80Der Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis stehen weiter keine zwingenden Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG entgegen. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken modifiziert anzuwenden sind. § 5 Abs. 1 BtMG ist ‑ ebenso wie §§ 6, 7 BtMG - ersichtlich nicht auf Privatpersonen zugeschnitten, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren. Nachdem aber nach § 3 Abs. 2 BtMG auch für diese Personen die Erteilung einer Erlaubnis in Betracht kommt, ist § 5 Abs. 1 BtMG modifziert anzuwenden. Einerseits ist der Schutzzweck der Vorschrift zu beachten, andererseits darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, dass die Erteilung einer Erlaubnis an Privatpersonen, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren, praktisch ausscheidet oder unzumutbar erschwert wird.
81Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. März 2007
82- 13 E 1542/06 ‑, juris.
83Hiervon ausgehend erweist sich die Annahme des BfArM im Versagungsbescheid vom 6. Dezember 2007, der Erteilung der Erlaubnis stehe der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG entgegen, als rechtwidrig, weil sie die modifizierte Anwendung dieser Vorschrift außer Acht lässt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BtMG wird der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln, die keine Arzneimittel sind, durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln erbracht. Diese (strengen) Voraussetzungen dürfte der Kläger zwar offensichtlich nicht erfüllen. Jedoch ist auch § 6 Abs. 2 BtMG auf die Fallgestaltung des privaten Eigenanbaus von Cannabis aus therapeutischen Gründen modifiziert anzuwenden. Um dem Betroffenen die Erteilung der Erlaubnis nicht unzumutbar zu erschweren, kann eine sachkundige Betreuung auch auf andere Weise sichergestellt werden. Dabei käme zum einen in Betracht, den Hausarzt des Klägers, Dr. C. , als Verantwortlichen zu benennen. Dass eine Bereitschaft des Hausarztes Dr. C. zur Übernahme entsprechender Pflichten nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren. Dort hatte der Kläger bereits mit Schriftsatz vom 30. Mai 2007 darauf hingewiesen, dass sich sein Hausarzt Dr. C. zur Unterstützung bereit erklärt habe. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger aufgrund des jahrelangen - nach § 34 StGB gerechtfertigten - Eigenanbaus von Cannabis selbst bereits weitreichende Sachkenntnis gerade hinsichtlich der von ihm verwendeten Cannabissorte angeeignet hat. Abgesehen davon kann das BfArM gemäß § 6 Abs. 2 BtMG im Einzelfall auch von den in Absatz 1 genannten Anforderungen an die Sachkenntnis abweichen, wenn die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen gewährleistet sind. Das BfArM hat das ihm zustehende Ermessen bislang noch nicht ausgeübt, da es das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BtMG zu Unrecht verneint hat. Es hat in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 ausgeführt, dass eine Abweichung von § 6 Abs. 1 BtMG nicht möglich sei, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet seien, und zur Begründung sinngemäß auf die Ausführungen zum Vorliegen der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG verwiesen. Diese Begründung greift jedoch nicht, da die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG - wie nachfolgend ausgeführt ‑ nicht gegeben sind.
84Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind. Wer am Betäubungsmittelverkehr teilnimmt, hat die Betäubungsmittel, die sich in seinem Besitz befinden, gesondert aufzubewahren und gegen unbefugte Entnahme zu sichern (§ 15 Satz 1 BtMG). Das BfArM kann Sicherungsmaßnahmen anordnen, soweit es nach Art oder Umfang des Betäubungsmittelverkehrs, dem Gefährdungsgrad oder der Menge der Betäubungsmittel erforderlich ist (§ 15 Satz 2 BtMG).
85Die Vorschrift soll verhindern, zumindest erschweren, dass der illegale Betäubungsmittelhandel sich im Wege des Diebstahls, der Unterschlagung oder der unbefugten Entnahme aus legalen Betäubungsmitteldepots versorgt. Um die Diebstahlsgefahr möglichst gering zu halten, wird der Erlaubnisinhaber deshalb je nach Menge und Gefährdungsgrad der Betäubungsmittel zu besonderen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet.
86Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 1.
87Das BfArM hat Richtlinien entwickelt, wie Betäubungsmittelvorräte von Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG besonders gegen unbefugte Wegnahme zu sichern sind. Diese Richtlinien (Stand: 1. Januar 2007) unterscheiden drei Vorkehrungen, und zwar 1. Aufbewahrung in (zertifizierten Wertschutz‑)Schränken, 2. Aufbewahrung in Räumen und 3. zusätzliche elektrische Überwachung.
88Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 2.
89Entgegen der Auffassung der Beklagten finden diese Richtlinien beim Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung zur medizinischen Eigenbehandlung des Wohnungsinhabers aber keine Anwendung. Die Richtlinien sind - ebenso wie die Regelung in § 5 Abs. 1 BtMG selbst - nicht auf diese Fallkonstellation zugeschnitten, weil die darin geforderten Sicherungsmaßnahmen (z. B. zertifizierte Wertschutzschränke und -türen) und die hierfür anfallenden Kosten ersichtlich außer Verhältnis zu dem Gefahrenpotential stehen, das die wenigen für die Eigentherapie benötigten Cannabispflanzen bergen. Von Privatpersonen können daher nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen verlangt werden.
90Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. März 2007 - 13 E 1542/06 - und vom 16. November 2011 ‑ 13 B 1199/11 ‑, jeweils juris.
91Hiervon ausgehend greift die Begründung des BfArM in seinen Bescheiden vom 6. Dezember 2007 und 10. August 2010, wonach bereits mangels Einhaltung der Richtlinien vom 1. Januar 2007, insbesondere zur Aufbewahrung der Cannabisvorräte in einem zertifizierten Wertschutzschrank, der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG gegeben sei, nicht durch. Vielmehr können von dem Kläger nur zumutbare und dem Sicherungszweck angemessene Sicherungsmaßnahmen verlangt werden. Die vom Kläger bereits mit Schriftsatz vom 10. Mai 2010 detailliert benannten ‑ zum Teil noch im Planungsstadium befindlichen - Sicherungsmaßnahmen sind mit Blick auf Art und Umfang des Betäubungsmittelverkehrs (Cannabisanbau ausschließlich zum Eigenkonsum) sowie auf den Gefährdungsgrad (gering frequentierte Wohnung des Klägers) als ausreichend anzusehen. Gegen ein Eindringen Unbefugter von außen schützen zunächst die dreifach verriegelte Wohnungseingangstür und die sicherheitsverglasten, sechsfach verriegelten Fenster, die zudem mit einem Aufhebelschutz versehen sind. Befindet sich das Badezimmerfenster in Kippstellung, sorgt die geplante Anbringung eines Gitters für den erforderlichen Schutz. Die Pflanzen sind auch innerhalb der Wohnung ausreichend gegen eine unbefugte Entwendung geschützt. Die Wohnung des Klägers wird kaum von Dritten frequentiert; der Kläger bewohnt die Wohnung zusammen mit seiner Lebensgefährtin und erhält wenig Besuch. Die Kranken-gymnastin, die eine Zeit lang die Wohnung regelmäßig aufgesucht hat, hat ihre Tätigkeit beendet. Die Frage, ob die Wohnung künftig durch externes Pflege-personal aufgesucht wird, stellt sich noch nicht. Für die fernliegende Möglichkeit, dass ein Dritter das Badezimmer des Klägers aufsucht, ist ebenfalls ausreichend Schutz gewährleistet. Die Pflanzen in der Blühphase (2 x 8 Pflanzen) dürften für einen Dritten nicht ohne Weiteres sichtbar sein, weil sie in der gemauerten Dusche unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe herangezogen werden. Jeden-falls würde dem Kläger angesichts der überschaubaren Menge das Fehlen einer Pflanze sofort auffallen. Im Übrigen hat der Kläger die Anbringung eines Fingerprintschlosses angeboten, so dass er das Aufsuchen seines Badezimmers unter Kontrolle hätte. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) sind in einem Schrank aufbewahrt; ein überschüssiger Ertrag aus den getrockneten Blüten von 8 Pflanzen, der nach Angaben des Klägers in etwa seinen Monatsbedarf an 100 g Cannabis deckt, wird in einem Tresor gelagert. Darüber hinaus hat der Kläger ein erhebliches Eigeninteresse, dass das Cannabis nicht an Dritte gelangt, weil er es zur Behandlung selbst benötigt. Für den ‑ seltenen - Fall seiner Abwesenheit will der Kläger ebenfalls vorsorgen. Er beabsichtigt die Überwachung der Tür zum Badezimmer und des Fensters mit einer IP-Kamera, die aufgrund eines programmierten Bewegungsmelders bei Bewegungen im Raum eine E-Mail mit Bildern an ein Handy schickt. In diesem Fall könnte der Kläger umgehend die Polizei benachrichtigen.
92Dass die dargestellten Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, hat das BfArM auch im Berufungsverfahren nicht substantiiert dargelegt. Entgegen der Auffassung des BfArM kommt - mit Blick auf § 15 Satz 2 BtMG ‑ auch eine Erlaubniserteilung unter Auflagen in Betracht. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BtMG kann die Erlaubnis befristet, mit Bedingungen erlassen oder mit Auflagen versehen werden, wenn dies zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Damit können die Nebenbestimmungen auch zwingende Versagungsgründe des § 5 BtMG ausräumen.
93Vgl. VG Berlin, Urteil vom 27. Juni 1996 - VG 14 A 134/94 -, NJW 1997, 816; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 9, Rn. 9.
94Das BfArM kann daher eine Erlaubnis unter der Auflage, bestimmte Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen, erteilen, und damit auch für eine Umsetzung der bislang nur im Planungsstadium befindlichen Sicherheitsvorkehrungen sorgen.
95Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG ist nicht gegeben. Hiernach ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn durch das beantragte Projekt die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet sind.
96Die Erteilung einer Anbauerlaubnis geringer Cannabismengen zur therapeutischen Behandlung einer schweren Krankheit unter ärztlicher Aufsicht verstößt nicht generell gegen § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG, da eine ärztliche Betreuung die erforderliche Sicherheit und Kontrolle gewährleisten kann.
97Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 5, Rn. 14 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑; Weber, BtMG, Kommentar, 4. Auflage 2013, § 5, Rn. 33 unter Bezugnahme auf OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2012 - 13 A 414/11 -.
98Hiervon ausgehend liegt ein Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das vom Kläger (in einer überschaubaren Menge) angebaute Cannabis dem illegalen Betäubungsmittelverkehr zugeführt werden könnte. Der Kläger hat substantiiert dargelegt, dass er das angebaute Cannabis zur Eigentherapie benötigt und die geernteten Blüten ausschließlich für den Eigenverbrauch weiter verarbeitet bzw. - im Ausnahmefall - nicht benötigte Blüten im Tresor aufbewahrt und die Reste der Pflanzen zu Kompost und Dünger verarbeitet. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des angebauten Cannabis durch den Kläger. Zwar hat das BfArM in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 darauf verwiesen, dass ein Betäubungsmittelverkehr zu therapeutischen Zwecken mit Pflanzenteilen, die hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit in keiner Weise arzneimittelrechtlichen Standards entsprechen könnten, weder sicher sein noch wirksam kontrolliert werden könne. Der Senat geht aber in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich der Wirksamkeit und der Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte verfügt und die von ihm praktizierte Vermehrungsmethode eine relative Gewähr für einen konstanten THC-Gehalt der Cannabispflanzen bietet. Auch hat der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren klargestellt, dass der Eigenanbau unter hausärztlicher Kontrolle erfolge. Abgesehen davon ist dem Kläger die fehlende konkrete Bestimmung des THC-Gehalts des von ihm angebauten Cannabis nicht anzulasten, da diese derzeit aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Das BfArM hat bereits in seinem an das BMG gerichteten Schreiben vom 29. Juni 2010 darauf hingewiesen, dass derartige Untersuchungen von den entsprechenden Einrichtungen nicht ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis durchgeführt werden.
99Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist.
100Angesichts der nunmehr belegten unzureichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf durch die AOK S. -O. -P. ist der vom Kläger beantragte Eigenanbau von Cannabis nach den obigen Ausführungen derzeit für seine medizinische Versorgung notwendig und geeignet. Kann der Kläger deshalb seine notwendige medizinische Versorgung gegenwärtig nur durch den Eigenanbau von Cannabis sicherstellen, ist es auch hinzunehmen, dass bei dem schwer kranken Kläger inzwischen eine Betäubungsmittelabhängigkeit entstanden ist.
101Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 BtMG mit der Begründung versagt werden, die Erlaubniserteilung verlange nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl II, S. 111; im Folgenden: ÜK 1961) die Einrichtung einer Cannabis-Agentur, die aber nicht geplant sei. Gemäß § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis (u. a.) versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen entgegensteht. Einer Entscheidung zu Gunsten des Klägers steht das ÜK 1961 nicht entgegen. Zum einen bringt das ÜK 1961 in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 3, Rn. 77.
103Zum anderen finden - entgegen der im Schreiben vom 30. Juli 2010 vertretenen Auffassung des INCB - Art. 28 Abs. 1, 23 ÜK 1961, die bei einer Erlaubniserteilung für den Anbau von Cannabis die Errichtung einer staatlichen Stelle vorsehen, auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Die Bestimmungen sind nach ihrem Sinn und Zweck auf den Fall der Erlaubniserteilung an eine Einzelperson zu therapeutischen Zwecken nicht anwendbar. Gestattet eine Vertragspartei den Anbau von Cannabis zur Gewinnung von Cannabis oder Cannabisharz, so errichtet sie, wenn dies nicht bereits geschehen ist, und unterhält eine oder mehrere staatliche Stellen zur Wahrnehmung der in diesem Artikel vorgesehenen Aufgaben (Art. 28 Abs. 1 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 ÜK 1961). Ausweislich der in Art. 23 ÜK 1961 geregelten Aufgabenzuteilung spricht aber Überwiegendes dafür, dass der „Stelle“, die in der BRD als Cannabis-Agentur eingerichtet würde, nur die Kontrolle über den großflächigen Anbau von Cannabis obliegt und jedenfalls der vorliegende Einzelfall des Eigenanbaus von maximal 24 Cannabispflanzen, die aus therapeutischen Zwecken zum absehbaren Eigenverbrauch gedacht sind, ersichtlich nicht erfasst ist. So bezeichnet etwa die Stelle die Gebiete und Landparzellen, auf denen der Anbau von Cannabis gestattet wird (Art. 23 Abs. 2 a) ÜK 1961) und kauft, nachdem alle Anbauer von Cannabis die gesamte Ernte abgeliefert haben, die geernteten Mengen und nimmt sie körperlich in Besitz (Art. 23 Abs. 2 d) ÜK 1961). Für eine derartige Vorgehensweise besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung. Der Kläger verbraucht das von ihm ‑ in einer überschaubaren Menge ‑ angebaute Cannabis unmittelbar nach der Ernte zu therapeutischen Zwecken. Abgesehen davon hätte die Einrichtung einer Cannabis-Agentur im vorliegenden Fall die geradezu absurde Folge, dass der schwer kranke Kläger, der mangels Behandlungsalternative auf die ständige Verfügbarkeit des von ihm angebauten Cannabis sativa angewiesen ist, die von ihm geerntete (verhältnismäßig geringe) Cannabisernte an die Cannabis-Agentur verkaufen müsste, um sie sodann zurück zu erwerben. Wie zudem die praktische Abwicklung einer derartigen Prozedur dem in N. wohnhaften und durch seine Krankheit an die Wohnung gebundenen Kläger innerhalb eines zumutbaren zeitlichen Rahmens möglich sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
104Abgesehen davon erweist sich eine - wie vom BfArM im Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 getroffene - Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 BtMG aber auch bei Annahme eines Verstoßes gegen das ÜK 1961 als fehlerhaft. Die Ermessenskontrolle ist zwar ihrer Natur nach eine nachvollziehende Kontrolle, dennoch beschränkt sie sich nicht auf die Suche nach der Berücksichtigung sachwidriger Gesichtspunkte. Eine Ermessensentscheidung ist (auch) fehlerhaft, wenn wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen werden, die zu berücksichtigen gewesen wären.
105Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 19. Auflage 2013, § 114 Rn. 12; Wolf, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Auflage 2014, § 114, Rn. 178.
106So liegt hier der Fall, weil das BfArM ausschließlich auf im öffentlichen Interesse liegende Gesichtspunkte abstellt und geltend macht, dass eine Verletzung der sich aus dem ÜK 1961 ergebenden Pflichten die enge Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit dem INCB belastet. Insoweit lässt es wesentliche Belange des Klägers außer Acht, die für die Erteilung der Erlaubnis sprechen. Das BfArM hätte konkret auch die Schwere der Erkrankung des Klägers, die fehlende alternative Behandlungsmöglichkeit und seine hochrangigen Schutzgüter aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berücksichtigen müssen. Ferner hätte es bei seiner Ermessensausübung mit Blick auf die besondere Notlage des Klägers zu seinen Gunsten beachten müssen, dass der Kläger selbst die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht beeinflussen kann.
107Ebenso erweisen sich angesichts der fehlenden ausreichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf die bislang vom BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG getroffenen Ermessenserwägungen als fehlerhaft. Das BfArM geht insoweit zu Unrecht vom Vorliegen einer verfügbaren konkreten Therapiemöglichkeit mit cannabishaltigen Präparaten aus, da diese für den Kläger angesichts seiner geringen Einkünfte tatsächlich nicht erreichbar sind.
108Das Fehlen zwingender Versagungsgründe rechtfertigt es indes nicht, die Beklagte entsprechend dem Antrag des Klägers zur Erteilung der Erlaubnis zu verpflichten, vielmehr steht die begehrte Erlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 -, juris.
110Bei der Ausübung des Ermessens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats wird das BfArM insbesondere § 6 Abs. 2 BtMG zu prüfen sowie über mögliche Nebenbestimmungen zur Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 BtMG zu entscheiden haben.
111Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
112Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
113Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Hinblick auf die modifizierende Anwendung der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG vorliegen.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen abgegeben hat über
- 1.
die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung, - 2.
die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und - 3.
die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.
(1a) Für ein Methodenbewertungsverfahren, für das der Antrag nach Absatz 1 Satz 1 vor dem 31. Dezember 2018 angenommen wurde, gilt Absatz 1 mit der Maßgabe, dass das Methodenbewertungsverfahren abweichend von Absatz 1 Satz 5 erst bis zum 31. Dezember 2020 abzuschließen ist.
(2) Für ärztliche und zahnärztliche Leistungen, welche wegen der Anforderungen an ihre Ausführung oder wegen der Neuheit des Verfahrens besonderer Kenntnisse und Erfahrungen (Fachkundenachweis), einer besonderen Praxisausstattung oder anderer Anforderungen an die Versorgungsqualität bedürfen, können die Partner der Bundesmantelverträge einheitlich entsprechende Voraussetzungen für die Ausführung und Abrechnung dieser Leistungen vereinbaren. Soweit für die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, welche als Qualifikation vorausgesetzt werden müssen, in landesrechtlichen Regelungen zur ärztlichen Berufsausübung, insbesondere solchen des Facharztrechts, bundesweit inhaltsgleich und hinsichtlich der Qualitätsvoraussetzungen nach Satz 1 gleichwertige Qualifikationen eingeführt sind, sind diese notwendige und ausreichende Voraussetzung. Wird die Erbringung ärztlicher Leistungen erstmalig von einer Qualifikation abhängig gemacht, so können die Vertragspartner für Ärzte, welche entsprechende Qualifikationen nicht während einer Weiterbildung erworben haben, übergangsweise Qualifikationen einführen, welche dem Kenntnis- und Erfahrungsstand der facharztrechtlichen Regelungen entsprechen müssen. Abweichend von Satz 2 können die Vertragspartner nach Satz 1 zur Sicherung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung Regelungen treffen, nach denen die Erbringung bestimmter medizinisch-technischer Leistungen den Fachärzten vorbehalten ist, für die diese Leistungen zum Kern ihres Fachgebietes gehören. Die nach der Rechtsverordnung nach § 140g anerkannten Organisationen sind vor dem Abschluss von Vereinbarungen nach Satz 1 in die Beratungen der Vertragspartner einzubeziehen; die Organisationen benennen hierzu sachkundige Personen. § 140f Absatz 5 gilt entsprechend. Das Nähere zum Verfahren vereinbaren die Vertragspartner nach Satz 1. Für die Vereinbarungen nach diesem Absatz gilt § 87 Absatz 6 Satz 10 entsprechend.
(3) bis (6) (weggefallen)
Tenor
-
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozial-gerichts vom 6. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
-
Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
- 1
-
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Regressbescheides wegen der Verordnung von zwei Arzneimitteln für Krebskranke.
- 2
-
Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin (Arzt für Onkologie und für Pneumologie
), Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes eines Krankenhauses mit einem Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie und zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Er verordnete in den Quartalen II/2001, IV/2002 und I bis III/2003 bei Patienten, die bei der zu 1. beigeladenen Krankenkasse (KK) versichert waren, die Arzneimittel Megestat und Dronabinol. Auf Antrag der Beigeladenen zu 1. setzte der Prüfungsausschuss gegen den Kläger einen Regress von ca 1960 Euro fest; die beklagte Prüfungseinrichtung wies den Widerspruch des Klägers zurück (Bescheide vom 23.9.2004 und vom 5.1.2006) : Megestat sei nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen; die vom Kläger behandelten Patienten seien dagegen an Bronchialkrebs oder Karzinomen der Thoraxorgane erkrankt gewesen. Das Arzneimittel Dronabinol sei in Deutschland überhaupt nicht zugelassen.
- 3
-
Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 30.4.2008; Urteil des LSG vom 6.10.2009, Parallelurteil veröffentlicht in NZS 2010, 394, und in einer Kurzfassung in MedR 2010, 256). Im Urteil des LSG ist unter anderem ausgeführt, der Kläger habe die Arzneimittel Megestat und Dronabinol nicht zu Lasten der gesetzlichen KK verordnen dürfen. Megestat sei nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen. Die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen bei anderen Tumorerkrankungen zur Behebung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) stellten keinen zulässigen Off-Label-Use dar. Ausreichende wissenschaftlich nachprüfbare Studien, die die Eignung und Unbedenklichkeit der Arzneimittel auch im Falle anderer Krebsarten, insbesondere bei Bronchialkrebs, belegen könnten, ergäben sich aus den vorliegenden und den vom Kläger angeführten Stellungnahmen nicht. Es fehle auch an der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der Risiken thromboembolischer und vaskulärer Komplikationen. Das vom Kläger verordnete Dronabinol sei in Deutschland überhaupt nicht zugelassen, es sei hier nur als Rezepturarzneimittel verkehrsfähig. So unterliege es nicht dem Zulassungsverfahren nach dem AMG; aber die damit durchgeführte pharmakologische Therapie erfordere eine empfehlende Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V oder, da eine solche nicht vorliege, sonstiger ausreichender Belege ihrer Eignung und Unbedenklichkeit. Solche Belege lägen aber für die bei den Patienten des Klägers in Rede stehenden Krebserkrankungen nicht vor; auch hier fehle es an der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der genannten Risiken. Die Zulässigkeit der Verordnungen von Megestat und/oder Dronabinol ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der abgeschwächten Anforderungen des BVerfG-Beschlusses vom 6.12.2005. Denn die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen dieser Arzneimittel seien nicht darauf angelegt, auf die lebensbedrohliche (Krebs-)Erkrankung selbst einzuwirken, sondern hätten sich allein gegen die im Endstadium dieser Erkrankung auftretende Kachexie gerichtet. Der Gesichtspunkt, dass dies die Lebensqualität des Erkrankten in seiner Endphase insgesamt deutlich verbessert habe, reiche nicht aus.
- 4
-
Mit seiner Revision erhebt der Kläger sowohl inhaltliche als auch verfahrensbezogene Rügen. Das LSG habe verkannt, dass ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der von ihm - dem Kläger- vorgenommenen Behandlungen vorgelegen hätten. Als Beleg dürften außerhalb des AMG-Zulassungsverfahrens keine sog Phase III-Studien gefordert werden, vielmehr reiche der Konsens in einschlägigen Fachkreisen über den voraussichtlichen Nutzen aus. Dieser Konsens werde durch die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Veröffentlichungen und Stellungnahmen, insbesondere auch die zusammenfassenden Metaanalysen, belegt. Das LSG habe die vorgelegten umfangreichen Studien nicht angemessen ausgewertet. Wenn das LSG diese nicht als ausreichend angesehen habe, hätte es ein Sachverständigengutachten einholen müssen; hierzu hätte es sich angesichts der Mängel des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) gedrängt fühlen müssen. Bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen des LSG hätte sich ergeben, dass schon im Zeitpunkt der von ihm - dem Kläger - durchgeführten Behandlungen ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit vorgelegen hätten und ein Konsens in Fachkreisen bestanden habe. Die Rechtswidrigkeit des Regresses ergebe sich ferner daraus, dass ein Anspruch der Versicherten auf die durchgeführten Behandlungen aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) bestanden habe. Außer einer - auch vom LSG anerkannten - lebensbedrohlichen Erkrankung und dem Fehlen einer Therapiealternative habe auch eine Aussicht auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Zwar seien die Behandlungen mit Megestat und Dronabinol nicht auf die Heilung des Tumors als solchen angelegt gewesen, aber sie seien gegen die mit diesem Grundleiden einhergehende - nicht eigenständige - (Begleit-)Erkrankung der (Tumor-)Kachexie gerichtet gewesen und durch die Bekämpfung der damit einhergehenden weiteren Krankheitsauswirkungen wie starke Abmagerung, allgemeiner Kräfteverfall, Appetitlosigkeit und Apathie geeignet gewesen, eine Gewichtszunahme, eine Stärkung des Organismus und eine Förderung des psychischen Wohlbefindens und des Lebenswillens zu bewirken und damit zu einer Verlängerung der lebenswerten Lebenszeit und auch zu einer - manchmal sogar signifikanten - Verlängerung des Lebens insgesamt zu führen. Die Annahme des LSG, er - der Kläger - habe die Verlängerung der Lebensdauer nicht als Behandlungsziel angegeben, sei unrichtig; wenn das LSG sein Vorbringen derart eingeschränkt gesehen habe, hätte es ihn zumindest darauf hinweisen müssen. Die Auffassung, die Anwendungen von Megestat und Dronabinol seien ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet gewesen, verletze die Grenzen der freien Beweiswürdigung; sie sei auch weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Aber selbst wenn man die Lebensverlängerung außer Betracht lasse, sei nach den Vorgaben des BVerfG eine Leistungspflicht anzuerkennen. Der Entscheidung vom 6.12.2005 sei nicht zu entnehmen, dass sich die spürbare positive Auswirkung auf die lebensbedrohliche Krankheit selbst beziehen müsse. Der vorliegende Fall der Linderung von Krankheitsbeschwerden einer lebensbedrohlichen Erkrankung werde von den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG mitumfasst. Nicht tragfähig sei schließlich das Argument des LSG, durch Akzeptieren der Behandlung mit Megestat und/oder Dronabinol würde das Erfordernis der Arzneimittelzulassung und das Arzneimittelzulassungsverfahren entwertet. Bei schwerwiegenden Krebserkrankungen falle nach dem Grundsatz "je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen", die Nutzen-Risiko-Analyse eindeutig positiv aus. Dabei sei eine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Behandlung durch den Kläger als langjährigem Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes an dem einer Universität angeschlossenen Lehrkrankenhaus evident gewährleistet.
- 5
-
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30. April 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2006 aufzuheben,
hilfsweise,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
- 6
-
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 7
-
Sie verteidigt das Urteil des LSG. Das LSG habe zu Recht verneint, dass die Eignung und Unbedenklichkeit der vom Kläger durchgeführten Behandlungen mit Megestat und/oder Dronabinol hinreichend belegt seien. Die Studien belegten auch keinen Konsens über eine Verbesserung der Lebensqualität durch solche Behandlungen, zumal nicht für den Zeitpunkt der durchgeführten Behandlung. Jedenfalls sei deren Einsatz nicht darauf ausgerichtet gewesen, auf die lebensbedrohliche Tumorerkrankung selbst einzuwirken. Zudem würden unkalkulierbare Risiken in Kauf genommen, sodass ein Heilversuch vorliege, der gesonderten Regelungen und Voraussetzungen unterliege. Es reiche nicht aus, dass der Kläger für seine Patienten angebe, diese hätten von der Arzneigabe kurzfristig profitiert. Auch hätte er die Entwicklung bei seinen Patienten umfassend dokumentieren müssen.
- 8
-
Die Beigeladenen geben im Revisionsverfahren keine Stellungnahme ab.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision des Klägers ist sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem Hilfsantrag unbegründet. Das angefochtene Urteil des LSG lässt keine Verletzung von Bundesrecht erkennen. Der angefochtene Arzneikostenregress ist nicht zu beanstanden.
- 10
-
A. Rechtsgrundlage des angefochtenen Arzneikostenregresses ist § 106 Abs 2 SGB V(hier zugrunde zu legen idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626, die auch in den weiteren Jahren 2001 bis 2003 galt; zur Maßgeblichkeit des § 106 Abs 2 SGB V für Verordnungsregresse in Fallkonstellationen der vorliegenden Art vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 14 iVm 21 ff mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16 iVm 25 f mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, entweder nach Durchschnittswerten oder anhand von Richtgrößenvolumina (§ 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2) , geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der KKn mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) gemäß § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren(vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16) . Diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen. Einzelfallprüfungen sind insbesondere dann sachgerecht - und die Wahl dieser Prüfmethode rechtmäßig -, wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Behandlungs- oder Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 aaO RdNr 14) .
- 11
-
Wie sich aus den Urteilen des Senats vom 5.5.2010 und vom 18.8.2010 ergibt, handelt es sich bei den vorliegenden Streitigkeiten über die vertragsarztrechtliche Zulässigkeit von Arzneiverordnungen um einen Fall des § 106 SGB V und nicht um einen Regress "wegen sonstigen Schadens" im Sinne des § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte(BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 20 bis 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, und BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 25 f, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Denn vorliegend steht ein Fehler der Verordnung selbst in Frage, wie dies bei Verstößen gegen die Arzneimittel-Richtlinie bzw bei Verordnungen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel und auch bei Verordnungen außerhalb der nach dem AMG erteilten Zulassung der Fall ist (vgl BSG vom 18.8.2010 aaO RdNr 25 am Ende) .
- 12
-
B. Der Regressbescheid war rechtmäßig. Die Voraussetzungen für einen Regress im Wege der Einzelfallprüfung gemäß § 106 SGB V waren erfüllt. Der Kläger durfte die Arzneimittel Megestat und Dronabinol nicht zur Behandlung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) bei Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane verordnen.
- 13
-
Dies folgt für Megestat daraus, dass dessen Zulassung nach dem AMG nur für die Anwendung bei der Kachexie im Falle von Brust- und Gebärmutterkrebs erfolgt war, sodass die Verordnung von Megestat bei anderen Krebsarten einen Off-Label-Use darstellte. Dessen Voraussetzungen waren nicht erfüllt, insbesondere waren die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes dieses Arzneimittels nicht ausreichend belegt (unten 1.). Für Dronabinol ergibt sich die Unzulässigkeit der Verordnungen des Klägers daraus, dass es in Deutschland nicht zugelassen, hier vielmehr nur als Rezepturarzneimittel verkehrsfähig war, ohne dass aber der G-BA für eine pharmakologische Therapie unter Einsatz dieses Medikaments eine empfehlende Richtlinie gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V erlassen hat. Es lagen auch keine sonstigen ausreichenden Belege seiner Eignung und Unbedenklichkeit vor (unten 2.). Schließlich können die Verordnungen von Megestat und Dronabil auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung und den dafür vom BVerfG herausgestellten abgeschwächten Anforderungen gerechtfertigt werden (unten 3.).
- 14
-
1. Die Verordnungsfähigkeit eines Fertigarzneimittels wie Megestat ist in erster Linie danach zu beurteilen, mit welchen Maßgaben es im Arzneimittelzulassungsverfahren nach dem AMG zugelassen wurde. In diesem Verfahren werden Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit anhand vom Arzneimittelhersteller vorzulegender Studien überprüft (vgl §§ 21, 22, 24, 25 Abs 5 Satz 1 AMG) . Die Zulassung des Arzneimittels erfolgt nicht unbegrenzt, sondern nur nach Maßgabe der anhand der Studien ausgewiesenen und überprüften Anwendungsgebiete (vgl § 22 Abs 1 Nr 6 AMG und dazu BSGE 89, 184, 186 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 30 f). So erfolgte die Zulassung von Megestat, wie im Urteil des LSG festgestellt worden ist, für die palliative Behandlung bei Brust- und Gebärmutterkrebs und hier für den Einsatz gegen die bei solchen Krebsbehandlungen auftretende Kachexie.
- 15
-
Der Kläger setzte Megestat indessen nicht in diesem Anwendungsgebiet ein. Zwar waren die Verordnungen des Klägers auch gegen die bei Krebsbehandlungen auftretende Kachexie gerichtet, aber nicht im Zusammenhang mit Brust- und Gebärmutterkrebs von Frauen. Er verordnete Megestat vielmehr gegen die Kachexie insbesondere bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane. Mithin lag ein Off-Label-Use vor.
- 16
-
Ein Off-Label-Use ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht das Verfahren nach dem AMG durchlaufen wurde, das mit der Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auf die Gewährleistung von Arzneimittelsicherheit angelegt ist. Wie vom 1. Senat des BSG in langjähriger Rechtsprechung wiederholt herausgestellt und vom 6. Senat weitergeführt worden ist, müssen für einen zulässigen Off-Label-Use - zum einen - eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen (dh eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung), und es darf - zum anderen - keine andere - zugelassene - Therapie verfügbar sein, und - zum dritten - aufgrund der Datenlage muss die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betroffenen Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (so zB BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 21, 23, 26 mit Hinweis auf die stRspr; vgl auch Senatsurteile vom 5.5.2010, zB - B 6 KA 6/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 51 f und - B 6 KA 20/09 R - in RdNr 46 f sowie - B 6 KA 24/09 R - in RdNr 18 ff). Abzustellen ist dabei auf die im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (BSG vom 28.2.2008 aaO RdNr 21). Das Erfordernis der Aussicht auf einen Behandlungserfolg umfasst dabei nicht nur die Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels, sondern schließt auch ein, dass mit der Medikation keine unvertretbaren Nebenwirkungen und Risiken verbunden sein dürfen. Gerade die Notwendigkeit der Analyse und Gewichtung eventueller unzuträglicher Nebenwirkungen ist ein zentrales Element des Überprüfungsstandards, auf den die Neugestaltung des AMG vom 24.8.1976 ausgerichtet ist, deren Konzeption ihren Ursprung in den Erfahrungen der 1960er Jahre mit den nicht ausreichend analysierten Nebenwirkungen von Contergan hat (vgl hierzu BR-Drucks 552/74 S 43 und BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 21) . Soll die Verordnung eines Arzneimittels ausnahmsweise ohne derartige Gewähr der Arzneimittelsicherheit in Betracht kommen, so müssen für diesen Off-Label-Use anderweitig Qualitätsstandards, die dem Einsatz im Rahmen der Zulassungsindikation vergleichbar sind, gewährleistet und hinreichend belegt sein. Dabei muss auch gesichert sein, dass von der Off-Label-Medikation keine unzuträglichen Nebenwirkungen ausgehen; die Patienten sollen vor unkalkulierbaren Risiken geschützt werden (vgl BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22 RdNr 18 mwN; s auch zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 33).
- 17
-
Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, sind nicht alle für einen Off-Label-Use bestehenden Regelvoraussetzungen erfüllt. Das LSG hat, ohne dass seine Ausführungen insoweit revisionsgerichtlich zu beanstanden wären (zu den vom Kläger dagegen erhobenen Verfahrensrügen siehe unten D.) , ausgeführt, dass es sich zwar bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane um schwerwiegende Erkrankungen handelt. Das LSG hat auch die weitere Voraussetzung, dass keine andere zugelassene Therapie zur Verfügung gestanden hat, tendenziell bejaht: Es hat dargelegt, die Ansicht der Beklagten sei unzutreffend, die Patienten könnten auf die Gabe hochkalorischer Kost verwiesen werden; denn dies stelle keine gleichwertige Alternative dar. Damit würde zwar die tumorinduzierte Kachexie behandelt, aber nicht - wie mit Megestat - erreicht, dass der Patient wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nehme. Ferner hat das LSG ins Feld geführt, dass die Gabe hochkalorischer Kost nicht selten zu Verdauungsproblemen führe (Diarrhoe). Das LSG hat über das Vorliegen dieser Voraussetzung (Fehlen einer anderen zugelassenen Therapie) allerdings nicht abschließend entschieden, dies vielmehr offengelassen, weil es jedenfalls an der dritten Voraussetzung fehle, nämlich an ausreichenden Belegen für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg: Das LSG hat hierzu ausgeführt, dass diese dritte Voraussetzung nur dann erfüllt wäre, wenn im Behandlungszeitpunkt entweder bereits eine klinische Prüfung mit Phase III-Studien veröffentlicht und ein entsprechender Zulassungsantrag gestellt worden wäre oder wenn sonstwie zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorgelegen hätten, aufgrund derer sich in den einschlägigen Fachkreisen ein Konsens über den voraussichtlichen Nutzen der angewendeten Methode gebildet hätte. Das LSG hat die dritte Voraussetzung für einen zulässigen Off-Label-Use in unbedenklicher Weise als nicht erfüllt angesehen.
- 18
-
Im Einzelnen hat das LSG - unter anderem unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK vom 17.4.2003, das im Widerspruchsverfahren von der Beklagten eingeholt worden war - Folgendes ausgeführt: Bis 2003 gab es keine Phase III-Studien zum Einsatz von Megestat zur Bekämpfung der Kachexie bei anderen Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs. Die Studie, an der auch der Kläger selbst beteiligt war, betraf nur 33 Patienten; zudem wurde darin konzediert, dass noch eine Reihe von Fragen offen geblieben war und noch eine Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie erforderlich sei. Andere Studien kamen zwar zum Ergebnis einer Verbesserung der Kachexie, aber vielfach mit der Einschränkung, dass dies nicht mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergehe. Es wurden auch erhebliche Nebenwirkungen beschrieben wie Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Sodbrennen, Muskelkrämpfe, Müdigkeit, Kopfschmerzen und, wie das LSG weiterhin hervorgehoben hat, auch Thrombose und Embolie, womit tödliche Komplikationen und Lebensverkürzungen verbunden sein könnten.
- 19
-
Das LSG hat weiter rechtsfehlerfrei aufgezeigt, dass sich nichts anderes aus der Zusammenfassung (dem sog abstract) einer Metaanalyse von Berenstein und Ortiz aus dem Jahr 2005 ergibt. Abgesehen davon, dass diese schon nicht ohne Weiteres für den früher gelegenen Verordnungs- und Regresszeitraum (bis 2003) maßgeblich sein kann, ergibt sie, dass auch im Jahr 2005 noch keine ausreichenden Belege für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg mit Megestat bei Bronchialkarzinom vorlagen. Auch sie erfüllten nicht die Voraussetzungen einer Phase III-Studie an einem größeren Patientenkollektiv. Zwar bezogen sie auch andere Studien - und damit insgesamt 4000 Patienten ein -, die aber teilweise andere Erkrankungen als Krebs betrafen; zudem bestätigten sie zwar, dass Megestat den Appetit verbessere und zur Gewichtszunahme führe, ergaben aber nicht den Schluss auf eine Verbesserung der Lebensqualität. Auch die Zusammenfassung (das sog abstract) einer Metaanalyse von Lesniak/Bala/Jaeschke/Krzakowski aus dem Jahr 2008 ergab, wie im Urteil des LSG festgestellt, keine vorteilhaften Auswirkungen der Behandlung mit Megestat auf die gesamte Lebensqualität. Für eine valide Beurteilung wurde eine neue Studie für erforderlich gehalten.
- 20
-
Gegen die Eignung und Unbedenklichkeit von Megestat für die Behandlung von Kachexie in Fällen von Bronchialkarzinomen und Karzinomen der Thoraxorgane spricht auch die aktualisierte Fachinformation mit Stand vom Januar 2009: In ihr sind, wie das LSG dargestellt hat, als Indikation nur die palliative Behandlung von Mammakarzinomen und Endometriumkarzinomen (Innenhaut der Gebärmutter) genannt, und die Anwendung von Megestat zur Behandlung anderer neoplastischer Erkrankungen wird ausdrücklich nicht empfohlen.
- 21
-
Demnach fehlte es bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat an einer begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Wie dargelegt, erfordert dies ausreichende Belege für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit (oben RdNr 16) . Dies haben die im Verfahren eingeholten und die vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen nicht ausreichend belegt. Wie das LSG ausgeführt hat, war der Kläger an einer der Studien zu Megestat sogar selbst beteiligt und diese ergab zusammengefasst, dass noch eine Reihe von Fragen offen war, sodass noch weiterer Überprüfungsbedarf gesehen wurde. Mithin war unter eigener Beteiligung des Klägers klargestellt, dass die Überprüfungen noch nicht zu einem abschließenden positiven Ergebnis gelangt waren, die Erprobungsphase vielmehr noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Dabei ist auch von Bedeutung, dass die zahlreichen Studien keine Abwägung mit eventuell zu befürchtenden Nebenwirkungen im Falle anderer Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs enthielten, solche aber im Zusammenhang mit dem Einsatz von Megestat in vielfältiger und schwerwiegender Gestalt diskutiert wurden, bis hin zu lebensgefährdenden Komplikationen wie Thrombose und Embolie (zur Ausrichtung des AMG auf Arzneimittelsicherheit vgl oben RdNr 16) .
- 22
-
Demgegenüber greift keine der vom Kläger erhobenen Einwendungen durch. Weder die von ihm gegen die Verfahrensweise des LSG vorgebrachten Rügen (hierzu im Einzelnen s unten D.) noch seine Einwände gegen die vom LSG zugrunde gelegten inhaltlichen Maßstäbe haben Erfolg. Der Senat folgt schon nicht seiner Ansicht, die vom LSG gestellten Anforderungen an die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse für einen zulässigen Off-Label-Use seien überzogen. Der Kläger meint, es werde mehr gefordert, als an wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt möglich und ethisch vertretbar sei. Für Krankheitsfälle der hier vorliegenden Art lasse sich kein Patientenkollektiv finden, das für eine Phase III-Studie ausreichend groß sei, das weiterhin einheitlich vorbehandelt werde und bei dem die Parameter zur Lebensqualität und Toxizität standardisiert erfasst werden könnten. Es müsse ausreichen, dass in den einschlägigen Fachkreisen aufgrund einer Vielzahl der veröffentlichten Erkenntnisse mit positiven Ergebnissen zur Appetitsteigerung und Gewichtszunahme sowie zum Allgemeinbefinden ein Konsens über den Nutzen einer Verabreichung von Megestat bestanden habe, wogegen etwaige Nachteile durch Nebenwirkungen und Risiken nicht ins Gewicht fallen könnten und zu vernachlässigen seien. Abgesehen davon, dass nach den Feststellungen des LSG für den Off-Label-Use von Megestat keine Phase III-Studien vorliegen, konnten auch den anderen - weniger validen - Studien keine ausreichenden Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes von Megestat entnommen werden. Insbesondere ergab die Studie, an der der Kläger selbst teilnahm, dass - wie schon erwähnt - die Erprobungsphase noch nicht als abgeschlossen angesehen werden konnte. Das LSG hat auch keinen Konsens über die Eignung und Unbedenklichkeit der Anwendung von Megestat feststellen können, es hat vielmehr formuliert, dass für das Vorliegen eines Konsenses keine Anhaltspunkte vorlagen. Dieser Feststellung hat der Kläger mit seinem Einwand, schon im Zeitpunkt seiner Medikation habe in den Fachkreisen Konsens über Qualität und Wirksamkeit von Megestat bei Tumor-Kachexie bestanden, lediglich seine gegenteilige Ansicht entgegengesetzt. Den vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen, die vom Revisionsgericht grundsätzlich als verbindlich zugrunde zu legen sind (§ 163 SGG) , lediglich die Behauptung anderer Tatsachen entgegenzusetzen, reicht revisionsrechtlich nicht aus (vgl BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 S 123 mwN; BSG vom 1.7.2010 - B 11 AL 1/09 R - RdNr 25, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) .
- 23
-
Die "Regel"voraussetzungen eines zulässigen Off-Label-Use bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat sind damit nicht erfüllt. Aber auch die vom BVerfG herausgestellten Anforderungen greifen nicht ein, wie noch unter 3. darzulegen ist.
- 24
-
2. Für Dronabinol gilt im Ergebnis nichts anderes. Dronabinol ist allerdings anders als Megestat kein Fertigarzneimittel, für das eine Zulassung nach dem AMG erforderlich ist, sodass dementsprechend auch nicht die Maßstäbe des Off-Label-Use anwendbar sind. Dronabinol ist ein sog Rezepturarzneimittel und als solches nach dem AMG aufgrund der erteilten Herstellungserlaubnis (§ 13 AMG) auch verkehrsfähig, ohne dass eine Überprüfung seiner Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem AMG stattfinden musste oder stattgefunden hat (vgl §§ 13 bis 15 iVm § 43 Abs 2 Halbsatz 2 iVm § 47 AMG; s dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 30) . Mit der Verkehrsfähigkeit sind Rezepturarzneimittel zugleich auch verordnungsfähig, es sei denn, nach anderen Regelungen ist ein Anerkennungsverfahren erforderlich. Dies ist gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V der Fall, wenn der Einsatz des Arzneimittels Gegenstand einer neuen Arzneitherapie im Sinne dieser Regelung ist, für die dann entsprechend den Vorgaben dieser Vorschrift eine empfehlende Richtlinie erforderlich ist(zu diesen Zusammenhängen s ausführlich BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 26 ff; - zur Anwendung des § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V auch auf Behandlungen unter Anwendung von Hilfsmitteln: BSG - 3. Senat - vom 12.8.2009, BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 17 ff) .
- 25
-
Dementsprechend bedurfte es für den Einsatz von Dronabinol grundsätzlich einer anerkennenden Richtlinie gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V. Denn es handelte sich um eine neue Arzneitherapie. Die Einordnung als Arzneitherapie ergibt sich aus dem Urteil des 1. Senats vom 27.3.2007 (USK 2007- 36 ); auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen, in denen der 1. Senat sich mit Behandlungen mit cannabinolhaltigen Arzneimitteln befasst hat und diese als eine auf einem bestimmten theoretisch-wissenschaftlichen Konzept fußende Vorgehensweise der Krankenbehandlung qualifiziert hat (vgl BSG USK aaO S 236 f; zur "Methode" iS des § 135 Abs 1 SGB V vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 31 mwN).
- 26
-
Eine unter Einsatz von Dronabinol durchgeführte Arzneitherapie ist auch "neu" iS des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Neu ist eine Behandlungsmethode zunächst dann, wenn sie erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V - also erst in der Zeit seit dem 1.1.1989 - als kassen- bzw vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert worden ist. Neu ist auch eine Behandlungsmethode, für die eine entsprechende Leistungsposition im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zunächst nicht bestand, diese vielmehr erst später - nach dem 1.1.1989 - in das Leistungsverzeichnis des EBM-Ä aufgenommen wurde (vgl BSG vom 22.3.2005, BSGE 94, 221 RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25; BSG vom 26.9.2006, SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 17-19; s auch BSGE 81, 54, 57 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 12 f) . Nach diesen Abgrenzungen ist bei Arzneitherapien - bei Arzneimitteln ist kein Raum für die Schaffung einer Leistungsposition im EBM-Ä - darauf abzustellen, ob sie schon vor dem 1.1.1989 oder erst nach dem 1.1.1989 praktiziert wurden. Wurden sie schon vorher praktiziert, so sind sie nicht neu; dann käme nur eine Überprüfung durch den § 135 Abs 1 Satz 2 SGB V in Betracht, wonach die Verordnungsfähigkeit erst ausgeschlossen wäre, wenn der G-BA die Methode ausdrücklich für unvereinbar mit den Erfordernissen des § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V erklärt hatte(§ 135 Abs 1 Satz 3 SGB V). Im vorliegenden Fall der Verordnung von Dronabinol wird weder vom LSG noch vom Kläger erwogen, es könnte sich um eine schon vor dem 1.1.1989 praktizierte Arzneitherapie handeln; vielmehr haben sowohl das LSG als auch der Kläger ihren Ausführungen zugrunde gelegt, dass es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt.
- 27
-
Liegt eine neue Behandlungsmethode vor, ohne dass aber eine empfehlende Richtlinie des G-BA ergangen ist, so ist die Anwendung dieser Methode - dh hier eine Therapie unter Einsatz von Dronabinol - grundsätzlich unzulässig, es sei denn, ein Ausnahmetatbestand wäre erfüllt. Als Ausnahmetatbestand kommt vorliegend ein sog Seltenheitsfall, der ausnahmsweise zu einem Einzelimport oder zu einer Einzelanwendung berechtigen würde, nicht in Betracht; denn die Krankheitsbeschwerden, derentwegen der Kläger Dronabinol einsetzte, sind nicht so selten, dass sie sich systematischer Erforschung und Behandlung entzögen (zu diesen Voraussetzungen vgl zB BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237; BSG vom 8.9.2009, BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22, RdNr 20) . Auch die besondere Situation, dass als Folge des Fehlens einer durch Richtlinie anerkannten Behandlungsmethode eine Versorgungslücke entsteht und ein Bedarf nach ihrem Einsatz auch ohne empfehlende Richtlinie des GBA besteht, war nicht gegeben. Ein solcher Bedarf würde voraussetzen, dass ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der Methode vorliegen (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 32 mwN) . Solche lagen indessen für Dronabinol ebenso wenig wie für Megestat vor; hierzu wird auf obige Ausführungen unter 1. (RdNr 17 ff) verwiesen.
- 28
-
3. Schließlich lagen auch die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des BVerfG der Einsatz eines Arzneimittels unter Außerachtlassung der Begrenzungen durch das AMG und durch § 135 Abs 1 SGB V zulässig sein kann, nicht vor. Allerdings hat das BVerfG in Erkrankungsfällen, die als hoffnungslos erscheinen, aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm der daraus abzuleitenden Schutzpflicht entnommen, dass Therapiemethoden, die nach dem AMG oder dem SGB V an sich nicht angewendet werden dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen doch zulässig sind. Das BVerfG hat insoweit dem Versicherten einen erweiterten Behandlungsanspruch gemäß §§ 27 ff SGB V eingeräumt, was reziprok bedeutet, dass dann in entsprechender Weise der Arzt zur Gewährung der Behandlung bzw zur Verordnung des Arzneimittels berechtigt und verpflichtet ist.
- 29
-
a) Das BVerfG hat - zunächst für nicht anerkannte Behandlungsmethoden - aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm der sich daraus ergebenden Schutzpflicht abgeleitet, dass in Fällen, in denen eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, der Versicherte nicht von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode ausgeschlossen werden darf, wenn diese eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) . Es muss eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage gegeben sein (BVerfG
vom 30.6.2008, NJW 2008, 3556 RdNr 10; an die verfassungsrechtliche Rechtsprechung anknüpfend BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 35; BSG vom 14.12.2006, SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 238; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32; BSG vom 16.12.2008, USK 2008-73 S 575) . Das BVerfG hat in einer speziellen Situation - Apheresebehandlung in einem besonderen Fall - ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfGvom 6.2.2007 - 1 BvR 3101/06 - RdNr 22, in Juris dokumentiert) .
- 30
-
Diese Grundsätze haben das BVerfG und das BSG auf den Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln übertragen. Sofern eine im vorgenannten Sinne lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt (oder - wie das BSG es formuliert - eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung, vgl dazu BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 am Ende; BSG vom 14.12.2006, USK 2006-111 S 767/768; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237 unter 2.; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9 RdNr 32 am Ende) und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, erstreckt sich der Versorgungsanspruch des Versicherten über die Beschränkungen der arzneimittelrechtlichen Zulassung hinaus - dh sowohl bei Fehlen jeglicher Arzneimittelzulassung als auch bei Einsatz außerhalb des in der Zulassung ausgewiesenen Anwendungsbereichs - auf die Versorgung mit solchen Arzneimitteln, die eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten (s hierzu BVerfG vom 30.6.2008 aaO; ebenso zB BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 19; BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 30 mwN) . Dies bedeutet, verglichen mit den "Regel"voraussetzungen für einen Off-Label-Use bzw für eine gemäß § 135 Abs 1 SGB V anerkennungsbedürftige, aber nicht anerkannte Behandlungsmethode, dass - über eine schwerwiegende Erkrankung hinausgehend - eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegen muss: Nur unter dieser Voraussetzung ist das Erfordernis ausreichender Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes des Arzneimittels bzw der Behandlungsmethode dahin abzuschwächen, dass eine nicht ganz fern liegende Aussicht positiver Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht.
- 31
-
Hat der erkrankte Versicherte nach diesen rechtlichen Maßstäben Anspruch auf die Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel, so darf nicht wegen der Verordnung dieses Medikaments ein Regress gegen den verordnenden Arzt festgesetzt werden.
- 32
-
b) Dabei ist stets der Ausgangspunkt des BVerfG zu beachten, nämlich dass nur insoweit, als eine lebensbedrohliche Erkrankung und deren Heilung in Frage steht, die erweiternde Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V geboten ist. Dementsprechend gilt der Maßstab, dass eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht, nur insoweit, als eine Aussicht auf Heilung der Grunderkrankung selbst oder auf positive Einwirkung auf den Verlauf der Grunderkrankung als solcher besteht. Nur in einer solchen Situation ist die dargelegte verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsanspruchs des Versicherten gemäß §§ 27 ff SGB V veranlasst und gerechtfertigt. Diese (str)enge Sicht ist nicht etwa, wie gelegentlich geltend gemacht wird, durch die Entscheidung des BVerfG vom 6.2.2007 in Frage gestellt worden (BVerfG
- 1 BvR 3101/06 -, in Juris dokumentiert) . Hierin hat das BVerfG lediglich klargestellt, dass bei der Frage, ob eine Behandlung auf eine lebensbedrohliche Erkrankung einwirkt, das sog Gesamtrisikoprofil mitzuberücksichtigen ist in dem Sinne, dass die Einwirkung auf einen Faktor im Gesamtrisikoprofil ausreicht. Damit ist aber nicht in Zweifel gezogen, dass es sich auch in solchen Fällen um die Einwirkung auf die lebensbedrohliche Erkrankung selbst handeln muss.
- 33
-
Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat auch das LSG zugrunde gelegt. Dementsprechend hat es das Erfordernis einer auf Indizien gestützten, nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf als nicht erfüllt angesehen, denn die vom Kläger praktizierte Anwendung von Megestat und Dronabinol bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Bronchialkarzinom oder einem Karzinom der Thoraxorgane war nicht darauf gerichtet, die lebensbedrohliche Erkrankung als solche zu heilen oder positiv auf ihren Verlauf einzuwirken, sondern der Einsatz von Megestat und Dronabinol zielte "nur" auf die Verbesserung der Lebensqualität in dem Sinne, dass der Erkrankte wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nimmt und dadurch der tumorinduzierten Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) entgegengewirkt wird. Der Kläger wollte mit der Anwendung von Megestat und Dronabinol also nicht auf die lebensbedrohliche Erkrankung als solche einwirken, sondern nur deren weitere Auswirkungen abmildern. Dementsprechend hat das LSG zu Recht für den vorliegenden Fall die Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 als nicht einschlägig erachtet.
- 34
-
Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es hier nicht darauf an, ob durch den Einsatz von Megestat und Dronabinol der Appetit von Patienten, die er wegen eines Bronchialkarzinoms oder eines Karzinoms der Thoraxorgane behandelte, wiederhergestellt und ob dadurch eine günstigere Prognose hinsichtlich der diesen noch verbleibenden Lebenszeit erreicht werden konnte. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) soll dem Patienten - bildlich gesprochen - der Strohhalm der Hoffnung auf Heilung, an den er sich klammert, nicht wegen Fehlens wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigert werden. Hoffnungen in diesem Sinne kann ein Patient aber nur mit Behandlungsmethoden verbinden, die darauf gerichtet sind, auf seine mutmaßlich tödlich verlaufende Grunderkrankung als solche einzuwirken. Für Behandlungsverfahren, die dies nach ihrem eigenen methodischen Ansatz nicht leisten, gelten die reduzierten Wirksamkeitsanforderungen der Rechtsprechung des BVerfG von vornherein nicht. Soweit mit dem in § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Behandlungsziel "Krankheitsbeschwerden zu lindern" jede Verbesserung der Lebensqualität eines schwerkranken Patienten verbunden wird, ist dieses Ziel nicht von der Ausweitung der Leistungsansprüche der Versicherten gemäß dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 erfasst. Allein die Hoffnung einer - unter Umständen ganz geringen - Chance auf Heilung der Krankheit oder auf nachhaltige, nicht nur wenige Tage oder Wochen umfassende, Lebensverlängerung rechtfertigt es, die Voraussetzungen an den Nachweis der Wirksamkeit von Behandlungsmethoden so weit zu reduzieren, wie das in dem Beschluss des BVerfG erfolgt ist.
- 35
-
Dem wird die Ansicht des Klägers nicht gerecht, jede Verbesserung des Appetits des Patienten könne dessen subjektive Lebensqualität verbessern und so mittelbar - ungeachtet des dadurch nicht beeinflussten Wachstums des Tumors - eine (geringfügige) Lebensverlängerung bewirken. Nicht jede Verbesserung der Lebensqualität - zumal wenn diese in der Gesamtschau mit den möglichen vielfältigen und schwerwiegenden Nebenwirkungen zweifelhaft erscheint -, sondern nur die Erfüllung der Hoffnung des Patienten auf eine rettende Behandlung in einer aussichtslosen gesundheitlichen Situation indiziert die vom BVerfG beschriebene notstandsähnliche Lage, in der (nahezu) jeder Behandlungsansatz auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich sein soll.
- 36
-
Sind demnach die vom BVerfG herausgestellten Voraussetzungen für erweiterte Behandlungsmöglichkeiten ohne die Beschränkungen durch das AMG und durch § 135 Abs 1 SGB V für den Einsatz von Megestat und Dronabinol nicht erfüllt, so kommt es auf die weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der Rechtsprechung des BVerfG nicht an. Das BVerfG und das BSG haben in ihren Entscheidungen insbesondere klargestellt, dass in Fällen, in denen die genannte Rechtsprechung des BVerfG einschlägig ist, immer auch die Voraussetzung erfüllt sein muss, dass keine Alternative einer allgemein anerkannten - dh nach dem AMG und SGB V zulässigen -, dem medizinischem Standard entsprechenden Behandlung besteht. Hierauf einzugehen, erübrigt sich, weil es schon an den "Grund"voraussetzungen für eine Anwendung der BVerfG-Rechtsprechung fehlt.
- 37
-
C. Bei allem ist schließlich darauf hinzuweisen, dass der Kläger das Risiko eines Regresses, wie er ihm gegenüber festgesetzt worden ist, hätte vermeiden können: Er hätte - worauf der Senat in ständiger Rechtsprechung hinweist -, für den Versicherten ein Privatrezept ausstellen und es diesem überlassen können, sich bei seiner KK um Erstattung der Kosten zu bemühen. Ermöglicht der Vertragsarzt indessen nicht auf diese Weise eine Vorab-Prüfung durch die KK, sondern stellt er ohne vorherige Rückfrage bei dieser eine vertragsärztliche Verordnung aus und löst der Patient diese in der Apotheke ein, so sind damit die Arzneikosten angefallen und die KK kann nur noch im Regressweg geltend machen, ihre Leistungspflicht habe nicht bestanden. Verhindert der Vertragsarzt durch diesen Weg der vertragsärztlichen Verordnung bei einem medizinisch umstrittenen Arzneieinsatz ohne dementsprechende Zulassung eine Vorab-Prüfung durch die KK und übernimmt er damit das Risiko, dass später die Leistungspflicht der KK verneint wird, so kann ein entsprechender Regress nicht beanstandet werden (stRspr, zB BSG vom 31.5.2006, MedR 2007, 557, 560, und - ausführlich - BSG vom 5.5.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 43 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) .
- 38
-
D. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
- 39
-
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens steht im Ermessen des Gerichts. Eine Pflicht zur Einholung besteht nur dann, wenn sich dem Gericht dessen Einholung aufdrängen muss (stRspr, vgl zB BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 20/09 R -, Juris RdNr 49, und - B 6 KA 24/09 R -, Juris RdNr 20 - jeweils mwN; vgl auch BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 37) . Das war hier nicht der Fall. Nach der für die Beurteilung der Notwendigkeit (weiterer) Beweiserhebung maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG hat dieses kein Gutachten einholen müssen. Das LSG hat als maßgeblich erachtet, dass es im maßgeblichen Zeitraum der Jahre 2001 bis 2003 keinen fachwissenschaftlichen Konsens zum Einsatz von Megestat und Dronabinol auch bei Bronchialkarzinomen und Karzinomen der Thoraxorgane gegeben hat. Die Anregungen des Klägers zur Einholung eines Gutachtens sind darauf gerichtet gewesen, Belege dafür zu gewinnen, dass dieser Einsatz auch Befürworter hatte. Dem hat das LSG nicht ohne Weiteres nachgehen müssen, weil das zur Feststellung eines allgemeinen Konsenses, den das LSG aus Rechtsgründen für erforderlich gehalten hat, nichts Entscheidendes hätte beitragen können.
- 40
-
Die Rüge des Klägers, das LSG habe die von ihm im Berufungsverfahren eingereichten Studien nicht ausgewertet, scheitert daran, dass grundsätzlich die Vermutung besteht, dass das Gericht alles Eingereichte zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat (stRspr des BVerfG und des BSG, vgl zB BSG vom 2.9.2009, SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 20 mit zahlreichen BVerfG- und BSG-Angaben) . Gegenteiliges bedürfte besonderer Anhaltspunkte, die der Kläger nicht aufgezeigt hat und auch nicht ersichtlich sind.
- 41
-
Ebenso wenig dringt der Kläger mit seiner Rüge durch, das LSG habe das Vorliegen eines Konsenses in Fachkreisen nicht erkannt. Hierin liegt lediglich die Rüge, das LSG sei von einem falschen Ausgangspunkt ausgegangen. Dem lediglich die abweichende Sicht eines anderen Ausgangspunktes entgegenzusetzen, reicht für eine Verfahrensrüge nicht aus (vgl oben RdNr 22 am Ende) .
- 42
-
Schließlich greift auch seine Rüge der Verkennung der Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht durch. Er bringt dazu vor, die Feststellungen des LSG, dass die Anwendung von Megestat und Dronabinol ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet sei, seien weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Dies ist schon nicht entscheidungserheblich, wie aus obigen Ausführungen zu C. folgt, wonach eine nur geringfügige Lebensverlängerung bei einem Behandlungsansatz, der von vornherein nicht auf eine Beeinflussung des Grundleidens zielt, nicht der vom BVerfG herausgearbeiteten Ausnahme von den Verordnungsvoraussetzungen gemäß dem AMG bzw gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V entspricht(vgl RdNr 36) . Vor allem ist nicht ersichtlich, dass das LSG insoweit einen Erfahrungssatz hätte aufstellen wollen. Vielmehr setzt auch hier der Kläger nur seine eigene Auffassung derjenigen des LSG entgegen.
- 43
-
E. Dem Regress stehen schließlich auch keine Grundrechtspositionen des Klägers entgegen. Insbesondere ist das Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art 12 Abs 1 GG nicht verletzt. Dieses Grundrecht unterliegt - ebenso wie Art 14 Abs 1 GG - einem Gesetzesvorbehalt, darf also durch Gesetz eingeschränkt werden. Das ist durch die vorliegend einschlägigen Bestimmungen des AMG und der §§ 106, 135 Abs 1 SGB V geschehen. Die Anwendung dieser Regelungen belastet den Kläger nicht unverhältnismäßig (vgl BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 46 iVm 48) .
- 44
-
Dabei kommt es nicht darauf an, ob die zu 1. beigeladene KK bei Nichtverordnung von Megestat und Dronabinol Kosten für andere Behandlungsarten hätte tragen müssen - sog Vorteilsausgleichung - (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 14 mwN; BSGE 101, 252 = SozR 4-2500 § 115b Nr 2 RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 47) .
- 45
-
F. Nach alledem ist nicht nur der Hauptantrag des Klägers auf Bescheidaufhebung zurückzuweisen, sondern ebenso der Hilfsantrag: Für die hilfsweise begehrte Zurückverweisung der Sache an das LSG ist kein Raum, denn der gegenüber dem Kläger ausgesprochene Regress hat sich im Revisionsverfahren gemäß vorstehenden Ausführungen abschließend als rechtmäßig erwiesen.
- 46
-
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2 iVm § 162 Abs 3 VwGO. Der Kläger trägt als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 154 Abs 2 VwGO) . Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten von Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt haben (vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16) .
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 08. September 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
Entscheidungsgründe
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
Gründe
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
(1) Der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2) wird erbracht
- 1.
im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln oder ausgenommenen Zubereitungen, die Arzneimittel sind, durch den Nachweis der Sachkenntnis nach § 15 Absatz 1 des Arzneimittelgesetzes, - 1a.
im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln oder ausgenommenen Zubereitungen, die Tierarzneimittel sind, durch den Nachweis, dass die vorgesehene verantwortliche Person die Voraussetzungen an eine sachkundige Person nach Artikel 97 Absatz 2 und 3 der Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 43; L 163 vom 20.6.2019, S. 112; L 326 vom 8.10.2020, S. 15; L 241 vom 8.7.2021, S. 17) erfüllt, - 2.
im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln, die keine Arzneimittel oder Tierarzneimittel sind, durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln, - 3.
im Falle des Verwendens für wissenschaftliche Zwecke durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und - 4.
in allen anderen Fällen durch das Zeugnis über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Kaufmann im Groß- und Außenhandel in den Fachbereichen Chemie oder Pharma und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit im Betäubungsmittelverkehr.
(2) Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kann im Einzelfall von den im Absatz 1 genannten Anforderungen an die Sachkenntnis abweichen, wenn die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen gewährleistet sind.
Tenor
Die Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1963 geborene Kläger ist seit 1985 an Multipler Sklerose erkrankt, die sich zunächst schubweise mit unvollständigen Remissionen entwickelte und inzwischen in die chronische Verlaufsform übergegangen ist. Bei dem Kläger bestehen unter anderem eine ausgeprägte Gangstörung, eine spastische Tetraparese, eine Rumpf- und Extremitätenataxie, Dysarthrie und eine rezidivierende depressive Störung. Die Ataxie tritt im Wesentlichen als Störung der Grob- und Feinmotorik, des freien Gangs, des Standes und der Sprache in Erscheinung. Seit etwa 1987 behandelt der Kläger die Symptome seiner Erkrankung selbständig durch die regelmäßige Zufuhr von Cannabis und ist deswegen zunächst auch straffällig geworden. Zuletzt hat ihn das Amtsgericht Mannheim mit Urteil vom 19. Januar 2005 (3 Ls 310 Js 5518/02 AK 74/04) vom Vorwurf des Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen, da es sein Handeln als gerechtfertigt im Sinne des § 34 StGB ansah. Maßgeblich sei, dass es für die Behandlung der Ataxie keine zugelassenen Therapiealternativen gebe und die AOK die sehr hohen Kosten für das Medikament „Dronabinol“, bestehend aus THC, dem Hauptwirkstoff des Cannabis, nicht übernehme. Der Kläger, der als Fliesenleger tätig war, ist aufgrund seiner Erkrankung seit 1999 in Frührente und bezieht eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von ca. 890,00 Euro.
3Die - auch vom Kläger - erhobene Verfassungsbeschwerde gegen ein drohendes Strafverfahren und gegen die Strafdrohung wegen unerlaubter Einfuhr, unerlaubten Erwerbs oder Besitzes von Cannabis oder Marihuana nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑ nicht zur Entscheidung an, da die Betroffenen zunächst versuchen müssten, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen.
4Der Kläger stellte am 3. Mai 2000 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa und machte geltend, Cannabis löse bei ihm eine sehr gute (zusätzliche) therapeutische Wirksamkeit aus, die nicht durch andere Medizinprodukte oder Heilmittel zu erreichen sei. Das BfArM lehnte seinen Antrag mit Bescheid vom 31. Juli 2000 unter anderem mit der Begründung ab, die beantragte Erlaubnis liege auch mit Blick auf die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht im öffentlichen Interesse, da beim Kläger eine dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende ärztliche Versorgung mit Delta-9-THC durch die Anwendung eines verschreibungsfähigen Cannabisprodukts („Dronabinol“) möglich sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
5Das Sozialgericht Mannheim wies mit Urteil vom 9. August 2001 - S 8 KR 286/00 ‑ die Klage des Klägers auf Bewilligung von „Dronabinol-Tropfen“ als Sachleistung der Krankenkasse ab. Die hiergegen erhobene Berufung wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg durch Urteil vom 25. April 2003 – L 4 KR 3828/01 – zurück. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde wies das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 6. Januar 2005 ‑ B 1 KR 51/03 B ‑ zurück.
6Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 1023/01) auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zum Erwerb und zur Einfuhr von Cannabis zum Zwecke der medizinischen Behandlung, die - unter Zulassung der Berufung - mit Urteil vom 17. Februar 2004 abgewiesen wurde. Mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, in dem in einem auf die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis gerichteten Verfahren festgestellt wurde, diese könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, eine solche Behandlung liege nicht im öffentlichen Interesse, hob das BfArM den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 28. Juni 2006 auf. Daraufhin erklärten die Beteiligten das vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängige Berufungsverfahren (13 A 1534/04) übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt.
7Der Kläger stellte am 25. August 2006 bei der AOK S. -O. erneut einen Kostenübernahmeantrag für das Arzneimittel „Dronabinol“, den die Krankenkasse mit Schreiben vom 28. September 2006 ablehnte.
8Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 wies das BfArM den Kläger unter anderem auf Folgendes hin: Im Zusammenhang mit der Beantragung einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis verlange das Betäubungsmittelgesetz von dem Antragsteller oder einer für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften zu bestellenden verantwortlichen Person einen Nachweis über die erforderliche Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 6 BtMG). Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Kläger selbst oder eine andere Person die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen wolle. Der Sachkenntnisnachweis könne u. a. dadurch erbracht werden, dass der Kläger als Verantwortlichen einen Humanmediziner benenne.
9Unter dem 30. Mai 2007 machte der Kläger geltend: Sein Hausarzt, Dr. C. , habe sich bereit erklärt, ihn zu unterstützen, und sei Verantwortlicher mit Sachkenntnis. Er überprüfe insbesondere, dass die genehmigte Anbaumenge nicht überschritten werde. Im Übrigen habe das Amtsgericht Mannheim festgestellt, dass sein Verhalten gemäß § 34 StGB gerechtfertigt sei. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung komme daher nur die Erteilung der beantragten Genehmigung in Betracht. Ferner übersandte er eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom 27. April 2007.
10Mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 lehnte das BfArM den Antrag des Klägers vom 3. Mai 2000 ab: Die Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa liege nicht im öffentlichen Interesse. Der Eigenanbau von Cannabis sei nicht erforderlich, da auf Delta-9-THC standardisierte Cannabisextrakte erhältlich seien. Bei einem zugrundegelegten durchschnittlichen Monatsbedarf von 500 mg Delta-9-THC lägen die Behandlungskosten bei nur 150 Euro, während die monatlichen Kosten für „Dronabinol“ 350 Euro betrügen. Auch seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 und 6 BtMG gegeben. Weder seien geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für Anbau, Trocknung und Lagerung der Pflanzenteile nachgewiesen, noch sei eine effektive Kontrolle des Cannabiskonsums bei einem Eigenanbau durchführbar. Auch könne nicht von dem erforderlichen Sachkundenachweis abgesehen werden, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet sei. Ferner könnten bei einem Anbau durch Privatpersonen die Voraussetzungen für eine gleich bleibende Qualität nicht gewährleistet werden.
11Hiergegen erhob der Kläger am 8. Januar 2008 Widerspruch und machte unter anderem geltend: Er sei aus finanziellen Gründen auf den Anbau von Cannabis angewiesen. Er verwende seit Jahren aus medizinischen Gründen 100 g Cannabis im Monat, das 5.000 bis 10.000 mg THC entspreche und nach der Berechnung des BfArM monatliche Kosten in Höhe von 1.500 Euro verursachte. Diese Kosten seien für ihn bei einer monatlichen Erwerbsunfähigkeitsrente von (seinerzeit) 860 Euro nicht tragbar.
12Nachdem das BfArM die vom Kläger gesetzten Fristen zur Entscheidung über seinen Widerspruch hat verstreichen lassen, hat der Kläger am 20. Juni 2009 Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 3889/09) erhoben.
13Mit Schreiben vom 19. März 2010 versagte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Zustimmung zu der seitens des BfArM beabsichtigten Erteilung der beantragten Erlaubnis zum Eigenanbau für den Kläger.
14Das Verwaltungsgericht hat am 31. März 2010 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt.
15Daraufhin führte der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2010 aus: Der Anbau der Cannabispflanzen erfolge im Badezimmer. In der Blühphase stünden die Pflanzen in der gemauerten Duschkabine unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe. Im Blühraum stünden 2 x 8 Pflanzen mit einem Altersunterschied von vier Wochen. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) bewahre er in einem kleinen Schrank auf, in dem auch die geernteten Blüten getrocknet würden. Die Blüten von 8 Pflanzen ergäben etwa 100 g Cannabis, was seinem Monatsbedarf entspreche. Ein etwaiger Überschuss werde in einem Tresor gelagert. Die Pflanzenreste würden in einem speziellen Küchenkomposter zu Kompost und Flüssigdünger für andere Gartenpflanzen verarbeitet. Die monatlichen Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. beliefen sich auf etwa 110 Euro. Da die Pflanzen aus Stecklingen gezogen würden, hätten sie bis zu mehreren Jahren die gleiche Genetik und auch die gleiche Wirksamkeit, so dass eine einmalige Bestimmung des THC-Gehalts ausreichend sei. Er plane unter anderem, die Zimmertür zwischen Badezimmer und zentralem Wohnraum durch ein Fingerprintschloss zu schützen und das Flügelfenster zum Bad zusätzlich mit verschließbaren Griffen zu versehen. Zusätzlich könne es mit einem Stahlgitter geschützt werden. Die Tür zum Badezimmer und das Fenster sollten überdies mit einer IP-Kamera überwacht werden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein signifikant niedriger Gefährdungsgrad bestehe, da er, der Kläger, aufgrund seiner Erkrankung fast ausschließlich zu Hause sei. Publikumsverkehr finde nicht statt. Außer ihm und seiner Lebensgefährtin halte sich in der Wohnung nur die Krankengymnastin für die Dauer der Anwendungen auf.
16Mit Schreiben vom 29. Juni 2010 teilte das BfArM dem BMG mit: Die vom Kläger vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien zur Sicherung des Betäubungsmittelverkehrs geeignet und ausreichend. Eine zusätzliche Installation einer Kamera für die seltenen Fälle der Abwesenheit erscheine unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Auch sei für die Lagerung überschüssiger Blüten mit einer Höchstmenge von 100 g ein zertifizierter Wertschutzschrank nicht erforderlich. Notwendig sei allerdings die Anbringung eines zusätzlichen Gitters vor dem ‑ sich häufig in Kippstellung befindlichen - Badezimmerfenster. Auch dürften die Schwankungen des THC-Gehalts bei der von dem Kläger beschriebenen Kultivierungsmethode eher gering sein. Eine konkrete Bestimmung des THC-Gehalts werde von den Untersuchungseinrichtungen ohne das Vorliegen einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nicht durchgeführt. Ferner sei die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht erforderlich. Eine Gefahr der illegalen Weitergabe durch Groß- und Einzelhändler sei beim Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken nicht gegeben, da der Patient die Substanz selbst benötige. Abgesehen davon müssten bei einer Entscheidung gemäß § 5 Abs. 2 BtMG die mit der Einrichtung einer Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen gegenüber dem Interesse des einzelnen Patienten an einer Ausnahmegenehmigung zu medizinischen Zwecken abgewogen werden.
17Mit an das BfArM gerichtetem Schreiben vom 16. Juli 2010 führte das BMG aus: Das Entschließungsermessen des BfArM sei nicht auf Null reduziert. Die Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes (notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung bzw. des Klägers) geböten nicht die Erlaubniserteilung. Eine Versagung bewirke keine Grundrechtsverletzung des Klägers (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), da Therapiealternativen verfügbar seien. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei mangels Kenntnis des Wirkstoffgehalts, der Qualität und der Menge des vom Kläger angebauten Cannabis nicht gegeben. Auch seien die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten anzuwenden. Ferner stelle der Verstoß gegen Internationales Recht einen Versagungsgrund dar. Deutschland arbeite eng mit dem Internationalen Suchtstoffkontrollrat (INCB) zusammen.
18Das BfArM hat eine Stellungnahme des INCB vom 30. Juli 2010 eingeholt. Danach gibt es im Falle der Zulassung des Anbaus keine Ausnahme von der Pflicht zur Errichtung einer staatlichen Opiumstelle und gilt diese Pflicht auch beim Anbau der Hanfkrautpflanze durch eine Einzelperson zum Zwecke der Eigenbehandlung.
19Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 wies das BfArM den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte aus: Der Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken stünden die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG entgegen. Es seien die Richtlinien des BfArM vom 1. Januar 2007 zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten, wonach u. a. zertifizierte Wertschutzschränke zu verwenden seien, nicht eingehalten worden. Beim Anbau in einem einzigen Badezimmer einer 2-Zimmer-Wohnung sei ein Zugang Dritter unvermeidbar. Auch sei der Eigenanbau zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers nicht notwendig und ungeeignet (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Er sei nicht kostengünstiger als Cannabisextrakt oder „Dronabinol“. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei beim Eigenanbau, anders als beim bereits erlaubten Erwerb niederländischen Medizinalhanfs, nicht gewährleistet. Auch könne die Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BtMG versagt werden, wenn sie der Durchführung des Internationalen Suchtstoffabkommens (hier: Einheits-Übereinkommen von 1961 - ÜK 1961 -) entgegenstehe. So liege der Fall hier, weil Deutschland mangels Einrichtung einer Cannabis-Agentur bei Stattgabe des Erlaubnisantrags gegen seine internationalen Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstieße. Bei der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass Deutschland eng mit dem INCB zusammenarbeite und daher das Interesse des Klägers an einer Versorgung und Behandlung mit Cannabis zurückstehen müsse. Abgesehen davon stehe nach § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubniserteilung im Ermessen der Behörde. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der notwendigen medizinischen Versorgung des Klägers schon durch die zur Verfügung stehende alternative Cannabis-Therapie genüge getan werde.
20Der Kläger hat die Klage nach Erlass des Widerspruchsbescheids fortgeführt und geltend gemacht: Bei einer notwendigen medizinischen Anwendung des Betäubungsmittels durch Privatpersonen sei § 5 Abs. 1 BtMG modifiziert anzuwenden. Die von ihm vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien ausreichend. In seiner Wohnung finde kein Publikumsverkehr statt. Da die angebaute Cannabismenge überschaubar sei, bliebe ein Entwenden von Pflanzen auch nicht unbemerkt. Ferner könnten für das durch Eigenanbau gewonnene Pflanzenmaterial ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis keine Erkenntnisse über den Wirkstoff eingeholt werden. Im Übrigen bedürfe es in seinem Fall keiner Einrichtung einer Cannabis-Agentur. Das Schreiben des INCB vom 30. Juli 2010 sei nicht bindend. Auch habe die Beklagte nicht begründet, warum die geforderte Cannabis-Agentur nicht eingerichtet werde. Die Entscheidung der Beklagten sei auch deshalb fehlerhaft, weil sie die für die Bewilligung sprechenden Gründe ‑ insbesondere, dass für ihn der Cannabis-Eigenanbau die einzige realisierbare Möglichkeit der Linderung seiner Beschwerden sei - nicht in ihre Ermessensentscheidung einbezogen habe.
21Der Kläger hat beantragt,
22die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verpflichten, dem Kläger zu erlauben, Cannabis (Indica-Sativa-Hybriden) in seiner Wohnung C1.----straße 24, N.,anzubauen, zu ernten und zum medizinischen Zweck seiner Behandlung zu verwenden sowie bei Bedarf die entsprechenden Mutterpflanzen dieser Spezies zu erwerben und ggf. einzuführen.
23Die Beklagte hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft sowie ergänzend geltend gemacht: Ihre Ermessensausübung sei nicht fehlerhaft. Die mit der Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen seien gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Ausnahmegenehmigung zum Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken sorgfältig abgewogen worden.
26Das Verwaltungsgericht hat unter Zulassung der Berufung die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die ablehnende Entscheidung des BfArM sei rechtswidrig. Zwingende Versagungsgründe lägen nicht vor, zumal die Vorschrift des § 5 Abs. 1 BtMG in Fallgestaltungen wie der vorliegenden modifiziert anzuwenden sei. Die Sicherungsmaßnahmen des Klägers seien ausreichend. Der jahrelange Eigenanbau belege, dass der Kläger sich durch eine Therapie mit dem eigenangebauten Cannabis nicht selbst schädige. Der mit der Erlaubniserteilung verbundene Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffabkommen müsse nicht zwingend zu einer Versagung der Erlaubnis führen. Das BfArM habe gemäß § 5 Abs. 2 BtMG auch bei einem Verstoß gegen das Abkommen einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen die Interessen des Klägers angemessen zu berücksichtigen seien. Dieses Ermessen habe das BfArM bisher nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil es allein darauf abgestellt habe, dass eine Vertragsverletzung dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schade. Soweit das BfArM die Erlaubnis zum Eigenanbau nach § 3 Abs. 2 BtMG im Rahmen seines Ermessens versagt habe, habe es sein Ermessen ebenfalls fehlerhaft ausgeübt. Das BfArM habe keine Prüfung zur Frage der Verfügbarkeit der alternativen Behandlungsmöglichkeiten vorgenommen, insbesondere nicht deren wirtschaftliche Verfügbarkeit festgestellt. Deshalb sei das BfArM verpflichtet, über den Erlaubnisantrag des Klägers neu zu entscheiden und dabei auch seinen gegenwärtigen Gesundheitszustand zu berücksichtigen, was zu einer anderen Entscheidung führen könne.
27Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, der sich der Kläger angeschlossen hat. Der Kläger hat im Berufungsverfahren bei der AOK S. -O. -P. erneut einen Antrag auf Übernahme der Kosten für „Dronabinol“ gestellt, den diese mit Schreiben vom 15. Juni 2012 abgelehnt hat. Auf den auf Veranlassung des Senats gestellten Antrag des Klägers vom 5. Oktober 2012 auf Übernahme der Kosten für Medizinalhanf hat die AOK S. -O. -P. nach erneuter Prüfung mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Kostenübernahme für „Dronabinol“ erklärt. Mit Schreiben vom 8. November 2012 hat sie mitgeteilt, einen Antrag auf Kostenübernahme von Medizinalhanf würde sie beim jetzigen Stand ablehnen, da die Therapie mit „Dronabinol“ bisher als geeignet gegolten habe und keinerlei Informationen zu Zulassungsstatus, Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis flos Bedrocan vorlägen. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 hat die AOK S. -O. -P. erneut mitgeteilt, dass die Möglichkeiten einer Standardtherapie nicht ausgeschöpft seien und daher keine Kostenzusage für Cannabis flos Bedrocan erteilt werde. Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 hat die AOK S. -O. -P. erklärt, ein erneuter Kostenübernahmeantrag für Medizinalhanf hätte auch jetzt keinen Erfolg.
28Der Senat hat mit Urteil vom 7. Dezember 2012 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen sowie die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe mit „Dronabinol“ ein gleich wirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung. Es sei derzeit davon auszugehen, dass „Dronabinol“ beim Kläger eine mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkung aufweise und eine Behandlung bisher nur an der fehlenden Kostenerstattung gescheitert sei. Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats durch Beschluss vom 24. Mai 2013 - 3 B 14.13 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Es hätte sich ihm aufdrängen müssen, den von den Beteiligten angeregten Therapieversuch mit „Dronabinol“ zu ermöglichen um festzustellen, ob es sich für den Kläger um ein gleich wirksames Mittel handele.
29Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor: Es stehe nicht fest, dass für den Kläger keine finanzierbaren Behandlungsalternativen verfügbar seien. Mit „Dronabinol“, für das die Krankenkasse eine Kostenübernahme erteilt habe, stehe ein gleich wirksames Arzneimittel zur Behandlung der bei dem Kläger bestehenden Symptomatik zur Verfügung. Dass hierfür die Höchstverschreibungsmenge überschritten werden müsse, sei unschädlich. Soweit sich der Kläger auf Stellungnahmen seines Arztes berufe, die nach seiner Auffassung das Gegenteil belegen sollten, bleibe die Frage unbeantwortet, aus welchen Gründen die Dosis von „Dronabinol“ - bei gleichzeitiger Reduktion der Cannabisdosis - nicht langsam bei mehreren Gaben täglich erhöht werden könne. Denn es gelte zu beantworten, ob eine Monotherapie mit „Dronabinol“ - in adäquater Darreichungsform und Dosierung - nach entsprechender Titration des „Dronabinol“ und Ausschleichen des Cannabis - zu einer zufriedenstellenden Symptomkontrolle bei dem Kläger führen könne. Dabei sei Zieldiagnose die Tetraspastik und die Ataxie, nicht aber eine ggf. bestehende Cannabisabhängigkeit. Denn die beim Kläger beschriebenen Symptome könnten auch den Entzugssyndromen einer behandlungsbedürftigen Cannabisabhängigkeit zuzuordnen sein. Auch wenn ein solcher Therapieversuch nur stationär erfolgen könne, sei dies dem Kläger zumutbar und auch ethisch vertretbar. Nach stationärer Umstellung könne die Therapie mit „Dronabinol“ in der Dosis von 4 x 20 Tropfen ambulant weitergeführt werden. Im Übrigen seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau nicht modifiziert anzuwenden. Jeder Anbau bedürfe einer umfangreichen Raumsicherung, die bei Aufzucht und Aufbewahrung der angebauten Pflanzen eine unbefugte Entnahme sicher verhindere. Ferner sehe das Internationale Suchtstoffübereinkommen bei jedem Anbau von Cannabis die Anwendung des Kontrollsystems sowie die Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur vor, die die Ernte unverzüglich aufkaufe und sobald wie möglich körperlich in Besitz nehme.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie
33die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
34Der Kläger beantragt,
35das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und nach dem erstinstanz-lichen Klageantrag zu erkennen,
36sowie
37die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
38Er trägt zur Begründung vor: Es gebe für ihn keine verfügbaren Behandlungsalternativen. Er nutze „Dronabinol“ lediglich ergänzend zu seinem selbstangebauten Cannabis. Eine Monotherapie mit „Dronabinol“ sei nicht möglich, weil sie sich nicht ausreichend auf seine Ataxie auswirke. Mit den von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen habe er - wie im Urteil des Senats gefordert - dargelegt, dass „Dronabinol“ nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit wie Cannabis aufweise. Ein stationärer Therapieversuch mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt sei ihm nicht zumutbar. Den stationären Aufenthalt im Jahr 2011 habe er abgebrochen. Ein Therapieversuch mit ungewissem Ausgang sei auch ethisch bedenklich, da es eine für ihn annehmbare und wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit gebe. Ein Therapieversuch mit „Dronabinol“ könne mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes einhergehen, was insbesondere für einen Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung gefährlich sei, weil es keinerlei Garantie gebe, dass eine solche Verschlechterung je wieder rückgängig gemacht werden könne. Auch eine Höchstdosierung mit 4 x 20 Tropfen Dronabinol mit ca. 66 mg THC decke schon rein rechnerisch nicht seinen Cannabisbedarf von 300 bis 500 mg THC pro Tag. Das Medikament „Sativex“ stelle ebenfalls keine verfügbare Behandlungsalternative dar. Er habe sich bereits ohne Erfolg in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen. Aufgrund der Einnahme von „Sativex“, die zudem außerhalb der zugelassenen Indikationen erfolgt sei, habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Eine Therapie mit „Cannabis flos Bedrocan“ stehe ihm nicht zur Verfügung, da die AOK S. -O. -P. am 7. Juni 2013 die Kostenübernahme für Medizinalhanf abgelehnt habe und er die Behandlungskosten nicht allein mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente bestreiten könnte. Im Übrigen stehe der Erlaubniserteilung nicht das ÜK 1961 entgegen. Art. 28 ÜK 1961 sehe die Gestattung des Anbaus von Cannabispflanzen vor. Der in dieser Vorschrift enthaltene Verweis auf das Kontrollsystem nach Art. 23 ÜK sei mit Blick auf die in Rede stehende Genehmigung von wenigen Pflanzen in einem Teil des Badezimmers ersichtlich unsinnig. Es bestehe ferner angesichts der Schwere der Erkrankung und der fehlenden Behandlungsalternativen ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis.
39Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Ärzte Dr. T. und Dr. H. als sachverständige Zeugen. Wegen des Gegenstandes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
40Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die weiteren beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten, Gerichtsakte des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ‑ L 4 KR 3828/01 - und Strafakten der Staatsanwaltschaft Mannheim - 310 Js 5518/02 ‑).
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
42Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Klägers haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet und im Übrigen die Klage abgewiesen.
43Der Versagungsbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags auf Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis zu therapeutischen Zwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
44Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 2 BtMG. Nach dieser Vorschrift kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Für den Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung bedarf es einer Erlaubnis des BfArM. Nach der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG zählt Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor.
45Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11. Mai 2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (vgl. Anlage III), steht hier nicht in Rede. Ebenso wenig sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt (Anlage II). Ein anderweitiges Verständnis der Regelung in Anlage II widerspräche dem erkennbaren Willen des Verordnungsgebers. Dieser hat in der Begründung des Verordnungsentwurfs (BR-Drs. 130/11 vom 3. März 2011) ausdrücklich ausgeführt, dass die Änderungen betreffend Cannabis in den Anlagen I bis III (allein) dem Zweck dienen, cannabishaltige Fertigarzneimittel in Deutschland herstellen, zulassen und verschreiben zu können.
46Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung A. Allgemeiner Teil, I. Ziel und Gegenstand des Verordnungsentwurfs.
47Mit der Aufhebung des generellen Verkehrsverbots für Cannabis sollen lediglich solche cannabishaltigen Arzneimittel verkehrsfähig werden, die unter den strengen Vorgaben des Arzneimittelrechts als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Ferner soll die Herstellung entsprechender Zubereitungen zu medizinischen Zwecken ermöglicht werden.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung B. Besonderer Teil, Zu Artikel 1 (Änderung der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes), Zu den Nummern 1 bis 3 Buchstabe a.
49Die unter der Position Cannabis in Anlage II angeführte Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken steht danach in untrennbarem Zusammenhang mit der Herstellung eines cannabishaltigen Fertigarzneimittels und betrifft nicht den Eigenanbau von Cannabis zwecks Selbstmedikation.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris.
51Die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung liegt unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls, im öffentlichen Interesse.
52Das öffentliche Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG daran, ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu erteilen, ist im Falle des Klägers gegeben. Danach kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Erkrankung möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris (Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu therapeutischen Zwecken); ferner BVerfG, Beschlüsse vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑, NJW 2000, 3126, und vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1772/02 ‑, PharmR 2005, 374.
54Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieser Bestimmung kommt im Wertehorizont des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Leben und körperliche Unversehrtheit sind in weiten Bereichen elementare Voraussetzung für die Wahrnehmung der übrigen Grundrechtsgewährleistungen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden. Dies gilt insbesondere durch die staatliche Unterbindung des Zugangs zu prinzipiell verfügbaren Therapiemethoden zur nicht unwesentlichen Minderung von Leiden.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, m. w. N., juris.
56Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht in enger Beziehung zur Menschenwürde, die zu achten und zu schützen nach Art. 1 GG Aufgabe aller staatlicher Gewalt ist. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur jeweils deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris.
58Die Behandlung des Klägers mit Cannabis liegt hier im öffentlichen Interesse. Der Kläger ist schwer krank. Er leidet seit 1985 an Multipler Sklerose, die inzwischen in die chronische Form übergegangen ist. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom Zentrum für Nervenheilkunde, N. , vom 17. Januar 2012 besteht bei dem Kläger eine sekundär chronische Multiple Sklerose mit ausgeprägter Gangstörung, Rumpf- und Extremitätenataxie, Tetraspastik und psychischer Veränderung (organische, emotional-labile Störung mit beeinträchtigter Impulskontrolle sowie mit leichter kognitiver Störung). Eine Heilung des Klägers scheidet aus.
59Der Annahme eines für eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG erforderlichen öffentlichen Interesses steht nicht von vornherein entgegen, dass die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis bei Multipler Sklerose bisher nicht allgemein wissenschaftlich nachgewiesen ist. Denn bei der vorliegenden schweren Erkrankung des Klägers stellt schon die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit eine Linderung dar, die im öffentlichen Interesse liegt. Bei schweren Erkrankungen - wie vorliegend - ohne Aussicht auf Heilung gebietet es in diesem Rahmen die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur dann auszuschließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten kann.
60Vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, juris.
61Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist nach den dem Senat verfügbaren Erkenntnissen beim Kläger ein therapeutischer Nutzen zu bejahen. Der Kläger wendet Cannabis seit inzwischen mehr als 25 Jahren an. Dies hat zu einer erheblichen subjektiven Linderung seiner Beschwerden, insbesondere im Bereich der Ataxie, Spastik und seiner psychischen Verfassung geführt. Dies wird durch die ärztlichen Befundberichte sowie die Aussage des behandelnden Arztes Dr. T. als sachverständiger Zeuge in der Berufungsverhandlung bestätigt. Bereits in der ärztlichen Stellungnahme der Klinik Dr. F. , Krankenhaus für Multiple Sklerose und andere Nerven- und Stoffwechselleiden, vom 22. Oktober 1999 wird ausgeführt, dass der Kläger aus subjektivem Empfinden aufgrund des Cannabiskonsums eine deutliche Besserung der Symptomatik der Multiplen Sklerose (Spastik beim Einschlafen, Schmerzen in den Muskeln, Zittern, Depressionen, Appetitlosigkeit, Müdigkeitsgefühl, Blasenfunktion, verwaschene Sprache und Gleichgewichtsstörungen) angeben konnte und sich dies mit der allgemeinen Erfahrung decke, dass sich vor allem Schmerzen, Spastik, psychische Beeinträchtigungen und Ataxie unter medizinisch kontrollierter Einnahme von Cannabis bessern können. Bei der Kenntnis des Krankheitsbildes des Klägers und bei den bisherigen guten Erfahrungen, die er mit dem Einsatz von Cannabis zur Linderung der Symptomatik gemacht habe, werde die weitere kontrollierte medizinische Einnahme von Cannabis nervenärztlicherseits uneingeschränkt empfohlen. Auch bestätigt Dr. T. , in dessen ärztlicher Behandlung sich der Kläger seit 1992 befindet, in seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 27. April 2007, dass das Cannabis ohne Zweifel einen nachweisbaren Effekt auf die Ataxie und die erheblichen Stimmungsschwankungen des Klägers habe, der ohne den Konsum von Cannabis aufbrausend sei und ein für seine Umgebung sehr belastendes Verhalten gezeigt habe. Den ärztlichen Bescheinigungen des Dr. T. vom 17. Januar 2012 und 2. Oktober 2012 ist zu entnehmen, dass der Kläger durch die regelmäßige Einnahme von Cannabis eine Besserung der Ataxie und vor allem auch der Beschwerden durch die Spastik erlebt. Das Gangbild sei unter kontinuierlicher Cannabis-Einnahme deutlich sicherer als ohne und die maximale Gehstrecke habe verlängert werden können. Einschließende Spasmen seien unter der Cannabis-Einnahme kaum vorhanden. Ferner führe das regelmäßige Rauchen von Cannabispflanzen-Extrakt beim Kläger zu einem stimmungsmäßigen Ausgleich und die vor Aufnahme des Cannabis-Konsums stark gestörte Impulskontrolle habe sich reguliert. Nach einer aktuellen Stellungnahme des Dr. T. vom 15. Januar 2014 geht es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut. Die Stimmungslage sei ausgeglichen, es bestehe eine ausreichende Beweglichkeit mit einer Gehdauer (mit Handstock) von etwa 30 Minuten. Es beständen keine Schluckschwierigkeiten, die dysarthrische Sprache sei ausreichend verständlich. Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die glaubhaften Angaben des Dr. T. als sachverständiger Zeuge, der in der Berufungsverhandlung angegeben hat, die psychische Verfassung und das Sozialverhalten hätten sich unter der Wirkung von Cannabis deutlich verbessert.
62Dem Kläger steht gegenwärtig kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel für die Behandlung der im Rahmen der Multiplen Sklerose auftretenden Ataxie und Spastik sowie des Psychosyndroms zur Verfügung.
63Anders als in dem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 25. April 2013 ausgeführt, stellt das zugelassene Arzneimittel „Sativex“ für den Kläger keine mögliche Standardtherapie dar. Das Arzneimittel „Sativex“, ein Pflanzenextrakt der Firma Almirall, das neben den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Delta-9-THC) und Cannabidiol (CBD) auch weitere Bestandteile von Cannabis sativa enthält, hat - ungeachtet der Frage seiner Finanzierbarkeit - schon deshalb nicht die gleiche Wirksamkeit wie das von dem Kläger angebaute Cannabis sativa, weil sein Anwendungsbereich auf die Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose beschränkt ist, während sich das vom Kläger angebaute Cannabis insgesamt positiv auf die Beschwerden Ataxie, Spastik und emotionale Labilität auswirkt. „Sativex“ wird laut Fachinformation als Zusatzbehandlung für eine Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose angewendet, die nicht angemessen auf eine andere anti-spastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen. Dies ist bei dem Kläger (gerade) nicht der Fall. Im Gegenteil hat die Einnahme von „Sativex“ bei ihm sogar zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geführt.
64Der Kläger hat sich bereits in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen, der zu einer Verstärkung seiner Beschwerden geführt hat. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 11. August 2011 hat der Kläger „Sativex“ als Ersatz für Marihuana eingenommen. Es habe ihm aber weder in geringen noch in höheren Dosen (bis zu 6 Hübe) geholfen. Die Einnahme von „Sativex“ habe ihn sehr müde gemacht, seine Bewegungen seien ihm schwer gefallen und nur verlangsamt möglich gewesen. Das Befinden und die Motorik hätten sich durch „Sativex“ verschlechtert. Auch habe er schlecht Luft bekommen und vermehrt das Asthmaspray einsetzen müssen. Nach Auskunft seiner Lebensgefährtin habe der Kläger während der Behandlung mit „Sativex“ überwiegend gelegen. In seiner weiteren fachärztlichen Bescheinigung vom 2. Oktober 2012 stellt Dr. T. fest, dass unter Sativex nicht die vergleichbaren Effekte wie unter Cannabis zu erzielen waren. Dem Einwand der Beklagten, der Therapieversuch sei unbeachtlich, weil er jedenfalls hinsichtlich der Dosierung nicht entsprechend der (klinischen) Vorgaben in der Zulassung durchgeführt worden sei, ist nicht zu folgen. Zwar sieht die Fachinformation der Firma Almirall unter Ziffer 4.2 „Art und Dauer der Anwendung“ eine zweiwöchige Titrationsphase vor, innerhalb derer die Anzahl der Sprühstöße entsprechend eines konkreten Dosierungsschemas täglich von einem auf bis zu 12 Sprühstöße langsam erhöht wird. Auch wird darauf hingewiesen, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis die optimale Dosierung gefunden wird, und dass Nebenwirkungen (etwa Müdigkeit) auftreten können, die aber üblicherweise schwach sind und nach einigen Tagen abklingen. Dem Kläger, bei dem die Nebenwirkungen offenbar gerade nicht in bloß schwacher Form aufgetreten sind, ist es mit Blick auf seine ausgeprägte Ataxie aber nicht zumutbar, die bis zu zwei Wochen dauernde Phase der Nebenwirkungen abzuwarten und in dieser Zeit noch weitere Beeinträchtigungen seiner ohnehin stark eingeschränkten Bewegungsfähigkeit hinzunehmen. Mit Blick auf die elementare Bedeutung des Grundrechts des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und unter Achtung seiner Menschenwürde ist es daher aus ethischen Gründen nicht zu verantworten, den schwer kranken Kläger erneut einem mehrwöchigen Behandlungsversuch mit „Sativex“ auszusetzen, obwohl die Behandlung des bei ihm im Vordergrund stehenden Symptoms der Multiplen Sklerose, der Ataxie, vom Anwendungsbereich von „Sativex“ gar nicht erfasst wird.
65Dem Kläger steht auch mit dem verschreibungsfähigen Wirkstoff „Dronabinol“ keine gleich wirksame Therapiealternative zur Verfügung. Zwar ist „Dronabinol“ für ihn nunmehr grundsätzlich verfügbar, nachdem die AOK S. -O. -P. mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Übernahme der Kosten für diesen Wirkstoff erklärt hat. Im Falle des Klägers ist jedoch derzeit anzunehmen, dass „Dronabinol“ nicht genauso wirkt wie Cannabis. Deshalb kann dahinstehen, ob er überhaupt auf das Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ verwiesen werden kann, das kein für die Erkrankung des Klägers zugelassenes (Fertig-)Arzneimittel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist.
66Der Senat geht dabei davon aus, dass „Dronabinol“, das aus dem Cannabis-Hauptwirkstoff Delta-9-THC besteht, grundsätzlich mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkungen auf die Symptome einer Multiplen Sklerose entfalten kann. So wird „Dronabinol“ vorwiegend gegen chronische/neuropathische Schmerzen und Spastik eingesetzt und kann bei Multipler Sklerose Muskelkrämpfe und Spastiken reduzieren. Der Stellungnahme des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) Dr. H. vom 6. Dezember 1999 ist zu entnehmen, dass Cannabis und THC eine Vielzahl von Wirkungen entfalten, die bei der Multiplen Sklerose therapeutischen Nutzen versprechen. THC bzw. Dronabinol sei der pharmakologisch wichtigste Inhaltsstoff der Hanfpflanze (cannabis sativa L.). Wenn auch die Cannabiswirkungen nicht durch die THC-Effekte allein erklärt würden, so machten diese Effekte doch den weitaus größten Teil der Gesamtwirkung aus. In einer Anzahl von Studien sei ein muskelentspannender Effekt von THC bzw. Cannabis nachgewiesen worden. Auch sei in verschiedenen Tiermodellen sowie klinischen Studien der schmerzhemmende Effekt von THC nachgewiesen und der Wirkungsmechanismus weitgehend aufgeklärt worden. Zu vielen anderen von Patienten geschilderten (positiven) Effekten lägen zwar keine klinischen Daten vor, sie würden jedoch häufig und unabhängig voneinander von den Betroffenen vorgetragen. In seiner - vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren überreichten - Stellungnahme vom 6. Februar 2001 verweist Dr. H. ebenfalls darauf, dass die durchgeführten klinischen Studien in ihrer Gesamtheit die Annahme nahelegen, dass Marihuana, Delta-9-THC und Nabilon (ein synthetisches Cannabinoid) wahrscheinlich nützliche symptomatische Wirkungen auf Spastik und Tremor entfalteten. Danach dürfe angenommen werden, dass THC bei Multipler Sklerose therapeutische Wirkung entfalte.
67Auch in dem vom Amtsgericht Mannheim im Strafverfahren 310 Js 5518/02 eingeholten fachneurologischen Aktengutachten des Universitätsklinikums Heidelberg vom 21. Februar 2003 wird die Einnahme von Cannabis und seinen Derivaten (gleichermaßen) zur Behandlung der Symptome der Multiplen Sklerose befürwortet. Ausweislich der Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. med. N. und Dr. med. T1. belegen verschiedene klinische Untersuchungen die Möglichkeit der therapeutischen Anwendung von Cannabisderivaten in der Medizin und insbesondere bei Erkrankungen des Nervensystems. Typische Wirkungen von Cannabis auf den Organismus seien Wohlbefinden und Entspannung, aber auch unerwünschte psychische Effekte wie Angst- und Panikzustände sowie Herzfrequenzbeschleunigung, Blutdruckveränderungen. Weitere Cannabiseffekte bestünden in einer Schmerzlinderung, Muskelrelaxierung, Krampflösung, Bewegungsharmonisierung, Sedierung, Appetitsteigerung, Entzündungshemmung und Bronchialerweiterung. Die zugelassenen Indikationen des synthetisch hergestellten Cannabisderivats Delta-9-THC „Dronabinol“ mit dem Handelsnamen „N1. ®“ seien in den USA zwar auf Gewichtsverlust bei Aids- und Tumorpatienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapiepatienten beschränkt, die mit anderen Medikamenten nicht zu beherrschen seien. Auch liege in Deutschland derzeit keine zugelassene Indikation für Cannabisderivate vor. Es sei dem Arzt jedoch frei gestellt, Cannabis im Rahmen eines individuellen Heilversuchs in Form von „Dronabinol“ zu verordnen. Potentielle Behandlungsindikationen aus neurologischer Sicht, für die in einzelnen Untersuchungen ein günstiger Effekt von Cannabis gezeigt worden sei, beträfen die Symptome der Spastik und Ataxie, des Schmerzes und der Depressionen, die auch bei der Multiplen Sklerose vorkämen. Es gebe mehrere Fallbeispiele, dass Cannabis bzw. seine Derivate für Symptome der Spastik und Ataxie hilfreich sein könnten.
68Ausgehend von der bei der Frage einer Therapiealternative im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG gebotenen konkret-individuellen Betrachtungsweise kann aber gegenwärtig nicht festgestellt werden, dass „Dronabinol“ auch beim Kläger genauso wirkt wie Cannabis. Hierauf deutet bereits die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vom Kläger vorgelegte Bescheinigung von Dr. T. vom 7. Februar 2013 hin, wonach „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen habe. Die Stimmungslage sei dadurch einigermaßen ausgeglichen, die Effekte auf Ataxie und Spasmen seien deutlich weniger spürbar als bei regelmäßigem oralem und inhalativem Cannabiskonsum von bis zu 3 g. Hintergrund dieser Feststellungen ist der Versuch des Klägers gewesen, sich nach der Kostenübernahme für „Dronabinol“ durch die AOK S. -O. -P. Ende 2012 auf diesen Wirkstoff umzustellen. Im Rahmen dieses (ambulanten) Umstellversuchs konnte der Kläger mit einer Dosis von 20 Tropfen „Dronabinol“ morgens eine gewisse Reduzierung des täglichen Cannabiskonsums erreichen. Hingegen muss der Versuch, den Cannabiskonsum mit „Dronabinol“ zu ersetzen und den Kläger allein damit zu behandeln, mit den Stellungnahmen seiner behandelnden Ärzte als gescheitert angesehen werden. Nach den Äußerungen der sachverständigen Zeugen Dr. T. und Dr. H. bewirkt die erreichte Dosis von derzeit 20 Tropfen „Dronabinol“ beim Kläger keine ausreichende Linderung der spastisch-ataktischen Symptomatik, wohingegen eine dafür erforderliche Dosis nicht erreicht werden kann, weil es durch eine Dosissteigerung zu einer erheblichen Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustands kommt. Die Ärzte haben sich dabei maßgeblich auf ihre bisherigen umfangreichen Erfahrungen bei der Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis gestützt, die sie dem Senat widerspruchsfrei und überzeugend vermittelt haben.
69Im Einzelnen:
70Nach der fachärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 7. Februar 2013 hat „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung beim Kläger keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen. Ausweislich seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli 2013 nimmt der Kläger derzeit morgens 20 Tropfen „Dronabinol“ und raucht im Laufe des Tages mindestens 10 Tütchen Haschisch/Marihuana. Unter dieser hohen Dosis fühle sich der Kläger subjektiv wohl. Im Hinblick auf diese Feststellungen hat der erkennende Senat Dr. T. um ergänzende schriftliche Stellungnahme gebeten, ob der Kläger ausschließlich mit „Dronabinol“ behandelt werden könne. Dr. T. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2014 weiter ausgeführt, dass es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut gehe. Eine Stimmungsaufhellung ist nach der Stellungnahme von Dr. T. vom 28. April 2014 erst bei einer Dosis von 20 Tropfen morgens vorübergehend festzustellen gewesen. Eine Besserung der spastisch-ataktischen Symptomatik sei nicht erkennbar gewesen. Der Versuch, die Einzeldosis auf mehr als 20 Tropfen zu steigern, sei misslungen, da es dadurch zu Unruhe, Fahrigkeit, zu Stimmungsschwankungen und auch Dysphorie gekommen sei. Danach ist davon auszugehen, dass die für eine beim Kläger ausreichende Symptomkontrolle ‑ insbesondere im Hinblick auf die Ataxie und Spastik - erforderliche Dosis „Dronabinol“ nicht erreicht werden kann, ohne dass unerwünschte erhebliche Nebenwirkungen im Bereich seiner psychischen Verfassung auftreten.
71Diese Einschätzung hat die Vernehmung der den Kläger behandelnden bzw. betreuenden Ärzte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der sachverständige Zeuge Dr. T. hat angegeben, dass eine weitere Erhöhung der Dosis ausscheide, weil dann die psychischen Zustände - Unruhe, Panik, Anspannung - beim Kläger eintreten würden. Bei der derzeitigen Dosis mit 20 Tropfen habe sich aber auch keine zufriedenstellende positive Lösung eingestellt, so dass weiterhin Cannabisblüten gegeben würden. Dr. T. kommt zu dem Ergebnis, dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ beim Kläger nur eine unwahrscheinliche Möglichkeit darstellt. Dies ist angesichts der von ihm beschriebenen Nebenwirkungen bei einer versuchten Steigerung der Dronabinoldosis, auf die der Kläger zur Symptomkontrolle der Ataxie und Spastik angewiesen wäre, auch plausibel. Dass die ärztlichen Feststellungen zur psychischen Verfassung des Klägers dabei wesentlich auf dessen Eigenwahrnehmung beruhen, mindert nicht deren Aussagewert und ist letztlich dem besonderen psychischen Krankheitsbild des Klägers geschuldet. Es ist dann Aufgabe des den Patienten behandelnden Arztes, die subjektiv unter der Gabe von „Dronabinol“ empfundenen Nebenwirkungen zu objektivieren. Dies hat Dr. T. in der erforderlichen Weise getan, indem er die Selbsteinschätzung des Untersuchten ärztlicherseits bestätigt und sie als ärztliche Feststellungen dem Senat vermittelt hat.
72Die Bewertung durch Dr. T. , dass eine erfolgreiche Monotherapie mit „Dronabinol“ im Falle des Klägers unwahrscheinlich ist, steht im Einklang mit seinen bisherigen schriftlichen Stellungnahmen. Soweit er in seiner Stellungnahme vom 28. April 2014 ausgeführt hat, es sei zu vermuten, dass mit einer Gesamtmenge von 4 x 20 Tropfen „Dronabinol“ am Tag ein einigermaßen dem bisherigen Cannabiskonsum vergleichbarer Effekt zu erzielen sein dürfte, hat er einen vermeintlich darin begründeten Widerspruch in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt. Dort hat Dr. T. klargestellt, dass es sich bei der Möglichkeit einer Monotherapie um eine rein theoretische Annahme seinerseits gehandelt habe. Dies ist auch angesichts seiner weiteren Feststellungen bei der Anwendung von „Dronabinol“ durch den Kläger ohne weiteres nachvollziehbar, weil danach schon eine Steigerung der Dosis von einmalig 20 Tropfen am Tag zu erheblichen Nebenwirkungen - vor allem im psychischen Bereich - geführt hat. Insoweit überwiegen nach Auskunft von Dr. T. die Aussagen des Klägers, dass er bei mehr als 20 Tropfen „Dronabinol“ hektisch, fahrig und panisch geworden sei und im Übrigen die Effekte auf Ataxie und Spasmen deutlich weniger spürbar als bei einem Cannabiskonsum gewesen seien. Dass nur theoretisch und medizinisch nicht begründet die Möglichkeit einer Monotherapie mit „Dronabinol“ besteht, entspricht auch der in der gleichen Stellungnahme des Dr. T. vom 28. April 2014 getroffenen Aussage, es sei unwahrscheinlich, dass durch ein anderes Medikament dem Cannabiskonsum vergleichbare Effekte im Falle des Untersuchten erzielt werden könnten.
73Dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ mit einer Dosierung von 4 x 20 Tropfen zu einer ausreichenden Symptomkontrolle beim Kläger führt, ist auch angesichts der damit vom Kläger aufgenommenen THC-Menge fernliegend. Wie Dr. H. , der den Kläger seit April 2014 in der Cannabisbehandlung begleitet, in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt hat, entspricht der Konsum von 3,5 g Cannabis täglich bei einer THC-Konzentration von 15 %, die regelmäßig bei der vom Kläger angebauten Sorte „Jack Herrer“ anzunehmen ist, 525 mg THC bzw. „Dronabinol“. Diese THC-Menge wird schon rein rechnerisch durch eine Dosis von 4 x 20 Tropfen täglich nicht ansatzweise erreicht. Dabei kann offen bleiben, ob dies, so die Auffassung der Beklagten, einer THC-Menge von nicht nur 66 mg, sondern 80 mg entspricht. Selbst wenn der tägliche Konsum - wie der Kläger an anderer Stelle ausführt - mit 165 mg THC bzw. „Dronabinol“ niedriger anzunehmen sein sollte, kann auch diese Menge durch die von Dr. T. angenommene Höchstmenge „Dronabinol“ nicht vollständig substituiert werden. Hinzu kommt, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, dass bei Patienten, die - wie der Kläger - sehr hohe Dosen Cannabis konsumierten, ein Ersetzen durch reines THC bzw. „Dronabinol“ nicht möglich sei, weil dann die ungefilterte Wirkung des THC zu stark durschlage und die Nebenstoffe des Cannabis fehlten, die bei hohen Dosen eine modulierende Wirkung entfalteten. Die entsprechende subjektive Wahrnehmung durch den Kläger konnte der sachverständige Zeuge angesichts anderer Patienten, mit denen er ähnliche Erfahrungen gemacht hat, bestätigen. Dr. H. hält deshalb eine Umstellung des Klägers auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ für nicht möglich. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung des in der Hauptverhandlung im Strafverfahren des Klägers angehörten Sachverständigen Prof. Dr. N. , der es nachvollziehbar und auch aus medizinischer Sicht als verständlich ansah, dass die Einnahme von „Dronabinol“ allein nicht dieselbe Linderung verschafft habe. Denn in „Dronabinol“ befände sich der reine Wirkstoff THC, wogegen bei der Einnahme von Cannabis andere pflanzliche Faktoren bei der Linderung eine Rolle spielen könnten, die allerdings in ihrer Zusammensetzung wissenschaftlich und medizinisch noch nicht erforscht seien (vgl. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 19. Januar 2005 - 310 Js 5518/02 -).
74Der Senat hat keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des als sachverständigen Zeugen angehörten Dr. H. zu zweifeln. Für seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht vor allem der persönliche Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von ihm gewinnen konnte. Etwaige Zweifel, die in seiner politischen Arbeit für die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) begründet sein könnten, sind dadurch ausgeräumt worden, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend deutlich gemacht hat, als Wissenschaftler, als politisch Engagierter und als Arzt in unterschiedlichen Funktionen tätig zu sein und zwischen diesen Tätigkeiten trennen zu können.
75Dem (sinngemäßen) Einwand der Beklagten, es fehle weiterhin an einer Beschreibung des Therapieverlaufs und seines Ergebnisses, um die Frage der gleichen therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ beantworten zu können, folgt der Senat nicht. Die ärztliche Einschätzung von Dr. T. , dass der Kläger bei realistischer Betrachtungsweise nicht auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ umgestellt werden kann, beruht auf Erkenntnissen aus seiner jahrzehntelangen Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis, zuletzt auf dem Therapieversuch nach der Kostenübernahmeerklärung für „Dronabinol“ durch die Krankenkasse. Sie wird zudem bestätigt durch die Feststellungen von Dr. H. , der umfangreiche Erfahrungen mit Patienten hat, die - wie der Kläger - mit Cannabis und/oder „Dronabinol“ behandelt werden. Welche Erkenntnisse darüber hinaus aus einer Dokumentation des gesamten Therapieverlaufs und dessen Ergebnis mit „Dronabinol“ gewonnen werden könnten, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Allein aus dem Fehlen einer schriftlichen Dokumentation des Therapieverlaufs mit „Dronabinol“ im Einzelnen ist jedenfalls - auch angesichts der zahlreichen schriftlichen fachärztlichen Bescheinigungen - nicht zu schließen, dass die dem Senat in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend vermittelte Einschätzung beider Ärzte auf einer fehlenden tatsächlichen Grundlage und von daher nicht medizinisch fundiert getroffen worden ist.
76Hiervon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und seiner Menschenwürde ist dem Kläger der von der Beklagten geforderte stationäre Umstellversuch auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ nicht zuzumuten. Der schwer chronisch kranke Kläger, der derzeit nach den Aussagen seiner behandelnden Ärzte auf eine auf ihn subjektiv gut abgestimmte Therapieform eingestellt ist, muss sich nicht auf eine lediglich theoretische und damit für ihn nicht ansatzweise erfolgversprechende Therapiealternative mit ungewissem Ausgang einlassen. Eine medizinische Indikation, einen stationären Umstellversuch zu erzwingen, besteht nach Aussage des behandelnden Arztes beim Kläger ebenfalls nicht. Auch deshalb ist nicht anzunehmen, dass überhaupt eine Einrichtung gefunden werden kann, die einen solchen stationären Therapieversuch mit Dronabinoldosen jenseits der üblichen Mengen durchführt, und nicht ersichtlich, wer die Kosten hierfür übernimmt, was auch schon dem Umstellversuch im Dezember 2012 entgegenstand. Ein stationärer Umstellversuchs ist zudem als Möglichkeit einer zusätzlichen Tatsachengewinnung nicht erforderlich, weil der Senat die Überzeugung von einer im Falle des Klägers nicht mit Cannabis vergleichbaren Wirkung von „Dronabinol“ bereits auf der Grundlage der schriftlichen und mündlichen Aussagen der sachverständigen Zeugen gewinnen konnte.
77Mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnisse sieht sich der Senat nicht veranlasst, zur Frage der fehlenden vergleichbaren therapeutischen Wirkung von „Dronabinol“ beim Kläger ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die aussagekräftigen schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte reichen aus, um dem Senat die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung von der beim Kläger nicht vergleichbaren Wirkung einer Monotherapie mit „Dronabinol“ zu ermöglichen.
78Soweit die Lebensgefährtin des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Kläger mit Medizinalhanf der Sorte Bedrocan gut zurecht käme, weil er diese Sorte selbst angebaut habe, steht ihm diese Therapiealternative aus rechtlichen Gründen sowie im Hinblick auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch aus Kostengründen tatsächlich nicht zur Verfügung. Aufgrund der zwischenzeitlich durch die AOK S. -O. -P. erklärten Kostenübernahme für „Dronabinol“ und der damit nach Auffassung der Beklagten verbundenen Therapiealternative sieht sie sich bereits daran gehindert, dem Kläger eine Erwerbserlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen, die Voraussetzung für den Erwerb von Medizinalhanf aus der Apotheke ist. Außerdem kann der Kläger, der eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente von derzeit ca. 890,00 Euro bezieht, die monatlichen Kosten der von ihm benötigen Monatsdosis Cannabis nicht selbst tragen. Während die von ihm benötigten ca. 100 g „Cannabis flos Bedrocan“ monatliche Kosten von mindestens 400,00 Euro, wenn nicht sogar von 1.600,00 Euro, verursachen würden, entstehen ihm durch den Eigenanbau von Cannabis monatliche Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. in Höhe von ca. 110 Euro.
79Der Kläger bekommt die Kosten für „Cannabis flos Bedrocan“ auch nicht von seiner Krankenkasse erstattet. Dies ergibt sich aus der Ablehnung der Kostenübernahme durch die AOK S. -O. -P. vom 7. Juni 2013, die sie zuletzt auf Nachfrage des Senats am 10. Juni 2014 nochmals bestätigt hat. Dass nach der Beweisaufnahme für den Senat feststeht, dass „Dronabinol“ beim Kläger nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit hat wie Cannabis, rechtfertigt nicht die Annahme, die AOK S. -O. -P. werde nunmehr die Kostenübernahme für Medizinalhanf erklären. Dies folgt schon daraus, dass die Kostenübernahme nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 25. April 2013 nicht mit einer alternativen Therapiemöglichkeit mit dem Wirkstoff „Dronabinol“, sondern damit abgelehnt worden ist, dass zum einen beim Kläger keine schwere, lebensbedrohliche oder dem gleichzustellende Erkrankung vorliege und zum anderen die Möglichkeiten der Standardtherapie - hier mit Sativex - nicht ausgeschöpft seien. Es ist dem schwer kranken Kläger nicht mehr zumutbar, ein weiteres Mal den sozialgerichtlichen Klageweg hiergegen auszuschöpfen. Es liegt nicht in der Hand des Klägers, die rechtlichen Rahmenvorgaben für die Zulassung bzw. die krankenkassenrechtliche Kostenübernahme von Medizinalhanf als weitere Behandlungsalternative zu schaffen. Etwas anderes gilt im Hinblick auf den Ausnahmecharakter einer Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis allerdings dann, wenn dem Kläger in Zukunft eine Kostenübernahme für Medizinalhanf erteilt werden würde.
80Der Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis stehen weiter keine zwingenden Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG entgegen. Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau zu therapeutischen Zwecken modifiziert anzuwenden sind. § 5 Abs. 1 BtMG ist ‑ ebenso wie §§ 6, 7 BtMG - ersichtlich nicht auf Privatpersonen zugeschnitten, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren. Nachdem aber nach § 3 Abs. 2 BtMG auch für diese Personen die Erteilung einer Erlaubnis in Betracht kommt, ist § 5 Abs. 1 BtMG modifziert anzuwenden. Einerseits ist der Schutzzweck der Vorschrift zu beachten, andererseits darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, dass die Erteilung einer Erlaubnis an Privatpersonen, die die Erlaubnis dazu nutzen wollen, Betäubungsmittel aus medizinischen Gründen privat zu konsumieren, praktisch ausscheidet oder unzumutbar erschwert wird.
81Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. März 2007
82- 13 E 1542/06 ‑, juris.
83Hiervon ausgehend erweist sich die Annahme des BfArM im Versagungsbescheid vom 6. Dezember 2007, der Erteilung der Erlaubnis stehe der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG entgegen, als rechtwidrig, weil sie die modifizierte Anwendung dieser Vorschrift außer Acht lässt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BtMG wird der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln, die keine Arzneimittel sind, durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln erbracht. Diese (strengen) Voraussetzungen dürfte der Kläger zwar offensichtlich nicht erfüllen. Jedoch ist auch § 6 Abs. 2 BtMG auf die Fallgestaltung des privaten Eigenanbaus von Cannabis aus therapeutischen Gründen modifiziert anzuwenden. Um dem Betroffenen die Erteilung der Erlaubnis nicht unzumutbar zu erschweren, kann eine sachkundige Betreuung auch auf andere Weise sichergestellt werden. Dabei käme zum einen in Betracht, den Hausarzt des Klägers, Dr. C. , als Verantwortlichen zu benennen. Dass eine Bereitschaft des Hausarztes Dr. C. zur Übernahme entsprechender Pflichten nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren. Dort hatte der Kläger bereits mit Schriftsatz vom 30. Mai 2007 darauf hingewiesen, dass sich sein Hausarzt Dr. C. zur Unterstützung bereit erklärt habe. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger aufgrund des jahrelangen - nach § 34 StGB gerechtfertigten - Eigenanbaus von Cannabis selbst bereits weitreichende Sachkenntnis gerade hinsichtlich der von ihm verwendeten Cannabissorte angeeignet hat. Abgesehen davon kann das BfArM gemäß § 6 Abs. 2 BtMG im Einzelfall auch von den in Absatz 1 genannten Anforderungen an die Sachkenntnis abweichen, wenn die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen gewährleistet sind. Das BfArM hat das ihm zustehende Ermessen bislang noch nicht ausgeübt, da es das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BtMG zu Unrecht verneint hat. Es hat in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 ausgeführt, dass eine Abweichung von § 6 Abs. 1 BtMG nicht möglich sei, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet seien, und zur Begründung sinngemäß auf die Ausführungen zum Vorliegen der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG verwiesen. Diese Begründung greift jedoch nicht, da die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG - wie nachfolgend ausgeführt ‑ nicht gegeben sind.
84Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind. Wer am Betäubungsmittelverkehr teilnimmt, hat die Betäubungsmittel, die sich in seinem Besitz befinden, gesondert aufzubewahren und gegen unbefugte Entnahme zu sichern (§ 15 Satz 1 BtMG). Das BfArM kann Sicherungsmaßnahmen anordnen, soweit es nach Art oder Umfang des Betäubungsmittelverkehrs, dem Gefährdungsgrad oder der Menge der Betäubungsmittel erforderlich ist (§ 15 Satz 2 BtMG).
85Die Vorschrift soll verhindern, zumindest erschweren, dass der illegale Betäubungsmittelhandel sich im Wege des Diebstahls, der Unterschlagung oder der unbefugten Entnahme aus legalen Betäubungsmitteldepots versorgt. Um die Diebstahlsgefahr möglichst gering zu halten, wird der Erlaubnisinhaber deshalb je nach Menge und Gefährdungsgrad der Betäubungsmittel zu besonderen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet.
86Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 1.
87Das BfArM hat Richtlinien entwickelt, wie Betäubungsmittelvorräte von Erlaubnisinhabern nach § 3 BtMG besonders gegen unbefugte Wegnahme zu sichern sind. Diese Richtlinien (Stand: 1. Januar 2007) unterscheiden drei Vorkehrungen, und zwar 1. Aufbewahrung in (zertifizierten Wertschutz‑)Schränken, 2. Aufbewahrung in Räumen und 3. zusätzliche elektrische Überwachung.
88Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 15, Rn. 2.
89Entgegen der Auffassung der Beklagten finden diese Richtlinien beim Anbau von Cannabispflanzen in einer Privatwohnung zur medizinischen Eigenbehandlung des Wohnungsinhabers aber keine Anwendung. Die Richtlinien sind - ebenso wie die Regelung in § 5 Abs. 1 BtMG selbst - nicht auf diese Fallkonstellation zugeschnitten, weil die darin geforderten Sicherungsmaßnahmen (z. B. zertifizierte Wertschutzschränke und -türen) und die hierfür anfallenden Kosten ersichtlich außer Verhältnis zu dem Gefahrenpotential stehen, das die wenigen für die Eigentherapie benötigten Cannabispflanzen bergen. Von Privatpersonen können daher nur zumutbare Sicherungsmaßnahmen verlangt werden.
90Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. März 2007 - 13 E 1542/06 - und vom 16. November 2011 ‑ 13 B 1199/11 ‑, jeweils juris.
91Hiervon ausgehend greift die Begründung des BfArM in seinen Bescheiden vom 6. Dezember 2007 und 10. August 2010, wonach bereits mangels Einhaltung der Richtlinien vom 1. Januar 2007, insbesondere zur Aufbewahrung der Cannabisvorräte in einem zertifizierten Wertschutzschrank, der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BtMG gegeben sei, nicht durch. Vielmehr können von dem Kläger nur zumutbare und dem Sicherungszweck angemessene Sicherungsmaßnahmen verlangt werden. Die vom Kläger bereits mit Schriftsatz vom 10. Mai 2010 detailliert benannten ‑ zum Teil noch im Planungsstadium befindlichen - Sicherungsmaßnahmen sind mit Blick auf Art und Umfang des Betäubungsmittelverkehrs (Cannabisanbau ausschließlich zum Eigenkonsum) sowie auf den Gefährdungsgrad (gering frequentierte Wohnung des Klägers) als ausreichend anzusehen. Gegen ein Eindringen Unbefugter von außen schützen zunächst die dreifach verriegelte Wohnungseingangstür und die sicherheitsverglasten, sechsfach verriegelten Fenster, die zudem mit einem Aufhebelschutz versehen sind. Befindet sich das Badezimmerfenster in Kippstellung, sorgt die geplante Anbringung eines Gitters für den erforderlichen Schutz. Die Pflanzen sind auch innerhalb der Wohnung ausreichend gegen eine unbefugte Entwendung geschützt. Die Wohnung des Klägers wird kaum von Dritten frequentiert; der Kläger bewohnt die Wohnung zusammen mit seiner Lebensgefährtin und erhält wenig Besuch. Die Kranken-gymnastin, die eine Zeit lang die Wohnung regelmäßig aufgesucht hat, hat ihre Tätigkeit beendet. Die Frage, ob die Wohnung künftig durch externes Pflege-personal aufgesucht wird, stellt sich noch nicht. Für die fernliegende Möglichkeit, dass ein Dritter das Badezimmer des Klägers aufsucht, ist ebenfalls ausreichend Schutz gewährleistet. Die Pflanzen in der Blühphase (2 x 8 Pflanzen) dürften für einen Dritten nicht ohne Weiteres sichtbar sein, weil sie in der gemauerten Dusche unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe herangezogen werden. Jeden-falls würde dem Kläger angesichts der überschaubaren Menge das Fehlen einer Pflanze sofort auffallen. Im Übrigen hat der Kläger die Anbringung eines Fingerprintschlosses angeboten, so dass er das Aufsuchen seines Badezimmers unter Kontrolle hätte. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) sind in einem Schrank aufbewahrt; ein überschüssiger Ertrag aus den getrockneten Blüten von 8 Pflanzen, der nach Angaben des Klägers in etwa seinen Monatsbedarf an 100 g Cannabis deckt, wird in einem Tresor gelagert. Darüber hinaus hat der Kläger ein erhebliches Eigeninteresse, dass das Cannabis nicht an Dritte gelangt, weil er es zur Behandlung selbst benötigt. Für den ‑ seltenen - Fall seiner Abwesenheit will der Kläger ebenfalls vorsorgen. Er beabsichtigt die Überwachung der Tür zum Badezimmer und des Fensters mit einer IP-Kamera, die aufgrund eines programmierten Bewegungsmelders bei Bewegungen im Raum eine E-Mail mit Bildern an ein Handy schickt. In diesem Fall könnte der Kläger umgehend die Polizei benachrichtigen.
92Dass die dargestellten Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, hat das BfArM auch im Berufungsverfahren nicht substantiiert dargelegt. Entgegen der Auffassung des BfArM kommt - mit Blick auf § 15 Satz 2 BtMG ‑ auch eine Erlaubniserteilung unter Auflagen in Betracht. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BtMG kann die Erlaubnis befristet, mit Bedingungen erlassen oder mit Auflagen versehen werden, wenn dies zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Damit können die Nebenbestimmungen auch zwingende Versagungsgründe des § 5 BtMG ausräumen.
93Vgl. VG Berlin, Urteil vom 27. Juni 1996 - VG 14 A 134/94 -, NJW 1997, 816; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 9, Rn. 9.
94Das BfArM kann daher eine Erlaubnis unter der Auflage, bestimmte Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen, erteilen, und damit auch für eine Umsetzung der bislang nur im Planungsstadium befindlichen Sicherheitsvorkehrungen sorgen.
95Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG ist nicht gegeben. Hiernach ist die Erlaubnis nach § 3 zu versagen, wenn durch das beantragte Projekt die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet sind.
96Die Erteilung einer Anbauerlaubnis geringer Cannabismengen zur therapeutischen Behandlung einer schweren Krankheit unter ärztlicher Aufsicht verstößt nicht generell gegen § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG, da eine ärztliche Betreuung die erforderliche Sicherheit und Kontrolle gewährleisten kann.
97Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 5, Rn. 14 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑; Weber, BtMG, Kommentar, 4. Auflage 2013, § 5, Rn. 33 unter Bezugnahme auf OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2012 - 13 A 414/11 -.
98Hiervon ausgehend liegt ein Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 BtMG nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das vom Kläger (in einer überschaubaren Menge) angebaute Cannabis dem illegalen Betäubungsmittelverkehr zugeführt werden könnte. Der Kläger hat substantiiert dargelegt, dass er das angebaute Cannabis zur Eigentherapie benötigt und die geernteten Blüten ausschließlich für den Eigenverbrauch weiter verarbeitet bzw. - im Ausnahmefall - nicht benötigte Blüten im Tresor aufbewahrt und die Reste der Pflanzen zu Kompost und Dünger verarbeitet. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des angebauten Cannabis durch den Kläger. Zwar hat das BfArM in seinem Bescheid vom 6. Dezember 2007 darauf verwiesen, dass ein Betäubungsmittelverkehr zu therapeutischen Zwecken mit Pflanzenteilen, die hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit in keiner Weise arzneimittelrechtlichen Standards entsprechen könnten, weder sicher sein noch wirksam kontrolliert werden könne. Der Senat geht aber in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der Kläger aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich der Wirksamkeit und der Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte verfügt und die von ihm praktizierte Vermehrungsmethode eine relative Gewähr für einen konstanten THC-Gehalt der Cannabispflanzen bietet. Auch hat der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren klargestellt, dass der Eigenanbau unter hausärztlicher Kontrolle erfolge. Abgesehen davon ist dem Kläger die fehlende konkrete Bestimmung des THC-Gehalts des von ihm angebauten Cannabis nicht anzulasten, da diese derzeit aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Das BfArM hat bereits in seinem an das BMG gerichteten Schreiben vom 29. Juni 2010 darauf hingewiesen, dass derartige Untersuchungen von den entsprechenden Einrichtungen nicht ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis durchgeführt werden.
99Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist.
100Angesichts der nunmehr belegten unzureichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf durch die AOK S. -O. -P. ist der vom Kläger beantragte Eigenanbau von Cannabis nach den obigen Ausführungen derzeit für seine medizinische Versorgung notwendig und geeignet. Kann der Kläger deshalb seine notwendige medizinische Versorgung gegenwärtig nur durch den Eigenanbau von Cannabis sicherstellen, ist es auch hinzunehmen, dass bei dem schwer kranken Kläger inzwischen eine Betäubungsmittelabhängigkeit entstanden ist.
101Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 BtMG mit der Begründung versagt werden, die Erlaubniserteilung verlange nach dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl II, S. 111; im Folgenden: ÜK 1961) die Einrichtung einer Cannabis-Agentur, die aber nicht geplant sei. Gemäß § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis (u. a.) versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen entgegensteht. Einer Entscheidung zu Gunsten des Klägers steht das ÜK 1961 nicht entgegen. Zum einen bringt das ÜK 1961 in Art. 2 Abs. 5 b), Art. 19 Abs. 1 a), Art. 21 Abs. 1 a), Art. 30 Abs. 1 c) und Art 32 zum Ausdruck, dass der therapeutische Einsatz von Suchtstoffen nicht verhindert werden soll.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 3, Rn. 77.
103Zum anderen finden - entgegen der im Schreiben vom 30. Juli 2010 vertretenen Auffassung des INCB - Art. 28 Abs. 1, 23 ÜK 1961, die bei einer Erlaubniserteilung für den Anbau von Cannabis die Errichtung einer staatlichen Stelle vorsehen, auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Die Bestimmungen sind nach ihrem Sinn und Zweck auf den Fall der Erlaubniserteilung an eine Einzelperson zu therapeutischen Zwecken nicht anwendbar. Gestattet eine Vertragspartei den Anbau von Cannabis zur Gewinnung von Cannabis oder Cannabisharz, so errichtet sie, wenn dies nicht bereits geschehen ist, und unterhält eine oder mehrere staatliche Stellen zur Wahrnehmung der in diesem Artikel vorgesehenen Aufgaben (Art. 28 Abs. 1 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 ÜK 1961). Ausweislich der in Art. 23 ÜK 1961 geregelten Aufgabenzuteilung spricht aber Überwiegendes dafür, dass der „Stelle“, die in der BRD als Cannabis-Agentur eingerichtet würde, nur die Kontrolle über den großflächigen Anbau von Cannabis obliegt und jedenfalls der vorliegende Einzelfall des Eigenanbaus von maximal 24 Cannabispflanzen, die aus therapeutischen Zwecken zum absehbaren Eigenverbrauch gedacht sind, ersichtlich nicht erfasst ist. So bezeichnet etwa die Stelle die Gebiete und Landparzellen, auf denen der Anbau von Cannabis gestattet wird (Art. 23 Abs. 2 a) ÜK 1961) und kauft, nachdem alle Anbauer von Cannabis die gesamte Ernte abgeliefert haben, die geernteten Mengen und nimmt sie körperlich in Besitz (Art. 23 Abs. 2 d) ÜK 1961). Für eine derartige Vorgehensweise besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung. Der Kläger verbraucht das von ihm ‑ in einer überschaubaren Menge ‑ angebaute Cannabis unmittelbar nach der Ernte zu therapeutischen Zwecken. Abgesehen davon hätte die Einrichtung einer Cannabis-Agentur im vorliegenden Fall die geradezu absurde Folge, dass der schwer kranke Kläger, der mangels Behandlungsalternative auf die ständige Verfügbarkeit des von ihm angebauten Cannabis sativa angewiesen ist, die von ihm geerntete (verhältnismäßig geringe) Cannabisernte an die Cannabis-Agentur verkaufen müsste, um sie sodann zurück zu erwerben. Wie zudem die praktische Abwicklung einer derartigen Prozedur dem in N. wohnhaften und durch seine Krankheit an die Wohnung gebundenen Kläger innerhalb eines zumutbaren zeitlichen Rahmens möglich sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
104Abgesehen davon erweist sich eine - wie vom BfArM im Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 getroffene - Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 BtMG aber auch bei Annahme eines Verstoßes gegen das ÜK 1961 als fehlerhaft. Die Ermessenskontrolle ist zwar ihrer Natur nach eine nachvollziehende Kontrolle, dennoch beschränkt sie sich nicht auf die Suche nach der Berücksichtigung sachwidriger Gesichtspunkte. Eine Ermessensentscheidung ist (auch) fehlerhaft, wenn wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen werden, die zu berücksichtigen gewesen wären.
105Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 19. Auflage 2013, § 114 Rn. 12; Wolf, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Auflage 2014, § 114, Rn. 178.
106So liegt hier der Fall, weil das BfArM ausschließlich auf im öffentlichen Interesse liegende Gesichtspunkte abstellt und geltend macht, dass eine Verletzung der sich aus dem ÜK 1961 ergebenden Pflichten die enge Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit dem INCB belastet. Insoweit lässt es wesentliche Belange des Klägers außer Acht, die für die Erteilung der Erlaubnis sprechen. Das BfArM hätte konkret auch die Schwere der Erkrankung des Klägers, die fehlende alternative Behandlungsmöglichkeit und seine hochrangigen Schutzgüter aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berücksichtigen müssen. Ferner hätte es bei seiner Ermessensausübung mit Blick auf die besondere Notlage des Klägers zu seinen Gunsten beachten müssen, dass der Kläger selbst die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht beeinflussen kann.
107Ebenso erweisen sich angesichts der fehlenden ausreichenden therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ und der fehlenden Kostenerstattung für Medizinalhanf die bislang vom BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG getroffenen Ermessenserwägungen als fehlerhaft. Das BfArM geht insoweit zu Unrecht vom Vorliegen einer verfügbaren konkreten Therapiemöglichkeit mit cannabishaltigen Präparaten aus, da diese für den Kläger angesichts seiner geringen Einkünfte tatsächlich nicht erreichbar sind.
108Das Fehlen zwingender Versagungsgründe rechtfertigt es indes nicht, die Beklagte entsprechend dem Antrag des Klägers zur Erteilung der Erlaubnis zu verpflichten, vielmehr steht die begehrte Erlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 -, juris.
110Bei der Ausübung des Ermessens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats wird das BfArM insbesondere § 6 Abs. 2 BtMG zu prüfen sowie über mögliche Nebenbestimmungen zur Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 BtMG zu entscheiden haben.
111Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
112Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
113Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Hinblick auf die modifizierende Anwendung der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 BtMG vorliegen.
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
(1) Der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2) wird erbracht
- 1.
im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln oder ausgenommenen Zubereitungen, die Arzneimittel sind, durch den Nachweis der Sachkenntnis nach § 15 Absatz 1 des Arzneimittelgesetzes, - 1a.
im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln oder ausgenommenen Zubereitungen, die Tierarzneimittel sind, durch den Nachweis, dass die vorgesehene verantwortliche Person die Voraussetzungen an eine sachkundige Person nach Artikel 97 Absatz 2 und 3 der Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 43; L 163 vom 20.6.2019, S. 112; L 326 vom 8.10.2020, S. 15; L 241 vom 8.7.2021, S. 17) erfüllt, - 2.
im Falle des Herstellens von Betäubungsmitteln, die keine Arzneimittel oder Tierarzneimittel sind, durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Betäubungsmitteln, - 3.
im Falle des Verwendens für wissenschaftliche Zwecke durch das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem wissenschaftlichem Hochschulstudium der Biologie, der Chemie, der Pharmazie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung und - 4.
in allen anderen Fällen durch das Zeugnis über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Kaufmann im Groß- und Außenhandel in den Fachbereichen Chemie oder Pharma und durch die Bestätigung einer mindestens einjährigen praktischen Tätigkeit im Betäubungsmittelverkehr.
(2) Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kann im Einzelfall von den im Absatz 1 genannten Anforderungen an die Sachkenntnis abweichen, wenn die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen gewährleistet sind.
(1) Der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis als sachkundige Person nach § 14 wird erbracht durch
- 1.
die Approbation als Apotheker oder - 2.
das Zeugnis über eine nach abgeschlossenem, mindestens vierjährigem Hochschulstudium der Pharmazie, der Chemie, der pharmazeutischen Chemie und Technologie, der Biologie, der Human- oder der Veterinärmedizin abgelegte Prüfung
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 muss der zuständigen Behörde nachgewiesen werden, dass das Hochschulstudium theoretischen und praktischen Unterricht in mindestens folgenden Grundfächern umfasst hat und hierin ausreichende Kenntnisse vorhanden sind:
Experimentelle Physik
Allgemeine und anorganische Chemie
Organische Chemie
Analytische Chemie
Pharmazeutische Chemie
Biochemie
Physiologie
Mikrobiologie
Pharmakologie
Pharmazeutische Technologie
Toxikologie
Pharmazeutische Biologie.
Der theoretische und praktische Unterricht und die ausreichenden Kenntnisse können an einer Hochschule auch nach abgeschlossenem Hochschulstudium im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 erworben und durch Prüfung nachgewiesen werden.
(3) Für die Herstellung und Prüfung von Blutzubereitungen, Sera menschlichen oder tierischen Ursprungs, Impfstoffen und Allergenen findet Absatz 2 keine Anwendung. An Stelle der praktischen Tätigkeit nach Absatz 1 muss eine mindestens dreijährige Tätigkeit auf dem Gebiet der medizinischen Serologie oder medizinischen Mikrobiologie nachgewiesen werden. Abweichend von Satz 2 müssen an Stelle der praktischen Tätigkeit nach Absatz 1
- 1.
für Blutzubereitungen aus Blutplasma zur Fraktionierung eine mindestens dreijährige Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung in plasmaverarbeitenden Betrieben mit Herstellungserlaubnis und zusätzlich eine mindestens sechsmonatige Erfahrung in der Transfusionsmedizin oder der medizinischen Mikrobiologie, Virologie, Hygiene oder Analytik, - 2.
für Blutzubereitungen aus Blutzellen, Zubereitungen aus Frischplasma sowie für Wirkstoffe und Blutbestandteile zur Herstellung von Blutzubereitungen eine mindestens zweijährige transfusionsmedizinische Erfahrung, die sich auf alle Bereiche der Herstellung und Prüfung erstreckt, - 3.
für autologe Blutzubereitungen eine mindestens sechsmonatige transfusionsmedizinische Erfahrung oder eine einjährige Tätigkeit in der Herstellung autologer Blutzubereitungen, - 4.
für hämatopoetische Stammzellzubereitungen aus dem peripheren Blut oder aus dem Nabelschnurblut zusätzlich zu ausreichenden Kenntnissen mindestens zwei Jahre Erfahrungen in dieser Tätigkeit, insbesondere in der zugrunde liegenden Technik,
(3a) Für die Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln für neuartige Therapien, xenogenen Arzneimitteln, Gewebezubereitungen, Arzneimitteln zur In-vivo-Diagnostik mittels Markergenen, radioaktiven Arzneimitteln und Wirkstoffen findet Absatz 2 keine Anwendung. Anstelle der praktischen Tätigkeit nach Absatz 1 muss
- 1.
für Gentherapeutika und Arzneimittel zur In-vivo-Diagnostik mittels Markergenen eine mindestens zweijährige Tätigkeit auf einem medizinisch relevanten Gebiet, insbesondere der Gentechnik, der Mikrobiologie, der Zellbiologie, der Virologie oder der Molekularbiologie, - 2.
für somatische Zelltherapeutika und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte eine mindestens zweijährige Tätigkeit auf einem medizinisch relevanten Gebiet, insbesondere der Gentechnik, der Mikrobiologie, der Zellbiologie, der Virologie oder der Molekularbiologie, - 3.
für xenogene Arzneimittel eine mindestens dreijährige Tätigkeit auf einem medizinisch relevanten Gebiet, die eine mindestens zweijährige Tätigkeit auf insbesondere einem Gebiet der in Nummer 1 genannten Gebiete umfasst, - 4.
für Gewebezubereitungen eine mindestens zweijährige Tätigkeit auf dem Gebiet der Herstellung und Prüfung solcher Arzneimittel in Betrieben und Einrichtungen, die einer Herstellungserlaubnis nach diesem Gesetz bedürfen oder eine Genehmigung nach dem Recht der Europäischen Union besitzen, - 5.
für radioaktive Arzneimittel eine mindestens dreijährige Tätigkeit auf dem Gebiet der Nuklearmedizin oder der radiopharmazeutischen Chemie und - 6.
für andere als die unter Absatz 3 Satz 3 Nummer 2 aufgeführten Wirkstoffe eine mindestens zweijährige Tätigkeit in der Herstellung oder Prüfung von Wirkstoffen
(4) Die praktische Tätigkeit nach Absatz 1 muss in einem Betrieb abgeleistet werden, für den eine Erlaubnis zur Herstellung von Arzneimitteln durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einen anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder durch einen Staat erteilt worden ist, mit dem eine gegenseitige Anerkennung von Zertifikaten nach § 72a Satz 1 Nr. 1 vereinbart ist.
(5) (weggefallen)
(6) Eine nach Überprüfung der erforderlichen Sachkenntnis durch die zuständige Behörde rechtmäßig ausgeübte Tätigkeit als sachkundige Person berechtigt auch zur Ausübung dieser Tätigkeit innerhalb des Zuständigkeitsbereichs einer anderen zuständigen Behörde, es sei denn, es liegen begründete Anhaltspunkte dafür vor, dass die bisherige Sachkenntnis für die neu auszuübende Tätigkeit nicht ausreicht.
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
(1) Die Erlaubnis ist zur Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen auf den jeweils notwendigen Umfang zu beschränken. Sie muß insbesondere regeln:
- 1.
die Art der Betäubungsmittel und des Betäubungsmittelverkehrs, - 2.
die voraussichtliche Jahresmenge und den Bestand an Betäubungsmitteln, - 3.
die Lage der Betriebstätten und - 4.
den Herstellungsgang und die dabei anfallenden Ausgangs-, Zwischen- und Endprodukte, auch wenn sie keine Betäubungsmittel sind.
(2) Die Erlaubnis kann
wenn dies zur Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen erforderlich ist oder die Erlaubnis der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder von Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.(1) Die mit der Überwachung beauftragten Personen sind befugt,
- 1.
Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung oder das der Herstellung folgende Inverkehrbringen ausgenommener Zubereitungen einzusehen und hieraus Abschriften oder Ablichtungen anzufertigen, soweit sie für die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen von Bedeutung sein können, - 2.
von natürlichen und juristischen Personen und nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen alle erforderlichen Auskünfte zu verlangen, - 3.
Grundstücke, Gebäude, Gebäudeteile, Einrichtungen und Beförderungsmittel, in denen der Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen durchgeführt wird, zu betreten und zu besichtigen, wobei sich die beauftragten Personen davon zu überzeugen haben, daß die Vorschriften über den Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen beachtet werden. Zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere wenn eine Vereitelung der Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen zu besorgen ist, dürfen diese Räumlichkeiten auch außerhalb der Betriebs- und Geschäftszeit sowie Wohnzwecken dienende Räume betreten werden; insoweit wird das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) eingeschränkt. Soweit es sich um industrielle Herstellungsbetriebe und Großhandelsbetriebe handelt, sind die Besichtigungen in der Regel alle zwei Jahre durchzuführen, - 4.
vorläufige Anordnungen zu treffen, soweit es zur Verhütung dringender Gefahren für die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen geboten ist. Zum gleichen Zweck dürfen sie auch die weitere Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die weitere Herstellung ausgenommener Zubereitungen ganz oder teilweise untersagen und die Betäubungsmittelbestände oder die Bestände ausgenommener Zubereitungen unter amtlichen Verschluß nehmen. Die zuständige Behörde (§ 19 Abs. 1) hat innerhalb von einem Monat nach Erlaß der vorläufigen Anordnungen über diese endgültig zu entscheiden.
(2) Die zuständige Behörde kann Maßnahmen gemäß Absatz 1 Nr. 1 und 2 auch auf schriftlichem Wege anordnen.
(1) Die Erlaubnis nach § 3 ist zu versagen, wenn
- 1.
nicht gewährleistet ist, daß in der Betriebsstätte und, sofern weitere Betriebsstätten in nicht benachbarten Gemeinden bestehen, in jeder dieser Betriebsstätten eine Person bestellt wird, die verantwortlich ist für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften und der Anordnungen der Überwachungsbehörden (Verantwortlicher); der Antragsteller kann selbst die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen, - 2.
der vorgesehene Verantwortliche nicht die erforderliche Sachkenntnis hat oder die ihm obliegenden Verpflichtungen nicht ständig erfüllen kann, - 3.
Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Verantwortlichen, des Antragstellers, seines gesetzlichen Vertreters oder bei juristischen Personen oder nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen der nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung oder Geschäftsführung Berechtigten ergeben, - 4.
geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr oder die Herstellung ausgenommener Zubereitungen nicht vorhanden sind, - 5.
die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs oder der Herstellung ausgenommener Zubereitungen aus anderen als den in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen nicht gewährleistet ist, - 6.
die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Mißbrauch von Betäubungsmitteln oder die mißbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist oder - 7.
bei Beanstandung der vorgelegten Antragsunterlagen einem Mangel nicht innerhalb der gesetzten Frist (§ 8 Abs. 2) abgeholfen wird.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht oder dies wegen Rechtsakten der Organe der Europäischen Union geboten ist.
Tenor
Die Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1963 geborene Kläger ist seit 1985 an Multipler Sklerose erkrankt, die sich zunächst schubweise mit unvollständigen Remissionen entwickelte und inzwischen in die chronische Verlaufsform übergegangen ist. Bei dem Kläger bestehen unter anderem eine ausgeprägte Gangstörung, eine spastische Tetraparese, eine Rumpf- und Extremitätenataxie, Dysarthrie und eine rezidivierende depressive Störung. Die Ataxie tritt im Wesentlichen als Störung der Grob- und Feinmotorik, des freien Gangs, des Standes und der Sprache in Erscheinung. Seit etwa 1987 behandelt der Kläger die Symptome seiner Erkrankung selbständig durch die regelmäßige Zufuhr von Cannabis und ist deswegen zunächst auch straffällig geworden. Zuletzt hat ihn das Amtsgericht Mannheim mit Urteil vom 19. Januar 2005 (3 Ls 310 Js 5518/02 AK 74/04) vom Vorwurf des Besitzes und Anbaus von Betäubungsmitteln freigesprochen, da es sein Handeln als gerechtfertigt im Sinne des § 34 StGB ansah. Maßgeblich sei, dass es für die Behandlung der Ataxie keine zugelassenen Therapiealternativen gebe und die AOK die sehr hohen Kosten für das Medikament „Dronabinol“, bestehend aus THC, dem Hauptwirkstoff des Cannabis, nicht übernehme. Der Kläger, der als Fliesenleger tätig war, ist aufgrund seiner Erkrankung seit 1999 in Frührente und bezieht eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von ca. 890,00 Euro.
3Die - auch vom Kläger - erhobene Verfassungsbeschwerde gegen ein drohendes Strafverfahren und gegen die Strafdrohung wegen unerlaubter Einfuhr, unerlaubten Erwerbs oder Besitzes von Cannabis oder Marihuana nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑ nicht zur Entscheidung an, da die Betroffenen zunächst versuchen müssten, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen.
4Der Kläger stellte am 3. Mai 2000 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa und machte geltend, Cannabis löse bei ihm eine sehr gute (zusätzliche) therapeutische Wirksamkeit aus, die nicht durch andere Medizinprodukte oder Heilmittel zu erreichen sei. Das BfArM lehnte seinen Antrag mit Bescheid vom 31. Juli 2000 unter anderem mit der Begründung ab, die beantragte Erlaubnis liege auch mit Blick auf die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht im öffentlichen Interesse, da beim Kläger eine dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende ärztliche Versorgung mit Delta-9-THC durch die Anwendung eines verschreibungsfähigen Cannabisprodukts („Dronabinol“) möglich sei. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
5Das Sozialgericht Mannheim wies mit Urteil vom 9. August 2001 - S 8 KR 286/00 ‑ die Klage des Klägers auf Bewilligung von „Dronabinol-Tropfen“ als Sachleistung der Krankenkasse ab. Die hiergegen erhobene Berufung wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg durch Urteil vom 25. April 2003 – L 4 KR 3828/01 – zurück. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde wies das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 6. Januar 2005 ‑ B 1 KR 51/03 B ‑ zurück.
6Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 1023/01) auf Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zum Erwerb und zur Einfuhr von Cannabis zum Zwecke der medizinischen Behandlung, die - unter Zulassung der Berufung - mit Urteil vom 17. Februar 2004 abgewiesen wurde. Mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, in dem in einem auf die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis gerichteten Verfahren festgestellt wurde, diese könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, eine solche Behandlung liege nicht im öffentlichen Interesse, hob das BfArM den angefochtenen Bescheid mit Bescheid vom 28. Juni 2006 auf. Daraufhin erklärten die Beteiligten das vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängige Berufungsverfahren (13 A 1534/04) übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt.
7Der Kläger stellte am 25. August 2006 bei der AOK S. -O. erneut einen Kostenübernahmeantrag für das Arzneimittel „Dronabinol“, den die Krankenkasse mit Schreiben vom 28. September 2006 ablehnte.
8Mit Schreiben vom 13. Februar 2007 wies das BfArM den Kläger unter anderem auf Folgendes hin: Im Zusammenhang mit der Beantragung einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis verlange das Betäubungsmittelgesetz von dem Antragsteller oder einer für die Einhaltung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften zu bestellenden verantwortlichen Person einen Nachweis über die erforderliche Sachkenntnis (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 6 BtMG). Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Kläger selbst oder eine andere Person die Stelle eines Verantwortlichen einnehmen wolle. Der Sachkenntnisnachweis könne u. a. dadurch erbracht werden, dass der Kläger als Verantwortlichen einen Humanmediziner benenne.
9Unter dem 30. Mai 2007 machte der Kläger geltend: Sein Hausarzt, Dr. C. , habe sich bereit erklärt, ihn zu unterstützen, und sei Verantwortlicher mit Sachkenntnis. Er überprüfe insbesondere, dass die genehmigte Anbaumenge nicht überschritten werde. Im Übrigen habe das Amtsgericht Mannheim festgestellt, dass sein Verhalten gemäß § 34 StGB gerechtfertigt sei. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung komme daher nur die Erteilung der beantragten Genehmigung in Betracht. Ferner übersandte er eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom 27. April 2007.
10Mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 lehnte das BfArM den Antrag des Klägers vom 3. Mai 2000 ab: Die Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau, zur Einfuhr und zum Erwerb von Cannabis sativa liege nicht im öffentlichen Interesse. Der Eigenanbau von Cannabis sei nicht erforderlich, da auf Delta-9-THC standardisierte Cannabisextrakte erhältlich seien. Bei einem zugrundegelegten durchschnittlichen Monatsbedarf von 500 mg Delta-9-THC lägen die Behandlungskosten bei nur 150 Euro, während die monatlichen Kosten für „Dronabinol“ 350 Euro betrügen. Auch seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 und 6 BtMG gegeben. Weder seien geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für Anbau, Trocknung und Lagerung der Pflanzenteile nachgewiesen, noch sei eine effektive Kontrolle des Cannabiskonsums bei einem Eigenanbau durchführbar. Auch könne nicht von dem erforderlichen Sachkundenachweis abgesehen werden, weil die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet sei. Ferner könnten bei einem Anbau durch Privatpersonen die Voraussetzungen für eine gleich bleibende Qualität nicht gewährleistet werden.
11Hiergegen erhob der Kläger am 8. Januar 2008 Widerspruch und machte unter anderem geltend: Er sei aus finanziellen Gründen auf den Anbau von Cannabis angewiesen. Er verwende seit Jahren aus medizinischen Gründen 100 g Cannabis im Monat, das 5.000 bis 10.000 mg THC entspreche und nach der Berechnung des BfArM monatliche Kosten in Höhe von 1.500 Euro verursachte. Diese Kosten seien für ihn bei einer monatlichen Erwerbsunfähigkeitsrente von (seinerzeit) 860 Euro nicht tragbar.
12Nachdem das BfArM die vom Kläger gesetzten Fristen zur Entscheidung über seinen Widerspruch hat verstreichen lassen, hat der Kläger am 20. Juni 2009 Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln (7 K 3889/09) erhoben.
13Mit Schreiben vom 19. März 2010 versagte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Zustimmung zu der seitens des BfArM beabsichtigten Erteilung der beantragten Erlaubnis zum Eigenanbau für den Kläger.
14Das Verwaltungsgericht hat am 31. März 2010 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt.
15Daraufhin führte der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2010 aus: Der Anbau der Cannabispflanzen erfolge im Badezimmer. In der Blühphase stünden die Pflanzen in der gemauerten Duschkabine unter einer 400-Watt-Natriumdampflampe. Im Blühraum stünden 2 x 8 Pflanzen mit einem Altersunterschied von vier Wochen. Die Mutterpflanze und die Nachzucht von Stecklingen (jeweils 8) bewahre er in einem kleinen Schrank auf, in dem auch die geernteten Blüten getrocknet würden. Die Blüten von 8 Pflanzen ergäben etwa 100 g Cannabis, was seinem Monatsbedarf entspreche. Ein etwaiger Überschuss werde in einem Tresor gelagert. Die Pflanzenreste würden in einem speziellen Küchenkomposter zu Kompost und Flüssigdünger für andere Gartenpflanzen verarbeitet. Die monatlichen Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. beliefen sich auf etwa 110 Euro. Da die Pflanzen aus Stecklingen gezogen würden, hätten sie bis zu mehreren Jahren die gleiche Genetik und auch die gleiche Wirksamkeit, so dass eine einmalige Bestimmung des THC-Gehalts ausreichend sei. Er plane unter anderem, die Zimmertür zwischen Badezimmer und zentralem Wohnraum durch ein Fingerprintschloss zu schützen und das Flügelfenster zum Bad zusätzlich mit verschließbaren Griffen zu versehen. Zusätzlich könne es mit einem Stahlgitter geschützt werden. Die Tür zum Badezimmer und das Fenster sollten überdies mit einer IP-Kamera überwacht werden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ein signifikant niedriger Gefährdungsgrad bestehe, da er, der Kläger, aufgrund seiner Erkrankung fast ausschließlich zu Hause sei. Publikumsverkehr finde nicht statt. Außer ihm und seiner Lebensgefährtin halte sich in der Wohnung nur die Krankengymnastin für die Dauer der Anwendungen auf.
16Mit Schreiben vom 29. Juni 2010 teilte das BfArM dem BMG mit: Die vom Kläger vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien zur Sicherung des Betäubungsmittelverkehrs geeignet und ausreichend. Eine zusätzliche Installation einer Kamera für die seltenen Fälle der Abwesenheit erscheine unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Auch sei für die Lagerung überschüssiger Blüten mit einer Höchstmenge von 100 g ein zertifizierter Wertschutzschrank nicht erforderlich. Notwendig sei allerdings die Anbringung eines zusätzlichen Gitters vor dem ‑ sich häufig in Kippstellung befindlichen - Badezimmerfenster. Auch dürften die Schwankungen des THC-Gehalts bei der von dem Kläger beschriebenen Kultivierungsmethode eher gering sein. Eine konkrete Bestimmung des THC-Gehalts werde von den Untersuchungseinrichtungen ohne das Vorliegen einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nicht durchgeführt. Ferner sei die Einrichtung einer Cannabis-Agentur nicht erforderlich. Eine Gefahr der illegalen Weitergabe durch Groß- und Einzelhändler sei beim Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken nicht gegeben, da der Patient die Substanz selbst benötige. Abgesehen davon müssten bei einer Entscheidung gemäß § 5 Abs. 2 BtMG die mit der Einrichtung einer Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen gegenüber dem Interesse des einzelnen Patienten an einer Ausnahmegenehmigung zu medizinischen Zwecken abgewogen werden.
17Mit an das BfArM gerichtetem Schreiben vom 16. Juli 2010 führte das BMG aus: Das Entschließungsermessen des BfArM sei nicht auf Null reduziert. Die Zwecke des Betäubungsmittelgesetzes (notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung bzw. des Klägers) geböten nicht die Erlaubniserteilung. Eine Versagung bewirke keine Grundrechtsverletzung des Klägers (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), da Therapiealternativen verfügbar seien. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei mangels Kenntnis des Wirkstoffgehalts, der Qualität und der Menge des vom Kläger angebauten Cannabis nicht gegeben. Auch seien die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten anzuwenden. Ferner stelle der Verstoß gegen Internationales Recht einen Versagungsgrund dar. Deutschland arbeite eng mit dem Internationalen Suchtstoffkontrollrat (INCB) zusammen.
18Das BfArM hat eine Stellungnahme des INCB vom 30. Juli 2010 eingeholt. Danach gibt es im Falle der Zulassung des Anbaus keine Ausnahme von der Pflicht zur Errichtung einer staatlichen Opiumstelle und gilt diese Pflicht auch beim Anbau der Hanfkrautpflanze durch eine Einzelperson zum Zwecke der Eigenbehandlung.
19Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2010 wies das BfArM den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte aus: Der Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken stünden die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BtMG entgegen. Es seien die Richtlinien des BfArM vom 1. Januar 2007 zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten, wonach u. a. zertifizierte Wertschutzschränke zu verwenden seien, nicht eingehalten worden. Beim Anbau in einem einzigen Badezimmer einer 2-Zimmer-Wohnung sei ein Zugang Dritter unvermeidbar. Auch sei der Eigenanbau zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Klägers nicht notwendig und ungeeignet (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Er sei nicht kostengünstiger als Cannabisextrakt oder „Dronabinol“. Die Arzneimittel- und Therapiesicherheit sei beim Eigenanbau, anders als beim bereits erlaubten Erwerb niederländischen Medizinalhanfs, nicht gewährleistet. Auch könne die Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BtMG versagt werden, wenn sie der Durchführung des Internationalen Suchtstoffabkommens (hier: Einheits-Übereinkommen von 1961 - ÜK 1961 -) entgegenstehe. So liege der Fall hier, weil Deutschland mangels Einrichtung einer Cannabis-Agentur bei Stattgabe des Erlaubnisantrags gegen seine internationalen Verpflichtungen aus dem ÜK 1961 verstieße. Bei der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass Deutschland eng mit dem INCB zusammenarbeite und daher das Interesse des Klägers an einer Versorgung und Behandlung mit Cannabis zurückstehen müsse. Abgesehen davon stehe nach § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubniserteilung im Ermessen der Behörde. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der notwendigen medizinischen Versorgung des Klägers schon durch die zur Verfügung stehende alternative Cannabis-Therapie genüge getan werde.
20Der Kläger hat die Klage nach Erlass des Widerspruchsbescheids fortgeführt und geltend gemacht: Bei einer notwendigen medizinischen Anwendung des Betäubungsmittels durch Privatpersonen sei § 5 Abs. 1 BtMG modifiziert anzuwenden. Die von ihm vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen seien ausreichend. In seiner Wohnung finde kein Publikumsverkehr statt. Da die angebaute Cannabismenge überschaubar sei, bliebe ein Entwenden von Pflanzen auch nicht unbemerkt. Ferner könnten für das durch Eigenanbau gewonnene Pflanzenmaterial ohne betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis keine Erkenntnisse über den Wirkstoff eingeholt werden. Im Übrigen bedürfe es in seinem Fall keiner Einrichtung einer Cannabis-Agentur. Das Schreiben des INCB vom 30. Juli 2010 sei nicht bindend. Auch habe die Beklagte nicht begründet, warum die geforderte Cannabis-Agentur nicht eingerichtet werde. Die Entscheidung der Beklagten sei auch deshalb fehlerhaft, weil sie die für die Bewilligung sprechenden Gründe ‑ insbesondere, dass für ihn der Cannabis-Eigenanbau die einzige realisierbare Möglichkeit der Linderung seiner Beschwerden sei - nicht in ihre Ermessensentscheidung einbezogen habe.
21Der Kläger hat beantragt,
22die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verpflichten, dem Kläger zu erlauben, Cannabis (Indica-Sativa-Hybriden) in seiner Wohnung C1.----straße 24, N.,anzubauen, zu ernten und zum medizinischen Zweck seiner Behandlung zu verwenden sowie bei Bedarf die entsprechenden Mutterpflanzen dieser Spezies zu erwerben und ggf. einzuführen.
23Die Beklagte hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft sowie ergänzend geltend gemacht: Ihre Ermessensausübung sei nicht fehlerhaft. Die mit der Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur verfolgten Zielsetzungen seien gegenüber dem Interesse des Klägers an einer Ausnahmegenehmigung zum Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken sorgfältig abgewogen worden.
26Das Verwaltungsgericht hat unter Zulassung der Berufung die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die ablehnende Entscheidung des BfArM sei rechtswidrig. Zwingende Versagungsgründe lägen nicht vor, zumal die Vorschrift des § 5 Abs. 1 BtMG in Fallgestaltungen wie der vorliegenden modifiziert anzuwenden sei. Die Sicherungsmaßnahmen des Klägers seien ausreichend. Der jahrelange Eigenanbau belege, dass der Kläger sich durch eine Therapie mit dem eigenangebauten Cannabis nicht selbst schädige. Der mit der Erlaubniserteilung verbundene Verstoß gegen das Internationale Suchtstoffabkommen müsse nicht zwingend zu einer Versagung der Erlaubnis führen. Das BfArM habe gemäß § 5 Abs. 2 BtMG auch bei einem Verstoß gegen das Abkommen einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen die Interessen des Klägers angemessen zu berücksichtigen seien. Dieses Ermessen habe das BfArM bisher nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil es allein darauf abgestellt habe, dass eine Vertragsverletzung dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schade. Soweit das BfArM die Erlaubnis zum Eigenanbau nach § 3 Abs. 2 BtMG im Rahmen seines Ermessens versagt habe, habe es sein Ermessen ebenfalls fehlerhaft ausgeübt. Das BfArM habe keine Prüfung zur Frage der Verfügbarkeit der alternativen Behandlungsmöglichkeiten vorgenommen, insbesondere nicht deren wirtschaftliche Verfügbarkeit festgestellt. Deshalb sei das BfArM verpflichtet, über den Erlaubnisantrag des Klägers neu zu entscheiden und dabei auch seinen gegenwärtigen Gesundheitszustand zu berücksichtigen, was zu einer anderen Entscheidung führen könne.
27Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, der sich der Kläger angeschlossen hat. Der Kläger hat im Berufungsverfahren bei der AOK S. -O. -P. erneut einen Antrag auf Übernahme der Kosten für „Dronabinol“ gestellt, den diese mit Schreiben vom 15. Juni 2012 abgelehnt hat. Auf den auf Veranlassung des Senats gestellten Antrag des Klägers vom 5. Oktober 2012 auf Übernahme der Kosten für Medizinalhanf hat die AOK S. -O. -P. nach erneuter Prüfung mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Kostenübernahme für „Dronabinol“ erklärt. Mit Schreiben vom 8. November 2012 hat sie mitgeteilt, einen Antrag auf Kostenübernahme von Medizinalhanf würde sie beim jetzigen Stand ablehnen, da die Therapie mit „Dronabinol“ bisher als geeignet gegolten habe und keinerlei Informationen zu Zulassungsstatus, Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis flos Bedrocan vorlägen. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 hat die AOK S. -O. -P. erneut mitgeteilt, dass die Möglichkeiten einer Standardtherapie nicht ausgeschöpft seien und daher keine Kostenzusage für Cannabis flos Bedrocan erteilt werde. Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 hat die AOK S. -O. -P. erklärt, ein erneuter Kostenübernahmeantrag für Medizinalhanf hätte auch jetzt keinen Erfolg.
28Der Senat hat mit Urteil vom 7. Dezember 2012 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen sowie die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe mit „Dronabinol“ ein gleich wirksames, verschreibungsfähiges Mittel zur Verfügung. Es sei derzeit davon auszugehen, dass „Dronabinol“ beim Kläger eine mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkung aufweise und eine Behandlung bisher nur an der fehlenden Kostenerstattung gescheitert sei. Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats durch Beschluss vom 24. Mai 2013 - 3 B 14.13 - aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Es hätte sich ihm aufdrängen müssen, den von den Beteiligten angeregten Therapieversuch mit „Dronabinol“ zu ermöglichen um festzustellen, ob es sich für den Kläger um ein gleich wirksames Mittel handele.
29Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor: Es stehe nicht fest, dass für den Kläger keine finanzierbaren Behandlungsalternativen verfügbar seien. Mit „Dronabinol“, für das die Krankenkasse eine Kostenübernahme erteilt habe, stehe ein gleich wirksames Arzneimittel zur Behandlung der bei dem Kläger bestehenden Symptomatik zur Verfügung. Dass hierfür die Höchstverschreibungsmenge überschritten werden müsse, sei unschädlich. Soweit sich der Kläger auf Stellungnahmen seines Arztes berufe, die nach seiner Auffassung das Gegenteil belegen sollten, bleibe die Frage unbeantwortet, aus welchen Gründen die Dosis von „Dronabinol“ - bei gleichzeitiger Reduktion der Cannabisdosis - nicht langsam bei mehreren Gaben täglich erhöht werden könne. Denn es gelte zu beantworten, ob eine Monotherapie mit „Dronabinol“ - in adäquater Darreichungsform und Dosierung - nach entsprechender Titration des „Dronabinol“ und Ausschleichen des Cannabis - zu einer zufriedenstellenden Symptomkontrolle bei dem Kläger führen könne. Dabei sei Zieldiagnose die Tetraspastik und die Ataxie, nicht aber eine ggf. bestehende Cannabisabhängigkeit. Denn die beim Kläger beschriebenen Symptome könnten auch den Entzugssyndromen einer behandlungsbedürftigen Cannabisabhängigkeit zuzuordnen sein. Auch wenn ein solcher Therapieversuch nur stationär erfolgen könne, sei dies dem Kläger zumutbar und auch ethisch vertretbar. Nach stationärer Umstellung könne die Therapie mit „Dronabinol“ in der Dosis von 4 x 20 Tropfen ambulant weitergeführt werden. Im Übrigen seien die Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 BtMG auf den Eigenanbau nicht modifiziert anzuwenden. Jeder Anbau bedürfe einer umfangreichen Raumsicherung, die bei Aufzucht und Aufbewahrung der angebauten Pflanzen eine unbefugte Entnahme sicher verhindere. Ferner sehe das Internationale Suchtstoffübereinkommen bei jedem Anbau von Cannabis die Anwendung des Kontrollsystems sowie die Einrichtung einer sogenannten Cannabis-Agentur vor, die die Ernte unverzüglich aufkaufe und sobald wie möglich körperlich in Besitz nehme.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie
33die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
34Der Kläger beantragt,
35das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar 2011 zu ändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und nach dem erstinstanz-lichen Klageantrag zu erkennen,
36sowie
37die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
38Er trägt zur Begründung vor: Es gebe für ihn keine verfügbaren Behandlungsalternativen. Er nutze „Dronabinol“ lediglich ergänzend zu seinem selbstangebauten Cannabis. Eine Monotherapie mit „Dronabinol“ sei nicht möglich, weil sie sich nicht ausreichend auf seine Ataxie auswirke. Mit den von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen habe er - wie im Urteil des Senats gefordert - dargelegt, dass „Dronabinol“ nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit wie Cannabis aufweise. Ein stationärer Therapieversuch mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt sei ihm nicht zumutbar. Den stationären Aufenthalt im Jahr 2011 habe er abgebrochen. Ein Therapieversuch mit ungewissem Ausgang sei auch ethisch bedenklich, da es eine für ihn annehmbare und wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit gebe. Ein Therapieversuch mit „Dronabinol“ könne mit einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes einhergehen, was insbesondere für einen Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung gefährlich sei, weil es keinerlei Garantie gebe, dass eine solche Verschlechterung je wieder rückgängig gemacht werden könne. Auch eine Höchstdosierung mit 4 x 20 Tropfen Dronabinol mit ca. 66 mg THC decke schon rein rechnerisch nicht seinen Cannabisbedarf von 300 bis 500 mg THC pro Tag. Das Medikament „Sativex“ stelle ebenfalls keine verfügbare Behandlungsalternative dar. Er habe sich bereits ohne Erfolg in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen. Aufgrund der Einnahme von „Sativex“, die zudem außerhalb der zugelassenen Indikationen erfolgt sei, habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Eine Therapie mit „Cannabis flos Bedrocan“ stehe ihm nicht zur Verfügung, da die AOK S. -O. -P. am 7. Juni 2013 die Kostenübernahme für Medizinalhanf abgelehnt habe und er die Behandlungskosten nicht allein mit seiner Erwerbsunfähigkeitsrente bestreiten könnte. Im Übrigen stehe der Erlaubniserteilung nicht das ÜK 1961 entgegen. Art. 28 ÜK 1961 sehe die Gestattung des Anbaus von Cannabispflanzen vor. Der in dieser Vorschrift enthaltene Verweis auf das Kontrollsystem nach Art. 23 ÜK sei mit Blick auf die in Rede stehende Genehmigung von wenigen Pflanzen in einem Teil des Badezimmers ersichtlich unsinnig. Es bestehe ferner angesichts der Schwere der Erkrankung und der fehlenden Behandlungsalternativen ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis.
39Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Ärzte Dr. T. und Dr. H. als sachverständige Zeugen. Wegen des Gegenstandes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
40Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die weiteren beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten, Gerichtsakte des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ‑ L 4 KR 3828/01 - und Strafakten der Staatsanwaltschaft Mannheim - 310 Js 5518/02 ‑).
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
42Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Klägers haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet und im Übrigen die Klage abgewiesen.
43Der Versagungsbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 6. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags auf Genehmigung des Eigenanbaus von Cannabis zu therapeutischen Zwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
44Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 2 BtMG. Nach dieser Vorschrift kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Für den Anbau von Hanfpflanzen zur medizinischen Selbstversorgung bedarf es einer Erlaubnis des BfArM. Nach der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG zählt Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) grundsätzlich zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln. Die in der Anlage I unter a) bis d) zu Cannabis aufgeführten Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor.
45Auch die mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften vom 11. Mai 2011 (BGBl. I, S. 821) eingeführte Ausnahme e) „zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken“ greift nicht ein. Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind (vgl. Anlage III), steht hier nicht in Rede. Ebenso wenig sind die Hanfpflanzen, die der Kläger anbaut, zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt (Anlage II). Ein anderweitiges Verständnis der Regelung in Anlage II widerspräche dem erkennbaren Willen des Verordnungsgebers. Dieser hat in der Begründung des Verordnungsentwurfs (BR-Drs. 130/11 vom 3. März 2011) ausdrücklich ausgeführt, dass die Änderungen betreffend Cannabis in den Anlagen I bis III (allein) dem Zweck dienen, cannabishaltige Fertigarzneimittel in Deutschland herstellen, zulassen und verschreiben zu können.
46Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung A. Allgemeiner Teil, I. Ziel und Gegenstand des Verordnungsentwurfs.
47Mit der Aufhebung des generellen Verkehrsverbots für Cannabis sollen lediglich solche cannabishaltigen Arzneimittel verkehrsfähig werden, die unter den strengen Vorgaben des Arzneimittelrechts als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Ferner soll die Herstellung entsprechender Zubereitungen zu medizinischen Zwecken ermöglicht werden.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris, unter Bezugnahme auf Begründung B. Besonderer Teil, Zu Artikel 1 (Änderung der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes), Zu den Nummern 1 bis 3 Buchstabe a.
49Die unter der Position Cannabis in Anlage II angeführte Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken steht danach in untrennbarem Zusammenhang mit der Herstellung eines cannabishaltigen Fertigarzneimittels und betrifft nicht den Eigenanbau von Cannabis zwecks Selbstmedikation.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2011 - 13 B 1199/11 ‑, juris.
51Die Erteilung der demnach erforderlichen Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis zur medizinischen Selbstversorgung liegt unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Einzelfalls, im öffentlichen Interesse.
52Das öffentliche Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG daran, ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu erteilen, ist im Falle des Klägers gegeben. Danach kann auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Erkrankung möglich ist und dem Betroffenen kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung steht.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris (Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis zu therapeutischen Zwecken); ferner BVerfG, Beschlüsse vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 u. a. ‑, NJW 2000, 3126, und vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1772/02 ‑, PharmR 2005, 374.
54Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieser Bestimmung kommt im Wertehorizont des Grundgesetzes eine große Bedeutung zu. Leben und körperliche Unversehrtheit sind in weiten Bereichen elementare Voraussetzung für die Wahrnehmung der übrigen Grundrechtsgewährleistungen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden. Dies gilt insbesondere durch die staatliche Unterbindung des Zugangs zu prinzipiell verfügbaren Therapiemethoden zur nicht unwesentlichen Minderung von Leiden.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, m. w. N., juris.
56Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht in enger Beziehung zur Menschenwürde, die zu achten und zu schützen nach Art. 1 GG Aufgabe aller staatlicher Gewalt ist. Schwere Krankheit und das Leiden an starken, lange dauernden Schmerzen können den Betroffenen hindern, ein selbstbestimmtes und seinen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben entsprechendes Leben zu führen. Daraus folgt, dass die Therapierung schwer kranker Menschen nicht nur jeweils deren individuelle Interessen verfolgt, sondern ein Anliegen der Allgemeinheit ist.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 - 3 C 17.04 ‑, juris.
58Die Behandlung des Klägers mit Cannabis liegt hier im öffentlichen Interesse. Der Kläger ist schwer krank. Er leidet seit 1985 an Multipler Sklerose, die inzwischen in die chronische Form übergegangen ist. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T. vom Zentrum für Nervenheilkunde, N. , vom 17. Januar 2012 besteht bei dem Kläger eine sekundär chronische Multiple Sklerose mit ausgeprägter Gangstörung, Rumpf- und Extremitätenataxie, Tetraspastik und psychischer Veränderung (organische, emotional-labile Störung mit beeinträchtigter Impulskontrolle sowie mit leichter kognitiver Störung). Eine Heilung des Klägers scheidet aus.
59Der Annahme eines für eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG erforderlichen öffentlichen Interesses steht nicht von vornherein entgegen, dass die therapeutische Wirksamkeit von Cannabis bei Multipler Sklerose bisher nicht allgemein wissenschaftlich nachgewiesen ist. Denn bei der vorliegenden schweren Erkrankung des Klägers stellt schon die Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit eine Linderung dar, die im öffentlichen Interesse liegt. Bei schweren Erkrankungen - wie vorliegend - ohne Aussicht auf Heilung gebietet es in diesem Rahmen die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur dann auszuschließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten kann.
60Vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2005 ‑ 3 C 17.04 ‑, juris.
61Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist nach den dem Senat verfügbaren Erkenntnissen beim Kläger ein therapeutischer Nutzen zu bejahen. Der Kläger wendet Cannabis seit inzwischen mehr als 25 Jahren an. Dies hat zu einer erheblichen subjektiven Linderung seiner Beschwerden, insbesondere im Bereich der Ataxie, Spastik und seiner psychischen Verfassung geführt. Dies wird durch die ärztlichen Befundberichte sowie die Aussage des behandelnden Arztes Dr. T. als sachverständiger Zeuge in der Berufungsverhandlung bestätigt. Bereits in der ärztlichen Stellungnahme der Klinik Dr. F. , Krankenhaus für Multiple Sklerose und andere Nerven- und Stoffwechselleiden, vom 22. Oktober 1999 wird ausgeführt, dass der Kläger aus subjektivem Empfinden aufgrund des Cannabiskonsums eine deutliche Besserung der Symptomatik der Multiplen Sklerose (Spastik beim Einschlafen, Schmerzen in den Muskeln, Zittern, Depressionen, Appetitlosigkeit, Müdigkeitsgefühl, Blasenfunktion, verwaschene Sprache und Gleichgewichtsstörungen) angeben konnte und sich dies mit der allgemeinen Erfahrung decke, dass sich vor allem Schmerzen, Spastik, psychische Beeinträchtigungen und Ataxie unter medizinisch kontrollierter Einnahme von Cannabis bessern können. Bei der Kenntnis des Krankheitsbildes des Klägers und bei den bisherigen guten Erfahrungen, die er mit dem Einsatz von Cannabis zur Linderung der Symptomatik gemacht habe, werde die weitere kontrollierte medizinische Einnahme von Cannabis nervenärztlicherseits uneingeschränkt empfohlen. Auch bestätigt Dr. T. , in dessen ärztlicher Behandlung sich der Kläger seit 1992 befindet, in seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 27. April 2007, dass das Cannabis ohne Zweifel einen nachweisbaren Effekt auf die Ataxie und die erheblichen Stimmungsschwankungen des Klägers habe, der ohne den Konsum von Cannabis aufbrausend sei und ein für seine Umgebung sehr belastendes Verhalten gezeigt habe. Den ärztlichen Bescheinigungen des Dr. T. vom 17. Januar 2012 und 2. Oktober 2012 ist zu entnehmen, dass der Kläger durch die regelmäßige Einnahme von Cannabis eine Besserung der Ataxie und vor allem auch der Beschwerden durch die Spastik erlebt. Das Gangbild sei unter kontinuierlicher Cannabis-Einnahme deutlich sicherer als ohne und die maximale Gehstrecke habe verlängert werden können. Einschließende Spasmen seien unter der Cannabis-Einnahme kaum vorhanden. Ferner führe das regelmäßige Rauchen von Cannabispflanzen-Extrakt beim Kläger zu einem stimmungsmäßigen Ausgleich und die vor Aufnahme des Cannabis-Konsums stark gestörte Impulskontrolle habe sich reguliert. Nach einer aktuellen Stellungnahme des Dr. T. vom 15. Januar 2014 geht es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut. Die Stimmungslage sei ausgeglichen, es bestehe eine ausreichende Beweglichkeit mit einer Gehdauer (mit Handstock) von etwa 30 Minuten. Es beständen keine Schluckschwierigkeiten, die dysarthrische Sprache sei ausreichend verständlich. Diese Erkenntnisse werden bestätigt durch die glaubhaften Angaben des Dr. T. als sachverständiger Zeuge, der in der Berufungsverhandlung angegeben hat, die psychische Verfassung und das Sozialverhalten hätten sich unter der Wirkung von Cannabis deutlich verbessert.
62Dem Kläger steht gegenwärtig kein gleich wirksames zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel für die Behandlung der im Rahmen der Multiplen Sklerose auftretenden Ataxie und Spastik sowie des Psychosyndroms zur Verfügung.
63Anders als in dem sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 25. April 2013 ausgeführt, stellt das zugelassene Arzneimittel „Sativex“ für den Kläger keine mögliche Standardtherapie dar. Das Arzneimittel „Sativex“, ein Pflanzenextrakt der Firma Almirall, das neben den beiden Cannabis-Hauptwirkstoffen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Delta-9-THC) und Cannabidiol (CBD) auch weitere Bestandteile von Cannabis sativa enthält, hat - ungeachtet der Frage seiner Finanzierbarkeit - schon deshalb nicht die gleiche Wirksamkeit wie das von dem Kläger angebaute Cannabis sativa, weil sein Anwendungsbereich auf die Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose beschränkt ist, während sich das vom Kläger angebaute Cannabis insgesamt positiv auf die Beschwerden Ataxie, Spastik und emotionale Labilität auswirkt. „Sativex“ wird laut Fachinformation als Zusatzbehandlung für eine Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose angewendet, die nicht angemessen auf eine andere anti-spastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen. Dies ist bei dem Kläger (gerade) nicht der Fall. Im Gegenteil hat die Einnahme von „Sativex“ bei ihm sogar zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geführt.
64Der Kläger hat sich bereits in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 9. August 2011 einem Behandlungsversuch mit „Sativex“ unterzogen, der zu einer Verstärkung seiner Beschwerden geführt hat. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 11. August 2011 hat der Kläger „Sativex“ als Ersatz für Marihuana eingenommen. Es habe ihm aber weder in geringen noch in höheren Dosen (bis zu 6 Hübe) geholfen. Die Einnahme von „Sativex“ habe ihn sehr müde gemacht, seine Bewegungen seien ihm schwer gefallen und nur verlangsamt möglich gewesen. Das Befinden und die Motorik hätten sich durch „Sativex“ verschlechtert. Auch habe er schlecht Luft bekommen und vermehrt das Asthmaspray einsetzen müssen. Nach Auskunft seiner Lebensgefährtin habe der Kläger während der Behandlung mit „Sativex“ überwiegend gelegen. In seiner weiteren fachärztlichen Bescheinigung vom 2. Oktober 2012 stellt Dr. T. fest, dass unter Sativex nicht die vergleichbaren Effekte wie unter Cannabis zu erzielen waren. Dem Einwand der Beklagten, der Therapieversuch sei unbeachtlich, weil er jedenfalls hinsichtlich der Dosierung nicht entsprechend der (klinischen) Vorgaben in der Zulassung durchgeführt worden sei, ist nicht zu folgen. Zwar sieht die Fachinformation der Firma Almirall unter Ziffer 4.2 „Art und Dauer der Anwendung“ eine zweiwöchige Titrationsphase vor, innerhalb derer die Anzahl der Sprühstöße entsprechend eines konkreten Dosierungsschemas täglich von einem auf bis zu 12 Sprühstöße langsam erhöht wird. Auch wird darauf hingewiesen, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis die optimale Dosierung gefunden wird, und dass Nebenwirkungen (etwa Müdigkeit) auftreten können, die aber üblicherweise schwach sind und nach einigen Tagen abklingen. Dem Kläger, bei dem die Nebenwirkungen offenbar gerade nicht in bloß schwacher Form aufgetreten sind, ist es mit Blick auf seine ausgeprägte Ataxie aber nicht zumutbar, die bis zu zwei Wochen dauernde Phase der Nebenwirkungen abzuwarten und in dieser Zeit noch weitere Beeinträchtigungen seiner ohnehin stark eingeschränkten Bewegungsfähigkeit hinzunehmen. Mit Blick auf die elementare Bedeutung des Grundrechts des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und unter Achtung seiner Menschenwürde ist es daher aus ethischen Gründen nicht zu verantworten, den schwer kranken Kläger erneut einem mehrwöchigen Behandlungsversuch mit „Sativex“ auszusetzen, obwohl die Behandlung des bei ihm im Vordergrund stehenden Symptoms der Multiplen Sklerose, der Ataxie, vom Anwendungsbereich von „Sativex“ gar nicht erfasst wird.
65Dem Kläger steht auch mit dem verschreibungsfähigen Wirkstoff „Dronabinol“ keine gleich wirksame Therapiealternative zur Verfügung. Zwar ist „Dronabinol“ für ihn nunmehr grundsätzlich verfügbar, nachdem die AOK S. -O. -P. mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 die Übernahme der Kosten für diesen Wirkstoff erklärt hat. Im Falle des Klägers ist jedoch derzeit anzunehmen, dass „Dronabinol“ nicht genauso wirkt wie Cannabis. Deshalb kann dahinstehen, ob er überhaupt auf das Rezepturarzneimittel „Dronabinol“ verwiesen werden kann, das kein für die Erkrankung des Klägers zugelassenes (Fertig-)Arzneimittel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist.
66Der Senat geht dabei davon aus, dass „Dronabinol“, das aus dem Cannabis-Hauptwirkstoff Delta-9-THC besteht, grundsätzlich mit Cannabis vergleichbare therapeutische Wirkungen auf die Symptome einer Multiplen Sklerose entfalten kann. So wird „Dronabinol“ vorwiegend gegen chronische/neuropathische Schmerzen und Spastik eingesetzt und kann bei Multipler Sklerose Muskelkrämpfe und Spastiken reduzieren. Der Stellungnahme des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) Dr. H. vom 6. Dezember 1999 ist zu entnehmen, dass Cannabis und THC eine Vielzahl von Wirkungen entfalten, die bei der Multiplen Sklerose therapeutischen Nutzen versprechen. THC bzw. Dronabinol sei der pharmakologisch wichtigste Inhaltsstoff der Hanfpflanze (cannabis sativa L.). Wenn auch die Cannabiswirkungen nicht durch die THC-Effekte allein erklärt würden, so machten diese Effekte doch den weitaus größten Teil der Gesamtwirkung aus. In einer Anzahl von Studien sei ein muskelentspannender Effekt von THC bzw. Cannabis nachgewiesen worden. Auch sei in verschiedenen Tiermodellen sowie klinischen Studien der schmerzhemmende Effekt von THC nachgewiesen und der Wirkungsmechanismus weitgehend aufgeklärt worden. Zu vielen anderen von Patienten geschilderten (positiven) Effekten lägen zwar keine klinischen Daten vor, sie würden jedoch häufig und unabhängig voneinander von den Betroffenen vorgetragen. In seiner - vom Kläger im sozialgerichtlichen Verfahren überreichten - Stellungnahme vom 6. Februar 2001 verweist Dr. H. ebenfalls darauf, dass die durchgeführten klinischen Studien in ihrer Gesamtheit die Annahme nahelegen, dass Marihuana, Delta-9-THC und Nabilon (ein synthetisches Cannabinoid) wahrscheinlich nützliche symptomatische Wirkungen auf Spastik und Tremor entfalteten. Danach dürfe angenommen werden, dass THC bei Multipler Sklerose therapeutische Wirkung entfalte.
67Auch in dem vom Amtsgericht Mannheim im Strafverfahren 310 Js 5518/02 eingeholten fachneurologischen Aktengutachten des Universitätsklinikums Heidelberg vom 21. Februar 2003 wird die Einnahme von Cannabis und seinen Derivaten (gleichermaßen) zur Behandlung der Symptome der Multiplen Sklerose befürwortet. Ausweislich der Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. med. N. und Dr. med. T1. belegen verschiedene klinische Untersuchungen die Möglichkeit der therapeutischen Anwendung von Cannabisderivaten in der Medizin und insbesondere bei Erkrankungen des Nervensystems. Typische Wirkungen von Cannabis auf den Organismus seien Wohlbefinden und Entspannung, aber auch unerwünschte psychische Effekte wie Angst- und Panikzustände sowie Herzfrequenzbeschleunigung, Blutdruckveränderungen. Weitere Cannabiseffekte bestünden in einer Schmerzlinderung, Muskelrelaxierung, Krampflösung, Bewegungsharmonisierung, Sedierung, Appetitsteigerung, Entzündungshemmung und Bronchialerweiterung. Die zugelassenen Indikationen des synthetisch hergestellten Cannabisderivats Delta-9-THC „Dronabinol“ mit dem Handelsnamen „N1. ®“ seien in den USA zwar auf Gewichtsverlust bei Aids- und Tumorpatienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapiepatienten beschränkt, die mit anderen Medikamenten nicht zu beherrschen seien. Auch liege in Deutschland derzeit keine zugelassene Indikation für Cannabisderivate vor. Es sei dem Arzt jedoch frei gestellt, Cannabis im Rahmen eines individuellen Heilversuchs in Form von „Dronabinol“ zu verordnen. Potentielle Behandlungsindikationen aus neurologischer Sicht, für die in einzelnen Untersuchungen ein günstiger Effekt von Cannabis gezeigt worden sei, beträfen die Symptome der Spastik und Ataxie, des Schmerzes und der Depressionen, die auch bei der Multiplen Sklerose vorkämen. Es gebe mehrere Fallbeispiele, dass Cannabis bzw. seine Derivate für Symptome der Spastik und Ataxie hilfreich sein könnten.
68Ausgehend von der bei der Frage einer Therapiealternative im Rahmen des § 3 Abs. 2 BtMG gebotenen konkret-individuellen Betrachtungsweise kann aber gegenwärtig nicht festgestellt werden, dass „Dronabinol“ auch beim Kläger genauso wirkt wie Cannabis. Hierauf deutet bereits die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vom Kläger vorgelegte Bescheinigung von Dr. T. vom 7. Februar 2013 hin, wonach „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen habe. Die Stimmungslage sei dadurch einigermaßen ausgeglichen, die Effekte auf Ataxie und Spasmen seien deutlich weniger spürbar als bei regelmäßigem oralem und inhalativem Cannabiskonsum von bis zu 3 g. Hintergrund dieser Feststellungen ist der Versuch des Klägers gewesen, sich nach der Kostenübernahme für „Dronabinol“ durch die AOK S. -O. -P. Ende 2012 auf diesen Wirkstoff umzustellen. Im Rahmen dieses (ambulanten) Umstellversuchs konnte der Kläger mit einer Dosis von 20 Tropfen „Dronabinol“ morgens eine gewisse Reduzierung des täglichen Cannabiskonsums erreichen. Hingegen muss der Versuch, den Cannabiskonsum mit „Dronabinol“ zu ersetzen und den Kläger allein damit zu behandeln, mit den Stellungnahmen seiner behandelnden Ärzte als gescheitert angesehen werden. Nach den Äußerungen der sachverständigen Zeugen Dr. T. und Dr. H. bewirkt die erreichte Dosis von derzeit 20 Tropfen „Dronabinol“ beim Kläger keine ausreichende Linderung der spastisch-ataktischen Symptomatik, wohingegen eine dafür erforderliche Dosis nicht erreicht werden kann, weil es durch eine Dosissteigerung zu einer erheblichen Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustands kommt. Die Ärzte haben sich dabei maßgeblich auf ihre bisherigen umfangreichen Erfahrungen bei der Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis gestützt, die sie dem Senat widerspruchsfrei und überzeugend vermittelt haben.
69Im Einzelnen:
70Nach der fachärztlichen Bescheinigung des Dr. T. vom 7. Februar 2013 hat „Dronabinol“ auch in hoher Dosierung beim Kläger keine ausreichenden positiven Effekte aufgewiesen. Ausweislich seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli 2013 nimmt der Kläger derzeit morgens 20 Tropfen „Dronabinol“ und raucht im Laufe des Tages mindestens 10 Tütchen Haschisch/Marihuana. Unter dieser hohen Dosis fühle sich der Kläger subjektiv wohl. Im Hinblick auf diese Feststellungen hat der erkennende Senat Dr. T. um ergänzende schriftliche Stellungnahme gebeten, ob der Kläger ausschließlich mit „Dronabinol“ behandelt werden könne. Dr. T. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 15. Januar 2014 weiter ausgeführt, dass es dem Kläger unter kontinuierlichem Konsum von nicht-medizinischen Cannabis-Produkten subjektiv gut gehe. Eine Stimmungsaufhellung ist nach der Stellungnahme von Dr. T. vom 28. April 2014 erst bei einer Dosis von 20 Tropfen morgens vorübergehend festzustellen gewesen. Eine Besserung der spastisch-ataktischen Symptomatik sei nicht erkennbar gewesen. Der Versuch, die Einzeldosis auf mehr als 20 Tropfen zu steigern, sei misslungen, da es dadurch zu Unruhe, Fahrigkeit, zu Stimmungsschwankungen und auch Dysphorie gekommen sei. Danach ist davon auszugehen, dass die für eine beim Kläger ausreichende Symptomkontrolle ‑ insbesondere im Hinblick auf die Ataxie und Spastik - erforderliche Dosis „Dronabinol“ nicht erreicht werden kann, ohne dass unerwünschte erhebliche Nebenwirkungen im Bereich seiner psychischen Verfassung auftreten.
71Diese Einschätzung hat die Vernehmung der den Kläger behandelnden bzw. betreuenden Ärzte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Der sachverständige Zeuge Dr. T. hat angegeben, dass eine weitere Erhöhung der Dosis ausscheide, weil dann die psychischen Zustände - Unruhe, Panik, Anspannung - beim Kläger eintreten würden. Bei der derzeitigen Dosis mit 20 Tropfen habe sich aber auch keine zufriedenstellende positive Lösung eingestellt, so dass weiterhin Cannabisblüten gegeben würden. Dr. T. kommt zu dem Ergebnis, dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ beim Kläger nur eine unwahrscheinliche Möglichkeit darstellt. Dies ist angesichts der von ihm beschriebenen Nebenwirkungen bei einer versuchten Steigerung der Dronabinoldosis, auf die der Kläger zur Symptomkontrolle der Ataxie und Spastik angewiesen wäre, auch plausibel. Dass die ärztlichen Feststellungen zur psychischen Verfassung des Klägers dabei wesentlich auf dessen Eigenwahrnehmung beruhen, mindert nicht deren Aussagewert und ist letztlich dem besonderen psychischen Krankheitsbild des Klägers geschuldet. Es ist dann Aufgabe des den Patienten behandelnden Arztes, die subjektiv unter der Gabe von „Dronabinol“ empfundenen Nebenwirkungen zu objektivieren. Dies hat Dr. T. in der erforderlichen Weise getan, indem er die Selbsteinschätzung des Untersuchten ärztlicherseits bestätigt und sie als ärztliche Feststellungen dem Senat vermittelt hat.
72Die Bewertung durch Dr. T. , dass eine erfolgreiche Monotherapie mit „Dronabinol“ im Falle des Klägers unwahrscheinlich ist, steht im Einklang mit seinen bisherigen schriftlichen Stellungnahmen. Soweit er in seiner Stellungnahme vom 28. April 2014 ausgeführt hat, es sei zu vermuten, dass mit einer Gesamtmenge von 4 x 20 Tropfen „Dronabinol“ am Tag ein einigermaßen dem bisherigen Cannabiskonsum vergleichbarer Effekt zu erzielen sein dürfte, hat er einen vermeintlich darin begründeten Widerspruch in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt. Dort hat Dr. T. klargestellt, dass es sich bei der Möglichkeit einer Monotherapie um eine rein theoretische Annahme seinerseits gehandelt habe. Dies ist auch angesichts seiner weiteren Feststellungen bei der Anwendung von „Dronabinol“ durch den Kläger ohne weiteres nachvollziehbar, weil danach schon eine Steigerung der Dosis von einmalig 20 Tropfen am Tag zu erheblichen Nebenwirkungen - vor allem im psychischen Bereich - geführt hat. Insoweit überwiegen nach Auskunft von Dr. T. die Aussagen des Klägers, dass er bei mehr als 20 Tropfen „Dronabinol“ hektisch, fahrig und panisch geworden sei und im Übrigen die Effekte auf Ataxie und Spasmen deutlich weniger spürbar als bei einem Cannabiskonsum gewesen seien. Dass nur theoretisch und medizinisch nicht begründet die Möglichkeit einer Monotherapie mit „Dronabinol“ besteht, entspricht auch der in der gleichen Stellungnahme des Dr. T. vom 28. April 2014 getroffenen Aussage, es sei unwahrscheinlich, dass durch ein anderes Medikament dem Cannabiskonsum vergleichbare Effekte im Falle des Untersuchten erzielt werden könnten.
73Dass eine Monotherapie mit „Dronabinol“ mit einer Dosierung von 4 x 20 Tropfen zu einer ausreichenden Symptomkontrolle beim Kläger führt, ist auch angesichts der damit vom Kläger aufgenommenen THC-Menge fernliegend. Wie Dr. H. , der den Kläger seit April 2014 in der Cannabisbehandlung begleitet, in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erklärt hat, entspricht der Konsum von 3,5 g Cannabis täglich bei einer THC-Konzentration von 15 %, die regelmäßig bei der vom Kläger angebauten Sorte „Jack Herrer“ anzunehmen ist, 525 mg THC bzw. „Dronabinol“. Diese THC-Menge wird schon rein rechnerisch durch eine Dosis von 4 x 20 Tropfen täglich nicht ansatzweise erreicht. Dabei kann offen bleiben, ob dies, so die Auffassung der Beklagten, einer THC-Menge von nicht nur 66 mg, sondern 80 mg entspricht. Selbst wenn der tägliche Konsum - wie der Kläger an anderer Stelle ausführt - mit 165 mg THC bzw. „Dronabinol“ niedriger anzunehmen sein sollte, kann auch diese Menge durch die von Dr. T. angenommene Höchstmenge „Dronabinol“ nicht vollständig substituiert werden. Hinzu kommt, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, dass bei Patienten, die - wie der Kläger - sehr hohe Dosen Cannabis konsumierten, ein Ersetzen durch reines THC bzw. „Dronabinol“ nicht möglich sei, weil dann die ungefilterte Wirkung des THC zu stark durschlage und die Nebenstoffe des Cannabis fehlten, die bei hohen Dosen eine modulierende Wirkung entfalteten. Die entsprechende subjektive Wahrnehmung durch den Kläger konnte der sachverständige Zeuge angesichts anderer Patienten, mit denen er ähnliche Erfahrungen gemacht hat, bestätigen. Dr. H. hält deshalb eine Umstellung des Klägers auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ für nicht möglich. Dies steht im Einklang mit der Einschätzung des in der Hauptverhandlung im Strafverfahren des Klägers angehörten Sachverständigen Prof. Dr. N. , der es nachvollziehbar und auch aus medizinischer Sicht als verständlich ansah, dass die Einnahme von „Dronabinol“ allein nicht dieselbe Linderung verschafft habe. Denn in „Dronabinol“ befände sich der reine Wirkstoff THC, wogegen bei der Einnahme von Cannabis andere pflanzliche Faktoren bei der Linderung eine Rolle spielen könnten, die allerdings in ihrer Zusammensetzung wissenschaftlich und medizinisch noch nicht erforscht seien (vgl. Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 19. Januar 2005 - 310 Js 5518/02 -).
74Der Senat hat keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des als sachverständigen Zeugen angehörten Dr. H. zu zweifeln. Für seine Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht vor allem der persönliche Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von ihm gewinnen konnte. Etwaige Zweifel, die in seiner politischen Arbeit für die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) begründet sein könnten, sind dadurch ausgeräumt worden, dass Dr. H. in der mündlichen Verhandlung überzeugend deutlich gemacht hat, als Wissenschaftler, als politisch Engagierter und als Arzt in unterschiedlichen Funktionen tätig zu sein und zwischen diesen Tätigkeiten trennen zu können.
75Dem (sinngemäßen) Einwand der Beklagten, es fehle weiterhin an einer Beschreibung des Therapieverlaufs und seines Ergebnisses, um die Frage der gleichen therapeutischen Wirksamkeit von „Dronabinol“ beantworten zu können, folgt der Senat nicht. Die ärztliche Einschätzung von Dr. T. , dass der Kläger bei realistischer Betrachtungsweise nicht auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ umgestellt werden kann, beruht auf Erkenntnissen aus seiner jahrzehntelangen Behandlung des Klägers mit „Dronabinol“ und Cannabis, zuletzt auf dem Therapieversuch nach der Kostenübernahmeerklärung für „Dronabinol“ durch die Krankenkasse. Sie wird zudem bestätigt durch die Feststellungen von Dr. H. , der umfangreiche Erfahrungen mit Patienten hat, die - wie der Kläger - mit Cannabis und/oder „Dronabinol“ behandelt werden. Welche Erkenntnisse darüber hinaus aus einer Dokumentation des gesamten Therapieverlaufs und dessen Ergebnis mit „Dronabinol“ gewonnen werden könnten, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Allein aus dem Fehlen einer schriftlichen Dokumentation des Therapieverlaufs mit „Dronabinol“ im Einzelnen ist jedenfalls - auch angesichts der zahlreichen schriftlichen fachärztlichen Bescheinigungen - nicht zu schließen, dass die dem Senat in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend vermittelte Einschätzung beider Ärzte auf einer fehlenden tatsächlichen Grundlage und von daher nicht medizinisch fundiert getroffen worden ist.
76Hiervon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und seiner Menschenwürde ist dem Kläger der von der Beklagten geforderte stationäre Umstellversuch auf eine Monotherapie mit „Dronabinol“ nicht zuzumuten. Der schwer chronisch kranke Kläger, der derzeit nach den Aussagen seiner behandelnden Ärzte auf eine auf ihn subjektiv gut abgestimmte Therapieform eingestellt ist, muss sich nicht auf eine lediglich theoretische und damit für ihn nicht ansatzweise erfolgversprechende Therapiealternative mit ungewissem Ausgang einlassen. Eine medizinische Indikation, einen stationären Umstellversuch zu erzwingen, besteht nach Aussage des behandelnden Arztes beim Kläger ebenfalls nicht. Auch deshalb ist nicht anzunehmen, dass überhaupt eine Einrichtung gefunden werden kann, die einen solchen stationären Therapieversuch mit Dronabinoldosen jenseits der üblichen Mengen durchführt, und nicht ersichtlich, wer die Kosten hierfür übernimmt, was auch schon dem Umstellversuch im Dezember 2012 entgegenstand. Ein stationärer Umstellversuchs ist zudem als Möglichkeit einer zusätzlichen Tatsachengewinnung nicht erforderlich, weil der Senat die Überzeugung von einer im Falle des Klägers nicht mit Cannabis vergleichbaren Wirkung von „Dronabinol“ bereits auf der Grundlage der schriftlichen und mündlichen Aussagen der sachverständigen Zeugen gewinnen konnte.
77Mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnisse sieht sich der Senat nicht veranlasst, zur Frage der fehlenden vergleichbaren therapeutischen Wirkung von „Dronabinol“ beim Kläger ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die aussagekräftigen schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte reichen aus, um dem Senat die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung von der beim Kläger nicht vergleichbaren Wirkung einer Monotherapie mit „Dronabinol“ zu ermöglichen.
78Soweit die Lebensgefährtin des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Kläger mit Medizinalhanf der Sorte Bedrocan gut zurecht käme, weil er diese Sorte selbst angebaut habe, steht ihm diese Therapiealternative aus rechtlichen Gründen sowie im Hinblick auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch aus Kostengründen tatsächlich nicht zur Verfügung. Aufgrund der zwischenzeitlich durch die AOK S. -O. -P. erklärten Kostenübernahme für „Dronabinol“ und der damit nach Auffassung der Beklagten verbundenen Therapiealternative sieht sie sich bereits daran gehindert, dem Kläger eine Erwerbserlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erteilen, die Voraussetzung für den Erwerb von Medizinalhanf aus der Apotheke ist. Außerdem kann der Kläger, der eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente von derzeit ca. 890,00 Euro bezieht, die monatlichen Kosten der von ihm benötigen Monatsdosis Cannabis nicht selbst tragen. Während die von ihm benötigten ca. 100 g „Cannabis flos Bedrocan“ monatliche Kosten von mindestens 400,00 Euro, wenn nicht sogar von 1.600,00 Euro, verursachen würden, entstehen ihm durch den Eigenanbau von Cannabis monatliche Betriebskosten für Strom, Dünger, Erde etc. in Höhe von ca. 110 Euro.
79Der Kläger bekommt die Kosten für „Cannabis flos Bedrocan“ auch nicht von seiner Krankenkasse erstattet. Dies ergibt sich aus der Ablehnung der Kostenübernahme durch die AOK S. -O. -P. vom 7. Juni 2013, die sie zuletzt auf Nachfrage des Senats am 10. Juni 2014 nochmals bestätigt hat. Dass nach der Beweisaufnahme für den Senat feststeht, dass „Dronabinol“ beim Kläger nicht die gleiche therapeutische Wirksamkeit hat wie Cannabis, rechtfertigt nicht die Annahme, die AOK S. -O. -P. werde nunmehr die Kostenübernahme für Medizinalhanf erklären. Dies folgt schon daraus, dass die Kostenübernahme nach den Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 25. April 2013 nicht mit einer alternativen Therapiemöglichkeit mit dem Wirkstoff „Dronabinol“, sondern damit abgelehnt worden ist, dass zum einen beim Kläger keine schwere, lebensbedrohliche oder dem gleichzustellende Erkrankung vorliege und zum anderen die Möglichkeiten der Standardtherapie - hier mit Sativex - nicht ausgeschöpft seien. Es ist dem schwer kranken Kläger nicht mehr zumutbar, ein weiteres Mal den sozialgerichtlichen Klageweg hiergegen auszuschöpfen. Es liegt nicht in der Hand des Klägers, die rechtlichen Rahmenvorgaben für die Zulassung bzw. die krankenkassenrechtliche Kostenübernahme von Medizinalhanf als weitere Behandlungsalternative zu schaffen. Etwas anderes gilt im Hinblick auf den Ausnahmecharakter einer Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis allerdings dann, wenn dem Kläger in Zukunft eine Kostenübernahme für Medizinalhanf erteilt werden würde.
80Der Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis stehen weiter keine zwingenden Versagungsgründe nach