Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 11. März 2010 - 2 A 491/09

bei uns veröffentlicht am11.03.2010

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 11.3.2009 – 5 K 1724/08 – werden der Rücknahmebescheid des Beklagten vom 27.8.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 29.7.2008 aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Widerspruchsverfahren war notwendig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1957 geborene Kläger ist indischer Staatsangehöriger hinduistischen Glaubens, reiste im August 1980 in die Bundesrepublik Deutschland ein und ersuchte zunächst erfolglos um Anerkennung als Asylberechtigter. (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 11.6.1982 – 10 K 551/81 –, mit dem die Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamts vom 2.7.1981 als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde)

Am 1.10.1982 heiratete er in Homburg die deutsche Staatsangehörige M und erhielt in der Folge zunächst befristete, später unbefristete Aufenthaltserlaubnisse und schließlich am 5.10.1987 eine Aufenthaltsberechtigung, die nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes in eine Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Im Januar 1989 wurde die Ehe geschieden.

Im August 2006 beantragte die indische Staatsangehörige U bei der deutschen Botschaft in Neu Delhi die Erteilung eines Einreisevisums zum Zweck der Familienzusammenführung (Ehegattennachzug) mit dem Kläger. Dabei legte sie einen Auszug aus dem Heiratsbuch des Hindutempels von Hoshiarpur vom 20.3.2006 vor, wonach sie am 13.2.1990 die Ehe mit dem Kläger geschlossen habe. In einem auf die Remonstration von Frau U gegen die Ablehnung des Antrags verfassten Schreiben der Botschaft heißt es, eine Überprüfung habe ergeben, dass die vorgelegte Urkunde inhaltlich unrichtig sei und dass die nach dem Hindugesetz ( Hindu Marriage Act, 1955) zur Eheschließung erforderliche religiöse Zeremonie mit dem Kläger bereits am 29.5.1980 stattgefunden habe.

Im Juli 2007 hat Frau U beim Verwaltungsgericht Berlin Klage gegen die Ablehnung ihres Visumsantrags erhoben. In diesem Verfahren wurde mit Blick auf den vorliegenden Rechtsstreit das Ruhen angeordnet. (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 31.1.2008 – VG 11 V 55.07 –)

Mit Bescheid vom 27.8.2007 nahm der Beklagte alle vier dem Kläger ab 1982 erteilten Aufenthaltstitel zurück, forderte ihn zur Ausreise binnen sechs Wochen auf und drohte ihm für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Indien an. In der Begründung heißt es, aufgrund der Ermittlungen der deutschen Auslandsvertretung sei davon auszugehen, dass im August 1980 eine wirksame Ehe mit Frau U geschlossen worden sei, aus der die Söhne S (7.3.1981) und M (28.10.1985) hervorgegangen seien. Dagegen habe der Kläger bei der Meldung als Asylsuchender als Familienstand „ledig“ angegeben. Bei Kenntnis des wahren Sachverhalts hätten das Standesamt in Homburg die Eheschließung mit Frau K nicht vorgenommen und die Ausländerbehörde keine Aufenthaltserlaubnisse erteilen können. Daher habe sich der Kläger sein Aufenthaltsrecht durch unrichtige Angaben erschlichen. Dass der Kläger inzwischen lange Zeit im Bundesgebiet gelebt und gearbeitet habe, gebiete keine andere Entscheidung. Aufenthalt des Klägers und Zugang zum Arbeitsmarkt seien nur aufgrund seiner falschen Angaben möglich gewesen. Bindungen an Personen in Deutschland, die eine Ausreise und die Wiedereingliederung in Indien unzumutbar erscheinen lassen könnten, seien nicht vorgetragen. Die Unrichtigkeit des angegebenen Heiratsdatums im Jahre 1990 sei durch die Ermittlungen der deutschen Botschaft erwiesen und von Frau U inzwischen auch eingeräumt worden.

Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser auf eine Heirat an dem sich aus der im Visumsverfahren vorgelegten Urkunde ergebenden Datum („13.2.1990“) verwiesen hatte, wurde im Juli 2008 zurückgewiesen. (vgl. den Widerspruchsbescheid des Stadtrechtsausschusses bei der Landeshauptstadt Saarbrücken vom 29.7.2008 – 219/07 –) In der Begründung heißt es, die vier im Bescheid der Ausländerbehörde ausgesprochenen Rücknahmen beträfen rechtswidrige Verwaltungsakte. Die erste Aufenthaltserlaubnis aus dem Jahr 1982 sei dem Kläger nach dem damals einschlägigen Ausländerrecht mit Blick auf eine Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen erteilt worden, die in Wahrheit eine verbotene Doppelehe gewesen und daher nicht in den Schutzbereich des Art. 6 GG gefallen sei, weil er bereits 1980 in Indien rechtskräftig eine Ehe geschlossen habe. Das Prinzip der Einehe gehöre zu den grundlegenden Wertevorstellungen in der Bundesrepublik. Entsprechendes gelte auch für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Oktober 1983 zur Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft und für die Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Oktober 1985. Durch die Rücknahme dieser Aufenthaltserlaubnisse seien die Voraussetzungen für die im Oktober 1987 erteilte Aufenthaltsberechtigung entfallen. Diese habe einen zuvor rechtmäßigen Aufenthalt von mindestens 5 Jahren vorausgesetzt. Die Rücknahmeentscheidung der Ausländerbehörde sei frei von Ermessensfehlern. Diese habe das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung seiner beruflichen und sozialen Existenz in Deutschland berücksichtigt. Da der Grund für die „fehlerhaften“ Aufenthaltstitel wegen der wissentlich falschen Angaben allein in seinem Verantwortungsbereich liege und er auf deren Bestand nicht hätte vertrauen dürfen, seien seine Interessen weniger gewichtig. Die Ausländerbehörde habe bei der Abwägung auch berücksichtigt, dass der Kläger schon über 25 Jahre in Deutschland lebe und seit langer Zeit auch arbeite. Dies beruhe allerdings auf der nicht dem Schutzbereich des Art. 6 GG unterfallenden früheren Ehe. Seine Familie lebe größtenteils in Indien, Verwandte in Deutschland habe er nicht. Die Rückkehrverpflichtung begründe auch keine unzumutbare Härte, da dem Kläger eine Wiedereingliederung in Indien nicht schwer fallen dürfte. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Kläger als Niederlassungsberechtigter seine indische Ehefrau nach Deutschland nachziehen lassen könne. Mit Belassen der Aufenthaltstitel würde ihm daher eine Bevorzugung gegenüber ehrlichen Ausländern gewährt.

Zur Begründung seiner daraufhin im November 2008 erhobenen Klage hat der Kläger erneut vorgetragen, dass die Eheschließung in Indien erst im Jahr 1990 stattgefunden habe. Unabhängig davon genüge die Rücknahme der Aufenthaltstitel nach nunmehr über 25 Jahre währendem Aufenthalt in Deutschland nicht mehr den rechtlichen Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Der Kläger hat beantragt,

die Rücknahmeverfügung des Beklagten vom 27.8.2007 und den Widerspruchsbescheid vom 29.7.2008 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen verteidigt und hinsichtlich der Heirat im Heimatland auf die Ermittlungsergebnisse der Deutschen Botschaft in Indien verwiesen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im März 2009 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die fristgerecht getroffene Rücknahmeentscheidung auf der Grundlage des § 48 SVwVfG sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Aufenthaltstitel seien rechtswidrig erteilt worden. Die 1982 mit Frau K geschlossene Ehe sei eine nach dem deutschen Ehegesetz verbotene und nichtige Doppelehe gewesen. Der Kläger sei seit 1980 rechtswirksam mit Frau U verheiratet. Der von einem Detektivbüro im Auftrag der Botschaft ermittelte Sachverhalt sei, anders als das Vorbringen des Klägers, in jeder Hinsicht stimmig. Der Kläger habe danach kurz nach seiner Hochzeit mit Frau U und vor der Geburt des ersten gemeinsamen Sohnes sein Heimatland in Richtung Europa verlassen, um die Familie zu ernähren. In Deutschland habe er unter Vortäuschung seiner Ledigkeit eine deutsche Staatsangehörige geheiratet. Anschließend sei der Kläger regelmäßig zu Besuchen seiner Familie nach Indien gefahren. Nach Erlangung eines unbefristeten Aufenthaltsrechts und der Ehescheidung Ende der 1980er Jahre hätten der Kläger und Frau U im März 2006 deren Nachzug nach Deutschland beschlossen. Zu dem Zweck hätten sie den Vorsitzenden des Tempelrats überredet, ihre Ehe unter dem Datum 13.2.1990 zu registrieren. Anschließend habe Frau U die Erteilung des Visums zum Ehegattennachzug beantragt. Neben der Plausibilität spreche insbesondere der Bericht der durch die Botschaft eingeschalteten Detektei vom 5.10.2006 für die Richtigkeit dieses Geschehensablaufs. Darin sei detailliert ausgeführt, dass im Heimatort von Frau U allgemein bekannt sei, dass diese seit mindestens 25 Jahren mit dem sich ebenso lange im Ausland aufhaltenden Kläger verheiratet sei. Das hätten mehrere in dem Bericht namentlich benannte Zeugen und letztlich dann auch Frau U bestätigt. Sie habe darüber hinaus nachvollziehbar angegeben, dass sie während der gesamten Zeit ihrer Ehe allein gelebt und die inzwischen erwachsenen Kinder sowie die Schwiegereltern versorgt habe, dass sie nun aber nach Deutschland zu ihrem Ehemann wolle. Für die Richtigkeit spreche mit Nachdruck der zutreffende Hinweis der Botschaft, dass es im ländlichen und konservativen Punjab gesellschaftlich völlig inakzeptabel sei, ein uneheliches Kind zu haben. Der vom Kläger angegebene Zeitpunkt der Eheschließung erst im Jahr 1990 mache nur unter dem Gesichtspunkt Sinn, dass dann die Eheschließung zeitlich nach der Scheidung von der deutschen Ehefrau erfolgt wäre. Ansonsten sei aber nicht erkennbar, weshalb die Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen worden sein sollte, zu dem die gemeinsamen Kinder bereits knapp 9 beziehungsweise 4 Jahre alt gewesen seien, und dass sie dann nochmals erst 16 Jahre später, im März 2006 registriert worden sein sollte. Der Beweiswert des Registerauszugs sei auch durch die Aussage des Vorsitzenden des Tempelrats durchgreifend erschüttert. Dieser habe erklärt, von der Familie des Klägers gebeten worden zu sein, die vorgefertigte Urkunde vom März 2006 mit dem Heiratsdatum 1990 zu unterzeichnen. Damit stehe fest, dass diese Ehe bereits 1980 geschlossen worden und dass die Ehe mit Frau K eine nichtige Doppelehe gewesen sei. Eine nach deutschem Recht unzulässige Doppelehe könne ausländerrechtlich kein Aufenthaltsrecht unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 GG begründen. Die vom Kläger angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- und des Bundesverfassungsgerichts zur zeitnahen Rücknahme erschlichener Einbürgerungen sei vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Verbots eines Entzugs der deutschen Staatsbürgerschaft zu sehen und auf das Ausländerrecht nicht übertragbar. Die Ermessensentscheidung begegne keinen Bedenken. Zutreffend habe sich die Widerspruchsbehörde darauf gestützt, dass der Kläger keine familiären Bindungen in Deutschland habe, seine Familie mit Ausnahme des in Belgien befindlichen ältesten Sohnes in Indien lebe, dass er seine Frau und die Kinder in der Vergangenheit regelmäßig besucht und dass ihm deswegen eine Wiedereingliederung in die dortigen Lebensverhältnisse nicht schwer fallen dürfte.

Zur Begründung der vom Senat gegen diese Entscheidung zugelassenen Berufung (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 3.11.2009 – 2 A 315/09 –) trägt der Kläger vor, es sei mit dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar, wenn bei einem Ausländer, der seit fast 30 Jahren in Deutschland lebe, ein jahrzehntelang zurückliegendes Fehlverhalten durch eine ausländerrechtliche Entscheidung zur Vernichtung der wirtschaftlichen und persönlichen Lebensperspektiven führe. In den vergangenen 20 Jahren, in denen er eine Aufenthaltserlaubnis besessen habe, habe er sich in beispielgebender Weise in hiesige Lebensverhältnisse integriert und sei konstant in dieser ganzen Zeit im Ristorante M in A-Stadt beschäftigt. Derzeit verdiene er über 1.200,- EUR netto pro Monat. In dieser Erwerbstätigkeit in Deutschland liege die wirtschaftliche Basis seiner Familie. Bei einer Rückkehr nach Indien stünde er „buchstäblich vor dem Nichts“, was mit den Grundwerten der Verfassung nicht zu vereinbaren sei. Wenn selbst schwerste Straftaten nach 15 Jahren verjährt seien, ein aufenthaltsrechtlich relevantes Fehlverhalten – hier eine Täuschung über den Familienstand – dem Betroffenen aber zeitlich unbegrenzt bis zum „St. Nimmerleinstag“ vorgehalten werden könne, so passe das nicht zusammen. Das Berufungsgericht habe die Aufgabe, insoweit eine zeitliche Grenze zu finden, wie dies die höchstrichterliche Rechtsprechung für die Rücknahme von Einbürgerungen getan habe. Diese könne beispielsweise in Anlehnung an Verjährungsfristen oder an die Tilgungsfristen beim Bundeszentralregister bestimmt werden. Bei zeitnaher Aufdeckung des Täuschungstatbestands und strafrechtlicher Verurteilung wäre zwischenzeitlich das Register selbst bei Verhängung einer höheren Strafe „längst wieder sauber“.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 11.3.2009 – 5 K 1724/08 – die Rücknahmeverfügung des Beklagten vom 27.8.2007 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 29.7.2008 aufzuheben, und

die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verteidigt die angegriffene Entscheidung und macht geltend, der § 48 SVwVfG sehe lediglich eine Frist von einem Jahr seit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Umstände vor, die hier eingehalten worden sei. Damit sei der Behörde mit Blick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung die Möglichkeit eingeräumt, einen unter Verletzung der Rechtsordnung erlassenen Verwaltungsakt wieder zu beseitigen. Eine weitere zeitliche Beschränkung erscheine auch nicht angebracht, da andernfalls eine über Jahrzehnte begangene und wiederholte Täuschung der Ausländerbehörde durch den Kläger letzten Endes belohnt werde. Die Dauer der Aufrechterhaltung der Täuschung bis zur Kenntniserlangung der Behörde könne dem Täuschenden nicht zugute kommen. Bei der Einbürgerung, bei der inzwischen grundsätzlich auch eine Rücknahmemöglichkeit anerkannt sei, sei der dadurch begründete Rechtsstatus von besonderer Bedeutung. Das gebiete eine abweichende Betrachtung. Die Berufung des Klägers auf strafrechtliche Verjährungs- und Tilgungsfristen könne wegen insoweit anderweitiger Zielrichtung verwaltungsrechtlich ebenfalls nicht durchgreifen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens, der Akte 18 V 55.07 des Verwaltungsgerichts Berlin sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

I.

Die vom Senat zugelassene, auch ansonsten hinsichtlich ihrer Zulässigkeit keinen Bedenken unterliegende Berufung des Klägers ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat seine Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene ausländerbehördliche Bescheid vom 27.8.2007, durch den insgesamt vier dem Kläger in den Jahren 1982 bis 1987 erteilte Aufenthaltstitel – ergänzt durch Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung – zurückgenommen wurden, und der dies bestätigende Widerspruchsbescheid vom 29.7.2008, die aus Sicht des Senats als behördliche Entscheidungen nicht bereits mit Blick auf § 44 Abs. 2 Nr. 6 SVwVfG als nichtig angesehen werden können, (vgl. hingegen VG Regensburg, Urteil vom 27.5.2009 – RN 9 K 08.01658 –, juris, dort im Zusammenhang mit der Beurteilung von Einbürgerungsvoraussetzungen) sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme der genannten Aufenthaltstitel ergibt sich aus § 48 SVwVfG. Wie der an die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Terminologie anknüpfende § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG verdeutlicht, geht der Gesetzgeber davon aus, dass auch rechtswidrig erteilte bestandskräftige Aufenthaltstitel von der zuständigen Behörde aufgehoben werden können. Da die in Betracht kommende Rücknahme, anders als der Widerruf rechtmäßig erteilter Titel (vgl. dazu § 52 AufenthG), im Aufenthaltsrecht keiner speziellen Regelung unterworfen wurde, ist insoweit auf die allgemeine Vorschrift in § 48 SVwVfG zurückzugreifen. Die formalen Voraussetzungen und die der Vorschrift zu entnehmenden tatbestandlichen Anforderungen für die Rücknahme liegen zwar vor (A.); die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen genügen indes nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung im Sinne des § 40 SVwVfG (B.).

A.

1. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG können unanfechtbare rechtswidrige Verwaltungsakte (auch) mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dem Bescheid der Ausländerbehörde vom 27.8.2007 lässt sich zwar nicht ausdrücklich entnehmen, dass eine Rücknahme für die Vergangenheit erfolgt ist. Dies ergibt sich jedoch eindeutig aus der Begründung und dem Gesamtzusammenhang. (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12.4.2005 – 1 C 9.04 –, AuAS 2005, 218, wonach an die Bejahung eines nicht ausdrücklich zum Ausdruck gebrachten Willens der Ausländerbehörde zur Rücknahme auch für die Vergangenheit geringe Anforderungen zu stellen sind) Besonders deutlich wird das im Widerspruchsbescheid, wo aus der Rücknahme der ersten drei Aufenthaltserlaubnisse (1982 bis 1985) das Entfallen der zeitlichen Voraussetzung eines rechtmäßigen Voraufenthalts von mindestens fünf Jahren für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (§ 8 Abs. 1 AuslG 1965) im Oktober 1987 abgeleitet wird. Daher steht der Anwendung des § 48 SVwVfG auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegen, wonach die bundesrechtliche Spezialvorschrift des § 7 Abs. 4 AuslG 1965, nach der auf der Grundlage des Ausländergesetzes (1965) erteilte Aufenthaltserlaubnisse nachträglich räumlich und zeitlich beschränkt sowie mit Bedingungen und Auflagen versehen werden konnten, den Rückgriff auf die landesrechtlichen Vorschriften über die Rücknahme rechtswidriger Aufenthaltstitel für die Zukunft ausschloss. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.3.1982 – 1 C 20.81 –, DÖV 1982, 739 )

2. Bei den zurückgenommenen (vier) Aufenthaltstiteln handelte es sich um rechtswidrige Verwaltungsakte im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG. Nach dem bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse an den Kläger ab dem Jahr 1982 maßgeblichen § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 durfte einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Anwesenheit Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigte (sog. Negativschranke). War letzteres nicht der Fall, stand die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Sie hatte die im Einzelfall für und gegen den Aufenthalt sprechenden Belange gerecht gegeneinander abzuwägen. Im Fall des Klägers als abgelehnter Asylbewerber, der zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts damals noch auf die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen angewiesen war, kam die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ernsthaft nur mit Blick auf seine am 1.10.1982 vor dem Standesamt in Homburg/Saar geschlossene Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen K (vgl. die Heiratsurkunde vom selben Tag, Blatt 86 der Ausländerakte) in Betracht.

Bei einem mit deutschem Partner verheirateten Ausländer hatten durch seine Anwesenheit berührte Belange der Bundesrepublik gegenüber dem durch die Wert setzende Bedeutung des Art. 6 GG vorgegebenen staatlichen Belang, Ehe und Familie zu schützen, grundsätzlich zurückzutreten, sofern nicht Ausweisungsgründe im Sinne des § 10 Abs. 1 AuslG 1965 erfüllt waren. (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27.9.1978 – I C 79.76 –, BVerwGE 56, 246, ebenso Ziffer 4a. der einschlägigen Verwaltungsvorschriften (AuslVwV), GMBl. 1977, 202, abgedruckt bei Kanein, Ausländerrecht, 4. Auflage 1988, zu § 2 AuslG) Entgegen der im Widerspruchsbescheid anklingenden Auffassung kann allerdings heute – fast 30 Jahre später – nicht bereits tragend darauf abgestellt werden, dass zumindest 1982 und 1983 mit Blick auf eine damals noch fehlende Eigensicherung des Lebensunterhalts des Klägers wohl ein Ausweisungsgrund nach § 10 Abs. 1 Nr. 10 AuslG 1965 vorgelegen habe. Die Ausländerbehörde hat diesem Aspekt seinerzeit im Rahmen des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 aus ihrer Sicht gegenüber dem Gesichtspunkt des „Familiennachzugs“ – zu Recht – nachrangige Bedeutung beigemessen. Letztlich entscheidungserheblich ist dies vorliegend ebenso wenig wie die Frage, ob ein Ausweisungsgrund auch mit Blick auf einen Verstoß gegen die Strafvorschriften nach § 172 StGB (damals noch § 171 StGB) und § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1965 im Raum stand, obwohl der § 10 AuslG 1965 insoweit noch keine den Nachfolgebestimmungen in §§ 46 Nr. 2 AuslG 1990, 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG entsprechende Vorschrift enthielt. (vgl. OVG Münster, Urteil vom 3.12.2009 – 18 A 1787/06 –, juris)

Der Kläger war jedenfalls vor seiner Heirat mit Frau K aufgrund einer im August 1980 in Indien im Tempel von Hoshiarpur vollzogenen Zeremonie nach dem Hindu Marriage Act 1955 (HMA) (vgl. das Hindu-Ehegesetz Nr. 25 vom 18.5.1955, abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht; speziell zu den Zeremonien des Saptapadi nach Section 7 des Gesetzes VGH Mannheim, Urteil vom 11.1.2006 – 13 S 2345/05 –, FamRZ 2007, 144) mit der indischen Staatsangehörigen U eine rechtswirksame Ehe eingegangen. Das hat das Verwaltungsgericht unter ausführlicher Berücksichtigung der insoweit „erdrückenden“ Tatsachenlage detailliert herausgearbeitet. Diesen überzeugenden Ausführungen, die sich der Senat zu Eigen macht, ist der Kläger im Rechtsmittelverfahren nicht mehr entgegengetreten. Eine möglicherweise seinerzeit (1980) zunächst unterbliebene Registrierung der Heirat berührt die Gültigkeit der Hindu-Ehe nicht; sie ist zwar vorgesehen, dient aber nach Sec. 8 Abs. 5 HMA lediglich Beweiszwecken. Im Ausland begründete familienrechtliche Verhältnisse sind im Inland anzuerkennen, sofern sie nicht dem ordre public (Art. 6 EGBGB) zuwiderlaufen. Dafür gibt es hier – bezogen auf die Hochzeit des Klägers mit Frau U – keine Anhaltspunkte. (Frau U ist ausweislich der Akten des VG Berlin 1959 geboren, so dass auch vom Alter her keine Bedenken bezüglich einer gegen den ordre public verstoßenden Heirat bestehen; speziell zu Altersgrenzen und Folgeregelungen bei Nichtbeachtung nach Section 11, 12, 13 des Hindu-Ehegesetzes VGH Mannheim, Urteil vom 11.1.2006 – 13 S 2345/05 –, FamRZ 2007, 144)

Die (zweite) Heirat in Deutschland im Jahre 1982 verstieß vor dem Hintergrund gegen das seinerzeit dem § 5 EheG (heute § 1306 BGB) zu entnehmende, bei Nichtbeachtung gemäß § 20 EheG unheilbar zur Nichtigkeit der Ehe führende Verbot der Doppelehe. Danach durfte ein lediger Inländer die Ehe mit einem verheirateten Ausländer auch dann nicht eingehen, wenn dessen Heimatrecht das Verbot der Doppelehe nicht kannte. (vgl. etwa Müller-Gindullis in Münchner Kommentar zum BGB, Band 5, Familienrecht, 1978, Anm 1 zu § 5 EheG) Der ausländerrechtlichen „Verwertbarkeit“ dieses Umstands steht nicht entgegen, dass nach dem bis 1998 geltenden § 23 EheG, (vgl. für die Folgezeit das Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 4.5.1998, BGBl I, 833 ff.) wonach sich niemand auf die Nichtigkeit der Ehe berufen konnte, bis diese durch Urteil des zuständigen Familiengerichts – was hier unstreitig nie geschehen ist – für nichtig erklärt worden war, die Nichtigkeit einer verbotswidrig vor dem deutschen Standesamt geschlossenen Doppelehe nur als rückwirkende Vernichtbarkeit ausgestaltet war. Nach gegenwärtigem Recht unterliegt die nach § 1306 BGB verbotene bigamische Ehe oder Doppelehe sogar nur noch einer Aufhebbarkeit (§ 1314 Abs. 1 BGB) durch gerichtliches Urteil mit Wirkung für die Zukunft (§ 1313 Satz 2 BGB). Das gilt nach der Überleitungsbestimmung in Art. 226 Abs. 3 EGBGB auch für – wie im Fall der Ehe des Klägers mit Frau K – vor der Rechtsänderung zum 1.7.1998 geschlossene „Altehen“, bei denen bis zu dem genannten Zeitpunkt keine Nichtigkeitsklage anhängig gemacht worden war, so dass aus heutiger Sicht hinsichtlich der inzwischen lange – seit 1989 – geschiedenen Ehe eine rückwirkende Nichtigerklärung (§ 23 EheG) ohnehin nicht mehr in Betracht käme. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind fehlerhaft zustande gekommene Ehen bis zu diesem Zeitpunkt als (voll) gültig zu behandeln. (vgl. etwa Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 3. Auflage 2008, Vor §§ 1313 bis 1320 Rn 2, unter Verweis auf BGH Urteile vom 17.1.2001 – XII ZR 266/98 –, FamRZ 2001, 685 und vom 9.1.2002 – XII ZR 58/00 –, MDR 2002, 250 ) Eine nachträgliche Aufhebung der bereits geschiedenen Ehe kommt hier ohnehin nicht in Betracht (§ 1317 Abs. 3 BGB). (vgl. auch OLG Nürnberg, Urteil vom 30.6.1997 – 7 UF 1117/97, juris)

Die familienrechtlichen Vorschriften stehen indes – wie im Falle der so genannten Zweck- oder Scheinehe, die nur zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland und damit zu einem nach deutschem Verständnis ehefremden Zweck geschlossen wird, (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 5.5.2003 – 2 BvR 2042/02 –, FamRZ 2003, 1000) ebenfalls zivilrechtlich wirksam ist und hinsichtlich ihrer Auflösung ohne Einschränkung dem Scheidungsrecht (heute §§ 1564 ff. BGB) unterliegt (vgl. etwa Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 3. Auflage 2008, § 1564 Rn 2) -einer „Verwertbarkeit“ des Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot der Doppelehe im Rahmen der ausländerrechtlichen Vorschriften über den Familiennachzug (§§ 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965, heute § 27 Abs. 1 AufenthG), die materiell an den Schutzbereich des Art. 6 GG anknüpfen, nicht entgegen. Das Ausländerrecht ist vielmehr in Anlehnung an das bereits verfassungsrechtlich vorgegebene Verbot der Doppelehe auszulegen. Daher ist in der ausländerrechtlichen Verweigerung der auf das Institut der Ehe gründenden Möglichkeiten eines Familiennachzugs beziehungsweise eines aus der Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen abgeleiteten Bleiberechts durch die Ausländerbehörde bei Schein- und Doppelehen kein Verstoß gegen die familienrechtlichen Folgenregelungen in den §§ 23 EheG, 1314 Abs. 1 BGB zu erblicken. (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschlüsse vom 21.8.2007 – 11 S 995/07 –, NJW 2007, 3453, unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 17 AuslG 1990, BT-Drs. 11/6321, Setie 60, wonach der Hinweis auf Art. 6 GG im Wortlaut der Vorschrift begrenzende Funktion hat, um eine Nachzugsberechtigung vom Familienangehörigen aus einer Mehrehe auszuschließen, vom 11.1.2006 – 13 S 2345/05 –, FamRZ 2007, 144, und vom 15.8.2005 – 13 S 951/04 –, Justiz 2006, 147) Aufenthaltsrechtlicher Nachzug soll nur in dem durch Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Umfang erfolgen und damit grundsätzlich auch begrenzt werden. Zu dem begünstigten Personenkreis zählt der doppelt verheiratete Ausländer nicht. (vgl. OVG Münster, Urteil vom 3.12.2009 – 18 A 1787/06 –, juris, unter Verweis auf die Beschlüsse vom 6.1.2009 – 18 B 1914/08 – und vom 11.12.2006 – 19 B 883/06 –, ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 12.3.2004 – 10 A 11717/03 –, bei juris) Der verfassungsrechtliche Begriff der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG und die dadurch ausgefüllte, im genannten Sinne in allen bisherigen Gesetzesfassungen ausländerrechtlich beachtliche grundrechtliche Schutzgarantie (heute § 27 Abs. 1 AufenthG) basieren auf dem Prinzip der Einehe. (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 30.11.1982 – 1 BvR 818/81 –, BVerfGE 62, 323, BVerwG, Urteil vom 30.4.1985 – 1 C 33.81 –, BVerwGE 71, 228)

Im Ergebnis ist daher von der Rechtswidrigkeit der dem Kläger zwischen 1982 und 1987 erteilten Aufenthaltstitel und damit vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigung zur Rücknahme in § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG auszugehen.

3. Weder aus den in § 48 Abs. 1 Satz 2 SVwVfG in Verbindung mit den Absätzen 2 und 3 geregelten Einschränkungen für die Rücknahme begünstigender, insbesondere auf Geld- oder Sachleistungen gerichteter Verwaltungsakte, noch unter formellen Gesichtspunkten ergeben sich im konkreten Fall weiter gehende Anforderungen. Der Kläger wurde insbesondere vor Erlass des Rücknahmebescheids angehört (§ 28 Abs. 1 SVwVfG) und die Ermessensentscheidung wurde begründet (§ 39 Abs. 1 SVwVfG). Die ab Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Umstände laufende Jahresfrist (vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Beschluss vom 19.12.1984 – Gr.Sen 1 und 2.84 –, BVerwGE 70, 356, und Urteil vom 24.1.2001 – 8 C 8.00 –, DVBl. 2001, 1221) des § 48 Abs. 4 Satz 1 SVwVfG wurde eingehalten. (vgl. die Aktennotiz vom 21.11.2006, Blatt 161 der Ausländerakte, aus der sich erstmals Hinweise auf eine Kenntnis der damals zuständigen Ausländerbehörde (Landeshauptstadt Saarbrücken) ergeben)

Über die am Grundsatz der Rechtssicherheit orientierte Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SVwVfG hinaus lassen sich entgegen der Auffassung des Klägers weder dem einfachen Gesetz noch verfassungsrechtlichen Anforderungen weiter gehende, auf den Erteilungszeitpunkt bezogene Fristen für die Rücknahme rechtswidriger, insbesondere – wie hier – durch falsche Angaben des Ausländers gegenüber den deutschen Behörden erwirkter Aufenthaltstitel entnehmen. Die seit 2009 im Gefolge der Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 – 2 BvR 669/04 –, DVBl. 2006, 910) im Staatsangehörigkeitsrecht normierte absolute zeitliche Grenze von fünf Jahren ab Bekanntgabe für die Rücknahme von durch arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkte rechtswidrige Einbürgerungen (§ 35 Abs. 3 StAG n.F.) ist vor dem Hintergrund der besonderen statusrechtlichen Auswirkungen der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit auch für Dritte und des verfassungsrechtlichen Verbots einer Entziehung in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG zu sehen. Ein vergleichbarer normativer Wert ist für aufenthaltsrechtliche Titel, die einem Ausländer die Berechtigung zum – gegebenenfalls auch unbefristeten – Aufenthalt vermitteln, in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht verankert. Dies verdeutlichen bereits die in § 51 AufenthG vorgesehenen zahlreichen Tatbestände für ein Erlöschen von Aufenthaltstiteln, unter anderem durch die Rücknahme (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). Diesen Vorschriften ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber dem im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht regelmäßig durch die Unanfechtbarkeit von Verwaltungsakten gewährleisteten Grundsatz der Rechtssicherheit im Aufenthaltsrecht kein im Vergleich zu anderen Rechtsbereichen besonderes Gewicht beigemessen hat. Für eine vom Kläger in Anlehnung an strafrechtliche Verjährungs- oder Tilgungsfristen geforderte, an den Zeitpunkt der Bekanntgabe oder der Unanfechtbarkeit der Aufenthaltstitel anknüpfende richterrechtliche „Fristfindung“ ist daher – anders als im Einbürgerungsrecht – weder Veranlassung noch Raum. (vgl. hierzu für den Bereich der Einbürgerung BVerwG, Urteil vom 14.2.2008 – 5 C 4.07 –, NVwZ 2008, 685, vor Erlass des § 35 Abs. 3 StAG 2009) Die Tilgung einer Bestrafung im Bundeszentralregister knüpft im Übrigen auch bei einer langen Frist zwischen Tatbegehung und strafgerichtlicher Ahndung an den letztgenannten Zeitpunkt an. (vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Urteil vom 15.10.2009 – 2 A 329/09 – zur Verwertbarkeit im Rahmen des gesetzlichen Ausschlussgrundes nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG bei der gesetzlichen Altfallregelung)

Der Kläger kann sich gegenüber der Rücknahmeentscheidung schließlich auch nicht auf eine Verwirkung der der Behörde durch § 48 SVwVfG grundsätzlich eingeräumten Rücknahmebefugnis infolge bloßen „Zeitablaufs“ berufen.

B.

Der Rücknahmeentscheidung der damals zuständigen Ausländerbehörde bei der Landeshauptstadt A-Stadt vom 27.8.2007 liegt jedoch eine gerichtlicher Überprüfung auch in den Grenzen des § 114 VwGO nicht standhaltende Ermessensausübung (§ 40 SVwVfG) zugrunde. Entscheidend abzustellen ist insoweit auf den Widerspruchsbescheid vom 29.7.2008 des hier im Rahmen der Überprüfung nach § 68 VwGO uneingeschränkt in die Position der Ausgangsbehörde eingetretenen Stadtrechtsausschusses (§§ 5, 8 AGVwGO). Die Frage, ob in solchen Fällen hinsichtlich des Tatsachenmaterials auf die Sachlage im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens oder auf den Entscheidungszeitpunkt des Gerichts abzustellen ist, kann dahinstehen. Wesentliche Veränderungen sind abgesehen vom weiteren Zeitablauf insoweit nicht eingetreten. Bei einer Rücknahme bereits unanfechtbar gewordener Verwaltungsakte hat die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung zu prüfen, ob es aufgrund besonderer Umstände erforderlich erscheint, von der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzes zugunsten der Bestandskraft und damit der Rechtssicherheit ausnahmsweise abzuweichen. Dabei sind neben den in Rede stehenden öffentlichen Interessen sowie der Art und Intensität des mit der Rücknahme zu korrigierenden Rechtsverstoßes auch die Auswirkungen für den Betroffenen in den Blick zu nehmen und nach ihrer Bedeutung angemessen zu berücksichtigen.

Einschränkungen ergeben sich im Fall der Rücknahme der Aufenthalterlaubnisse (1982 bis 1985) und der seinen Status verfestigenden Aufenthaltsberechtigung (1987) des Klägers (§ 8 AuslG 1965) nicht nach den allgemeinen Grundsätzen über das so genannte intendierte Ermessen, für dessen Betätigung vom Gesetzgeber eine „Richtung“ beziehungsweise ein bestimmtes Ergebnis gewissermaßen bereits als vom Gesetz „gewollt“ vorgezeichnet ist und bei dem es vorbehaltlich vom Regelfall abweichender Besonderheiten des Einzelfalls keiner besonderen Erwägungen des „Für und Wider“ bedarf. (vgl. für den Bereich bauaufsichtsbehördlicher Beseitigungsanordnungen grundlegend BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 – 4 B 67.80 –, BRS 36 Nr. 93) Ein derart intendiertes Ermessen der Ausländerbehörden ergibt sich in diesen Fällen insbesondere nicht aus dem § 48 Abs. 2 Satz 4 SVwVfG. (vgl. hierzu allgemein BVerwG, Urteil vom 23.5.1996 – 3 C 13.94 –, ESLR 4, ÖR 45, betreffend die Rücknahme von Subventionsbescheiden (EU)) Die ausländerrechtliche Aufenthaltserlaubnis ist nicht auf Geldleistung oder teilbare Sachleistungen gerichtet (§ 48 Abs. 2 Satz 1 SVwVfG) und die Verweisung in § 48 Abs. 3 SVwVfG für sonstige begünstigende Verwaltungsakte erfasst zum einen den § 48 Abs. 2 Satz 4 SVwVfG gerade nicht; sie ist zum anderen als Anschlussregelung zu § 48 Abs. 3 Satz 1 SVwVfG zu sehen, der nur den Anspruch des Adressaten der Rücknahme auf Ausgleich von Vermögensnachteilen betrifft und insoweit durch die Bezugnahme auf § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 SVwVfG ein dabei zu forderndes schutzwürdiges Vertrauen ausschließt. (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 11.1.2006 – 13 S 2345/05 –, FamRZ 2007, 144, zum einschlägigen Landesrecht und zu einem vom Sachverhalt vergleichbaren Fall, in dem die Ausländerbehörde bei der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis keine besonderen Ermessenserwägungen angestellt hatte; so auch OVG Münster, Urteil vom 3.12.2009 – 18 A 1787/06 –, juris)

Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass der Stadtrechtsausschuss ungeachtet des einleitenden auf den Ausgangsbescheid bezogenen Hinweises auf eine „ermessensfehlerfrei erfolgte“ Rücknahme der Aufenthaltstitel des Klägers durch die Ausländerbehörde inhaltlich die gebotene (eigene) Ermessensentscheidung getroffen hat und dabei auch von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Die Widerspruchsbehörde hat jedoch in dem Zusammenhang ausdrücklich hervorgehoben, dass der Grund für die „fehlerhaften“ Aufenthaltstitel wegen der wissentlich falschen Angabe des Klägers hinsichtlich seiner Ledigkeit bei der Heirat mit Frau K allein in seinem Verantwortungsbereich liege und dass er deshalb auf deren Bestand nicht habe vertrauen dürfen. Deswegen seien seine Interessen weniger gewichtig.

Der Kläger lebt seit nunmehr knapp 30 Jahren in Deutschland, arbeitet seit Jahrzehnten – auch gegenwärtig – bei demselben Arbeitgeber in A-Stadt im Ristorante M., bestreitet damit dauerhaft seinen Lebensunterhalt selbst und ist in der gesamten Zeit seines Aufenthalts in Deutschland ersichtlich – von dem Rücknahmeanlass abgesehen – nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten oder gar strafrechtlich in Erscheinung getreten. Vor dem Hintergrund ist in dieser Hinsicht von einer „gelungenen“ sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Integration in hiesige Lebensverhältnisse auszugehen, die in den Schutzbereich des „Privatlebens“ nach Art. 8 Abs. 1 EMRK fällt, (vgl. zur Begrifflichkeit und dem Inhalt dieser letztlich auf das Recht auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Lebensführung des Menschen zurückzuführenden Garantie etwa Meyer-Ladewig, EMRK – Handkommentar, 2. Auflage 2006, Art. 8 Rn 3, Grabenwarter, EMRK, 3. Auflage 2008, Rn 6 ff.) der Eingriffe nur in den Schranken des Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässt. Danach muss der Eingriff in ein nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht „gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sein, das heißt einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel einer dauerhaften Aufenthaltsbeendigung stehen. Um letztere geht es in der Sache bei dem Kläger, wie die im Rücknahmebescheid enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung zeigt.

Mit dieser grundsätzlichen Wertentscheidung, wegen der die nationalen Gerichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) beispielsweise in Ausweisungsverfahren selbst bei Vorliegen schwerster Straftaten des betroffenen Ausländers aus dem Katalog der – nach dem Verständnis des deutschen Bundesgesetzgebers – „zwingend“ eine Aufenthaltsbeendigung gebietenden Delikte (§ 53 AufenthG) gehalten sind, derartige Integrationsleistungen und speziell etwa die Dauer des Aufenthalts im Einzelfall, das Verhalten des Betroffenen seit der Tatbegehung sowie die sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen angemessen in die Fallbeurteilung einzustellen, (vgl. hierzu zuletzt OVG des Saarlandes, Urteil vom 4.2.2010 – 2 A 448/08 –, dort insbesondere zu den in der Rechtsprechung des EGMR, Urteile vom 28.6.2007 – 31753/02, InfAuslR 2007, 325, zum Fall eines unter anderem wegen mehrfachen versuchten schweren Menschenhandels, Zuhälterei, Drogendelikten, Trunkenheit im Verkehr und nach den Feststellungen des (nationalen) Strafgerichts mit „äußerster Brutalität“ begangener mehrfacher gefährlicher Körperverletzung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilten Ausländers, und vom 23.6.2008 – 1638/03 –, InfAuslR 2008, 333 entwickelten allgemeinen Leitlinien zur Einzelfallbewertung) lässt es sich nicht vereinbaren, dass die Widerspruchsbehörde zwar formal auf eine „Berücksichtigung“ des Interesses des Klägers „an einem weiteren Aufenthalt und an der Aufrechterhaltung seiner beruflichen und sozialen Existenz in Deutschland“ hinweist, sodann „jedoch“ deren geringeres Gewicht herausstellt, weil er „wissentlich falsche Angaben zu seinem Familienstand“ gemacht habe und deswegen der „Grund der fehlerhaften Aufenthaltstitel allein in seinem Bereich“ liege. Dies wie auch der anschließende, wohl generalpräventiv motivierte Hinweis einer gebotenen Vermeidung der Besserstellung gegenüber anderen Ausländern lässt die notwendige angemessene Berücksichtigung der genannten Rechtsstellung des Klägers vermissen. Gleiches gilt für den Hinweis, dass ebenfalls „berücksichtigt“ worden sei, dass der Kläger schon seit mehr als 25 Jahren in Deutschland lebe und seit langer Zeit auch arbeite. Direkt im anschließenden Satz weist die Widerspruchsbehörde darauf hin, „jedoch“ basierten langer Aufenthalt und Zugang zum Arbeitsmarkt „unberechtigter Weise auf der nicht dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallenden“ früheren Ehe mit Frau K. Beide Gegenüberstellungen machen deutlich, dass die sich quasi aufdrängende Problematik des Falles hinsichtlich Aufenthaltsdauer, Integrationsleistungen, sonstiger strafrechtlicher „Unbescholtenheit“ und langjähriger wirtschaftlicher Eigensicherung des Lebensunterhalts durch den Kläger zwar gesehen, indes jeweils sofort unter Hinweis darauf zumindest sehr stark relativiert, wenn nicht gänzlich mit der Erwägung „vom Tisch gewischt“ worden ist, dass es sich dabei um die nicht schutzwürdigen Früchte eines Fehlverhaltens des Klägers zu Beginn seines Aufenthalts in Deutschland handele. Das Verschweigen der Heirat mit Frau U vor nunmehr fast 30 Jahren rechtfertigt es aber im Ergebnis nicht, dass dem Kläger heute schutzwürdige Belange im Sinne des Art. 8 EMRK und der dazu allgemein vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aufgestellten Leitlinien und Beurteilungskriterien (vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Urteil vom 4.2.2010 – 2 A 448/08 –, unter Verweis auf EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 –, InfAuslR 2007, 325) grundsätzlich abgesprochen werden. Nach dem in der Festlegung des Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 EMRK durch die Vertragsstaaten zum Ausdruck gebrachten Grundanliegen kann es hierbei nicht darum gehen, ein – vom Kläger inzwischen eingestandenes – Fehlverhalten bei der Eheschließung im Jahre 1982 durch unzutreffende Angabe seines Familienstandes nunmehr nachträglich im Wege der Rücknahme seiner Aufenthaltstitel zu ahnden und den Kläger so nachträglich (doch noch) zu „bestrafen“. Vor diesem Hintergrund haben der Beklagte beziehungsweise die Widerspruchsbehörde auch bei Berücksichtigung des ihnen hinsichtlich der Gewichtung der beteiligten Interessen im Rahmen der Ermessensausübung zuzubilligenden Beurteilungsspielraums die Bedeutung der gegen einen Widerruf sprechenden Belange des seit Jahrzehnten „unbescholten“ in Deutschland lebenden und insbesondere beruflich und wirtschaftlich integrierten Klägers verkannt. Eine grundlegend abweichende Beurteilung erscheint auch nicht schon deswegen gerechtfertigt, weil die Täuschung bei der Erteilung der anschließenden Aufenthaltstitel in den Jahren 1983 bis 1987 „fortwirkte“ oder weil sie bei Stellung des Visumsantrags von Frau U (2006) wohl mit Wissen des Klägers „verschleiert“ werden sollte.

Klarstellend sei hinzugefügt, dass diese Entscheidung maßgeblich bestimmt wird durch die Umstände des konkreten Einzelfalles, insbesondere die sehr lange Dauer seines Aufenthalts mit der Folge des entsprechenden zeitlichen Abstands zur ihm nunmehr vom Beklagten vorgehaltenen „Lüge“, die allein Anlass für ein behördliches Tätigwerden bot, und das – jedenfalls aktenkundig – tadellose Verhalten des Klägers über diesen langen Zeitraum. Der Widerspruchsbehörde ist sicher zuzugestehen, dass der Kläger in Deutschland keine Verwandten hat. Dass dieser Aspekt von der Behörde als ausreichend tragend für die Rücknahmeentscheidung angesehen worden wäre, kann allerdings nach dem zuvor Gesagten ausgeschlossen werden. Maßgebender Grund für die Entschließung zum Widerruf war vielmehr allein die genannte grundlegende Relativierung aller langjährig erbrachten Integrationsleistungen des Klägers durch den Verweis auf den Umstand, dass sein Aufenthalt allein auf die Heirat im Jahr 1982 beziehungsweise die seinerzeitige unrichtige Angabe des Familienstands zurückzuführen sei.

Die Frage, ob der Ehefrau des Klägers nach den einschlägigen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in dem § 30 AufenthG bei seinem Verbleib in Deutschland ein Anspruch auf Ehegattennachzug zustünde, ist selbständig anhand der insoweit geltenden gesetzlichen Anforderungen zu beantworten, rechtfertigt es aber ebenfalls nicht, dem Interesse des Klägers an einem weiteren Leben in Deutschland ein deutlich gemindertes Gewicht beizumessen. Wie jeder andere Ausländer hat auch der Kläger bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben das Recht auf Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet. Das gilt auch für die in anderem Zusammenhang, nämlich bei der Beurteilung der Rücknahmevoraussetzungen, als gültige (erste) Heirat berücksichtigte Eheschließung zwischen dem Kläger und Frau U. Schließlich ist auch den in den Behördenentscheidungen anklingenden generalpräventiven Gesichtspunkten keine derart herausgehobene Bedeutung beizumessen, dass sie eine Zurückstellung der gewichtigen Interessen des Klägers rechtfertigen könnten. Soweit insoweit die Schaffung eines „Berufungsfalls“ befürchtet wird, bleibt festzustellen, dass ein inhaltlich vergleichbarer Fall – wenn überhaupt – doch allenfalls sehr selten praktisch werden dürfte. Die starke Einzelfallabhängigkeit dieser Betrachtung zeigt beispielhaft der Fall eines Landsmanns des Klägers, in dem das OVG Münster (vgl. OVG Münster, Urteil vom 3.12.2009 – 18 A 1787/06 –, juris, dort Rn 181 bis 185) die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse – nachvollziehbar – als (auch) ermessensgerecht gebilligt hat. Dieser hatte bei vergleichbarer Ausgangslage zuvor seinen Aufenthalt im Wege der Asylantragstellung unter Täuschung gegenüber dem Bundesamt über seine Identität zu sichern versucht, an dem Versuch der Täuschung über seinen Familienstand bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens festgehalten, Unterhaltspflichten gegenüber der (zweiten) deutschen Ehefrau vernachlässigt, war in Deutschland lediglich befristet zu Hilfstätigkeiten beschäftigt gewesen und war auch ansonsten straffällig geworden.

Vor diesem Hintergrund waren die Rücknahmeentscheidungen im Fall des Klägers wegen einer in dieser Form den besonderen Sachverhaltsumständen nicht gerecht werdenden Ermessensbetätigung und der sich daraus ergebenden Nichtbeachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne aufzuheben.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus dem § 154 Abs. 1 VwGO. Der vom Kläger gesondert beantragte Ausspruch nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist gerechtfertigt, da er angesichts der Schwierigkeit der durch den Rechtsbehelf zur Beurteilung gestellten Sach- und Rechtslage die Hinzuziehung seines Bevollmächtigten bereits im Widerspruchsverfahren für geboten erachten durfte.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 5.000,- EUR festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG, ebenso bereits die vorläufige Festsetzung im Beschluss vom 3.11.2009 – 2 A 315/09 –).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

I.

Die vom Senat zugelassene, auch ansonsten hinsichtlich ihrer Zulässigkeit keinen Bedenken unterliegende Berufung des Klägers ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat seine Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene ausländerbehördliche Bescheid vom 27.8.2007, durch den insgesamt vier dem Kläger in den Jahren 1982 bis 1987 erteilte Aufenthaltstitel – ergänzt durch Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung – zurückgenommen wurden, und der dies bestätigende Widerspruchsbescheid vom 29.7.2008, die aus Sicht des Senats als behördliche Entscheidungen nicht bereits mit Blick auf § 44 Abs. 2 Nr. 6 SVwVfG als nichtig angesehen werden können, (vgl. hingegen VG Regensburg, Urteil vom 27.5.2009 – RN 9 K 08.01658 –, juris, dort im Zusammenhang mit der Beurteilung von Einbürgerungsvoraussetzungen) sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme der genannten Aufenthaltstitel ergibt sich aus § 48 SVwVfG. Wie der an die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Terminologie anknüpfende § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG verdeutlicht, geht der Gesetzgeber davon aus, dass auch rechtswidrig erteilte bestandskräftige Aufenthaltstitel von der zuständigen Behörde aufgehoben werden können. Da die in Betracht kommende Rücknahme, anders als der Widerruf rechtmäßig erteilter Titel (vgl. dazu § 52 AufenthG), im Aufenthaltsrecht keiner speziellen Regelung unterworfen wurde, ist insoweit auf die allgemeine Vorschrift in § 48 SVwVfG zurückzugreifen. Die formalen Voraussetzungen und die der Vorschrift zu entnehmenden tatbestandlichen Anforderungen für die Rücknahme liegen zwar vor (A.); die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen genügen indes nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung im Sinne des § 40 SVwVfG (B.).

A.

1. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG können unanfechtbare rechtswidrige Verwaltungsakte (auch) mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dem Bescheid der Ausländerbehörde vom 27.8.2007 lässt sich zwar nicht ausdrücklich entnehmen, dass eine Rücknahme für die Vergangenheit erfolgt ist. Dies ergibt sich jedoch eindeutig aus der Begründung und dem Gesamtzusammenhang. (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12.4.2005 – 1 C 9.04 –, AuAS 2005, 218, wonach an die Bejahung eines nicht ausdrücklich zum Ausdruck gebrachten Willens der Ausländerbehörde zur Rücknahme auch für die Vergangenheit geringe Anforderungen zu stellen sind) Besonders deutlich wird das im Widerspruchsbescheid, wo aus der Rücknahme der ersten drei Aufenthaltserlaubnisse (1982 bis 1985) das Entfallen der zeitlichen Voraussetzung eines rechtmäßigen Voraufenthalts von mindestens fünf Jahren für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (§ 8 Abs. 1 AuslG 1965) im Oktober 1987 abgeleitet wird. Daher steht der Anwendung des § 48 SVwVfG auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegen, wonach die bundesrechtliche Spezialvorschrift des § 7 Abs. 4 AuslG 1965, nach der auf der Grundlage des Ausländergesetzes (1965) erteilte Aufenthaltserlaubnisse nachträglich räumlich und zeitlich beschränkt sowie mit Bedingungen und Auflagen versehen werden konnten, den Rückgriff auf die landesrechtlichen Vorschriften über die Rücknahme rechtswidriger Aufenthaltstitel für die Zukunft ausschloss. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.3.1982 – 1 C 20.81 –, DÖV 1982, 739 )

2. Bei den zurückgenommenen (vier) Aufenthaltstiteln handelte es sich um rechtswidrige Verwaltungsakte im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG. Nach dem bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse an den Kläger ab dem Jahr 1982 maßgeblichen § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 durfte einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Anwesenheit Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigte (sog. Negativschranke). War letzteres nicht der Fall, stand die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Sie hatte die im Einzelfall für und gegen den Aufenthalt sprechenden Belange gerecht gegeneinander abzuwägen. Im Fall des Klägers als abgelehnter Asylbewerber, der zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts damals noch auf die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen angewiesen war, kam die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ernsthaft nur mit Blick auf seine am 1.10.1982 vor dem Standesamt in Homburg/Saar geschlossene Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen K (vgl. die Heiratsurkunde vom selben Tag, Blatt 86 der Ausländerakte) in Betracht.

Bei einem mit deutschem Partner verheirateten Ausländer hatten durch seine Anwesenheit berührte Belange der Bundesrepublik gegenüber dem durch die Wert setzende Bedeutung des Art. 6 GG vorgegebenen staatlichen Belang, Ehe und Familie zu schützen, grundsätzlich zurückzutreten, sofern nicht Ausweisungsgründe im Sinne des § 10 Abs. 1 AuslG 1965 erfüllt waren. (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27.9.1978 – I C 79.76 –, BVerwGE 56, 246, ebenso Ziffer 4a. der einschlägigen Verwaltungsvorschriften (AuslVwV), GMBl. 1977, 202, abgedruckt bei Kanein, Ausländerrecht, 4. Auflage 1988, zu § 2 AuslG) Entgegen der im Widerspruchsbescheid anklingenden Auffassung kann allerdings heute – fast 30 Jahre später – nicht bereits tragend darauf abgestellt werden, dass zumindest 1982 und 1983 mit Blick auf eine damals noch fehlende Eigensicherung des Lebensunterhalts des Klägers wohl ein Ausweisungsgrund nach § 10 Abs. 1 Nr. 10 AuslG 1965 vorgelegen habe. Die Ausländerbehörde hat diesem Aspekt seinerzeit im Rahmen des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 aus ihrer Sicht gegenüber dem Gesichtspunkt des „Familiennachzugs“ – zu Recht – nachrangige Bedeutung beigemessen. Letztlich entscheidungserheblich ist dies vorliegend ebenso wenig wie die Frage, ob ein Ausweisungsgrund auch mit Blick auf einen Verstoß gegen die Strafvorschriften nach § 172 StGB (damals noch § 171 StGB) und § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1965 im Raum stand, obwohl der § 10 AuslG 1965 insoweit noch keine den Nachfolgebestimmungen in §§ 46 Nr. 2 AuslG 1990, 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG entsprechende Vorschrift enthielt. (vgl. OVG Münster, Urteil vom 3.12.2009 – 18 A 1787/06 –, juris)

Der Kläger war jedenfalls vor seiner Heirat mit Frau K aufgrund einer im August 1980 in Indien im Tempel von Hoshiarpur vollzogenen Zeremonie nach dem Hindu Marriage Act 1955 (HMA) (vgl. das Hindu-Ehegesetz Nr. 25 vom 18.5.1955, abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht; speziell zu den Zeremonien des Saptapadi nach Section 7 des Gesetzes VGH Mannheim, Urteil vom 11.1.2006 – 13 S 2345/05 –, FamRZ 2007, 144) mit der indischen Staatsangehörigen U eine rechtswirksame Ehe eingegangen. Das hat das Verwaltungsgericht unter ausführlicher Berücksichtigung der insoweit „erdrückenden“ Tatsachenlage detailliert herausgearbeitet. Diesen überzeugenden Ausführungen, die sich der Senat zu Eigen macht, ist der Kläger im Rechtsmittelverfahren nicht mehr entgegengetreten. Eine möglicherweise seinerzeit (1980) zunächst unterbliebene Registrierung der Heirat berührt die Gültigkeit der Hindu-Ehe nicht; sie ist zwar vorgesehen, dient aber nach Sec. 8 Abs. 5 HMA lediglich Beweiszwecken. Im Ausland begründete familienrechtliche Verhältnisse sind im Inland anzuerkennen, sofern sie nicht dem ordre public (Art. 6 EGBGB) zuwiderlaufen. Dafür gibt es hier – bezogen auf die Hochzeit des Klägers mit Frau U – keine Anhaltspunkte. (Frau U ist ausweislich der Akten des VG Berlin 1959 geboren, so dass auch vom Alter her keine Bedenken bezüglich einer gegen den ordre public verstoßenden Heirat bestehen; speziell zu Altersgrenzen und Folgeregelungen bei Nichtbeachtung nach Section 11, 12, 13 des Hindu-Ehegesetzes VGH Mannheim, Urteil vom 11.1.2006 – 13 S 2345/05 –, FamRZ 2007, 144)

Die (zweite) Heirat in Deutschland im Jahre 1982 verstieß vor dem Hintergrund gegen das seinerzeit dem § 5 EheG (heute § 1306 BGB) zu entnehmende, bei Nichtbeachtung gemäß § 20 EheG unheilbar zur Nichtigkeit der Ehe führende Verbot der Doppelehe. Danach durfte ein lediger Inländer die Ehe mit einem verheirateten Ausländer auch dann nicht eingehen, wenn dessen Heimatrecht das Verbot der Doppelehe nicht kannte. (vgl. etwa Müller-Gindullis in Münchner Kommentar zum BGB, Band 5, Familienrecht, 1978, Anm 1 zu § 5 EheG) Der ausländerrechtlichen „Verwertbarkeit“ dieses Umstands steht nicht entgegen, dass nach dem bis 1998 geltenden § 23 EheG, (vgl. für die Folgezeit das Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 4.5.1998, BGBl I, 833 ff.) wonach sich niemand auf die Nichtigkeit der Ehe berufen konnte, bis diese durch Urteil des zuständigen Familiengerichts – was hier unstreitig nie geschehen ist – für nichtig erklärt worden war, die Nichtigkeit einer verbotswidrig vor dem deutschen Standesamt geschlossenen Doppelehe nur als rückwirkende Vernichtbarkeit ausgestaltet war. Nach gegenwärtigem Recht unterliegt die nach § 1306 BGB verbotene bigamische Ehe oder Doppelehe sogar nur noch einer Aufhebbarkeit (§ 1314 Abs. 1 BGB) durch gerichtliches Urteil mit Wirkung für die Zukunft (§ 1313 Satz 2 BGB). Das gilt nach der Überleitungsbestimmung in Art. 226 Abs. 3 EGBGB auch für – wie im Fall der Ehe des Klägers mit Frau K – vor der Rechtsänderung zum 1.7.1998 geschlossene „Altehen“, bei denen bis zu dem genannten Zeitpunkt keine Nichtigkeitsklage anhängig gemacht worden war, so dass aus heutiger Sicht hinsichtlich der inzwischen lange – seit 1989 – geschiedenen Ehe eine rückwirkende Nichtigerklärung (§ 23 EheG) ohnehin nicht mehr in Betracht käme. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind fehlerhaft zustande gekommene Ehen bis zu diesem Zeitpunkt als (voll) gültig zu behandeln. (vgl. etwa Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 3. Auflage 2008, Vor §§ 1313 bis 1320 Rn 2, unter Verweis auf BGH Urteile vom 17.1.2001 – XII ZR 266/98 –, FamRZ 2001, 685 und vom 9.1.2002 – XII ZR 58/00 –, MDR 2002, 250 ) Eine nachträgliche Aufhebung der bereits geschiedenen Ehe kommt hier ohnehin nicht in Betracht (§ 1317 Abs. 3 BGB). (vgl. auch OLG Nürnberg, Urteil vom 30.6.1997 – 7 UF 1117/97, juris)

Die familienrechtlichen Vorschriften stehen indes – wie im Falle der so genannten Zweck- oder Scheinehe, die nur zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland und damit zu einem nach deutschem Verständnis ehefremden Zweck geschlossen wird, (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 5.5.2003 – 2 BvR 2042/02 –, FamRZ 2003, 1000) ebenfalls zivilrechtlich wirksam ist und hinsichtlich ihrer Auflösung ohne Einschränkung dem Scheidungsrecht (heute §§ 1564 ff. BGB) unterliegt (vgl. etwa Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 3. Auflage 2008, § 1564 Rn 2) -einer „Verwertbarkeit“ des Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot der Doppelehe im Rahmen der ausländerrechtlichen Vorschriften über den Familiennachzug (§§ 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965, heute § 27 Abs. 1 AufenthG), die materiell an den Schutzbereich des Art. 6 GG anknüpfen, nicht entgegen. Das Ausländerrecht ist vielmehr in Anlehnung an das bereits verfassungsrechtlich vorgegebene Verbot der Doppelehe auszulegen. Daher ist in der ausländerrechtlichen Verweigerung der auf das Institut der Ehe gründenden Möglichkeiten eines Familiennachzugs beziehungsweise eines aus der Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen abgeleiteten Bleiberechts durch die Ausländerbehörde bei Schein- und Doppelehen kein Verstoß gegen die familienrechtlichen Folgenregelungen in den §§ 23 EheG, 1314 Abs. 1 BGB zu erblicken. (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschlüsse vom 21.8.2007 – 11 S 995/07 –, NJW 2007, 3453, unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 17 AuslG 1990, BT-Drs. 11/6321, Setie 60, wonach der Hinweis auf Art. 6 GG im Wortlaut der Vorschrift begrenzende Funktion hat, um eine Nachzugsberechtigung vom Familienangehörigen aus einer Mehrehe auszuschließen, vom 11.1.2006 – 13 S 2345/05 –, FamRZ 2007, 144, und vom 15.8.2005 – 13 S 951/04 –, Justiz 2006, 147) Aufenthaltsrechtlicher Nachzug soll nur in dem durch Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Umfang erfolgen und damit grundsätzlich auch begrenzt werden. Zu dem begünstigten Personenkreis zählt der doppelt verheiratete Ausländer nicht. (vgl. OVG Münster, Urteil vom 3.12.2009 – 18 A 1787/06 –, juris, unter Verweis auf die Beschlüsse vom 6.1.2009 – 18 B 1914/08 – und vom 11.12.2006 – 19 B 883/06 –, ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 12.3.2004 – 10 A 11717/03 –, bei juris) Der verfassungsrechtliche Begriff der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG und die dadurch ausgefüllte, im genannten Sinne in allen bisherigen Gesetzesfassungen ausländerrechtlich beachtliche grundrechtliche Schutzgarantie (heute § 27 Abs. 1 AufenthG) basieren auf dem Prinzip der Einehe. (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 30.11.1982 – 1 BvR 818/81 –, BVerfGE 62, 323, BVerwG, Urteil vom 30.4.1985 – 1 C 33.81 –, BVerwGE 71, 228)

Im Ergebnis ist daher von der Rechtswidrigkeit der dem Kläger zwischen 1982 und 1987 erteilten Aufenthaltstitel und damit vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigung zur Rücknahme in § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG auszugehen.

3. Weder aus den in § 48 Abs. 1 Satz 2 SVwVfG in Verbindung mit den Absätzen 2 und 3 geregelten Einschränkungen für die Rücknahme begünstigender, insbesondere auf Geld- oder Sachleistungen gerichteter Verwaltungsakte, noch unter formellen Gesichtspunkten ergeben sich im konkreten Fall weiter gehende Anforderungen. Der Kläger wurde insbesondere vor Erlass des Rücknahmebescheids angehört (§ 28 Abs. 1 SVwVfG) und die Ermessensentscheidung wurde begründet (§ 39 Abs. 1 SVwVfG). Die ab Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Umstände laufende Jahresfrist (vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Beschluss vom 19.12.1984 – Gr.Sen 1 und 2.84 –, BVerwGE 70, 356, und Urteil vom 24.1.2001 – 8 C 8.00 –, DVBl. 2001, 1221) des § 48 Abs. 4 Satz 1 SVwVfG wurde eingehalten. (vgl. die Aktennotiz vom 21.11.2006, Blatt 161 der Ausländerakte, aus der sich erstmals Hinweise auf eine Kenntnis der damals zuständigen Ausländerbehörde (Landeshauptstadt Saarbrücken) ergeben)

Über die am Grundsatz der Rechtssicherheit orientierte Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SVwVfG hinaus lassen sich entgegen der Auffassung des Klägers weder dem einfachen Gesetz noch verfassungsrechtlichen Anforderungen weiter gehende, auf den Erteilungszeitpunkt bezogene Fristen für die Rücknahme rechtswidriger, insbesondere – wie hier – durch falsche Angaben des Ausländers gegenüber den deutschen Behörden erwirkter Aufenthaltstitel entnehmen. Die seit 2009 im Gefolge der Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 – 2 BvR 669/04 –, DVBl. 2006, 910) im Staatsangehörigkeitsrecht normierte absolute zeitliche Grenze von fünf Jahren ab Bekanntgabe für die Rücknahme von durch arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkte rechtswidrige Einbürgerungen (§ 35 Abs. 3 StAG n.F.) ist vor dem Hintergrund der besonderen statusrechtlichen Auswirkungen der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit auch für Dritte und des verfassungsrechtlichen Verbots einer Entziehung in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG zu sehen. Ein vergleichbarer normativer Wert ist für aufenthaltsrechtliche Titel, die einem Ausländer die Berechtigung zum – gegebenenfalls auch unbefristeten – Aufenthalt vermitteln, in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht verankert. Dies verdeutlichen bereits die in § 51 AufenthG vorgesehenen zahlreichen Tatbestände für ein Erlöschen von Aufenthaltstiteln, unter anderem durch die Rücknahme (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). Diesen Vorschriften ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber dem im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht regelmäßig durch die Unanfechtbarkeit von Verwaltungsakten gewährleisteten Grundsatz der Rechtssicherheit im Aufenthaltsrecht kein im Vergleich zu anderen Rechtsbereichen besonderes Gewicht beigemessen hat. Für eine vom Kläger in Anlehnung an strafrechtliche Verjährungs- oder Tilgungsfristen geforderte, an den Zeitpunkt der Bekanntgabe oder der Unanfechtbarkeit der Aufenthaltstitel anknüpfende richterrechtliche „Fristfindung“ ist daher – anders als im Einbürgerungsrecht – weder Veranlassung noch Raum. (vgl. hierzu für den Bereich der Einbürgerung BVerwG, Urteil vom 14.2.2008 – 5 C 4.07 –, NVwZ 2008, 685, vor Erlass des § 35 Abs. 3 StAG 2009) Die Tilgung einer Bestrafung im Bundeszentralregister knüpft im Übrigen auch bei einer langen Frist zwischen Tatbegehung und strafgerichtlicher Ahndung an den letztgenannten Zeitpunkt an. (vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Urteil vom 15.10.2009 – 2 A 329/09 – zur Verwertbarkeit im Rahmen des gesetzlichen Ausschlussgrundes nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG bei der gesetzlichen Altfallregelung)

Der Kläger kann sich gegenüber der Rücknahmeentscheidung schließlich auch nicht auf eine Verwirkung der der Behörde durch § 48 SVwVfG grundsätzlich eingeräumten Rücknahmebefugnis infolge bloßen „Zeitablaufs“ berufen.

B.

Der Rücknahmeentscheidung der damals zuständigen Ausländerbehörde bei der Landeshauptstadt A-Stadt vom 27.8.2007 liegt jedoch eine gerichtlicher Überprüfung auch in den Grenzen des § 114 VwGO nicht standhaltende Ermessensausübung (§ 40 SVwVfG) zugrunde. Entscheidend abzustellen ist insoweit auf den Widerspruchsbescheid vom 29.7.2008 des hier im Rahmen der Überprüfung nach § 68 VwGO uneingeschränkt in die Position der Ausgangsbehörde eingetretenen Stadtrechtsausschusses (§§ 5, 8 AGVwGO). Die Frage, ob in solchen Fällen hinsichtlich des Tatsachenmaterials auf die Sachlage im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens oder auf den Entscheidungszeitpunkt des Gerichts abzustellen ist, kann dahinstehen. Wesentliche Veränderungen sind abgesehen vom weiteren Zeitablauf insoweit nicht eingetreten. Bei einer Rücknahme bereits unanfechtbar gewordener Verwaltungsakte hat die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung zu prüfen, ob es aufgrund besonderer Umstände erforderlich erscheint, von der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzes zugunsten der Bestandskraft und damit der Rechtssicherheit ausnahmsweise abzuweichen. Dabei sind neben den in Rede stehenden öffentlichen Interessen sowie der Art und Intensität des mit der Rücknahme zu korrigierenden Rechtsverstoßes auch die Auswirkungen für den Betroffenen in den Blick zu nehmen und nach ihrer Bedeutung angemessen zu berücksichtigen.

Einschränkungen ergeben sich im Fall der Rücknahme der Aufenthalterlaubnisse (1982 bis 1985) und der seinen Status verfestigenden Aufenthaltsberechtigung (1987) des Klägers (§ 8 AuslG 1965) nicht nach den allgemeinen Grundsätzen über das so genannte intendierte Ermessen, für dessen Betätigung vom Gesetzgeber eine „Richtung“ beziehungsweise ein bestimmtes Ergebnis gewissermaßen bereits als vom Gesetz „gewollt“ vorgezeichnet ist und bei dem es vorbehaltlich vom Regelfall abweichender Besonderheiten des Einzelfalls keiner besonderen Erwägungen des „Für und Wider“ bedarf. (vgl. für den Bereich bauaufsichtsbehördlicher Beseitigungsanordnungen grundlegend BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 – 4 B 67.80 –, BRS 36 Nr. 93) Ein derart intendiertes Ermessen der Ausländerbehörden ergibt sich in diesen Fällen insbesondere nicht aus dem § 48 Abs. 2 Satz 4 SVwVfG. (vgl. hierzu allgemein BVerwG, Urteil vom 23.5.1996 – 3 C 13.94 –, ESLR 4, ÖR 45, betreffend die Rücknahme von Subventionsbescheiden (EU)) Die ausländerrechtliche Aufenthaltserlaubnis ist nicht auf Geldleistung oder teilbare Sachleistungen gerichtet (§ 48 Abs. 2 Satz 1 SVwVfG) und die Verweisung in § 48 Abs. 3 SVwVfG für sonstige begünstigende Verwaltungsakte erfasst zum einen den § 48 Abs. 2 Satz 4 SVwVfG gerade nicht; sie ist zum anderen als Anschlussregelung zu § 48 Abs. 3 Satz 1 SVwVfG zu sehen, der nur den Anspruch des Adressaten der Rücknahme auf Ausgleich von Vermögensnachteilen betrifft und insoweit durch die Bezugnahme auf § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 SVwVfG ein dabei zu forderndes schutzwürdiges Vertrauen ausschließt. (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 11.1.2006 – 13 S 2345/05 –, FamRZ 2007, 144, zum einschlägigen Landesrecht und zu einem vom Sachverhalt vergleichbaren Fall, in dem die Ausländerbehörde bei der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis keine besonderen Ermessenserwägungen angestellt hatte; so auch OVG Münster, Urteil vom 3.12.2009 – 18 A 1787/06 –, juris)

Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass der Stadtrechtsausschuss ungeachtet des einleitenden auf den Ausgangsbescheid bezogenen Hinweises auf eine „ermessensfehlerfrei erfolgte“ Rücknahme der Aufenthaltstitel des Klägers durch die Ausländerbehörde inhaltlich die gebotene (eigene) Ermessensentscheidung getroffen hat und dabei auch von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Die Widerspruchsbehörde hat jedoch in dem Zusammenhang ausdrücklich hervorgehoben, dass der Grund für die „fehlerhaften“ Aufenthaltstitel wegen der wissentlich falschen Angabe des Klägers hinsichtlich seiner Ledigkeit bei der Heirat mit Frau K allein in seinem Verantwortungsbereich liege und dass er deshalb auf deren Bestand nicht habe vertrauen dürfen. Deswegen seien seine Interessen weniger gewichtig.

Der Kläger lebt seit nunmehr knapp 30 Jahren in Deutschland, arbeitet seit Jahrzehnten – auch gegenwärtig – bei demselben Arbeitgeber in A-Stadt im Ristorante M., bestreitet damit dauerhaft seinen Lebensunterhalt selbst und ist in der gesamten Zeit seines Aufenthalts in Deutschland ersichtlich – von dem Rücknahmeanlass abgesehen – nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten oder gar strafrechtlich in Erscheinung getreten. Vor dem Hintergrund ist in dieser Hinsicht von einer „gelungenen“ sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Integration in hiesige Lebensverhältnisse auszugehen, die in den Schutzbereich des „Privatlebens“ nach Art. 8 Abs. 1 EMRK fällt, (vgl. zur Begrifflichkeit und dem Inhalt dieser letztlich auf das Recht auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Lebensführung des Menschen zurückzuführenden Garantie etwa Meyer-Ladewig, EMRK – Handkommentar, 2. Auflage 2006, Art. 8 Rn 3, Grabenwarter, EMRK, 3. Auflage 2008, Rn 6 ff.) der Eingriffe nur in den Schranken des Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässt. Danach muss der Eingriff in ein nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht „gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sein, das heißt einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel einer dauerhaften Aufenthaltsbeendigung stehen. Um letztere geht es in der Sache bei dem Kläger, wie die im Rücknahmebescheid enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung zeigt.

Mit dieser grundsätzlichen Wertentscheidung, wegen der die nationalen Gerichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) beispielsweise in Ausweisungsverfahren selbst bei Vorliegen schwerster Straftaten des betroffenen Ausländers aus dem Katalog der – nach dem Verständnis des deutschen Bundesgesetzgebers – „zwingend“ eine Aufenthaltsbeendigung gebietenden Delikte (§ 53 AufenthG) gehalten sind, derartige Integrationsleistungen und speziell etwa die Dauer des Aufenthalts im Einzelfall, das Verhalten des Betroffenen seit der Tatbegehung sowie die sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen angemessen in die Fallbeurteilung einzustellen, (vgl. hierzu zuletzt OVG des Saarlandes, Urteil vom 4.2.2010 – 2 A 448/08 –, dort insbesondere zu den in der Rechtsprechung des EGMR, Urteile vom 28.6.2007 – 31753/02, InfAuslR 2007, 325, zum Fall eines unter anderem wegen mehrfachen versuchten schweren Menschenhandels, Zuhälterei, Drogendelikten, Trunkenheit im Verkehr und nach den Feststellungen des (nationalen) Strafgerichts mit „äußerster Brutalität“ begangener mehrfacher gefährlicher Körperverletzung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilten Ausländers, und vom 23.6.2008 – 1638/03 –, InfAuslR 2008, 333 entwickelten allgemeinen Leitlinien zur Einzelfallbewertung) lässt es sich nicht vereinbaren, dass die Widerspruchsbehörde zwar formal auf eine „Berücksichtigung“ des Interesses des Klägers „an einem weiteren Aufenthalt und an der Aufrechterhaltung seiner beruflichen und sozialen Existenz in Deutschland“ hinweist, sodann „jedoch“ deren geringeres Gewicht herausstellt, weil er „wissentlich falsche Angaben zu seinem Familienstand“ gemacht habe und deswegen der „Grund der fehlerhaften Aufenthaltstitel allein in seinem Bereich“ liege. Dies wie auch der anschließende, wohl generalpräventiv motivierte Hinweis einer gebotenen Vermeidung der Besserstellung gegenüber anderen Ausländern lässt die notwendige angemessene Berücksichtigung der genannten Rechtsstellung des Klägers vermissen. Gleiches gilt für den Hinweis, dass ebenfalls „berücksichtigt“ worden sei, dass der Kläger schon seit mehr als 25 Jahren in Deutschland lebe und seit langer Zeit auch arbeite. Direkt im anschließenden Satz weist die Widerspruchsbehörde darauf hin, „jedoch“ basierten langer Aufenthalt und Zugang zum Arbeitsmarkt „unberechtigter Weise auf der nicht dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallenden“ früheren Ehe mit Frau K. Beide Gegenüberstellungen machen deutlich, dass die sich quasi aufdrängende Problematik des Falles hinsichtlich Aufenthaltsdauer, Integrationsleistungen, sonstiger strafrechtlicher „Unbescholtenheit“ und langjähriger wirtschaftlicher Eigensicherung des Lebensunterhalts durch den Kläger zwar gesehen, indes jeweils sofort unter Hinweis darauf zumindest sehr stark relativiert, wenn nicht gänzlich mit der Erwägung „vom Tisch gewischt“ worden ist, dass es sich dabei um die nicht schutzwürdigen Früchte eines Fehlverhaltens des Klägers zu Beginn seines Aufenthalts in Deutschland handele. Das Verschweigen der Heirat mit Frau U vor nunmehr fast 30 Jahren rechtfertigt es aber im Ergebnis nicht, dass dem Kläger heute schutzwürdige Belange im Sinne des Art. 8 EMRK und der dazu allgemein vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aufgestellten Leitlinien und Beurteilungskriterien (vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Urteil vom 4.2.2010 – 2 A 448/08 –, unter Verweis auf EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 –, InfAuslR 2007, 325) grundsätzlich abgesprochen werden. Nach dem in der Festlegung des Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 EMRK durch die Vertragsstaaten zum Ausdruck gebrachten Grundanliegen kann es hierbei nicht darum gehen, ein – vom Kläger inzwischen eingestandenes – Fehlverhalten bei der Eheschließung im Jahre 1982 durch unzutreffende Angabe seines Familienstandes nunmehr nachträglich im Wege der Rücknahme seiner Aufenthaltstitel zu ahnden und den Kläger so nachträglich (doch noch) zu „bestrafen“. Vor diesem Hintergrund haben der Beklagte beziehungsweise die Widerspruchsbehörde auch bei Berücksichtigung des ihnen hinsichtlich der Gewichtung der beteiligten Interessen im Rahmen der Ermessensausübung zuzubilligenden Beurteilungsspielraums die Bedeutung der gegen einen Widerruf sprechenden Belange des seit Jahrzehnten „unbescholten“ in Deutschland lebenden und insbesondere beruflich und wirtschaftlich integrierten Klägers verkannt. Eine grundlegend abweichende Beurteilung erscheint auch nicht schon deswegen gerechtfertigt, weil die Täuschung bei der Erteilung der anschließenden Aufenthaltstitel in den Jahren 1983 bis 1987 „fortwirkte“ oder weil sie bei Stellung des Visumsantrags von Frau U (2006) wohl mit Wissen des Klägers „verschleiert“ werden sollte.

Klarstellend sei hinzugefügt, dass diese Entscheidung maßgeblich bestimmt wird durch die Umstände des konkreten Einzelfalles, insbesondere die sehr lange Dauer seines Aufenthalts mit der Folge des entsprechenden zeitlichen Abstands zur ihm nunmehr vom Beklagten vorgehaltenen „Lüge“, die allein Anlass für ein behördliches Tätigwerden bot, und das – jedenfalls aktenkundig – tadellose Verhalten des Klägers über diesen langen Zeitraum. Der Widerspruchsbehörde ist sicher zuzugestehen, dass der Kläger in Deutschland keine Verwandten hat. Dass dieser Aspekt von der Behörde als ausreichend tragend für die Rücknahmeentscheidung angesehen worden wäre, kann allerdings nach dem zuvor Gesagten ausgeschlossen werden. Maßgebender Grund für die Entschließung zum Widerruf war vielmehr allein die genannte grundlegende Relativierung aller langjährig erbrachten Integrationsleistungen des Klägers durch den Verweis auf den Umstand, dass sein Aufenthalt allein auf die Heirat im Jahr 1982 beziehungsweise die seinerzeitige unrichtige Angabe des Familienstands zurückzuführen sei.

Die Frage, ob der Ehefrau des Klägers nach den einschlägigen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in dem § 30 AufenthG bei seinem Verbleib in Deutschland ein Anspruch auf Ehegattennachzug zustünde, ist selbständig anhand der insoweit geltenden gesetzlichen Anforderungen zu beantworten, rechtfertigt es aber ebenfalls nicht, dem Interesse des Klägers an einem weiteren Leben in Deutschland ein deutlich gemindertes Gewicht beizumessen. Wie jeder andere Ausländer hat auch der Kläger bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben das Recht auf Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet. Das gilt auch für die in anderem Zusammenhang, nämlich bei der Beurteilung der Rücknahmevoraussetzungen, als gültige (erste) Heirat berücksichtigte Eheschließung zwischen dem Kläger und Frau U. Schließlich ist auch den in den Behördenentscheidungen anklingenden generalpräventiven Gesichtspunkten keine derart herausgehobene Bedeutung beizumessen, dass sie eine Zurückstellung der gewichtigen Interessen des Klägers rechtfertigen könnten. Soweit insoweit die Schaffung eines „Berufungsfalls“ befürchtet wird, bleibt festzustellen, dass ein inhaltlich vergleichbarer Fall – wenn überhaupt – doch allenfalls sehr selten praktisch werden dürfte. Die starke Einzelfallabhängigkeit dieser Betrachtung zeigt beispielhaft der Fall eines Landsmanns des Klägers, in dem das OVG Münster (vgl. OVG Münster, Urteil vom 3.12.2009 – 18 A 1787/06 –, juris, dort Rn 181 bis 185) die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse – nachvollziehbar – als (auch) ermessensgerecht gebilligt hat. Dieser hatte bei vergleichbarer Ausgangslage zuvor seinen Aufenthalt im Wege der Asylantragstellung unter Täuschung gegenüber dem Bundesamt über seine Identität zu sichern versucht, an dem Versuch der Täuschung über seinen Familienstand bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens festgehalten, Unterhaltspflichten gegenüber der (zweiten) deutschen Ehefrau vernachlässigt, war in Deutschland lediglich befristet zu Hilfstätigkeiten beschäftigt gewesen und war auch ansonsten straffällig geworden.

Vor diesem Hintergrund waren die Rücknahmeentscheidungen im Fall des Klägers wegen einer in dieser Form den besonderen Sachverhaltsumständen nicht gerecht werdenden Ermessensbetätigung und der sich daraus ergebenden Nichtbeachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne aufzuheben.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus dem § 154 Abs. 1 VwGO. Der vom Kläger gesondert beantragte Ausspruch nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist gerechtfertigt, da er angesichts der Schwierigkeit der durch den Rechtsbehelf zur Beurteilung gestellten Sach- und Rechtslage die Hinzuziehung seines Bevollmächtigten bereits im Widerspruchsverfahren für geboten erachten durfte.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 5.000,- EUR festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG, ebenso bereits die vorläufige Festsetzung im Beschluss vom 3.11.2009 – 2 A 315/09 –).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzl

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(1) Eine Ehe kann aufgehoben werden, wenn sie1.entgegen § 1303 Satz 1 mit einem Minderjährigen geschlossen worden ist, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte, oder2.entgegen den §§ 1304, 1306, 1307, 1311 geschlossen wor

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 52 Widerruf


(1) Der Aufenthaltstitel des Ausländers nach § 4 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 zweite Alternative, Nummer 2, 2a, 2b, 2c, 3 und 4 kann außer in den Fällen der Absätze 2 bis 6 nur widerrufen werden, wenn 1. er keinen gültigen Pass oder Passersatz mehr besit

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1306 Bestehende Ehe oder Lebenspartnerschaft


Eine Ehe darf nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht.

Strafgesetzbuch - StGB | § 171 Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht


Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1313 Aufhebung durch richterliche Entscheidung


Eine Ehe kann nur durch richterliche Entscheidung auf Antrag aufgehoben werden. Die Ehe ist mit der Rechtskraft der Entscheidung aufgelöst. Die Voraussetzungen, unter denen die Aufhebung begehrt werden kann, ergeben sich aus den folgenden Vorschrifte

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1317 Antragsfrist


(1) Der Antrag kann in den Fällen des § 1314 Absatz 2 Nummer 2 und 3 nur binnen eines Jahres, im Falle des § 1314 Absatz 2 Nummer 4 nur binnen drei Jahren gestellt werden. Die Frist beginnt mit der Entdeckung des Irrtums oder der Täuschung oder mit d

Strafgesetzbuch - StGB | § 172 Doppelehe; doppelte Lebenspartnerschaft


Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt und 1. mit einer dritten Person eine Ehe schließt oder2. gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber d

Referenzen - Urteile

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Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 11. März 2010 - 2 A 491/09 zitiert oder wird zitiert von 10 Urteil(en).

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 11. März 2010 - 2 A 491/09 zitiert 7 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Jan. 2002 - XII ZR 58/00

bei uns veröffentlicht am 09.01.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XII ZR 58/00 Verkündet am: 9. Januar 2002 Breskic, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGB §§

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Jan. 2001 - XII ZR 266/98

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XII ZR 266/98 Verkündet am: 17. Januar 2001 Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 04. Feb. 2010 - 2 A 448/08

bei uns veröffentlicht am 04.02.2010

Tenor Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 – wird der Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kost

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 15. Okt. 2009 - 2 A 329/09

bei uns veröffentlicht am 15.10.2009

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 21. Aug. 2007 - 11 S 995/07

bei uns veröffentlicht am 21.08.2007

Tenor Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 4. April 2007 - 5 K 2170/06 - wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 11. Jan. 2006 - 13 S 2345/05

bei uns veröffentlicht am 11.01.2006

Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. August 2004 -11 K 2450/03 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 wird insgesamt aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 15. Aug. 2005 - 13 S 951/04

bei uns veröffentlicht am 15.08.2005

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Februar 2004 - 16 K 4107/03 - wird abgelehnt. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Streitwert des Zulassu
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 11. März 2010 - 2 A 491/09.

Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Urteil, 15. Nov. 2018 - 1 A 40/15

bei uns veröffentlicht am 15.11.2018

Tenor Der Bescheid vom 07.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2015 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstrecku

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 08. Mai 2013 - 4 K 1419/11

bei uns veröffentlicht am 08.05.2013

Tenor 1. Der Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 werden aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürg

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 27. Aug. 2010 - 2 B 235/10

bei uns veröffentlicht am 27.08.2010

Tenor Die Beschwerde der Antragsstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. Juli 2010 – 10 L 446/10 – wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Referenzen

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Der Aufenthaltstitel des Ausländers nach § 4 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 zweite Alternative, Nummer 2, 2a, 2b, 2c, 3 und 4 kann außer in den Fällen der Absätze 2 bis 6 nur widerrufen werden, wenn

1.
er keinen gültigen Pass oder Passersatz mehr besitzt,
2.
er seine Staatsangehörigkeit wechselt oder verliert,
3.
er noch nicht eingereist ist,
4.
seine Anerkennung als Asylberechtigter oder seine Rechtsstellung als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter erlischt oder unwirksam wird oder
5.
die Ausländerbehörde nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 feststellt, dass
a)
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 nicht oder nicht mehr vorliegen,
b)
der Ausländer einen der Ausschlussgründe nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 bis 4 erfüllt oder
c)
in den Fällen des § 42 Satz 1 des Asylgesetzes die Feststellung aufgehoben oder unwirksam wird.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 4 und 5 kann auch der Aufenthaltstitel der mit dem Ausländer in familiärer Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen widerrufen werden, wenn diesen kein eigenständiger Anspruch auf den Aufenthaltstitel zusteht.

(2) Ein nationales Visum, eine Aufenthaltserlaubnis und eine Blaue Karte EU, die zum Zweck der Beschäftigung erteilt wurden, sind zu widerrufen, wenn die Bundesagentur für Arbeit nach § 41 die Zustimmung zur Ausübung der Beschäftigung widerrufen hat. Ein nationales Visum und eine Aufenthaltserlaubnis, die nicht zum Zweck der Beschäftigung erteilt wurden, sind im Falle des Satzes 1 in dem Umfang zu widerrufen, in dem sie die Beschäftigung gestatten.

(2a) Eine nach § 19 erteilte ICT-Karte, eine nach § 19b erteilte Mobiler-ICT-Karte oder ein Aufenthaltstitel zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder Mobiler-ICT-Karte kann widerrufen werden, wenn der Ausländer

1.
nicht mehr die Voraussetzungen der Erteilung erfüllt oder
2.
gegen Vorschriften eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union über die Mobilität von unternehmensintern transferierten Arbeitnehmern im Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/66/EU verstoßen hat.
Wird die ICT-Karte oder die Mobiler-ICT-Karte widerrufen, so ist zugleich der dem Familienangehörigen erteilte Aufenthaltstitel zu widerrufen, es sei denn, dem Familienangehörigen steht ein eigenständiger Anspruch auf einen Aufenthaltstitel zu.

(3) Eine nach § 16b Absatz 1, 5 oder 7 zum Zweck des Studiums erteilte Aufenthaltserlaubnis kann widerrufen werden, wenn

1.
der Ausländer ohne die erforderliche Erlaubnis eine Erwerbstätigkeit ausübt,
2.
der Ausländer unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Studiendauer an der betreffenden Hochschule im jeweiligen Studiengang und seiner individuellen Situation keine ausreichenden Studienfortschritte macht oder
3.
der Ausländer nicht mehr die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16b Absatz 1, 5 oder 7 erteilt werden könnte.
Zur Prüfung der Voraussetzungen von Satz 1 Nummer 2 kann die Ausbildungseinrichtung beteiligt werden.

(4) Eine nach § 18d oder § 18f erteilte Aufenthaltserlaubnis kann widerrufen werden, wenn

1.
die Forschungseinrichtung, mit welcher der Ausländer eine Aufnahmevereinbarung abgeschlossen hat, ihre Anerkennung verliert, sofern er an einer Handlung beteiligt war, die zum Verlust der Anerkennung geführt hat,
2.
der Ausländer bei der Forschungseinrichtung keine Forschung mehr betreibt oder betreiben darf oder
3.
der Ausländer nicht mehr die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18d oder § 18f erteilt werden könnte oder eine Aufnahmevereinbarung mit ihm abgeschlossen werden dürfte.

(4a) Eine nach § 16e oder § 19e erteilte Aufenthaltserlaubnis kann widerrufen werden, wenn der Ausländer nicht mehr die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ihm die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könnte.

(5) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 oder Absatz 4b Satz 1 soll widerrufen werden, wenn

1.
der Ausländer nicht bereit war oder nicht mehr bereit ist, im Strafverfahren auszusagen,
2.
die Angaben des Ausländers, auf die in § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 1 oder Absatz 4b Satz 2 Nummer 1 Bezug genommen wird, nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft oder des Strafgerichts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als falsch anzusehen sind oder
3.
der Ausländer auf Grund sonstiger Umstände nicht mehr die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Absatz 4a oder Absatz 4b erfüllt.
Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 soll auch dann widerrufen werden, wenn der Ausländer freiwillig wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.

(6) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a soll widerrufen werden, wenn der Ausländer seine Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verliert.

(7) (weggefallen)

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt und

1.
mit einer dritten Person eine Ehe schließt oder
2.
gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit einer dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen.
Ebenso wird bestraft, wer mit einer dritten Person, die verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt, die Ehe schließt oder gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit dieser dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen.

Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. August 2004 -11 K 2450/03 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 wird insgesamt aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein im Jahr 1950 geborener indischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Rücknahme seiner Aufenthaltsberechtigung und seine Ausweisung. Er reiste im Jahr 1979 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er erfolglos einen Asylantrag stellte. Dabei gab er an, verheiratet zu sein und einen Sohn zu haben. Am ...1985 heiratete er eine im Jahr 1939 geborene deutsche Staatsangehörige und erhielt am 28.2.1985 eine Aufenthaltserlaubnis sowie am 19.3.1991 eine Aufenthaltsberechtigung. Im Zusammenhang mit der Eheschließung legte er mehrere Schriftstücke vor, wonach seine indische Ehefrau im Jahr 1984 verstorben sei. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau wurde im Jahr 1998 geschieden. Am 14.6.2000 beantragte eine Inderin namens „K. K.“ in New Delhi die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um als Ehefrau des Klägers mit diesem in Deutschland zusammenzuleben. Als Geburtsdatum gab sie den ...1966 an, als Heiratsdatum den ...1999. Mit Schreiben vom 30.10.2000 teilte die deutsche Botschaft New Delhi der Beklagten mit, dass diese Ehe schon seit über 18 Jahren bestehe und drei Kinder daraus hervorgegangen seien. Mit Schriftsatz seines damaligen Rechtsanwalts vom 5.3.2002 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten u. a., da ein von ihm eingeleitetes Verfahren auf Familiennachzug nicht vorangekommen sei, habe er auf Anraten Dritter und maßgebliches Betreiben seiner damaligen Arbeitgeberin diese geheiratet und der Wahrheit zuwider angegeben, seine 1978 geheiratete (indische) Frau sei verstorben. Mit dieser Heirat habe verhindert werden sollen, dass er ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verliere. Vor der Heirat habe er beim Standesamt Stuttgart-Bernhausen eine Bescheinigung über den Tod seiner (indischen) Ehefrau vorlegen müssen, die auch über die Deutsche Botschaft New Delhi auf Betreiben seiner fragwürdigen Berater beschafft und beim Standesamt vorgelegt worden sei.
Mit Verfügung vom 9.7.2002 nahm die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers zurück (Nr.1) und wies ihn unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 2 und 3). Gleichzeitig drohte sie ihm die Abschiebung nach Indien an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Rechtsgrundlage der Rücknahme sei § 48 LVwVfG. Hätte der Kläger nicht beim Standesamt bewusst falsche Unterlagen bei der Bestellung des Aufgebots für die Eheschließung vorgelegt, hätte er auch nicht bigamistisch heiraten können. Ihm wäre aufgrund der Eheschließung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Die Aufenthaltsberechtigung sei nur erteilt worden, weil die Behörde davon ausgegangen sei, dass er rechtmäßig verheiratet und aufgrund der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau der Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt sei. Die erteilte Aufenthaltsberechtigung sei daher nach § 48 LVwVfG zurückzunehmen. Nach § 45 Abs. 1 AuslG könne ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige. Es sei das schutzwürdige Interesse des Klägers an einem zukünftigen Aufenthalt im Bundesgebiet gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwägen und auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zu prüfen. Danach sei die Ausweisung gerechtfertigt.
Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart über den Widerspruch des Klägers nicht entschieden hatte, erhob er am 16.6.2003 Klage.
Mit ohne mündliche Verhandlung ergangenem Urteil vom 31.8.2004 hat das Verwaltungsgericht die Ausweisung in der Verfügung vom 9.7.2002 (Nr. 2 und 3) aufgehoben und die Klage im übrigen (Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung und Abschiebungsandrohung) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Rücknahmeverfügung sei rechtmäßig. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sei rechtswidrig gewesen, weil ein Ausweisungsgrund vorgelegen habe, der durch Erteilung der vorausgegangenen Aufenthaltserlaubnis nicht verbraucht gewesen sei. Der Kläger habe - ungeachtet einer Strafbarkeit wegen der umstrittenen Doppelehe - eine Urkundenfälschung begangen, nämlich beim Standesamt zum Zweck der Eheschließung mit unstreitig falschen Belegen über den Tod seiner Ehefrau eine unechte oder verfälschte Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Damit habe er auch unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen. Diese Taten dürften zwar schon bei Erteilung der Aufenthaltsberechtigung verjährt gewesen sein, seien jedoch auch nach sieben Jahren als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i. S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei eingehalten, denn die Ausländerbehörde habe frühestens mit dem Bericht der deutschen Botschaft vom 12.7.2001, möglicherweise erst nach Anhörung des Klägers hinreichende Kenntnis von die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlangt. Die Rücknahme selbst lasse zwar keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar Zweifel an einer Ermessensentscheidung überhaupt aufkommen. Zu berücksichtigen sei aber, dass der Bescheid zuvor die Ermessensvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG wiedergebe, einen Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 annehme und ausführe, dass ohne die Täuschung des Standesamtes und der Ausländerbehörde keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden wäre. Damit sei die Beklagte von einer Ermessensermächtigung und möglicherweise von einem Fall ausgegangen, in dem es keiner weiteren Ermessenserwägungen bedürfe. Dies sei bei einer Ermessensreduzierung und nach den Grundsätzen über das gelenkte bzw. intendierte Ermessen nicht zu beanstanden und werde etwa für die Fälle des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG angenommen, liege somit auch für den Fall des § 48 Abs. 4 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG nahe. Ob ein solcher Fall vorliege, könne aber auch in diesem Zusammenhang dahinstehen, denn die Beklagte habe bei der anschließend begründeten Ausweisung Ermessenserwägungen dargelegt, die für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien. Bei entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 2 AuslG habe allerdings die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben, und die Zeit davor sei nur von Bedeutung, soweit über die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung hinaus Konsequenzen für den weiteren Aufenthalt gezogen würden - hier mit der Ausweisung selbst. Im übrigen habe die Beklagte zutreffend und unwidersprochen angeführt, dass außer der Erwerbstätigkeit seit 1979 keine besonderen Bindungen des Klägers in Deutschland vorgetragen oder ersichtlich seien, die Familie vielmehr im Heimatland lebe, und eine etwaige Abschiebung nicht unmöglich sei. Bezüglich der Ausweisung sei die Klage jedoch begründet. Die Beklagte habe nicht erkennbar gewürdigt, dass der Kläger seit 28.2.1984 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt habe, was in eine Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise und Fernhaltung des Klägers einerseits und dessen privater Belange andererseits mit dem gebührenden Gewicht hätte einbezogen werden müssen.
Gegen das am 8.9.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.9.2004 die Zulassung der Berufung beantragt, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Mit Beschluss vom 22.11. 2005 hat der Senat die Berufung zugelassen.
Mit am 7.12.2005 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Berufung begründet. Zur Begründung führt er aus: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er - abgesehen von der umstrittenen Frage einer Doppelehe (§ 172 StGB) - eine Urkundenfälschung begangen (§ 267 Abs. 1 StGB) und unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt habe, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen, was als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i.S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten sei. Eine Urkundenfälschung habe hier nicht vorgelegen. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG fehle es jedenfalls an der Kausalität zwischen der falschen Behauptung einerseits und einem ausländerrechtlich unrichtigen Ergebnis andererseits. Denn die von ihm in Indien geschlossene Ehe sei wegen des Alters seiner Ehefrau unwirksam gewesen, weshalb es an einer nach deutschem Recht anerkennungsfähigen Ehe gefehlt habe. Die Beklagte habe bei der Rücknahme auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG nicht eingehalten. Zudem fehle es insoweit an der Ermessensausübung. Im angegriffenen Bescheid werde ausgeführt, dass die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung „zurückzunehmen ist“. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könnten die Erwägungen, welche die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung bei der Ausweisung angestellt habe, nicht auf die Rücknahmeentscheidung übertragen werden. Dies gelte umso mehr, als die Ermessenserwägungen auch die Ausweisung nicht getragen hätten. Bei der Ermessensausübung müsse auch berücksichtigt werden, dass er seit dem 8.4.1979 in der Bundesrepublik Deutschland lebe und dass es daher äußerst fragwürdig sei, ob er sich in Indien noch einmal einleben könne. Er habe auch über fast den gesamten Zeitraum seines Aufenthalts in der Bundesrepublik in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden. Mit seiner Arbeit habe er nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch seine Familienangehörigen in Indien unterstützt und damit zu deren Überleben beigetragen. Eine Rückkehr würde für ihn und seine Familie auch einen Absturz ins wirtschaftliche und soziale „Nichts“ bedeuten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.8.2004 - 11 K 2450/03 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 insgesamt aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Berufung zurückzuweisen.
11 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
12 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart verwiesen. Sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

 
13 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Gründe

 
13 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Sonstige Literatur

 
42 
Rechtsmittelbelehrung
43 
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
44 
Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, 68165 Mannheim oder Postfach 10 32 64, 68032 Mannheim, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen.
45 
Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
46 
In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
47 
Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
48 
Beschluss vom 11.1.2006
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 72 Nr.1 GKG i. d. F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718).
50 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Eine Ehe darf nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht.

(1) Eine Ehe kann aufgehoben werden, wenn sie

1.
entgegen § 1303 Satz 1 mit einem Minderjährigen geschlossen worden ist, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte, oder
2.
entgegen den §§ 1304, 1306, 1307, 1311 geschlossen worden ist.

(2) Eine Ehe kann ferner aufgehoben werden, wenn

1.
ein Ehegatte sich bei der Eheschließung im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befand;
2.
ein Ehegatte bei der Eheschließung nicht gewusst hat, dass es sich um eine Eheschließung handelt;
3.
ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten; dies gilt nicht, wenn die Täuschung Vermögensverhältnisse betrifft oder von einem Dritten ohne Wissen des anderen Ehegatten verübt worden ist;
4.
ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist;
5.
beide Ehegatten sich bei der Eheschließung darüber einig waren, dass sie keine Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 begründen wollen.

Eine Ehe kann nur durch richterliche Entscheidung auf Antrag aufgehoben werden. Die Ehe ist mit der Rechtskraft der Entscheidung aufgelöst. Die Voraussetzungen, unter denen die Aufhebung begehrt werden kann, ergeben sich aus den folgenden Vorschriften.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 266/98 Verkündet am:
17. Januar 2001
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
EheG §§ 5, 20 (a.F. vor dem 1. Juli 1998)
EGBGB Art. 226 Abs. 2

a) Zur Nichtigerklärung einer 1946 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR
geschlossenen bigamischen Ehe.

b) Zur Frage des öffentlichen Interesses der Staatsanwaltschaft an der
Durchführung der Nichtigkeitsklage gegen den gutgläubigen zweiten
Ehegatten.
BGH, Urteil vom 17. Januar 2001 - XII ZR 266/98 - OLG Rostock
LG Greifswald
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die
Richter Dr. Hahne, Gerber, Sprick und Weber-Monecke

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Familiensenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 22. September 1998 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Staatsanwaltschaft Stralsund klagt auf Nichtigerklärung der Ehe zwischen der Beklagten und Kurt S.. Dieser hatte am 17. Juli 1937 vor dem Standesamt Johanngeorgenstadt seine erste Ehefrau, Hanni Lotte F., geheiratet. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor. Nach Kriegsende kehrte er nicht zu ihr zurück. Am 21. September 1946 heiratete er vor dem Standesamt in Gützkow, Kreis Greifswald, seine zweite Ehefrau, die Beklagte. Im Aufgebotsverfahren versicherte er an Eides Statt, nicht verheiratet zu sein. Aus dieser zweiten Ehe gingen vier Kinder hervor. Auf Antrag seiner ersten Ehefrau wurde er durch seit 17. September 1952 rechtskräftigen Beschluß des Kreisgerichts Johanngeorgenstadt mit Wir-
kung vom 31. Dezember 1951 für tot erklärt. Danach heiratete seine erste Ehefrau am 24. Januar 1953 erneut, wurde aber am 23. Oktober 1956 wieder geschieden. Kurt S. verstarb am 2. September 1985. Seine erste Ehefrau bezog vom Versorgungsamt eine Witwenversorgung nach Kurt S., deren Zahlung aber nach Bekanntwerden des Sachverhalts eingestellt wurde. Die Beklagte bezog aus den Rentenanwartschaften des Kurt S. eine Hinterbliebenenrente, die nunmehr nach dem Vorschlag des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers nach dem Verhältnis der jeweils verbrachten Ehejahre zwischen den beiden Frauen aufgeteilt werden soll. Das Amtsgericht hat dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die am 21. September 1946 geschlossene zweite Ehe des Kurt S. mit der Beklagten für nichtig zu erklären, stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre zugelassene Revision , mit der sie die Abweisung der Nichtigkeitsklage weiterbegehrt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg. 1. Das Oberlandesgericht hat die Ehe der Beklagten mit Kurt S. gemäß §§ 5, 20 Abs. 1 EheG in der Fassung vor der Neufassung durch das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998 für nichtig erklärt, weil Kurt S. zum Zeitpunkt der Eheschließung 1946 noch rechtsgültig mit seiner ersten Ehefrau
verheiratet gewesen sei. Es hat dazu ausgeführt, daß auch die rechtskräftige Todeserklärung des Kurt S. 1952 und die anschließende Wiederheirat seiner ersten Ehefrau 1953 nicht zu einer rückwirkenden Heilung seiner zweiten Ehe haben führen können, weil die bigamisch geschlossene Ehe nichtig bleibe, auch wenn die erste Ehe später durch Tod, Scheidung oder ähnliches aufgelöst werde. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision greifen im Ergebnis nicht durch.
a) Zutreffend und von der Revision insoweit auch nicht beanstandet ist, daß nach der Übergangsregelung des Art. 15 des zum 1. Juli 1998 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 4. Mai 1998 (BGBl. I S. 833) für die bereits vor dem 1. Juli 1998 erhobene Nichtigkeitsklage weiterhin das bis zu diesem Zeitpunkt geltende materielle Recht sowie das Verfahrensrecht anzuwenden ist (Art. 226 Abs. 2 EGBGB). Die Neuregelung der §§ 1306, 1313, 1314 Abs. 1 BGB, nach der eine Doppelehe nicht mehr nichtig, sondern nur aufhebbar und die Antragsberechtigung der Staatsanwaltschaft entfallen ist, ist somit auf vorliegenden Fall nicht anzuwenden.
b) Die Revision rügt allerdings zu Recht, daß das Oberlandesgericht die Nichtigkeit der 1946 im damaligen Gebiet der sowjetischen Besatzungszone geschlossenen Doppelehe lediglich nach dem bundesdeutschen Recht (§§ 5, 20 EheG in der Fassung vor 1998) beurteilt hat. Das ist rechtsfehlerhaft, führt indessen nicht zu einer anderen Entscheidung. Nach Anlage I Kap. III Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 11 a des Einigungsvertrages gelten die §§ 1 bis 21 EheG nicht für Ehen, die - wie hier die Ehe der Beklagten - vor dem Wirksamwerden des Beitritts (3. Oktober 1990) geschlossen wurden. Die Wirksamkeit solcher Ehen bestimmt sich nach dem bisherigen Recht. Die Bestimmung ver-
weist somit auf das zum Zeitpunkt und am Ort der Eheschließung geltende Recht. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Staatswesen der ehemaligen DDR noch nicht, so daß es auf dessen spätere Gesetze nicht ankommt. Maßgebend für die Beurteilung der Nichtigkeit der 1946 geschlossenen zweiten Ehe des Kurt S. ist vielmehr das Ehegesetz in der Fassung des Kontrollratsgesetzes Nr. 16 vom 20. Februar 1946 (KRABl. S. 77 und 294), welches seit 1. März 1946 in allen vier Besatzungszonen und in Berlin galt (vgl. MünchKomm/Müller-Gindullis 3. Aufl. BGB EheG vor § 1 Rdn. 3 und 4; BGB RGRK/Wüstenberg 10./11. Aufl. EheG Einleitung Anm. 7). Dieses Kontrollratsgesetz ließ das Ehegesetz von 1938 - bereinigt um nationalsozialistisches Unrecht - im wesentlichen inhaltlich weitergelten, mithin auch die §§ 5, 20 EheG mit dem Nichtigkeitsgrund der Doppelehe. Danach war die am 21. September 1946 geschlossene Ehe des Kurt S. mit der Beklagten nichtig, weil er zu dieser Zeit noch in gültiger Ehe mit seiner ersten Ehefrau lebte. Nichts anderes ergäbe sich im übrigen, wenn es auf die späteren Rechtsvorschriften der ehemaligen DDR ankäme. Die Nichtigkeit einer Doppelehe ergab sich sowohl nach §§ 3 Nr. 1, 6 Abs. 1 der Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung vom 24. November 1955 (GBl-DDR I S. 849 f.), die auf dem Gebiet der DDR das Kontrollratsgesetz Nr. 16 ablöste, als auch nach §§ 8 Nr. 1, 35 Abs. 1 des Familiengesetzbuches der DDR vom 20. Dezember 1965, das am 1. April 1966 in Kraft trat und bis zum Beitritt galt (GBl-DDR I 1966, S. 1 ff.).
c) Eine rückwirkende Heilung der bigamisch geschlossenen zweiten Ehe des Kurt S. durch seine Todeserklärung und die Wiederheirat der ersten Ehefrau hat das Oberlandesgericht zu Recht verneint. Zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Todeserklärung 1952 und der Wiederheirat der ersten Ehefrau 1953 galt in der 1949 gegründeten ehemaligen DDR bis zum 24. November 1955 (dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eheschließungsverordnung) ebenfalls
noch das Ehegesetz in der Fassung des Kontrollratsgesetzes Nr. 16. Nach § 38 EheG wurde zugunsten des gutgläubigen Ehegatten, der seinen anderen Ehegatten für tot hat erklären lassen und im Vertrauen auf die Richtigkeit der Todeserklärung eine neue Ehe eingegangen ist, seine frühere Ehe mit Schließung der neuen Ehe aufgelöst (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EheG). Das Gesetz wollte ihn davor schützen, daß seine zweite Ehe deshalb nichtig ist, weil der für tot Erklärte tatsächlich noch lebt. Nach Wortlaut und Zweck diente diese Sonderregelung nur dem Schutz desjenigen gutgläubigen Ehegatten, der auf die durch die amtliche Todeserklärung begründete Vermutung des Todes seines bisherigen Ehegatten vertraute, sich für verwitwet halten durfte und daher eine neue Ehe einging. Eine analoge Anwendung dieser Regelung auf den für tot erklärten Ehegatten, der in Kenntnis seiner ersten Ehe eine neue Ehe schließt, verbietet sich aus dem Ausnahmecharakter der Bestimmung (Senatsurteil vom 27. Oktober 1993 - XII ZR 140/92 - FamRZ 1994, 498, 499). Zwar wirkte die Auflösung der ersten Ehe, die aufgrund der Wiederheirat des die Todeserklärung betreibenden Ehegatten eintrat, auch zugunsten des für tot Erklärten; denn er unterlag von diesem Zeitpunkt an für eine neue Eheschließung nicht mehr dem Verbot der Doppelehe, da auch für ihn eine solche nicht mehr existierte (Senatsurteil aaO S. 498). Das besagt aber andererseits nicht, daß eine von ihm schon zuvor bigamisch geschlossene Ehe geheilt wurde , und zwar weder ex tunc noch ex nunc. Denn die Regelung des § 38 EheG beruhte auf der Wertvorstellung, daß bereits in der Eingehung der Doppelehe ein mindestens objektiver Verstoß lag, der die zweite Ehe mit einem dauernden , grundsätzlich unheilbaren Mangel behaftete. Dieser Mangel sollte nicht durch Auflösung der ersten Ehe (sei es durch Scheidung, Tod oder Auflösung nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EheG) geheilt werden können, selbst wenn dadurch der Zustand der Doppelehe beseitigt wurde (BGHZ 37, 51, 55, 56; BGH, Urteil
vom 22. April 1964 - IV ZR 189/63 - FamRZ 1964, 418, 419). Die von der Revision dagegen vorgetragenen Gründe geben dem Senat keine Veranlassung, für den vorliegenden Fall von dieser Rechtsprechung abzuweichen. 2. Trotz Vorliegens der Nichtigkeit kann im Einzelfall die Erhebung der Nichtigkeitsklage durch die - hier allein antragsberechtigte (§ 24 Abs. 1 Satz 2 EheG, §§ 631, 632 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.) - Staatsanwaltschaft objektiv rechtsmißbräuchlich und damit unzulässig sein, wenn bei verantwortlicher Würdigung der durch die Doppelehe geschaffenen Umstände und der Belange der Beklagten dem öffentlichen Interesse an der Nichtigerklärung der Ehe kein wesentliches Gewicht mehr beigemessen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 1975 - IV ZR 33/74 - FamRZ 1975, 332, 333). Das Oberlandesgericht hat ein solches öffentliches Interesse hier indes zu Recht bejaht. Es hat ausgeführt, daß weder der Umstand, daß die erste Ehe des Kurt S. durch die Wiederheirat seiner ersten Ehefrau nach seiner Todeserklärung aufgelöst, noch die Tatsache, daß auch seine zweite Ehe mit der Beklagen mittlerweile durch seinen Tod beendet worden sei, das öffentliche Interesse an der Nichtigkeit der Ehe entfallen lasse. Denn die Nichtigkeitsklage verfolge nicht allein den Zweck, durch Auflösung der zweiten bigamischen Ehe die erste Ehe wieder herzustellen, sondern auch das Ziel, den Grundsatz der Einehe durchzusetzen. Dabei komme nur der wirksam zustande gekommenen Erstehe der Schutz des Art. 6 GG zu. Auch die lange Dauer der Zweitehe von 39 Jahren, aus der vier Kinder hervorgegangen seien, rechtfertige keine andere Beurteilung , zumal auch die erste Ehe mit ca. 15 1/2 Jahren, in der die Ehegatten zumindest rund 6 Jahre zusammengelebt hätten und aus der drei Kinder hervorgegangen seien, nicht als kurz bezeichnet werden könne. Ein besonderes öffentliches Interesse folge schließlich aus der notwendigen Klärung der vermögens -, renten- und versorgungsrechtlichen Verhältnisse, die durch die Doppe-
lehe entstanden seien. Hierfür sei entscheidend, ob die zweite Ehe des Kurt S. von Bestand sei oder nicht, da für die Rentenversicherungsträger die Berechnung der Rentenansprüche der beiden Ehefrauen aus der Hinterbliebenenrente des Kurt S. auf einer sicheren rechtlichen Grundlage erfolgen müsse. Die bei Eingehung der Ehe gutgläubige Beklagte werde hierdurch nicht unangemessen benachteiligt, weil sie gemäß §§ 26 EheG, 1587 ff. BGB durch den durchzuführenden Versorgungsausgleich an den Rentenanwartschaften des Kurt S. weiter teilhabe. Die Revision hebt demgegenüber im wesentlichen darauf ab, daß zum Zeitpunkt der Erhebung der Nichtigkeitsklage sowohl die erste als auch die zweite Ehe bereits aufgelöst waren, so daß die Nichtigkeitsklage weder dazu dienen könne, den Fortbestand der ersten Ehe rechtlich zu dokumentieren, noch dazu, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Zustand der Doppelehe zu beseitigen. Die gutgläubige, nunmehr über 80-jährige Beklagte treffe die Nichtigerklärung besonders hart, da sie wegen des Todes des Kurt S. nicht mehr die Möglichkeit habe, mit ihm - erneut - eine nunmehr gültige Ehe zu schließen. Auch der lange Bestand der Ehe und der Umstand, daß aus ihr vier Kinder stammen, ließen den Makel der Doppelehe zurücktreten. 3. Der Revision ist einzuräumen, daß der vorliegende Sachverhalt sich von den bisherigen Fällen, in denen der Bundesgerichtshof über eine Nichtigkeitsklage der Staatsanwaltschaft zu befinden hatte, insofern unterscheidet, als dort die ersten Ehen zum Zeitpunkt der Erhebung der Nichtigkeitsklage noch Bestand hatten und zum Teil erst danach durch Scheidung aufgelöst wurden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 1975 aaO S. 332; Senatsurteil vom 18. Juni 1986 - IVb ZR 41/85 - FamRZ 1986 S. 879 f.; Senatsurteil vom 27. Oktober 1993 aaO), während hier die erste Ehe bereits durch die 1953 erfolgte Wieder-
heirat der ersten Ehefrau nach Todeserklärung (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EheG) und die zweite Ehe 1985 durch den Tod des Kurt S. aufgelöst war. Von Teilen der Literatur und Rechtsprechung wird ein öffentliches Interesse dann verneint, wenn die erste Ehe nach Schließung der zweiten Ehe rechtskräftig geschieden wird oder der bigamische Ehegatte verstorben ist, so daß die zweite Ehe nicht erneut geschlossen werden kann und die Nichtigerklärung dazu führt, daß der zweite überlebende Ehegatte erhebliche finanzielle Nachteile erleidet (vgl. OLG Karlsruhe IPrax 1986, 166, 167; MünchKomm ZPO/Walter 1. Aufl. § 631 a.F. Rdn. 5; Stein/Jonas/Schlosser ZPO 21. Aufl. § 632 a.F. Rdn. 2 und 4; Johannsen /Henrich/Sedemund-Treiber Eherecht 2. Aufl. § 632 a.F. ZPO Rdn. 5). Der Senat vermag dem indessen für den vorliegenden Fall nicht zu folgen. Zwar währte der Zustand der Doppelehe nur von September 1946 bis zur Wiederheirat der ersten Ehefrau Anfang 1953, also rund sechs Jahre. Wie der Senat aber in den genannten Entscheidungen dargelegt hat, geht es bei der Nichtigkeitsklage nicht nur darum, den noch andauernden Zustand einer Doppelehe zu beseitigen - ein solches Ziel könnte hier in der Tat nicht mehr erreicht werden -, sondern auch darum, den Akt der Eingehung der Doppelehe für nichtig zu erklären, um den Grundsatz der Einehe zu wahren und den vorrangig der Erstehe zukommenden verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 6 GG zu verwirklichen (Senatsurteil vom 18. Juni 1986 aaO S. 880). Zwar enthält das neue Eheschließungsrecht gegenüber dem alten Recht insoweit ein gewandeltes Rechtsverständnis, als seit dem 1. Juli 1998 eine Doppelehe nur noch der Aufhebung ex nunc, und zwar unter eingeschränkten Voraussetzungen , unterliegt (§§ 1313, 1314, 1316 Abs. 3 BGB) und ein Aufhebungsantrag nicht mehr gestellt werden kann, wenn die Ehe bereits aufgelöst ist (§ 1317 Abs. 3 BGB). Für die Ermessensausübung des Staatsanwalts, der gemäß der Überleitungsvorschrift des Art. 226 Abs. 2 EGBGB das Verfahren auf Nichti-
gerklärung der Ehe weiterbetreibt, bedeutet dies indes noch nicht, daß nunmehr das öffentliche Interesse entfällt und die Klage als rechtsmißbräuchlich anzusehen ist. Der bloße Zeitablauf seit Eingehung der bigamisch geschlossenen Ehe reicht regelmäßig nicht aus, um der Aufrechterhaltung der bigamischen Ehe den Vorrang vor der wirksam zustande gekommenen Erstehe zuzubilligen. Im übrigen steht, wie das Oberlandesgericht zutreffend hervorgehoben hat, der 39-jährigen Ehe der Beklagten mit Kurt S. immerhin die nicht als kurz zu bewertende 15 1/2-jährige erste Ehe gegenüber, aus der ebenfalls mehrere Kinder hervorgegangen sind (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 1993 aaO S. 499). Das öffentliche Interesse an der Nichtigkeitsklage rechtfertigt sich hier aber vor allem aus der notwendigen verbindlichen Klärung der vermögens-, insbesondere renten- und versorgungsrechtlichen Rechtsverhältnisse der Beteiligten (Senatsurteile vom 18. Juni 1986 und vom 27. Oktober 1993 jeweils aaO). Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts bezog die 1910 geborene erste Ehefrau vom Versorgungsamt der Stadt Ch. auf ihren Antrag vom Februar 1995 eine Witwenversorgung nach Kurt S., deren Zahlung aber im April 1996 im Hinblick auf den bekannt gewordenen Sachverhalt der Doppelehe zunächst eingestellt wurde. Auch die 1918 geborene Beklagte bezog nach dem Tod des Kurt S. 1985 Witwenrente, die nach einer vorläufigen Berechnung der Landesversicherungsanstalt nunmehr im Verhältnis der jeweiligen Ehejahre unter den beiden Witwen aufgeteilt werden soll. Ob und in welcher Höhe die erste Ehefrau und die Beklagte eine Hinterbliebenenversorgung beziehen können, hängt von der Feststellung der Nichtigkeit der zweiten Ehe ab. Im Falle der Nichtigkeit würde zwar ein Anspruch der Beklagten auf Hinterbliebenenversorgung entfallen. Sie hätte aber gegebenenfalls gemäß §§ 26 i.V.m.
20 EheG einen Anspruch auf Durchführung des Versorgungsausgleichs gemäß §§ 1587 ff. BGB, den sie - auch nach dem Tod des Kurt S. - gegen dessen Erben geltend machen kann (§ 1587 e Abs. 4 BGB). Er beläuft sich der Höhe nach auf die hälftige Differenz der beiderseits in der gesamten Ehezeit von 1946 bis 1985 erworbenen Versorgungsanwartschaften (vgl. Senatsbeschluß vom 9. Dezember 1981 - IVb ZB 569/80 - FamRZ 1982, 475 ff.). Daher stehen ihre Belange dem auf der anderen Seite gegebenen Interesse an der Klärung der rentenrechtlichen Fragen - auch im Hinblick auf die versorgungsrechtliche Situation der ersten Ehefrau - nicht in einer solchen Weise entgegen, daß die Nichtigkeitsklage der Staatsanwaltschaft als rechtsmißbräuchlich angesehen werden könnte. Blumenröhr Hahne Gerber Sprick Weber-Monecke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 58/00 Verkündet am:
9. Januar 2002
Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
Zur Antragsberechtigung der dritten Person nach § 1316 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 1306
BGH, Urteil vom 9. Januar 2002 - XII ZR 58/00 - OLG Oldenburg
AG Jever
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Januar 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz, Dr. Ahlt und Dr. Vézina

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Antragsgegner werden das Urteil des 14. Zivilsenats - 5. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. Januar 2000 und das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Jever vom 11. August 1999 aufgehoben. Der Antrag wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Antragsteller begehrt die Aufhebung der von den Antragsgegnern geschlossenen Ehe. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin zu 1 sind russische Staatsangehörige. Ihre 1984 im heutigen Rußland geschlossene Ehe wurde auf Antrag der Antragsgegnerin zu 1 am 20. Juli 1995 vom Bezirksvolksgericht O. von Moskau in Abwesenheit des Antragstellers geschieden. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Antragstellers wurde am 6. September 1995 vom Gerichtskollegium des Moskauer Stadtgerichtshofs zurückgewiesen; die
Scheidung wurde standesamtlich eingetragen. Am 24. November 1995 schlossen die Antragsgegnerin zu 1 und der deutsche Antragsgegner zu 2 vor dem Standesamt S. die Ehe. 1996 hob das Präsidium des Moskauer Stadtgerichtshofs das Urteil des Bezirksvolksgerichts O. auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Bezirksvolksgericht B. von Moskau zurück. Durch Entscheidung des BezirksvolksgerichtsB. von Moskau vom 12. November 1996 wurde die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 erneut geschieden. Das hiergegen eingelegte Rechtsmittel des Antragstellers wurde vom Gerichtskollegium für Zivilsachen des Moskauer Stadtgerichtshofs mit Entscheidung vom 24. Dezember 1996 zurückgewiesen. Die standesamtliche Eintragung über die frühere, vom Bezirksvolksgericht O. von Moskau am 20. Juli 1995 ausgesprochene und vom Gerichtskollegium des Moskauer Stadtgerichtshofs am 6. September 1995 bestätigte Scheidung der Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 wurde vom Bezirksvolksgericht B. von Moskau mit Entscheidung vom 17. März 1997 für unwirksam erklärt. Das Familiengericht hat die Ehe der Antragsgegner aufgehoben, weil die Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt ihrer Eheschließung mit dem Antragsgegner zu 2 noch mit dem Antragsteller verheiratet war. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Antragsgegner zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision, mit der die Antragsgegner die Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung ihrer Ehe weiterverfolgen.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat Erfolg. 1. Die Frage, ob eine Ehe fehlerhaft geschlossen worden ist und welche Rechtsfolgen sich an den Fehler knüpfen, beurteilt sich, wie auch das Oberlandesgericht zu Recht annimmt, für jeden der Ehegatten nach seinem Heimatrecht (Art. 13 Abs. 1 EGBGB). 2. Das danach für die Antragsgegnerin zu 1 maßgebende russische Recht verbietet nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts zwar die Eheschließung, wenn ein Partner der zu schließenden Ehe noch durch eine frühere Ehe gebunden ist. Eine gleichwohl geschlossene Ehe könne jedoch als von dem Zeitpunkt an gültig festgestellt werden, in dem der die Eheschließung hindernde Umstand fortgefallen ist. Diese Voraussetzung hat das Oberlandesgericht bejaht und gefolgert, daß die Ehe der Antragsgegner nach russischem Recht nicht mehr für ungültig erklärt werden kann, nachdem die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 durch die Entscheidung des Bezirksvolksgerichts B. von Moskau vom 12. November 1996 geschieden und das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Antragstellers vom Gerichtskollegium für Zivilsachen des Moskauer Stadtgerichtshofs mit Entscheidung vom 24. Dezember 1996 zurückgewiesen worden ist. Die Revision nimmt dies als ihr günstig hin. 3. Hinsichtlich des Antragsgegners zu 2 geht das Berufungsgericht davon aus, daß dessen Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 nach dem insoweit maßgebenden deutschen Recht gegen das zweiseitig wirkende Verbot der Doppelehe verstößt, deshalb nach den zur Zeit der Eheschließung geltenden
§§ 20, 23 EheG hätte für nichtig erklärt werden können und nunmehr - gemäû dem nach Art. 226 Abs. 1, 3 EGBGB anwendbaren § 1314 Abs. 1 i.V. mit § 1306 BGB - auf den Antrag des Antragstellers hin aufzuheben ist. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Richtig ist der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts. Danach bestimmt sich die Vorfrage, ob die Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt ihrer Eheschlieûung mit dem Antragsgegner zu 2 bereits von dem Antragsteller wirksam geschieden und der Antragsgegner zu 2 deshalb aus der Sicht des deutschen Rechts an einer Eheschlieûung mit der Antragsgegnerin zu 1 nicht gehindert war, gemäû Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EGBGB nach russischem Recht.
b) Die Revision rügt im wesentlichen eine fehlerhafte Ermittlung des russischen Rechts (§ 293 ZPO): Nach dem für den vorliegenden Fall maûgebenden Art. 40 des Ehe- und Familiengesetzbuchs der Russischen Sowjetrepublik (EFGB von 1969; hier anwendbar gemäû Art. 169 Punkt 1 des Familiengesetzbuchs der Russischen Föderation von 1995) wirke die Eintragung der Ehescheidung im Zivilstandsregister konstitutiv. Auûerdem kenne das russische Zivilverfahrensrecht einen zweizügigen ordentlichen Verfahrensaufbau, wobei den Parteien gegen die erstinstanzliche Entscheidung der Bezirksvolksgerichte die Kassationsbeschwerde als ordentliches Rechtsmittel mit Devolutiv- und Suspensiveffekt offenstehe. Im Gegensatz dazu stelle das sogenannte Aufsichtsverfahren der Staatsanwaltschaft nach (sowjet-) russischer Tradition ein auûerordentliches Rechtsmittel dar, das gegen rechtskräftige Entscheidungen eingelegt werde und nicht nur der Beseitigung eines Präjudizes diene, sondern auch Rechtswirkungen inter partes entfalte und damit rechtskräftige Entscheidungen beseitige. Für den vorliegenden Fall sei deshalb davon auszugehen, daû die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 durch die Ent-
scheidung des BezirksvolksgerichtsO. von Moskau vom 20. Juli 1995 und die am 3. August 1995 erfolgte Registrierung dieser Entscheidung rechtskräftig geschieden worden sei.
c) Es kann dahinstehen, ob diese Ausführungen der Revision zum russischen Recht zutreffen (vgl. Piekenbrock IPRax 2001, 119, der - ebenso wie auch die Revision - die Anwendbarkeit des russischen EFGB von 1969 aus Art. 169. Abs. 1, nicht aus der spezielleren Norm des Art. 169 Abs. 3 des russischen FGB von 1995 herleitet) und revisionsrechtlich beachtlich sind (vgl. dazu etwa BGHZ 118, 151, 162 f.). Auch wenn, wie das Oberlandesgericht meint, die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt der neuen Eheschlieûung der Antragsgegnerin zu 1 nach russischem Recht noch nicht rechtskräftig geschieden war, der Antragsgegner zu 2 deshalb aus der Sicht des für ihn maûgebenden deutschen Rechts an der Eingehung einer Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 gehindert war und die gleichwohl geschlossene Ehe der Antragsgegner deshalb an sich nach deutschem Recht aufhebbar wäre, ist der Antragsteller dennoch nicht befugt, die Aufhebung der von seiner früheren Ehefrau eingegangenen neuen Ehe zu begehren. Auch bei Vorliegen eines Aufhebungsgrundes kann sich ein Aufhebungsantrag im Einzelfall als unzulässige Rechtsausübung darstellen. Das ist hier der Fall. aa) Dabei schlieût, wie das Berufungsgericht zu Recht erkennt, der Umstand , daû der Antragsteller aufgrund der zwischenzeitlichen Scheidung seiner Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 nicht mehr deren Ehegatte ist, für sich genommen die Antragsbefugnis des Antragstellers nicht grundsätzlich aus. Schon unter der Geltung des Ehegesetzes war anerkannt, daû die Befugnis zur Klage auf Nichtigerklärung einer bigamischen Ehe zwar ausdrücklich nur dem "Ehegatten" der vorangehenden Ehe zustand, diesem aber nicht deshalb verloren
ging, weil seine Ehe inzwischen aufgelöst war (Senatsurteil vom 18. Juni 1986 - IVb ZR 41/85 - FamRZ 1986, 879, 880). Der Gesetzgeber des Eheschlieûungsrechtsgesetzes hat diesen Gedanken verdeutlicht: Gehen zwei Personen miteinander die Ehe ein, obwohl zwischen einer dieser beiden Personen und einer dritten Person bereits eine Ehe besteht, so kann "die dritte Person" auf Aufhebung der späteren Ehe antragen (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BGB); auf die Frage, ob die frühere Ehe noch besteht und die "dritte Person" folglich noch Ehegatte eines Partners der späteren Ehe ist, kommt es für die Antragsbefugnis also schon nach dem Gesetzeswortlaut nicht an (vgl. auch MünchKomm/Gindullis BGB 4. Aufl., § 1316 Rdn. 2). bb) Richtig ist auch die Erkenntnis des Berufungsgerichts, daû das Gesetz das Recht des Ehegatten der Vorehe, die Aufhebung der von seinem Ehegatten eingegangenen bigamischen Ehe zu beantragen, grundsätzlich nicht an ein im Einzelfall darzulegendes besonderes Rechtsschutzinteresse knüpft. § 1316 BGB entspricht insoweit dem früheren § 24 EheG, der ein solches schützenswertes Interesse des Ehegatten der ersten Ehe an der Beseitigung der bigamischen Ehe generalisierend unterstellte. Dies erschien unter dem früheren Recht, das eine Nichtigerklärung der bigamischen Ehe erlaubte, selbstverständlich: Mit der Nichtigerklärung wurde die bigamische Ehe rückwirkend beseitigt; dadurch wurde die ausschlieûliche Geltung der ersten Ehe wiederhergestellt , der Grundsatz der Einehe durchgesetzt und der vorrangig der ersten Ehe zukommende Schutz des Art. 6 GG verwirklicht (Senatsurteil vom 18. Juni 1986 aaO und vom 17. Januar 2001 - XII ZR 266/98 - FamRZ 2001, 685, 686). Mit dem Eheschlieûungsrechtsgesetz hat sich diese Ausgangslage jedoch verändert: an die Stelle der bisher möglichen Nichtigerklärung einer bi-
gamischen Ehe ist die bloû ex nunc wirkende Aufhebung einer solchen Ehe getreten (vgl. Senatsurteil vom 17. Januar 2001 aaO). Dieses gewandelte Rechtsverständnis hat zwar nicht dazu geführt, einem Ehegatten generell ein schutzwürdiges Interesse an der Beseitigung der von seinem Ehegatten eingegangenen bigamischen Ehe abzusprechen. Auch mit der nur ex nunc wirkenden Aufhebung der bigamischen Ehe wird nämlich das Spannungsverhältnis zwischen der bigamischen Ehe und der vorrangig den Schutz des Art. 6 GG genieûenden Erstehe aufgehoben und dem Grundsatz der Einehe Geltung verschafft. Dies gilt uneingeschränkt aber nur noch dann, wenn die erste Ehe im Zeitpunkt der Aufhebung der bigamischen Ehe noch besteht; denn nur in diesem Falle wird mit der begehrten Aufhebung verhindert, daû die bigamische Ehe neben der Erstehe fortbesteht und die Rechte des Ehegatten aus der Erstehe schmälert. Ist die erste Ehe dagegen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufhebung der bigamischen Ehe bereits aufgelöst, kann ein in die Zukunft weisendes Ziel nicht mehr erreicht werden. Auch an der für die Vergangenheit bestehenden Konkurrenz zur Erstehe vermag die nur noch ex nunc wirkende Aufhebung der bigamischen Ehe nichts mehr zu ändern; dem vom früheren Recht anerkannten Interesse des Ehegatten der ersten Ehe an der verbindlichen Feststellung, daû die während seiner Ehe geschlossene Zweitehe nichtig ist und seine eigene Ehe damit die allein gültige Ehe war (Senatsurteil vom 18. Juni 1986 aaO), bietet das neue Recht nicht länger Raum. Die nur in die Zukunft reichende Wirkung der Aufhebung hindert zwar nicht generell die Möglichkeit, eine bigamische Ehe auch dann noch aufzuheben , wenn die Erstehe bereits aufgelöst ist. Ein Aufhebungsantrag des Ehegatten der Erstehe kann sich in solchem Falle aber nicht allein auf das - in erster Linie von der zuständigen Verwaltungsbehörde unter Abwägung der in § 1316 Abs. 3 BGB genannten Belange zu wahrende - öffentliche Interesse an
der Sanktionierung von Verstöûen gegen das Verbot der Mehrehe stützen. Er setzt vielmehr die Geltendmachung eigener Belange des früheren Ehegatten voraus, die sein objektives Interesse an der Aufhebung der bigamischen Ehe begründen und sich auch gegenüber Belangen der Ehegatten der bigamischen Ehe und etwaiger aus ihr hervorgegangener Kinder als schutzwürdig erweisen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Antragsteller, der sich offenbar vehement gegen die Scheidung seiner Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 zur Wehr gesetzt hat, hat keine eigenen objektiven Interessen vorgetragen, die auch noch nach der von ihm letztlich erfolglos bekämpften Scheidung seiner eigenen Ehe nunmehr eine Aufhebung der Ehe der Antragsgegner erfordern. Vermögensrechtliche , insbesondere renten- und versorgungsrechtliche Rechtsverhältnisse , deren verbindliche Klärung sogar im öffentlichen Interesse liegt und die Beseitigung einer bigamischen Ehe auch nach Scheidung der Erstehe rechtfertigen kann (Senatsurteil vom 17. Januar 2001 aaO S. 686 f.), sind unter den Beteiligten nicht im Streit und würden durch eine Aufhebung der bigamischen Ehe - soweit ersichtlich - auch nicht berührt. Die Wahrung der staatlichen Ordnung und ihrer Eheverbote begründet, wie ausgeführt, für sich genommen ein eigenes Aufhebungsinteresse des Antragstellers nicht. 4. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Der Senat ist in der Lage, selbst abschlieûend zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 ZPO), da weitere tatsächliche Feststellungen weder zu erwarten noch erforderlich sind. Da sich der Antrag auf Aufhebung der Ehe der Antragsgegner als unzulässige Rechtsausübung darstellt und deshalb unzulässig ist, waren sowohl das Berufungsurteil wie auch das die Eheaufhebung aussprechende Urteil des Familiengerichts aufzuheben und der Antrag auf Eheaufhebung zurückzuweisen. Hahne Weber-Monecke Wagenitz
Ahlt Vézina

(1) Der Antrag kann in den Fällen des § 1314 Absatz 2 Nummer 2 und 3 nur binnen eines Jahres, im Falle des § 1314 Absatz 2 Nummer 4 nur binnen drei Jahren gestellt werden. Die Frist beginnt mit der Entdeckung des Irrtums oder der Täuschung oder mit dem Aufhören der Zwangslage; für den gesetzlichen Vertreter eines geschäftsunfähigen Ehegatten beginnt die Frist jedoch nicht vor dem Zeitpunkt, in welchem ihm die den Fristbeginn begründenden Umstände bekannt werden. Auf den Lauf der Frist sind die §§ 206, 210 Abs. 1 Satz 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Hat der gesetzliche Vertreter eines geschäftsunfähigen Ehegatten den Antrag nicht rechtzeitig gestellt, so kann der Ehegatte selbst innerhalb von sechs Monaten nach dem Wegfall der Geschäftsunfähigkeit den Antrag stellen.

(3) Ist die Ehe bereits aufgelöst, so kann der Antrag nicht mehr gestellt werden.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) wird zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes erteilt und verlängert.

(1a) Ein Familiennachzug wird nicht zugelassen, wenn

1.
feststeht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, oder
2.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde.

(2) Für die Herstellung und Wahrung einer lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft im Bundesgebiet finden die Absätze 1a und 3, § 9 Abs. 3, § 9c Satz 2, die §§ 28 bis 31, 36a, 51 Absatz 2 und 10 Satz 2 entsprechende Anwendung.

(3) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs kann versagt werden, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, für den Unterhalt von anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch angewiesen ist. Von § 5 Abs. 1 Nr. 2 kann abgesehen werden.

(3a) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs ist zu versagen, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfinden soll,

1.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuches bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuches vorbereitet oder vorbereitet hat,
2.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
3.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
4.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs darf längstens für den Gültigkeitszeitraum der Aufenthaltserlaubnis des Ausländers erteilt werden, zu dem der Familiennachzug stattfindet. Sie ist für diesen Zeitraum zu erteilen, wenn der Ausländer, zu dem der Familiennachzug stattfindet, eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18d, 18f oder § 38a besitzt, eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzt oder sich gemäß § 18e berechtigt im Bundesgebiet aufhält. Im Übrigen ist die Aufenthaltserlaubnis erstmals für mindestens ein Jahr zu erteilen.

(5) (weggefallen)

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 4. April 2007 - 5 K 2170/06 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000.- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 04.04.2007, mit dem sein Antrag abgelehnt wurde, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald vom 21.11.2006 anzuordnen, ist zwar fristgerecht eingelegt (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründet worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und auch sonst zulässig. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdeverfahren grundsätzlich zu beschränken hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gebieten keine andere Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht abgelehnt. Denn die am 07.12.2006 von dem Antragsteller mit Widerspruch rechtzeitig angefochtene Verfügung vom 21.11.2006 ist voraussichtlich rechtmäßig, so dass dem öffentlichen Interesse an deren sofortiger Vollziehung zutreffend Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Beibehaltung des bestehenden Zustandes eingeräumt wurde. Auch der Senat vermag bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angezeigten und allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im Rahmen seiner Prüfungsbefugnis die behaupteten Rechts- bzw. Ermessensfehler nicht zu erkennen.
Das Verwaltungsgericht hat überzeugend dargelegt, dass der Antragsteller sowohl zum Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 09.07.1998 als auch zum Zeitpunkt der unbefristeten Verlängerung derselben am 04.07.2001 in Doppelehe mit der libanesischen Staatsangehörigen Frau D. (seit 05.05.1992) und mit der deutschen Staatsangehörigen Frau B. (seit 05.12.1997) verheiratet war. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die von dem Antragsteller laut Heiratsurkunde des Ja’afaritischen Religionsgerichts Beirut erstmals am 05.05.1992 mit Frau D. religiös geschlossene und dort auf persönlichen Antrag der beiden Eheleute am 04.01.1993 bestätigte sowie später registrierte Ehe, für die gemäß Art. 13 Abs.1 EGBGB libanesisches Familienrecht Anwendung findet, in Deutschland unwirksam oder unbeachtlich gewesen sein könnte, bestehen nicht. Auch der Antragsteller selbst ist offenbar von der Wirksamkeit dieser Ehe ausgegangen; anderenfalls hätte er sich - wohl zur Verschleierung der Ehe zum Zwecke des Nachzuges von Frau D. und den beiden gemeinsamen Kinder nach Deutschland - nicht am 14.02.2005 vor dem Ja’afaritischen Religionsgerichts Nabatieh von Frau D. scheiden lassen, um diese sodann am 24.05.2005 erneut und in offenbar gleicher Weise wie am 05.05.1992 zu heiraten. Insbesondere der Vortrag des Antragstellers, er sei davon ausgegangen, bei der religiösen Eheschließung am 05.05.1992 habe es sich nur um ein Verlöbnis gehandelt, ist offenkundig eine Schutzbehauptung, wie das Verwaltungsgericht umfangreich und detailliert dargelegt hat. Dem muss nichts hinzugefügt werden.
Aufgrund des Vorliegens einer Doppelehe ist die Aufenthaltserlaubnis dem Antragsteller voraussichtlich im Sinne des § 48 Abs. 1 LVwVfG am 09.07.1998 gemäß §§ 17 Abs. 1, 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG rechtswidrig erteilt und am 04.07.2001 rechtswidrig unbefristet verlängert worden. Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 17 Abs. 1 AuslG soll der Ehegattennachzug nur in dem durch Art. 6 GG gebotenen Umfang erfolgen. Art. 6 GG jedoch schützt die Doppelehe grundsätzlich nicht. Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes zu § 17 AuslG hat der Hinweis auf Art. 6 GG begrenzende Funktion, um eine Nachzugsberechtigung von Familienangehörigen aus einer Mehrehe auszuschließen (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 60). Dies gilt unabhängig von dem Umstand, dass es nach internationalem Privatrecht möglich sein kann, die Mehrehe eines Ausländers zivilrechtlich als gültig anzusehen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.03.2004 - 10 A 11717/03 - juris). Denn das Prinzip der Einehe gehört zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland und damit auch zu den auch ausländergesetzlichen Regelungen vorgegebenen verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 - BVerfGE 62, 323; BVerwG, Urteil vom 30.04.1985 - 1 C 33.81 - BVerwGE 71, 228; Niedersächs. OVG, Urteil vom 06.07.1992 - 7 L 3634/91 - juris).
Daran ändert der Grundsatz des - bis zum Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetzes (BGBl 1998 I 833) am 01.07.1998 gültigen - § 23 EheG nichts, wonach sich niemand auf die Nichtigkeit etwa einer Doppelehe berufen kann, solange diese nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist. Denn dieser Grundsatz modifizierte nicht etwa das in den §§ 5, 20 EheG geregelt gewesene bzw. seit 01.07.1998 in § 1306 BGB geregelte Verbot der Doppelehe. Das Verbot der Doppelehe wird vielmehr durch das Rechtsinstitut der Nichtigkeit bzw. Aufhebbarkeit der Ehe umgesetzt, gilt zweiseitig auch gegenüber dem Ledigen und ist nicht befreiungstauglich. Die gesetzlich gewollte Durchsetzungskraft dieses Verbotes zeigt sich weiter an seiner Strafbewehrtheit gemäß § 171 StGB sowie der eng begrenzten Möglichkeit des Ausschlusses der Aufhebung einer Doppelehe nach §§ 1314 Abs. 1, 1315 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das Ausländerrecht ist im Einklang mit diesem Verbot auszulegen. Wenn die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Verstoßes gegen das Verbot der Doppelehe abgelehnt wird, wird sich damit nicht im Sinne des früheren § 23 EheG auf die Nichtigkeit der Ehe berufen, vielmehr werden die ausländerrechtlichen Normen verfassungskonform angewendet. Im Übrigen war § 23 EheG bereits im Zeitpunkt der Ersterteilung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers am 09.07.1998 außer Kraft getreten.
Dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG im vorliegenden Fall die Rücknahme der rechtswidrigen Verwaltungsakte voraussichtlich nicht hindert, ergibt sich schon aus Satz 2 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 3 Nr. 1 dieser Norm. Wer, wie der Antragsteller, durch Vorlage einer gefälschten oder jedenfalls inhaltlich falschen Ledigkeitsbescheinigung die Eheschließung im Bundesgebiet sowie daran anknüpfend die Aufenthaltserlaubnis und deren Verlängerung gewissermaßen erschleicht, täuscht arglistig und kann sich nicht auf Vertrauen oder Verwirkung berufen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rn. 132, m.w.N.).
Der Senat vermag schließlich die geltend gemachten Ermessensfehler im Rahmen der Ausweisung gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 bzw. § 55 Abs. 1 AufenthG nicht zu erkennen. Wie dargelegt kann voraussichtlich nicht angenommen werden, dass die Ausländerbehörde von falschen Tatsachen ausgegangen ist oder nur unzureichende libanesische Rechtskenntnisse besaß. Sie hat ihrer Ausweisungsentscheidung vielmehr zutreffend zugrunde gelegt, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Erteilung und Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis neben Frau B. auch mit Frau D. verheiratet war, und dass die mit Frau D. nach libanesischem Familienrecht geschlossene Ehe in Deutschland als rechtswirksam anzusehen war. Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 16.01.2007 hat die Vorgänge allein strafrechtlich bewertet und wirkt sich damit hier nicht entscheidungserheblich aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. August 2004 -11 K 2450/03 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 wird insgesamt aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein im Jahr 1950 geborener indischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Rücknahme seiner Aufenthaltsberechtigung und seine Ausweisung. Er reiste im Jahr 1979 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er erfolglos einen Asylantrag stellte. Dabei gab er an, verheiratet zu sein und einen Sohn zu haben. Am ...1985 heiratete er eine im Jahr 1939 geborene deutsche Staatsangehörige und erhielt am 28.2.1985 eine Aufenthaltserlaubnis sowie am 19.3.1991 eine Aufenthaltsberechtigung. Im Zusammenhang mit der Eheschließung legte er mehrere Schriftstücke vor, wonach seine indische Ehefrau im Jahr 1984 verstorben sei. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau wurde im Jahr 1998 geschieden. Am 14.6.2000 beantragte eine Inderin namens „K. K.“ in New Delhi die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um als Ehefrau des Klägers mit diesem in Deutschland zusammenzuleben. Als Geburtsdatum gab sie den ...1966 an, als Heiratsdatum den ...1999. Mit Schreiben vom 30.10.2000 teilte die deutsche Botschaft New Delhi der Beklagten mit, dass diese Ehe schon seit über 18 Jahren bestehe und drei Kinder daraus hervorgegangen seien. Mit Schriftsatz seines damaligen Rechtsanwalts vom 5.3.2002 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten u. a., da ein von ihm eingeleitetes Verfahren auf Familiennachzug nicht vorangekommen sei, habe er auf Anraten Dritter und maßgebliches Betreiben seiner damaligen Arbeitgeberin diese geheiratet und der Wahrheit zuwider angegeben, seine 1978 geheiratete (indische) Frau sei verstorben. Mit dieser Heirat habe verhindert werden sollen, dass er ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verliere. Vor der Heirat habe er beim Standesamt Stuttgart-Bernhausen eine Bescheinigung über den Tod seiner (indischen) Ehefrau vorlegen müssen, die auch über die Deutsche Botschaft New Delhi auf Betreiben seiner fragwürdigen Berater beschafft und beim Standesamt vorgelegt worden sei.
Mit Verfügung vom 9.7.2002 nahm die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers zurück (Nr.1) und wies ihn unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 2 und 3). Gleichzeitig drohte sie ihm die Abschiebung nach Indien an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Rechtsgrundlage der Rücknahme sei § 48 LVwVfG. Hätte der Kläger nicht beim Standesamt bewusst falsche Unterlagen bei der Bestellung des Aufgebots für die Eheschließung vorgelegt, hätte er auch nicht bigamistisch heiraten können. Ihm wäre aufgrund der Eheschließung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Die Aufenthaltsberechtigung sei nur erteilt worden, weil die Behörde davon ausgegangen sei, dass er rechtmäßig verheiratet und aufgrund der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau der Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt sei. Die erteilte Aufenthaltsberechtigung sei daher nach § 48 LVwVfG zurückzunehmen. Nach § 45 Abs. 1 AuslG könne ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige. Es sei das schutzwürdige Interesse des Klägers an einem zukünftigen Aufenthalt im Bundesgebiet gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwägen und auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zu prüfen. Danach sei die Ausweisung gerechtfertigt.
Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart über den Widerspruch des Klägers nicht entschieden hatte, erhob er am 16.6.2003 Klage.
Mit ohne mündliche Verhandlung ergangenem Urteil vom 31.8.2004 hat das Verwaltungsgericht die Ausweisung in der Verfügung vom 9.7.2002 (Nr. 2 und 3) aufgehoben und die Klage im übrigen (Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung und Abschiebungsandrohung) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Rücknahmeverfügung sei rechtmäßig. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sei rechtswidrig gewesen, weil ein Ausweisungsgrund vorgelegen habe, der durch Erteilung der vorausgegangenen Aufenthaltserlaubnis nicht verbraucht gewesen sei. Der Kläger habe - ungeachtet einer Strafbarkeit wegen der umstrittenen Doppelehe - eine Urkundenfälschung begangen, nämlich beim Standesamt zum Zweck der Eheschließung mit unstreitig falschen Belegen über den Tod seiner Ehefrau eine unechte oder verfälschte Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Damit habe er auch unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen. Diese Taten dürften zwar schon bei Erteilung der Aufenthaltsberechtigung verjährt gewesen sein, seien jedoch auch nach sieben Jahren als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i. S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei eingehalten, denn die Ausländerbehörde habe frühestens mit dem Bericht der deutschen Botschaft vom 12.7.2001, möglicherweise erst nach Anhörung des Klägers hinreichende Kenntnis von die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlangt. Die Rücknahme selbst lasse zwar keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar Zweifel an einer Ermessensentscheidung überhaupt aufkommen. Zu berücksichtigen sei aber, dass der Bescheid zuvor die Ermessensvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG wiedergebe, einen Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 annehme und ausführe, dass ohne die Täuschung des Standesamtes und der Ausländerbehörde keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden wäre. Damit sei die Beklagte von einer Ermessensermächtigung und möglicherweise von einem Fall ausgegangen, in dem es keiner weiteren Ermessenserwägungen bedürfe. Dies sei bei einer Ermessensreduzierung und nach den Grundsätzen über das gelenkte bzw. intendierte Ermessen nicht zu beanstanden und werde etwa für die Fälle des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG angenommen, liege somit auch für den Fall des § 48 Abs. 4 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG nahe. Ob ein solcher Fall vorliege, könne aber auch in diesem Zusammenhang dahinstehen, denn die Beklagte habe bei der anschließend begründeten Ausweisung Ermessenserwägungen dargelegt, die für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien. Bei entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 2 AuslG habe allerdings die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben, und die Zeit davor sei nur von Bedeutung, soweit über die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung hinaus Konsequenzen für den weiteren Aufenthalt gezogen würden - hier mit der Ausweisung selbst. Im übrigen habe die Beklagte zutreffend und unwidersprochen angeführt, dass außer der Erwerbstätigkeit seit 1979 keine besonderen Bindungen des Klägers in Deutschland vorgetragen oder ersichtlich seien, die Familie vielmehr im Heimatland lebe, und eine etwaige Abschiebung nicht unmöglich sei. Bezüglich der Ausweisung sei die Klage jedoch begründet. Die Beklagte habe nicht erkennbar gewürdigt, dass der Kläger seit 28.2.1984 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt habe, was in eine Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise und Fernhaltung des Klägers einerseits und dessen privater Belange andererseits mit dem gebührenden Gewicht hätte einbezogen werden müssen.
Gegen das am 8.9.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.9.2004 die Zulassung der Berufung beantragt, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Mit Beschluss vom 22.11. 2005 hat der Senat die Berufung zugelassen.
Mit am 7.12.2005 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Berufung begründet. Zur Begründung führt er aus: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er - abgesehen von der umstrittenen Frage einer Doppelehe (§ 172 StGB) - eine Urkundenfälschung begangen (§ 267 Abs. 1 StGB) und unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt habe, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen, was als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i.S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten sei. Eine Urkundenfälschung habe hier nicht vorgelegen. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG fehle es jedenfalls an der Kausalität zwischen der falschen Behauptung einerseits und einem ausländerrechtlich unrichtigen Ergebnis andererseits. Denn die von ihm in Indien geschlossene Ehe sei wegen des Alters seiner Ehefrau unwirksam gewesen, weshalb es an einer nach deutschem Recht anerkennungsfähigen Ehe gefehlt habe. Die Beklagte habe bei der Rücknahme auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG nicht eingehalten. Zudem fehle es insoweit an der Ermessensausübung. Im angegriffenen Bescheid werde ausgeführt, dass die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung „zurückzunehmen ist“. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könnten die Erwägungen, welche die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung bei der Ausweisung angestellt habe, nicht auf die Rücknahmeentscheidung übertragen werden. Dies gelte umso mehr, als die Ermessenserwägungen auch die Ausweisung nicht getragen hätten. Bei der Ermessensausübung müsse auch berücksichtigt werden, dass er seit dem 8.4.1979 in der Bundesrepublik Deutschland lebe und dass es daher äußerst fragwürdig sei, ob er sich in Indien noch einmal einleben könne. Er habe auch über fast den gesamten Zeitraum seines Aufenthalts in der Bundesrepublik in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden. Mit seiner Arbeit habe er nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch seine Familienangehörigen in Indien unterstützt und damit zu deren Überleben beigetragen. Eine Rückkehr würde für ihn und seine Familie auch einen Absturz ins wirtschaftliche und soziale „Nichts“ bedeuten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.8.2004 - 11 K 2450/03 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 insgesamt aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Berufung zurückzuweisen.
11 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
12 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart verwiesen. Sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

 
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Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Gründe

 
13 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Sonstige Literatur

 
42 
Rechtsmittelbelehrung
43 
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
44 
Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, 68165 Mannheim oder Postfach 10 32 64, 68032 Mannheim, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen.
45 
Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
46 
In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
47 
Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
48 
Beschluss vom 11.1.2006
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 72 Nr.1 GKG i. d. F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718).
50 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Februar 2004 - 16 K 4107/03 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der auf das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils, auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5 VwGO) gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht gestellt und begründet worden (vgl. § 124a Abs. 4 VwGO). Der Antrag ist jedoch nicht begründet, da keiner der behaupteten Zulassungsgründe vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 - 7 AV 4/03 -, DVBl. 2004, 838 f.); es kommt dabei darauf an, ob ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass der Erfolg des Rechtsmittels mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie sein Misserfolg (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris, und vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000,1458), es sei denn, es lässt sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb voraussichtlich keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004, a.a.O.). Gemessen hieran bestehen an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine ernstlichen Zweifel.
Das Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis finde ihre Rechtsgrundlage in § 48 LVwVfG. Die zurückgenommene Aufenthaltserlaubnis sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da der Kläger sie durch unrichtige bzw. unvollständige Angaben erlangt habe. Unstreitig sei er zum Zeitpunkt seiner Heirat mit der deutschen Staatsangehörigen A.S. am 19.9.1986 noch mit der polnischen Staatsangehörigen B. verheiratet gewesen. Aus dieser bereits 1971 geschlossenen Ehe seien zwei Kinder (Zwillinge) hervorgegangen. Durch das Verschweigen dieses Umstandes habe der Kläger seine Heirat in Deutschland erreicht und damit auch gegen strafbewehrte Normen verstoßen, nämlich gegen das Verbot der Doppelehe (§ 172 StGB). Auch ein Verstoß gegen die Strafvorschrift des § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1965 habe wohl vorgelegen. Selbst wenn eine Verurteilung wegen dieser Straftaten heute (wegen Verjährung) nicht mehr in Betracht komme, könne die Tatsache, dass der Kläger bei seiner Deutschverheiratung falsche oder zumindest unvollständige Angaben gemacht habe, im Rahmen der Rücknahmeentscheidung berücksichtigt werden. Diese unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben seien ursächlich für die Eheschließung in Deutschland und folglich auch für die daraus abgeleiteten erst befristeten Aufenthaltserlaubnisse und dann später für die unbefristete Aufenthaltserlaubnis gewesen.
Dem hält der Kläger entgegen: Er habe nie bewusst unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht. Nach seiner Einreise von Polen in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1974 habe er den Kontakt zu seiner polnischen Ehefrau verloren. Er sei der festen Überzeugung gewesen, diese habe in seiner Abwesenheit die Scheidung betrieben. Nachdem er im Jahr 1986 über die Auslandsvertretung seines Heimatstaates, die sich zu diesem Zeitpunkt in Belgrad/Jugoslawien befunden habe, bestätigt erhalten habe, dass einer erneuten Eheschließung keine Gründe entgegenstünden, habe er sich in seiner Einsicht, die Scheidung sei bereits erfolgt, bestätigt gefühlt. Selbst wenn man ihm Arglist unterstelle mit der Folge, dass er durch Täuschung die Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen S. eingegangen sei, habe dieser Umstand durch Heranziehung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung auf den Akt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der ehelichen Lebensgemeinschaft keine Auswirkungen, denn die eheliche Lebensgemeinschaft habe zum Zeitpunkt der Antragstellung und zum Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorgelegen. Bis zur Aufhebung der Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen am 14.2.2002 sei die Ehe wirksam gewesen. Diese Rechtsfolge, die im Zivilrecht gelte, müsse auch im Verwaltungsverfahren gelten.
Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Dieses ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass die dem Kläger am 1.6.1987 erteilte und am 25.6.1990 unbefristet verlängerte Aufenthaltserlaubnis von Anfang an rechtswidrig gewesen ist. Dabei kann offen bleiben, ob sich die Rechtswidrigkeit - wie das Verwaltungsgericht meint - schon daraus ergibt, dass der Kläger die Aufenthaltserlaubnis durch unrichtige bzw. unvollständige Angaben erlangt hat, oder ob dieser Umstand allein für die Frage von Bedeutung ist, ob die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen durfte (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, Satz 4 LVwVfG). Denn die Rechtswidrigkeit der Aufenthaltserlaubnis ergibt sich jedenfalls aus folgenden Erwägungen: Die Aufenthaltserlaubnis wurde dem Kläger am 1.6.1987 vor dem Hintergrund der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen erteilt. Sie diente damit dem durch Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Schutz der Ehe und Familie durch Ermöglichung des Führens der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet. Nach § 2 Abs. 1 des damals anwendbaren AuslG 1965 durfte die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigt. Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lag eine die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausschließende Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland dann nicht vor, wenn und soweit Art. 6 Abs. 1 GG im Einzelfall anderes gebot (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.9.1978 - I C 79.76 -, BVerwGE 56, 246). Dementsprechend wurde in Nr. 4a der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes (Bekanntmachung vom 10.5.1977, GMBl. S. 202) ausgeführt, dass bei Ausländern, die mit Deutschen verheiratet sind, Belange der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Anwesenheit dieser Ausländer beeinträchtigt werden, insbesondere auch Belange der Entwicklungshilfepolitik, gegenüber dem staatlichen Belang, Ehe und Familie zu schützen, grundsätzlich zurückzutreten haben. § 17 Abs. 1 AuslG 1990, der nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 auch bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den ausländischen Ehegatten eines Deutschen anzuwenden war, enthielt die Bestimmung, dass einem ausländischen Familienangehörigen eines Ausländers zum Zwecke des nach Art. 6 des Grundgesetzes gebotenen Schutzes von Ehe und Familie eine Aufenthaltserlaubnis für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Ausländer im Bundesgebiet erteilt und verlängert werden kann (vgl. auch § 27 Abs. 1 AufenthG). Diente die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen mit einer deutschen Staatsangehörigen verheirateten Ausländer damit aber der Verwirklichung des von Art. 6 Abs. 1 GG bezweckten Schutzes von Ehe und Familie, hätte dem Kläger trotz seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen keine Aufenthaltserlaubnis zugestanden. Denn die von ihm geschlossene Ehe stand nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und sonstiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerfG, Beschluss vom 7.10.1970 - 1 BvR 409/67 -, BVerfGE 29, 166, 176; Beschluss vom 4.5.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58, 69; Beschluss vom 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323; vgl. BVerwG, Urteil vom 30.4.1985, - 1 C 33/81 -, BVerwGE 71, 228; Beschluss vom 4.4.1986 - 1 A 10/86 -, Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr 76; BSG, Urteil vom 27.11.1980 - 5 RKn 2/79 -, BSGE 51, 40) gehört zum Wesen der Ehe, wie sie durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist, das Prinzip der Einehe. Das schließt es zwar nicht von vornherein aus, dass eine nach ausländischem Recht zulässige Doppelehe einen gewissen rechtlichen Schutz genießt (vgl. BVerwG, a.a.O.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.3.2004 - 10 A 11717/03 -, AuAS 2004, 146). Dies bedarf indes vorliegend schon deshalb keiner weiteren Vertiefung, weil es sich bei der Eheschließung des Klägers unstreitig um eine auch nach ausländischen Recht unzulässige Doppelehe gehandelt hat. Die Ehe des Klägers stand daher von vornherein nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Dem kann er nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die in der Bundesrepublik Deutschland geschlossene Ehe - unstreitig - bis zu ihrer Aufhebung durch das Urteil des Amtsgerichts Lehrte vom 14.2.2002 rechtliche Wirkung entfaltet hat und auch nicht rückwirkend, sondern (nur) mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben worden ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 9.1.2002 - XII ZR 58/00 -, BGHZ 149, 357). Denn dieser Umstand führt nicht dazu, dass die Ehe auch ausländerrechtliche Wirkungen entfaltet hat. Insoweit ist der vorliegende Sachverhalt vergleichbar mit dem Fall einer sog. Scheinehe, d.h. einer Ehe, die nur zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen wird. Zwar liegt auch hier eine zivilrechtlich wirksame Eheschließung vor; dennoch ist etwa anerkannt, dass die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis beim Vorliegen einer Scheinehe zulässig ist und insbesondere nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstößt, weil es sich (auch) dabei nicht um eine dem Schutz dieses Grundrechts unterfallende Ehe handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.5.2003 - 2 BvR 2042/02 -, FamRZ 2003, 1000). Dies belegt aber auch, dass die Behauptung des Klägers, es sei nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung geboten, die zivilrechtlich wirksame Eheschließung auch im Ausländerrecht als wirksam zu behandeln, so nicht zutrifft. Vielmehr ist es gerade nicht ausgeschlossen, die Wirkungen einer solchen Ehe für verschiedene Rechtsbereiche unterschiedlich auszugestalten (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 17.2.1998 - Bs VI (VII) 213/95 - juris). So liegt es im hier gegebenen Fall einer unzulässigen Doppelehe für den Bereich des Zivilrechts z. B. deshalb nahe, diese nur mit Wirkung ex nunc aufzuheben, weil andernfalls zahlreiche in der Vergangenheit eingetretene Ehewirkungen einer Neuregelung bedürften, welche mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden wäre. Dies gilt etwa für den Fall, dass aus der Ehe gemeinsame Kinder hervorgegangen sind, die bei einer rückwirkenden Aufhebung der Ehe nachträglich nichtehelich würden. Daraus kann aber nicht gefolgert werde, dass es geboten wäre, eine aufhebbare Doppelehe auch in anderen Rechtsbereichen, also etwa im Ausländerrecht, bis zu ihrer Aufhebung als wirksam zu behandeln. Dies gilt umso mehr, als in diesem Fall regelmäßig kein schutzwürdiges Interesse des betroffenen Ausländers bestehen dürfte, diese Ehe als wirksam zu behandeln.
Zu Recht ist daher im Fall des Klägers davon ausgegangen worden, dass die ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig gewesen ist, weil die zugrunde liegende Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen ausländerrechtlich unbeachtlich gewesen ist. Zutreffend hat das Regierungspräsidium Stuttgart in diesem Zusammenhang ausgeführt, durch seinen Aufenthalt seien Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt worden (§ 2 Abs. 1 AuslG 1965). Das Regierungspräsidium hat dabei darauf abgestellt, dass ein Sachverhalt vorliege, der nach § 10 Abs. 1 AuslG 1965 die Ausweisung rechtfertige. Der Kläger habe gegenüber dem Standesamt zum Zwecke der Täuschung unrichtige Angaben über seine Person gemacht (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 AuslG 1965). Das ist nicht zu beanstanden. Denn nur durch das Verschweigen der Eheschließung mit einer polnischen Staatsangehörigen gegenüber dem Standesbeamten konnte er die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen als Grundlage für die ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis erreichen. Dieses Verhalten hat im übrigen auch den Straftatbestand des § 47 Abs. 1 Nr.6 AuslG 1965 erfüllt (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 17.2.1998 - Bs VI (VII) 213/95 - juris). Soweit der Kläger vorgetragen hat, er sei davon ausgegangen, dass seine in Polen geschlossene Ehe zwischenzeitlich geschieden worden sei, durfte das Verwaltungsgericht annehmen, dass es sich um eine bloße Schutzbehauptung handelt. Es hat hierzu ausgeführt, im Termin zur mündlichen Verhandlung habe er eingeräumt, dass er jedenfalls zu seiner Tochter aus polnischer Ehe immer Kontakt gehabt und diese ihm immer geschrieben habe. Folglich sei davon auszugehen, dass diese ihn über Scheidungsabsichten ihrer polnischen Mutter informiert hätte. Diese Erwägungen begegnen keinen ernstlichen Bedenken. Darüber hinaus hat der Kläger ausweislich der bei den Verwaltungsakten befindlichen Sitzungsniederschrift auch in der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Lehrte am 14.2.2002 nicht vorgetragen, er habe bei der Eheschließung in Deutschland eine zwischenzeitliche Scheidung der in Polen geschlossenen Ehe vorausgesetzt. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass es sich bei der Behauptung des Klägers um eine bloße Schutzbehauptung handelt. Im übrigen wäre es ihm wohl ohne weiteres möglich gewesen, in Erfahrung zu bringen, ob seine erste Ehe zwischenzeitlich geschieden worden ist. So hat seine deutsche Ehefrau im Jahr 2000 offenbar ohne Schwierigkeiten über die Auslandsauskunft die Telefonnummer der polnischen Ehefrau ermittelt und mit dieser Kontakt aufgenommen. Soweit der Kläger vorgetragen hat, er sei auf Grund einer Auskunft der Auslandsvertretung seines Heimatstaates im Jahr 1986, wonach einer Eheschließung keine Gründe entgegenstünden, davon ausgegangen, dass seine frühere Ehe geschieden worden sei, hat er diese Behauptung nicht näher belegt. Zudem ist nicht erkennbar, dass er auf Grund dieser Auskunft von einer erfolgten Scheidung der in Polen geschlossenen Ehe ausgehen durfte. Letztlich geht es zu seinen Lasten, dass er auf Grund der bloßen Vermutung, seine Ehe in Polen sei inzwischen geschieden worden, eine weitere Ehe geschlossen hat, ohne dem Standesbeamten den vollständigen Sachverhalt zu schildern. Im übrigen hat der Kläger schon im früheren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 26.10.1973 unrichtige Angaben gemacht. Dort hat er nämlich als Familienstand "ledig" angegeben, obwohl er seit dem 15.10.1973 verheiratet war. Auch in den folgenden Anträgen auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis hat er weder angegeben, dass er verheiratet, noch dass er geschieden sei. Angesichts der Angabe im Antrag vom 26.10.1973 musste daher bei der zuständigen Ausländerbehörde der Eindruck entstehen dass der Kläger auch weiterhin - bis zu der von ihm angezeigten Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen - ledig war.
Im Ergebnis ist das Verwaltungsgericht daher zu Recht davon ausgegangen, dass die dem Kläger erteilte Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig gewesen ist. Ohne Erfolg hält er dem entgegen, ihm sei auch deshalb eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen gewesen, weil er mit seinem (damals) minderjährigen deutschen Kind in häuslicher Lebensgemeinschaft gelebt habe. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist hierdurch nämlich weder nach den Bestimmungen des AuslG 1965 noch nach denjenigen des AuslG 1990 begründet worden. Zwar hätte das Bestehen einer solchen Lebensgemeinschaft als rechtliches Hindernis möglicherweise einer Abschiebung des Klägers aus dem Bundesgebiet entgegengestanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.1.2002 - 2 BvR 231/00 -; Beschluss vom 10.8.1994 - 2 BvR 1542/94 -, InfAuslR 1994, 394; Beschluss vom 1.10.1992, 2 BvR 1365/92 -, InfAuslR 1993, 109). Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wäre hieraus jedoch nicht ohne weiteres erwachsen, weil die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen - wie ausgeführt - keine ausländerrechtlichen Wirkungen entfaltet hat; es ist auch nicht vorgetragen oder sonst erkennbar, dass der Kläger allein wegen des Zusammenlebens mit seinem Kind oder aus anderen Gründen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gehabt hätte. Vielmehr hätte ihm grundsätzlich auch nur eine Duldung erteilt werden können (vgl. § 17 Abs. 1 AuslG 1965, § 55 AuslG 1990).
Auch das weitere Vorbringen des Klägers begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Hierzu hat er vorgetragen, die Ermessensausübung stoße auf erhebliche rechtliche Zweifel. Ihm könne kein Erschleichen einer Aufenthaltserlaubnis zur Last gelegt werden, da er vom Fortbestand der Ehe mit der polnischen Staatsangehörigen keine Kenntnis gehabt habe. Da ihm das Urteil bei der Ermessensüberprüfung diesen Umstand unterstellt habe, sei das Ermessen im vorliegenden Fall fehlerhaft ausgeübt worden. Wie ausgeführt, hat auch nach Auffassung des Senats das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Behauptung, der Kläger sei von einer zwischenzeitlichen Scheidung der Ehe in Polen ausgegangen, nicht überzeugend ist.
10 
Soweit er im Beschwerdeverfahren weiter vorgetragen hat, im Rahmen der Ermessensausübung hätte berücksichtigt werden müssen, dass im Kongo derzeit ein Bürgerkrieg tobe, und zudem müsse sein gesundheitlicher Zustand berücksichtigt werden, begründet auch dieses Vorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht nämlich ausgeführt, dass maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Verfügung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchsbescheids sei, weshalb die (erstmals im Klageverfahren) vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden des Klägers in diesem Verfahren nicht zu berücksichtigen seien. Hiermit setzt sich der Zulassungsantrag nicht auseinander. Gleiches gilt für die geltend gemachten Gefahren durch den Bürgerkrieg im Kongo; denn auch insoweit bezieht sich der Kläger auf Vorgänge bzw. Vorbringen nach Erlass des Widerspruchsbescheids. Im übrigen hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die vom Kläger vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden ggf. im Rahmen eines neuen Verfahrens über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zu prüfen und zu berücksichtigen sind; dies gilt im übrigen auch für die Verhältnisse in seinem Heimatland.
11 
Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund liegt nur vor, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine grundsätzliche, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre und deren Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Im Antrag auf Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung ist die Rechtsfrage, die grundsätzlich geklärt werden soll, zu bezeichnen und zu formulieren. Es ist darüber hinaus näher substantiiert zu begründen, warum sie für grundsätzlich und klärungsbedürftig gehalten wird und weshalb die Rechtsfrage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 124 Rdnr. 10). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Er bezeichnet als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage, "ob bei Vorliegen einer Doppelehe die daraufhin erteilte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft rechtswidrig ist".
12 
Dabei handelt es sich schon nicht um eine Rechtsfrage, die einer grundsätzlichen Klärung im dargelegten Sinne zugänglich ist. Denn der Begriff der "Doppelehe" ist rechtlich nicht eindeutig. Darunter kann nämlich sowohl eine - wie im vorliegenden Fall - unzulässige Doppelehe verstanden werden als auch eine im Herkunftsland eines Ausländers zulässige Doppelehe. Schon aus diesem Grund lässt sich die aufgeworfene Rechtsfrage nicht eindeutig beantworten. Wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass nur die Frage nach einer unzulässigen Doppelehe geklärt werden soll, weil nur diese für das vorliegende Verfahren entscheidungserheblich ist, fehlt es hingegen an einer grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit. Wie bereits ausgeführt worden ist, hat das Bundesverfassungsgericht nämlich bereits mehrfach entschieden, dass eines der wesentlichen Strukturprinzipien des Art. 6 Abs. 1 GG das Prinzip der Einehe ist; wie ausgeführt fällt aus diesem Grund jedenfalls eine unzulässige Doppelehe nicht in den Schutzbereich dieses Grundrechts, weshalb die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausscheidet (vgl. auch - zur zulässigen Doppelehe - BVerwG, Urteil vom 30.4.1985 1 C 33/81 -, BVerwGE 71, 228; Beschluss vom 4.4.1986 - 1 A 10/86 -, Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 76).
13 
Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann, zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Der Kläger trägt hierzu vor, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen, weil es sich in den Entscheidungsgründen nicht mit dem wesentlichen Punkt, nämlich dass er eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn beanspruchen könnte, befasst habe.
14 
Ungeachtet der Frage, ob das Verwaltungsgericht dieses Vorbringen des Klägers in seine Erwägungen einbezogen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.5.1996 - 2 BvR 2806/95 -, AuAS 1997, 211; Beschluss vom 10.7.1997 - 2 BvR 1291/96 -, NVwZ-Beilage 1998, 9; BVerwG, Beschluss vom 1.10.1993 - 6 P 7/91 -, NVwZ-RR 1994, 298 und Urteil vom 21.11.1989 - 9 C 53.89 -, InfAuslR 1990, 99), liegt der gerügte Gehörsverstoß jedenfalls deshalb nicht vor, weil es an der weiteren Voraussetzung des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO fehlt, dass es sich um einen Verfahrensmangel handelt, "auf dem die Entscheidung beruhen kann". Wie bereits dargelegt worden ist, hatte der Kläger nämlich auch unter Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis; vielmehr hätte ihm soweit ersichtlich grundsätzlich auch eine Duldung nach § 17 Abs. 1 AuslG 1965 bzw. § 55 AuslG 1990 erteilt werden können.
15 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
16 
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F. (vgl. § 72 Nr.1 GKG i. d. F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718).
17 
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) wird zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes erteilt und verlängert.

(1a) Ein Familiennachzug wird nicht zugelassen, wenn

1.
feststeht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, oder
2.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde.

(2) Für die Herstellung und Wahrung einer lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft im Bundesgebiet finden die Absätze 1a und 3, § 9 Abs. 3, § 9c Satz 2, die §§ 28 bis 31, 36a, 51 Absatz 2 und 10 Satz 2 entsprechende Anwendung.

(3) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs kann versagt werden, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, für den Unterhalt von anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch angewiesen ist. Von § 5 Abs. 1 Nr. 2 kann abgesehen werden.

(3a) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs ist zu versagen, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfinden soll,

1.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuches bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuches vorbereitet oder vorbereitet hat,
2.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
3.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
4.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs darf längstens für den Gültigkeitszeitraum der Aufenthaltserlaubnis des Ausländers erteilt werden, zu dem der Familiennachzug stattfindet. Sie ist für diesen Zeitraum zu erteilen, wenn der Ausländer, zu dem der Familiennachzug stattfindet, eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18d, 18f oder § 38a besitzt, eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzt oder sich gemäß § 18e berechtigt im Bundesgebiet aufhält. Im Übrigen ist die Aufenthaltserlaubnis erstmals für mindestens ein Jahr zu erteilen.

(5) (weggefallen)

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren im vorliegenden Rechtsstreit die Verpflichtung des Beklagten zu Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Die Kläger zu 1) und 2) sind albanische Volkszugehörige aus der ehemals serbischen Provinz Kosovo. Sie reisten im Sommer 1992 mit drei gemeinsamen Töchtern (Dabei handelte es sich um die drei im Kosovo geborenen Töchter M (*30.7.1987), S (*23.4.1990) und M (* 8.6.1992).) in die Bundesrepublik ein und beantragten – im Ergebnis ohne Erfolg – ihre Anerkennung als Asylberechtigte. (vgl. zum negativen Abschluss des Erstverfahrens – D 1385432-138 – OVG des Saarlandes, Urteil vom 3.12.1996 – 1 R 62/96 –; zum Folgeverfahren – 2456369-138 – VG des Saarlandes, Urteil vom 22.2.2000 – 10 K 468/99.A –) Bei dem Kläger zu 3) handelt es sich um einen 1993 in Deutschland geborenen gemeinsamen Sohn.

Im Mai 2000 wurde der Kläger zu 2) vom Amtsgericht Ottweiler wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. (vgl. Amtsgericht Ottweiler, Urteil vom 30.5.2000 – 68 Js 349/00/49 VRS 596/00 –, rechtskräftig seit 30.5.2000)

Im Mai 2002 wurde der Kläger zu 2) mit den Töchtern nach Pristina abgeschoben. Die gleichzeitig vorgesehene Abschiebung der Klägerin zu 1) und des Klägers zu 3) wurde mit Blick darauf, dass für letzteren am selben Tag ebenfalls ein Asylantrag gestellt worden war, nicht durchgeführt. (vgl. hierzu die Nachricht des Bundesgrenzschutzamts Flughafen Frankfurt/Main vom 8.5.2002) Der Antrag wurde im Juli 2002 abgelehnt; eine dagegen erhobene Klage wurde nach erfolglos gebliebenem Eilrechtsschutzverfahren zurückgenommen. (vgl. den Ablehnungsbescheid des Bundesamts vom 17.7.2002 – 2759497-138 – und den Einstellungsbeschluss des VG des Saarlandes vom 21.10.2002 – 10 K 313/02.A –) Ein erneuter Versuch, die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 3) abzuschieben, scheiterte im August 2002, weil diese nicht in der Wohnung angetroffen wurden.

Im Februar 2003 stellte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auf erneuten Antrag der Klägerin zu 1) vom September 2002 unter Hinweis auf deren Gesundheitszustand und eine fehlende Behandelbarkeit im Herkunftsland in ihrem Fall ein Abschiebungshindernis hinsichtlich der seinerzeitigen Bundesrepublik Jugoslawien fest. (vgl. den Bescheid vom 4.2.2003 – 5002531-138 –) Insoweit hatte die Klägerin zu 1) vorgetragen, sie leide an einer durch die Abschiebung von Familienangehörigen reaktivierten posttraumatischen Belastungsstörung, die eine regelmäßige psychotherapeutische Behandlung notwendig mache. Daraufhin beantragte der Kläger zu 2) die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis und reiste in der Folge, spätestens im September 2003, erneut in die Bundesrepublik ein. Auf seinen Antrag verpflichtete das Verwaltungsgericht die Ausländerbehörde, den Kläger zu 2) vorläufig nicht abzuschieben und ihm eine Duldung zu erteilen. (vgl. VG des Saarlandes, Beschluss vom 22.8.2003 – 10 F 21/03 –)

Nachdem zum einen das Gesundheitsamt beim (damals) Stadtverband B-Stadt im Juli 2003 aufgrund einer Untersuchung der Klägerin zu 1) deren individuelle Therapiefähigkeit verneint (vgl. das Schreiben vom 11.7.2003 in dem auf eine am 11.6.2003 durch Frau Dr. med. B. durchgeführte Begutachtung der Klägerin zu 1) Bezug genommen wurde) und zum anderen das Bundesamt auf eine Verbesserung der medizinischen Versorgung im Kosovo hingewiesen hatte, wurde der Feststellungsbescheid im Februar 2005 widerrufen. (vgl. den Widerrufsbescheid vom 1.2.2005 – 5081470-138 –) In der Begründung wurde auf eine zwischenzeitlich mögliche medikamentöse Behandlung der psychischen Erkrankung der Klägerin zu 1) im Kosovo verwiesen. Dagegen hat die Klägerin zu 1) erneut ein Rechtsbehelfsverfahren eingeleitet.

In dessen Verlauf wurden der Klägerin zu 1) und dem Kläger zu 3) im April 2005 jeweils befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt, die im April 2006 verlängert wurden. Gleichzeitig erhielt der Kläger zu 2) eine Aufenthaltserlaubnis. Am 18.10.2006 beantragten alle drei Kläger die Verlängerung und erhielten entsprechende Fiktionsbescheinigungen.

Im Februar 2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage der Klägerin zu 1) gegen den Widerrufsbescheid vom Februar 2005 abgewiesen. (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A –) Ein Rechtsmittel wurde nicht eingelegt.

Im März 2007 wurde der Kläger zu 2) wegen eines 2002 begangenen Betruges zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. (vgl. Amtsgericht Saarlouis, Strafbefehl vom 21.3.2007 – 49 VRS 7 Cs 270/07 –, rechtskräftig seit 4.5.2007)

Im April 2007 beantragten die Kläger dann zunächst die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 23 AufenthG. Nach dem zwischenzeitlichen Inkrafttreten der gesetzlichen Altfallregelung (§ 104a AufenthG) suchten sie im September 2007 schließlich um die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach dieser Regelung nach.

Nachdem bis zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung über die Anträge nicht ergangen war, haben die Kläger im Dezember 2007 die vorliegende Klage als Untätigkeitsklage erhoben.

Mit Bescheid vom 31.1.2008 lehnte der Beklagte sämtliche Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ab, forderte die Kläger zur Ausreise auf und drohte ihnen für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung an. In der Begründung ist ausgeführt, nach dem rechtskräftigen Abschluss des Widerrufsverfahrens sei davon auszugehen, dass das frühere Ausreisehindernis im Falle der Klägerin zu 1) nicht mehr vorliege, so dass eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen ausscheide. Die Kläger könnten ferner weder aus der früher im Erlasswege ergangenen Bleiberechtsregelung noch mit Blick auf die seit August 2007 geltende gesetzliche Altfallregelung Ansprüche auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen herleiten. Der einschlägige saarländische Bleiberechtserlass vom 20.12.2006 habe auch wirtschaftliche Integrationsanforderungen gestellt, wohingegen die Kläger nicht in der Lage seien, den Lebensunterhalt selbst sicherzustellen. Nach einer Mitteilung der Landeshauptstadt B-Stadt bezögen sie monatlich etwa 1.200,- EUR öffentliche Leistungen. Darüber hinaus seien diejenigen Ausländer von der Begünstigung ausgenommen, die – wie der Kläger zu 2) – wegen einer vorsätzlichen Straftat im Bundesgebiet verurteilt worden seien, wobei lediglich Geldstrafen bis zu 50 Tagessätzen unberücksichtigt bleiben könnten. Das schließe nach dem Erlass auch die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an Familienangehörige des Straftäters aus. Die strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers zu 2) stünden nach § 104a Abs. 1 Nr. 6 AufenthG auch einem Anspruch nach der nunmehr geltenden gesetzlichen Altfallregelung entgegen. Der Ausschluss erfasse nach § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG auch die mit dem Verurteilten in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen. Die Voraussetzungen besonderer Härtefallregelungen seien nicht gegeben. Ungeachtet ihres langjährigen Aufenthalts in Deutschland seien angesichts nur geringer Integrationsleistungen auch die Voraussetzungen nach Art. 8 EMRK nicht erfüllt.

Unter dem 27.6.2008 beantragte der Kläger zu 2) beim Bundesministerium der Justiz – Bundeszentralregisterbehörde – die vorzeitige Tilgung der Verurteilung aus dem Strafbefehl vom 21.3.2007. Dem Antrag wurde nicht entsprochen.

Im Juni 2008 hat das Verwaltungsgericht einen Antrag der Kläger zurückwiesen, den Antragsgegner zu verpflichten, „vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen … Abstand zu nehmen“. (vgl. den Beschluss vom 17.6.2008 – 10 L 209/08 –) Die Beschwerde gegen diese Entscheidung blieb erfolglos. (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)

Ende August 2008 wandten sich die Kläger an die Härtefallkommission des Saarlandes. Diese hat im Juli 2009 beschlossen, kein Härtefallersuchen an das zuständige Ministerium zu richten.

Die Kläger haben den Ablehnungsbescheid vom 31.1.2008 in ihr Begehren einbezogen und zur Begründung der Klage vorgetragen, die Klägerin zu 1) halte sich seit nunmehr 16 Jahren im Bundesgebiet auf und erfülle die Voraussetzungen gemäß § 104a AufenthG. Sie befinde sich weiterhin in psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung. Eine Rückkehr in den Kosovo sei ihr nicht zumutbar. Das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung gebiete die Annahme eines Härtefalls im Sinne § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Zu Unrecht habe der Beklagte insbesondere hinsichtlich des in Deutschland geborenen Klägers zu 3) eine ausreichende Integration in hiesige Lebensverhältnisse verneint. Letztendlich sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 2) erst im Jahre 2007 wegen einer bereits 2002 begangenen Tat mit einer Geldstrafe von „nur“ 60 Tagessätzen belegt worden sei. Warum dieser Strafbefehl erst 5 Jahre nach der Tatbegehung erlassen worden sei, sei nicht nachvollziehbar. Gemäß § 46 Abs. 1 Ziffer 1a) BZRG seien Geldstrafen von nicht mehr als 90 Tagessätzen nach 5 Jahren zu tilgen. Schließlich sei der Beklagte rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass nach Wegfall des Ausreisehindernisses der Klägerin zu 1) eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht in Betracht komme; insoweit sei eine Ermessensentscheidung zu treffen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zu 2) geltend gemacht, dass er seit 1.9.2008 bei der Landschaftsgärtnerei W in H beschäftigt sei und entsprechende Arbeits- sowie Lohnbescheinigungen vorgelegt.

Die Kläger haben beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids von 31.1.2008 zu verpflichten, die den Klägern erteilten Aufenthaltserlaubnisse zu verlängern bzw. ihnen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.

Der Beklagte hat auf seinen Ablehnungsbescheid Bezug genommen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Durch Urteil vom 26.2.2009 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es, ein Anspruch der Klägerin zu 1) auf Verlängerung der im April 2005 mit Blick auf das damals noch in Rede stehende, inzwischen nicht mehr vorliegende Abschiebungshindernis wegen ihrer Erkrankung und seinerzeit fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo erteilten Aufenthaltserlaubnis komme nicht in Betracht. Gleichzeitig seien damit die familienbedingten Ausreisehindernisse bei den Klägern zu 2) und 3) entfallen. Den Klägern stehe nach der im Rahmen des im Jahre 2008 durchgeführten Eilrechtsschutzverfahrens ergangenen Entscheidung des Senats (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58) auch kein sonstiges Bleiberecht nach § 25 Abs. 5 AufenthG oder unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK zu. Eine von der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung behauptete Suizidalität könne im Rahmen einer Vollstreckung der Ausreisepflicht Bedeutung erlangen. Ein Abschiebungsverbot im Sinne Art. 8 EMRK lasse sich für den Kläger zu 2) auch nicht aus nunmehr vorgelegten Arbeits- und Gehaltsbescheinigungen der Firma E herleiten. Da die Kläger während ihres gesamten bisherigen Aufenthalts in der Bundesrepublik auf öffentliche Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts angewiesen gewesen seien, lasse die nach der Arbeitsbescheinigung vom 23.2.2009 erst erwartete Vollzeitbeschäftigung mit einem monatlichen Bruttogehalt von 1.500,- EUR eine bereits abgeschlossene Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland nicht erkennen. Zudem sprächen die Vorstrafen des Klägers zu 2) gegen eine erfolgreiche soziale Integration. Darüber hinaus könne auch nicht von einer „Entwurzelung aus den Lebensverhältnissen des Heimat- bzw. Herkunftslandes“ ausgegangen werden. Ein Anspruch der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ergebe sich zudem weder aus der ministeriellen Bleiberechtsregelung vom Dezember 2006 noch aus der inzwischen an deren Stelle getretenen gesetzlichen Altfallregelung in § 104a AufenthG. In beiden Fällen stehe der Strafbefehl des Amtsgerichts Saarlouis vom 21.3.2007 entgegen, durch den der Kläger zu 2) wegen Betrugs mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen belegt worden sei. Entgegen der Ansicht der Kläger sei die bei Strafbefehlen mit dem Tag der Unterzeichnung durch den Richter beginnende Tilgungsfrist von fünf Jahren noch nicht abgelaufen, selbst wenn die Tat bereits 2002 begangen wurde. Der beim Bundesministerium der Justiz gestellte Antrag auf vorzeitige Tilgung sei abgelehnt worden, so dass die Bestrafung verwertbar sei. Daher scheide auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 3) aus. Insoweit lasse sich auch mit der fortbestehenden Erkrankung der Klägerin zu 1) kein besonderer Härtefall begründen. Die Zurechnung strafrechtlicher Verurteilungen an Familienmitglieder verfolge den legitimen Zweck, den Druck auf Ausländer zu erhöhen, in Deutschland keine Straftaten zu begehen und begegne von daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gelte auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, wenn die Zurechnung gegenüber dem mit dem straffällig gewordenen Ausländer in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten, für den es eine Härteregelung gebe, und gegenüber minderjährigen Kindern erfolge, die grundsätzlich das ausländerrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilten. Die Sonderregelung für Kinder ab 15 Jahren nach dem Bleiberechtserlass (Ziffer 3.3) oder nach § 104b AufenthG greife zugunsten des Klägers zu 3) nicht ein, da er zum 1.7.2007 das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe, eine Trennung von den Eltern nicht erfolgt sei und weil die Kläger zu 1) und 2) erklärtermaßen nicht bereit seien, Deutschland zu verlassen. (vgl. dazu die Gesprächsnotiz des Beklagten vom 14.9.2007, wonach die Kläger zu 1) und 2) nach Hinweis auf § 104b AufenthG ausdrücklich erklärten, zu einer freiwilligen Ausreise nicht bereit zu sein)

Das Urteil wurde dem Beklagten am 12.3.2009 zugestellt. Mit Eingang am 14.4.2009 – Dienstag nach Ostern 2009 – haben diese die vom Verwaltungsgericht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Sache im Hinblick auf die Zurechenbarkeit der Verurteilung des Klägers zu 2) gegenüber der Klägerin zu 1) und dem Kläger zu 3) zugelassene Berufung eingelegt.

Sie beziehen sich auf den erstinstanzlichen Vortrag und machen geltend, das Verwaltungsgericht habe die durch ein Gutachten feststellbare Suizidalität der Klägerin zu 1) zu Unrecht nicht berücksichtigt. Wenn insoweit irreparable Folgen absehbar im Raum stünden, könne man sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass darüber erst im Rahmen der Vollstreckung der Ausreisepflicht zu entscheiden sei. Zumindest liege ein Härtefall vor, der eine Zurechnung der Verurteilung des Klägers zu 2) ihr gegenüber nicht zulasse. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts könne aus seiner zu erwartenden Vollbeschäftigung sehr wohl auf eine gelungene Integration in die hiesigen Verhältnisse geschlossen werden. Der Kläger zu 2) habe sich „im Laufe der Jahre integriert“. Die verspätete Ahndung der bereits 2002 von ihm begangenen Straftat dürfe nicht zu seinen Lasten gehen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei es gerade im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin zu 1) selbstmordgefährdet sei, der Kläger zu 3) in Deutschland geboren sei und keinen Bezug zum Herkunftsland der Eltern habe, verfassungswidrig, auch geraume Zeit zurückliegende Straftaten des Ehemannes der Ehefrau und dem Kind zuzurechnen. Selbst wenn dies im Grundsatz verfassungsgemäß sein sollte, sei nach der Rechtsprechung des Senats eine gesonderte Betrachtung für den unbescholtenen Ehepartner geboten. (Die Kläger verweisen insoweit auf einen Beschluss des Senats vom 30.10.2007 – 2 D 390/07 –.)

Durch Beschluss vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 – hat der VGH Mannheim ein bei ihm anhängiges Berufungsverfahren ausgesetzt und die Sache dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt zur Klärung der Frage einer – vom vorlegenden Gericht angenommenen – Verfassungswidrigkeit des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach eine nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG beachtliche strafgerichtliche Verurteilung innerhalb einer häuslichen Gemeinschaft lebenden Angehörigen einer Familie anspruchsvernichtend zugerechnet wird. Vor dem Hintergrund haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung den Antrag gestellt,

das vorliegende Verfahren bis zur Entscheidung über den Vorlagebeschluss auszusetzen.

Die Kläger beantragen in der Sache,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 26.2.2009 – 10 K 2056/07 – den Bescheid des Beklagten vom 31.1.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihnen die erteilten Aufenthaltserlaubnisse zu verlängern beziehungsweise Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahren und der Verfahren VG 10 K 11/05.A, VG 10 L 209/08 und OVG 2 B 265/08 und der zugehörigen Verwaltungsakten Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

I.

Für die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung förmlich beantragte Aussetzung des Verfahrens ist am Maßstab des § 94 Satz 1 VwGO kein Raum. Die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit hängt nicht vom Bestehen oder Nichtbestehen eines „Rechtsverhältnisses“ ab, das Gegenstand des vom VGH Mannheim (vgl. dazu VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, InfAuslR 2009, 350, DÖV 2009, 727) eingeleiteten Vorlageverfahrens (Art 100 Abs. 1 GG) vor dem Bundesverfassungsgericht ist. Die insoweit notwendige Vorgreiflichkeit setzt voraus, dass sich für die Entscheidung eine „Vorfrage“ stellt, die Gegenstand des anderen Rechtsstreits ist. Das ist nicht bereits der Fall, wenn in dem anderen Rechtsstreit – wie hier dem Vorlageverfahren durch das Bundesverfassungsgericht – über dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden ist.

Geht man mit der überwiegenden Rechtsprechung davon aus, dass die Vorschrift aus Gründen der Prozessökonomie insbesondere in den Fällen entsprechend anwendbar ist, in denen es um die Frage der Gültigkeit einer für die Entscheidung wesentlichen Rechtsvorschrift geht, so sieht der Senat in Ausübung des ihm dann durch die Bestimmung eröffneten Ermessens von der beantragten Aussetzung ab. Maßgebliche Erwägungen hierfür sind, dass zum einen die ernsthaft nur in Betracht kommende Nichtigkeit der Altfallregelung (§ 104a AufenthG) insgesamt nicht im Sinne des Klagebegehrens anspruchsbegründend sein kann und zum anderen, dass sich die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Zurechnung im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG erheblicher Straftaten gegenüber mit dem Verurteilten in häuslicher Gemeinschaft lebende Familienangehörige aus Sicht des Senats klar – abweichend von dem genannten Vorlagebeschluss – beantworten lässt.

II.

Die vom Verwaltungsgericht nach Maßgabe der §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassene, auch ansonsten zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die auch aus Sicht des Senats hinsichtlich ihrer Zulässigkeit keinen durchgreifenden Bedenken unterliegende, zulässig in der Form der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) erhobene und daher auch nach Ergehen des Ablehnungsbescheids vom 31.1.2008 keinem Vorverfahrenserfordernis nach § 68 VwGO (mehr) unterliegende Klage zu Recht abgewiesen (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

A.

Die Kläger haben keine Ansprüche auf Verlängerung beziehungsweise Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen. Solche Ansprüche ergeben sich weder aus § 25 AufenthG (1.), noch aus administrativen oder (inzwischen) gesetzlichen Bleiberechtsreglungen für langjährig in Deutschland lebende Ausländer (2. und 3.).

1. Ein Anspruch der Kläger auf Erteilung oder Verlängerung (§ 8 AufenthG) von Aufenthaltserlaubnissen ergibt sich nicht aus § 25 AufenthG.

a. Der § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG können die Kläger, die alle drei erfolglos Asylverfahren in Deutschland durchlaufen haben, mangels dahingehender positiver Feststellung durch das in diesen Fällen allein zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegenüber der Ausländerbehörde von vorneherein nicht mit Erfolg geltend machen. (vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.11.2007 – 2 B 461/07 –, SKZ 2008, 102, Leitsatz Nr. 56, ständige Rechtsprechung) Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse standen im Übrigen allein im Fall der Klägerin zu 1) aufgrund einer bei ihr diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung und früher unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo im Raum. Dass davon nicht mehr ausgegangen kann, ist nach dem ausführlichen, sich zentral mit diesen Fragen beschäftigenden Urteil des Verwaltungsgerichts vom Februar 2007, (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A –) durch das die Klage der Klägerin zu 1) gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamts vom 1.2.2005 rechtskräftig abgewiesen worden ist, geklärt. Im Übrigen nicht ersichtliche zwischenzeitliche negative Veränderungen des Krankheitsbildes oder der medizinischen Versorgungssituation im Herkunftsland wären allenfalls im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gegenüber dem Bundesamt geltend zu machen.

Der Frage, inwieweit dem im Jahre 2002 in seine Heimat abgeschobenen und (wohl) kurze Zeit darauf wieder illegal eingereisten Kläger zu 2) nach zwischenzeitlicher Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Blick auf Art. 6 GG noch die Sperre des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen gehalten werden kann, bedarf daher keiner Vertiefung.

b. Die Voraussetzungen nach § 25 Abs. 5 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Danach kann einem Ausländer abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seiner Ausreise ein zwingendes dauerhaftes und von ihm nicht zu vertretendes Hindernis entgegensteht. Dies ist nicht erkennbar. Was die von den Klägern im Berufungsverfahren erneut als (inländisches) Ausreisehindernis eingewandte Suizidalität der Klägerin zu 1) betrifft, so hat der Senat bereits in dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren im Jahre 2008 klargestellt, dass die Ausländerbehörde bei ernsthaften Selbstmordabsichten eines Ausländers je nach den Gegebenheiten des Falles geeignete Vorkehrungen, unter anderem durch Sicherstellung einer ärztlichen Begleitung bei der Rückführung in das Heimatland, dafür zu treffen hat, dass sich der Gesundheitszustand durch den Abschiebevorgang nicht deutlich verschlechtert. (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58) Dies steht der Annahme einer dauerhaften rechtlichen und/oder tatsächlichen Unmöglichkeit der „Ausreise“ im Verständnis des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zwingend entgegen. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte aktuelle fachärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes (vgl. das Attest des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie P. vom 13.10.2009, Blatt 159 der Gerichtsakte) rechtfertigt keine andere Beurteilung dieser Frage. Diese bezieht sich, insbesondere was die Ausführungen zum Erfordernis einer weiteren intensiven Behandlung der psychischen Erkrankung angeht, ohnehin überwiegend auf die Frage der Sicherstellung der Fortführung einer solchen im Zielstaat der Abschiebung und ist insoweit hier nach dem zuvor Gesagten in diesem Verfahren nicht von Bedeutung. Soweit mit dem Hinweis auf ein „erneutes Auftreten suizidaler Gedanken“ bei der Klägerin zu 1) die Frage der Reisefähigkeit thematisiert wird, enthält das Attest keinerlei Hinweis auf neue Umstände oder eine (wesentliche) Veränderung gegenüber dem bisherigen Erkenntnisstand, der bereits Gegenstand mehrerer erfolgloser Eilrechtsschutzersuchen gewesen ist. (vgl. dazu insbesondere OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)

Eine „Unmöglichkeit“ der Ausreise im Sinne des Art. 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt einer Unzumutbarkeit der Ausreise der Kläger beziehungsweise ihrer Rückkehr in den Kosovo lässt sich auch nicht aus Art. 8 EMRK herleiten. Das hat das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats zutreffend begründet. Eine Aufenthaltsbeendigung kann nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das „Privatleben“ im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum „Aufnahmestaat“ verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem Inländer“ geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann.

Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines im Kindesalter eingereisten und in Deutschland aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter „faktischer Inländer“ kommt allenfalls in Betracht, wenn von seiner abgeschlossenen „gelungenen“ Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist es hingegen, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat. (vgl. dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 9.4.2009 – 2 B 318/09 –, und vom 24.6.2009 – 2 B 348/09 –) Eine „gelungene“ soziale und wirtschaftliche Integration kann im Falle der Kläger nicht angenommen werden. Die Kläger haben während ihres nun insgesamt über 16 Jahre währenden Aufenthalts in Deutschland durchgehend öffentliche Hilfen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch genommen. Eine isolierte Betrachtung des minderjährigen, in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Klägers zu 3) kommt in dem Zusammenhang nicht in Betracht. (vgl. auch hierzu bereits OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)

2. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Kläger ergibt sich ferner nicht aus der im Gefolge der 182. Sitzung der Innenminister und -senatoren vom 17.11.2006 auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassenen saarländischen Bleiberechtsregelung vom Dezember 2006 für im Bundesgebiet integrierte, aber ausreisepflichtige Ausländer (sog. Altfallregelung), (vgl. den Erlass des Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport vom 20.12.2006 – B 5 5510/1 Altfall -, betreffend das „Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige“) auf die die Kläger in ihrem Antrag vom April 2007 Bezug genommen haben.

Von daher muss nicht auf die in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Frage eingegangen werden, ob die Altfallregelungen der Länder bis zu einer formellen Aufhebung der einschlägigen Erlasse – wovon eine insoweit gesonderte Ablehnungsentscheidung enthaltende Bescheid des Beklagten vom 31.1.2008 offenbar ausgeht – neben § 104a AufenthG alternativ weiter anzuwenden sind. (vgl. einerseits OVG Hamburg, Urteil vom 29.1.2008 – 3 Bf 149/02 –, andererseits VGH Mannheim, Beschluss vom 28.4.2008 – 11 S 683/08 -, und OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.9.2007 – 11 B LB 69/07 –, DVBl. 2008, 57) Nach den Anwendungshinweisen des Ministeriums für Inneres und Sport zur gesetzlichen Altfallregelung (vgl. die „Hinweise zu den §§ 104a und b AufenthG“ des Ministeriums für Inneres und Sport vom 23.11.2007 – B 5 5510/AufenthG 104a/b, dort Nr. 1 zum „Verhältnis der gesetzlichen Altfallregelung zum IMK-Bleiberechtsbeschluss vom 17. November 2006“) (§§ 104a, 104b AufenthG) spricht indes vieles dafür, dass der Erlassgeber von der Ersetzung seiner bis dahin geltenden Regelung ausgegangen ist. Danach sind bis zum Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht beschiedene Anträge auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG im Verbindung mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 als solche auf Erteilung und Verlängerung (nunmehr) nach der gesetzlichen Altfallregelung zu behandeln.

Mit Blick auf die ministerielle Altfallregelung ist bereits zweifelhaft, ob die Kläger damals zum begünstigten Personenkreis des auf wegen der Unmöglichkeit ihrer Abschiebung geduldete abgelehnte Asylbewerber zielenden Erlasses vom 20.12.2006 gehörten. Dies hätte vorausgesetzt, dass am Stichtag (17.11.2006) eine Ausreisepflicht bestand (vgl. Ziffer 1.4 des Erlasses). Dem gegenüber waren den Klägern in den Jahren 2005/2006 mit Blick auf das Klageverfahren gegen den gegenüber der Klägerin zu 1) ergangenen Widerrufsbescheid des Bundesamts vom 1.2.2005 Aufenthaltserlaubnisse erteilt und dann ab Oktober 2006 aus Anlass der Verlängerungsanträge so genannte Fiktionsbescheinigungen ausgestellt worden. Auf Einzelheiten muss jedoch auch insoweit nicht eingegangen werden.

Auf ein Bleiberecht zielende Anordnungen der Obersten Landesbehörden nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vormals § 32 AuslG) aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland sind nicht wie Rechtssätze anzuwenden und auszulegen und begründen dementsprechend für die begünstigten Ausländer keine eigenständigen Rechtsansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die nur an den genannten gesetzlichen Zielvorgaben zu orientierende politische Entscheidung, ob die zuständigen Behörden eine solche Anordnung überhaupt erlassen und wie sie dabei den Personenkreis der begünstigten Ausländer abgrenzen, unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle und ein subjektiver Anspruch eines Ausländers auf Einbeziehung in eine entsprechende Anordnung oder gar (erst) auf Erlass einer solchen bestand nicht. Der einzelne Ausländer hat vielmehr - sofern eine entsprechende Anordnung getroffen wird – aus allgemein rechtsstaatlichen Gründen heraus nach Maßgabe des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung, für den allein die praktische Anwendung durch die zuständige Behörde bezogen auf das jeweilige Bundesland maßgebend ist. (vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 5.7.2006 – 2 Q 5/06 –, SKZ 2007, 45, Leitsatz Nr. 46, dort noch zur „Bleiberegelung für Asylbewerber und abgelehnte Vertriebenenbewerber mit langjährigem Aufenthalt“ des Ministeriums für Inneres und Sport vom 20.12.1999 – B 5-5510/1 Altfall – zur Umsetzung eines entsprechenden Beschlusses der Innenministerkonferenz vom 18./19.11.1999, „Altfallregelung“) Dem Vortrag der Kläger lässt sich nicht ansatzweise entnehmen, dass der Beklagte beziehungsweise das früher zuständige Landesamt für Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten in vom Sachverhalt her gleich gelagerten Fällen „willkürlich“ abweichend verfahren ist und Aufenthaltserlaubnisse erteilt hat.

Im Übrigen setzte die damalige Altfallregelung wie ihre Vorgänger in der detaillierten Ziffer 2 des Erlasses in aller Regel eine bereits gelungene soziale und insbesondere wirtschaftliche Integration zu dem im Erlass genannten Stichzeitpunkt des Beschlusses der Ministerrunde (17.11.2006) voraus. Eine solche lag bei den Klägern vor allem, was die Eigensicherung des Lebensunterhalts und damit die wirtschaftliche Eingliederung in hiesige Lebensverhältnisse betraf, ohne Zweifel nicht vor.

Darüber hinaus waren im Falle der Kläger auch in der Altfallregelung vom Dezember 2006 aufgeführte Ausschlussgründe (dazu Ziffer 3 des Erlasses) gegeben. Der Beklagte hat in seinem Bescheid vom 31.1.2008 zutreffend auf den Ausschlussgrund gemäß Ziffer 3.3 hingewiesen. Nach der Anwendungspraxis der Ausländerbehörde schloss die Verurteilung des Klägers zu 2) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen für Allgemeinstraftaten die Anwendung des Erlasses in seinem und auch im Falle seiner Familienangehörigen aus. Mit Blick auf den eingangs erwähnten rechtlichen Grundansatz ist dies in dem Zusammenhang jedenfalls nicht weiter zu hinterfragen.

3. Ansprüche der Kläger auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnisse ergeben sich schließlich auch nicht aus der seit dem 28.8.2007 geltenden gesetzlichen Altfallregelung der §§ 104a, 104b AufenthG. Sinn dieser Bestimmungen ist es, seit langem in Deutschland lebenden wirtschaftlich integrierten und nur geduldeten Ausländern, die sich in der Vergangenheit im Wesentlichen rechtstreu verhalten haben, durch die Einräumung befristeter Bleiberechte eine Perspektive für einen Verbleib in Deutschland zu geben und ihnen die Möglichkeit einzuräumen, im Bereich wirtschaftlicher Integrationsanforderungen bei Bedarf nachzubessern (§ 104a Abs. 1 Satz 1, Sätze 3 ff., Abs. 5 AufenthG). Personen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung noch nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit zu sichern, erhalten bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nach den dortigen Nr. 1 bis Nr. 6 eine Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die nach § 104a Abs. 1 Satz 3 AufenthG den Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen gleichgestellt wird. Die zeitlichen Vorgaben sollen nach der Vorstellung des Bundesgesetzgebers einen Anreiz zur Arbeitsplatzsuche schaffen und die Zuwanderung in die Sozialsysteme vermeiden. Sobald der Ausländer nachweist, dass er seinen Lebensunterhalt eigenständig zu sichern vermag, soll ihm bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt werden. (vgl. dazu Seite 202 der BT-Drucks. 16/5065 zu § 104a Abs. 1 E AufenthG) Bei gesichertem Lebensunterhalt wird die Aufenthaltserlaubnis im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AufenthG auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt (§ 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Die Vorschrift geht jedoch im Grundsatz von einer aufenthaltsrechtlichen „Klärung“ der in den Anwendungsbereich fallenden Altfälle bis Jahresende 2009 aus, sieht für die Fälle erfolgreicher oder Erfolg versprechender Integration dann eine Verlängerungsmöglichkeit um 2 Jahre vor und ist daher für den Fall der Kläger eigentlich schon zeitlich weitgehend „überholt“, (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 3, wonach die gesetzliche Altfallregelung – wie die bisherigen Bleiberechtserlasse der Länder – eine zeitlich durch den Stichtag 1.7.2007 begrenzte Maßnahme des Gesetzgebers darstellt, die nicht für die Zukunft immer wieder neu entstehende Altfälle erfassen will) sofern man nicht für die Fälle frühzeitiger Antragstellung durch den betroffenen Ausländer in einer – unterstellt – rechtswidrigen Ablehnung einen Folgenbeseitigungsansprüche auslösenden Umstand erblickt.

a. Den Klägern ist es bis heute nicht gelungen, den Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit zu sichern, so dass der weitergehende Anspruch nach § 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG aktuell offensichtlich ausscheidet. Der Kläger zu 2) hat zwar bereits im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens auf eine Anstellung bei der Landschaftsgärtnerei E in H hingewiesen und insoweit entsprechende Lohnbescheinigungen vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war allerdings unstreitig, dass es insoweit Probleme jedenfalls in der Vergangenheit bei einem Einsatz des Klägers zu 2) im Rahmen von Arbeitsaufträgen jenseits der Landesgrenzen, insbesondere im benachbarten Rheinland-Pfalz, gab und dass die Familie daher auch aktuell auf öffentliche Hilfen zum Lebensunterhalt angewiesen ist. (vgl. dazu den mit dem PKH-Antrag vorgelegten Bescheid des Regionalverbands Saarbrücken, Soziales Dienstleistungszentrum, vom 21.8.2009, wonach die Kläger derzeit Hilfen zum Lebensunterhalt nach § 2 AsylbLG in Höhe von 1.234,53 EUR erhalten)

b. Da die auch insoweit zusätzlich geltenden Anforderungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sind, steht den Klägern ferner kein Anspruch auf Erteilung der in dieser Altfallregelung vorgesehenen Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ zu.

Zwar dürften die in § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Integrationsvoraussetzungen eines ausreichendem Wohnraums (Nr. 1), hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse (Nr. 2) (Die in der Vorschrift angesprochenen mündlichen Deutschkenntnisse der Anforderungsstufe A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GERR), die von jedem – auch Familienmitglied – gesondert gefordert werden, erfordert nicht mehr, als dass sich der/die Betroffene in einfacher Art, etwa hinsichtlich der Angaben zu seiner Person und seiner Arbeit, mündlich verständlich machen kann.) und des Schulbesuchs des Klägers zu 3) – sofern überhaupt noch schulpflichtig – (Nr. 3) zu bejahen sein, und auch ein Terrorismusverdacht (Nr. 5) steht nicht in Rede. Handlungsweisen, die sich als vorsätzliche Behinderung oder Verzögerung einer Aufenthaltsbeendigung dem Tatbestand der Nr. 4 zuordnen ließen, hat der Beklagte den Klägern nicht entgegen gehalten.

Ebenso unstreitig muss indes hier nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen vom Vorliegen einer im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG erheblichen und nach den einschlägigen registerrechtlichen Vorschriften auch noch verwertbaren Bestrafung des Klägers zu 2) und damit eines Ausschlussgrundes im Sinne der gesetzlichen Altfallregelung ausgegangen werden. Dem Kläger zu 2) wurde durch Strafbefehl vom 21.3.2007 eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen auferlegt. Die inzwischen zwingende Unbeachtlichkeitsregelung für Geldstrafen bis 50 Tagessätzen greift wegen Überschreitens dieses vom Gesetzgeber „bagatellisierten“ Strafmaßes hier nicht ein. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist diese Vorstrafe im Sinne der einschlägigen Bestimmungen des Bundeszentralregistergesetzes unabhängig von dem bereits länger zurückliegenden Tatzeitpunkt im Jahr 2002 verwertbar (§§ 5 Abs. 1 Nr. 4, 46 Abs. 1 Nr. 1a, 51 BZRG). Der an den Zeitpunkt der Unterschrift des Richters unter den Strafbefehl anknüpfende Tilgungszeitraum von hier 5 Jahren ist noch nicht abgelaufen. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in dem Zusammenhang durch die Regelungen über Tilgungsfristen und Verwertungsverbote (§§ 46 Abs. 1, 51 Abs. 1 BZRG) Rechnung getragen. Da die für den Senat durchaus nachvollziehbare Besonderheit des langen Zwischenraums zwischen Tatbegehung und Bestrafung keinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, muss der Frage, auf welche Umstände dieser Zeitablauf zurückzuführen und welcher Verantwortungssphäre er zuzuordnen ist, nicht nachgegangen werden. Ein Antrag des Klägers zu 2) an das Bundesamt für Justiz – Bundeszentralregisterbehörde – auf vorzeitige Tilgung blieb erfolglos. Der entsprechende Tilgungsanspruch könnte – wenn er bestünde – nicht im vorliegenden Verfahren gegenüber der Ausländerbehörde geltend gemacht werden, da dieser insoweit keine Regelungsbefugnisse zustehen. Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen einen strikten Versagungsgrund im Rahmen der gesetzlichen Altfallregelung dar. (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.5.2009 – 2 B 330/09 –, im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 27.1.2009 – 1 C 40.07 –, DVBl. 2009, 650)

Nach dem Gesetzeswortlaut rechtfertigt die Verwirklichung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG auch die Versagung der Aufenthaltserlaubnis gegenüber mit dem Straftäter in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienmitgliedern (§ 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG), hier also gegenüber der Klägerin zu 1) als seiner Ehefrau und dem Kläger zu 3) als gemeinsamem (konkret minderjährigem) Kind.

Die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung ausführlich thematisierte und in der Literatur umstrittene Frage, ob diese Erstreckung der Wirkungen der Verurteilung auf die übrigen mit ihm zusammen lebenden Familienmitglieder (Schlagwort: „Sippenhaft“) verfassungsgemäß ist oder nicht, hat das Verwaltungsgericht – nach ihrer Verneinung – zur Zulassung der Berufung veranlasst. Ob es insoweit mit Blick auf die Grundrechte gerechtfertigt werden kann, was der Wortlaut zulässt, strafrechtliches Verhalten eines Kindes den mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Eltern oder gar seinen minderjährigen Geschwistern zuzurechnen, braucht hier nicht entschieden zu werden. (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, InfAuslR 2009, 350, DÖV 2009, 727) Die Verfassungsmäßigkeit einer Zurechnung unterliegt jedenfalls gegenüber der strafrechtlich selbst bisher nicht in Erscheinung getretenen Klägerin zu 1) als Ehefrau keinen durchgreifenden Bedenken. (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.1.2008 – 2 S 6.08 –, juris) Insbesondere weist die Bestimmung von ihrem eindeutig geschlechtsneutralen Wortlaut her keine am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 2 G) zu beanstandende Benachteiligung gerade von Ehefrauen auf. (vgl. insbesondere in dem Zusammenhang OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.11.2008 – 10 LA 260/08 –, NVwZ-RR 2009, 497)

Der Gesetzgeber hat mit der Altfallregelung 2007 eine bestimmte Gruppen von ausreisepflichtigen Ausländern begünstigende Regelung geschaffen, die das Aufenthaltsgesetz ansonsten nicht vorsieht und zu deren Erlass er weder verfassungs- noch völkerrechtlich verpflichtet ist. Dabei obliegt ihm ein weiter (gesetzgeberischer) Gestaltungsspielraum.

Die Argumentation des von den Klägern bereits im Zusammenhang mit dem Aussetzungsbegehren (§ 94 Satz 1 VwGO, dazu oben I.) in Bezug genommenen VGH Mannheim hinsichtlich der nach seiner Auffassung von dem Zurechnungsgebot in § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgenommenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften mit der Konsequenz einer vermeintlich verfassungswidrigen Ungleichbehandlung (Schlechterstellung) von Eheleuten oder allgemein heterosexuellen Partnerschaften, überzeugt nicht. Die Frage, wer „Familienmitglied“ im Sinne der Vorschrift ist, ist für den Bereich gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften durch den § 11 Abs. 1 LPartG klar beantwortet. Danach gilt ein Lebenspartner als „Familienangehöriger“ des anderen Partners. Die aus dem in der Vorschrift enthaltenen Vorbehalt abweichender gesetzlicher Regelung in Verbindung mit § 27 Abs. 2 AufenthG vom VGH Mannheim (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, DÖV 2009, 727, bei juris Rn 38, 39) hergeleitete Nichtanwendbarkeit auf formell verpartnerte Personen ist allein am Ergebnis orientiert und gebietet nicht zwingend, die Lebenspartner gerade im Sinne der Altfallregelung nicht als „Familienmitglieder“ zu behandeln.

Es verstößt ferner nicht gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) oder gegen das aus Art. 6 GG hergeleitete Verbot der Diskriminierung der Ehe, dass der Gesetzgeber nicht alle anderen nicht formellen Lebensgemeinschaften in die Regelung mit einbezogen hat, sondern bei § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG – wie auch in anderen Bereichen des Aufenthaltsrechts, etwa beim Familiennachzug – an die für einen sinnvollen Gesetzesvollzug als Anknüpfungspunkt in Betracht kommenden formellen Partnerschaften der Ehe oder – im gleichgeschlechtlichen Bereich – der eingetragenen Lebenspartnerschaft orientiert (§ 11 Abs. 1 LPartG). Die Vorschrift des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG spiegelt – bezogen auf die Ehefrau – die im Zusammenhang mit den Regelungen über den Familiennachzug (§§ 27 ff. AufenthG) an das Bestehen einer Ehe geknüpften Vergünstigungen wieder und schließt es beispielsweise aus, dass der strafrechtlich in Erscheinung getretene Ehegatte – sei es nun Mann oder Frau – sich nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Partner auf der Grundlage des Art. 6 GG dann doch ein eigenes Bleiberecht „auf Probe“ sichert.

Der schriftsätzlich als Argument für die aus Sicht der Kläger stattdessen vorzunehmende „gesonderte“ Beurteilung der einzelnen Familienmitglieder genannten Entscheidung des Senats (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 30.10.2007 – 2 D 390/07 –) lässt sich derartiges offensichtlich nicht entnehmen. Der Beschluss betraf eine – erfolgreiche – Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe und enthält lediglich einen knappen Verweis auf die Existenz der Härteregelung in § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG, indes nicht einmal eine Aussage zu deren Anwendbarkeit im dortigen Fall, stattdessen aber einen ausdrücklichen Hinweis auf den Grundsatz der Zurechnung von Verurteilungen im Satz 1.

Die verfassungskritische Literatur (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 58) und Rechtsprechung geht ferner im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die Annahme einer Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht unmittelbar zu einem Anspruch der selbst nicht straffällig gewordenen Familienangehörigen führt. Insoweit wird darauf verweisen, dass der Bundesgesetzgeber außerhalb seiner sich aus der Verfassung (Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (Art. 8 EMRK) ergebenden Verpflichtung zur Einräumung von Bleiberechten nicht gehindert sei, die „Altfallregelung“ gegebenenfalls insgesamt zu streichen, weshalb kein Fall der Teilnichtigkeit (nur) des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG angenommen werden könne. Von daher entzöge die Annahme der Verfassungswidrigkeit der Zurechnungsregel einem Anspruch der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG insgesamt die Grundlage. Vor dem Hintergrund ist die Frage aufzuwerfen, weshalb die Frage nach der Verfassungswidrigkeit in auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Altfallregelung gerichteten Rechtsstreitigkeiten – auch soweit nur Neubescheidungen begehrt werden – überhaupt gestellt (und beantwortet) werden müsste. Von daher gilt im Ergebnis letztlich zumindest in diesem Teilbereich nichts anderes als für die früheren ministeriellen Bleiberechtserlasse ungeachtet der „Hochzonung“ der Altfallregelung auf die Stufe des formellen Gesetzes. Eine Nichtanwendung isoliert des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch die Gerichte bedeutete einen Übergriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Erlass derartiger begünstigender Regelungen, die verfassungsrechtlich wiederum nur durch das Willkürverbot begrenzt wird. Das hat auch der VGH Mannheim in dem erwähnten Vorlageschluss so gesehen und die Vorlage nur mit Blick auf einen dort gestellten Antrag auf Neubescheidung für gerechtfertigt gehalten. (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, DÖV 2009, 727, bei juris Rn 51, 52) Diese Differenzierung ist indes nicht nachvollziehbar. Wäre gegebenenfalls von einer Gesamtnichtigkeit des § 104a AufenthG auszugehen und berücksichtigt man zusätzlich das Fehlen einer Verpflichtung des Gesetzgebers zum (erneuten) Erlass solcher Rechtsvorschriften zur Bereinigung von Altfällen jenseits der Gewährleistung der Integrationsgarantie des Art. 8 EMRK, so ist nicht einleuchtend, woraus sich ein Anspruch (auch nur) auf Bescheidung eines Antrags des Ausländers ergeben sollte.

Ausgehend von der rechtlichen Verbindlichkeit der Altfallregelung (§ 104a AufenthG) sollen Härtefälle nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, sofern es sich um eine besondere Härte handelt, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von der für Ehegatten geltenden Sonderregelung in § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgefangen werden. Eine solche „besondere“ Härte kann tatbestandlich in dem Zusammenhang allerdings sicher nicht bereits aus der Stellung des Zurechnungsadressaten als Ehefrau oder Ehemann hergeleitet werden, um auf diesem Wege das Zurechnungsgebot im Grundsatz zu relativieren. Sie kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn im konkreten („besonderen“) Einzelfall besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die mit der Befolgung der Ausreisepflicht für den Ehepartner verbundenen Konsequenzen sie oder ihn erheblich ungleich härter treffen als andere Ausländer oder Ausländerinnen in vergleichbarer Situation oder wenn die abgeurteilte Straftat gerade gegenüber dem Ehepartner begangen worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das gilt auch mit Blick auf die psychische Erkrankung der Klägerin zu 1). (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 60, wonach es eine Härte begründen soll, wenn der nicht straffällig gewordene Ehegatte eine in Deutschland eine lang dauernde Heilbehandlung durchläuft und ihm deren Abbruch nicht zugemutet werden kann) Insoweit ist ein Ende der Behandlungsbedürftigkeit nicht abzusehen und eine solche kann nach dem im Verfahren betreffend die Anfechtung des Widerrufsbescheids des Bundesamts vom 1.2.2005 ergangenen rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A – inzwischen auch im Herkunftsland erfolgen. Mit der Erkrankung im Zusammenhang steht die von der Klägerin zu 1) behauptete Selbstmordabsicht (Suizidalität), die auch im Rahmen des § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG keine andere Beurteilung rechtfertigt. Ebenso wenig lässt sich aus dem Verweis auf den zeitlichen Abstand zwischen Tatbegehung (2002) und Bestrafung des Klägers zu 2) ein „besonderer“ Härtefall herleiten. Diese Thematik wird gerade auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten durch die Bestimmungen in §§ 46 Abs. 1, 51 Abs. 1 BZRG über die zeitliche Verwertbarkeit der Einträge im Register abgedeckt. Ansprüche auf vorzeitige Tilgung sind – wie bereits ausgeführt – gegenüber der zuständigen Bundesbehörde geltend zu machen.

Bei den minderjährigen Kindern entspricht die Zurechnung der Straffälligkeit eines Elternteils nach § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Grundsatz, dass diese Kinder – wie hier der Kläger zu 3) – das aufenthaltsrechtliche Schicksal der Eltern teilen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der insoweit eine selbständige Beurteilung rechtfertigenden Sondervorschrift nach § 104b AufenthG liegen im Falle des Klägers zu 3) nicht vor. Das gilt bereits für die dort genannte Altersgrenze. Außerdem sind die Kläger zu 1) und 2) erklärtermaßen nicht zu einer „Ausreise“ bereit.

B.

Die in dem nach Erhebung der Klage ergangenen Ablehnungsbescheid vom 31.1.2008 unter Ziffern 4. bis 6. enthaltenen Maßnahmen der Ausreiseaufforderung unter Hinweis auf die Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG), der Abschiebungsandrohung für den Fall der Nichtbefolgung (§ 59 Abs. 1 AufenthG) wie auch der Hinweis auf die sich insoweit aus dem Gesetz ergebende Kostentragungspflicht (§ 66 Abs. 1 AufenthG) sind rechtlich nicht zu beanstanden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen mit Blick auf die höchstrichterlich bisher nicht entschiedene, in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zurechnungsregel des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Ungeachtet der sich aus dem Inhalt der Vorschrift, vor allem der Stichtagsregelung, ergebenden zeitlichen Vorgaben für die Behandlung und Klärung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Altfälle (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 3, wonach die gesetzliche Altfallregelung – wie die bisherigen Bleiberechtserlasse der Länder – eine zeitlich durch den Stichtag 1.7.2007 begrenzte Maßnahme des Gesetzgebers darstellt, die nicht für die Zukunft immer wieder neu entstehende Altfälle erfassen will) enthält die Bestimmung keine zeitliche Beschränkung hinsichtlich des gesetzlichen Anwendungsbefehls, so dass insofern nicht von „auslaufendem“ Recht ausgegangen werden kann.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 15.000,- EUR festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG, ebenso bereits die vorläufige Festsetzung im Beschluss vom 16.4.2009 – 2 A 329/09 –).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

I.

Für die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung förmlich beantragte Aussetzung des Verfahrens ist am Maßstab des § 94 Satz 1 VwGO kein Raum. Die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit hängt nicht vom Bestehen oder Nichtbestehen eines „Rechtsverhältnisses“ ab, das Gegenstand des vom VGH Mannheim (vgl. dazu VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, InfAuslR 2009, 350, DÖV 2009, 727) eingeleiteten Vorlageverfahrens (Art 100 Abs. 1 GG) vor dem Bundesverfassungsgericht ist. Die insoweit notwendige Vorgreiflichkeit setzt voraus, dass sich für die Entscheidung eine „Vorfrage“ stellt, die Gegenstand des anderen Rechtsstreits ist. Das ist nicht bereits der Fall, wenn in dem anderen Rechtsstreit – wie hier dem Vorlageverfahren durch das Bundesverfassungsgericht – über dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden ist.

Geht man mit der überwiegenden Rechtsprechung davon aus, dass die Vorschrift aus Gründen der Prozessökonomie insbesondere in den Fällen entsprechend anwendbar ist, in denen es um die Frage der Gültigkeit einer für die Entscheidung wesentlichen Rechtsvorschrift geht, so sieht der Senat in Ausübung des ihm dann durch die Bestimmung eröffneten Ermessens von der beantragten Aussetzung ab. Maßgebliche Erwägungen hierfür sind, dass zum einen die ernsthaft nur in Betracht kommende Nichtigkeit der Altfallregelung (§ 104a AufenthG) insgesamt nicht im Sinne des Klagebegehrens anspruchsbegründend sein kann und zum anderen, dass sich die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Zurechnung im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG erheblicher Straftaten gegenüber mit dem Verurteilten in häuslicher Gemeinschaft lebende Familienangehörige aus Sicht des Senats klar – abweichend von dem genannten Vorlagebeschluss – beantworten lässt.

II.

Die vom Verwaltungsgericht nach Maßgabe der §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassene, auch ansonsten zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die auch aus Sicht des Senats hinsichtlich ihrer Zulässigkeit keinen durchgreifenden Bedenken unterliegende, zulässig in der Form der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) erhobene und daher auch nach Ergehen des Ablehnungsbescheids vom 31.1.2008 keinem Vorverfahrenserfordernis nach § 68 VwGO (mehr) unterliegende Klage zu Recht abgewiesen (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

A.

Die Kläger haben keine Ansprüche auf Verlängerung beziehungsweise Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen. Solche Ansprüche ergeben sich weder aus § 25 AufenthG (1.), noch aus administrativen oder (inzwischen) gesetzlichen Bleiberechtsreglungen für langjährig in Deutschland lebende Ausländer (2. und 3.).

1. Ein Anspruch der Kläger auf Erteilung oder Verlängerung (§ 8 AufenthG) von Aufenthaltserlaubnissen ergibt sich nicht aus § 25 AufenthG.

a. Der § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG können die Kläger, die alle drei erfolglos Asylverfahren in Deutschland durchlaufen haben, mangels dahingehender positiver Feststellung durch das in diesen Fällen allein zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegenüber der Ausländerbehörde von vorneherein nicht mit Erfolg geltend machen. (vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.11.2007 – 2 B 461/07 –, SKZ 2008, 102, Leitsatz Nr. 56, ständige Rechtsprechung) Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse standen im Übrigen allein im Fall der Klägerin zu 1) aufgrund einer bei ihr diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung und früher unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo im Raum. Dass davon nicht mehr ausgegangen kann, ist nach dem ausführlichen, sich zentral mit diesen Fragen beschäftigenden Urteil des Verwaltungsgerichts vom Februar 2007, (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A –) durch das die Klage der Klägerin zu 1) gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamts vom 1.2.2005 rechtskräftig abgewiesen worden ist, geklärt. Im Übrigen nicht ersichtliche zwischenzeitliche negative Veränderungen des Krankheitsbildes oder der medizinischen Versorgungssituation im Herkunftsland wären allenfalls im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gegenüber dem Bundesamt geltend zu machen.

Der Frage, inwieweit dem im Jahre 2002 in seine Heimat abgeschobenen und (wohl) kurze Zeit darauf wieder illegal eingereisten Kläger zu 2) nach zwischenzeitlicher Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Blick auf Art. 6 GG noch die Sperre des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen gehalten werden kann, bedarf daher keiner Vertiefung.

b. Die Voraussetzungen nach § 25 Abs. 5 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Danach kann einem Ausländer abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seiner Ausreise ein zwingendes dauerhaftes und von ihm nicht zu vertretendes Hindernis entgegensteht. Dies ist nicht erkennbar. Was die von den Klägern im Berufungsverfahren erneut als (inländisches) Ausreisehindernis eingewandte Suizidalität der Klägerin zu 1) betrifft, so hat der Senat bereits in dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren im Jahre 2008 klargestellt, dass die Ausländerbehörde bei ernsthaften Selbstmordabsichten eines Ausländers je nach den Gegebenheiten des Falles geeignete Vorkehrungen, unter anderem durch Sicherstellung einer ärztlichen Begleitung bei der Rückführung in das Heimatland, dafür zu treffen hat, dass sich der Gesundheitszustand durch den Abschiebevorgang nicht deutlich verschlechtert. (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58) Dies steht der Annahme einer dauerhaften rechtlichen und/oder tatsächlichen Unmöglichkeit der „Ausreise“ im Verständnis des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zwingend entgegen. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte aktuelle fachärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes (vgl. das Attest des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie P. vom 13.10.2009, Blatt 159 der Gerichtsakte) rechtfertigt keine andere Beurteilung dieser Frage. Diese bezieht sich, insbesondere was die Ausführungen zum Erfordernis einer weiteren intensiven Behandlung der psychischen Erkrankung angeht, ohnehin überwiegend auf die Frage der Sicherstellung der Fortführung einer solchen im Zielstaat der Abschiebung und ist insoweit hier nach dem zuvor Gesagten in diesem Verfahren nicht von Bedeutung. Soweit mit dem Hinweis auf ein „erneutes Auftreten suizidaler Gedanken“ bei der Klägerin zu 1) die Frage der Reisefähigkeit thematisiert wird, enthält das Attest keinerlei Hinweis auf neue Umstände oder eine (wesentliche) Veränderung gegenüber dem bisherigen Erkenntnisstand, der bereits Gegenstand mehrerer erfolgloser Eilrechtsschutzersuchen gewesen ist. (vgl. dazu insbesondere OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)

Eine „Unmöglichkeit“ der Ausreise im Sinne des Art. 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt einer Unzumutbarkeit der Ausreise der Kläger beziehungsweise ihrer Rückkehr in den Kosovo lässt sich auch nicht aus Art. 8 EMRK herleiten. Das hat das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats zutreffend begründet. Eine Aufenthaltsbeendigung kann nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das „Privatleben“ im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum „Aufnahmestaat“ verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem Inländer“ geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann.

Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines im Kindesalter eingereisten und in Deutschland aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter „faktischer Inländer“ kommt allenfalls in Betracht, wenn von seiner abgeschlossenen „gelungenen“ Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist es hingegen, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat. (vgl. dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 9.4.2009 – 2 B 318/09 –, und vom 24.6.2009 – 2 B 348/09 –) Eine „gelungene“ soziale und wirtschaftliche Integration kann im Falle der Kläger nicht angenommen werden. Die Kläger haben während ihres nun insgesamt über 16 Jahre währenden Aufenthalts in Deutschland durchgehend öffentliche Hilfen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch genommen. Eine isolierte Betrachtung des minderjährigen, in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Klägers zu 3) kommt in dem Zusammenhang nicht in Betracht. (vgl. auch hierzu bereits OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)

2. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Kläger ergibt sich ferner nicht aus der im Gefolge der 182. Sitzung der Innenminister und -senatoren vom 17.11.2006 auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassenen saarländischen Bleiberechtsregelung vom Dezember 2006 für im Bundesgebiet integrierte, aber ausreisepflichtige Ausländer (sog. Altfallregelung), (vgl. den Erlass des Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport vom 20.12.2006 – B 5 5510/1 Altfall -, betreffend das „Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige“) auf die die Kläger in ihrem Antrag vom April 2007 Bezug genommen haben.

Von daher muss nicht auf die in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Frage eingegangen werden, ob die Altfallregelungen der Länder bis zu einer formellen Aufhebung der einschlägigen Erlasse – wovon eine insoweit gesonderte Ablehnungsentscheidung enthaltende Bescheid des Beklagten vom 31.1.2008 offenbar ausgeht – neben § 104a AufenthG alternativ weiter anzuwenden sind. (vgl. einerseits OVG Hamburg, Urteil vom 29.1.2008 – 3 Bf 149/02 –, andererseits VGH Mannheim, Beschluss vom 28.4.2008 – 11 S 683/08 -, und OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.9.2007 – 11 B LB 69/07 –, DVBl. 2008, 57) Nach den Anwendungshinweisen des Ministeriums für Inneres und Sport zur gesetzlichen Altfallregelung (vgl. die „Hinweise zu den §§ 104a und b AufenthG“ des Ministeriums für Inneres und Sport vom 23.11.2007 – B 5 5510/AufenthG 104a/b, dort Nr. 1 zum „Verhältnis der gesetzlichen Altfallregelung zum IMK-Bleiberechtsbeschluss vom 17. November 2006“) (§§ 104a, 104b AufenthG) spricht indes vieles dafür, dass der Erlassgeber von der Ersetzung seiner bis dahin geltenden Regelung ausgegangen ist. Danach sind bis zum Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht beschiedene Anträge auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG im Verbindung mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 als solche auf Erteilung und Verlängerung (nunmehr) nach der gesetzlichen Altfallregelung zu behandeln.

Mit Blick auf die ministerielle Altfallregelung ist bereits zweifelhaft, ob die Kläger damals zum begünstigten Personenkreis des auf wegen der Unmöglichkeit ihrer Abschiebung geduldete abgelehnte Asylbewerber zielenden Erlasses vom 20.12.2006 gehörten. Dies hätte vorausgesetzt, dass am Stichtag (17.11.2006) eine Ausreisepflicht bestand (vgl. Ziffer 1.4 des Erlasses). Dem gegenüber waren den Klägern in den Jahren 2005/2006 mit Blick auf das Klageverfahren gegen den gegenüber der Klägerin zu 1) ergangenen Widerrufsbescheid des Bundesamts vom 1.2.2005 Aufenthaltserlaubnisse erteilt und dann ab Oktober 2006 aus Anlass der Verlängerungsanträge so genannte Fiktionsbescheinigungen ausgestellt worden. Auf Einzelheiten muss jedoch auch insoweit nicht eingegangen werden.

Auf ein Bleiberecht zielende Anordnungen der Obersten Landesbehörden nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vormals § 32 AuslG) aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland sind nicht wie Rechtssätze anzuwenden und auszulegen und begründen dementsprechend für die begünstigten Ausländer keine eigenständigen Rechtsansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die nur an den genannten gesetzlichen Zielvorgaben zu orientierende politische Entscheidung, ob die zuständigen Behörden eine solche Anordnung überhaupt erlassen und wie sie dabei den Personenkreis der begünstigten Ausländer abgrenzen, unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle und ein subjektiver Anspruch eines Ausländers auf Einbeziehung in eine entsprechende Anordnung oder gar (erst) auf Erlass einer solchen bestand nicht. Der einzelne Ausländer hat vielmehr - sofern eine entsprechende Anordnung getroffen wird – aus allgemein rechtsstaatlichen Gründen heraus nach Maßgabe des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung, für den allein die praktische Anwendung durch die zuständige Behörde bezogen auf das jeweilige Bundesland maßgebend ist. (vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 5.7.2006 – 2 Q 5/06 –, SKZ 2007, 45, Leitsatz Nr. 46, dort noch zur „Bleiberegelung für Asylbewerber und abgelehnte Vertriebenenbewerber mit langjährigem Aufenthalt“ des Ministeriums für Inneres und Sport vom 20.12.1999 – B 5-5510/1 Altfall – zur Umsetzung eines entsprechenden Beschlusses der Innenministerkonferenz vom 18./19.11.1999, „Altfallregelung“) Dem Vortrag der Kläger lässt sich nicht ansatzweise entnehmen, dass der Beklagte beziehungsweise das früher zuständige Landesamt für Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten in vom Sachverhalt her gleich gelagerten Fällen „willkürlich“ abweichend verfahren ist und Aufenthaltserlaubnisse erteilt hat.

Im Übrigen setzte die damalige Altfallregelung wie ihre Vorgänger in der detaillierten Ziffer 2 des Erlasses in aller Regel eine bereits gelungene soziale und insbesondere wirtschaftliche Integration zu dem im Erlass genannten Stichzeitpunkt des Beschlusses der Ministerrunde (17.11.2006) voraus. Eine solche lag bei den Klägern vor allem, was die Eigensicherung des Lebensunterhalts und damit die wirtschaftliche Eingliederung in hiesige Lebensverhältnisse betraf, ohne Zweifel nicht vor.

Darüber hinaus waren im Falle der Kläger auch in der Altfallregelung vom Dezember 2006 aufgeführte Ausschlussgründe (dazu Ziffer 3 des Erlasses) gegeben. Der Beklagte hat in seinem Bescheid vom 31.1.2008 zutreffend auf den Ausschlussgrund gemäß Ziffer 3.3 hingewiesen. Nach der Anwendungspraxis der Ausländerbehörde schloss die Verurteilung des Klägers zu 2) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen für Allgemeinstraftaten die Anwendung des Erlasses in seinem und auch im Falle seiner Familienangehörigen aus. Mit Blick auf den eingangs erwähnten rechtlichen Grundansatz ist dies in dem Zusammenhang jedenfalls nicht weiter zu hinterfragen.

3. Ansprüche der Kläger auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnisse ergeben sich schließlich auch nicht aus der seit dem 28.8.2007 geltenden gesetzlichen Altfallregelung der §§ 104a, 104b AufenthG. Sinn dieser Bestimmungen ist es, seit langem in Deutschland lebenden wirtschaftlich integrierten und nur geduldeten Ausländern, die sich in der Vergangenheit im Wesentlichen rechtstreu verhalten haben, durch die Einräumung befristeter Bleiberechte eine Perspektive für einen Verbleib in Deutschland zu geben und ihnen die Möglichkeit einzuräumen, im Bereich wirtschaftlicher Integrationsanforderungen bei Bedarf nachzubessern (§ 104a Abs. 1 Satz 1, Sätze 3 ff., Abs. 5 AufenthG). Personen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung noch nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit zu sichern, erhalten bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nach den dortigen Nr. 1 bis Nr. 6 eine Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die nach § 104a Abs. 1 Satz 3 AufenthG den Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen gleichgestellt wird. Die zeitlichen Vorgaben sollen nach der Vorstellung des Bundesgesetzgebers einen Anreiz zur Arbeitsplatzsuche schaffen und die Zuwanderung in die Sozialsysteme vermeiden. Sobald der Ausländer nachweist, dass er seinen Lebensunterhalt eigenständig zu sichern vermag, soll ihm bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt werden. (vgl. dazu Seite 202 der BT-Drucks. 16/5065 zu § 104a Abs. 1 E AufenthG) Bei gesichertem Lebensunterhalt wird die Aufenthaltserlaubnis im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AufenthG auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt (§ 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Die Vorschrift geht jedoch im Grundsatz von einer aufenthaltsrechtlichen „Klärung“ der in den Anwendungsbereich fallenden Altfälle bis Jahresende 2009 aus, sieht für die Fälle erfolgreicher oder Erfolg versprechender Integration dann eine Verlängerungsmöglichkeit um 2 Jahre vor und ist daher für den Fall der Kläger eigentlich schon zeitlich weitgehend „überholt“, (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 3, wonach die gesetzliche Altfallregelung – wie die bisherigen Bleiberechtserlasse der Länder – eine zeitlich durch den Stichtag 1.7.2007 begrenzte Maßnahme des Gesetzgebers darstellt, die nicht für die Zukunft immer wieder neu entstehende Altfälle erfassen will) sofern man nicht für die Fälle frühzeitiger Antragstellung durch den betroffenen Ausländer in einer – unterstellt – rechtswidrigen Ablehnung einen Folgenbeseitigungsansprüche auslösenden Umstand erblickt.

a. Den Klägern ist es bis heute nicht gelungen, den Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit zu sichern, so dass der weitergehende Anspruch nach § 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG aktuell offensichtlich ausscheidet. Der Kläger zu 2) hat zwar bereits im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens auf eine Anstellung bei der Landschaftsgärtnerei E in H hingewiesen und insoweit entsprechende Lohnbescheinigungen vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war allerdings unstreitig, dass es insoweit Probleme jedenfalls in der Vergangenheit bei einem Einsatz des Klägers zu 2) im Rahmen von Arbeitsaufträgen jenseits der Landesgrenzen, insbesondere im benachbarten Rheinland-Pfalz, gab und dass die Familie daher auch aktuell auf öffentliche Hilfen zum Lebensunterhalt angewiesen ist. (vgl. dazu den mit dem PKH-Antrag vorgelegten Bescheid des Regionalverbands Saarbrücken, Soziales Dienstleistungszentrum, vom 21.8.2009, wonach die Kläger derzeit Hilfen zum Lebensunterhalt nach § 2 AsylbLG in Höhe von 1.234,53 EUR erhalten)

b. Da die auch insoweit zusätzlich geltenden Anforderungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sind, steht den Klägern ferner kein Anspruch auf Erteilung der in dieser Altfallregelung vorgesehenen Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ zu.

Zwar dürften die in § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Integrationsvoraussetzungen eines ausreichendem Wohnraums (Nr. 1), hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse (Nr. 2) (Die in der Vorschrift angesprochenen mündlichen Deutschkenntnisse der Anforderungsstufe A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GERR), die von jedem – auch Familienmitglied – gesondert gefordert werden, erfordert nicht mehr, als dass sich der/die Betroffene in einfacher Art, etwa hinsichtlich der Angaben zu seiner Person und seiner Arbeit, mündlich verständlich machen kann.) und des Schulbesuchs des Klägers zu 3) – sofern überhaupt noch schulpflichtig – (Nr. 3) zu bejahen sein, und auch ein Terrorismusverdacht (Nr. 5) steht nicht in Rede. Handlungsweisen, die sich als vorsätzliche Behinderung oder Verzögerung einer Aufenthaltsbeendigung dem Tatbestand der Nr. 4 zuordnen ließen, hat der Beklagte den Klägern nicht entgegen gehalten.

Ebenso unstreitig muss indes hier nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen vom Vorliegen einer im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG erheblichen und nach den einschlägigen registerrechtlichen Vorschriften auch noch verwertbaren Bestrafung des Klägers zu 2) und damit eines Ausschlussgrundes im Sinne der gesetzlichen Altfallregelung ausgegangen werden. Dem Kläger zu 2) wurde durch Strafbefehl vom 21.3.2007 eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen auferlegt. Die inzwischen zwingende Unbeachtlichkeitsregelung für Geldstrafen bis 50 Tagessätzen greift wegen Überschreitens dieses vom Gesetzgeber „bagatellisierten“ Strafmaßes hier nicht ein. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist diese Vorstrafe im Sinne der einschlägigen Bestimmungen des Bundeszentralregistergesetzes unabhängig von dem bereits länger zurückliegenden Tatzeitpunkt im Jahr 2002 verwertbar (§§ 5 Abs. 1 Nr. 4, 46 Abs. 1 Nr. 1a, 51 BZRG). Der an den Zeitpunkt der Unterschrift des Richters unter den Strafbefehl anknüpfende Tilgungszeitraum von hier 5 Jahren ist noch nicht abgelaufen. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in dem Zusammenhang durch die Regelungen über Tilgungsfristen und Verwertungsverbote (§§ 46 Abs. 1, 51 Abs. 1 BZRG) Rechnung getragen. Da die für den Senat durchaus nachvollziehbare Besonderheit des langen Zwischenraums zwischen Tatbegehung und Bestrafung keinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, muss der Frage, auf welche Umstände dieser Zeitablauf zurückzuführen und welcher Verantwortungssphäre er zuzuordnen ist, nicht nachgegangen werden. Ein Antrag des Klägers zu 2) an das Bundesamt für Justiz – Bundeszentralregisterbehörde – auf vorzeitige Tilgung blieb erfolglos. Der entsprechende Tilgungsanspruch könnte – wenn er bestünde – nicht im vorliegenden Verfahren gegenüber der Ausländerbehörde geltend gemacht werden, da dieser insoweit keine Regelungsbefugnisse zustehen. Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen einen strikten Versagungsgrund im Rahmen der gesetzlichen Altfallregelung dar. (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.5.2009 – 2 B 330/09 –, im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 27.1.2009 – 1 C 40.07 –, DVBl. 2009, 650)

Nach dem Gesetzeswortlaut rechtfertigt die Verwirklichung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG auch die Versagung der Aufenthaltserlaubnis gegenüber mit dem Straftäter in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienmitgliedern (§ 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG), hier also gegenüber der Klägerin zu 1) als seiner Ehefrau und dem Kläger zu 3) als gemeinsamem (konkret minderjährigem) Kind.

Die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung ausführlich thematisierte und in der Literatur umstrittene Frage, ob diese Erstreckung der Wirkungen der Verurteilung auf die übrigen mit ihm zusammen lebenden Familienmitglieder (Schlagwort: „Sippenhaft“) verfassungsgemäß ist oder nicht, hat das Verwaltungsgericht – nach ihrer Verneinung – zur Zulassung der Berufung veranlasst. Ob es insoweit mit Blick auf die Grundrechte gerechtfertigt werden kann, was der Wortlaut zulässt, strafrechtliches Verhalten eines Kindes den mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Eltern oder gar seinen minderjährigen Geschwistern zuzurechnen, braucht hier nicht entschieden zu werden. (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, InfAuslR 2009, 350, DÖV 2009, 727) Die Verfassungsmäßigkeit einer Zurechnung unterliegt jedenfalls gegenüber der strafrechtlich selbst bisher nicht in Erscheinung getretenen Klägerin zu 1) als Ehefrau keinen durchgreifenden Bedenken. (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.1.2008 – 2 S 6.08 –, juris) Insbesondere weist die Bestimmung von ihrem eindeutig geschlechtsneutralen Wortlaut her keine am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 2 G) zu beanstandende Benachteiligung gerade von Ehefrauen auf. (vgl. insbesondere in dem Zusammenhang OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.11.2008 – 10 LA 260/08 –, NVwZ-RR 2009, 497)

Der Gesetzgeber hat mit der Altfallregelung 2007 eine bestimmte Gruppen von ausreisepflichtigen Ausländern begünstigende Regelung geschaffen, die das Aufenthaltsgesetz ansonsten nicht vorsieht und zu deren Erlass er weder verfassungs- noch völkerrechtlich verpflichtet ist. Dabei obliegt ihm ein weiter (gesetzgeberischer) Gestaltungsspielraum.

Die Argumentation des von den Klägern bereits im Zusammenhang mit dem Aussetzungsbegehren (§ 94 Satz 1 VwGO, dazu oben I.) in Bezug genommenen VGH Mannheim hinsichtlich der nach seiner Auffassung von dem Zurechnungsgebot in § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgenommenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften mit der Konsequenz einer vermeintlich verfassungswidrigen Ungleichbehandlung (Schlechterstellung) von Eheleuten oder allgemein heterosexuellen Partnerschaften, überzeugt nicht. Die Frage, wer „Familienmitglied“ im Sinne der Vorschrift ist, ist für den Bereich gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften durch den § 11 Abs. 1 LPartG klar beantwortet. Danach gilt ein Lebenspartner als „Familienangehöriger“ des anderen Partners. Die aus dem in der Vorschrift enthaltenen Vorbehalt abweichender gesetzlicher Regelung in Verbindung mit § 27 Abs. 2 AufenthG vom VGH Mannheim (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, DÖV 2009, 727, bei juris Rn 38, 39) hergeleitete Nichtanwendbarkeit auf formell verpartnerte Personen ist allein am Ergebnis orientiert und gebietet nicht zwingend, die Lebenspartner gerade im Sinne der Altfallregelung nicht als „Familienmitglieder“ zu behandeln.

Es verstößt ferner nicht gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) oder gegen das aus Art. 6 GG hergeleitete Verbot der Diskriminierung der Ehe, dass der Gesetzgeber nicht alle anderen nicht formellen Lebensgemeinschaften in die Regelung mit einbezogen hat, sondern bei § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG – wie auch in anderen Bereichen des Aufenthaltsrechts, etwa beim Familiennachzug – an die für einen sinnvollen Gesetzesvollzug als Anknüpfungspunkt in Betracht kommenden formellen Partnerschaften der Ehe oder – im gleichgeschlechtlichen Bereich – der eingetragenen Lebenspartnerschaft orientiert (§ 11 Abs. 1 LPartG). Die Vorschrift des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG spiegelt – bezogen auf die Ehefrau – die im Zusammenhang mit den Regelungen über den Familiennachzug (§§ 27 ff. AufenthG) an das Bestehen einer Ehe geknüpften Vergünstigungen wieder und schließt es beispielsweise aus, dass der strafrechtlich in Erscheinung getretene Ehegatte – sei es nun Mann oder Frau – sich nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Partner auf der Grundlage des Art. 6 GG dann doch ein eigenes Bleiberecht „auf Probe“ sichert.

Der schriftsätzlich als Argument für die aus Sicht der Kläger stattdessen vorzunehmende „gesonderte“ Beurteilung der einzelnen Familienmitglieder genannten Entscheidung des Senats (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 30.10.2007 – 2 D 390/07 –) lässt sich derartiges offensichtlich nicht entnehmen. Der Beschluss betraf eine – erfolgreiche – Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe und enthält lediglich einen knappen Verweis auf die Existenz der Härteregelung in § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG, indes nicht einmal eine Aussage zu deren Anwendbarkeit im dortigen Fall, stattdessen aber einen ausdrücklichen Hinweis auf den Grundsatz der Zurechnung von Verurteilungen im Satz 1.

Die verfassungskritische Literatur (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 58) und Rechtsprechung geht ferner im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die Annahme einer Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht unmittelbar zu einem Anspruch der selbst nicht straffällig gewordenen Familienangehörigen führt. Insoweit wird darauf verweisen, dass der Bundesgesetzgeber außerhalb seiner sich aus der Verfassung (Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (Art. 8 EMRK) ergebenden Verpflichtung zur Einräumung von Bleiberechten nicht gehindert sei, die „Altfallregelung“ gegebenenfalls insgesamt zu streichen, weshalb kein Fall der Teilnichtigkeit (nur) des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG angenommen werden könne. Von daher entzöge die Annahme der Verfassungswidrigkeit der Zurechnungsregel einem Anspruch der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG insgesamt die Grundlage. Vor dem Hintergrund ist die Frage aufzuwerfen, weshalb die Frage nach der Verfassungswidrigkeit in auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Altfallregelung gerichteten Rechtsstreitigkeiten – auch soweit nur Neubescheidungen begehrt werden – überhaupt gestellt (und beantwortet) werden müsste. Von daher gilt im Ergebnis letztlich zumindest in diesem Teilbereich nichts anderes als für die früheren ministeriellen Bleiberechtserlasse ungeachtet der „Hochzonung“ der Altfallregelung auf die Stufe des formellen Gesetzes. Eine Nichtanwendung isoliert des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch die Gerichte bedeutete einen Übergriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Erlass derartiger begünstigender Regelungen, die verfassungsrechtlich wiederum nur durch das Willkürverbot begrenzt wird. Das hat auch der VGH Mannheim in dem erwähnten Vorlageschluss so gesehen und die Vorlage nur mit Blick auf einen dort gestellten Antrag auf Neubescheidung für gerechtfertigt gehalten. (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, DÖV 2009, 727, bei juris Rn 51, 52) Diese Differenzierung ist indes nicht nachvollziehbar. Wäre gegebenenfalls von einer Gesamtnichtigkeit des § 104a AufenthG auszugehen und berücksichtigt man zusätzlich das Fehlen einer Verpflichtung des Gesetzgebers zum (erneuten) Erlass solcher Rechtsvorschriften zur Bereinigung von Altfällen jenseits der Gewährleistung der Integrationsgarantie des Art. 8 EMRK, so ist nicht einleuchtend, woraus sich ein Anspruch (auch nur) auf Bescheidung eines Antrags des Ausländers ergeben sollte.

Ausgehend von der rechtlichen Verbindlichkeit der Altfallregelung (§ 104a AufenthG) sollen Härtefälle nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, sofern es sich um eine besondere Härte handelt, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von der für Ehegatten geltenden Sonderregelung in § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgefangen werden. Eine solche „besondere“ Härte kann tatbestandlich in dem Zusammenhang allerdings sicher nicht bereits aus der Stellung des Zurechnungsadressaten als Ehefrau oder Ehemann hergeleitet werden, um auf diesem Wege das Zurechnungsgebot im Grundsatz zu relativieren. Sie kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn im konkreten („besonderen“) Einzelfall besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die mit der Befolgung der Ausreisepflicht für den Ehepartner verbundenen Konsequenzen sie oder ihn erheblich ungleich härter treffen als andere Ausländer oder Ausländerinnen in vergleichbarer Situation oder wenn die abgeurteilte Straftat gerade gegenüber dem Ehepartner begangen worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das gilt auch mit Blick auf die psychische Erkrankung der Klägerin zu 1). (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 60, wonach es eine Härte begründen soll, wenn der nicht straffällig gewordene Ehegatte eine in Deutschland eine lang dauernde Heilbehandlung durchläuft und ihm deren Abbruch nicht zugemutet werden kann) Insoweit ist ein Ende der Behandlungsbedürftigkeit nicht abzusehen und eine solche kann nach dem im Verfahren betreffend die Anfechtung des Widerrufsbescheids des Bundesamts vom 1.2.2005 ergangenen rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A – inzwischen auch im Herkunftsland erfolgen. Mit der Erkrankung im Zusammenhang steht die von der Klägerin zu 1) behauptete Selbstmordabsicht (Suizidalität), die auch im Rahmen des § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG keine andere Beurteilung rechtfertigt. Ebenso wenig lässt sich aus dem Verweis auf den zeitlichen Abstand zwischen Tatbegehung (2002) und Bestrafung des Klägers zu 2) ein „besonderer“ Härtefall herleiten. Diese Thematik wird gerade auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten durch die Bestimmungen in §§ 46 Abs. 1, 51 Abs. 1 BZRG über die zeitliche Verwertbarkeit der Einträge im Register abgedeckt. Ansprüche auf vorzeitige Tilgung sind – wie bereits ausgeführt – gegenüber der zuständigen Bundesbehörde geltend zu machen.

Bei den minderjährigen Kindern entspricht die Zurechnung der Straffälligkeit eines Elternteils nach § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Grundsatz, dass diese Kinder – wie hier der Kläger zu 3) – das aufenthaltsrechtliche Schicksal der Eltern teilen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der insoweit eine selbständige Beurteilung rechtfertigenden Sondervorschrift nach § 104b AufenthG liegen im Falle des Klägers zu 3) nicht vor. Das gilt bereits für die dort genannte Altersgrenze. Außerdem sind die Kläger zu 1) und 2) erklärtermaßen nicht zu einer „Ausreise“ bereit.

B.

Die in dem nach Erhebung der Klage ergangenen Ablehnungsbescheid vom 31.1.2008 unter Ziffern 4. bis 6. enthaltenen Maßnahmen der Ausreiseaufforderung unter Hinweis auf die Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG), der Abschiebungsandrohung für den Fall der Nichtbefolgung (§ 59 Abs. 1 AufenthG) wie auch der Hinweis auf die sich insoweit aus dem Gesetz ergebende Kostentragungspflicht (§ 66 Abs. 1 AufenthG) sind rechtlich nicht zu beanstanden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen mit Blick auf die höchstrichterlich bisher nicht entschiedene, in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zurechnungsregel des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Ungeachtet der sich aus dem Inhalt der Vorschrift, vor allem der Stichtagsregelung, ergebenden zeitlichen Vorgaben für die Behandlung und Klärung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Altfälle (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 3, wonach die gesetzliche Altfallregelung – wie die bisherigen Bleiberechtserlasse der Länder – eine zeitlich durch den Stichtag 1.7.2007 begrenzte Maßnahme des Gesetzgebers darstellt, die nicht für die Zukunft immer wieder neu entstehende Altfälle erfassen will) enthält die Bestimmung keine zeitliche Beschränkung hinsichtlich des gesetzlichen Anwendungsbefehls, so dass insofern nicht von „auslaufendem“ Recht ausgegangen werden kann.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 15.000,- EUR festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG, ebenso bereits die vorläufige Festsetzung im Beschluss vom 16.4.2009 – 2 A 329/09 –).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Einem geduldeten Ausländer soll abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und er

1.
über ausreichenden Wohnraum verfügt,
2.
über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt,
3.
bei Kindern im schulpflichtigen Alter den tatsächlichen Schulbesuch nachweist,
4.
die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat,
5.
keine Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen hat und diese auch nicht unterstützt und
6.
nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben.
Wenn der Ausländer seinen Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit sichert, wird die Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 erteilt. Im Übrigen wird sie nach Satz 1 erteilt; sie gilt als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5; die §§ 9 und 26 Abs. 4 finden keine Anwendung. Von der Voraussetzung des Satzes 1 Nr. 2 kann bis zum 1. Juli 2008 abgesehen werden. Von der Voraussetzung des Satzes 1 Nr. 2 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen nicht erfüllen kann.

(2) Dem geduldeten volljährigen ledigen Kind eines geduldeten Ausländers, der sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat, kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 erteilt werden, wenn es bei der Einreise minderjährig war und gewährleistet erscheint, dass es sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. Das Gleiche gilt für einen Ausländer, der sich als unbegleiteter Minderjähriger seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und bei dem gewährleistet erscheint, dass er sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann.

(3) Hat ein in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 begangen, führt dies zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift für andere Familienmitglieder. Satz 1 gilt nicht für den Ehegatten eines Ausländers, der Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 begangen hat, wenn der Ehegatte die Voraussetzungen des Absatzes 1 im Übrigen erfüllt und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, ihm den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Sofern im Ausnahmefall Kinder von ihren Eltern getrennt werden, muss ihre Betreuung in Deutschland sichergestellt sein.

(4) Die Aufenthaltserlaubnis kann unter der Bedingung erteilt werden, dass der Ausländer an einem Integrationsgespräch teilnimmt oder eine Integrationsvereinbarung abgeschlossen wird.

(5) Die Aufenthaltserlaubnis wird mit einer Gültigkeit bis zum 31. Dezember 2009 erteilt. Sie soll um weitere zwei Jahre als Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 verlängert werden, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers bis zum 31. Dezember 2009 überwiegend eigenständig durch Erwerbstätigkeit gesichert war oder wenn der Ausländer mindestens seit dem 1. April 2009 seinen Lebensunterhalt nicht nur vorübergehend eigenständig sichert. Für die Zukunft müssen in beiden Fällen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Lebensunterhalt überwiegend gesichert sein wird. Im Fall des Absatzes 1 Satz 4 wird die Aufenthaltserlaubnis zunächst mit einer Gültigkeit bis zum 1. Juli 2008 erteilt und nur verlängert, wenn der Ausländer spätestens bis dahin nachweist, dass er die Voraussetzung des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 2 erfüllt. § 81 Abs. 4 findet keine Anwendung.

(6) Bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis kann zur Vermeidung von Härtefällen von Absatz 5 abgewichen werden. Dies gilt bei

1.
Auszubildenden in anerkannten Lehrberufen oder in staatlich geförderten Berufsvorbereitungsmaßnahmen,
2.
Familien mit Kindern, die nur vorübergehend auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind,
3.
Alleinerziehenden mit Kindern, die vorübergehend auf Sozialleistungen angewiesen sind, und denen eine Arbeitsaufnahme nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht zumutbar ist,
4.
erwerbsunfähigen Personen, deren Lebensunterhalt einschließlich einer erforderlichen Betreuung und Pflege in sonstiger Weise ohne Leistungen der öffentlichen Hand dauerhaft gesichert ist, es sei denn, die Leistungen beruhen auf Beitragszahlungen,
5.
Personen, die am 31. Dezember 2009 das 65. Lebensjahr vollendet haben, wenn sie in ihrem Herkunftsland keine Familie, dafür aber im Bundesgebiet Angehörige (Kinder oder Enkel) mit dauerhaftem Aufenthalt bzw. deutscher Staatsangehörigkeit haben und soweit sichergestellt ist, dass für diesen Personenkreis keine Sozialleistungen in Anspruch genommen werden.

(7) Die Länder dürfen anordnen, dass aus Gründen der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis nach den Absätzen 1 und 2 Staatsangehörigen bestimmter Staaten zu versagen ist. Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn

1.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
2.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. August 2004 -11 K 2450/03 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 wird insgesamt aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein im Jahr 1950 geborener indischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Rücknahme seiner Aufenthaltsberechtigung und seine Ausweisung. Er reiste im Jahr 1979 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er erfolglos einen Asylantrag stellte. Dabei gab er an, verheiratet zu sein und einen Sohn zu haben. Am ...1985 heiratete er eine im Jahr 1939 geborene deutsche Staatsangehörige und erhielt am 28.2.1985 eine Aufenthaltserlaubnis sowie am 19.3.1991 eine Aufenthaltsberechtigung. Im Zusammenhang mit der Eheschließung legte er mehrere Schriftstücke vor, wonach seine indische Ehefrau im Jahr 1984 verstorben sei. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau wurde im Jahr 1998 geschieden. Am 14.6.2000 beantragte eine Inderin namens „K. K.“ in New Delhi die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um als Ehefrau des Klägers mit diesem in Deutschland zusammenzuleben. Als Geburtsdatum gab sie den ...1966 an, als Heiratsdatum den ...1999. Mit Schreiben vom 30.10.2000 teilte die deutsche Botschaft New Delhi der Beklagten mit, dass diese Ehe schon seit über 18 Jahren bestehe und drei Kinder daraus hervorgegangen seien. Mit Schriftsatz seines damaligen Rechtsanwalts vom 5.3.2002 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten u. a., da ein von ihm eingeleitetes Verfahren auf Familiennachzug nicht vorangekommen sei, habe er auf Anraten Dritter und maßgebliches Betreiben seiner damaligen Arbeitgeberin diese geheiratet und der Wahrheit zuwider angegeben, seine 1978 geheiratete (indische) Frau sei verstorben. Mit dieser Heirat habe verhindert werden sollen, dass er ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verliere. Vor der Heirat habe er beim Standesamt Stuttgart-Bernhausen eine Bescheinigung über den Tod seiner (indischen) Ehefrau vorlegen müssen, die auch über die Deutsche Botschaft New Delhi auf Betreiben seiner fragwürdigen Berater beschafft und beim Standesamt vorgelegt worden sei.
Mit Verfügung vom 9.7.2002 nahm die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers zurück (Nr.1) und wies ihn unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 2 und 3). Gleichzeitig drohte sie ihm die Abschiebung nach Indien an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Rechtsgrundlage der Rücknahme sei § 48 LVwVfG. Hätte der Kläger nicht beim Standesamt bewusst falsche Unterlagen bei der Bestellung des Aufgebots für die Eheschließung vorgelegt, hätte er auch nicht bigamistisch heiraten können. Ihm wäre aufgrund der Eheschließung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Die Aufenthaltsberechtigung sei nur erteilt worden, weil die Behörde davon ausgegangen sei, dass er rechtmäßig verheiratet und aufgrund der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau der Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt sei. Die erteilte Aufenthaltsberechtigung sei daher nach § 48 LVwVfG zurückzunehmen. Nach § 45 Abs. 1 AuslG könne ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige. Es sei das schutzwürdige Interesse des Klägers an einem zukünftigen Aufenthalt im Bundesgebiet gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwägen und auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zu prüfen. Danach sei die Ausweisung gerechtfertigt.
Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart über den Widerspruch des Klägers nicht entschieden hatte, erhob er am 16.6.2003 Klage.
Mit ohne mündliche Verhandlung ergangenem Urteil vom 31.8.2004 hat das Verwaltungsgericht die Ausweisung in der Verfügung vom 9.7.2002 (Nr. 2 und 3) aufgehoben und die Klage im übrigen (Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung und Abschiebungsandrohung) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Rücknahmeverfügung sei rechtmäßig. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sei rechtswidrig gewesen, weil ein Ausweisungsgrund vorgelegen habe, der durch Erteilung der vorausgegangenen Aufenthaltserlaubnis nicht verbraucht gewesen sei. Der Kläger habe - ungeachtet einer Strafbarkeit wegen der umstrittenen Doppelehe - eine Urkundenfälschung begangen, nämlich beim Standesamt zum Zweck der Eheschließung mit unstreitig falschen Belegen über den Tod seiner Ehefrau eine unechte oder verfälschte Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Damit habe er auch unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen. Diese Taten dürften zwar schon bei Erteilung der Aufenthaltsberechtigung verjährt gewesen sein, seien jedoch auch nach sieben Jahren als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i. S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei eingehalten, denn die Ausländerbehörde habe frühestens mit dem Bericht der deutschen Botschaft vom 12.7.2001, möglicherweise erst nach Anhörung des Klägers hinreichende Kenntnis von die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlangt. Die Rücknahme selbst lasse zwar keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar Zweifel an einer Ermessensentscheidung überhaupt aufkommen. Zu berücksichtigen sei aber, dass der Bescheid zuvor die Ermessensvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG wiedergebe, einen Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 annehme und ausführe, dass ohne die Täuschung des Standesamtes und der Ausländerbehörde keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden wäre. Damit sei die Beklagte von einer Ermessensermächtigung und möglicherweise von einem Fall ausgegangen, in dem es keiner weiteren Ermessenserwägungen bedürfe. Dies sei bei einer Ermessensreduzierung und nach den Grundsätzen über das gelenkte bzw. intendierte Ermessen nicht zu beanstanden und werde etwa für die Fälle des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG angenommen, liege somit auch für den Fall des § 48 Abs. 4 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG nahe. Ob ein solcher Fall vorliege, könne aber auch in diesem Zusammenhang dahinstehen, denn die Beklagte habe bei der anschließend begründeten Ausweisung Ermessenserwägungen dargelegt, die für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien. Bei entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 2 AuslG habe allerdings die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben, und die Zeit davor sei nur von Bedeutung, soweit über die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung hinaus Konsequenzen für den weiteren Aufenthalt gezogen würden - hier mit der Ausweisung selbst. Im übrigen habe die Beklagte zutreffend und unwidersprochen angeführt, dass außer der Erwerbstätigkeit seit 1979 keine besonderen Bindungen des Klägers in Deutschland vorgetragen oder ersichtlich seien, die Familie vielmehr im Heimatland lebe, und eine etwaige Abschiebung nicht unmöglich sei. Bezüglich der Ausweisung sei die Klage jedoch begründet. Die Beklagte habe nicht erkennbar gewürdigt, dass der Kläger seit 28.2.1984 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt habe, was in eine Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise und Fernhaltung des Klägers einerseits und dessen privater Belange andererseits mit dem gebührenden Gewicht hätte einbezogen werden müssen.
Gegen das am 8.9.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.9.2004 die Zulassung der Berufung beantragt, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Mit Beschluss vom 22.11. 2005 hat der Senat die Berufung zugelassen.
Mit am 7.12.2005 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Berufung begründet. Zur Begründung führt er aus: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er - abgesehen von der umstrittenen Frage einer Doppelehe (§ 172 StGB) - eine Urkundenfälschung begangen (§ 267 Abs. 1 StGB) und unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt habe, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen, was als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i.S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten sei. Eine Urkundenfälschung habe hier nicht vorgelegen. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG fehle es jedenfalls an der Kausalität zwischen der falschen Behauptung einerseits und einem ausländerrechtlich unrichtigen Ergebnis andererseits. Denn die von ihm in Indien geschlossene Ehe sei wegen des Alters seiner Ehefrau unwirksam gewesen, weshalb es an einer nach deutschem Recht anerkennungsfähigen Ehe gefehlt habe. Die Beklagte habe bei der Rücknahme auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG nicht eingehalten. Zudem fehle es insoweit an der Ermessensausübung. Im angegriffenen Bescheid werde ausgeführt, dass die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung „zurückzunehmen ist“. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könnten die Erwägungen, welche die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung bei der Ausweisung angestellt habe, nicht auf die Rücknahmeentscheidung übertragen werden. Dies gelte umso mehr, als die Ermessenserwägungen auch die Ausweisung nicht getragen hätten. Bei der Ermessensausübung müsse auch berücksichtigt werden, dass er seit dem 8.4.1979 in der Bundesrepublik Deutschland lebe und dass es daher äußerst fragwürdig sei, ob er sich in Indien noch einmal einleben könne. Er habe auch über fast den gesamten Zeitraum seines Aufenthalts in der Bundesrepublik in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden. Mit seiner Arbeit habe er nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch seine Familienangehörigen in Indien unterstützt und damit zu deren Überleben beigetragen. Eine Rückkehr würde für ihn und seine Familie auch einen Absturz ins wirtschaftliche und soziale „Nichts“ bedeuten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.8.2004 - 11 K 2450/03 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 insgesamt aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Berufung zurückzuweisen.
11 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
12 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart verwiesen. Sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

 
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Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Gründe

 
13 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Sonstige Literatur

 
42 
Rechtsmittelbelehrung
43 
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
44 
Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, 68165 Mannheim oder Postfach 10 32 64, 68032 Mannheim, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen.
45 
Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
46 
In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
47 
Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
48 
Beschluss vom 11.1.2006
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 72 Nr.1 GKG i. d. F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718).
50 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 – wird der Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 30.7.1977 in Algerien geborene Kläger begehrt die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Rechtsvorgängers des Beklagten.

Der Kläger reiste 23.1.1985 mit seiner Mutter zu seinem aufenthaltsberechtigten Vater in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Auf seinen Antrag vom 2.8.1993 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Durch Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 22.2.1996 - 24-9/96 / 21 Js 453/95 - wurde er des Diebstahls in drei Fällen, darüber hinaus eines tatmehrheitlich begangenen besonders schweren Falles des Diebstahles für schuldig befunden, von Strafe wurde jedoch abgesehen und ihm wurde aufgegeben, 40 unentgeltliche Arbeitsstunden zu leisten und eine Geldbuße in Höhe von 400,-- DM zu zahlen.

Ferner wurde er durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Daraufhin wies ihn die damals zuständige Ausländerbehörde mit Bescheid vom 5.10.2005 nach vorheriger Anhörung gemäß §§ 53 Nr. 2, 56 I 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG aus, wies auf das Erlöschen der ihm erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes und die damit gegebene Ausreisepflicht hin und drohte ihm die Abschiebung nach Algerien beziehungsweise in einen anderen Staat an, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe. Die Behörde führte hierzu im Wesentlichen aus, von der Setzung einer Ausreisefrist sei mit Blick auf die Inhaftierung des Klägers Abstand genommen worden. Aus der Urteilsbegründung gehe eine langjährige „Drogenkarriere“ hervor, wobei der Kläger nicht nur über einen recht langen Zeitraum hinweg selbst Betäubungsmittel konsumiert, sondern etwa ab Anfang 2004 auch mit Betäubungsmitteln gehandelt habe. Ausdrücklich gewürdigt habe das Strafgericht bei der Strafbemessung zu seinen Gunsten die von ihm geleistete Aufklärungshilfe im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen sowie sein vollumfängliches Geständnis. Durch seine Hinweise hätten weitere Taten aufgeklärt und so Teile der gehandelten Betäubungsmittel noch sichergestellt werden können. Auch seine Einsicht in das Unrechte seines Tuns sei positiv gewürdigt worden. Strafverschärfend sei allerdings gewesen, dass ein Handel in solch großen Mengen erfolgt sei. Insgesamt sei jedoch eine sehr empfindliche Freiheitsstrafe gegen den als Ersttäter eingestuften Kläger verhängt worden. Die Gelegenheit, im Rahmen der Anhörung positive Aspekte in das Verfahren einzubringen, habe er nicht genutzt. Daher müsse es bei seiner Einschätzung verbleiben, dass keine die Regelausweisungsentscheidung überwindenden Ausnahmegründe bei dem Kläger vorlägen und der Ausländerbehörde daher bei der zu treffenden Entscheidung kein Ermessen zustehe. Unabhängig davon sei sie jedoch gehalten, die Vorgaben des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK zu beachten. So bestehe ein Abschiebungshindernis, wenn dem Betroffenen nicht zuzumuten sei, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen. Familiäre Beziehungen seien im Falle des Klägers jedoch nicht zu erkennen, zumindest nicht in einem schutzwürdigen Umfang. Trotz der Einreise des Klägers im frühen Lebensalter und der sich anschließenden rechtmäßigen Aufenthaltsdauer verbunden mit dem Aufwachsen in Deutschland sei seine Entscheidung mit Blick auf die Schwere der vom Kläger begangenen und entsprechend abgeurteilten Straftaten, die bei Drogendelikten enorm hohe Rückfallwahrscheinlichkeit und die Versuchung zu erneutem Tätigwerden im Betäubungsmittelhandel in der Erwartung ungewöhnlich hoher Gewinne verhältnismäßig.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 19.10.2005 Widerspruch ein.

Unter dem 20.10.2005 teilte die Staatsanwaltschaft B-Stadt mit, dass ein Absehen von der Vollstreckung gemäß § 456 a StPO ab 1.12.2005 möglich sei und die Staatsanwaltschaft sich ab diesem Zeitpunkt mit der Abschiebung des Klägers einverstanden erkläre.

Am 17.1.2006 wurde der Kläger, der sich ab 4.10.2004 zunächst in Untersuchungshaft und danach in Strafhaft befunden hatte, entlassen. Der unverbüßte Rest der Strafe wurde gemäß § 35 BtMG ausgesetzt. Am selben Tag wurde er in den Kliniken Daun zur Behandlung seiner Polytoxikomanie aufgenommen.

Der Widerspruch des Klägers gegen die Ausweisungsverfügung wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.2.2006, ihm zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten zugestellt am 17.3.2006, zurückgewiesen. In der Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass weder Ermessensfehler noch grobe Unverhältnismäßigkeit festzustellen seien. Es seien auch keine ausreichenden Gründe erkennbar, die ein Absehen von der Regelausweisung nahelegen könnten. Der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Stellungnahme des Therapeuten der Klinik könne nach wenigen Wochen Aufenthalt keine übergroße Bedeutung zukommen, da bei Betäubungsmitteldelikten im Zusammenhang mit Drogenabhängigkeit von einer hohen Wiederholungsgefahr ausgegangen werden müsse, die neben der Abschreckung für andere potentielle Täter eine Ausweisung rechtfertige.

Ab dem 17.7.2006 befand der Kläger sich im Adaptionshaus A-Stadt in einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Rehabilitationsmaßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber, Malermeister W., ab dem 31.7. 2006 ein Praktikum ab, an das sich ab dem 4.10.2006 ein Berufsausbildungsverhältnis im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer anschloss.

Unter dem 21.8.2006 ordnete die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung vom 5.10.2005 an.

Auf den Aussetzungsantrag des Klägers vom 23.8.2006 stellte letztlich das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes mit Beschluss vom 22.1.2007 - 2 W 39/06 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her beziehungsweise ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen die Abschiebungsandrohung an. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, zwar bestünden keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung, der der Kläger bei Erlass des Verwaltungsaktes im Oktober 2005 keine beachtlichen schutzwürdigen Belange entgegenzusetzen gehabt hätte. Eine entsprechende zeitnahe Sofortvollzugsanordnung der Abschiebung des Antragstellers aus der Strafhaft heraus hätte seinerzeit keinen ernsthaften rechtlichen Bedenken unterlegen. Stattdessen sei dem Kläger ab Januar 2006 in der bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten Anwendung des § 35 BtMG unter teilweiser Zurückstellung einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe eine Therapie zur Behandlung seiner Polytoxikomanie in dem „verhaltensmedizinischen Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen und Psychosomatik“ in Daun ermöglicht worden. Erst acht Monate später, als sich der Kläger bereits nach Abschluss seiner stationären Behandlung zur Vorbereitung einer sozialen und beruflichen Reintegration in das Adaptionshaus in A-Stadt begeben gehabt habe, sei die Sofortvollzugsanordnung erlassen worden. Die insoweit hinsichtlich der Eilbedürftigkeit der Aufenthaltsbeendigung bei Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit angestellten fiskalischen Erwägungen seien bei der mit Blick auf die Grundrechte des Betroffenen im konkreten Fall erforderlichen Feststellung eines überwiegenden öffentlichen Vollzugsinteresses für sich genommen nicht nachvollziehbar. Dem Antragsgegner hätte klar sein müssen, dass der Antragsteller sowohl in der Zeit der Inhaftierung als auch der bekannten therapeutischen Maßnahme in Daun beziehungsweise A-Stadt seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestritten habe. Da die Ausländerbehörde ohne ersichtlichen Grund lange zugewartet habe und dem Kläger auf der Grundlage des § 35 BtMG in dieser Zeit umfangreiche öffentlich finanzierte Maßnahmen zur Wiedereingliederung mit dem Ziel künftig straffreier Lebensführung gewährt worden seien, die er allem Anschein nach auch ernsthaft genutzt habe, überwiege sein Interesse, von einem plötzlichen Vollzug bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse zumindest dann, wenn die Beweggründe der Behörde für eine nachträgliche Sofortvollzugsanordnung im Grunde bereits von Anfang an und im Wesentlichen unverändert vorgelegen hätten, im Ergebnis also keine eine abweichende Sicht rechtfertigende Veränderungen eingetreten seien.

Am 21.3.2006 hat der Kläger Klage erhoben (6 K 30/06). Zur Begründung hat er ausgeführt, seit seinem 16. Lebensjahr sei er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung (jetzt: Niederlassungserlaubnis). Seine Eltern lebten im Bundesgebiet und sämtliche Geschwister seien im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Beklagte habe bei seiner auf spezialpräventive Gründe gestützten Ausweisung nicht geprüft, ob Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Klägers ernsthaft drohe und eine bedeutsame Gefahr auch in der Zukunft von ihm ausgehe. Zu berücksichtigen sei jedoch gewesen, dass der Kläger sich vollumfänglich in seiner Strafsache eingelassen habe und alle Anklagepunkte ausschließlich auf seinen eigenen Einlassungen beruhten. Zudem sei sein Bemühen zu würdigen, seine Suchterkrankung behandeln zu lassen. Auch die Stellungnahme des behandelnden Therapeuten des Klägers in der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen vom 14.2.2006 sei zu würdigen. Unter Berücksichtigung aller Umstände könne keinesfalls eine konkrete schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Zukunft angenommen werden. Rechtsfehlerhaft sei die Ausweisungsverfügung auch aufgrund der fehlenden Befristung. Sie sei zudem in hohem Maße unverhältnismäßig, da der Kläger die arabische Sprache weder lesen noch schreiben könne. Lediglich mit seinen Eltern spreche er arabisch. Auch beherrsche er nicht ansatzweise die französische Sprache.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 und den Widerspruchsbescheid des Stadtverbandsrechtsausschusses vom 22.2.2006 aufzuheben.

Der Beklagte hat im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die angefochtenen Verfügungen beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 10. 8.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Unter Bezugnahme auf die Entscheidungen der Kammer im Eilverfahren - 6 F 66/06 - und im Prozesskostenhilfeverfahren einschließlich der jeweils ergangenen Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts in den Verfahren 2 W 39/06 und 2 D 34/07 hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass vorliegend eine Befristung der Ausweisungsfolgen erforderlich gewesen sei. Es könne offen bleiben, ob der gemäß § 11 I AufenthG erforderliche Antrag des Klägers vorliegend gestellt worden sei. Jedenfalls fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass eine fehlende Befristung der Ausweisungsfolgen schon bei Erlass der Ausweisungsentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK habe darstellen können. Die Kammer habe sich bereits im Verfahren 6 F 66/06 ausführlich mit diesen Fragen unter Berücksichtigung der die persönliche Situation des Klägers prägenden Umständen auseinandergesetzt. Bei dieser Bewertung bleibe es letztlich auch unter Berücksichtigung der weiter vorgetragenen Umstände. Die weitere Entwicklung des Klägers könne vorliegend noch in die Entscheidung einfließen, da es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung und unterlassenen Befristung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 ERMK auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankomme. Die Bescheinigung über die erfolgreiche Weiterführung der Berufsausbildung und die weitere Unauffälligkeit des Klägers in strafrechtlicher Hinsicht könnten das Ergebnis der Abwägung, das entscheidend von der Schwere der ihm zur Last gelegten Straftaten und der mit ihnen bekanntermaßen einhergehenden Wiederholungsgefahr sowie der unveränderten familiären Situation des Klägers nicht zu seinen Gunsten beeinflussen. Dies gelte gerade für den Umstand, dass die familiären Bindungen des ledigen Klägers zu seinen in Deutschland lebenden Verwandten nicht über die üblichen zwischen Erwachsenen bestehenden Beziehungen hinausgingen, er einen Teil seiner Kindheit in seinem Heimatland verbracht und dort auch noch Verwandte, zumindest die Großmutter habe.

Auf den fristgerecht gestellten Zulassungsantrag wurde die Berufung mit Beschluss vom 1.12.2008 - 2 A 435/07 - zugelassen. Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht habe den Schutzbereich des Art. 8 EMRK verkannt. Die angefochtenen Bescheide seien unter Berücksichtigung des Schutzbereichs dieser Vorschrift rechtsfehlerhaft ergangen, da eine Unterschreitung des Ermessens offensichtlich sei. Der Beklagte habe nach seinen eigenen Ausführungen offensichtlich nicht erkannt, dass bei der Prüfung des Art. 8 EMRK zwischen der Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben und der Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben zu differenzieren sei. Nach der neueren Rechtsprechung des EGMR liege der Auslegung von Art. 8 EMRK eine konzeptionelle Trennung zugrunde. Sowohl der Beklagte als auch das Gericht hätten jedoch lediglich eine mögliche Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben geprüft. Eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit einer möglichen Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben durch die Ausweisung sei nicht erkennbar. Zu dem Privatleben gehöre die Gesamtheit der im Aufenthaltsort gewachsenen Bindungen, wobei das Alter im Zeitpunkt der Einreise, der Stand der Kenntnisse der Sprache des Aufenthaltsstaates, die berufliche Tätigkeit und der Stand der wirtschaftlichen Integration usw. zu berücksichtigen seien. Der Beklagte habe die lange Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet, der als Siebenjähriger eingereist und sich seit 23 Jahren hier aufhalte, ebenso wie die damit offensichtlich gegebene „vollständige Integration“ bei seiner „Ermessensausübung“ gänzlich unberücksichtigt gelassen. Mit der Tatsache, dass es sich bei dem Kläger um einen sogenannten „faktischen Inländer“ handele, dem bereits vor 14 Jahren eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden sei und der einen Einbürgerungsantrag gestellt habe, setze sich weder der Beklagte noch das Gericht auseinander. Der Beklagte gehe vielmehr rechtsfehlerhaft davon aus, dass der Umstand der Einreise als Minderjähriger und die damit verbundene Aufenthaltsdauer schon bei der Zurückstufung der Ist- zur Regelausweisung berücksichtigt worden sei und daher quasi für die Frage des Vorliegens eines atypischen Falls „als verbraucht“ anzusehen sei. Tatsächlich stelle § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG allein auf den Besitz einer Niederlassungserlaubnis und einen mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet ab, nicht hingegen auf das Einreisealter. Indem das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide als ermessensfehlerfrei erachte, weiche es von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab, da im Fall einer ordnungsgemäßen Ermessensabwägung unter Einbeziehung des Rechts des Klägers auf Achtung seines Privatlebens der Beklagte vermutlich eine andere Entscheidung getroffen hätte, nicht zuletzt im Hinblick auf das eingegangene Ausbildungsverhältnis. Auch hinsichtlich der vom Beklagten behaupteten Wiederholungsgefahr sei eine sogenannte „Ermessensunterschreitung“ offensichtlich. Eine individuelle Prüfung der Wiederholungsgefahr sei rechtsfehlerhaft unterlassen worden. Die pauschale Bezugnahme auf die Verurteilung wegen Verstoßes gegen das BtMG sei unzulässig. Die Ausweisungsverfügung sei auch unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK. Die Schwierigkeit einer „Reintegration“ beziehungsweise „Neuintegration“ des Klägers in Algerien sei bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht beziehungsweise nicht in ausreichendem Maße geprüft worden. Während der Beklagte im Ausgangsbescheid lediglich davon ausgegangen sei, dass der Kläger seine Muttersprache zumindest in Grundzügen noch beherrsche, habe sich weder die Widerspruchsbehörde noch das Verwaltungsgericht mit seinem Vortrag, dass er lediglich einen arabischen Dialekt mit seinen Eltern spreche, diese Sprache weder lesen noch schreiben könne und auch die französische Sprache nicht beherrsche, auseinandergesetzt. Die Frage einer Neuintegration nach Einreise in das Bundesgebiet als Siebenjähriger und nach nahezu dreiundzwanzigjährigem Aufenthalt sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von maßgeblicher Bedeutung. Bei der Prüfung der Bindungen im Herkunftsstaat sei zu berücksichtigen, dass in Algerien lediglich noch eine Großmutter des Klägers lebe und er im Alter von dreißig Jahren sämtliche sozialen Kontakte im Bundesgebiet und auch seine Ausbildungsstelle verlieren würde. Maßgeblich sei auch die Frage des Vertrautseins mit den Verhältnissen im Herkunftsland. Letztendlich ergebe sich die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung auch aus der fehlenden Befristung. Diese sei erforderlich, da der Kläger der zweiten Ausländergeneration angehöre. Die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 I EMRK gemäß dessen Absatz 2 gälten, seien auch hier heranzuziehen und zwar ungeachtet des Systems der Abstufung in Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 - den Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Verwaltungsgerichts und trägt im Übrigen im Wesentlichen vor, die Ausweisung eines niedergelassenen Einwanderers stelle unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines „Familienlebens“ einen Eingriff in sein Recht auf Achtung seines „Privatlebens“ dar. Dieser Eingriff der Ausländerbehörde sei im Falle des Klägers gesetzlich vorgesehen und auch verhältnismäßig. Dieser habe zunächst den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG durch seine Straftaten, die zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten geführt hätten, verwirklicht. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG der Verhältnismäßigkeit auch dadurch Rechnung getragen, dass er die zwingende Ausweisung nach § 53 Nr. 2 AufenthG gemäß § 56 I 4 AufenthG zu einer Regelausweisung herabgestufte und damit den besonderen Verhältnissen bestimmter Ausländergruppen Rechnung getragen und auch die Forderung des Art. 8 EMRK auf Achtung des Privatlebens beachtet habe. Sofern die Voraussetzungen für eine Regelausweisung erfüllt seien, habe die Ausländerbehörde in der Regel auszuweisen. Hierbei habe sie grundsätzlich die Ausweisung zu verfügen, ohne dass ihr dabei ein Ermessensspielraum zustehe. Sie könne nur ausnahmsweise von der Ausweisung absehen, wenn im konkreten Einzelfall besondere Umstände vorlägen, durch die sich dieser von der Menge gleichgelagerter Fälle unterscheide. Ausnahmefälle in diesem Sinne seien durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam sei, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelausweisung beseitige. Solche besonderen Umstände seien beim Kläger weder im Hinblick auf die begangenen Straftaten noch auf die persönlichen Lebensverhältnisse gegeben. Eine Integration möge ihm zwar wirtschaftlich gelungen sein, jedoch nicht sozial. Dies zeigten seine Drogenkarriere und seine Verurteilungen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen. Dadurch lasse der Kläger erkennen, dass er nicht gewillt sei, die deutsche Rechtsordnung zu beachten und er mache dabei auch vor der körperlichen Unversehrtheit anderer, insbesondere der von Jugendlichen nicht Halt, indem er in einem nicht geringen Maße mit Drogen gehandelt habe. Seine Ausweisung sei geeignet, insbesondere andere Ausländer von der Begehung von Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität abzuschrecken. Gleichzeitig diene die Ausweisung der Verhinderung weiterer Straftaten durch den Kläger selber und somit insgesamt der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bundesgebiet. Die Ausweisung sei erforderlich, weil kein milderes Mittel gleicher Eignung zur Verfügung stehe, das in gleicher oder in besserer Weise geeignet gewesen wäre, den beabsichtigten Zweck der Ausweisung zu erreichen, den Kläger aber weniger belastet hätte. Der Schutz des Art. 6 I GG greife nur dann ein, wenn die Folgen der Ausweisung für den Betroffenen mit Rücksicht auf seine Familienangehörigen unverhältnismäßig hart wären. Der Kläger sei nicht so weit in die deutsche Gesellschaft integriert, dass man von ihm als einem faktischen Inländer im Sinne des Art. 8 EMRK sprechen könne. Die Ausweisung sei auch angemessen, weil ihre Nachteile nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stünden, die sie bewirke. Wegen der hohen Sozialschädlichkeit des Drogenhandels an sich sei das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers sowohl unter spezial- als auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten entsprechend hoch zu gewichten. Die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ergebe sich auch nicht aus der fehlenden Befristung.

Der Kläger hat auf eine entsprechende gerichtliche Aufklärungsverfügung vom 7.12.2009 unter dem 12.1.2010 mitgeteilt, er habe am 20.6.2009 die Abschlussprüfung bestanden und sei hieran anschließend bei dem Malermeister W. als Bauten-Maler beschäftigt worden. Ab 3.8.2009 habe er für ein Personaldienstleistungsunternehmen bei dem Malerbetrieb H. gearbeitet, der ihn am 5.10.2009 eingestellt habe. Seit ca. zwei Jahren lebe er in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen, mit der er seit August 2009 eine gemeinsame Wohnung bezogen habe. Der Kläger hat hierzu u.a. einen Arbeitsvertrag mit dem Personaldienstleistungsunternehmen, Lohnabrechnungen dieses Unternehmens und der Fa. H. sowie den auch von der Lebensgefährtin unterschriebenen Mietvertrag über die derzeitige Wohnung vorgelegt. Dem Beklagten ist der Schriftsatz des Klägers mit Anlagen unter dem 13.1.2010 übersandt worden.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 124 II Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 124a VI i.V.m. III 4 VwGO begründet worden. Die Berufung hat auch Erfolg.

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des (Rechtsvorgängers des) Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2006, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem Hinweis auf seine Ausreisepflicht – wegen seiner damaligen Inhaftierung ohne Setzung einer Ausreisefrist – seine Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe, angedroht wurde, ist begründet.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (Zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004– 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008,116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt. (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443) Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar, (Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116)

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten
- Dauer des Aufenthalts im Gastland
- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase
- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (Vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II))

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig.

Zu der Person des Klägers und seinen Straftaten lässt sich dem bei den Verwaltungsunterlagen befindlichen Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 (Bl. 70 ff. Verwaltungsunterlagen) folgendes entnehmen:

Der 1977 in Algerien geborene Kläger reiste 1985 im Alter von 7 Jahren mit seiner Mutter zu dem aufenthaltsberechtigten Vater ins Bundesgebiet ein. Nach der Grundschule besuchte er die Gesamtschule, die er im neunten Schuljahr ohne Abschluss verließ. Anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Maler- und Lackierer, die er nicht abschloss, da er den theoretischen Teil der Prüfung nicht bestand. Nach einem halbjährigen Besuch eines Arbeitsvorbereitungskurses arbeitete er ein halbes Jahr bei einer Maler- und Lackiererfirma auf Montage, danach für eine Leiharbeiterfirma, bis er nach einjähriger Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei einem Unternehmen von diesem übernommen und festangestellt wurde; dort war er sodann dreieinhalb Jahre bis zu seiner Festnahme als Produktionshelfer beschäftigt.

Im Alter von 19 Jahren begann er mit gelegentlichem Konsum von Haschisch. Später steigerte sich der Konsum und umfasste auch Marihuana, Ecstasy und Amphetamin und schließlich mit 21 Jahren konsumierte der Antragsteller – aus Preisgründen selten - auch Kokain. Ab Mitte 2004 rauchte er nur noch Haschisch, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Aufgrund eines Anfang 2004 mit einem Mittäter gefassten Beschlusses erwarb er Drogen und veräußerte in 7 Fällen nicht nur geringe Mengen Gewinn bringend. Seine Festnahme erfolgte am 4. 10. 2004. Am 16.6.2005 wurde der Kläger wegen Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

In seinen polizeilichen Vernehmungen machte der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger – im Urteil des Amtsgerichtes B-Stadt vom 22.2.1996 war er zwar des (als 17jähriger begangenen) Diebstahls für schuldig befunden worden, es war aber von Strafe abgesehen worden - umfassende Angaben zu seinen Geschäften und zu Personen, die an den Geschäften beteiligt waren. Dabei leistete er Hilfe bei der Aufklärung weiterer Taten über seinen Tatbeitrag hinaus. Er hat insbesondere seine Mittäter und Abnehmer benannt und zu ihrer Identifizierung beigetragen. Aufgrund seiner Aussage wurden Haftbefehle erlassen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.

Strafverschärfend hat sich im Urteil ausgewirkt, dass der Kläger Handel mit Mengen, die ein Vielfaches der nicht geringen Menge ausmachten, betrieben hat. Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass sich der Kläger in vollem Umfang geständig eingelassen hat, alle Anklagepunkte ausschließlich auf seiner eigenen Aussage beruhten, er zudem wertvolle Hinweise zur Aufklärung weiterer Straftaten gegeben hat und auch noch Teile der gehandelten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Ferner hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sei, zudem glaubhaft dargelegt habe, dass er seine Drogenprobleme erkannt habe und aktiv angehen wolle. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme habe er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Außerdem wolle er sich aus dem Drogenmilieu lösen. Wegen des ernsthaften Bemühens des Klägers, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, hat das Landgericht schon im Urteil in Aussicht gestellt, einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zu einer Therapie nach § 35 BtMG zuzustimmen.

Die Ausweisung ist zum einen spezialpräventiv auf die vom Kläger ausgehende Gefahr (hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Drogendelikten) und zum anderen generalpräventiv (Abschreckung potentieller Straftäter im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität) gestützt.

Die Verurteilung basiert im Wesentlichen auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, während der Besitz von Drogen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Drogenhandel, den der seit etlichen Jahren betäubungsmittelabhängige Kläger erst 2004 begonnen hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt – im Normalfall zur Ausweisung des Straftäters führt. Dass ein unverbüßter Strafrest von 351 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an der Schwere der vom Kläger begangenen Drogendelikte nichts. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“ (EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)) . Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen, (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007,443) was ein generalpräventives Vorgehen der Ausländerbehörde nicht ausschließt. (Hailbronner, Ausländerrecht, A1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 23)

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen „Schlussstrich“ unter seine rund 8jährige „Drogenkarriere“ ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte „nahtlose“ Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist. (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27) Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33) Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem „Wohlverhalten“ des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat. (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70/86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel) Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als „verbraucht“ anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen) , ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte) . Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (Vgl. „Aufenthaltsbescheinigung“ des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete. (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte) Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) , unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

Gründe

Die gemäß § 124 II Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 124a VI i.V.m. III 4 VwGO begründet worden. Die Berufung hat auch Erfolg.

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des (Rechtsvorgängers des) Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2006, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem Hinweis auf seine Ausreisepflicht – wegen seiner damaligen Inhaftierung ohne Setzung einer Ausreisefrist – seine Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe, angedroht wurde, ist begründet.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (Zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004– 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008,116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt. (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443) Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar, (Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116)

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten
- Dauer des Aufenthalts im Gastland
- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase
- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (Vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II))

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig.

Zu der Person des Klägers und seinen Straftaten lässt sich dem bei den Verwaltungsunterlagen befindlichen Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 (Bl. 70 ff. Verwaltungsunterlagen) folgendes entnehmen:

Der 1977 in Algerien geborene Kläger reiste 1985 im Alter von 7 Jahren mit seiner Mutter zu dem aufenthaltsberechtigten Vater ins Bundesgebiet ein. Nach der Grundschule besuchte er die Gesamtschule, die er im neunten Schuljahr ohne Abschluss verließ. Anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Maler- und Lackierer, die er nicht abschloss, da er den theoretischen Teil der Prüfung nicht bestand. Nach einem halbjährigen Besuch eines Arbeitsvorbereitungskurses arbeitete er ein halbes Jahr bei einer Maler- und Lackiererfirma auf Montage, danach für eine Leiharbeiterfirma, bis er nach einjähriger Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei einem Unternehmen von diesem übernommen und festangestellt wurde; dort war er sodann dreieinhalb Jahre bis zu seiner Festnahme als Produktionshelfer beschäftigt.

Im Alter von 19 Jahren begann er mit gelegentlichem Konsum von Haschisch. Später steigerte sich der Konsum und umfasste auch Marihuana, Ecstasy und Amphetamin und schließlich mit 21 Jahren konsumierte der Antragsteller – aus Preisgründen selten - auch Kokain. Ab Mitte 2004 rauchte er nur noch Haschisch, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Aufgrund eines Anfang 2004 mit einem Mittäter gefassten Beschlusses erwarb er Drogen und veräußerte in 7 Fällen nicht nur geringe Mengen Gewinn bringend. Seine Festnahme erfolgte am 4. 10. 2004. Am 16.6.2005 wurde der Kläger wegen Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

In seinen polizeilichen Vernehmungen machte der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger – im Urteil des Amtsgerichtes B-Stadt vom 22.2.1996 war er zwar des (als 17jähriger begangenen) Diebstahls für schuldig befunden worden, es war aber von Strafe abgesehen worden - umfassende Angaben zu seinen Geschäften und zu Personen, die an den Geschäften beteiligt waren. Dabei leistete er Hilfe bei der Aufklärung weiterer Taten über seinen Tatbeitrag hinaus. Er hat insbesondere seine Mittäter und Abnehmer benannt und zu ihrer Identifizierung beigetragen. Aufgrund seiner Aussage wurden Haftbefehle erlassen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.

Strafverschärfend hat sich im Urteil ausgewirkt, dass der Kläger Handel mit Mengen, die ein Vielfaches der nicht geringen Menge ausmachten, betrieben hat. Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass sich der Kläger in vollem Umfang geständig eingelassen hat, alle Anklagepunkte ausschließlich auf seiner eigenen Aussage beruhten, er zudem wertvolle Hinweise zur Aufklärung weiterer Straftaten gegeben hat und auch noch Teile der gehandelten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Ferner hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sei, zudem glaubhaft dargelegt habe, dass er seine Drogenprobleme erkannt habe und aktiv angehen wolle. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme habe er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Außerdem wolle er sich aus dem Drogenmilieu lösen. Wegen des ernsthaften Bemühens des Klägers, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, hat das Landgericht schon im Urteil in Aussicht gestellt, einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zu einer Therapie nach § 35 BtMG zuzustimmen.

Die Ausweisung ist zum einen spezialpräventiv auf die vom Kläger ausgehende Gefahr (hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Drogendelikten) und zum anderen generalpräventiv (Abschreckung potentieller Straftäter im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität) gestützt.

Die Verurteilung basiert im Wesentlichen auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, während der Besitz von Drogen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Drogenhandel, den der seit etlichen Jahren betäubungsmittelabhängige Kläger erst 2004 begonnen hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt – im Normalfall zur Ausweisung des Straftäters führt. Dass ein unverbüßter Strafrest von 351 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an der Schwere der vom Kläger begangenen Drogendelikte nichts. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“ (EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)) . Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen, (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007,443) was ein generalpräventives Vorgehen der Ausländerbehörde nicht ausschließt. (Hailbronner, Ausländerrecht, A1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 23)

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen „Schlussstrich“ unter seine rund 8jährige „Drogenkarriere“ ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte „nahtlose“ Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist. (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27) Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33) Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem „Wohlverhalten“ des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat. (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70/86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel) Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als „verbraucht“ anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen) , ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte) . Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (Vgl. „Aufenthaltsbescheinigung“ des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete. (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte) Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) , unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 – wird der Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 30.7.1977 in Algerien geborene Kläger begehrt die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Rechtsvorgängers des Beklagten.

Der Kläger reiste 23.1.1985 mit seiner Mutter zu seinem aufenthaltsberechtigten Vater in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Auf seinen Antrag vom 2.8.1993 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Durch Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 22.2.1996 - 24-9/96 / 21 Js 453/95 - wurde er des Diebstahls in drei Fällen, darüber hinaus eines tatmehrheitlich begangenen besonders schweren Falles des Diebstahles für schuldig befunden, von Strafe wurde jedoch abgesehen und ihm wurde aufgegeben, 40 unentgeltliche Arbeitsstunden zu leisten und eine Geldbuße in Höhe von 400,-- DM zu zahlen.

Ferner wurde er durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Daraufhin wies ihn die damals zuständige Ausländerbehörde mit Bescheid vom 5.10.2005 nach vorheriger Anhörung gemäß §§ 53 Nr. 2, 56 I 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG aus, wies auf das Erlöschen der ihm erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes und die damit gegebene Ausreisepflicht hin und drohte ihm die Abschiebung nach Algerien beziehungsweise in einen anderen Staat an, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe. Die Behörde führte hierzu im Wesentlichen aus, von der Setzung einer Ausreisefrist sei mit Blick auf die Inhaftierung des Klägers Abstand genommen worden. Aus der Urteilsbegründung gehe eine langjährige „Drogenkarriere“ hervor, wobei der Kläger nicht nur über einen recht langen Zeitraum hinweg selbst Betäubungsmittel konsumiert, sondern etwa ab Anfang 2004 auch mit Betäubungsmitteln gehandelt habe. Ausdrücklich gewürdigt habe das Strafgericht bei der Strafbemessung zu seinen Gunsten die von ihm geleistete Aufklärungshilfe im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen sowie sein vollumfängliches Geständnis. Durch seine Hinweise hätten weitere Taten aufgeklärt und so Teile der gehandelten Betäubungsmittel noch sichergestellt werden können. Auch seine Einsicht in das Unrechte seines Tuns sei positiv gewürdigt worden. Strafverschärfend sei allerdings gewesen, dass ein Handel in solch großen Mengen erfolgt sei. Insgesamt sei jedoch eine sehr empfindliche Freiheitsstrafe gegen den als Ersttäter eingestuften Kläger verhängt worden. Die Gelegenheit, im Rahmen der Anhörung positive Aspekte in das Verfahren einzubringen, habe er nicht genutzt. Daher müsse es bei seiner Einschätzung verbleiben, dass keine die Regelausweisungsentscheidung überwindenden Ausnahmegründe bei dem Kläger vorlägen und der Ausländerbehörde daher bei der zu treffenden Entscheidung kein Ermessen zustehe. Unabhängig davon sei sie jedoch gehalten, die Vorgaben des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK zu beachten. So bestehe ein Abschiebungshindernis, wenn dem Betroffenen nicht zuzumuten sei, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen. Familiäre Beziehungen seien im Falle des Klägers jedoch nicht zu erkennen, zumindest nicht in einem schutzwürdigen Umfang. Trotz der Einreise des Klägers im frühen Lebensalter und der sich anschließenden rechtmäßigen Aufenthaltsdauer verbunden mit dem Aufwachsen in Deutschland sei seine Entscheidung mit Blick auf die Schwere der vom Kläger begangenen und entsprechend abgeurteilten Straftaten, die bei Drogendelikten enorm hohe Rückfallwahrscheinlichkeit und die Versuchung zu erneutem Tätigwerden im Betäubungsmittelhandel in der Erwartung ungewöhnlich hoher Gewinne verhältnismäßig.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 19.10.2005 Widerspruch ein.

Unter dem 20.10.2005 teilte die Staatsanwaltschaft B-Stadt mit, dass ein Absehen von der Vollstreckung gemäß § 456 a StPO ab 1.12.2005 möglich sei und die Staatsanwaltschaft sich ab diesem Zeitpunkt mit der Abschiebung des Klägers einverstanden erkläre.

Am 17.1.2006 wurde der Kläger, der sich ab 4.10.2004 zunächst in Untersuchungshaft und danach in Strafhaft befunden hatte, entlassen. Der unverbüßte Rest der Strafe wurde gemäß § 35 BtMG ausgesetzt. Am selben Tag wurde er in den Kliniken Daun zur Behandlung seiner Polytoxikomanie aufgenommen.

Der Widerspruch des Klägers gegen die Ausweisungsverfügung wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.2.2006, ihm zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten zugestellt am 17.3.2006, zurückgewiesen. In der Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass weder Ermessensfehler noch grobe Unverhältnismäßigkeit festzustellen seien. Es seien auch keine ausreichenden Gründe erkennbar, die ein Absehen von der Regelausweisung nahelegen könnten. Der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Stellungnahme des Therapeuten der Klinik könne nach wenigen Wochen Aufenthalt keine übergroße Bedeutung zukommen, da bei Betäubungsmitteldelikten im Zusammenhang mit Drogenabhängigkeit von einer hohen Wiederholungsgefahr ausgegangen werden müsse, die neben der Abschreckung für andere potentielle Täter eine Ausweisung rechtfertige.

Ab dem 17.7.2006 befand der Kläger sich im Adaptionshaus A-Stadt in einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Rehabilitationsmaßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber, Malermeister W., ab dem 31.7. 2006 ein Praktikum ab, an das sich ab dem 4.10.2006 ein Berufsausbildungsverhältnis im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer anschloss.

Unter dem 21.8.2006 ordnete die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung vom 5.10.2005 an.

Auf den Aussetzungsantrag des Klägers vom 23.8.2006 stellte letztlich das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes mit Beschluss vom 22.1.2007 - 2 W 39/06 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her beziehungsweise ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen die Abschiebungsandrohung an. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, zwar bestünden keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung, der der Kläger bei Erlass des Verwaltungsaktes im Oktober 2005 keine beachtlichen schutzwürdigen Belange entgegenzusetzen gehabt hätte. Eine entsprechende zeitnahe Sofortvollzugsanordnung der Abschiebung des Antragstellers aus der Strafhaft heraus hätte seinerzeit keinen ernsthaften rechtlichen Bedenken unterlegen. Stattdessen sei dem Kläger ab Januar 2006 in der bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten Anwendung des § 35 BtMG unter teilweiser Zurückstellung einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe eine Therapie zur Behandlung seiner Polytoxikomanie in dem „verhaltensmedizinischen Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen und Psychosomatik“ in Daun ermöglicht worden. Erst acht Monate später, als sich der Kläger bereits nach Abschluss seiner stationären Behandlung zur Vorbereitung einer sozialen und beruflichen Reintegration in das Adaptionshaus in A-Stadt begeben gehabt habe, sei die Sofortvollzugsanordnung erlassen worden. Die insoweit hinsichtlich der Eilbedürftigkeit der Aufenthaltsbeendigung bei Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit angestellten fiskalischen Erwägungen seien bei der mit Blick auf die Grundrechte des Betroffenen im konkreten Fall erforderlichen Feststellung eines überwiegenden öffentlichen Vollzugsinteresses für sich genommen nicht nachvollziehbar. Dem Antragsgegner hätte klar sein müssen, dass der Antragsteller sowohl in der Zeit der Inhaftierung als auch der bekannten therapeutischen Maßnahme in Daun beziehungsweise A-Stadt seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestritten habe. Da die Ausländerbehörde ohne ersichtlichen Grund lange zugewartet habe und dem Kläger auf der Grundlage des § 35 BtMG in dieser Zeit umfangreiche öffentlich finanzierte Maßnahmen zur Wiedereingliederung mit dem Ziel künftig straffreier Lebensführung gewährt worden seien, die er allem Anschein nach auch ernsthaft genutzt habe, überwiege sein Interesse, von einem plötzlichen Vollzug bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse zumindest dann, wenn die Beweggründe der Behörde für eine nachträgliche Sofortvollzugsanordnung im Grunde bereits von Anfang an und im Wesentlichen unverändert vorgelegen hätten, im Ergebnis also keine eine abweichende Sicht rechtfertigende Veränderungen eingetreten seien.

Am 21.3.2006 hat der Kläger Klage erhoben (6 K 30/06). Zur Begründung hat er ausgeführt, seit seinem 16. Lebensjahr sei er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung (jetzt: Niederlassungserlaubnis). Seine Eltern lebten im Bundesgebiet und sämtliche Geschwister seien im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Beklagte habe bei seiner auf spezialpräventive Gründe gestützten Ausweisung nicht geprüft, ob Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Klägers ernsthaft drohe und eine bedeutsame Gefahr auch in der Zukunft von ihm ausgehe. Zu berücksichtigen sei jedoch gewesen, dass der Kläger sich vollumfänglich in seiner Strafsache eingelassen habe und alle Anklagepunkte ausschließlich auf seinen eigenen Einlassungen beruhten. Zudem sei sein Bemühen zu würdigen, seine Suchterkrankung behandeln zu lassen. Auch die Stellungnahme des behandelnden Therapeuten des Klägers in der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen vom 14.2.2006 sei zu würdigen. Unter Berücksichtigung aller Umstände könne keinesfalls eine konkrete schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Zukunft angenommen werden. Rechtsfehlerhaft sei die Ausweisungsverfügung auch aufgrund der fehlenden Befristung. Sie sei zudem in hohem Maße unverhältnismäßig, da der Kläger die arabische Sprache weder lesen noch schreiben könne. Lediglich mit seinen Eltern spreche er arabisch. Auch beherrsche er nicht ansatzweise die französische Sprache.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 und den Widerspruchsbescheid des Stadtverbandsrechtsausschusses vom 22.2.2006 aufzuheben.

Der Beklagte hat im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die angefochtenen Verfügungen beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 10. 8.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Unter Bezugnahme auf die Entscheidungen der Kammer im Eilverfahren - 6 F 66/06 - und im Prozesskostenhilfeverfahren einschließlich der jeweils ergangenen Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts in den Verfahren 2 W 39/06 und 2 D 34/07 hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass vorliegend eine Befristung der Ausweisungsfolgen erforderlich gewesen sei. Es könne offen bleiben, ob der gemäß § 11 I AufenthG erforderliche Antrag des Klägers vorliegend gestellt worden sei. Jedenfalls fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass eine fehlende Befristung der Ausweisungsfolgen schon bei Erlass der Ausweisungsentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK habe darstellen können. Die Kammer habe sich bereits im Verfahren 6 F 66/06 ausführlich mit diesen Fragen unter Berücksichtigung der die persönliche Situation des Klägers prägenden Umständen auseinandergesetzt. Bei dieser Bewertung bleibe es letztlich auch unter Berücksichtigung der weiter vorgetragenen Umstände. Die weitere Entwicklung des Klägers könne vorliegend noch in die Entscheidung einfließen, da es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung und unterlassenen Befristung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 ERMK auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankomme. Die Bescheinigung über die erfolgreiche Weiterführung der Berufsausbildung und die weitere Unauffälligkeit des Klägers in strafrechtlicher Hinsicht könnten das Ergebnis der Abwägung, das entscheidend von der Schwere der ihm zur Last gelegten Straftaten und der mit ihnen bekanntermaßen einhergehenden Wiederholungsgefahr sowie der unveränderten familiären Situation des Klägers nicht zu seinen Gunsten beeinflussen. Dies gelte gerade für den Umstand, dass die familiären Bindungen des ledigen Klägers zu seinen in Deutschland lebenden Verwandten nicht über die üblichen zwischen Erwachsenen bestehenden Beziehungen hinausgingen, er einen Teil seiner Kindheit in seinem Heimatland verbracht und dort auch noch Verwandte, zumindest die Großmutter habe.

Auf den fristgerecht gestellten Zulassungsantrag wurde die Berufung mit Beschluss vom 1.12.2008 - 2 A 435/07 - zugelassen. Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht habe den Schutzbereich des Art. 8 EMRK verkannt. Die angefochtenen Bescheide seien unter Berücksichtigung des Schutzbereichs dieser Vorschrift rechtsfehlerhaft ergangen, da eine Unterschreitung des Ermessens offensichtlich sei. Der Beklagte habe nach seinen eigenen Ausführungen offensichtlich nicht erkannt, dass bei der Prüfung des Art. 8 EMRK zwischen der Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben und der Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben zu differenzieren sei. Nach der neueren Rechtsprechung des EGMR liege der Auslegung von Art. 8 EMRK eine konzeptionelle Trennung zugrunde. Sowohl der Beklagte als auch das Gericht hätten jedoch lediglich eine mögliche Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben geprüft. Eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit einer möglichen Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben durch die Ausweisung sei nicht erkennbar. Zu dem Privatleben gehöre die Gesamtheit der im Aufenthaltsort gewachsenen Bindungen, wobei das Alter im Zeitpunkt der Einreise, der Stand der Kenntnisse der Sprache des Aufenthaltsstaates, die berufliche Tätigkeit und der Stand der wirtschaftlichen Integration usw. zu berücksichtigen seien. Der Beklagte habe die lange Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet, der als Siebenjähriger eingereist und sich seit 23 Jahren hier aufhalte, ebenso wie die damit offensichtlich gegebene „vollständige Integration“ bei seiner „Ermessensausübung“ gänzlich unberücksichtigt gelassen. Mit der Tatsache, dass es sich bei dem Kläger um einen sogenannten „faktischen Inländer“ handele, dem bereits vor 14 Jahren eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden sei und der einen Einbürgerungsantrag gestellt habe, setze sich weder der Beklagte noch das Gericht auseinander. Der Beklagte gehe vielmehr rechtsfehlerhaft davon aus, dass der Umstand der Einreise als Minderjähriger und die damit verbundene Aufenthaltsdauer schon bei der Zurückstufung der Ist- zur Regelausweisung berücksichtigt worden sei und daher quasi für die Frage des Vorliegens eines atypischen Falls „als verbraucht“ anzusehen sei. Tatsächlich stelle § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG allein auf den Besitz einer Niederlassungserlaubnis und einen mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet ab, nicht hingegen auf das Einreisealter. Indem das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide als ermessensfehlerfrei erachte, weiche es von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab, da im Fall einer ordnungsgemäßen Ermessensabwägung unter Einbeziehung des Rechts des Klägers auf Achtung seines Privatlebens der Beklagte vermutlich eine andere Entscheidung getroffen hätte, nicht zuletzt im Hinblick auf das eingegangene Ausbildungsverhältnis. Auch hinsichtlich der vom Beklagten behaupteten Wiederholungsgefahr sei eine sogenannte „Ermessensunterschreitung“ offensichtlich. Eine individuelle Prüfung der Wiederholungsgefahr sei rechtsfehlerhaft unterlassen worden. Die pauschale Bezugnahme auf die Verurteilung wegen Verstoßes gegen das BtMG sei unzulässig. Die Ausweisungsverfügung sei auch unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK. Die Schwierigkeit einer „Reintegration“ beziehungsweise „Neuintegration“ des Klägers in Algerien sei bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht beziehungsweise nicht in ausreichendem Maße geprüft worden. Während der Beklagte im Ausgangsbescheid lediglich davon ausgegangen sei, dass der Kläger seine Muttersprache zumindest in Grundzügen noch beherrsche, habe sich weder die Widerspruchsbehörde noch das Verwaltungsgericht mit seinem Vortrag, dass er lediglich einen arabischen Dialekt mit seinen Eltern spreche, diese Sprache weder lesen noch schreiben könne und auch die französische Sprache nicht beherrsche, auseinandergesetzt. Die Frage einer Neuintegration nach Einreise in das Bundesgebiet als Siebenjähriger und nach nahezu dreiundzwanzigjährigem Aufenthalt sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von maßgeblicher Bedeutung. Bei der Prüfung der Bindungen im Herkunftsstaat sei zu berücksichtigen, dass in Algerien lediglich noch eine Großmutter des Klägers lebe und er im Alter von dreißig Jahren sämtliche sozialen Kontakte im Bundesgebiet und auch seine Ausbildungsstelle verlieren würde. Maßgeblich sei auch die Frage des Vertrautseins mit den Verhältnissen im Herkunftsland. Letztendlich ergebe sich die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung auch aus der fehlenden Befristung. Diese sei erforderlich, da der Kläger der zweiten Ausländergeneration angehöre. Die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 I EMRK gemäß dessen Absatz 2 gälten, seien auch hier heranzuziehen und zwar ungeachtet des Systems der Abstufung in Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 - den Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Verwaltungsgerichts und trägt im Übrigen im Wesentlichen vor, die Ausweisung eines niedergelassenen Einwanderers stelle unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines „Familienlebens“ einen Eingriff in sein Recht auf Achtung seines „Privatlebens“ dar. Dieser Eingriff der Ausländerbehörde sei im Falle des Klägers gesetzlich vorgesehen und auch verhältnismäßig. Dieser habe zunächst den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG durch seine Straftaten, die zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten geführt hätten, verwirklicht. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG der Verhältnismäßigkeit auch dadurch Rechnung getragen, dass er die zwingende Ausweisung nach § 53 Nr. 2 AufenthG gemäß § 56 I 4 AufenthG zu einer Regelausweisung herabgestufte und damit den besonderen Verhältnissen bestimmter Ausländergruppen Rechnung getragen und auch die Forderung des Art. 8 EMRK auf Achtung des Privatlebens beachtet habe. Sofern die Voraussetzungen für eine Regelausweisung erfüllt seien, habe die Ausländerbehörde in der Regel auszuweisen. Hierbei habe sie grundsätzlich die Ausweisung zu verfügen, ohne dass ihr dabei ein Ermessensspielraum zustehe. Sie könne nur ausnahmsweise von der Ausweisung absehen, wenn im konkreten Einzelfall besondere Umstände vorlägen, durch die sich dieser von der Menge gleichgelagerter Fälle unterscheide. Ausnahmefälle in diesem Sinne seien durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam sei, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelausweisung beseitige. Solche besonderen Umstände seien beim Kläger weder im Hinblick auf die begangenen Straftaten noch auf die persönlichen Lebensverhältnisse gegeben. Eine Integration möge ihm zwar wirtschaftlich gelungen sein, jedoch nicht sozial. Dies zeigten seine Drogenkarriere und seine Verurteilungen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen. Dadurch lasse der Kläger erkennen, dass er nicht gewillt sei, die deutsche Rechtsordnung zu beachten und er mache dabei auch vor der körperlichen Unversehrtheit anderer, insbesondere der von Jugendlichen nicht Halt, indem er in einem nicht geringen Maße mit Drogen gehandelt habe. Seine Ausweisung sei geeignet, insbesondere andere Ausländer von der Begehung von Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität abzuschrecken. Gleichzeitig diene die Ausweisung der Verhinderung weiterer Straftaten durch den Kläger selber und somit insgesamt der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bundesgebiet. Die Ausweisung sei erforderlich, weil kein milderes Mittel gleicher Eignung zur Verfügung stehe, das in gleicher oder in besserer Weise geeignet gewesen wäre, den beabsichtigten Zweck der Ausweisung zu erreichen, den Kläger aber weniger belastet hätte. Der Schutz des Art. 6 I GG greife nur dann ein, wenn die Folgen der Ausweisung für den Betroffenen mit Rücksicht auf seine Familienangehörigen unverhältnismäßig hart wären. Der Kläger sei nicht so weit in die deutsche Gesellschaft integriert, dass man von ihm als einem faktischen Inländer im Sinne des Art. 8 EMRK sprechen könne. Die Ausweisung sei auch angemessen, weil ihre Nachteile nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stünden, die sie bewirke. Wegen der hohen Sozialschädlichkeit des Drogenhandels an sich sei das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers sowohl unter spezial- als auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten entsprechend hoch zu gewichten. Die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ergebe sich auch nicht aus der fehlenden Befristung.

Der Kläger hat auf eine entsprechende gerichtliche Aufklärungsverfügung vom 7.12.2009 unter dem 12.1.2010 mitgeteilt, er habe am 20.6.2009 die Abschlussprüfung bestanden und sei hieran anschließend bei dem Malermeister W. als Bauten-Maler beschäftigt worden. Ab 3.8.2009 habe er für ein Personaldienstleistungsunternehmen bei dem Malerbetrieb H. gearbeitet, der ihn am 5.10.2009 eingestellt habe. Seit ca. zwei Jahren lebe er in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen, mit der er seit August 2009 eine gemeinsame Wohnung bezogen habe. Der Kläger hat hierzu u.a. einen Arbeitsvertrag mit dem Personaldienstleistungsunternehmen, Lohnabrechnungen dieses Unternehmens und der Fa. H. sowie den auch von der Lebensgefährtin unterschriebenen Mietvertrag über die derzeitige Wohnung vorgelegt. Dem Beklagten ist der Schriftsatz des Klägers mit Anlagen unter dem 13.1.2010 übersandt worden.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 124 II Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 124a VI i.V.m. III 4 VwGO begründet worden. Die Berufung hat auch Erfolg.

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des (Rechtsvorgängers des) Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2006, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem Hinweis auf seine Ausreisepflicht – wegen seiner damaligen Inhaftierung ohne Setzung einer Ausreisefrist – seine Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe, angedroht wurde, ist begründet.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (Zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004– 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008,116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt. (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443) Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar, (Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116)

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten
- Dauer des Aufenthalts im Gastland
- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase
- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (Vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II))

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig.

Zu der Person des Klägers und seinen Straftaten lässt sich dem bei den Verwaltungsunterlagen befindlichen Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 (Bl. 70 ff. Verwaltungsunterlagen) folgendes entnehmen:

Der 1977 in Algerien geborene Kläger reiste 1985 im Alter von 7 Jahren mit seiner Mutter zu dem aufenthaltsberechtigten Vater ins Bundesgebiet ein. Nach der Grundschule besuchte er die Gesamtschule, die er im neunten Schuljahr ohne Abschluss verließ. Anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Maler- und Lackierer, die er nicht abschloss, da er den theoretischen Teil der Prüfung nicht bestand. Nach einem halbjährigen Besuch eines Arbeitsvorbereitungskurses arbeitete er ein halbes Jahr bei einer Maler- und Lackiererfirma auf Montage, danach für eine Leiharbeiterfirma, bis er nach einjähriger Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei einem Unternehmen von diesem übernommen und festangestellt wurde; dort war er sodann dreieinhalb Jahre bis zu seiner Festnahme als Produktionshelfer beschäftigt.

Im Alter von 19 Jahren begann er mit gelegentlichem Konsum von Haschisch. Später steigerte sich der Konsum und umfasste auch Marihuana, Ecstasy und Amphetamin und schließlich mit 21 Jahren konsumierte der Antragsteller – aus Preisgründen selten - auch Kokain. Ab Mitte 2004 rauchte er nur noch Haschisch, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Aufgrund eines Anfang 2004 mit einem Mittäter gefassten Beschlusses erwarb er Drogen und veräußerte in 7 Fällen nicht nur geringe Mengen Gewinn bringend. Seine Festnahme erfolgte am 4. 10. 2004. Am 16.6.2005 wurde der Kläger wegen Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

In seinen polizeilichen Vernehmungen machte der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger – im Urteil des Amtsgerichtes B-Stadt vom 22.2.1996 war er zwar des (als 17jähriger begangenen) Diebstahls für schuldig befunden worden, es war aber von Strafe abgesehen worden - umfassende Angaben zu seinen Geschäften und zu Personen, die an den Geschäften beteiligt waren. Dabei leistete er Hilfe bei der Aufklärung weiterer Taten über seinen Tatbeitrag hinaus. Er hat insbesondere seine Mittäter und Abnehmer benannt und zu ihrer Identifizierung beigetragen. Aufgrund seiner Aussage wurden Haftbefehle erlassen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.

Strafverschärfend hat sich im Urteil ausgewirkt, dass der Kläger Handel mit Mengen, die ein Vielfaches der nicht geringen Menge ausmachten, betrieben hat. Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass sich der Kläger in vollem Umfang geständig eingelassen hat, alle Anklagepunkte ausschließlich auf seiner eigenen Aussage beruhten, er zudem wertvolle Hinweise zur Aufklärung weiterer Straftaten gegeben hat und auch noch Teile der gehandelten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Ferner hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sei, zudem glaubhaft dargelegt habe, dass er seine Drogenprobleme erkannt habe und aktiv angehen wolle. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme habe er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Außerdem wolle er sich aus dem Drogenmilieu lösen. Wegen des ernsthaften Bemühens des Klägers, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, hat das Landgericht schon im Urteil in Aussicht gestellt, einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zu einer Therapie nach § 35 BtMG zuzustimmen.

Die Ausweisung ist zum einen spezialpräventiv auf die vom Kläger ausgehende Gefahr (hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Drogendelikten) und zum anderen generalpräventiv (Abschreckung potentieller Straftäter im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität) gestützt.

Die Verurteilung basiert im Wesentlichen auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, während der Besitz von Drogen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Drogenhandel, den der seit etlichen Jahren betäubungsmittelabhängige Kläger erst 2004 begonnen hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt – im Normalfall zur Ausweisung des Straftäters führt. Dass ein unverbüßter Strafrest von 351 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an der Schwere der vom Kläger begangenen Drogendelikte nichts. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“ (EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)) . Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen, (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007,443) was ein generalpräventives Vorgehen der Ausländerbehörde nicht ausschließt. (Hailbronner, Ausländerrecht, A1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 23)

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen „Schlussstrich“ unter seine rund 8jährige „Drogenkarriere“ ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte „nahtlose“ Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist. (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27) Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33) Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem „Wohlverhalten“ des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat. (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70/86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel) Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als „verbraucht“ anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen) , ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte) . Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (Vgl. „Aufenthaltsbescheinigung“ des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete. (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte) Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) , unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

Gründe

Die gemäß § 124 II Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 124a VI i.V.m. III 4 VwGO begründet worden. Die Berufung hat auch Erfolg.

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des (Rechtsvorgängers des) Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2006, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem Hinweis auf seine Ausreisepflicht – wegen seiner damaligen Inhaftierung ohne Setzung einer Ausreisefrist – seine Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe, angedroht wurde, ist begründet.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (Zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004– 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008,116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt. (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443) Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar, (Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116)

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten
- Dauer des Aufenthalts im Gastland
- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase
- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (Vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II))

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig.

Zu der Person des Klägers und seinen Straftaten lässt sich dem bei den Verwaltungsunterlagen befindlichen Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 (Bl. 70 ff. Verwaltungsunterlagen) folgendes entnehmen:

Der 1977 in Algerien geborene Kläger reiste 1985 im Alter von 7 Jahren mit seiner Mutter zu dem aufenthaltsberechtigten Vater ins Bundesgebiet ein. Nach der Grundschule besuchte er die Gesamtschule, die er im neunten Schuljahr ohne Abschluss verließ. Anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Maler- und Lackierer, die er nicht abschloss, da er den theoretischen Teil der Prüfung nicht bestand. Nach einem halbjährigen Besuch eines Arbeitsvorbereitungskurses arbeitete er ein halbes Jahr bei einer Maler- und Lackiererfirma auf Montage, danach für eine Leiharbeiterfirma, bis er nach einjähriger Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei einem Unternehmen von diesem übernommen und festangestellt wurde; dort war er sodann dreieinhalb Jahre bis zu seiner Festnahme als Produktionshelfer beschäftigt.

Im Alter von 19 Jahren begann er mit gelegentlichem Konsum von Haschisch. Später steigerte sich der Konsum und umfasste auch Marihuana, Ecstasy und Amphetamin und schließlich mit 21 Jahren konsumierte der Antragsteller – aus Preisgründen selten - auch Kokain. Ab Mitte 2004 rauchte er nur noch Haschisch, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Aufgrund eines Anfang 2004 mit einem Mittäter gefassten Beschlusses erwarb er Drogen und veräußerte in 7 Fällen nicht nur geringe Mengen Gewinn bringend. Seine Festnahme erfolgte am 4. 10. 2004. Am 16.6.2005 wurde der Kläger wegen Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

In seinen polizeilichen Vernehmungen machte der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger – im Urteil des Amtsgerichtes B-Stadt vom 22.2.1996 war er zwar des (als 17jähriger begangenen) Diebstahls für schuldig befunden worden, es war aber von Strafe abgesehen worden - umfassende Angaben zu seinen Geschäften und zu Personen, die an den Geschäften beteiligt waren. Dabei leistete er Hilfe bei der Aufklärung weiterer Taten über seinen Tatbeitrag hinaus. Er hat insbesondere seine Mittäter und Abnehmer benannt und zu ihrer Identifizierung beigetragen. Aufgrund seiner Aussage wurden Haftbefehle erlassen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.

Strafverschärfend hat sich im Urteil ausgewirkt, dass der Kläger Handel mit Mengen, die ein Vielfaches der nicht geringen Menge ausmachten, betrieben hat. Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass sich der Kläger in vollem Umfang geständig eingelassen hat, alle Anklagepunkte ausschließlich auf seiner eigenen Aussage beruhten, er zudem wertvolle Hinweise zur Aufklärung weiterer Straftaten gegeben hat und auch noch Teile der gehandelten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Ferner hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sei, zudem glaubhaft dargelegt habe, dass er seine Drogenprobleme erkannt habe und aktiv angehen wolle. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme habe er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Außerdem wolle er sich aus dem Drogenmilieu lösen. Wegen des ernsthaften Bemühens des Klägers, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, hat das Landgericht schon im Urteil in Aussicht gestellt, einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zu einer Therapie nach § 35 BtMG zuzustimmen.

Die Ausweisung ist zum einen spezialpräventiv auf die vom Kläger ausgehende Gefahr (hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Drogendelikten) und zum anderen generalpräventiv (Abschreckung potentieller Straftäter im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität) gestützt.

Die Verurteilung basiert im Wesentlichen auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, während der Besitz von Drogen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Drogenhandel, den der seit etlichen Jahren betäubungsmittelabhängige Kläger erst 2004 begonnen hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt – im Normalfall zur Ausweisung des Straftäters führt. Dass ein unverbüßter Strafrest von 351 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an der Schwere der vom Kläger begangenen Drogendelikte nichts. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“ (EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)) . Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen, (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007,443) was ein generalpräventives Vorgehen der Ausländerbehörde nicht ausschließt. (Hailbronner, Ausländerrecht, A1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 23)

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen „Schlussstrich“ unter seine rund 8jährige „Drogenkarriere“ ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte „nahtlose“ Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist. (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27) Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33) Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem „Wohlverhalten“ des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat. (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70/86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel) Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als „verbraucht“ anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen) , ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte) . Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (Vgl. „Aufenthaltsbescheinigung“ des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete. (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte) Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) , unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

(1) Dem Ehegatten eines Ausländers ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben,
2.
der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann und
3.
der Ausländer
a)
eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
b)
eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt,
c)
eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18d, 18f oder § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative besitzt,
d)
seit zwei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und die Aufenthaltserlaubnis nicht mit einer Nebenbestimmung nach § 8 Abs. 2 versehen oder die spätere Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht auf Grund einer Rechtsnorm ausgeschlossen ist; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
e)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Absatz 1 Satz 3 oder nach den Abschnitten 3, 4, 5 oder 6 oder § 37 oder § 38 besitzt, die Ehe bei deren Erteilung bereits bestand und die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet voraussichtlich über ein Jahr betragen wird; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
f)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a besitzt und die eheliche Lebensgemeinschaft bereits in dem Mitgliedstaat der Europäischen Union bestand, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat, oder
g)
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzt.
Satz 1 Nummer 1 und 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 3 Buchstabe f vorliegen. Satz 1 Nummer 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn
1.
der Ausländer, der einen Aufenthaltstitel nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder 2, § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 4 besitzt und die Ehe bereits bestand, als der Ausländer seinen Lebensmittelpunkt in das Bundesgebiet verlegt hat,
2.
der Ehegatte wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen,
3.
bei dem Ehegatten ein erkennbar geringer Integrationsbedarf im Sinne einer nach § 43 Absatz 4 erlassenen Rechtsverordnung besteht oder dieser aus anderen Gründen nach der Einreise keinen Anspruch nach § 44 auf Teilnahme am Integrationskurs hätte,
4.
der Ausländer wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf,
5.
der Ausländer im Besitz einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte oder eines Aufenthaltstitels nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, § 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 ist,
6.
es dem Ehegatten auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen, oder
7.
der Ausländer unmittelbar vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU Inhaber einer Blauen Karte EU oder einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, den §§ 18d, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 war.

(2) Die Aufenthaltserlaubnis kann zur Vermeidung einer besonderen Härte abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 erteilt werden. Besitzt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis, kann von den anderen Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe e abgesehen werden; Gleiches gilt, wenn der Ausländer ein nationales Visum besitzt.

(3) Die Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 verlängert werden, solange die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(4) Ist ein Ausländer gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet und lebt er gemeinsam mit einem Ehegatten im Bundesgebiet, wird keinem weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 oder Absatz 3 erteilt.

(5) Hält sich der Ausländer gemäß § 18e berechtigt im Bundesgebiet auf, so bedarf der Ehegatte keines Aufenthaltstitels, wenn nachgewiesen wird, dass sich der Ehegatte in dem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig als Angehöriger des Ausländers aufgehalten hat. Die Voraussetzungen nach § 18e Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 und 4 und Absatz 6 Satz 1 und die Ablehnungsgründe nach § 19f gelten für den Ehegatten entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Der Aufenthaltstitel des Ausländers nach § 4 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 zweite Alternative, Nummer 2, 2a, 2b, 2c, 3 und 4 kann außer in den Fällen der Absätze 2 bis 6 nur widerrufen werden, wenn

1.
er keinen gültigen Pass oder Passersatz mehr besitzt,
2.
er seine Staatsangehörigkeit wechselt oder verliert,
3.
er noch nicht eingereist ist,
4.
seine Anerkennung als Asylberechtigter oder seine Rechtsstellung als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter erlischt oder unwirksam wird oder
5.
die Ausländerbehörde nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 feststellt, dass
a)
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 nicht oder nicht mehr vorliegen,
b)
der Ausländer einen der Ausschlussgründe nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 bis 4 erfüllt oder
c)
in den Fällen des § 42 Satz 1 des Asylgesetzes die Feststellung aufgehoben oder unwirksam wird.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 4 und 5 kann auch der Aufenthaltstitel der mit dem Ausländer in familiärer Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen widerrufen werden, wenn diesen kein eigenständiger Anspruch auf den Aufenthaltstitel zusteht.

(2) Ein nationales Visum, eine Aufenthaltserlaubnis und eine Blaue Karte EU, die zum Zweck der Beschäftigung erteilt wurden, sind zu widerrufen, wenn die Bundesagentur für Arbeit nach § 41 die Zustimmung zur Ausübung der Beschäftigung widerrufen hat. Ein nationales Visum und eine Aufenthaltserlaubnis, die nicht zum Zweck der Beschäftigung erteilt wurden, sind im Falle des Satzes 1 in dem Umfang zu widerrufen, in dem sie die Beschäftigung gestatten.

(2a) Eine nach § 19 erteilte ICT-Karte, eine nach § 19b erteilte Mobiler-ICT-Karte oder ein Aufenthaltstitel zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder Mobiler-ICT-Karte kann widerrufen werden, wenn der Ausländer

1.
nicht mehr die Voraussetzungen der Erteilung erfüllt oder
2.
gegen Vorschriften eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union über die Mobilität von unternehmensintern transferierten Arbeitnehmern im Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/66/EU verstoßen hat.
Wird die ICT-Karte oder die Mobiler-ICT-Karte widerrufen, so ist zugleich der dem Familienangehörigen erteilte Aufenthaltstitel zu widerrufen, es sei denn, dem Familienangehörigen steht ein eigenständiger Anspruch auf einen Aufenthaltstitel zu.

(3) Eine nach § 16b Absatz 1, 5 oder 7 zum Zweck des Studiums erteilte Aufenthaltserlaubnis kann widerrufen werden, wenn

1.
der Ausländer ohne die erforderliche Erlaubnis eine Erwerbstätigkeit ausübt,
2.
der Ausländer unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Studiendauer an der betreffenden Hochschule im jeweiligen Studiengang und seiner individuellen Situation keine ausreichenden Studienfortschritte macht oder
3.
der Ausländer nicht mehr die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16b Absatz 1, 5 oder 7 erteilt werden könnte.
Zur Prüfung der Voraussetzungen von Satz 1 Nummer 2 kann die Ausbildungseinrichtung beteiligt werden.

(4) Eine nach § 18d oder § 18f erteilte Aufenthaltserlaubnis kann widerrufen werden, wenn

1.
die Forschungseinrichtung, mit welcher der Ausländer eine Aufnahmevereinbarung abgeschlossen hat, ihre Anerkennung verliert, sofern er an einer Handlung beteiligt war, die zum Verlust der Anerkennung geführt hat,
2.
der Ausländer bei der Forschungseinrichtung keine Forschung mehr betreibt oder betreiben darf oder
3.
der Ausländer nicht mehr die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18d oder § 18f erteilt werden könnte oder eine Aufnahmevereinbarung mit ihm abgeschlossen werden dürfte.

(4a) Eine nach § 16e oder § 19e erteilte Aufenthaltserlaubnis kann widerrufen werden, wenn der Ausländer nicht mehr die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ihm die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könnte.

(5) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 oder Absatz 4b Satz 1 soll widerrufen werden, wenn

1.
der Ausländer nicht bereit war oder nicht mehr bereit ist, im Strafverfahren auszusagen,
2.
die Angaben des Ausländers, auf die in § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 1 oder Absatz 4b Satz 2 Nummer 1 Bezug genommen wird, nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft oder des Strafgerichts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als falsch anzusehen sind oder
3.
der Ausländer auf Grund sonstiger Umstände nicht mehr die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Absatz 4a oder Absatz 4b erfüllt.
Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 soll auch dann widerrufen werden, wenn der Ausländer freiwillig wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.

(6) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a soll widerrufen werden, wenn der Ausländer seine Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verliert.

(7) (weggefallen)

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt und

1.
mit einer dritten Person eine Ehe schließt oder
2.
gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit einer dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen.
Ebenso wird bestraft, wer mit einer dritten Person, die verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt, die Ehe schließt oder gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit dieser dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen.

Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. August 2004 -11 K 2450/03 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 wird insgesamt aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein im Jahr 1950 geborener indischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Rücknahme seiner Aufenthaltsberechtigung und seine Ausweisung. Er reiste im Jahr 1979 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er erfolglos einen Asylantrag stellte. Dabei gab er an, verheiratet zu sein und einen Sohn zu haben. Am ...1985 heiratete er eine im Jahr 1939 geborene deutsche Staatsangehörige und erhielt am 28.2.1985 eine Aufenthaltserlaubnis sowie am 19.3.1991 eine Aufenthaltsberechtigung. Im Zusammenhang mit der Eheschließung legte er mehrere Schriftstücke vor, wonach seine indische Ehefrau im Jahr 1984 verstorben sei. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau wurde im Jahr 1998 geschieden. Am 14.6.2000 beantragte eine Inderin namens „K. K.“ in New Delhi die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um als Ehefrau des Klägers mit diesem in Deutschland zusammenzuleben. Als Geburtsdatum gab sie den ...1966 an, als Heiratsdatum den ...1999. Mit Schreiben vom 30.10.2000 teilte die deutsche Botschaft New Delhi der Beklagten mit, dass diese Ehe schon seit über 18 Jahren bestehe und drei Kinder daraus hervorgegangen seien. Mit Schriftsatz seines damaligen Rechtsanwalts vom 5.3.2002 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten u. a., da ein von ihm eingeleitetes Verfahren auf Familiennachzug nicht vorangekommen sei, habe er auf Anraten Dritter und maßgebliches Betreiben seiner damaligen Arbeitgeberin diese geheiratet und der Wahrheit zuwider angegeben, seine 1978 geheiratete (indische) Frau sei verstorben. Mit dieser Heirat habe verhindert werden sollen, dass er ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verliere. Vor der Heirat habe er beim Standesamt Stuttgart-Bernhausen eine Bescheinigung über den Tod seiner (indischen) Ehefrau vorlegen müssen, die auch über die Deutsche Botschaft New Delhi auf Betreiben seiner fragwürdigen Berater beschafft und beim Standesamt vorgelegt worden sei.
Mit Verfügung vom 9.7.2002 nahm die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers zurück (Nr.1) und wies ihn unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 2 und 3). Gleichzeitig drohte sie ihm die Abschiebung nach Indien an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Rechtsgrundlage der Rücknahme sei § 48 LVwVfG. Hätte der Kläger nicht beim Standesamt bewusst falsche Unterlagen bei der Bestellung des Aufgebots für die Eheschließung vorgelegt, hätte er auch nicht bigamistisch heiraten können. Ihm wäre aufgrund der Eheschließung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Die Aufenthaltsberechtigung sei nur erteilt worden, weil die Behörde davon ausgegangen sei, dass er rechtmäßig verheiratet und aufgrund der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau der Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt sei. Die erteilte Aufenthaltsberechtigung sei daher nach § 48 LVwVfG zurückzunehmen. Nach § 45 Abs. 1 AuslG könne ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige. Es sei das schutzwürdige Interesse des Klägers an einem zukünftigen Aufenthalt im Bundesgebiet gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwägen und auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zu prüfen. Danach sei die Ausweisung gerechtfertigt.
Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart über den Widerspruch des Klägers nicht entschieden hatte, erhob er am 16.6.2003 Klage.
Mit ohne mündliche Verhandlung ergangenem Urteil vom 31.8.2004 hat das Verwaltungsgericht die Ausweisung in der Verfügung vom 9.7.2002 (Nr. 2 und 3) aufgehoben und die Klage im übrigen (Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung und Abschiebungsandrohung) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Rücknahmeverfügung sei rechtmäßig. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sei rechtswidrig gewesen, weil ein Ausweisungsgrund vorgelegen habe, der durch Erteilung der vorausgegangenen Aufenthaltserlaubnis nicht verbraucht gewesen sei. Der Kläger habe - ungeachtet einer Strafbarkeit wegen der umstrittenen Doppelehe - eine Urkundenfälschung begangen, nämlich beim Standesamt zum Zweck der Eheschließung mit unstreitig falschen Belegen über den Tod seiner Ehefrau eine unechte oder verfälschte Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Damit habe er auch unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen. Diese Taten dürften zwar schon bei Erteilung der Aufenthaltsberechtigung verjährt gewesen sein, seien jedoch auch nach sieben Jahren als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i. S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei eingehalten, denn die Ausländerbehörde habe frühestens mit dem Bericht der deutschen Botschaft vom 12.7.2001, möglicherweise erst nach Anhörung des Klägers hinreichende Kenntnis von die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlangt. Die Rücknahme selbst lasse zwar keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar Zweifel an einer Ermessensentscheidung überhaupt aufkommen. Zu berücksichtigen sei aber, dass der Bescheid zuvor die Ermessensvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG wiedergebe, einen Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 annehme und ausführe, dass ohne die Täuschung des Standesamtes und der Ausländerbehörde keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden wäre. Damit sei die Beklagte von einer Ermessensermächtigung und möglicherweise von einem Fall ausgegangen, in dem es keiner weiteren Ermessenserwägungen bedürfe. Dies sei bei einer Ermessensreduzierung und nach den Grundsätzen über das gelenkte bzw. intendierte Ermessen nicht zu beanstanden und werde etwa für die Fälle des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG angenommen, liege somit auch für den Fall des § 48 Abs. 4 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG nahe. Ob ein solcher Fall vorliege, könne aber auch in diesem Zusammenhang dahinstehen, denn die Beklagte habe bei der anschließend begründeten Ausweisung Ermessenserwägungen dargelegt, die für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien. Bei entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 2 AuslG habe allerdings die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben, und die Zeit davor sei nur von Bedeutung, soweit über die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung hinaus Konsequenzen für den weiteren Aufenthalt gezogen würden - hier mit der Ausweisung selbst. Im übrigen habe die Beklagte zutreffend und unwidersprochen angeführt, dass außer der Erwerbstätigkeit seit 1979 keine besonderen Bindungen des Klägers in Deutschland vorgetragen oder ersichtlich seien, die Familie vielmehr im Heimatland lebe, und eine etwaige Abschiebung nicht unmöglich sei. Bezüglich der Ausweisung sei die Klage jedoch begründet. Die Beklagte habe nicht erkennbar gewürdigt, dass der Kläger seit 28.2.1984 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt habe, was in eine Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise und Fernhaltung des Klägers einerseits und dessen privater Belange andererseits mit dem gebührenden Gewicht hätte einbezogen werden müssen.
Gegen das am 8.9.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.9.2004 die Zulassung der Berufung beantragt, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Mit Beschluss vom 22.11. 2005 hat der Senat die Berufung zugelassen.
Mit am 7.12.2005 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Berufung begründet. Zur Begründung führt er aus: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er - abgesehen von der umstrittenen Frage einer Doppelehe (§ 172 StGB) - eine Urkundenfälschung begangen (§ 267 Abs. 1 StGB) und unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt habe, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen, was als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i.S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten sei. Eine Urkundenfälschung habe hier nicht vorgelegen. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG fehle es jedenfalls an der Kausalität zwischen der falschen Behauptung einerseits und einem ausländerrechtlich unrichtigen Ergebnis andererseits. Denn die von ihm in Indien geschlossene Ehe sei wegen des Alters seiner Ehefrau unwirksam gewesen, weshalb es an einer nach deutschem Recht anerkennungsfähigen Ehe gefehlt habe. Die Beklagte habe bei der Rücknahme auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG nicht eingehalten. Zudem fehle es insoweit an der Ermessensausübung. Im angegriffenen Bescheid werde ausgeführt, dass die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung „zurückzunehmen ist“. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könnten die Erwägungen, welche die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung bei der Ausweisung angestellt habe, nicht auf die Rücknahmeentscheidung übertragen werden. Dies gelte umso mehr, als die Ermessenserwägungen auch die Ausweisung nicht getragen hätten. Bei der Ermessensausübung müsse auch berücksichtigt werden, dass er seit dem 8.4.1979 in der Bundesrepublik Deutschland lebe und dass es daher äußerst fragwürdig sei, ob er sich in Indien noch einmal einleben könne. Er habe auch über fast den gesamten Zeitraum seines Aufenthalts in der Bundesrepublik in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden. Mit seiner Arbeit habe er nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch seine Familienangehörigen in Indien unterstützt und damit zu deren Überleben beigetragen. Eine Rückkehr würde für ihn und seine Familie auch einen Absturz ins wirtschaftliche und soziale „Nichts“ bedeuten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.8.2004 - 11 K 2450/03 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 insgesamt aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Berufung zurückzuweisen.
11 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
12 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart verwiesen. Sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

 
13 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Gründe

 
13 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Sonstige Literatur

 
42 
Rechtsmittelbelehrung
43 
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
44 
Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, 68165 Mannheim oder Postfach 10 32 64, 68032 Mannheim, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen.
45 
Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
46 
In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
47 
Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
48 
Beschluss vom 11.1.2006
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 72 Nr.1 GKG i. d. F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718).
50 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Eine Ehe darf nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht.

(1) Eine Ehe kann aufgehoben werden, wenn sie

1.
entgegen § 1303 Satz 1 mit einem Minderjährigen geschlossen worden ist, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte, oder
2.
entgegen den §§ 1304, 1306, 1307, 1311 geschlossen worden ist.

(2) Eine Ehe kann ferner aufgehoben werden, wenn

1.
ein Ehegatte sich bei der Eheschließung im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befand;
2.
ein Ehegatte bei der Eheschließung nicht gewusst hat, dass es sich um eine Eheschließung handelt;
3.
ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten; dies gilt nicht, wenn die Täuschung Vermögensverhältnisse betrifft oder von einem Dritten ohne Wissen des anderen Ehegatten verübt worden ist;
4.
ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist;
5.
beide Ehegatten sich bei der Eheschließung darüber einig waren, dass sie keine Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 begründen wollen.

Eine Ehe kann nur durch richterliche Entscheidung auf Antrag aufgehoben werden. Die Ehe ist mit der Rechtskraft der Entscheidung aufgelöst. Die Voraussetzungen, unter denen die Aufhebung begehrt werden kann, ergeben sich aus den folgenden Vorschriften.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 266/98 Verkündet am:
17. Januar 2001
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
EheG §§ 5, 20 (a.F. vor dem 1. Juli 1998)
EGBGB Art. 226 Abs. 2

a) Zur Nichtigerklärung einer 1946 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR
geschlossenen bigamischen Ehe.

b) Zur Frage des öffentlichen Interesses der Staatsanwaltschaft an der
Durchführung der Nichtigkeitsklage gegen den gutgläubigen zweiten
Ehegatten.
BGH, Urteil vom 17. Januar 2001 - XII ZR 266/98 - OLG Rostock
LG Greifswald
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die
Richter Dr. Hahne, Gerber, Sprick und Weber-Monecke

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Familiensenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 22. September 1998 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Staatsanwaltschaft Stralsund klagt auf Nichtigerklärung der Ehe zwischen der Beklagten und Kurt S.. Dieser hatte am 17. Juli 1937 vor dem Standesamt Johanngeorgenstadt seine erste Ehefrau, Hanni Lotte F., geheiratet. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor. Nach Kriegsende kehrte er nicht zu ihr zurück. Am 21. September 1946 heiratete er vor dem Standesamt in Gützkow, Kreis Greifswald, seine zweite Ehefrau, die Beklagte. Im Aufgebotsverfahren versicherte er an Eides Statt, nicht verheiratet zu sein. Aus dieser zweiten Ehe gingen vier Kinder hervor. Auf Antrag seiner ersten Ehefrau wurde er durch seit 17. September 1952 rechtskräftigen Beschluß des Kreisgerichts Johanngeorgenstadt mit Wir-
kung vom 31. Dezember 1951 für tot erklärt. Danach heiratete seine erste Ehefrau am 24. Januar 1953 erneut, wurde aber am 23. Oktober 1956 wieder geschieden. Kurt S. verstarb am 2. September 1985. Seine erste Ehefrau bezog vom Versorgungsamt eine Witwenversorgung nach Kurt S., deren Zahlung aber nach Bekanntwerden des Sachverhalts eingestellt wurde. Die Beklagte bezog aus den Rentenanwartschaften des Kurt S. eine Hinterbliebenenrente, die nunmehr nach dem Vorschlag des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers nach dem Verhältnis der jeweils verbrachten Ehejahre zwischen den beiden Frauen aufgeteilt werden soll. Das Amtsgericht hat dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die am 21. September 1946 geschlossene zweite Ehe des Kurt S. mit der Beklagten für nichtig zu erklären, stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre zugelassene Revision , mit der sie die Abweisung der Nichtigkeitsklage weiterbegehrt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg. 1. Das Oberlandesgericht hat die Ehe der Beklagten mit Kurt S. gemäß §§ 5, 20 Abs. 1 EheG in der Fassung vor der Neufassung durch das Eheschließungsrechtsgesetz vom 4. Mai 1998 für nichtig erklärt, weil Kurt S. zum Zeitpunkt der Eheschließung 1946 noch rechtsgültig mit seiner ersten Ehefrau
verheiratet gewesen sei. Es hat dazu ausgeführt, daß auch die rechtskräftige Todeserklärung des Kurt S. 1952 und die anschließende Wiederheirat seiner ersten Ehefrau 1953 nicht zu einer rückwirkenden Heilung seiner zweiten Ehe haben führen können, weil die bigamisch geschlossene Ehe nichtig bleibe, auch wenn die erste Ehe später durch Tod, Scheidung oder ähnliches aufgelöst werde. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision greifen im Ergebnis nicht durch.
a) Zutreffend und von der Revision insoweit auch nicht beanstandet ist, daß nach der Übergangsregelung des Art. 15 des zum 1. Juli 1998 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 4. Mai 1998 (BGBl. I S. 833) für die bereits vor dem 1. Juli 1998 erhobene Nichtigkeitsklage weiterhin das bis zu diesem Zeitpunkt geltende materielle Recht sowie das Verfahrensrecht anzuwenden ist (Art. 226 Abs. 2 EGBGB). Die Neuregelung der §§ 1306, 1313, 1314 Abs. 1 BGB, nach der eine Doppelehe nicht mehr nichtig, sondern nur aufhebbar und die Antragsberechtigung der Staatsanwaltschaft entfallen ist, ist somit auf vorliegenden Fall nicht anzuwenden.
b) Die Revision rügt allerdings zu Recht, daß das Oberlandesgericht die Nichtigkeit der 1946 im damaligen Gebiet der sowjetischen Besatzungszone geschlossenen Doppelehe lediglich nach dem bundesdeutschen Recht (§§ 5, 20 EheG in der Fassung vor 1998) beurteilt hat. Das ist rechtsfehlerhaft, führt indessen nicht zu einer anderen Entscheidung. Nach Anlage I Kap. III Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 11 a des Einigungsvertrages gelten die §§ 1 bis 21 EheG nicht für Ehen, die - wie hier die Ehe der Beklagten - vor dem Wirksamwerden des Beitritts (3. Oktober 1990) geschlossen wurden. Die Wirksamkeit solcher Ehen bestimmt sich nach dem bisherigen Recht. Die Bestimmung ver-
weist somit auf das zum Zeitpunkt und am Ort der Eheschließung geltende Recht. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Staatswesen der ehemaligen DDR noch nicht, so daß es auf dessen spätere Gesetze nicht ankommt. Maßgebend für die Beurteilung der Nichtigkeit der 1946 geschlossenen zweiten Ehe des Kurt S. ist vielmehr das Ehegesetz in der Fassung des Kontrollratsgesetzes Nr. 16 vom 20. Februar 1946 (KRABl. S. 77 und 294), welches seit 1. März 1946 in allen vier Besatzungszonen und in Berlin galt (vgl. MünchKomm/Müller-Gindullis 3. Aufl. BGB EheG vor § 1 Rdn. 3 und 4; BGB RGRK/Wüstenberg 10./11. Aufl. EheG Einleitung Anm. 7). Dieses Kontrollratsgesetz ließ das Ehegesetz von 1938 - bereinigt um nationalsozialistisches Unrecht - im wesentlichen inhaltlich weitergelten, mithin auch die §§ 5, 20 EheG mit dem Nichtigkeitsgrund der Doppelehe. Danach war die am 21. September 1946 geschlossene Ehe des Kurt S. mit der Beklagten nichtig, weil er zu dieser Zeit noch in gültiger Ehe mit seiner ersten Ehefrau lebte. Nichts anderes ergäbe sich im übrigen, wenn es auf die späteren Rechtsvorschriften der ehemaligen DDR ankäme. Die Nichtigkeit einer Doppelehe ergab sich sowohl nach §§ 3 Nr. 1, 6 Abs. 1 der Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung vom 24. November 1955 (GBl-DDR I S. 849 f.), die auf dem Gebiet der DDR das Kontrollratsgesetz Nr. 16 ablöste, als auch nach §§ 8 Nr. 1, 35 Abs. 1 des Familiengesetzbuches der DDR vom 20. Dezember 1965, das am 1. April 1966 in Kraft trat und bis zum Beitritt galt (GBl-DDR I 1966, S. 1 ff.).
c) Eine rückwirkende Heilung der bigamisch geschlossenen zweiten Ehe des Kurt S. durch seine Todeserklärung und die Wiederheirat der ersten Ehefrau hat das Oberlandesgericht zu Recht verneint. Zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Todeserklärung 1952 und der Wiederheirat der ersten Ehefrau 1953 galt in der 1949 gegründeten ehemaligen DDR bis zum 24. November 1955 (dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eheschließungsverordnung) ebenfalls
noch das Ehegesetz in der Fassung des Kontrollratsgesetzes Nr. 16. Nach § 38 EheG wurde zugunsten des gutgläubigen Ehegatten, der seinen anderen Ehegatten für tot hat erklären lassen und im Vertrauen auf die Richtigkeit der Todeserklärung eine neue Ehe eingegangen ist, seine frühere Ehe mit Schließung der neuen Ehe aufgelöst (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EheG). Das Gesetz wollte ihn davor schützen, daß seine zweite Ehe deshalb nichtig ist, weil der für tot Erklärte tatsächlich noch lebt. Nach Wortlaut und Zweck diente diese Sonderregelung nur dem Schutz desjenigen gutgläubigen Ehegatten, der auf die durch die amtliche Todeserklärung begründete Vermutung des Todes seines bisherigen Ehegatten vertraute, sich für verwitwet halten durfte und daher eine neue Ehe einging. Eine analoge Anwendung dieser Regelung auf den für tot erklärten Ehegatten, der in Kenntnis seiner ersten Ehe eine neue Ehe schließt, verbietet sich aus dem Ausnahmecharakter der Bestimmung (Senatsurteil vom 27. Oktober 1993 - XII ZR 140/92 - FamRZ 1994, 498, 499). Zwar wirkte die Auflösung der ersten Ehe, die aufgrund der Wiederheirat des die Todeserklärung betreibenden Ehegatten eintrat, auch zugunsten des für tot Erklärten; denn er unterlag von diesem Zeitpunkt an für eine neue Eheschließung nicht mehr dem Verbot der Doppelehe, da auch für ihn eine solche nicht mehr existierte (Senatsurteil aaO S. 498). Das besagt aber andererseits nicht, daß eine von ihm schon zuvor bigamisch geschlossene Ehe geheilt wurde , und zwar weder ex tunc noch ex nunc. Denn die Regelung des § 38 EheG beruhte auf der Wertvorstellung, daß bereits in der Eingehung der Doppelehe ein mindestens objektiver Verstoß lag, der die zweite Ehe mit einem dauernden , grundsätzlich unheilbaren Mangel behaftete. Dieser Mangel sollte nicht durch Auflösung der ersten Ehe (sei es durch Scheidung, Tod oder Auflösung nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EheG) geheilt werden können, selbst wenn dadurch der Zustand der Doppelehe beseitigt wurde (BGHZ 37, 51, 55, 56; BGH, Urteil
vom 22. April 1964 - IV ZR 189/63 - FamRZ 1964, 418, 419). Die von der Revision dagegen vorgetragenen Gründe geben dem Senat keine Veranlassung, für den vorliegenden Fall von dieser Rechtsprechung abzuweichen. 2. Trotz Vorliegens der Nichtigkeit kann im Einzelfall die Erhebung der Nichtigkeitsklage durch die - hier allein antragsberechtigte (§ 24 Abs. 1 Satz 2 EheG, §§ 631, 632 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.) - Staatsanwaltschaft objektiv rechtsmißbräuchlich und damit unzulässig sein, wenn bei verantwortlicher Würdigung der durch die Doppelehe geschaffenen Umstände und der Belange der Beklagten dem öffentlichen Interesse an der Nichtigerklärung der Ehe kein wesentliches Gewicht mehr beigemessen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 1975 - IV ZR 33/74 - FamRZ 1975, 332, 333). Das Oberlandesgericht hat ein solches öffentliches Interesse hier indes zu Recht bejaht. Es hat ausgeführt, daß weder der Umstand, daß die erste Ehe des Kurt S. durch die Wiederheirat seiner ersten Ehefrau nach seiner Todeserklärung aufgelöst, noch die Tatsache, daß auch seine zweite Ehe mit der Beklagen mittlerweile durch seinen Tod beendet worden sei, das öffentliche Interesse an der Nichtigkeit der Ehe entfallen lasse. Denn die Nichtigkeitsklage verfolge nicht allein den Zweck, durch Auflösung der zweiten bigamischen Ehe die erste Ehe wieder herzustellen, sondern auch das Ziel, den Grundsatz der Einehe durchzusetzen. Dabei komme nur der wirksam zustande gekommenen Erstehe der Schutz des Art. 6 GG zu. Auch die lange Dauer der Zweitehe von 39 Jahren, aus der vier Kinder hervorgegangen seien, rechtfertige keine andere Beurteilung , zumal auch die erste Ehe mit ca. 15 1/2 Jahren, in der die Ehegatten zumindest rund 6 Jahre zusammengelebt hätten und aus der drei Kinder hervorgegangen seien, nicht als kurz bezeichnet werden könne. Ein besonderes öffentliches Interesse folge schließlich aus der notwendigen Klärung der vermögens -, renten- und versorgungsrechtlichen Verhältnisse, die durch die Doppe-
lehe entstanden seien. Hierfür sei entscheidend, ob die zweite Ehe des Kurt S. von Bestand sei oder nicht, da für die Rentenversicherungsträger die Berechnung der Rentenansprüche der beiden Ehefrauen aus der Hinterbliebenenrente des Kurt S. auf einer sicheren rechtlichen Grundlage erfolgen müsse. Die bei Eingehung der Ehe gutgläubige Beklagte werde hierdurch nicht unangemessen benachteiligt, weil sie gemäß §§ 26 EheG, 1587 ff. BGB durch den durchzuführenden Versorgungsausgleich an den Rentenanwartschaften des Kurt S. weiter teilhabe. Die Revision hebt demgegenüber im wesentlichen darauf ab, daß zum Zeitpunkt der Erhebung der Nichtigkeitsklage sowohl die erste als auch die zweite Ehe bereits aufgelöst waren, so daß die Nichtigkeitsklage weder dazu dienen könne, den Fortbestand der ersten Ehe rechtlich zu dokumentieren, noch dazu, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Zustand der Doppelehe zu beseitigen. Die gutgläubige, nunmehr über 80-jährige Beklagte treffe die Nichtigerklärung besonders hart, da sie wegen des Todes des Kurt S. nicht mehr die Möglichkeit habe, mit ihm - erneut - eine nunmehr gültige Ehe zu schließen. Auch der lange Bestand der Ehe und der Umstand, daß aus ihr vier Kinder stammen, ließen den Makel der Doppelehe zurücktreten. 3. Der Revision ist einzuräumen, daß der vorliegende Sachverhalt sich von den bisherigen Fällen, in denen der Bundesgerichtshof über eine Nichtigkeitsklage der Staatsanwaltschaft zu befinden hatte, insofern unterscheidet, als dort die ersten Ehen zum Zeitpunkt der Erhebung der Nichtigkeitsklage noch Bestand hatten und zum Teil erst danach durch Scheidung aufgelöst wurden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 1975 aaO S. 332; Senatsurteil vom 18. Juni 1986 - IVb ZR 41/85 - FamRZ 1986 S. 879 f.; Senatsurteil vom 27. Oktober 1993 aaO), während hier die erste Ehe bereits durch die 1953 erfolgte Wieder-
heirat der ersten Ehefrau nach Todeserklärung (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EheG) und die zweite Ehe 1985 durch den Tod des Kurt S. aufgelöst war. Von Teilen der Literatur und Rechtsprechung wird ein öffentliches Interesse dann verneint, wenn die erste Ehe nach Schließung der zweiten Ehe rechtskräftig geschieden wird oder der bigamische Ehegatte verstorben ist, so daß die zweite Ehe nicht erneut geschlossen werden kann und die Nichtigerklärung dazu führt, daß der zweite überlebende Ehegatte erhebliche finanzielle Nachteile erleidet (vgl. OLG Karlsruhe IPrax 1986, 166, 167; MünchKomm ZPO/Walter 1. Aufl. § 631 a.F. Rdn. 5; Stein/Jonas/Schlosser ZPO 21. Aufl. § 632 a.F. Rdn. 2 und 4; Johannsen /Henrich/Sedemund-Treiber Eherecht 2. Aufl. § 632 a.F. ZPO Rdn. 5). Der Senat vermag dem indessen für den vorliegenden Fall nicht zu folgen. Zwar währte der Zustand der Doppelehe nur von September 1946 bis zur Wiederheirat der ersten Ehefrau Anfang 1953, also rund sechs Jahre. Wie der Senat aber in den genannten Entscheidungen dargelegt hat, geht es bei der Nichtigkeitsklage nicht nur darum, den noch andauernden Zustand einer Doppelehe zu beseitigen - ein solches Ziel könnte hier in der Tat nicht mehr erreicht werden -, sondern auch darum, den Akt der Eingehung der Doppelehe für nichtig zu erklären, um den Grundsatz der Einehe zu wahren und den vorrangig der Erstehe zukommenden verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 6 GG zu verwirklichen (Senatsurteil vom 18. Juni 1986 aaO S. 880). Zwar enthält das neue Eheschließungsrecht gegenüber dem alten Recht insoweit ein gewandeltes Rechtsverständnis, als seit dem 1. Juli 1998 eine Doppelehe nur noch der Aufhebung ex nunc, und zwar unter eingeschränkten Voraussetzungen , unterliegt (§§ 1313, 1314, 1316 Abs. 3 BGB) und ein Aufhebungsantrag nicht mehr gestellt werden kann, wenn die Ehe bereits aufgelöst ist (§ 1317 Abs. 3 BGB). Für die Ermessensausübung des Staatsanwalts, der gemäß der Überleitungsvorschrift des Art. 226 Abs. 2 EGBGB das Verfahren auf Nichti-
gerklärung der Ehe weiterbetreibt, bedeutet dies indes noch nicht, daß nunmehr das öffentliche Interesse entfällt und die Klage als rechtsmißbräuchlich anzusehen ist. Der bloße Zeitablauf seit Eingehung der bigamisch geschlossenen Ehe reicht regelmäßig nicht aus, um der Aufrechterhaltung der bigamischen Ehe den Vorrang vor der wirksam zustande gekommenen Erstehe zuzubilligen. Im übrigen steht, wie das Oberlandesgericht zutreffend hervorgehoben hat, der 39-jährigen Ehe der Beklagten mit Kurt S. immerhin die nicht als kurz zu bewertende 15 1/2-jährige erste Ehe gegenüber, aus der ebenfalls mehrere Kinder hervorgegangen sind (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 1993 aaO S. 499). Das öffentliche Interesse an der Nichtigkeitsklage rechtfertigt sich hier aber vor allem aus der notwendigen verbindlichen Klärung der vermögens-, insbesondere renten- und versorgungsrechtlichen Rechtsverhältnisse der Beteiligten (Senatsurteile vom 18. Juni 1986 und vom 27. Oktober 1993 jeweils aaO). Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts bezog die 1910 geborene erste Ehefrau vom Versorgungsamt der Stadt Ch. auf ihren Antrag vom Februar 1995 eine Witwenversorgung nach Kurt S., deren Zahlung aber im April 1996 im Hinblick auf den bekannt gewordenen Sachverhalt der Doppelehe zunächst eingestellt wurde. Auch die 1918 geborene Beklagte bezog nach dem Tod des Kurt S. 1985 Witwenrente, die nach einer vorläufigen Berechnung der Landesversicherungsanstalt nunmehr im Verhältnis der jeweiligen Ehejahre unter den beiden Witwen aufgeteilt werden soll. Ob und in welcher Höhe die erste Ehefrau und die Beklagte eine Hinterbliebenenversorgung beziehen können, hängt von der Feststellung der Nichtigkeit der zweiten Ehe ab. Im Falle der Nichtigkeit würde zwar ein Anspruch der Beklagten auf Hinterbliebenenversorgung entfallen. Sie hätte aber gegebenenfalls gemäß §§ 26 i.V.m.
20 EheG einen Anspruch auf Durchführung des Versorgungsausgleichs gemäß §§ 1587 ff. BGB, den sie - auch nach dem Tod des Kurt S. - gegen dessen Erben geltend machen kann (§ 1587 e Abs. 4 BGB). Er beläuft sich der Höhe nach auf die hälftige Differenz der beiderseits in der gesamten Ehezeit von 1946 bis 1985 erworbenen Versorgungsanwartschaften (vgl. Senatsbeschluß vom 9. Dezember 1981 - IVb ZB 569/80 - FamRZ 1982, 475 ff.). Daher stehen ihre Belange dem auf der anderen Seite gegebenen Interesse an der Klärung der rentenrechtlichen Fragen - auch im Hinblick auf die versorgungsrechtliche Situation der ersten Ehefrau - nicht in einer solchen Weise entgegen, daß die Nichtigkeitsklage der Staatsanwaltschaft als rechtsmißbräuchlich angesehen werden könnte. Blumenröhr Hahne Gerber Sprick Weber-Monecke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 58/00 Verkündet am:
9. Januar 2002
Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
Zur Antragsberechtigung der dritten Person nach § 1316 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 1306
BGH, Urteil vom 9. Januar 2002 - XII ZR 58/00 - OLG Oldenburg
AG Jever
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Januar 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz, Dr. Ahlt und Dr. Vézina

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Antragsgegner werden das Urteil des 14. Zivilsenats - 5. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. Januar 2000 und das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Jever vom 11. August 1999 aufgehoben. Der Antrag wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Antragsteller begehrt die Aufhebung der von den Antragsgegnern geschlossenen Ehe. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin zu 1 sind russische Staatsangehörige. Ihre 1984 im heutigen Rußland geschlossene Ehe wurde auf Antrag der Antragsgegnerin zu 1 am 20. Juli 1995 vom Bezirksvolksgericht O. von Moskau in Abwesenheit des Antragstellers geschieden. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Antragstellers wurde am 6. September 1995 vom Gerichtskollegium des Moskauer Stadtgerichtshofs zurückgewiesen; die
Scheidung wurde standesamtlich eingetragen. Am 24. November 1995 schlossen die Antragsgegnerin zu 1 und der deutsche Antragsgegner zu 2 vor dem Standesamt S. die Ehe. 1996 hob das Präsidium des Moskauer Stadtgerichtshofs das Urteil des Bezirksvolksgerichts O. auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Bezirksvolksgericht B. von Moskau zurück. Durch Entscheidung des BezirksvolksgerichtsB. von Moskau vom 12. November 1996 wurde die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 erneut geschieden. Das hiergegen eingelegte Rechtsmittel des Antragstellers wurde vom Gerichtskollegium für Zivilsachen des Moskauer Stadtgerichtshofs mit Entscheidung vom 24. Dezember 1996 zurückgewiesen. Die standesamtliche Eintragung über die frühere, vom Bezirksvolksgericht O. von Moskau am 20. Juli 1995 ausgesprochene und vom Gerichtskollegium des Moskauer Stadtgerichtshofs am 6. September 1995 bestätigte Scheidung der Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 wurde vom Bezirksvolksgericht B. von Moskau mit Entscheidung vom 17. März 1997 für unwirksam erklärt. Das Familiengericht hat die Ehe der Antragsgegner aufgehoben, weil die Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt ihrer Eheschließung mit dem Antragsgegner zu 2 noch mit dem Antragsteller verheiratet war. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Antragsgegner zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision, mit der die Antragsgegner die Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung ihrer Ehe weiterverfolgen.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat Erfolg. 1. Die Frage, ob eine Ehe fehlerhaft geschlossen worden ist und welche Rechtsfolgen sich an den Fehler knüpfen, beurteilt sich, wie auch das Oberlandesgericht zu Recht annimmt, für jeden der Ehegatten nach seinem Heimatrecht (Art. 13 Abs. 1 EGBGB). 2. Das danach für die Antragsgegnerin zu 1 maßgebende russische Recht verbietet nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts zwar die Eheschließung, wenn ein Partner der zu schließenden Ehe noch durch eine frühere Ehe gebunden ist. Eine gleichwohl geschlossene Ehe könne jedoch als von dem Zeitpunkt an gültig festgestellt werden, in dem der die Eheschließung hindernde Umstand fortgefallen ist. Diese Voraussetzung hat das Oberlandesgericht bejaht und gefolgert, daß die Ehe der Antragsgegner nach russischem Recht nicht mehr für ungültig erklärt werden kann, nachdem die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 durch die Entscheidung des Bezirksvolksgerichts B. von Moskau vom 12. November 1996 geschieden und das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Antragstellers vom Gerichtskollegium für Zivilsachen des Moskauer Stadtgerichtshofs mit Entscheidung vom 24. Dezember 1996 zurückgewiesen worden ist. Die Revision nimmt dies als ihr günstig hin. 3. Hinsichtlich des Antragsgegners zu 2 geht das Berufungsgericht davon aus, daß dessen Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 nach dem insoweit maßgebenden deutschen Recht gegen das zweiseitig wirkende Verbot der Doppelehe verstößt, deshalb nach den zur Zeit der Eheschließung geltenden
§§ 20, 23 EheG hätte für nichtig erklärt werden können und nunmehr - gemäû dem nach Art. 226 Abs. 1, 3 EGBGB anwendbaren § 1314 Abs. 1 i.V. mit § 1306 BGB - auf den Antrag des Antragstellers hin aufzuheben ist. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Richtig ist der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts. Danach bestimmt sich die Vorfrage, ob die Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt ihrer Eheschlieûung mit dem Antragsgegner zu 2 bereits von dem Antragsteller wirksam geschieden und der Antragsgegner zu 2 deshalb aus der Sicht des deutschen Rechts an einer Eheschlieûung mit der Antragsgegnerin zu 1 nicht gehindert war, gemäû Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EGBGB nach russischem Recht.
b) Die Revision rügt im wesentlichen eine fehlerhafte Ermittlung des russischen Rechts (§ 293 ZPO): Nach dem für den vorliegenden Fall maûgebenden Art. 40 des Ehe- und Familiengesetzbuchs der Russischen Sowjetrepublik (EFGB von 1969; hier anwendbar gemäû Art. 169 Punkt 1 des Familiengesetzbuchs der Russischen Föderation von 1995) wirke die Eintragung der Ehescheidung im Zivilstandsregister konstitutiv. Auûerdem kenne das russische Zivilverfahrensrecht einen zweizügigen ordentlichen Verfahrensaufbau, wobei den Parteien gegen die erstinstanzliche Entscheidung der Bezirksvolksgerichte die Kassationsbeschwerde als ordentliches Rechtsmittel mit Devolutiv- und Suspensiveffekt offenstehe. Im Gegensatz dazu stelle das sogenannte Aufsichtsverfahren der Staatsanwaltschaft nach (sowjet-) russischer Tradition ein auûerordentliches Rechtsmittel dar, das gegen rechtskräftige Entscheidungen eingelegt werde und nicht nur der Beseitigung eines Präjudizes diene, sondern auch Rechtswirkungen inter partes entfalte und damit rechtskräftige Entscheidungen beseitige. Für den vorliegenden Fall sei deshalb davon auszugehen, daû die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 durch die Ent-
scheidung des BezirksvolksgerichtsO. von Moskau vom 20. Juli 1995 und die am 3. August 1995 erfolgte Registrierung dieser Entscheidung rechtskräftig geschieden worden sei.
c) Es kann dahinstehen, ob diese Ausführungen der Revision zum russischen Recht zutreffen (vgl. Piekenbrock IPRax 2001, 119, der - ebenso wie auch die Revision - die Anwendbarkeit des russischen EFGB von 1969 aus Art. 169. Abs. 1, nicht aus der spezielleren Norm des Art. 169 Abs. 3 des russischen FGB von 1995 herleitet) und revisionsrechtlich beachtlich sind (vgl. dazu etwa BGHZ 118, 151, 162 f.). Auch wenn, wie das Oberlandesgericht meint, die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt der neuen Eheschlieûung der Antragsgegnerin zu 1 nach russischem Recht noch nicht rechtskräftig geschieden war, der Antragsgegner zu 2 deshalb aus der Sicht des für ihn maûgebenden deutschen Rechts an der Eingehung einer Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 gehindert war und die gleichwohl geschlossene Ehe der Antragsgegner deshalb an sich nach deutschem Recht aufhebbar wäre, ist der Antragsteller dennoch nicht befugt, die Aufhebung der von seiner früheren Ehefrau eingegangenen neuen Ehe zu begehren. Auch bei Vorliegen eines Aufhebungsgrundes kann sich ein Aufhebungsantrag im Einzelfall als unzulässige Rechtsausübung darstellen. Das ist hier der Fall. aa) Dabei schlieût, wie das Berufungsgericht zu Recht erkennt, der Umstand , daû der Antragsteller aufgrund der zwischenzeitlichen Scheidung seiner Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 nicht mehr deren Ehegatte ist, für sich genommen die Antragsbefugnis des Antragstellers nicht grundsätzlich aus. Schon unter der Geltung des Ehegesetzes war anerkannt, daû die Befugnis zur Klage auf Nichtigerklärung einer bigamischen Ehe zwar ausdrücklich nur dem "Ehegatten" der vorangehenden Ehe zustand, diesem aber nicht deshalb verloren
ging, weil seine Ehe inzwischen aufgelöst war (Senatsurteil vom 18. Juni 1986 - IVb ZR 41/85 - FamRZ 1986, 879, 880). Der Gesetzgeber des Eheschlieûungsrechtsgesetzes hat diesen Gedanken verdeutlicht: Gehen zwei Personen miteinander die Ehe ein, obwohl zwischen einer dieser beiden Personen und einer dritten Person bereits eine Ehe besteht, so kann "die dritte Person" auf Aufhebung der späteren Ehe antragen (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BGB); auf die Frage, ob die frühere Ehe noch besteht und die "dritte Person" folglich noch Ehegatte eines Partners der späteren Ehe ist, kommt es für die Antragsbefugnis also schon nach dem Gesetzeswortlaut nicht an (vgl. auch MünchKomm/Gindullis BGB 4. Aufl., § 1316 Rdn. 2). bb) Richtig ist auch die Erkenntnis des Berufungsgerichts, daû das Gesetz das Recht des Ehegatten der Vorehe, die Aufhebung der von seinem Ehegatten eingegangenen bigamischen Ehe zu beantragen, grundsätzlich nicht an ein im Einzelfall darzulegendes besonderes Rechtsschutzinteresse knüpft. § 1316 BGB entspricht insoweit dem früheren § 24 EheG, der ein solches schützenswertes Interesse des Ehegatten der ersten Ehe an der Beseitigung der bigamischen Ehe generalisierend unterstellte. Dies erschien unter dem früheren Recht, das eine Nichtigerklärung der bigamischen Ehe erlaubte, selbstverständlich: Mit der Nichtigerklärung wurde die bigamische Ehe rückwirkend beseitigt; dadurch wurde die ausschlieûliche Geltung der ersten Ehe wiederhergestellt , der Grundsatz der Einehe durchgesetzt und der vorrangig der ersten Ehe zukommende Schutz des Art. 6 GG verwirklicht (Senatsurteil vom 18. Juni 1986 aaO und vom 17. Januar 2001 - XII ZR 266/98 - FamRZ 2001, 685, 686). Mit dem Eheschlieûungsrechtsgesetz hat sich diese Ausgangslage jedoch verändert: an die Stelle der bisher möglichen Nichtigerklärung einer bi-
gamischen Ehe ist die bloû ex nunc wirkende Aufhebung einer solchen Ehe getreten (vgl. Senatsurteil vom 17. Januar 2001 aaO). Dieses gewandelte Rechtsverständnis hat zwar nicht dazu geführt, einem Ehegatten generell ein schutzwürdiges Interesse an der Beseitigung der von seinem Ehegatten eingegangenen bigamischen Ehe abzusprechen. Auch mit der nur ex nunc wirkenden Aufhebung der bigamischen Ehe wird nämlich das Spannungsverhältnis zwischen der bigamischen Ehe und der vorrangig den Schutz des Art. 6 GG genieûenden Erstehe aufgehoben und dem Grundsatz der Einehe Geltung verschafft. Dies gilt uneingeschränkt aber nur noch dann, wenn die erste Ehe im Zeitpunkt der Aufhebung der bigamischen Ehe noch besteht; denn nur in diesem Falle wird mit der begehrten Aufhebung verhindert, daû die bigamische Ehe neben der Erstehe fortbesteht und die Rechte des Ehegatten aus der Erstehe schmälert. Ist die erste Ehe dagegen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufhebung der bigamischen Ehe bereits aufgelöst, kann ein in die Zukunft weisendes Ziel nicht mehr erreicht werden. Auch an der für die Vergangenheit bestehenden Konkurrenz zur Erstehe vermag die nur noch ex nunc wirkende Aufhebung der bigamischen Ehe nichts mehr zu ändern; dem vom früheren Recht anerkannten Interesse des Ehegatten der ersten Ehe an der verbindlichen Feststellung, daû die während seiner Ehe geschlossene Zweitehe nichtig ist und seine eigene Ehe damit die allein gültige Ehe war (Senatsurteil vom 18. Juni 1986 aaO), bietet das neue Recht nicht länger Raum. Die nur in die Zukunft reichende Wirkung der Aufhebung hindert zwar nicht generell die Möglichkeit, eine bigamische Ehe auch dann noch aufzuheben , wenn die Erstehe bereits aufgelöst ist. Ein Aufhebungsantrag des Ehegatten der Erstehe kann sich in solchem Falle aber nicht allein auf das - in erster Linie von der zuständigen Verwaltungsbehörde unter Abwägung der in § 1316 Abs. 3 BGB genannten Belange zu wahrende - öffentliche Interesse an
der Sanktionierung von Verstöûen gegen das Verbot der Mehrehe stützen. Er setzt vielmehr die Geltendmachung eigener Belange des früheren Ehegatten voraus, die sein objektives Interesse an der Aufhebung der bigamischen Ehe begründen und sich auch gegenüber Belangen der Ehegatten der bigamischen Ehe und etwaiger aus ihr hervorgegangener Kinder als schutzwürdig erweisen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Antragsteller, der sich offenbar vehement gegen die Scheidung seiner Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 zur Wehr gesetzt hat, hat keine eigenen objektiven Interessen vorgetragen, die auch noch nach der von ihm letztlich erfolglos bekämpften Scheidung seiner eigenen Ehe nunmehr eine Aufhebung der Ehe der Antragsgegner erfordern. Vermögensrechtliche , insbesondere renten- und versorgungsrechtliche Rechtsverhältnisse , deren verbindliche Klärung sogar im öffentlichen Interesse liegt und die Beseitigung einer bigamischen Ehe auch nach Scheidung der Erstehe rechtfertigen kann (Senatsurteil vom 17. Januar 2001 aaO S. 686 f.), sind unter den Beteiligten nicht im Streit und würden durch eine Aufhebung der bigamischen Ehe - soweit ersichtlich - auch nicht berührt. Die Wahrung der staatlichen Ordnung und ihrer Eheverbote begründet, wie ausgeführt, für sich genommen ein eigenes Aufhebungsinteresse des Antragstellers nicht. 4. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Der Senat ist in der Lage, selbst abschlieûend zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 ZPO), da weitere tatsächliche Feststellungen weder zu erwarten noch erforderlich sind. Da sich der Antrag auf Aufhebung der Ehe der Antragsgegner als unzulässige Rechtsausübung darstellt und deshalb unzulässig ist, waren sowohl das Berufungsurteil wie auch das die Eheaufhebung aussprechende Urteil des Familiengerichts aufzuheben und der Antrag auf Eheaufhebung zurückzuweisen. Hahne Weber-Monecke Wagenitz
Ahlt Vézina

(1) Der Antrag kann in den Fällen des § 1314 Absatz 2 Nummer 2 und 3 nur binnen eines Jahres, im Falle des § 1314 Absatz 2 Nummer 4 nur binnen drei Jahren gestellt werden. Die Frist beginnt mit der Entdeckung des Irrtums oder der Täuschung oder mit dem Aufhören der Zwangslage; für den gesetzlichen Vertreter eines geschäftsunfähigen Ehegatten beginnt die Frist jedoch nicht vor dem Zeitpunkt, in welchem ihm die den Fristbeginn begründenden Umstände bekannt werden. Auf den Lauf der Frist sind die §§ 206, 210 Abs. 1 Satz 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Hat der gesetzliche Vertreter eines geschäftsunfähigen Ehegatten den Antrag nicht rechtzeitig gestellt, so kann der Ehegatte selbst innerhalb von sechs Monaten nach dem Wegfall der Geschäftsunfähigkeit den Antrag stellen.

(3) Ist die Ehe bereits aufgelöst, so kann der Antrag nicht mehr gestellt werden.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) wird zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes erteilt und verlängert.

(1a) Ein Familiennachzug wird nicht zugelassen, wenn

1.
feststeht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, oder
2.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde.

(2) Für die Herstellung und Wahrung einer lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft im Bundesgebiet finden die Absätze 1a und 3, § 9 Abs. 3, § 9c Satz 2, die §§ 28 bis 31, 36a, 51 Absatz 2 und 10 Satz 2 entsprechende Anwendung.

(3) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs kann versagt werden, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, für den Unterhalt von anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch angewiesen ist. Von § 5 Abs. 1 Nr. 2 kann abgesehen werden.

(3a) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs ist zu versagen, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfinden soll,

1.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuches bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuches vorbereitet oder vorbereitet hat,
2.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
3.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
4.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs darf längstens für den Gültigkeitszeitraum der Aufenthaltserlaubnis des Ausländers erteilt werden, zu dem der Familiennachzug stattfindet. Sie ist für diesen Zeitraum zu erteilen, wenn der Ausländer, zu dem der Familiennachzug stattfindet, eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18d, 18f oder § 38a besitzt, eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzt oder sich gemäß § 18e berechtigt im Bundesgebiet aufhält. Im Übrigen ist die Aufenthaltserlaubnis erstmals für mindestens ein Jahr zu erteilen.

(5) (weggefallen)

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 4. April 2007 - 5 K 2170/06 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000.- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 04.04.2007, mit dem sein Antrag abgelehnt wurde, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald vom 21.11.2006 anzuordnen, ist zwar fristgerecht eingelegt (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründet worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und auch sonst zulässig. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdeverfahren grundsätzlich zu beschränken hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gebieten keine andere Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht abgelehnt. Denn die am 07.12.2006 von dem Antragsteller mit Widerspruch rechtzeitig angefochtene Verfügung vom 21.11.2006 ist voraussichtlich rechtmäßig, so dass dem öffentlichen Interesse an deren sofortiger Vollziehung zutreffend Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Beibehaltung des bestehenden Zustandes eingeräumt wurde. Auch der Senat vermag bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angezeigten und allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im Rahmen seiner Prüfungsbefugnis die behaupteten Rechts- bzw. Ermessensfehler nicht zu erkennen.
Das Verwaltungsgericht hat überzeugend dargelegt, dass der Antragsteller sowohl zum Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 09.07.1998 als auch zum Zeitpunkt der unbefristeten Verlängerung derselben am 04.07.2001 in Doppelehe mit der libanesischen Staatsangehörigen Frau D. (seit 05.05.1992) und mit der deutschen Staatsangehörigen Frau B. (seit 05.12.1997) verheiratet war. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die von dem Antragsteller laut Heiratsurkunde des Ja’afaritischen Religionsgerichts Beirut erstmals am 05.05.1992 mit Frau D. religiös geschlossene und dort auf persönlichen Antrag der beiden Eheleute am 04.01.1993 bestätigte sowie später registrierte Ehe, für die gemäß Art. 13 Abs.1 EGBGB libanesisches Familienrecht Anwendung findet, in Deutschland unwirksam oder unbeachtlich gewesen sein könnte, bestehen nicht. Auch der Antragsteller selbst ist offenbar von der Wirksamkeit dieser Ehe ausgegangen; anderenfalls hätte er sich - wohl zur Verschleierung der Ehe zum Zwecke des Nachzuges von Frau D. und den beiden gemeinsamen Kinder nach Deutschland - nicht am 14.02.2005 vor dem Ja’afaritischen Religionsgerichts Nabatieh von Frau D. scheiden lassen, um diese sodann am 24.05.2005 erneut und in offenbar gleicher Weise wie am 05.05.1992 zu heiraten. Insbesondere der Vortrag des Antragstellers, er sei davon ausgegangen, bei der religiösen Eheschließung am 05.05.1992 habe es sich nur um ein Verlöbnis gehandelt, ist offenkundig eine Schutzbehauptung, wie das Verwaltungsgericht umfangreich und detailliert dargelegt hat. Dem muss nichts hinzugefügt werden.
Aufgrund des Vorliegens einer Doppelehe ist die Aufenthaltserlaubnis dem Antragsteller voraussichtlich im Sinne des § 48 Abs. 1 LVwVfG am 09.07.1998 gemäß §§ 17 Abs. 1, 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG rechtswidrig erteilt und am 04.07.2001 rechtswidrig unbefristet verlängert worden. Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 17 Abs. 1 AuslG soll der Ehegattennachzug nur in dem durch Art. 6 GG gebotenen Umfang erfolgen. Art. 6 GG jedoch schützt die Doppelehe grundsätzlich nicht. Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes zu § 17 AuslG hat der Hinweis auf Art. 6 GG begrenzende Funktion, um eine Nachzugsberechtigung von Familienangehörigen aus einer Mehrehe auszuschließen (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 60). Dies gilt unabhängig von dem Umstand, dass es nach internationalem Privatrecht möglich sein kann, die Mehrehe eines Ausländers zivilrechtlich als gültig anzusehen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.03.2004 - 10 A 11717/03 - juris). Denn das Prinzip der Einehe gehört zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland und damit auch zu den auch ausländergesetzlichen Regelungen vorgegebenen verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 - BVerfGE 62, 323; BVerwG, Urteil vom 30.04.1985 - 1 C 33.81 - BVerwGE 71, 228; Niedersächs. OVG, Urteil vom 06.07.1992 - 7 L 3634/91 - juris).
Daran ändert der Grundsatz des - bis zum Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetzes (BGBl 1998 I 833) am 01.07.1998 gültigen - § 23 EheG nichts, wonach sich niemand auf die Nichtigkeit etwa einer Doppelehe berufen kann, solange diese nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist. Denn dieser Grundsatz modifizierte nicht etwa das in den §§ 5, 20 EheG geregelt gewesene bzw. seit 01.07.1998 in § 1306 BGB geregelte Verbot der Doppelehe. Das Verbot der Doppelehe wird vielmehr durch das Rechtsinstitut der Nichtigkeit bzw. Aufhebbarkeit der Ehe umgesetzt, gilt zweiseitig auch gegenüber dem Ledigen und ist nicht befreiungstauglich. Die gesetzlich gewollte Durchsetzungskraft dieses Verbotes zeigt sich weiter an seiner Strafbewehrtheit gemäß § 171 StGB sowie der eng begrenzten Möglichkeit des Ausschlusses der Aufhebung einer Doppelehe nach §§ 1314 Abs. 1, 1315 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das Ausländerrecht ist im Einklang mit diesem Verbot auszulegen. Wenn die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Verstoßes gegen das Verbot der Doppelehe abgelehnt wird, wird sich damit nicht im Sinne des früheren § 23 EheG auf die Nichtigkeit der Ehe berufen, vielmehr werden die ausländerrechtlichen Normen verfassungskonform angewendet. Im Übrigen war § 23 EheG bereits im Zeitpunkt der Ersterteilung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers am 09.07.1998 außer Kraft getreten.
Dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG im vorliegenden Fall die Rücknahme der rechtswidrigen Verwaltungsakte voraussichtlich nicht hindert, ergibt sich schon aus Satz 2 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 3 Nr. 1 dieser Norm. Wer, wie der Antragsteller, durch Vorlage einer gefälschten oder jedenfalls inhaltlich falschen Ledigkeitsbescheinigung die Eheschließung im Bundesgebiet sowie daran anknüpfend die Aufenthaltserlaubnis und deren Verlängerung gewissermaßen erschleicht, täuscht arglistig und kann sich nicht auf Vertrauen oder Verwirkung berufen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rn. 132, m.w.N.).
Der Senat vermag schließlich die geltend gemachten Ermessensfehler im Rahmen der Ausweisung gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 bzw. § 55 Abs. 1 AufenthG nicht zu erkennen. Wie dargelegt kann voraussichtlich nicht angenommen werden, dass die Ausländerbehörde von falschen Tatsachen ausgegangen ist oder nur unzureichende libanesische Rechtskenntnisse besaß. Sie hat ihrer Ausweisungsentscheidung vielmehr zutreffend zugrunde gelegt, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Erteilung und Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis neben Frau B. auch mit Frau D. verheiratet war, und dass die mit Frau D. nach libanesischem Familienrecht geschlossene Ehe in Deutschland als rechtswirksam anzusehen war. Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 16.01.2007 hat die Vorgänge allein strafrechtlich bewertet und wirkt sich damit hier nicht entscheidungserheblich aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
10 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. August 2004 -11 K 2450/03 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 wird insgesamt aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein im Jahr 1950 geborener indischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Rücknahme seiner Aufenthaltsberechtigung und seine Ausweisung. Er reiste im Jahr 1979 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er erfolglos einen Asylantrag stellte. Dabei gab er an, verheiratet zu sein und einen Sohn zu haben. Am ...1985 heiratete er eine im Jahr 1939 geborene deutsche Staatsangehörige und erhielt am 28.2.1985 eine Aufenthaltserlaubnis sowie am 19.3.1991 eine Aufenthaltsberechtigung. Im Zusammenhang mit der Eheschließung legte er mehrere Schriftstücke vor, wonach seine indische Ehefrau im Jahr 1984 verstorben sei. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau wurde im Jahr 1998 geschieden. Am 14.6.2000 beantragte eine Inderin namens „K. K.“ in New Delhi die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um als Ehefrau des Klägers mit diesem in Deutschland zusammenzuleben. Als Geburtsdatum gab sie den ...1966 an, als Heiratsdatum den ...1999. Mit Schreiben vom 30.10.2000 teilte die deutsche Botschaft New Delhi der Beklagten mit, dass diese Ehe schon seit über 18 Jahren bestehe und drei Kinder daraus hervorgegangen seien. Mit Schriftsatz seines damaligen Rechtsanwalts vom 5.3.2002 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten u. a., da ein von ihm eingeleitetes Verfahren auf Familiennachzug nicht vorangekommen sei, habe er auf Anraten Dritter und maßgebliches Betreiben seiner damaligen Arbeitgeberin diese geheiratet und der Wahrheit zuwider angegeben, seine 1978 geheiratete (indische) Frau sei verstorben. Mit dieser Heirat habe verhindert werden sollen, dass er ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verliere. Vor der Heirat habe er beim Standesamt Stuttgart-Bernhausen eine Bescheinigung über den Tod seiner (indischen) Ehefrau vorlegen müssen, die auch über die Deutsche Botschaft New Delhi auf Betreiben seiner fragwürdigen Berater beschafft und beim Standesamt vorgelegt worden sei.
Mit Verfügung vom 9.7.2002 nahm die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers zurück (Nr.1) und wies ihn unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 2 und 3). Gleichzeitig drohte sie ihm die Abschiebung nach Indien an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Rechtsgrundlage der Rücknahme sei § 48 LVwVfG. Hätte der Kläger nicht beim Standesamt bewusst falsche Unterlagen bei der Bestellung des Aufgebots für die Eheschließung vorgelegt, hätte er auch nicht bigamistisch heiraten können. Ihm wäre aufgrund der Eheschließung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Die Aufenthaltsberechtigung sei nur erteilt worden, weil die Behörde davon ausgegangen sei, dass er rechtmäßig verheiratet und aufgrund der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau der Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt sei. Die erteilte Aufenthaltsberechtigung sei daher nach § 48 LVwVfG zurückzunehmen. Nach § 45 Abs. 1 AuslG könne ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige. Es sei das schutzwürdige Interesse des Klägers an einem zukünftigen Aufenthalt im Bundesgebiet gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwägen und auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zu prüfen. Danach sei die Ausweisung gerechtfertigt.
Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart über den Widerspruch des Klägers nicht entschieden hatte, erhob er am 16.6.2003 Klage.
Mit ohne mündliche Verhandlung ergangenem Urteil vom 31.8.2004 hat das Verwaltungsgericht die Ausweisung in der Verfügung vom 9.7.2002 (Nr. 2 und 3) aufgehoben und die Klage im übrigen (Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung und Abschiebungsandrohung) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Rücknahmeverfügung sei rechtmäßig. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sei rechtswidrig gewesen, weil ein Ausweisungsgrund vorgelegen habe, der durch Erteilung der vorausgegangenen Aufenthaltserlaubnis nicht verbraucht gewesen sei. Der Kläger habe - ungeachtet einer Strafbarkeit wegen der umstrittenen Doppelehe - eine Urkundenfälschung begangen, nämlich beim Standesamt zum Zweck der Eheschließung mit unstreitig falschen Belegen über den Tod seiner Ehefrau eine unechte oder verfälschte Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Damit habe er auch unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen. Diese Taten dürften zwar schon bei Erteilung der Aufenthaltsberechtigung verjährt gewesen sein, seien jedoch auch nach sieben Jahren als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i. S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei eingehalten, denn die Ausländerbehörde habe frühestens mit dem Bericht der deutschen Botschaft vom 12.7.2001, möglicherweise erst nach Anhörung des Klägers hinreichende Kenntnis von die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlangt. Die Rücknahme selbst lasse zwar keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar Zweifel an einer Ermessensentscheidung überhaupt aufkommen. Zu berücksichtigen sei aber, dass der Bescheid zuvor die Ermessensvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG wiedergebe, einen Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 annehme und ausführe, dass ohne die Täuschung des Standesamtes und der Ausländerbehörde keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden wäre. Damit sei die Beklagte von einer Ermessensermächtigung und möglicherweise von einem Fall ausgegangen, in dem es keiner weiteren Ermessenserwägungen bedürfe. Dies sei bei einer Ermessensreduzierung und nach den Grundsätzen über das gelenkte bzw. intendierte Ermessen nicht zu beanstanden und werde etwa für die Fälle des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG angenommen, liege somit auch für den Fall des § 48 Abs. 4 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG nahe. Ob ein solcher Fall vorliege, könne aber auch in diesem Zusammenhang dahinstehen, denn die Beklagte habe bei der anschließend begründeten Ausweisung Ermessenserwägungen dargelegt, die für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien. Bei entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 2 AuslG habe allerdings die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben, und die Zeit davor sei nur von Bedeutung, soweit über die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung hinaus Konsequenzen für den weiteren Aufenthalt gezogen würden - hier mit der Ausweisung selbst. Im übrigen habe die Beklagte zutreffend und unwidersprochen angeführt, dass außer der Erwerbstätigkeit seit 1979 keine besonderen Bindungen des Klägers in Deutschland vorgetragen oder ersichtlich seien, die Familie vielmehr im Heimatland lebe, und eine etwaige Abschiebung nicht unmöglich sei. Bezüglich der Ausweisung sei die Klage jedoch begründet. Die Beklagte habe nicht erkennbar gewürdigt, dass der Kläger seit 28.2.1984 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt habe, was in eine Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise und Fernhaltung des Klägers einerseits und dessen privater Belange andererseits mit dem gebührenden Gewicht hätte einbezogen werden müssen.
Gegen das am 8.9.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.9.2004 die Zulassung der Berufung beantragt, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Mit Beschluss vom 22.11. 2005 hat der Senat die Berufung zugelassen.
Mit am 7.12.2005 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Berufung begründet. Zur Begründung führt er aus: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er - abgesehen von der umstrittenen Frage einer Doppelehe (§ 172 StGB) - eine Urkundenfälschung begangen (§ 267 Abs. 1 StGB) und unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt habe, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen, was als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i.S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten sei. Eine Urkundenfälschung habe hier nicht vorgelegen. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG fehle es jedenfalls an der Kausalität zwischen der falschen Behauptung einerseits und einem ausländerrechtlich unrichtigen Ergebnis andererseits. Denn die von ihm in Indien geschlossene Ehe sei wegen des Alters seiner Ehefrau unwirksam gewesen, weshalb es an einer nach deutschem Recht anerkennungsfähigen Ehe gefehlt habe. Die Beklagte habe bei der Rücknahme auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG nicht eingehalten. Zudem fehle es insoweit an der Ermessensausübung. Im angegriffenen Bescheid werde ausgeführt, dass die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung „zurückzunehmen ist“. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könnten die Erwägungen, welche die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung bei der Ausweisung angestellt habe, nicht auf die Rücknahmeentscheidung übertragen werden. Dies gelte umso mehr, als die Ermessenserwägungen auch die Ausweisung nicht getragen hätten. Bei der Ermessensausübung müsse auch berücksichtigt werden, dass er seit dem 8.4.1979 in der Bundesrepublik Deutschland lebe und dass es daher äußerst fragwürdig sei, ob er sich in Indien noch einmal einleben könne. Er habe auch über fast den gesamten Zeitraum seines Aufenthalts in der Bundesrepublik in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden. Mit seiner Arbeit habe er nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch seine Familienangehörigen in Indien unterstützt und damit zu deren Überleben beigetragen. Eine Rückkehr würde für ihn und seine Familie auch einen Absturz ins wirtschaftliche und soziale „Nichts“ bedeuten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.8.2004 - 11 K 2450/03 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 insgesamt aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Berufung zurückzuweisen.
11 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
12 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart verwiesen. Sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

 
13 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Gründe

 
13 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Sonstige Literatur

 
42 
Rechtsmittelbelehrung
43 
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
44 
Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, 68165 Mannheim oder Postfach 10 32 64, 68032 Mannheim, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen.
45 
Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
46 
In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
47 
Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
48 
Beschluss vom 11.1.2006
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 72 Nr.1 GKG i. d. F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718).
50 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Februar 2004 - 16 K 4107/03 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der auf das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils, auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5 VwGO) gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht gestellt und begründet worden (vgl. § 124a Abs. 4 VwGO). Der Antrag ist jedoch nicht begründet, da keiner der behaupteten Zulassungsgründe vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 - 7 AV 4/03 -, DVBl. 2004, 838 f.); es kommt dabei darauf an, ob ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass der Erfolg des Rechtsmittels mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie sein Misserfolg (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris, und vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000,1458), es sei denn, es lässt sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb voraussichtlich keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004, a.a.O.). Gemessen hieran bestehen an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine ernstlichen Zweifel.
Das Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis finde ihre Rechtsgrundlage in § 48 LVwVfG. Die zurückgenommene Aufenthaltserlaubnis sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da der Kläger sie durch unrichtige bzw. unvollständige Angaben erlangt habe. Unstreitig sei er zum Zeitpunkt seiner Heirat mit der deutschen Staatsangehörigen A.S. am 19.9.1986 noch mit der polnischen Staatsangehörigen B. verheiratet gewesen. Aus dieser bereits 1971 geschlossenen Ehe seien zwei Kinder (Zwillinge) hervorgegangen. Durch das Verschweigen dieses Umstandes habe der Kläger seine Heirat in Deutschland erreicht und damit auch gegen strafbewehrte Normen verstoßen, nämlich gegen das Verbot der Doppelehe (§ 172 StGB). Auch ein Verstoß gegen die Strafvorschrift des § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1965 habe wohl vorgelegen. Selbst wenn eine Verurteilung wegen dieser Straftaten heute (wegen Verjährung) nicht mehr in Betracht komme, könne die Tatsache, dass der Kläger bei seiner Deutschverheiratung falsche oder zumindest unvollständige Angaben gemacht habe, im Rahmen der Rücknahmeentscheidung berücksichtigt werden. Diese unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben seien ursächlich für die Eheschließung in Deutschland und folglich auch für die daraus abgeleiteten erst befristeten Aufenthaltserlaubnisse und dann später für die unbefristete Aufenthaltserlaubnis gewesen.
Dem hält der Kläger entgegen: Er habe nie bewusst unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht. Nach seiner Einreise von Polen in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1974 habe er den Kontakt zu seiner polnischen Ehefrau verloren. Er sei der festen Überzeugung gewesen, diese habe in seiner Abwesenheit die Scheidung betrieben. Nachdem er im Jahr 1986 über die Auslandsvertretung seines Heimatstaates, die sich zu diesem Zeitpunkt in Belgrad/Jugoslawien befunden habe, bestätigt erhalten habe, dass einer erneuten Eheschließung keine Gründe entgegenstünden, habe er sich in seiner Einsicht, die Scheidung sei bereits erfolgt, bestätigt gefühlt. Selbst wenn man ihm Arglist unterstelle mit der Folge, dass er durch Täuschung die Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen S. eingegangen sei, habe dieser Umstand durch Heranziehung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung auf den Akt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der ehelichen Lebensgemeinschaft keine Auswirkungen, denn die eheliche Lebensgemeinschaft habe zum Zeitpunkt der Antragstellung und zum Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorgelegen. Bis zur Aufhebung der Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen am 14.2.2002 sei die Ehe wirksam gewesen. Diese Rechtsfolge, die im Zivilrecht gelte, müsse auch im Verwaltungsverfahren gelten.
Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Dieses ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass die dem Kläger am 1.6.1987 erteilte und am 25.6.1990 unbefristet verlängerte Aufenthaltserlaubnis von Anfang an rechtswidrig gewesen ist. Dabei kann offen bleiben, ob sich die Rechtswidrigkeit - wie das Verwaltungsgericht meint - schon daraus ergibt, dass der Kläger die Aufenthaltserlaubnis durch unrichtige bzw. unvollständige Angaben erlangt hat, oder ob dieser Umstand allein für die Frage von Bedeutung ist, ob die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen durfte (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, Satz 4 LVwVfG). Denn die Rechtswidrigkeit der Aufenthaltserlaubnis ergibt sich jedenfalls aus folgenden Erwägungen: Die Aufenthaltserlaubnis wurde dem Kläger am 1.6.1987 vor dem Hintergrund der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen erteilt. Sie diente damit dem durch Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Schutz der Ehe und Familie durch Ermöglichung des Führens der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet. Nach § 2 Abs. 1 des damals anwendbaren AuslG 1965 durfte die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigt. Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lag eine die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausschließende Beeinträchtigung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland dann nicht vor, wenn und soweit Art. 6 Abs. 1 GG im Einzelfall anderes gebot (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.9.1978 - I C 79.76 -, BVerwGE 56, 246). Dementsprechend wurde in Nr. 4a der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes (Bekanntmachung vom 10.5.1977, GMBl. S. 202) ausgeführt, dass bei Ausländern, die mit Deutschen verheiratet sind, Belange der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Anwesenheit dieser Ausländer beeinträchtigt werden, insbesondere auch Belange der Entwicklungshilfepolitik, gegenüber dem staatlichen Belang, Ehe und Familie zu schützen, grundsätzlich zurückzutreten haben. § 17 Abs. 1 AuslG 1990, der nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 auch bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den ausländischen Ehegatten eines Deutschen anzuwenden war, enthielt die Bestimmung, dass einem ausländischen Familienangehörigen eines Ausländers zum Zwecke des nach Art. 6 des Grundgesetzes gebotenen Schutzes von Ehe und Familie eine Aufenthaltserlaubnis für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Ausländer im Bundesgebiet erteilt und verlängert werden kann (vgl. auch § 27 Abs. 1 AufenthG). Diente die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen mit einer deutschen Staatsangehörigen verheirateten Ausländer damit aber der Verwirklichung des von Art. 6 Abs. 1 GG bezweckten Schutzes von Ehe und Familie, hätte dem Kläger trotz seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen keine Aufenthaltserlaubnis zugestanden. Denn die von ihm geschlossene Ehe stand nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und sonstiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerfG, Beschluss vom 7.10.1970 - 1 BvR 409/67 -, BVerfGE 29, 166, 176; Beschluss vom 4.5.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58, 69; Beschluss vom 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323; vgl. BVerwG, Urteil vom 30.4.1985, - 1 C 33/81 -, BVerwGE 71, 228; Beschluss vom 4.4.1986 - 1 A 10/86 -, Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr 76; BSG, Urteil vom 27.11.1980 - 5 RKn 2/79 -, BSGE 51, 40) gehört zum Wesen der Ehe, wie sie durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist, das Prinzip der Einehe. Das schließt es zwar nicht von vornherein aus, dass eine nach ausländischem Recht zulässige Doppelehe einen gewissen rechtlichen Schutz genießt (vgl. BVerwG, a.a.O.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.3.2004 - 10 A 11717/03 -, AuAS 2004, 146). Dies bedarf indes vorliegend schon deshalb keiner weiteren Vertiefung, weil es sich bei der Eheschließung des Klägers unstreitig um eine auch nach ausländischen Recht unzulässige Doppelehe gehandelt hat. Die Ehe des Klägers stand daher von vornherein nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Dem kann er nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die in der Bundesrepublik Deutschland geschlossene Ehe - unstreitig - bis zu ihrer Aufhebung durch das Urteil des Amtsgerichts Lehrte vom 14.2.2002 rechtliche Wirkung entfaltet hat und auch nicht rückwirkend, sondern (nur) mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben worden ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 9.1.2002 - XII ZR 58/00 -, BGHZ 149, 357). Denn dieser Umstand führt nicht dazu, dass die Ehe auch ausländerrechtliche Wirkungen entfaltet hat. Insoweit ist der vorliegende Sachverhalt vergleichbar mit dem Fall einer sog. Scheinehe, d.h. einer Ehe, die nur zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen wird. Zwar liegt auch hier eine zivilrechtlich wirksame Eheschließung vor; dennoch ist etwa anerkannt, dass die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis beim Vorliegen einer Scheinehe zulässig ist und insbesondere nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstößt, weil es sich (auch) dabei nicht um eine dem Schutz dieses Grundrechts unterfallende Ehe handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.5.2003 - 2 BvR 2042/02 -, FamRZ 2003, 1000). Dies belegt aber auch, dass die Behauptung des Klägers, es sei nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung geboten, die zivilrechtlich wirksame Eheschließung auch im Ausländerrecht als wirksam zu behandeln, so nicht zutrifft. Vielmehr ist es gerade nicht ausgeschlossen, die Wirkungen einer solchen Ehe für verschiedene Rechtsbereiche unterschiedlich auszugestalten (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 17.2.1998 - Bs VI (VII) 213/95 - juris). So liegt es im hier gegebenen Fall einer unzulässigen Doppelehe für den Bereich des Zivilrechts z. B. deshalb nahe, diese nur mit Wirkung ex nunc aufzuheben, weil andernfalls zahlreiche in der Vergangenheit eingetretene Ehewirkungen einer Neuregelung bedürften, welche mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden wäre. Dies gilt etwa für den Fall, dass aus der Ehe gemeinsame Kinder hervorgegangen sind, die bei einer rückwirkenden Aufhebung der Ehe nachträglich nichtehelich würden. Daraus kann aber nicht gefolgert werde, dass es geboten wäre, eine aufhebbare Doppelehe auch in anderen Rechtsbereichen, also etwa im Ausländerrecht, bis zu ihrer Aufhebung als wirksam zu behandeln. Dies gilt umso mehr, als in diesem Fall regelmäßig kein schutzwürdiges Interesse des betroffenen Ausländers bestehen dürfte, diese Ehe als wirksam zu behandeln.
Zu Recht ist daher im Fall des Klägers davon ausgegangen worden, dass die ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig gewesen ist, weil die zugrunde liegende Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen ausländerrechtlich unbeachtlich gewesen ist. Zutreffend hat das Regierungspräsidium Stuttgart in diesem Zusammenhang ausgeführt, durch seinen Aufenthalt seien Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt worden (§ 2 Abs. 1 AuslG 1965). Das Regierungspräsidium hat dabei darauf abgestellt, dass ein Sachverhalt vorliege, der nach § 10 Abs. 1 AuslG 1965 die Ausweisung rechtfertige. Der Kläger habe gegenüber dem Standesamt zum Zwecke der Täuschung unrichtige Angaben über seine Person gemacht (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 AuslG 1965). Das ist nicht zu beanstanden. Denn nur durch das Verschweigen der Eheschließung mit einer polnischen Staatsangehörigen gegenüber dem Standesbeamten konnte er die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen als Grundlage für die ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis erreichen. Dieses Verhalten hat im übrigen auch den Straftatbestand des § 47 Abs. 1 Nr.6 AuslG 1965 erfüllt (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 17.2.1998 - Bs VI (VII) 213/95 - juris). Soweit der Kläger vorgetragen hat, er sei davon ausgegangen, dass seine in Polen geschlossene Ehe zwischenzeitlich geschieden worden sei, durfte das Verwaltungsgericht annehmen, dass es sich um eine bloße Schutzbehauptung handelt. Es hat hierzu ausgeführt, im Termin zur mündlichen Verhandlung habe er eingeräumt, dass er jedenfalls zu seiner Tochter aus polnischer Ehe immer Kontakt gehabt und diese ihm immer geschrieben habe. Folglich sei davon auszugehen, dass diese ihn über Scheidungsabsichten ihrer polnischen Mutter informiert hätte. Diese Erwägungen begegnen keinen ernstlichen Bedenken. Darüber hinaus hat der Kläger ausweislich der bei den Verwaltungsakten befindlichen Sitzungsniederschrift auch in der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Lehrte am 14.2.2002 nicht vorgetragen, er habe bei der Eheschließung in Deutschland eine zwischenzeitliche Scheidung der in Polen geschlossenen Ehe vorausgesetzt. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass es sich bei der Behauptung des Klägers um eine bloße Schutzbehauptung handelt. Im übrigen wäre es ihm wohl ohne weiteres möglich gewesen, in Erfahrung zu bringen, ob seine erste Ehe zwischenzeitlich geschieden worden ist. So hat seine deutsche Ehefrau im Jahr 2000 offenbar ohne Schwierigkeiten über die Auslandsauskunft die Telefonnummer der polnischen Ehefrau ermittelt und mit dieser Kontakt aufgenommen. Soweit der Kläger vorgetragen hat, er sei auf Grund einer Auskunft der Auslandsvertretung seines Heimatstaates im Jahr 1986, wonach einer Eheschließung keine Gründe entgegenstünden, davon ausgegangen, dass seine frühere Ehe geschieden worden sei, hat er diese Behauptung nicht näher belegt. Zudem ist nicht erkennbar, dass er auf Grund dieser Auskunft von einer erfolgten Scheidung der in Polen geschlossenen Ehe ausgehen durfte. Letztlich geht es zu seinen Lasten, dass er auf Grund der bloßen Vermutung, seine Ehe in Polen sei inzwischen geschieden worden, eine weitere Ehe geschlossen hat, ohne dem Standesbeamten den vollständigen Sachverhalt zu schildern. Im übrigen hat der Kläger schon im früheren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 26.10.1973 unrichtige Angaben gemacht. Dort hat er nämlich als Familienstand "ledig" angegeben, obwohl er seit dem 15.10.1973 verheiratet war. Auch in den folgenden Anträgen auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis hat er weder angegeben, dass er verheiratet, noch dass er geschieden sei. Angesichts der Angabe im Antrag vom 26.10.1973 musste daher bei der zuständigen Ausländerbehörde der Eindruck entstehen dass der Kläger auch weiterhin - bis zu der von ihm angezeigten Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen - ledig war.
Im Ergebnis ist das Verwaltungsgericht daher zu Recht davon ausgegangen, dass die dem Kläger erteilte Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig gewesen ist. Ohne Erfolg hält er dem entgegen, ihm sei auch deshalb eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen gewesen, weil er mit seinem (damals) minderjährigen deutschen Kind in häuslicher Lebensgemeinschaft gelebt habe. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist hierdurch nämlich weder nach den Bestimmungen des AuslG 1965 noch nach denjenigen des AuslG 1990 begründet worden. Zwar hätte das Bestehen einer solchen Lebensgemeinschaft als rechtliches Hindernis möglicherweise einer Abschiebung des Klägers aus dem Bundesgebiet entgegengestanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.1.2002 - 2 BvR 231/00 -; Beschluss vom 10.8.1994 - 2 BvR 1542/94 -, InfAuslR 1994, 394; Beschluss vom 1.10.1992, 2 BvR 1365/92 -, InfAuslR 1993, 109). Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wäre hieraus jedoch nicht ohne weiteres erwachsen, weil die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen - wie ausgeführt - keine ausländerrechtlichen Wirkungen entfaltet hat; es ist auch nicht vorgetragen oder sonst erkennbar, dass der Kläger allein wegen des Zusammenlebens mit seinem Kind oder aus anderen Gründen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gehabt hätte. Vielmehr hätte ihm grundsätzlich auch nur eine Duldung erteilt werden können (vgl. § 17 Abs. 1 AuslG 1965, § 55 AuslG 1990).
Auch das weitere Vorbringen des Klägers begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Hierzu hat er vorgetragen, die Ermessensausübung stoße auf erhebliche rechtliche Zweifel. Ihm könne kein Erschleichen einer Aufenthaltserlaubnis zur Last gelegt werden, da er vom Fortbestand der Ehe mit der polnischen Staatsangehörigen keine Kenntnis gehabt habe. Da ihm das Urteil bei der Ermessensüberprüfung diesen Umstand unterstellt habe, sei das Ermessen im vorliegenden Fall fehlerhaft ausgeübt worden. Wie ausgeführt, hat auch nach Auffassung des Senats das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Behauptung, der Kläger sei von einer zwischenzeitlichen Scheidung der Ehe in Polen ausgegangen, nicht überzeugend ist.
10 
Soweit er im Beschwerdeverfahren weiter vorgetragen hat, im Rahmen der Ermessensausübung hätte berücksichtigt werden müssen, dass im Kongo derzeit ein Bürgerkrieg tobe, und zudem müsse sein gesundheitlicher Zustand berücksichtigt werden, begründet auch dieses Vorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht nämlich ausgeführt, dass maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Verfügung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchsbescheids sei, weshalb die (erstmals im Klageverfahren) vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden des Klägers in diesem Verfahren nicht zu berücksichtigen seien. Hiermit setzt sich der Zulassungsantrag nicht auseinander. Gleiches gilt für die geltend gemachten Gefahren durch den Bürgerkrieg im Kongo; denn auch insoweit bezieht sich der Kläger auf Vorgänge bzw. Vorbringen nach Erlass des Widerspruchsbescheids. Im übrigen hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die vom Kläger vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden ggf. im Rahmen eines neuen Verfahrens über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zu prüfen und zu berücksichtigen sind; dies gilt im übrigen auch für die Verhältnisse in seinem Heimatland.
11 
Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund liegt nur vor, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine grundsätzliche, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre und deren Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Im Antrag auf Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung ist die Rechtsfrage, die grundsätzlich geklärt werden soll, zu bezeichnen und zu formulieren. Es ist darüber hinaus näher substantiiert zu begründen, warum sie für grundsätzlich und klärungsbedürftig gehalten wird und weshalb die Rechtsfrage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 124 Rdnr. 10). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Er bezeichnet als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage, "ob bei Vorliegen einer Doppelehe die daraufhin erteilte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft rechtswidrig ist".
12 
Dabei handelt es sich schon nicht um eine Rechtsfrage, die einer grundsätzlichen Klärung im dargelegten Sinne zugänglich ist. Denn der Begriff der "Doppelehe" ist rechtlich nicht eindeutig. Darunter kann nämlich sowohl eine - wie im vorliegenden Fall - unzulässige Doppelehe verstanden werden als auch eine im Herkunftsland eines Ausländers zulässige Doppelehe. Schon aus diesem Grund lässt sich die aufgeworfene Rechtsfrage nicht eindeutig beantworten. Wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass nur die Frage nach einer unzulässigen Doppelehe geklärt werden soll, weil nur diese für das vorliegende Verfahren entscheidungserheblich ist, fehlt es hingegen an einer grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit. Wie bereits ausgeführt worden ist, hat das Bundesverfassungsgericht nämlich bereits mehrfach entschieden, dass eines der wesentlichen Strukturprinzipien des Art. 6 Abs. 1 GG das Prinzip der Einehe ist; wie ausgeführt fällt aus diesem Grund jedenfalls eine unzulässige Doppelehe nicht in den Schutzbereich dieses Grundrechts, weshalb die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausscheidet (vgl. auch - zur zulässigen Doppelehe - BVerwG, Urteil vom 30.4.1985 1 C 33/81 -, BVerwGE 71, 228; Beschluss vom 4.4.1986 - 1 A 10/86 -, Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 76).
13 
Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann, zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Der Kläger trägt hierzu vor, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen, weil es sich in den Entscheidungsgründen nicht mit dem wesentlichen Punkt, nämlich dass er eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn beanspruchen könnte, befasst habe.
14 
Ungeachtet der Frage, ob das Verwaltungsgericht dieses Vorbringen des Klägers in seine Erwägungen einbezogen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.5.1996 - 2 BvR 2806/95 -, AuAS 1997, 211; Beschluss vom 10.7.1997 - 2 BvR 1291/96 -, NVwZ-Beilage 1998, 9; BVerwG, Beschluss vom 1.10.1993 - 6 P 7/91 -, NVwZ-RR 1994, 298 und Urteil vom 21.11.1989 - 9 C 53.89 -, InfAuslR 1990, 99), liegt der gerügte Gehörsverstoß jedenfalls deshalb nicht vor, weil es an der weiteren Voraussetzung des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO fehlt, dass es sich um einen Verfahrensmangel handelt, "auf dem die Entscheidung beruhen kann". Wie bereits dargelegt worden ist, hatte der Kläger nämlich auch unter Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen familiären Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis; vielmehr hätte ihm soweit ersichtlich grundsätzlich auch eine Duldung nach § 17 Abs. 1 AuslG 1965 bzw. § 55 AuslG 1990 erteilt werden können.
15 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
16 
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F. (vgl. § 72 Nr.1 GKG i. d. F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718).
17 
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) wird zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes erteilt und verlängert.

(1a) Ein Familiennachzug wird nicht zugelassen, wenn

1.
feststeht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, oder
2.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde.

(2) Für die Herstellung und Wahrung einer lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft im Bundesgebiet finden die Absätze 1a und 3, § 9 Abs. 3, § 9c Satz 2, die §§ 28 bis 31, 36a, 51 Absatz 2 und 10 Satz 2 entsprechende Anwendung.

(3) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs kann versagt werden, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, für den Unterhalt von anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch angewiesen ist. Von § 5 Abs. 1 Nr. 2 kann abgesehen werden.

(3a) Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs ist zu versagen, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfinden soll,

1.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuches bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuches vorbereitet oder vorbereitet hat,
2.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
3.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
4.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs darf längstens für den Gültigkeitszeitraum der Aufenthaltserlaubnis des Ausländers erteilt werden, zu dem der Familiennachzug stattfindet. Sie ist für diesen Zeitraum zu erteilen, wenn der Ausländer, zu dem der Familiennachzug stattfindet, eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18d, 18f oder § 38a besitzt, eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzt oder sich gemäß § 18e berechtigt im Bundesgebiet aufhält. Im Übrigen ist die Aufenthaltserlaubnis erstmals für mindestens ein Jahr zu erteilen.

(5) (weggefallen)

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren im vorliegenden Rechtsstreit die Verpflichtung des Beklagten zu Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Die Kläger zu 1) und 2) sind albanische Volkszugehörige aus der ehemals serbischen Provinz Kosovo. Sie reisten im Sommer 1992 mit drei gemeinsamen Töchtern (Dabei handelte es sich um die drei im Kosovo geborenen Töchter M (*30.7.1987), S (*23.4.1990) und M (* 8.6.1992).) in die Bundesrepublik ein und beantragten – im Ergebnis ohne Erfolg – ihre Anerkennung als Asylberechtigte. (vgl. zum negativen Abschluss des Erstverfahrens – D 1385432-138 – OVG des Saarlandes, Urteil vom 3.12.1996 – 1 R 62/96 –; zum Folgeverfahren – 2456369-138 – VG des Saarlandes, Urteil vom 22.2.2000 – 10 K 468/99.A –) Bei dem Kläger zu 3) handelt es sich um einen 1993 in Deutschland geborenen gemeinsamen Sohn.

Im Mai 2000 wurde der Kläger zu 2) vom Amtsgericht Ottweiler wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. (vgl. Amtsgericht Ottweiler, Urteil vom 30.5.2000 – 68 Js 349/00/49 VRS 596/00 –, rechtskräftig seit 30.5.2000)

Im Mai 2002 wurde der Kläger zu 2) mit den Töchtern nach Pristina abgeschoben. Die gleichzeitig vorgesehene Abschiebung der Klägerin zu 1) und des Klägers zu 3) wurde mit Blick darauf, dass für letzteren am selben Tag ebenfalls ein Asylantrag gestellt worden war, nicht durchgeführt. (vgl. hierzu die Nachricht des Bundesgrenzschutzamts Flughafen Frankfurt/Main vom 8.5.2002) Der Antrag wurde im Juli 2002 abgelehnt; eine dagegen erhobene Klage wurde nach erfolglos gebliebenem Eilrechtsschutzverfahren zurückgenommen. (vgl. den Ablehnungsbescheid des Bundesamts vom 17.7.2002 – 2759497-138 – und den Einstellungsbeschluss des VG des Saarlandes vom 21.10.2002 – 10 K 313/02.A –) Ein erneuter Versuch, die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 3) abzuschieben, scheiterte im August 2002, weil diese nicht in der Wohnung angetroffen wurden.

Im Februar 2003 stellte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auf erneuten Antrag der Klägerin zu 1) vom September 2002 unter Hinweis auf deren Gesundheitszustand und eine fehlende Behandelbarkeit im Herkunftsland in ihrem Fall ein Abschiebungshindernis hinsichtlich der seinerzeitigen Bundesrepublik Jugoslawien fest. (vgl. den Bescheid vom 4.2.2003 – 5002531-138 –) Insoweit hatte die Klägerin zu 1) vorgetragen, sie leide an einer durch die Abschiebung von Familienangehörigen reaktivierten posttraumatischen Belastungsstörung, die eine regelmäßige psychotherapeutische Behandlung notwendig mache. Daraufhin beantragte der Kläger zu 2) die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis und reiste in der Folge, spätestens im September 2003, erneut in die Bundesrepublik ein. Auf seinen Antrag verpflichtete das Verwaltungsgericht die Ausländerbehörde, den Kläger zu 2) vorläufig nicht abzuschieben und ihm eine Duldung zu erteilen. (vgl. VG des Saarlandes, Beschluss vom 22.8.2003 – 10 F 21/03 –)

Nachdem zum einen das Gesundheitsamt beim (damals) Stadtverband B-Stadt im Juli 2003 aufgrund einer Untersuchung der Klägerin zu 1) deren individuelle Therapiefähigkeit verneint (vgl. das Schreiben vom 11.7.2003 in dem auf eine am 11.6.2003 durch Frau Dr. med. B. durchgeführte Begutachtung der Klägerin zu 1) Bezug genommen wurde) und zum anderen das Bundesamt auf eine Verbesserung der medizinischen Versorgung im Kosovo hingewiesen hatte, wurde der Feststellungsbescheid im Februar 2005 widerrufen. (vgl. den Widerrufsbescheid vom 1.2.2005 – 5081470-138 –) In der Begründung wurde auf eine zwischenzeitlich mögliche medikamentöse Behandlung der psychischen Erkrankung der Klägerin zu 1) im Kosovo verwiesen. Dagegen hat die Klägerin zu 1) erneut ein Rechtsbehelfsverfahren eingeleitet.

In dessen Verlauf wurden der Klägerin zu 1) und dem Kläger zu 3) im April 2005 jeweils befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt, die im April 2006 verlängert wurden. Gleichzeitig erhielt der Kläger zu 2) eine Aufenthaltserlaubnis. Am 18.10.2006 beantragten alle drei Kläger die Verlängerung und erhielten entsprechende Fiktionsbescheinigungen.

Im Februar 2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage der Klägerin zu 1) gegen den Widerrufsbescheid vom Februar 2005 abgewiesen. (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A –) Ein Rechtsmittel wurde nicht eingelegt.

Im März 2007 wurde der Kläger zu 2) wegen eines 2002 begangenen Betruges zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. (vgl. Amtsgericht Saarlouis, Strafbefehl vom 21.3.2007 – 49 VRS 7 Cs 270/07 –, rechtskräftig seit 4.5.2007)

Im April 2007 beantragten die Kläger dann zunächst die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 23 AufenthG. Nach dem zwischenzeitlichen Inkrafttreten der gesetzlichen Altfallregelung (§ 104a AufenthG) suchten sie im September 2007 schließlich um die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach dieser Regelung nach.

Nachdem bis zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung über die Anträge nicht ergangen war, haben die Kläger im Dezember 2007 die vorliegende Klage als Untätigkeitsklage erhoben.

Mit Bescheid vom 31.1.2008 lehnte der Beklagte sämtliche Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ab, forderte die Kläger zur Ausreise auf und drohte ihnen für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung an. In der Begründung ist ausgeführt, nach dem rechtskräftigen Abschluss des Widerrufsverfahrens sei davon auszugehen, dass das frühere Ausreisehindernis im Falle der Klägerin zu 1) nicht mehr vorliege, so dass eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen ausscheide. Die Kläger könnten ferner weder aus der früher im Erlasswege ergangenen Bleiberechtsregelung noch mit Blick auf die seit August 2007 geltende gesetzliche Altfallregelung Ansprüche auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen herleiten. Der einschlägige saarländische Bleiberechtserlass vom 20.12.2006 habe auch wirtschaftliche Integrationsanforderungen gestellt, wohingegen die Kläger nicht in der Lage seien, den Lebensunterhalt selbst sicherzustellen. Nach einer Mitteilung der Landeshauptstadt B-Stadt bezögen sie monatlich etwa 1.200,- EUR öffentliche Leistungen. Darüber hinaus seien diejenigen Ausländer von der Begünstigung ausgenommen, die – wie der Kläger zu 2) – wegen einer vorsätzlichen Straftat im Bundesgebiet verurteilt worden seien, wobei lediglich Geldstrafen bis zu 50 Tagessätzen unberücksichtigt bleiben könnten. Das schließe nach dem Erlass auch die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an Familienangehörige des Straftäters aus. Die strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers zu 2) stünden nach § 104a Abs. 1 Nr. 6 AufenthG auch einem Anspruch nach der nunmehr geltenden gesetzlichen Altfallregelung entgegen. Der Ausschluss erfasse nach § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG auch die mit dem Verurteilten in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen. Die Voraussetzungen besonderer Härtefallregelungen seien nicht gegeben. Ungeachtet ihres langjährigen Aufenthalts in Deutschland seien angesichts nur geringer Integrationsleistungen auch die Voraussetzungen nach Art. 8 EMRK nicht erfüllt.

Unter dem 27.6.2008 beantragte der Kläger zu 2) beim Bundesministerium der Justiz – Bundeszentralregisterbehörde – die vorzeitige Tilgung der Verurteilung aus dem Strafbefehl vom 21.3.2007. Dem Antrag wurde nicht entsprochen.

Im Juni 2008 hat das Verwaltungsgericht einen Antrag der Kläger zurückwiesen, den Antragsgegner zu verpflichten, „vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen … Abstand zu nehmen“. (vgl. den Beschluss vom 17.6.2008 – 10 L 209/08 –) Die Beschwerde gegen diese Entscheidung blieb erfolglos. (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)

Ende August 2008 wandten sich die Kläger an die Härtefallkommission des Saarlandes. Diese hat im Juli 2009 beschlossen, kein Härtefallersuchen an das zuständige Ministerium zu richten.

Die Kläger haben den Ablehnungsbescheid vom 31.1.2008 in ihr Begehren einbezogen und zur Begründung der Klage vorgetragen, die Klägerin zu 1) halte sich seit nunmehr 16 Jahren im Bundesgebiet auf und erfülle die Voraussetzungen gemäß § 104a AufenthG. Sie befinde sich weiterhin in psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung. Eine Rückkehr in den Kosovo sei ihr nicht zumutbar. Das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung gebiete die Annahme eines Härtefalls im Sinne § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Zu Unrecht habe der Beklagte insbesondere hinsichtlich des in Deutschland geborenen Klägers zu 3) eine ausreichende Integration in hiesige Lebensverhältnisse verneint. Letztendlich sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 2) erst im Jahre 2007 wegen einer bereits 2002 begangenen Tat mit einer Geldstrafe von „nur“ 60 Tagessätzen belegt worden sei. Warum dieser Strafbefehl erst 5 Jahre nach der Tatbegehung erlassen worden sei, sei nicht nachvollziehbar. Gemäß § 46 Abs. 1 Ziffer 1a) BZRG seien Geldstrafen von nicht mehr als 90 Tagessätzen nach 5 Jahren zu tilgen. Schließlich sei der Beklagte rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass nach Wegfall des Ausreisehindernisses der Klägerin zu 1) eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht in Betracht komme; insoweit sei eine Ermessensentscheidung zu treffen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zu 2) geltend gemacht, dass er seit 1.9.2008 bei der Landschaftsgärtnerei W in H beschäftigt sei und entsprechende Arbeits- sowie Lohnbescheinigungen vorgelegt.

Die Kläger haben beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids von 31.1.2008 zu verpflichten, die den Klägern erteilten Aufenthaltserlaubnisse zu verlängern bzw. ihnen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.

Der Beklagte hat auf seinen Ablehnungsbescheid Bezug genommen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Durch Urteil vom 26.2.2009 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es, ein Anspruch der Klägerin zu 1) auf Verlängerung der im April 2005 mit Blick auf das damals noch in Rede stehende, inzwischen nicht mehr vorliegende Abschiebungshindernis wegen ihrer Erkrankung und seinerzeit fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo erteilten Aufenthaltserlaubnis komme nicht in Betracht. Gleichzeitig seien damit die familienbedingten Ausreisehindernisse bei den Klägern zu 2) und 3) entfallen. Den Klägern stehe nach der im Rahmen des im Jahre 2008 durchgeführten Eilrechtsschutzverfahrens ergangenen Entscheidung des Senats (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58) auch kein sonstiges Bleiberecht nach § 25 Abs. 5 AufenthG oder unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK zu. Eine von der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung behauptete Suizidalität könne im Rahmen einer Vollstreckung der Ausreisepflicht Bedeutung erlangen. Ein Abschiebungsverbot im Sinne Art. 8 EMRK lasse sich für den Kläger zu 2) auch nicht aus nunmehr vorgelegten Arbeits- und Gehaltsbescheinigungen der Firma E herleiten. Da die Kläger während ihres gesamten bisherigen Aufenthalts in der Bundesrepublik auf öffentliche Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts angewiesen gewesen seien, lasse die nach der Arbeitsbescheinigung vom 23.2.2009 erst erwartete Vollzeitbeschäftigung mit einem monatlichen Bruttogehalt von 1.500,- EUR eine bereits abgeschlossene Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland nicht erkennen. Zudem sprächen die Vorstrafen des Klägers zu 2) gegen eine erfolgreiche soziale Integration. Darüber hinaus könne auch nicht von einer „Entwurzelung aus den Lebensverhältnissen des Heimat- bzw. Herkunftslandes“ ausgegangen werden. Ein Anspruch der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ergebe sich zudem weder aus der ministeriellen Bleiberechtsregelung vom Dezember 2006 noch aus der inzwischen an deren Stelle getretenen gesetzlichen Altfallregelung in § 104a AufenthG. In beiden Fällen stehe der Strafbefehl des Amtsgerichts Saarlouis vom 21.3.2007 entgegen, durch den der Kläger zu 2) wegen Betrugs mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen belegt worden sei. Entgegen der Ansicht der Kläger sei die bei Strafbefehlen mit dem Tag der Unterzeichnung durch den Richter beginnende Tilgungsfrist von fünf Jahren noch nicht abgelaufen, selbst wenn die Tat bereits 2002 begangen wurde. Der beim Bundesministerium der Justiz gestellte Antrag auf vorzeitige Tilgung sei abgelehnt worden, so dass die Bestrafung verwertbar sei. Daher scheide auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 3) aus. Insoweit lasse sich auch mit der fortbestehenden Erkrankung der Klägerin zu 1) kein besonderer Härtefall begründen. Die Zurechnung strafrechtlicher Verurteilungen an Familienmitglieder verfolge den legitimen Zweck, den Druck auf Ausländer zu erhöhen, in Deutschland keine Straftaten zu begehen und begegne von daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gelte auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, wenn die Zurechnung gegenüber dem mit dem straffällig gewordenen Ausländer in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten, für den es eine Härteregelung gebe, und gegenüber minderjährigen Kindern erfolge, die grundsätzlich das ausländerrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilten. Die Sonderregelung für Kinder ab 15 Jahren nach dem Bleiberechtserlass (Ziffer 3.3) oder nach § 104b AufenthG greife zugunsten des Klägers zu 3) nicht ein, da er zum 1.7.2007 das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe, eine Trennung von den Eltern nicht erfolgt sei und weil die Kläger zu 1) und 2) erklärtermaßen nicht bereit seien, Deutschland zu verlassen. (vgl. dazu die Gesprächsnotiz des Beklagten vom 14.9.2007, wonach die Kläger zu 1) und 2) nach Hinweis auf § 104b AufenthG ausdrücklich erklärten, zu einer freiwilligen Ausreise nicht bereit zu sein)

Das Urteil wurde dem Beklagten am 12.3.2009 zugestellt. Mit Eingang am 14.4.2009 – Dienstag nach Ostern 2009 – haben diese die vom Verwaltungsgericht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Sache im Hinblick auf die Zurechenbarkeit der Verurteilung des Klägers zu 2) gegenüber der Klägerin zu 1) und dem Kläger zu 3) zugelassene Berufung eingelegt.

Sie beziehen sich auf den erstinstanzlichen Vortrag und machen geltend, das Verwaltungsgericht habe die durch ein Gutachten feststellbare Suizidalität der Klägerin zu 1) zu Unrecht nicht berücksichtigt. Wenn insoweit irreparable Folgen absehbar im Raum stünden, könne man sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass darüber erst im Rahmen der Vollstreckung der Ausreisepflicht zu entscheiden sei. Zumindest liege ein Härtefall vor, der eine Zurechnung der Verurteilung des Klägers zu 2) ihr gegenüber nicht zulasse. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts könne aus seiner zu erwartenden Vollbeschäftigung sehr wohl auf eine gelungene Integration in die hiesigen Verhältnisse geschlossen werden. Der Kläger zu 2) habe sich „im Laufe der Jahre integriert“. Die verspätete Ahndung der bereits 2002 von ihm begangenen Straftat dürfe nicht zu seinen Lasten gehen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei es gerade im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin zu 1) selbstmordgefährdet sei, der Kläger zu 3) in Deutschland geboren sei und keinen Bezug zum Herkunftsland der Eltern habe, verfassungswidrig, auch geraume Zeit zurückliegende Straftaten des Ehemannes der Ehefrau und dem Kind zuzurechnen. Selbst wenn dies im Grundsatz verfassungsgemäß sein sollte, sei nach der Rechtsprechung des Senats eine gesonderte Betrachtung für den unbescholtenen Ehepartner geboten. (Die Kläger verweisen insoweit auf einen Beschluss des Senats vom 30.10.2007 – 2 D 390/07 –.)

Durch Beschluss vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 – hat der VGH Mannheim ein bei ihm anhängiges Berufungsverfahren ausgesetzt und die Sache dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt zur Klärung der Frage einer – vom vorlegenden Gericht angenommenen – Verfassungswidrigkeit des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach eine nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG beachtliche strafgerichtliche Verurteilung innerhalb einer häuslichen Gemeinschaft lebenden Angehörigen einer Familie anspruchsvernichtend zugerechnet wird. Vor dem Hintergrund haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung den Antrag gestellt,

das vorliegende Verfahren bis zur Entscheidung über den Vorlagebeschluss auszusetzen.

Die Kläger beantragen in der Sache,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 26.2.2009 – 10 K 2056/07 – den Bescheid des Beklagten vom 31.1.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihnen die erteilten Aufenthaltserlaubnisse zu verlängern beziehungsweise Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahren und der Verfahren VG 10 K 11/05.A, VG 10 L 209/08 und OVG 2 B 265/08 und der zugehörigen Verwaltungsakten Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

I.

Für die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung förmlich beantragte Aussetzung des Verfahrens ist am Maßstab des § 94 Satz 1 VwGO kein Raum. Die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit hängt nicht vom Bestehen oder Nichtbestehen eines „Rechtsverhältnisses“ ab, das Gegenstand des vom VGH Mannheim (vgl. dazu VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, InfAuslR 2009, 350, DÖV 2009, 727) eingeleiteten Vorlageverfahrens (Art 100 Abs. 1 GG) vor dem Bundesverfassungsgericht ist. Die insoweit notwendige Vorgreiflichkeit setzt voraus, dass sich für die Entscheidung eine „Vorfrage“ stellt, die Gegenstand des anderen Rechtsstreits ist. Das ist nicht bereits der Fall, wenn in dem anderen Rechtsstreit – wie hier dem Vorlageverfahren durch das Bundesverfassungsgericht – über dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden ist.

Geht man mit der überwiegenden Rechtsprechung davon aus, dass die Vorschrift aus Gründen der Prozessökonomie insbesondere in den Fällen entsprechend anwendbar ist, in denen es um die Frage der Gültigkeit einer für die Entscheidung wesentlichen Rechtsvorschrift geht, so sieht der Senat in Ausübung des ihm dann durch die Bestimmung eröffneten Ermessens von der beantragten Aussetzung ab. Maßgebliche Erwägungen hierfür sind, dass zum einen die ernsthaft nur in Betracht kommende Nichtigkeit der Altfallregelung (§ 104a AufenthG) insgesamt nicht im Sinne des Klagebegehrens anspruchsbegründend sein kann und zum anderen, dass sich die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Zurechnung im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG erheblicher Straftaten gegenüber mit dem Verurteilten in häuslicher Gemeinschaft lebende Familienangehörige aus Sicht des Senats klar – abweichend von dem genannten Vorlagebeschluss – beantworten lässt.

II.

Die vom Verwaltungsgericht nach Maßgabe der §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassene, auch ansonsten zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die auch aus Sicht des Senats hinsichtlich ihrer Zulässigkeit keinen durchgreifenden Bedenken unterliegende, zulässig in der Form der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) erhobene und daher auch nach Ergehen des Ablehnungsbescheids vom 31.1.2008 keinem Vorverfahrenserfordernis nach § 68 VwGO (mehr) unterliegende Klage zu Recht abgewiesen (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

A.

Die Kläger haben keine Ansprüche auf Verlängerung beziehungsweise Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen. Solche Ansprüche ergeben sich weder aus § 25 AufenthG (1.), noch aus administrativen oder (inzwischen) gesetzlichen Bleiberechtsreglungen für langjährig in Deutschland lebende Ausländer (2. und 3.).

1. Ein Anspruch der Kläger auf Erteilung oder Verlängerung (§ 8 AufenthG) von Aufenthaltserlaubnissen ergibt sich nicht aus § 25 AufenthG.

a. Der § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG können die Kläger, die alle drei erfolglos Asylverfahren in Deutschland durchlaufen haben, mangels dahingehender positiver Feststellung durch das in diesen Fällen allein zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegenüber der Ausländerbehörde von vorneherein nicht mit Erfolg geltend machen. (vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.11.2007 – 2 B 461/07 –, SKZ 2008, 102, Leitsatz Nr. 56, ständige Rechtsprechung) Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse standen im Übrigen allein im Fall der Klägerin zu 1) aufgrund einer bei ihr diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung und früher unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo im Raum. Dass davon nicht mehr ausgegangen kann, ist nach dem ausführlichen, sich zentral mit diesen Fragen beschäftigenden Urteil des Verwaltungsgerichts vom Februar 2007, (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A –) durch das die Klage der Klägerin zu 1) gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamts vom 1.2.2005 rechtskräftig abgewiesen worden ist, geklärt. Im Übrigen nicht ersichtliche zwischenzeitliche negative Veränderungen des Krankheitsbildes oder der medizinischen Versorgungssituation im Herkunftsland wären allenfalls im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gegenüber dem Bundesamt geltend zu machen.

Der Frage, inwieweit dem im Jahre 2002 in seine Heimat abgeschobenen und (wohl) kurze Zeit darauf wieder illegal eingereisten Kläger zu 2) nach zwischenzeitlicher Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Blick auf Art. 6 GG noch die Sperre des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen gehalten werden kann, bedarf daher keiner Vertiefung.

b. Die Voraussetzungen nach § 25 Abs. 5 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Danach kann einem Ausländer abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seiner Ausreise ein zwingendes dauerhaftes und von ihm nicht zu vertretendes Hindernis entgegensteht. Dies ist nicht erkennbar. Was die von den Klägern im Berufungsverfahren erneut als (inländisches) Ausreisehindernis eingewandte Suizidalität der Klägerin zu 1) betrifft, so hat der Senat bereits in dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren im Jahre 2008 klargestellt, dass die Ausländerbehörde bei ernsthaften Selbstmordabsichten eines Ausländers je nach den Gegebenheiten des Falles geeignete Vorkehrungen, unter anderem durch Sicherstellung einer ärztlichen Begleitung bei der Rückführung in das Heimatland, dafür zu treffen hat, dass sich der Gesundheitszustand durch den Abschiebevorgang nicht deutlich verschlechtert. (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58) Dies steht der Annahme einer dauerhaften rechtlichen und/oder tatsächlichen Unmöglichkeit der „Ausreise“ im Verständnis des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zwingend entgegen. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte aktuelle fachärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes (vgl. das Attest des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie P. vom 13.10.2009, Blatt 159 der Gerichtsakte) rechtfertigt keine andere Beurteilung dieser Frage. Diese bezieht sich, insbesondere was die Ausführungen zum Erfordernis einer weiteren intensiven Behandlung der psychischen Erkrankung angeht, ohnehin überwiegend auf die Frage der Sicherstellung der Fortführung einer solchen im Zielstaat der Abschiebung und ist insoweit hier nach dem zuvor Gesagten in diesem Verfahren nicht von Bedeutung. Soweit mit dem Hinweis auf ein „erneutes Auftreten suizidaler Gedanken“ bei der Klägerin zu 1) die Frage der Reisefähigkeit thematisiert wird, enthält das Attest keinerlei Hinweis auf neue Umstände oder eine (wesentliche) Veränderung gegenüber dem bisherigen Erkenntnisstand, der bereits Gegenstand mehrerer erfolgloser Eilrechtsschutzersuchen gewesen ist. (vgl. dazu insbesondere OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)

Eine „Unmöglichkeit“ der Ausreise im Sinne des Art. 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt einer Unzumutbarkeit der Ausreise der Kläger beziehungsweise ihrer Rückkehr in den Kosovo lässt sich auch nicht aus Art. 8 EMRK herleiten. Das hat das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats zutreffend begründet. Eine Aufenthaltsbeendigung kann nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das „Privatleben“ im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum „Aufnahmestaat“ verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem Inländer“ geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann.

Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines im Kindesalter eingereisten und in Deutschland aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter „faktischer Inländer“ kommt allenfalls in Betracht, wenn von seiner abgeschlossenen „gelungenen“ Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist es hingegen, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat. (vgl. dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 9.4.2009 – 2 B 318/09 –, und vom 24.6.2009 – 2 B 348/09 –) Eine „gelungene“ soziale und wirtschaftliche Integration kann im Falle der Kläger nicht angenommen werden. Die Kläger haben während ihres nun insgesamt über 16 Jahre währenden Aufenthalts in Deutschland durchgehend öffentliche Hilfen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch genommen. Eine isolierte Betrachtung des minderjährigen, in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Klägers zu 3) kommt in dem Zusammenhang nicht in Betracht. (vgl. auch hierzu bereits OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)

2. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Kläger ergibt sich ferner nicht aus der im Gefolge der 182. Sitzung der Innenminister und -senatoren vom 17.11.2006 auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassenen saarländischen Bleiberechtsregelung vom Dezember 2006 für im Bundesgebiet integrierte, aber ausreisepflichtige Ausländer (sog. Altfallregelung), (vgl. den Erlass des Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport vom 20.12.2006 – B 5 5510/1 Altfall -, betreffend das „Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige“) auf die die Kläger in ihrem Antrag vom April 2007 Bezug genommen haben.

Von daher muss nicht auf die in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Frage eingegangen werden, ob die Altfallregelungen der Länder bis zu einer formellen Aufhebung der einschlägigen Erlasse – wovon eine insoweit gesonderte Ablehnungsentscheidung enthaltende Bescheid des Beklagten vom 31.1.2008 offenbar ausgeht – neben § 104a AufenthG alternativ weiter anzuwenden sind. (vgl. einerseits OVG Hamburg, Urteil vom 29.1.2008 – 3 Bf 149/02 –, andererseits VGH Mannheim, Beschluss vom 28.4.2008 – 11 S 683/08 -, und OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.9.2007 – 11 B LB 69/07 –, DVBl. 2008, 57) Nach den Anwendungshinweisen des Ministeriums für Inneres und Sport zur gesetzlichen Altfallregelung (vgl. die „Hinweise zu den §§ 104a und b AufenthG“ des Ministeriums für Inneres und Sport vom 23.11.2007 – B 5 5510/AufenthG 104a/b, dort Nr. 1 zum „Verhältnis der gesetzlichen Altfallregelung zum IMK-Bleiberechtsbeschluss vom 17. November 2006“) (§§ 104a, 104b AufenthG) spricht indes vieles dafür, dass der Erlassgeber von der Ersetzung seiner bis dahin geltenden Regelung ausgegangen ist. Danach sind bis zum Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht beschiedene Anträge auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG im Verbindung mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 als solche auf Erteilung und Verlängerung (nunmehr) nach der gesetzlichen Altfallregelung zu behandeln.

Mit Blick auf die ministerielle Altfallregelung ist bereits zweifelhaft, ob die Kläger damals zum begünstigten Personenkreis des auf wegen der Unmöglichkeit ihrer Abschiebung geduldete abgelehnte Asylbewerber zielenden Erlasses vom 20.12.2006 gehörten. Dies hätte vorausgesetzt, dass am Stichtag (17.11.2006) eine Ausreisepflicht bestand (vgl. Ziffer 1.4 des Erlasses). Dem gegenüber waren den Klägern in den Jahren 2005/2006 mit Blick auf das Klageverfahren gegen den gegenüber der Klägerin zu 1) ergangenen Widerrufsbescheid des Bundesamts vom 1.2.2005 Aufenthaltserlaubnisse erteilt und dann ab Oktober 2006 aus Anlass der Verlängerungsanträge so genannte Fiktionsbescheinigungen ausgestellt worden. Auf Einzelheiten muss jedoch auch insoweit nicht eingegangen werden.

Auf ein Bleiberecht zielende Anordnungen der Obersten Landesbehörden nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vormals § 32 AuslG) aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland sind nicht wie Rechtssätze anzuwenden und auszulegen und begründen dementsprechend für die begünstigten Ausländer keine eigenständigen Rechtsansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die nur an den genannten gesetzlichen Zielvorgaben zu orientierende politische Entscheidung, ob die zuständigen Behörden eine solche Anordnung überhaupt erlassen und wie sie dabei den Personenkreis der begünstigten Ausländer abgrenzen, unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle und ein subjektiver Anspruch eines Ausländers auf Einbeziehung in eine entsprechende Anordnung oder gar (erst) auf Erlass einer solchen bestand nicht. Der einzelne Ausländer hat vielmehr - sofern eine entsprechende Anordnung getroffen wird – aus allgemein rechtsstaatlichen Gründen heraus nach Maßgabe des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung, für den allein die praktische Anwendung durch die zuständige Behörde bezogen auf das jeweilige Bundesland maßgebend ist. (vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 5.7.2006 – 2 Q 5/06 –, SKZ 2007, 45, Leitsatz Nr. 46, dort noch zur „Bleiberegelung für Asylbewerber und abgelehnte Vertriebenenbewerber mit langjährigem Aufenthalt“ des Ministeriums für Inneres und Sport vom 20.12.1999 – B 5-5510/1 Altfall – zur Umsetzung eines entsprechenden Beschlusses der Innenministerkonferenz vom 18./19.11.1999, „Altfallregelung“) Dem Vortrag der Kläger lässt sich nicht ansatzweise entnehmen, dass der Beklagte beziehungsweise das früher zuständige Landesamt für Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten in vom Sachverhalt her gleich gelagerten Fällen „willkürlich“ abweichend verfahren ist und Aufenthaltserlaubnisse erteilt hat.

Im Übrigen setzte die damalige Altfallregelung wie ihre Vorgänger in der detaillierten Ziffer 2 des Erlasses in aller Regel eine bereits gelungene soziale und insbesondere wirtschaftliche Integration zu dem im Erlass genannten Stichzeitpunkt des Beschlusses der Ministerrunde (17.11.2006) voraus. Eine solche lag bei den Klägern vor allem, was die Eigensicherung des Lebensunterhalts und damit die wirtschaftliche Eingliederung in hiesige Lebensverhältnisse betraf, ohne Zweifel nicht vor.

Darüber hinaus waren im Falle der Kläger auch in der Altfallregelung vom Dezember 2006 aufgeführte Ausschlussgründe (dazu Ziffer 3 des Erlasses) gegeben. Der Beklagte hat in seinem Bescheid vom 31.1.2008 zutreffend auf den Ausschlussgrund gemäß Ziffer 3.3 hingewiesen. Nach der Anwendungspraxis der Ausländerbehörde schloss die Verurteilung des Klägers zu 2) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen für Allgemeinstraftaten die Anwendung des Erlasses in seinem und auch im Falle seiner Familienangehörigen aus. Mit Blick auf den eingangs erwähnten rechtlichen Grundansatz ist dies in dem Zusammenhang jedenfalls nicht weiter zu hinterfragen.

3. Ansprüche der Kläger auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnisse ergeben sich schließlich auch nicht aus der seit dem 28.8.2007 geltenden gesetzlichen Altfallregelung der §§ 104a, 104b AufenthG. Sinn dieser Bestimmungen ist es, seit langem in Deutschland lebenden wirtschaftlich integrierten und nur geduldeten Ausländern, die sich in der Vergangenheit im Wesentlichen rechtstreu verhalten haben, durch die Einräumung befristeter Bleiberechte eine Perspektive für einen Verbleib in Deutschland zu geben und ihnen die Möglichkeit einzuräumen, im Bereich wirtschaftlicher Integrationsanforderungen bei Bedarf nachzubessern (§ 104a Abs. 1 Satz 1, Sätze 3 ff., Abs. 5 AufenthG). Personen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung noch nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit zu sichern, erhalten bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nach den dortigen Nr. 1 bis Nr. 6 eine Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die nach § 104a Abs. 1 Satz 3 AufenthG den Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen gleichgestellt wird. Die zeitlichen Vorgaben sollen nach der Vorstellung des Bundesgesetzgebers einen Anreiz zur Arbeitsplatzsuche schaffen und die Zuwanderung in die Sozialsysteme vermeiden. Sobald der Ausländer nachweist, dass er seinen Lebensunterhalt eigenständig zu sichern vermag, soll ihm bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt werden. (vgl. dazu Seite 202 der BT-Drucks. 16/5065 zu § 104a Abs. 1 E AufenthG) Bei gesichertem Lebensunterhalt wird die Aufenthaltserlaubnis im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AufenthG auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt (§ 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Die Vorschrift geht jedoch im Grundsatz von einer aufenthaltsrechtlichen „Klärung“ der in den Anwendungsbereich fallenden Altfälle bis Jahresende 2009 aus, sieht für die Fälle erfolgreicher oder Erfolg versprechender Integration dann eine Verlängerungsmöglichkeit um 2 Jahre vor und ist daher für den Fall der Kläger eigentlich schon zeitlich weitgehend „überholt“, (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 3, wonach die gesetzliche Altfallregelung – wie die bisherigen Bleiberechtserlasse der Länder – eine zeitlich durch den Stichtag 1.7.2007 begrenzte Maßnahme des Gesetzgebers darstellt, die nicht für die Zukunft immer wieder neu entstehende Altfälle erfassen will) sofern man nicht für die Fälle frühzeitiger Antragstellung durch den betroffenen Ausländer in einer – unterstellt – rechtswidrigen Ablehnung einen Folgenbeseitigungsansprüche auslösenden Umstand erblickt.

a. Den Klägern ist es bis heute nicht gelungen, den Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit zu sichern, so dass der weitergehende Anspruch nach § 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG aktuell offensichtlich ausscheidet. Der Kläger zu 2) hat zwar bereits im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens auf eine Anstellung bei der Landschaftsgärtnerei E in H hingewiesen und insoweit entsprechende Lohnbescheinigungen vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war allerdings unstreitig, dass es insoweit Probleme jedenfalls in der Vergangenheit bei einem Einsatz des Klägers zu 2) im Rahmen von Arbeitsaufträgen jenseits der Landesgrenzen, insbesondere im benachbarten Rheinland-Pfalz, gab und dass die Familie daher auch aktuell auf öffentliche Hilfen zum Lebensunterhalt angewiesen ist. (vgl. dazu den mit dem PKH-Antrag vorgelegten Bescheid des Regionalverbands Saarbrücken, Soziales Dienstleistungszentrum, vom 21.8.2009, wonach die Kläger derzeit Hilfen zum Lebensunterhalt nach § 2 AsylbLG in Höhe von 1.234,53 EUR erhalten)

b. Da die auch insoweit zusätzlich geltenden Anforderungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sind, steht den Klägern ferner kein Anspruch auf Erteilung der in dieser Altfallregelung vorgesehenen Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ zu.

Zwar dürften die in § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Integrationsvoraussetzungen eines ausreichendem Wohnraums (Nr. 1), hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse (Nr. 2) (Die in der Vorschrift angesprochenen mündlichen Deutschkenntnisse der Anforderungsstufe A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GERR), die von jedem – auch Familienmitglied – gesondert gefordert werden, erfordert nicht mehr, als dass sich der/die Betroffene in einfacher Art, etwa hinsichtlich der Angaben zu seiner Person und seiner Arbeit, mündlich verständlich machen kann.) und des Schulbesuchs des Klägers zu 3) – sofern überhaupt noch schulpflichtig – (Nr. 3) zu bejahen sein, und auch ein Terrorismusverdacht (Nr. 5) steht nicht in Rede. Handlungsweisen, die sich als vorsätzliche Behinderung oder Verzögerung einer Aufenthaltsbeendigung dem Tatbestand der Nr. 4 zuordnen ließen, hat der Beklagte den Klägern nicht entgegen gehalten.

Ebenso unstreitig muss indes hier nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen vom Vorliegen einer im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG erheblichen und nach den einschlägigen registerrechtlichen Vorschriften auch noch verwertbaren Bestrafung des Klägers zu 2) und damit eines Ausschlussgrundes im Sinne der gesetzlichen Altfallregelung ausgegangen werden. Dem Kläger zu 2) wurde durch Strafbefehl vom 21.3.2007 eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen auferlegt. Die inzwischen zwingende Unbeachtlichkeitsregelung für Geldstrafen bis 50 Tagessätzen greift wegen Überschreitens dieses vom Gesetzgeber „bagatellisierten“ Strafmaßes hier nicht ein. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist diese Vorstrafe im Sinne der einschlägigen Bestimmungen des Bundeszentralregistergesetzes unabhängig von dem bereits länger zurückliegenden Tatzeitpunkt im Jahr 2002 verwertbar (§§ 5 Abs. 1 Nr. 4, 46 Abs. 1 Nr. 1a, 51 BZRG). Der an den Zeitpunkt der Unterschrift des Richters unter den Strafbefehl anknüpfende Tilgungszeitraum von hier 5 Jahren ist noch nicht abgelaufen. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in dem Zusammenhang durch die Regelungen über Tilgungsfristen und Verwertungsverbote (§§ 46 Abs. 1, 51 Abs. 1 BZRG) Rechnung getragen. Da die für den Senat durchaus nachvollziehbare Besonderheit des langen Zwischenraums zwischen Tatbegehung und Bestrafung keinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, muss der Frage, auf welche Umstände dieser Zeitablauf zurückzuführen und welcher Verantwortungssphäre er zuzuordnen ist, nicht nachgegangen werden. Ein Antrag des Klägers zu 2) an das Bundesamt für Justiz – Bundeszentralregisterbehörde – auf vorzeitige Tilgung blieb erfolglos. Der entsprechende Tilgungsanspruch könnte – wenn er bestünde – nicht im vorliegenden Verfahren gegenüber der Ausländerbehörde geltend gemacht werden, da dieser insoweit keine Regelungsbefugnisse zustehen. Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen einen strikten Versagungsgrund im Rahmen der gesetzlichen Altfallregelung dar. (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.5.2009 – 2 B 330/09 –, im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 27.1.2009 – 1 C 40.07 –, DVBl. 2009, 650)

Nach dem Gesetzeswortlaut rechtfertigt die Verwirklichung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG auch die Versagung der Aufenthaltserlaubnis gegenüber mit dem Straftäter in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienmitgliedern (§ 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG), hier also gegenüber der Klägerin zu 1) als seiner Ehefrau und dem Kläger zu 3) als gemeinsamem (konkret minderjährigem) Kind.

Die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung ausführlich thematisierte und in der Literatur umstrittene Frage, ob diese Erstreckung der Wirkungen der Verurteilung auf die übrigen mit ihm zusammen lebenden Familienmitglieder (Schlagwort: „Sippenhaft“) verfassungsgemäß ist oder nicht, hat das Verwaltungsgericht – nach ihrer Verneinung – zur Zulassung der Berufung veranlasst. Ob es insoweit mit Blick auf die Grundrechte gerechtfertigt werden kann, was der Wortlaut zulässt, strafrechtliches Verhalten eines Kindes den mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Eltern oder gar seinen minderjährigen Geschwistern zuzurechnen, braucht hier nicht entschieden zu werden. (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, InfAuslR 2009, 350, DÖV 2009, 727) Die Verfassungsmäßigkeit einer Zurechnung unterliegt jedenfalls gegenüber der strafrechtlich selbst bisher nicht in Erscheinung getretenen Klägerin zu 1) als Ehefrau keinen durchgreifenden Bedenken. (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.1.2008 – 2 S 6.08 –, juris) Insbesondere weist die Bestimmung von ihrem eindeutig geschlechtsneutralen Wortlaut her keine am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 2 G) zu beanstandende Benachteiligung gerade von Ehefrauen auf. (vgl. insbesondere in dem Zusammenhang OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.11.2008 – 10 LA 260/08 –, NVwZ-RR 2009, 497)

Der Gesetzgeber hat mit der Altfallregelung 2007 eine bestimmte Gruppen von ausreisepflichtigen Ausländern begünstigende Regelung geschaffen, die das Aufenthaltsgesetz ansonsten nicht vorsieht und zu deren Erlass er weder verfassungs- noch völkerrechtlich verpflichtet ist. Dabei obliegt ihm ein weiter (gesetzgeberischer) Gestaltungsspielraum.

Die Argumentation des von den Klägern bereits im Zusammenhang mit dem Aussetzungsbegehren (§ 94 Satz 1 VwGO, dazu oben I.) in Bezug genommenen VGH Mannheim hinsichtlich der nach seiner Auffassung von dem Zurechnungsgebot in § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgenommenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften mit der Konsequenz einer vermeintlich verfassungswidrigen Ungleichbehandlung (Schlechterstellung) von Eheleuten oder allgemein heterosexuellen Partnerschaften, überzeugt nicht. Die Frage, wer „Familienmitglied“ im Sinne der Vorschrift ist, ist für den Bereich gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften durch den § 11 Abs. 1 LPartG klar beantwortet. Danach gilt ein Lebenspartner als „Familienangehöriger“ des anderen Partners. Die aus dem in der Vorschrift enthaltenen Vorbehalt abweichender gesetzlicher Regelung in Verbindung mit § 27 Abs. 2 AufenthG vom VGH Mannheim (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, DÖV 2009, 727, bei juris Rn 38, 39) hergeleitete Nichtanwendbarkeit auf formell verpartnerte Personen ist allein am Ergebnis orientiert und gebietet nicht zwingend, die Lebenspartner gerade im Sinne der Altfallregelung nicht als „Familienmitglieder“ zu behandeln.

Es verstößt ferner nicht gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) oder gegen das aus Art. 6 GG hergeleitete Verbot der Diskriminierung der Ehe, dass der Gesetzgeber nicht alle anderen nicht formellen Lebensgemeinschaften in die Regelung mit einbezogen hat, sondern bei § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG – wie auch in anderen Bereichen des Aufenthaltsrechts, etwa beim Familiennachzug – an die für einen sinnvollen Gesetzesvollzug als Anknüpfungspunkt in Betracht kommenden formellen Partnerschaften der Ehe oder – im gleichgeschlechtlichen Bereich – der eingetragenen Lebenspartnerschaft orientiert (§ 11 Abs. 1 LPartG). Die Vorschrift des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG spiegelt – bezogen auf die Ehefrau – die im Zusammenhang mit den Regelungen über den Familiennachzug (§§ 27 ff. AufenthG) an das Bestehen einer Ehe geknüpften Vergünstigungen wieder und schließt es beispielsweise aus, dass der strafrechtlich in Erscheinung getretene Ehegatte – sei es nun Mann oder Frau – sich nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Partner auf der Grundlage des Art. 6 GG dann doch ein eigenes Bleiberecht „auf Probe“ sichert.

Der schriftsätzlich als Argument für die aus Sicht der Kläger stattdessen vorzunehmende „gesonderte“ Beurteilung der einzelnen Familienmitglieder genannten Entscheidung des Senats (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 30.10.2007 – 2 D 390/07 –) lässt sich derartiges offensichtlich nicht entnehmen. Der Beschluss betraf eine – erfolgreiche – Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe und enthält lediglich einen knappen Verweis auf die Existenz der Härteregelung in § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG, indes nicht einmal eine Aussage zu deren Anwendbarkeit im dortigen Fall, stattdessen aber einen ausdrücklichen Hinweis auf den Grundsatz der Zurechnung von Verurteilungen im Satz 1.

Die verfassungskritische Literatur (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 58) und Rechtsprechung geht ferner im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die Annahme einer Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht unmittelbar zu einem Anspruch der selbst nicht straffällig gewordenen Familienangehörigen führt. Insoweit wird darauf verweisen, dass der Bundesgesetzgeber außerhalb seiner sich aus der Verfassung (Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (Art. 8 EMRK) ergebenden Verpflichtung zur Einräumung von Bleiberechten nicht gehindert sei, die „Altfallregelung“ gegebenenfalls insgesamt zu streichen, weshalb kein Fall der Teilnichtigkeit (nur) des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG angenommen werden könne. Von daher entzöge die Annahme der Verfassungswidrigkeit der Zurechnungsregel einem Anspruch der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG insgesamt die Grundlage. Vor dem Hintergrund ist die Frage aufzuwerfen, weshalb die Frage nach der Verfassungswidrigkeit in auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Altfallregelung gerichteten Rechtsstreitigkeiten – auch soweit nur Neubescheidungen begehrt werden – überhaupt gestellt (und beantwortet) werden müsste. Von daher gilt im Ergebnis letztlich zumindest in diesem Teilbereich nichts anderes als für die früheren ministeriellen Bleiberechtserlasse ungeachtet der „Hochzonung“ der Altfallregelung auf die Stufe des formellen Gesetzes. Eine Nichtanwendung isoliert des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch die Gerichte bedeutete einen Übergriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Erlass derartiger begünstigender Regelungen, die verfassungsrechtlich wiederum nur durch das Willkürverbot begrenzt wird. Das hat auch der VGH Mannheim in dem erwähnten Vorlageschluss so gesehen und die Vorlage nur mit Blick auf einen dort gestellten Antrag auf Neubescheidung für gerechtfertigt gehalten. (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, DÖV 2009, 727, bei juris Rn 51, 52) Diese Differenzierung ist indes nicht nachvollziehbar. Wäre gegebenenfalls von einer Gesamtnichtigkeit des § 104a AufenthG auszugehen und berücksichtigt man zusätzlich das Fehlen einer Verpflichtung des Gesetzgebers zum (erneuten) Erlass solcher Rechtsvorschriften zur Bereinigung von Altfällen jenseits der Gewährleistung der Integrationsgarantie des Art. 8 EMRK, so ist nicht einleuchtend, woraus sich ein Anspruch (auch nur) auf Bescheidung eines Antrags des Ausländers ergeben sollte.

Ausgehend von der rechtlichen Verbindlichkeit der Altfallregelung (§ 104a AufenthG) sollen Härtefälle nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, sofern es sich um eine besondere Härte handelt, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von der für Ehegatten geltenden Sonderregelung in § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgefangen werden. Eine solche „besondere“ Härte kann tatbestandlich in dem Zusammenhang allerdings sicher nicht bereits aus der Stellung des Zurechnungsadressaten als Ehefrau oder Ehemann hergeleitet werden, um auf diesem Wege das Zurechnungsgebot im Grundsatz zu relativieren. Sie kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn im konkreten („besonderen“) Einzelfall besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die mit der Befolgung der Ausreisepflicht für den Ehepartner verbundenen Konsequenzen sie oder ihn erheblich ungleich härter treffen als andere Ausländer oder Ausländerinnen in vergleichbarer Situation oder wenn die abgeurteilte Straftat gerade gegenüber dem Ehepartner begangen worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das gilt auch mit Blick auf die psychische Erkrankung der Klägerin zu 1). (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 60, wonach es eine Härte begründen soll, wenn der nicht straffällig gewordene Ehegatte eine in Deutschland eine lang dauernde Heilbehandlung durchläuft und ihm deren Abbruch nicht zugemutet werden kann) Insoweit ist ein Ende der Behandlungsbedürftigkeit nicht abzusehen und eine solche kann nach dem im Verfahren betreffend die Anfechtung des Widerrufsbescheids des Bundesamts vom 1.2.2005 ergangenen rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A – inzwischen auch im Herkunftsland erfolgen. Mit der Erkrankung im Zusammenhang steht die von der Klägerin zu 1) behauptete Selbstmordabsicht (Suizidalität), die auch im Rahmen des § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG keine andere Beurteilung rechtfertigt. Ebenso wenig lässt sich aus dem Verweis auf den zeitlichen Abstand zwischen Tatbegehung (2002) und Bestrafung des Klägers zu 2) ein „besonderer“ Härtefall herleiten. Diese Thematik wird gerade auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten durch die Bestimmungen in §§ 46 Abs. 1, 51 Abs. 1 BZRG über die zeitliche Verwertbarkeit der Einträge im Register abgedeckt. Ansprüche auf vorzeitige Tilgung sind – wie bereits ausgeführt – gegenüber der zuständigen Bundesbehörde geltend zu machen.

Bei den minderjährigen Kindern entspricht die Zurechnung der Straffälligkeit eines Elternteils nach § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Grundsatz, dass diese Kinder – wie hier der Kläger zu 3) – das aufenthaltsrechtliche Schicksal der Eltern teilen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der insoweit eine selbständige Beurteilung rechtfertigenden Sondervorschrift nach § 104b AufenthG liegen im Falle des Klägers zu 3) nicht vor. Das gilt bereits für die dort genannte Altersgrenze. Außerdem sind die Kläger zu 1) und 2) erklärtermaßen nicht zu einer „Ausreise“ bereit.

B.

Die in dem nach Erhebung der Klage ergangenen Ablehnungsbescheid vom 31.1.2008 unter Ziffern 4. bis 6. enthaltenen Maßnahmen der Ausreiseaufforderung unter Hinweis auf die Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG), der Abschiebungsandrohung für den Fall der Nichtbefolgung (§ 59 Abs. 1 AufenthG) wie auch der Hinweis auf die sich insoweit aus dem Gesetz ergebende Kostentragungspflicht (§ 66 Abs. 1 AufenthG) sind rechtlich nicht zu beanstanden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen mit Blick auf die höchstrichterlich bisher nicht entschiedene, in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zurechnungsregel des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Ungeachtet der sich aus dem Inhalt der Vorschrift, vor allem der Stichtagsregelung, ergebenden zeitlichen Vorgaben für die Behandlung und Klärung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Altfälle (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 3, wonach die gesetzliche Altfallregelung – wie die bisherigen Bleiberechtserlasse der Länder – eine zeitlich durch den Stichtag 1.7.2007 begrenzte Maßnahme des Gesetzgebers darstellt, die nicht für die Zukunft immer wieder neu entstehende Altfälle erfassen will) enthält die Bestimmung keine zeitliche Beschränkung hinsichtlich des gesetzlichen Anwendungsbefehls, so dass insofern nicht von „auslaufendem“ Recht ausgegangen werden kann.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 15.000,- EUR festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG, ebenso bereits die vorläufige Festsetzung im Beschluss vom 16.4.2009 – 2 A 329/09 –).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

I.

Für die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung förmlich beantragte Aussetzung des Verfahrens ist am Maßstab des § 94 Satz 1 VwGO kein Raum. Die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit hängt nicht vom Bestehen oder Nichtbestehen eines „Rechtsverhältnisses“ ab, das Gegenstand des vom VGH Mannheim (vgl. dazu VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, InfAuslR 2009, 350, DÖV 2009, 727) eingeleiteten Vorlageverfahrens (Art 100 Abs. 1 GG) vor dem Bundesverfassungsgericht ist. Die insoweit notwendige Vorgreiflichkeit setzt voraus, dass sich für die Entscheidung eine „Vorfrage“ stellt, die Gegenstand des anderen Rechtsstreits ist. Das ist nicht bereits der Fall, wenn in dem anderen Rechtsstreit – wie hier dem Vorlageverfahren durch das Bundesverfassungsgericht – über dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden ist.

Geht man mit der überwiegenden Rechtsprechung davon aus, dass die Vorschrift aus Gründen der Prozessökonomie insbesondere in den Fällen entsprechend anwendbar ist, in denen es um die Frage der Gültigkeit einer für die Entscheidung wesentlichen Rechtsvorschrift geht, so sieht der Senat in Ausübung des ihm dann durch die Bestimmung eröffneten Ermessens von der beantragten Aussetzung ab. Maßgebliche Erwägungen hierfür sind, dass zum einen die ernsthaft nur in Betracht kommende Nichtigkeit der Altfallregelung (§ 104a AufenthG) insgesamt nicht im Sinne des Klagebegehrens anspruchsbegründend sein kann und zum anderen, dass sich die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Zurechnung im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG erheblicher Straftaten gegenüber mit dem Verurteilten in häuslicher Gemeinschaft lebende Familienangehörige aus Sicht des Senats klar – abweichend von dem genannten Vorlagebeschluss – beantworten lässt.

II.

Die vom Verwaltungsgericht nach Maßgabe der §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassene, auch ansonsten zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die auch aus Sicht des Senats hinsichtlich ihrer Zulässigkeit keinen durchgreifenden Bedenken unterliegende, zulässig in der Form der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) erhobene und daher auch nach Ergehen des Ablehnungsbescheids vom 31.1.2008 keinem Vorverfahrenserfordernis nach § 68 VwGO (mehr) unterliegende Klage zu Recht abgewiesen (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

A.

Die Kläger haben keine Ansprüche auf Verlängerung beziehungsweise Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen. Solche Ansprüche ergeben sich weder aus § 25 AufenthG (1.), noch aus administrativen oder (inzwischen) gesetzlichen Bleiberechtsreglungen für langjährig in Deutschland lebende Ausländer (2. und 3.).

1. Ein Anspruch der Kläger auf Erteilung oder Verlängerung (§ 8 AufenthG) von Aufenthaltserlaubnissen ergibt sich nicht aus § 25 AufenthG.

a. Der § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG können die Kläger, die alle drei erfolglos Asylverfahren in Deutschland durchlaufen haben, mangels dahingehender positiver Feststellung durch das in diesen Fällen allein zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegenüber der Ausländerbehörde von vorneherein nicht mit Erfolg geltend machen. (vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 26.11.2007 – 2 B 461/07 –, SKZ 2008, 102, Leitsatz Nr. 56, ständige Rechtsprechung) Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse standen im Übrigen allein im Fall der Klägerin zu 1) aufgrund einer bei ihr diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung und früher unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo im Raum. Dass davon nicht mehr ausgegangen kann, ist nach dem ausführlichen, sich zentral mit diesen Fragen beschäftigenden Urteil des Verwaltungsgerichts vom Februar 2007, (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A –) durch das die Klage der Klägerin zu 1) gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamts vom 1.2.2005 rechtskräftig abgewiesen worden ist, geklärt. Im Übrigen nicht ersichtliche zwischenzeitliche negative Veränderungen des Krankheitsbildes oder der medizinischen Versorgungssituation im Herkunftsland wären allenfalls im Rahmen eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gegenüber dem Bundesamt geltend zu machen.

Der Frage, inwieweit dem im Jahre 2002 in seine Heimat abgeschobenen und (wohl) kurze Zeit darauf wieder illegal eingereisten Kläger zu 2) nach zwischenzeitlicher Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Blick auf Art. 6 GG noch die Sperre des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen gehalten werden kann, bedarf daher keiner Vertiefung.

b. Die Voraussetzungen nach § 25 Abs. 5 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Danach kann einem Ausländer abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seiner Ausreise ein zwingendes dauerhaftes und von ihm nicht zu vertretendes Hindernis entgegensteht. Dies ist nicht erkennbar. Was die von den Klägern im Berufungsverfahren erneut als (inländisches) Ausreisehindernis eingewandte Suizidalität der Klägerin zu 1) betrifft, so hat der Senat bereits in dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren im Jahre 2008 klargestellt, dass die Ausländerbehörde bei ernsthaften Selbstmordabsichten eines Ausländers je nach den Gegebenheiten des Falles geeignete Vorkehrungen, unter anderem durch Sicherstellung einer ärztlichen Begleitung bei der Rückführung in das Heimatland, dafür zu treffen hat, dass sich der Gesundheitszustand durch den Abschiebevorgang nicht deutlich verschlechtert. (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58) Dies steht der Annahme einer dauerhaften rechtlichen und/oder tatsächlichen Unmöglichkeit der „Ausreise“ im Verständnis des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zwingend entgegen. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte aktuelle fachärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes (vgl. das Attest des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie P. vom 13.10.2009, Blatt 159 der Gerichtsakte) rechtfertigt keine andere Beurteilung dieser Frage. Diese bezieht sich, insbesondere was die Ausführungen zum Erfordernis einer weiteren intensiven Behandlung der psychischen Erkrankung angeht, ohnehin überwiegend auf die Frage der Sicherstellung der Fortführung einer solchen im Zielstaat der Abschiebung und ist insoweit hier nach dem zuvor Gesagten in diesem Verfahren nicht von Bedeutung. Soweit mit dem Hinweis auf ein „erneutes Auftreten suizidaler Gedanken“ bei der Klägerin zu 1) die Frage der Reisefähigkeit thematisiert wird, enthält das Attest keinerlei Hinweis auf neue Umstände oder eine (wesentliche) Veränderung gegenüber dem bisherigen Erkenntnisstand, der bereits Gegenstand mehrerer erfolgloser Eilrechtsschutzersuchen gewesen ist. (vgl. dazu insbesondere OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)

Eine „Unmöglichkeit“ der Ausreise im Sinne des Art. 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt einer Unzumutbarkeit der Ausreise der Kläger beziehungsweise ihrer Rückkehr in den Kosovo lässt sich auch nicht aus Art. 8 EMRK herleiten. Das hat das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats zutreffend begründet. Eine Aufenthaltsbeendigung kann nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das „Privatleben“ im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so „starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum „Aufnahmestaat“ verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem Inländer“ geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann.

Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines im Kindesalter eingereisten und in Deutschland aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter „faktischer Inländer“ kommt allenfalls in Betracht, wenn von seiner abgeschlossenen „gelungenen“ Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist es hingegen, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat. (vgl. dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 9.4.2009 – 2 B 318/09 –, und vom 24.6.2009 – 2 B 348/09 –) Eine „gelungene“ soziale und wirtschaftliche Integration kann im Falle der Kläger nicht angenommen werden. Die Kläger haben während ihres nun insgesamt über 16 Jahre währenden Aufenthalts in Deutschland durchgehend öffentliche Hilfen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch genommen. Eine isolierte Betrachtung des minderjährigen, in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Klägers zu 3) kommt in dem Zusammenhang nicht in Betracht. (vgl. auch hierzu bereits OVG des Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)

2. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Kläger ergibt sich ferner nicht aus der im Gefolge der 182. Sitzung der Innenminister und -senatoren vom 17.11.2006 auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassenen saarländischen Bleiberechtsregelung vom Dezember 2006 für im Bundesgebiet integrierte, aber ausreisepflichtige Ausländer (sog. Altfallregelung), (vgl. den Erlass des Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport vom 20.12.2006 – B 5 5510/1 Altfall -, betreffend das „Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige“) auf die die Kläger in ihrem Antrag vom April 2007 Bezug genommen haben.

Von daher muss nicht auf die in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Frage eingegangen werden, ob die Altfallregelungen der Länder bis zu einer formellen Aufhebung der einschlägigen Erlasse – wovon eine insoweit gesonderte Ablehnungsentscheidung enthaltende Bescheid des Beklagten vom 31.1.2008 offenbar ausgeht – neben § 104a AufenthG alternativ weiter anzuwenden sind. (vgl. einerseits OVG Hamburg, Urteil vom 29.1.2008 – 3 Bf 149/02 –, andererseits VGH Mannheim, Beschluss vom 28.4.2008 – 11 S 683/08 -, und OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.9.2007 – 11 B LB 69/07 –, DVBl. 2008, 57) Nach den Anwendungshinweisen des Ministeriums für Inneres und Sport zur gesetzlichen Altfallregelung (vgl. die „Hinweise zu den §§ 104a und b AufenthG“ des Ministeriums für Inneres und Sport vom 23.11.2007 – B 5 5510/AufenthG 104a/b, dort Nr. 1 zum „Verhältnis der gesetzlichen Altfallregelung zum IMK-Bleiberechtsbeschluss vom 17. November 2006“) (§§ 104a, 104b AufenthG) spricht indes vieles dafür, dass der Erlassgeber von der Ersetzung seiner bis dahin geltenden Regelung ausgegangen ist. Danach sind bis zum Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht beschiedene Anträge auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG im Verbindung mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 als solche auf Erteilung und Verlängerung (nunmehr) nach der gesetzlichen Altfallregelung zu behandeln.

Mit Blick auf die ministerielle Altfallregelung ist bereits zweifelhaft, ob die Kläger damals zum begünstigten Personenkreis des auf wegen der Unmöglichkeit ihrer Abschiebung geduldete abgelehnte Asylbewerber zielenden Erlasses vom 20.12.2006 gehörten. Dies hätte vorausgesetzt, dass am Stichtag (17.11.2006) eine Ausreisepflicht bestand (vgl. Ziffer 1.4 des Erlasses). Dem gegenüber waren den Klägern in den Jahren 2005/2006 mit Blick auf das Klageverfahren gegen den gegenüber der Klägerin zu 1) ergangenen Widerrufsbescheid des Bundesamts vom 1.2.2005 Aufenthaltserlaubnisse erteilt und dann ab Oktober 2006 aus Anlass der Verlängerungsanträge so genannte Fiktionsbescheinigungen ausgestellt worden. Auf Einzelheiten muss jedoch auch insoweit nicht eingegangen werden.

Auf ein Bleiberecht zielende Anordnungen der Obersten Landesbehörden nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vormals § 32 AuslG) aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland sind nicht wie Rechtssätze anzuwenden und auszulegen und begründen dementsprechend für die begünstigten Ausländer keine eigenständigen Rechtsansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die nur an den genannten gesetzlichen Zielvorgaben zu orientierende politische Entscheidung, ob die zuständigen Behörden eine solche Anordnung überhaupt erlassen und wie sie dabei den Personenkreis der begünstigten Ausländer abgrenzen, unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle und ein subjektiver Anspruch eines Ausländers auf Einbeziehung in eine entsprechende Anordnung oder gar (erst) auf Erlass einer solchen bestand nicht. Der einzelne Ausländer hat vielmehr - sofern eine entsprechende Anordnung getroffen wird – aus allgemein rechtsstaatlichen Gründen heraus nach Maßgabe des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung, für den allein die praktische Anwendung durch die zuständige Behörde bezogen auf das jeweilige Bundesland maßgebend ist. (vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 5.7.2006 – 2 Q 5/06 –, SKZ 2007, 45, Leitsatz Nr. 46, dort noch zur „Bleiberegelung für Asylbewerber und abgelehnte Vertriebenenbewerber mit langjährigem Aufenthalt“ des Ministeriums für Inneres und Sport vom 20.12.1999 – B 5-5510/1 Altfall – zur Umsetzung eines entsprechenden Beschlusses der Innenministerkonferenz vom 18./19.11.1999, „Altfallregelung“) Dem Vortrag der Kläger lässt sich nicht ansatzweise entnehmen, dass der Beklagte beziehungsweise das früher zuständige Landesamt für Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten in vom Sachverhalt her gleich gelagerten Fällen „willkürlich“ abweichend verfahren ist und Aufenthaltserlaubnisse erteilt hat.

Im Übrigen setzte die damalige Altfallregelung wie ihre Vorgänger in der detaillierten Ziffer 2 des Erlasses in aller Regel eine bereits gelungene soziale und insbesondere wirtschaftliche Integration zu dem im Erlass genannten Stichzeitpunkt des Beschlusses der Ministerrunde (17.11.2006) voraus. Eine solche lag bei den Klägern vor allem, was die Eigensicherung des Lebensunterhalts und damit die wirtschaftliche Eingliederung in hiesige Lebensverhältnisse betraf, ohne Zweifel nicht vor.

Darüber hinaus waren im Falle der Kläger auch in der Altfallregelung vom Dezember 2006 aufgeführte Ausschlussgründe (dazu Ziffer 3 des Erlasses) gegeben. Der Beklagte hat in seinem Bescheid vom 31.1.2008 zutreffend auf den Ausschlussgrund gemäß Ziffer 3.3 hingewiesen. Nach der Anwendungspraxis der Ausländerbehörde schloss die Verurteilung des Klägers zu 2) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen für Allgemeinstraftaten die Anwendung des Erlasses in seinem und auch im Falle seiner Familienangehörigen aus. Mit Blick auf den eingangs erwähnten rechtlichen Grundansatz ist dies in dem Zusammenhang jedenfalls nicht weiter zu hinterfragen.

3. Ansprüche der Kläger auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnisse ergeben sich schließlich auch nicht aus der seit dem 28.8.2007 geltenden gesetzlichen Altfallregelung der §§ 104a, 104b AufenthG. Sinn dieser Bestimmungen ist es, seit langem in Deutschland lebenden wirtschaftlich integrierten und nur geduldeten Ausländern, die sich in der Vergangenheit im Wesentlichen rechtstreu verhalten haben, durch die Einräumung befristeter Bleiberechte eine Perspektive für einen Verbleib in Deutschland zu geben und ihnen die Möglichkeit einzuräumen, im Bereich wirtschaftlicher Integrationsanforderungen bei Bedarf nachzubessern (§ 104a Abs. 1 Satz 1, Sätze 3 ff., Abs. 5 AufenthG). Personen, die bei Inkrafttreten der Bestimmung noch nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit zu sichern, erhalten bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nach den dortigen Nr. 1 bis Nr. 6 eine Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die nach § 104a Abs. 1 Satz 3 AufenthG den Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen gleichgestellt wird. Die zeitlichen Vorgaben sollen nach der Vorstellung des Bundesgesetzgebers einen Anreiz zur Arbeitsplatzsuche schaffen und die Zuwanderung in die Sozialsysteme vermeiden. Sobald der Ausländer nachweist, dass er seinen Lebensunterhalt eigenständig zu sichern vermag, soll ihm bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt werden. (vgl. dazu Seite 202 der BT-Drucks. 16/5065 zu § 104a Abs. 1 E AufenthG) Bei gesichertem Lebensunterhalt wird die Aufenthaltserlaubnis im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AufenthG auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt (§ 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Die Vorschrift geht jedoch im Grundsatz von einer aufenthaltsrechtlichen „Klärung“ der in den Anwendungsbereich fallenden Altfälle bis Jahresende 2009 aus, sieht für die Fälle erfolgreicher oder Erfolg versprechender Integration dann eine Verlängerungsmöglichkeit um 2 Jahre vor und ist daher für den Fall der Kläger eigentlich schon zeitlich weitgehend „überholt“, (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 3, wonach die gesetzliche Altfallregelung – wie die bisherigen Bleiberechtserlasse der Länder – eine zeitlich durch den Stichtag 1.7.2007 begrenzte Maßnahme des Gesetzgebers darstellt, die nicht für die Zukunft immer wieder neu entstehende Altfälle erfassen will) sofern man nicht für die Fälle frühzeitiger Antragstellung durch den betroffenen Ausländer in einer – unterstellt – rechtswidrigen Ablehnung einen Folgenbeseitigungsansprüche auslösenden Umstand erblickt.

a. Den Klägern ist es bis heute nicht gelungen, den Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit zu sichern, so dass der weitergehende Anspruch nach § 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG aktuell offensichtlich ausscheidet. Der Kläger zu 2) hat zwar bereits im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens auf eine Anstellung bei der Landschaftsgärtnerei E in H hingewiesen und insoweit entsprechende Lohnbescheinigungen vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war allerdings unstreitig, dass es insoweit Probleme jedenfalls in der Vergangenheit bei einem Einsatz des Klägers zu 2) im Rahmen von Arbeitsaufträgen jenseits der Landesgrenzen, insbesondere im benachbarten Rheinland-Pfalz, gab und dass die Familie daher auch aktuell auf öffentliche Hilfen zum Lebensunterhalt angewiesen ist. (vgl. dazu den mit dem PKH-Antrag vorgelegten Bescheid des Regionalverbands Saarbrücken, Soziales Dienstleistungszentrum, vom 21.8.2009, wonach die Kläger derzeit Hilfen zum Lebensunterhalt nach § 2 AsylbLG in Höhe von 1.234,53 EUR erhalten)

b. Da die auch insoweit zusätzlich geltenden Anforderungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sind, steht den Klägern ferner kein Anspruch auf Erteilung der in dieser Altfallregelung vorgesehenen Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ zu.

Zwar dürften die in § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Integrationsvoraussetzungen eines ausreichendem Wohnraums (Nr. 1), hinreichender mündlicher Deutschkenntnisse (Nr. 2) (Die in der Vorschrift angesprochenen mündlichen Deutschkenntnisse der Anforderungsstufe A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GERR), die von jedem – auch Familienmitglied – gesondert gefordert werden, erfordert nicht mehr, als dass sich der/die Betroffene in einfacher Art, etwa hinsichtlich der Angaben zu seiner Person und seiner Arbeit, mündlich verständlich machen kann.) und des Schulbesuchs des Klägers zu 3) – sofern überhaupt noch schulpflichtig – (Nr. 3) zu bejahen sein, und auch ein Terrorismusverdacht (Nr. 5) steht nicht in Rede. Handlungsweisen, die sich als vorsätzliche Behinderung oder Verzögerung einer Aufenthaltsbeendigung dem Tatbestand der Nr. 4 zuordnen ließen, hat der Beklagte den Klägern nicht entgegen gehalten.

Ebenso unstreitig muss indes hier nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen vom Vorliegen einer im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG erheblichen und nach den einschlägigen registerrechtlichen Vorschriften auch noch verwertbaren Bestrafung des Klägers zu 2) und damit eines Ausschlussgrundes im Sinne der gesetzlichen Altfallregelung ausgegangen werden. Dem Kläger zu 2) wurde durch Strafbefehl vom 21.3.2007 eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen auferlegt. Die inzwischen zwingende Unbeachtlichkeitsregelung für Geldstrafen bis 50 Tagessätzen greift wegen Überschreitens dieses vom Gesetzgeber „bagatellisierten“ Strafmaßes hier nicht ein. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist diese Vorstrafe im Sinne der einschlägigen Bestimmungen des Bundeszentralregistergesetzes unabhängig von dem bereits länger zurückliegenden Tatzeitpunkt im Jahr 2002 verwertbar (§§ 5 Abs. 1 Nr. 4, 46 Abs. 1 Nr. 1a, 51 BZRG). Der an den Zeitpunkt der Unterschrift des Richters unter den Strafbefehl anknüpfende Tilgungszeitraum von hier 5 Jahren ist noch nicht abgelaufen. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in dem Zusammenhang durch die Regelungen über Tilgungsfristen und Verwertungsverbote (§§ 46 Abs. 1, 51 Abs. 1 BZRG) Rechnung getragen. Da die für den Senat durchaus nachvollziehbare Besonderheit des langen Zwischenraums zwischen Tatbegehung und Bestrafung keinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, muss der Frage, auf welche Umstände dieser Zeitablauf zurückzuführen und welcher Verantwortungssphäre er zuzuordnen ist, nicht nachgegangen werden. Ein Antrag des Klägers zu 2) an das Bundesamt für Justiz – Bundeszentralregisterbehörde – auf vorzeitige Tilgung blieb erfolglos. Der entsprechende Tilgungsanspruch könnte – wenn er bestünde – nicht im vorliegenden Verfahren gegenüber der Ausländerbehörde geltend gemacht werden, da dieser insoweit keine Regelungsbefugnisse zustehen. Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen einen strikten Versagungsgrund im Rahmen der gesetzlichen Altfallregelung dar. (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.5.2009 – 2 B 330/09 –, im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 27.1.2009 – 1 C 40.07 –, DVBl. 2009, 650)

Nach dem Gesetzeswortlaut rechtfertigt die Verwirklichung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG auch die Versagung der Aufenthaltserlaubnis gegenüber mit dem Straftäter in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienmitgliedern (§ 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG), hier also gegenüber der Klägerin zu 1) als seiner Ehefrau und dem Kläger zu 3) als gemeinsamem (konkret minderjährigem) Kind.

Die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung ausführlich thematisierte und in der Literatur umstrittene Frage, ob diese Erstreckung der Wirkungen der Verurteilung auf die übrigen mit ihm zusammen lebenden Familienmitglieder (Schlagwort: „Sippenhaft“) verfassungsgemäß ist oder nicht, hat das Verwaltungsgericht – nach ihrer Verneinung – zur Zulassung der Berufung veranlasst. Ob es insoweit mit Blick auf die Grundrechte gerechtfertigt werden kann, was der Wortlaut zulässt, strafrechtliches Verhalten eines Kindes den mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Eltern oder gar seinen minderjährigen Geschwistern zuzurechnen, braucht hier nicht entschieden zu werden. (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, InfAuslR 2009, 350, DÖV 2009, 727) Die Verfassungsmäßigkeit einer Zurechnung unterliegt jedenfalls gegenüber der strafrechtlich selbst bisher nicht in Erscheinung getretenen Klägerin zu 1) als Ehefrau keinen durchgreifenden Bedenken. (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.1.2008 – 2 S 6.08 –, juris) Insbesondere weist die Bestimmung von ihrem eindeutig geschlechtsneutralen Wortlaut her keine am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 2 G) zu beanstandende Benachteiligung gerade von Ehefrauen auf. (vgl. insbesondere in dem Zusammenhang OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.11.2008 – 10 LA 260/08 –, NVwZ-RR 2009, 497)

Der Gesetzgeber hat mit der Altfallregelung 2007 eine bestimmte Gruppen von ausreisepflichtigen Ausländern begünstigende Regelung geschaffen, die das Aufenthaltsgesetz ansonsten nicht vorsieht und zu deren Erlass er weder verfassungs- noch völkerrechtlich verpflichtet ist. Dabei obliegt ihm ein weiter (gesetzgeberischer) Gestaltungsspielraum.

Die Argumentation des von den Klägern bereits im Zusammenhang mit dem Aussetzungsbegehren (§ 94 Satz 1 VwGO, dazu oben I.) in Bezug genommenen VGH Mannheim hinsichtlich der nach seiner Auffassung von dem Zurechnungsgebot in § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgenommenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften mit der Konsequenz einer vermeintlich verfassungswidrigen Ungleichbehandlung (Schlechterstellung) von Eheleuten oder allgemein heterosexuellen Partnerschaften, überzeugt nicht. Die Frage, wer „Familienmitglied“ im Sinne der Vorschrift ist, ist für den Bereich gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften durch den § 11 Abs. 1 LPartG klar beantwortet. Danach gilt ein Lebenspartner als „Familienangehöriger“ des anderen Partners. Die aus dem in der Vorschrift enthaltenen Vorbehalt abweichender gesetzlicher Regelung in Verbindung mit § 27 Abs. 2 AufenthG vom VGH Mannheim (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, DÖV 2009, 727, bei juris Rn 38, 39) hergeleitete Nichtanwendbarkeit auf formell verpartnerte Personen ist allein am Ergebnis orientiert und gebietet nicht zwingend, die Lebenspartner gerade im Sinne der Altfallregelung nicht als „Familienmitglieder“ zu behandeln.

Es verstößt ferner nicht gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) oder gegen das aus Art. 6 GG hergeleitete Verbot der Diskriminierung der Ehe, dass der Gesetzgeber nicht alle anderen nicht formellen Lebensgemeinschaften in die Regelung mit einbezogen hat, sondern bei § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG – wie auch in anderen Bereichen des Aufenthaltsrechts, etwa beim Familiennachzug – an die für einen sinnvollen Gesetzesvollzug als Anknüpfungspunkt in Betracht kommenden formellen Partnerschaften der Ehe oder – im gleichgeschlechtlichen Bereich – der eingetragenen Lebenspartnerschaft orientiert (§ 11 Abs. 1 LPartG). Die Vorschrift des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG spiegelt – bezogen auf die Ehefrau – die im Zusammenhang mit den Regelungen über den Familiennachzug (§§ 27 ff. AufenthG) an das Bestehen einer Ehe geknüpften Vergünstigungen wieder und schließt es beispielsweise aus, dass der strafrechtlich in Erscheinung getretene Ehegatte – sei es nun Mann oder Frau – sich nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Partner auf der Grundlage des Art. 6 GG dann doch ein eigenes Bleiberecht „auf Probe“ sichert.

Der schriftsätzlich als Argument für die aus Sicht der Kläger stattdessen vorzunehmende „gesonderte“ Beurteilung der einzelnen Familienmitglieder genannten Entscheidung des Senats (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 30.10.2007 – 2 D 390/07 –) lässt sich derartiges offensichtlich nicht entnehmen. Der Beschluss betraf eine – erfolgreiche – Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe und enthält lediglich einen knappen Verweis auf die Existenz der Härteregelung in § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG, indes nicht einmal eine Aussage zu deren Anwendbarkeit im dortigen Fall, stattdessen aber einen ausdrücklichen Hinweis auf den Grundsatz der Zurechnung von Verurteilungen im Satz 1.

Die verfassungskritische Literatur (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 58) und Rechtsprechung geht ferner im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die Annahme einer Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht unmittelbar zu einem Anspruch der selbst nicht straffällig gewordenen Familienangehörigen führt. Insoweit wird darauf verweisen, dass der Bundesgesetzgeber außerhalb seiner sich aus der Verfassung (Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (Art. 8 EMRK) ergebenden Verpflichtung zur Einräumung von Bleiberechten nicht gehindert sei, die „Altfallregelung“ gegebenenfalls insgesamt zu streichen, weshalb kein Fall der Teilnichtigkeit (nur) des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG angenommen werden könne. Von daher entzöge die Annahme der Verfassungswidrigkeit der Zurechnungsregel einem Anspruch der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG insgesamt die Grundlage. Vor dem Hintergrund ist die Frage aufzuwerfen, weshalb die Frage nach der Verfassungswidrigkeit in auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach der Altfallregelung gerichteten Rechtsstreitigkeiten – auch soweit nur Neubescheidungen begehrt werden – überhaupt gestellt (und beantwortet) werden müsste. Von daher gilt im Ergebnis letztlich zumindest in diesem Teilbereich nichts anderes als für die früheren ministeriellen Bleiberechtserlasse ungeachtet der „Hochzonung“ der Altfallregelung auf die Stufe des formellen Gesetzes. Eine Nichtanwendung isoliert des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch die Gerichte bedeutete einen Übergriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Erlass derartiger begünstigender Regelungen, die verfassungsrechtlich wiederum nur durch das Willkürverbot begrenzt wird. Das hat auch der VGH Mannheim in dem erwähnten Vorlageschluss so gesehen und die Vorlage nur mit Blick auf einen dort gestellten Antrag auf Neubescheidung für gerechtfertigt gehalten. (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, DÖV 2009, 727, bei juris Rn 51, 52) Diese Differenzierung ist indes nicht nachvollziehbar. Wäre gegebenenfalls von einer Gesamtnichtigkeit des § 104a AufenthG auszugehen und berücksichtigt man zusätzlich das Fehlen einer Verpflichtung des Gesetzgebers zum (erneuten) Erlass solcher Rechtsvorschriften zur Bereinigung von Altfällen jenseits der Gewährleistung der Integrationsgarantie des Art. 8 EMRK, so ist nicht einleuchtend, woraus sich ein Anspruch (auch nur) auf Bescheidung eines Antrags des Ausländers ergeben sollte.

Ausgehend von der rechtlichen Verbindlichkeit der Altfallregelung (§ 104a AufenthG) sollen Härtefälle nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, sofern es sich um eine besondere Härte handelt, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von der für Ehegatten geltenden Sonderregelung in § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgefangen werden. Eine solche „besondere“ Härte kann tatbestandlich in dem Zusammenhang allerdings sicher nicht bereits aus der Stellung des Zurechnungsadressaten als Ehefrau oder Ehemann hergeleitet werden, um auf diesem Wege das Zurechnungsgebot im Grundsatz zu relativieren. Sie kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn im konkreten („besonderen“) Einzelfall besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die mit der Befolgung der Ausreisepflicht für den Ehepartner verbundenen Konsequenzen sie oder ihn erheblich ungleich härter treffen als andere Ausländer oder Ausländerinnen in vergleichbarer Situation oder wenn die abgeurteilte Straftat gerade gegenüber dem Ehepartner begangen worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das gilt auch mit Blick auf die psychische Erkrankung der Klägerin zu 1). (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 60, wonach es eine Härte begründen soll, wenn der nicht straffällig gewordene Ehegatte eine in Deutschland eine lang dauernde Heilbehandlung durchläuft und ihm deren Abbruch nicht zugemutet werden kann) Insoweit ist ein Ende der Behandlungsbedürftigkeit nicht abzusehen und eine solche kann nach dem im Verfahren betreffend die Anfechtung des Widerrufsbescheids des Bundesamts vom 1.2.2005 ergangenen rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21.2.2007 – 10 K 11/05.A – inzwischen auch im Herkunftsland erfolgen. Mit der Erkrankung im Zusammenhang steht die von der Klägerin zu 1) behauptete Selbstmordabsicht (Suizidalität), die auch im Rahmen des § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG keine andere Beurteilung rechtfertigt. Ebenso wenig lässt sich aus dem Verweis auf den zeitlichen Abstand zwischen Tatbegehung (2002) und Bestrafung des Klägers zu 2) ein „besonderer“ Härtefall herleiten. Diese Thematik wird gerade auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten durch die Bestimmungen in §§ 46 Abs. 1, 51 Abs. 1 BZRG über die zeitliche Verwertbarkeit der Einträge im Register abgedeckt. Ansprüche auf vorzeitige Tilgung sind – wie bereits ausgeführt – gegenüber der zuständigen Bundesbehörde geltend zu machen.

Bei den minderjährigen Kindern entspricht die Zurechnung der Straffälligkeit eines Elternteils nach § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Grundsatz, dass diese Kinder – wie hier der Kläger zu 3) – das aufenthaltsrechtliche Schicksal der Eltern teilen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der insoweit eine selbständige Beurteilung rechtfertigenden Sondervorschrift nach § 104b AufenthG liegen im Falle des Klägers zu 3) nicht vor. Das gilt bereits für die dort genannte Altersgrenze. Außerdem sind die Kläger zu 1) und 2) erklärtermaßen nicht zu einer „Ausreise“ bereit.

B.

Die in dem nach Erhebung der Klage ergangenen Ablehnungsbescheid vom 31.1.2008 unter Ziffern 4. bis 6. enthaltenen Maßnahmen der Ausreiseaufforderung unter Hinweis auf die Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG), der Abschiebungsandrohung für den Fall der Nichtbefolgung (§ 59 Abs. 1 AufenthG) wie auch der Hinweis auf die sich insoweit aus dem Gesetz ergebende Kostentragungspflicht (§ 66 Abs. 1 AufenthG) sind rechtlich nicht zu beanstanden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen mit Blick auf die höchstrichterlich bisher nicht entschiedene, in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zurechnungsregel des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Ungeachtet der sich aus dem Inhalt der Vorschrift, vor allem der Stichtagsregelung, ergebenden zeitlichen Vorgaben für die Behandlung und Klärung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Altfälle (vgl. dazu Funke-Kaiser in GK AuslR, § 104a AufenthG, Rn 3, wonach die gesetzliche Altfallregelung – wie die bisherigen Bleiberechtserlasse der Länder – eine zeitlich durch den Stichtag 1.7.2007 begrenzte Maßnahme des Gesetzgebers darstellt, die nicht für die Zukunft immer wieder neu entstehende Altfälle erfassen will) enthält die Bestimmung keine zeitliche Beschränkung hinsichtlich des gesetzlichen Anwendungsbefehls, so dass insofern nicht von „auslaufendem“ Recht ausgegangen werden kann.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 15.000,- EUR festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG, ebenso bereits die vorläufige Festsetzung im Beschluss vom 16.4.2009 – 2 A 329/09 –).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Einem geduldeten Ausländer soll abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und er

1.
über ausreichenden Wohnraum verfügt,
2.
über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt,
3.
bei Kindern im schulpflichtigen Alter den tatsächlichen Schulbesuch nachweist,
4.
die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat,
5.
keine Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen hat und diese auch nicht unterstützt und
6.
nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben.
Wenn der Ausländer seinen Lebensunterhalt eigenständig durch Erwerbstätigkeit sichert, wird die Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 erteilt. Im Übrigen wird sie nach Satz 1 erteilt; sie gilt als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5; die §§ 9 und 26 Abs. 4 finden keine Anwendung. Von der Voraussetzung des Satzes 1 Nr. 2 kann bis zum 1. Juli 2008 abgesehen werden. Von der Voraussetzung des Satzes 1 Nr. 2 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen nicht erfüllen kann.

(2) Dem geduldeten volljährigen ledigen Kind eines geduldeten Ausländers, der sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat, kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 erteilt werden, wenn es bei der Einreise minderjährig war und gewährleistet erscheint, dass es sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. Das Gleiche gilt für einen Ausländer, der sich als unbegleiteter Minderjähriger seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und bei dem gewährleistet erscheint, dass er sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann.

(3) Hat ein in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 begangen, führt dies zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift für andere Familienmitglieder. Satz 1 gilt nicht für den Ehegatten eines Ausländers, der Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 begangen hat, wenn der Ehegatte die Voraussetzungen des Absatzes 1 im Übrigen erfüllt und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, ihm den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Sofern im Ausnahmefall Kinder von ihren Eltern getrennt werden, muss ihre Betreuung in Deutschland sichergestellt sein.

(4) Die Aufenthaltserlaubnis kann unter der Bedingung erteilt werden, dass der Ausländer an einem Integrationsgespräch teilnimmt oder eine Integrationsvereinbarung abgeschlossen wird.

(5) Die Aufenthaltserlaubnis wird mit einer Gültigkeit bis zum 31. Dezember 2009 erteilt. Sie soll um weitere zwei Jahre als Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 verlängert werden, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers bis zum 31. Dezember 2009 überwiegend eigenständig durch Erwerbstätigkeit gesichert war oder wenn der Ausländer mindestens seit dem 1. April 2009 seinen Lebensunterhalt nicht nur vorübergehend eigenständig sichert. Für die Zukunft müssen in beiden Fällen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Lebensunterhalt überwiegend gesichert sein wird. Im Fall des Absatzes 1 Satz 4 wird die Aufenthaltserlaubnis zunächst mit einer Gültigkeit bis zum 1. Juli 2008 erteilt und nur verlängert, wenn der Ausländer spätestens bis dahin nachweist, dass er die Voraussetzung des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 2 erfüllt. § 81 Abs. 4 findet keine Anwendung.

(6) Bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis kann zur Vermeidung von Härtefällen von Absatz 5 abgewichen werden. Dies gilt bei

1.
Auszubildenden in anerkannten Lehrberufen oder in staatlich geförderten Berufsvorbereitungsmaßnahmen,
2.
Familien mit Kindern, die nur vorübergehend auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind,
3.
Alleinerziehenden mit Kindern, die vorübergehend auf Sozialleistungen angewiesen sind, und denen eine Arbeitsaufnahme nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht zumutbar ist,
4.
erwerbsunfähigen Personen, deren Lebensunterhalt einschließlich einer erforderlichen Betreuung und Pflege in sonstiger Weise ohne Leistungen der öffentlichen Hand dauerhaft gesichert ist, es sei denn, die Leistungen beruhen auf Beitragszahlungen,
5.
Personen, die am 31. Dezember 2009 das 65. Lebensjahr vollendet haben, wenn sie in ihrem Herkunftsland keine Familie, dafür aber im Bundesgebiet Angehörige (Kinder oder Enkel) mit dauerhaftem Aufenthalt bzw. deutscher Staatsangehörigkeit haben und soweit sichergestellt ist, dass für diesen Personenkreis keine Sozialleistungen in Anspruch genommen werden.

(7) Die Länder dürfen anordnen, dass aus Gründen der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis nach den Absätzen 1 und 2 Staatsangehörigen bestimmter Staaten zu versagen ist. Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn

1.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
2.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. August 2004 -11 K 2450/03 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 wird insgesamt aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein im Jahr 1950 geborener indischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Rücknahme seiner Aufenthaltsberechtigung und seine Ausweisung. Er reiste im Jahr 1979 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er erfolglos einen Asylantrag stellte. Dabei gab er an, verheiratet zu sein und einen Sohn zu haben. Am ...1985 heiratete er eine im Jahr 1939 geborene deutsche Staatsangehörige und erhielt am 28.2.1985 eine Aufenthaltserlaubnis sowie am 19.3.1991 eine Aufenthaltsberechtigung. Im Zusammenhang mit der Eheschließung legte er mehrere Schriftstücke vor, wonach seine indische Ehefrau im Jahr 1984 verstorben sei. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau wurde im Jahr 1998 geschieden. Am 14.6.2000 beantragte eine Inderin namens „K. K.“ in New Delhi die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um als Ehefrau des Klägers mit diesem in Deutschland zusammenzuleben. Als Geburtsdatum gab sie den ...1966 an, als Heiratsdatum den ...1999. Mit Schreiben vom 30.10.2000 teilte die deutsche Botschaft New Delhi der Beklagten mit, dass diese Ehe schon seit über 18 Jahren bestehe und drei Kinder daraus hervorgegangen seien. Mit Schriftsatz seines damaligen Rechtsanwalts vom 5.3.2002 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten u. a., da ein von ihm eingeleitetes Verfahren auf Familiennachzug nicht vorangekommen sei, habe er auf Anraten Dritter und maßgebliches Betreiben seiner damaligen Arbeitgeberin diese geheiratet und der Wahrheit zuwider angegeben, seine 1978 geheiratete (indische) Frau sei verstorben. Mit dieser Heirat habe verhindert werden sollen, dass er ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verliere. Vor der Heirat habe er beim Standesamt Stuttgart-Bernhausen eine Bescheinigung über den Tod seiner (indischen) Ehefrau vorlegen müssen, die auch über die Deutsche Botschaft New Delhi auf Betreiben seiner fragwürdigen Berater beschafft und beim Standesamt vorgelegt worden sei.
Mit Verfügung vom 9.7.2002 nahm die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers zurück (Nr.1) und wies ihn unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 2 und 3). Gleichzeitig drohte sie ihm die Abschiebung nach Indien an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Rechtsgrundlage der Rücknahme sei § 48 LVwVfG. Hätte der Kläger nicht beim Standesamt bewusst falsche Unterlagen bei der Bestellung des Aufgebots für die Eheschließung vorgelegt, hätte er auch nicht bigamistisch heiraten können. Ihm wäre aufgrund der Eheschließung keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Die Aufenthaltsberechtigung sei nur erteilt worden, weil die Behörde davon ausgegangen sei, dass er rechtmäßig verheiratet und aufgrund der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau der Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt sei. Die erteilte Aufenthaltsberechtigung sei daher nach § 48 LVwVfG zurückzunehmen. Nach § 45 Abs. 1 AuslG könne ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige. Es sei das schutzwürdige Interesse des Klägers an einem zukünftigen Aufenthalt im Bundesgebiet gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwägen und auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zu prüfen. Danach sei die Ausweisung gerechtfertigt.
Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart über den Widerspruch des Klägers nicht entschieden hatte, erhob er am 16.6.2003 Klage.
Mit ohne mündliche Verhandlung ergangenem Urteil vom 31.8.2004 hat das Verwaltungsgericht die Ausweisung in der Verfügung vom 9.7.2002 (Nr. 2 und 3) aufgehoben und die Klage im übrigen (Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung und Abschiebungsandrohung) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Rücknahmeverfügung sei rechtmäßig. Die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sei rechtswidrig gewesen, weil ein Ausweisungsgrund vorgelegen habe, der durch Erteilung der vorausgegangenen Aufenthaltserlaubnis nicht verbraucht gewesen sei. Der Kläger habe - ungeachtet einer Strafbarkeit wegen der umstrittenen Doppelehe - eine Urkundenfälschung begangen, nämlich beim Standesamt zum Zweck der Eheschließung mit unstreitig falschen Belegen über den Tod seiner Ehefrau eine unechte oder verfälschte Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Damit habe er auch unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen. Diese Taten dürften zwar schon bei Erteilung der Aufenthaltsberechtigung verjährt gewesen sein, seien jedoch auch nach sieben Jahren als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i. S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei eingehalten, denn die Ausländerbehörde habe frühestens mit dem Bericht der deutschen Botschaft vom 12.7.2001, möglicherweise erst nach Anhörung des Klägers hinreichende Kenntnis von die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlangt. Die Rücknahme selbst lasse zwar keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar Zweifel an einer Ermessensentscheidung überhaupt aufkommen. Zu berücksichtigen sei aber, dass der Bescheid zuvor die Ermessensvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG wiedergebe, einen Fall des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 annehme und ausführe, dass ohne die Täuschung des Standesamtes und der Ausländerbehörde keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden wäre. Damit sei die Beklagte von einer Ermessensermächtigung und möglicherweise von einem Fall ausgegangen, in dem es keiner weiteren Ermessenserwägungen bedürfe. Dies sei bei einer Ermessensreduzierung und nach den Grundsätzen über das gelenkte bzw. intendierte Ermessen nicht zu beanstanden und werde etwa für die Fälle des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG angenommen, liege somit auch für den Fall des § 48 Abs. 4 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG nahe. Ob ein solcher Fall vorliege, könne aber auch in diesem Zusammenhang dahinstehen, denn die Beklagte habe bei der anschließend begründeten Ausweisung Ermessenserwägungen dargelegt, die für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien. Bei entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 2 AuslG habe allerdings die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben, und die Zeit davor sei nur von Bedeutung, soweit über die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung hinaus Konsequenzen für den weiteren Aufenthalt gezogen würden - hier mit der Ausweisung selbst. Im übrigen habe die Beklagte zutreffend und unwidersprochen angeführt, dass außer der Erwerbstätigkeit seit 1979 keine besonderen Bindungen des Klägers in Deutschland vorgetragen oder ersichtlich seien, die Familie vielmehr im Heimatland lebe, und eine etwaige Abschiebung nicht unmöglich sei. Bezüglich der Ausweisung sei die Klage jedoch begründet. Die Beklagte habe nicht erkennbar gewürdigt, dass der Kläger seit 28.2.1984 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt habe, was in eine Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise und Fernhaltung des Klägers einerseits und dessen privater Belange andererseits mit dem gebührenden Gewicht hätte einbezogen werden müssen.
Gegen das am 8.9.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.9.2004 die Zulassung der Berufung beantragt, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Mit Beschluss vom 22.11. 2005 hat der Senat die Berufung zugelassen.
Mit am 7.12.2005 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Berufung begründet. Zur Begründung führt er aus: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er - abgesehen von der umstrittenen Frage einer Doppelehe (§ 172 StGB) - eine Urkundenfälschung begangen (§ 267 Abs. 1 StGB) und unrichtige oder unvollständige Angaben benutzt habe, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen, was als nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften i.S. des § 46 Nr. 2 AuslG zu werten sei. Eine Urkundenfälschung habe hier nicht vorgelegen. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG fehle es jedenfalls an der Kausalität zwischen der falschen Behauptung einerseits und einem ausländerrechtlich unrichtigen Ergebnis andererseits. Denn die von ihm in Indien geschlossene Ehe sei wegen des Alters seiner Ehefrau unwirksam gewesen, weshalb es an einer nach deutschem Recht anerkennungsfähigen Ehe gefehlt habe. Die Beklagte habe bei der Rücknahme auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG nicht eingehalten. Zudem fehle es insoweit an der Ermessensausübung. Im angegriffenen Bescheid werde ausgeführt, dass die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung „zurückzunehmen ist“. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könnten die Erwägungen, welche die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung bei der Ausweisung angestellt habe, nicht auf die Rücknahmeentscheidung übertragen werden. Dies gelte umso mehr, als die Ermessenserwägungen auch die Ausweisung nicht getragen hätten. Bei der Ermessensausübung müsse auch berücksichtigt werden, dass er seit dem 8.4.1979 in der Bundesrepublik Deutschland lebe und dass es daher äußerst fragwürdig sei, ob er sich in Indien noch einmal einleben könne. Er habe auch über fast den gesamten Zeitraum seines Aufenthalts in der Bundesrepublik in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden. Mit seiner Arbeit habe er nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch seine Familienangehörigen in Indien unterstützt und damit zu deren Überleben beigetragen. Eine Rückkehr würde für ihn und seine Familie auch einen Absturz ins wirtschaftliche und soziale „Nichts“ bedeuten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.8.2004 - 11 K 2450/03 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 9.7.2002 insgesamt aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Berufung zurückzuweisen.
11 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
12 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart verwiesen. Sie waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

 
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Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Gründe

 
13 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, weil hierauf in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (§ 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO). Zwar hat der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen förmlichen Berufungsantrag gestellt. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil sich das Ziel der Berufung - die vollständige Aufhebung der angefochtenen Verfügung - unmissverständlich aus der Berufungsbegründung entnehmen lässt. Daher wäre es hier eine bloße „Förmelei“, noch einen ausdrücklichen Antrag zu fordern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2005 - 2 S 1884/03 -, juris, m.w.N.).
15 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die angefochtene Verfügung der Beklagten vom 9.7.2002 nicht nur hinsichtlich der Ausweisung, sondern in vollem Umfang aufheben müssen. Denn sie ist auch rechtswidrig und verletzt den Kläger auch insoweit in seinen Rechten, als mit ihr seine Aufenthaltsberechtigung zurückgenommen worden und ihm die Abschiebung angedroht worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29.3.1996 - 1 C 28/94 -, InfAuslR 1997, 24; Urteil vom 26.2.2002 - 1 C 21/00 -, InfAuslR 2002, 338; Urteil vom 28.5.1991 - 1 C 20/89 -, NVwZ 1992, 177) bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen in erster Linie nach dem materiellen Recht und, wenn diesem keine Anhaltspunkte für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu entnehmen sind, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung. Soweit - wie im vorliegenden Fall - ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist, ist maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.1997 - 17 A 5677/95 - juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996 - Bs VI 104/96 -, DÖV 1997, 386). Dies ergibt sich daraus, dass es bei der Beurteilung eines belastenden Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten (tatsächlich ergangenen) Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ankommt (BVerwG, Beschluss vom 31.7.1985, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 73; Beschluss vom 11.3.1988, NVwZ 1990, 654; Urteil vom 17.12.1976, BVerwGE 359, 361; OVG Hamburg, Beschluss vom 6.12.1996, a.a.O.) und dass das Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) mit der Erhebung einer sog. Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nicht beendet ist, weil die nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO ohne Durchführung des Vorverfahrens erhobene Klage zwar bereits zulässig ist, aber die Fortführung des Vorverfahrens nicht etwa ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 1.7.1986, Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 10). Ob das Vorverfahren ausnahmsweise schon dann wegen Zweckerreichung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994, Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3 f.) - als abgeschlossen zu betrachten ist, wenn sich die betreffende Beklagte durch die Behörde, die sachlich für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig wäre, auf die Klage einlässt und zugleich zu erkennen gibt, dass sie keinen Widerspruchsbescheid mehr erlassen wird, kann hier dahingestellt bleiben, weil die Beklagte nicht Widerspruchsbehörde ist. Zudem hat das Regierungspräsidium Stuttgart den Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht ausdrücklich abgelehnt. Danach ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend, weshalb in ausländerrechtlicher Hinsicht die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung finden.
17 
Zutreffend - und von der Beklagten unwidersprochen - hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die vom Kläger ausdrücklich gegen „die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 09.07.2002 (Az.: 10319-snd-bes)“ erhobene Klage sich auch gegen die in Ziffer 1 der Verfügung enthaltene Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung richtet.
18 
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers ist § 48 Abs. 1 LVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 LVwVfG sind zwar gegeben (1); die Beklagte hat jedoch das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2).
19 
1. Das Verwaltungsgericht ist bei der Auslegung der von ihm zu überprüfenden Verfügung zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Aufenthaltsberechtigung des Klägers (nur) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat. Zwar gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, AuAS 2005, 218) nur geringe Anforderungen, um einen Willen der Behörde zur Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung (auch) für die Vergangenheit zu bejahen. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich aber weder der Verfügung noch dem weiteren Vorbringen der Beklagten - die die Auffassung des Verwaltungsgerichts im übrigen nicht in Zweifel gezogen hat - hinreichend deutlich entnehmen, dass die Rücknahme hier mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen sollte. Insbesondere enthält der Wortlaut der Verfügung keinen hierfür sprechenden Anhaltspunkt. Der Annahme einer Rücknahme mit Wirkung (nur) für die Zukunft lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als wenig sinnvoll erscheint, weil danach die Aufenthaltsgenehmigung mit der Ausweisung des Ausländers ohnehin erlischt. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall deutlich, in welchem das Verwaltungsgericht zwar die Ausweisung des Klägers aufgehoben, die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung aber als rechtmäßig bestätigt hat (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23.5.1995 - 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298, wonach die Ausweisung nicht stets ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um eine rechtswidrige Aufenthaltsgenehmigung zu beseitigen und wonach an deren Beseitigung ein öffentliches Interesse selbst dann bestehen kann, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der Ausländer Deutschland verlässt).
20 
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass es sich bei der dem Kläger am 19.3.1991 erteilten Aufenthaltsberechtigung um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt.
21 
Die nach den Angaben des Klägers bestehende eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis 1985 und später auch der hier streitigen Aufenthaltsberechtigung aus dem Jahr 1991 zugrunde lag (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 2 AuslG), stand nämlich nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, dessen Verwirklichung auch die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung im vorliegenden Fall dienen sollte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, entfaltet eine unzulässige Doppelehe - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit - nämlich zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.8.2005, - 13 S 951/04 -, juris, m.w.N.).
22 
Die Beklagte hat angenommen, dass der Kläger bei seiner Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 22.2.1985 bereits rechtswirksam mit einer indischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen ist und es sich bei der Eheschließung daher um eine unzulässige Doppelehe (vgl. § 172 StGB) gehandelt hat. Diese Auffassung erweist sich als zutreffend. Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die im Jahr 1979 in Indien erfolgte Eheschließung wegen des damaligen Alters der im Jahr 1966 geborenen Ehefrau unwirksam gewesen ist.
23 
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Nach Section 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Wenn zu diesen Riten und Zeremonien das „Saptapadi“ gehört, das heißt dass der Bräutigam und die Braut vor dem heiligen Feuer gemeinschaftlich sieben Schritte machen müssen, so ist nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Ehe vollzogen und bindend, wenn der siebente Schritt gemacht ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat es sich bei der im Jahr 1979 erfolgten Eheschließung um eine solche nach diesem Ritus gehandelt, bei der die genannten Anforderungen eingehalten worden sind. Dass es sich beim Kläger und seiner (damaligen) Braut um Sikhs handelt, steht dem nicht entgegen; für Sikhs gilt hinsichtlich der Eheschließung im hier interessierenden Punkt nämlich nichts Abweichendes (vgl. Sect. 2 Abs. 1 (b) Hindu-Ehegesetz)
24 
Entgegen der Auffassung des Klägers war diese Eheschließung nicht deshalb unwirksam, weil seine Ehefrau - nach seinen Angaben - zum damaligen Zeitpunkt erst 13 Jahre alt gewesen ist. Zwar bestimmt Sect. 5 (iii) des Hindu-Ehegesetzes als Voraussetzung der Eheschließung, dass zur Zeit der Eheschließung der Bräutigam das 21. und die Braut das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der Ehe, weil er in den Regelungen über die Ehenichtigkeit (Sect. 11 und 12) nicht genannt ist. Vielmehr bestimmt Sect. 13 Abs. 2 (iv) des Hindu-Ehegesetzes, dass eine Frau die Auflösung der Ehe durch ein Scheidungsurteil beantragen kann, wenn die Ehe (gleich ob sie vollzogen wurde oder nicht) vor Erreichung ihres 15. Lebensjahres geschlossen wurde und sie diese Ehe vor Erreichung ihres 18. Lebensjahres abgelehnt hat. Vorliegend spricht aber nichts dafür, dass die indische Ehefrau des Klägers die Ehe vor Erreichung des 18. Lebensjahres abgelehnt oder die Scheidung betrieben hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung hierzu angegeben, dass eine solche Ablehnung nicht erfolgt und ihm auch von einer Scheidungsabsicht nichts bekannt sei. Gegenteilige Anhaltspunkte sind auch sonst nicht erkennbar, zumal aus dieser Ehe drei Kinder hervorgegangen sind.
25 
Der Wirksamkeit der Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese im Jahr 1979 nicht registriert worden ist. Zwar sieht Sect. 8 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahr 1999 getan hat. Nach Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber in keiner Weise durch die Unterlassung einer solchen Eintragung berührt. Schließlich scheitert die Gültigkeit der im Jahr 1979 geschlossenen Ehe des Klägers auch nicht daran, dass sie gegen das Gesetz zur Verhinderung der Kinderehen Nr. 19/1929 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, a.a.O.) verstoßen haben dürfte. Denn dieser Verstoß ist zwar unter Strafe gestellt, berührt jedoch nicht die Gültigkeit einer gleichwohl geschlossenen Ehe (vgl. hierzu Bergmann/Ferid/ Henrich, a.a.O., S. 23). Im Ergebnis ist die Beklagte danach zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen bereits rechtswirksam verheiratet gewesen ist.
26 
Darüber hinaus erweist sich die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung aber auch deshalb als rechtswidrig, weil bei ihrer Erteilung ein Ausweisungsgrund vorlag (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG). Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit der Vorlage der Schriftstücke zum angeblichen Tod seiner indischen Ehefrau eine Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) begangen hat. Denn zum einen hat er jedenfalls gegen § 172 StGB (Doppelehe) verstoßen. Zum anderen lag ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, weil er durch Vorlage der inhaltlich unzutreffenden „Sterbeurkunde“ seiner (indischen) Ehefrau beim Standesamt unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte, um die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen und für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
27 
Diese Vorgehensweise war auch ursächlich für die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung. Denn ohne das vorgetäuschte Versterben seiner indischen Ehefrau wäre eine Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt, nachdem der Kläger im Asylverfahren angegeben hatte, verheiratet zu sein. Im übrigen setzte § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG die Kausalität zwischen der unrichtigen Angabe und der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung entgegen der Auffassung des Klägers aber auch nicht voraus. Vielmehr stellte diese Vorschrift den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung bereits im Vorfeld unter Strafe und verlangte keine Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt daher insoweit nicht darauf an, ob dem Kläger bereits aus anderen Gründen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen gewesen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.1.1998 - 3 Ss 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 73; BayObLG, Beschluss vom 15.9.2003 - 4St RR 112/03, 4St RR 112/2003 -, juris; VG Berlin, Urteil vom 29.1.2004 -11 A 905.03 -, InfAuslR 2004, 204; OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2005 - 3 N 85.04 -, juris).
28 
Bei den Verstößen des Klägers gegen § 172 StGB und § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG handelte es sich auch um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb diese einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) darstellten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22.1.2002 - 1 C 6/01 -, BVerwGE 115, 352). Ein Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63; Urteil vom 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193). Eine - wie hier -vorsätzlich begangene Straftat ist aber grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 17. 6.1998 -1 C 27/96 -, BVerwGE 107, 58 m.w.N.).
29 
Ob dem Kläger eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grund seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen auch deshalb nicht zustand, weil es sich bei dieser möglicherweise um eine sog. Scheinehe gehandelt hat, kann angesichts der bereits aus anderen Gründen nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung offen bleiben.
30 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG für die Rücknahme eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.1.2001 - 8 C 8/00 -, BVerwGE 112, 360 m.w.N.; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.2.2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. , Rnr. 138 zu § 48 m.w.N.) beginnt diese nämlich erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass hiervon erst mit Eingang des Berichts der deutschen Botschaft vom 12.7.2001 und (möglicherweise) der anschließenden Anhörung des Klägers ausgegangen werden konnte, weil zuvor noch Klärungsbedarf bestanden hat. Danach ist die Jahresfrist hier aber eingehalten worden.
31 
2. Die von der Beklagten verfügte Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Kläger erweist sich aber deshalb als rechtswidrig, weil sie das ihr durch § 48 Abs. 1 LVwVfG („kann“) eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.
32 
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, lässt die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ermessenserwägungen erkennen und sogar durchgreifende Zweifel daran aufkommen, dass eine Ermessensentscheidung überhaupt getroffen worden ist, wenn es dort heißt: „Die Ihnen erteilte Aufenthaltsberechtigung ist von daher nach § 48 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes zurückzunehmen.“ Zudem finden sich im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung keine Ausführungen, die sich als Ermessensausübung verstehen lassen. Die Verfügung enthält auch keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die bei der Entscheidung über die Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen. Das Verwaltungsgericht hat allerdings angenommen, dass die von der Beklagten bei der Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch für die weniger einschneidende Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung tragfähig seien, also auf diese übertragen werden könnten. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
33 
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.5.1995 (- 1 C 3/94 -, BVerwGE 98, 298) herangezogen. Dort hatte die Behörde eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich beschränkt, obwohl die Voraussetzungen für Ihre Erteilung von vornherein nicht gegeben waren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Fall angenommen, die angefochtene Verfügung finde in § 48 LVwVfG eine Rechtsgrundlage, ohne dass es einer richterlichen Umdeutung der Verfügung bedürfe. Hinsichtlich der Ermessensausübung hat es weiter ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde, die nach den nicht zu beanstandenden Darlegungen des Berufungsgerichts ihr Ermessen im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG ordnungsgemäß ausgeübt und dabei die Belange des Klägers gewürdigt und mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen angemessen abgewogen hätten, bei der Anwendung des § 48 LVwVfG zusätzliche Gesichtspunkte in den Blick hätten nehmen müssen (vgl. BVerwG, a.a.O.).
34 
Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier geht es nicht darum, eine für die beabsichtigte Maßnahme herangezogene, nicht einschlägige Rechtsgrundlage auszuwechseln und die von der Behörde angestellten Ermessenserwägungen auch für diese gelten zu lassen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die von der Behörde für eine eigenständige, in Voraussetzungen und Wirkungen anders gelagerte Maßnahme, nämlich die Ausweisung, angestellten Ermessenserwägungen könnten auch auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung übertragen werden. Abgesehen davon, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten einschließlich der in dieser enthaltenen Ermessenserwägungen inzwischen rechtskräftig aufgehoben und damit rechtlich nicht mehr existent ist, ist dies jedoch schon deshalb problematisch, weil beide Maßnahmen eine unterschiedliche Zielrichtung verfolgen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Da sich der angefochtenen Verfügung - wie ausgeführt - keinerlei Hinweis darauf entnehmen lässt, dass nach dem Willen der Beklagten die von ihr zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auch uneingeschränkt für die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung gelten sollen, führt die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise zudem dazu, dass der Beklagten vom Gericht Ermessenserwägungen „untergeschoben“ werden, was jedoch über den von § 114 VwGO vorgegebenen Prüfungsumfang hinausgeht.
35 
Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht die Ausweisung des Klägers wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben hat. Zwar beruhte dies darauf, dass die Beklagte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar gewürdigt hat, dass der Kläger seit 28.2.1985 bis zum Zeitpunkt der Ausweisung über gültig gebliebene Aufenthaltsgenehmigungen verfügt hat. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers davon ausgegangen, dass in diesem Zusammenhang gerade die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet für die Zeit der rechtswidrig erteilten und deshalb zurückzunehmenden Aufenthaltsberechtigung denknotwendig außer Betracht zu bleiben habe, weshalb die Ermessenserwägungen der Beklagten hierfür ausreichend seien. Auch vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht zulässig, die (aufgehobenen) Ermessenserwägungen für den Bereich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung weiter fortgelten zu lassen. Es lässt sich schon nicht ausschließen, dass die Beklagte die zu berücksichtigenden Belange anders als bei der Entscheidung über die Ausweisung gewichtet oder weitere Belange in ihre Erwägungen eingestellt hätte, wenn sie bei der Entscheidung über die Rücknahme das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Zudem erscheint es als denkbar, dass die Ausweisung von vornherein unterblieben wäre, wenn die Beklagte alle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigenden Umstände - also auch den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers - in ihre Ermessenserwägungen eingestellt hätte. Möglicherweise hätte sich dies aber auch auf die Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung ausgewirkt. Angesichts dessen scheidet eine Übertragung der zur Ausweisung angestellten Ermessenserwägungen auf die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung im Ergebnis hier aus.
36 
Auch die vom Verwaltungsgericht erwogene Anwendung der Grundsätze über das sog. gelenkte bzw. intendierte Ermessen kommt hier nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmen sich die Anforderungen an den Inhalt und den Umfang der Begründung eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. u.a. Urteil vom 15.6.1971 - BVerwG II C 17.70 - BVerwGE 38, 191; Urteil vom 5.7.1985 - BVerwG 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1). Dabei kann vor allem eine Rolle spielen, ob es sich um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung bereits vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen), bei der also ein bestimmtes Ergebnis dem Gesetz näher steht, sozusagen im Grundsatz gewollt ist und davon nur ausnahmsweise abgesehen werden darf. Bei einer solchen Konstellation gilt nämlich, dass es für die eine Ausnahme ablehnende Ermessensentscheidung keiner Abwägung des „Für und Wider" bedarf; damit entfällt zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - BVerwG 4 B 67.80 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 S. 126). Eine Begründung der Ermessenserwägungen der Behörde ist somit entbehrlich, wenn eine Ermessen einräumende Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht und besondere Gründe vorliegen müssen, um ausnahmsweise eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.6.1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55; Urteil vom 23.5.1996 - 3 C 13/94 -, Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1; Urteil vom 25.9.1992 - BVerwG 8 C 68 u. 70.90 -, BVerwGE 91, 82; Urteil vom 5.7.1985, a.a.O.). Dies nimmt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 23.5.1996, a.a.O.) im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten etwa im Fall des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG an, der für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt.
37 
Eine Regelung, welche für den hier gegebenen Fall der Rücknahme auf ein sog. intendiertes Ermessen hinweist, ist nicht vorhanden. § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG ist im Fall des Klägers nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Aufenthaltsberechtigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., Rnr. 74 ff. zu § 48). Zwar erklärt § 48 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG für die - wie hier - nicht unter Absatz 2 fallenden Verwaltungsakte Absatz 2 Satz 3 für anwendbar, nicht jedoch Satz 4. Zudem regelt § 48 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG (nur) den Anspruch des Betroffenen auf Ausgleich des durch die Rücknahme entstehenden Vermögensnachteils, wenn sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts schutzwürdig ist. Der in Satz 2 enthaltene Verweis auf § 48 Absatz 2 Satz 3 LVwVfG bezieht sich daher allein hierauf. Ein intendiertes Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung des Klägers lässt sich hieraus nicht entnehmen. Dies folgt auch daraus, dass in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zumeist staatliche Leistungen an den Betroffenen ergangen sind, weshalb es im Regelfall nahe liegt, diesen Leistungen durch die rückwirkende Rücknahme des zu Grunde liegenden Verwaltungsaktes die Grundlage zu entziehen, um eine Rückforderung zu ermöglichen. Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr bedarf es bei der Rücknahme einer Aufenthaltsgenehmigung regelmäßig einer umfassenden Abwägung aller für und gegen diese sprechenden Umstände, ohne dass ein Ergebnis für den Regelfall vorgezeichnet ist.
38 
Eine sonstige Regelung, aus der sich für den zu entscheidenden Fall ein sog. intendiertes Ermessen ergibt, ist gleichfalls nicht erkennbar. Damit erweist sich die Rücknahme der Aufenthaltsberechtigung wegen fehlender Ermessensausübung durch die Beklagte als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid auch insoweit aufzuheben ist.
39 
Danach kann auch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben (vgl. § 58 Abs. 1, § 50 Abs. 1 AufenthG).
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da § 161 Abs. 3 VwGO nicht zu einer anderen Kostenverteilung führen würde, kann offen bleiben, ob diese Vorschrift hier anwendbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.7.1991 - 3 C 56/90 -, DÖV 1991, 1025; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rnr. 35 zu § 161 m.w.N.).
41 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Sonstige Literatur

 
42 
Rechtsmittelbelehrung
43 
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
44 
Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, 68165 Mannheim oder Postfach 10 32 64, 68032 Mannheim, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen.
45 
Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
46 
In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
47 
Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
48 
Beschluss vom 11.1.2006
49 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 72 Nr.1 GKG i. d. F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718).
50 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 – wird der Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 30.7.1977 in Algerien geborene Kläger begehrt die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Rechtsvorgängers des Beklagten.

Der Kläger reiste 23.1.1985 mit seiner Mutter zu seinem aufenthaltsberechtigten Vater in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Auf seinen Antrag vom 2.8.1993 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Durch Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 22.2.1996 - 24-9/96 / 21 Js 453/95 - wurde er des Diebstahls in drei Fällen, darüber hinaus eines tatmehrheitlich begangenen besonders schweren Falles des Diebstahles für schuldig befunden, von Strafe wurde jedoch abgesehen und ihm wurde aufgegeben, 40 unentgeltliche Arbeitsstunden zu leisten und eine Geldbuße in Höhe von 400,-- DM zu zahlen.

Ferner wurde er durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Daraufhin wies ihn die damals zuständige Ausländerbehörde mit Bescheid vom 5.10.2005 nach vorheriger Anhörung gemäß §§ 53 Nr. 2, 56 I 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG aus, wies auf das Erlöschen der ihm erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes und die damit gegebene Ausreisepflicht hin und drohte ihm die Abschiebung nach Algerien beziehungsweise in einen anderen Staat an, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe. Die Behörde führte hierzu im Wesentlichen aus, von der Setzung einer Ausreisefrist sei mit Blick auf die Inhaftierung des Klägers Abstand genommen worden. Aus der Urteilsbegründung gehe eine langjährige „Drogenkarriere“ hervor, wobei der Kläger nicht nur über einen recht langen Zeitraum hinweg selbst Betäubungsmittel konsumiert, sondern etwa ab Anfang 2004 auch mit Betäubungsmitteln gehandelt habe. Ausdrücklich gewürdigt habe das Strafgericht bei der Strafbemessung zu seinen Gunsten die von ihm geleistete Aufklärungshilfe im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen sowie sein vollumfängliches Geständnis. Durch seine Hinweise hätten weitere Taten aufgeklärt und so Teile der gehandelten Betäubungsmittel noch sichergestellt werden können. Auch seine Einsicht in das Unrechte seines Tuns sei positiv gewürdigt worden. Strafverschärfend sei allerdings gewesen, dass ein Handel in solch großen Mengen erfolgt sei. Insgesamt sei jedoch eine sehr empfindliche Freiheitsstrafe gegen den als Ersttäter eingestuften Kläger verhängt worden. Die Gelegenheit, im Rahmen der Anhörung positive Aspekte in das Verfahren einzubringen, habe er nicht genutzt. Daher müsse es bei seiner Einschätzung verbleiben, dass keine die Regelausweisungsentscheidung überwindenden Ausnahmegründe bei dem Kläger vorlägen und der Ausländerbehörde daher bei der zu treffenden Entscheidung kein Ermessen zustehe. Unabhängig davon sei sie jedoch gehalten, die Vorgaben des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK zu beachten. So bestehe ein Abschiebungshindernis, wenn dem Betroffenen nicht zuzumuten sei, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen. Familiäre Beziehungen seien im Falle des Klägers jedoch nicht zu erkennen, zumindest nicht in einem schutzwürdigen Umfang. Trotz der Einreise des Klägers im frühen Lebensalter und der sich anschließenden rechtmäßigen Aufenthaltsdauer verbunden mit dem Aufwachsen in Deutschland sei seine Entscheidung mit Blick auf die Schwere der vom Kläger begangenen und entsprechend abgeurteilten Straftaten, die bei Drogendelikten enorm hohe Rückfallwahrscheinlichkeit und die Versuchung zu erneutem Tätigwerden im Betäubungsmittelhandel in der Erwartung ungewöhnlich hoher Gewinne verhältnismäßig.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 19.10.2005 Widerspruch ein.

Unter dem 20.10.2005 teilte die Staatsanwaltschaft B-Stadt mit, dass ein Absehen von der Vollstreckung gemäß § 456 a StPO ab 1.12.2005 möglich sei und die Staatsanwaltschaft sich ab diesem Zeitpunkt mit der Abschiebung des Klägers einverstanden erkläre.

Am 17.1.2006 wurde der Kläger, der sich ab 4.10.2004 zunächst in Untersuchungshaft und danach in Strafhaft befunden hatte, entlassen. Der unverbüßte Rest der Strafe wurde gemäß § 35 BtMG ausgesetzt. Am selben Tag wurde er in den Kliniken Daun zur Behandlung seiner Polytoxikomanie aufgenommen.

Der Widerspruch des Klägers gegen die Ausweisungsverfügung wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.2.2006, ihm zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten zugestellt am 17.3.2006, zurückgewiesen. In der Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass weder Ermessensfehler noch grobe Unverhältnismäßigkeit festzustellen seien. Es seien auch keine ausreichenden Gründe erkennbar, die ein Absehen von der Regelausweisung nahelegen könnten. Der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Stellungnahme des Therapeuten der Klinik könne nach wenigen Wochen Aufenthalt keine übergroße Bedeutung zukommen, da bei Betäubungsmitteldelikten im Zusammenhang mit Drogenabhängigkeit von einer hohen Wiederholungsgefahr ausgegangen werden müsse, die neben der Abschreckung für andere potentielle Täter eine Ausweisung rechtfertige.

Ab dem 17.7.2006 befand der Kläger sich im Adaptionshaus A-Stadt in einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Rehabilitationsmaßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber, Malermeister W., ab dem 31.7. 2006 ein Praktikum ab, an das sich ab dem 4.10.2006 ein Berufsausbildungsverhältnis im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer anschloss.

Unter dem 21.8.2006 ordnete die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung vom 5.10.2005 an.

Auf den Aussetzungsantrag des Klägers vom 23.8.2006 stellte letztlich das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes mit Beschluss vom 22.1.2007 - 2 W 39/06 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her beziehungsweise ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen die Abschiebungsandrohung an. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, zwar bestünden keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung, der der Kläger bei Erlass des Verwaltungsaktes im Oktober 2005 keine beachtlichen schutzwürdigen Belange entgegenzusetzen gehabt hätte. Eine entsprechende zeitnahe Sofortvollzugsanordnung der Abschiebung des Antragstellers aus der Strafhaft heraus hätte seinerzeit keinen ernsthaften rechtlichen Bedenken unterlegen. Stattdessen sei dem Kläger ab Januar 2006 in der bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten Anwendung des § 35 BtMG unter teilweiser Zurückstellung einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe eine Therapie zur Behandlung seiner Polytoxikomanie in dem „verhaltensmedizinischen Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen und Psychosomatik“ in Daun ermöglicht worden. Erst acht Monate später, als sich der Kläger bereits nach Abschluss seiner stationären Behandlung zur Vorbereitung einer sozialen und beruflichen Reintegration in das Adaptionshaus in A-Stadt begeben gehabt habe, sei die Sofortvollzugsanordnung erlassen worden. Die insoweit hinsichtlich der Eilbedürftigkeit der Aufenthaltsbeendigung bei Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit angestellten fiskalischen Erwägungen seien bei der mit Blick auf die Grundrechte des Betroffenen im konkreten Fall erforderlichen Feststellung eines überwiegenden öffentlichen Vollzugsinteresses für sich genommen nicht nachvollziehbar. Dem Antragsgegner hätte klar sein müssen, dass der Antragsteller sowohl in der Zeit der Inhaftierung als auch der bekannten therapeutischen Maßnahme in Daun beziehungsweise A-Stadt seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestritten habe. Da die Ausländerbehörde ohne ersichtlichen Grund lange zugewartet habe und dem Kläger auf der Grundlage des § 35 BtMG in dieser Zeit umfangreiche öffentlich finanzierte Maßnahmen zur Wiedereingliederung mit dem Ziel künftig straffreier Lebensführung gewährt worden seien, die er allem Anschein nach auch ernsthaft genutzt habe, überwiege sein Interesse, von einem plötzlichen Vollzug bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse zumindest dann, wenn die Beweggründe der Behörde für eine nachträgliche Sofortvollzugsanordnung im Grunde bereits von Anfang an und im Wesentlichen unverändert vorgelegen hätten, im Ergebnis also keine eine abweichende Sicht rechtfertigende Veränderungen eingetreten seien.

Am 21.3.2006 hat der Kläger Klage erhoben (6 K 30/06). Zur Begründung hat er ausgeführt, seit seinem 16. Lebensjahr sei er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung (jetzt: Niederlassungserlaubnis). Seine Eltern lebten im Bundesgebiet und sämtliche Geschwister seien im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Beklagte habe bei seiner auf spezialpräventive Gründe gestützten Ausweisung nicht geprüft, ob Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Klägers ernsthaft drohe und eine bedeutsame Gefahr auch in der Zukunft von ihm ausgehe. Zu berücksichtigen sei jedoch gewesen, dass der Kläger sich vollumfänglich in seiner Strafsache eingelassen habe und alle Anklagepunkte ausschließlich auf seinen eigenen Einlassungen beruhten. Zudem sei sein Bemühen zu würdigen, seine Suchterkrankung behandeln zu lassen. Auch die Stellungnahme des behandelnden Therapeuten des Klägers in der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen vom 14.2.2006 sei zu würdigen. Unter Berücksichtigung aller Umstände könne keinesfalls eine konkrete schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Zukunft angenommen werden. Rechtsfehlerhaft sei die Ausweisungsverfügung auch aufgrund der fehlenden Befristung. Sie sei zudem in hohem Maße unverhältnismäßig, da der Kläger die arabische Sprache weder lesen noch schreiben könne. Lediglich mit seinen Eltern spreche er arabisch. Auch beherrsche er nicht ansatzweise die französische Sprache.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 und den Widerspruchsbescheid des Stadtverbandsrechtsausschusses vom 22.2.2006 aufzuheben.

Der Beklagte hat im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die angefochtenen Verfügungen beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 10. 8.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Unter Bezugnahme auf die Entscheidungen der Kammer im Eilverfahren - 6 F 66/06 - und im Prozesskostenhilfeverfahren einschließlich der jeweils ergangenen Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts in den Verfahren 2 W 39/06 und 2 D 34/07 hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass vorliegend eine Befristung der Ausweisungsfolgen erforderlich gewesen sei. Es könne offen bleiben, ob der gemäß § 11 I AufenthG erforderliche Antrag des Klägers vorliegend gestellt worden sei. Jedenfalls fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass eine fehlende Befristung der Ausweisungsfolgen schon bei Erlass der Ausweisungsentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK habe darstellen können. Die Kammer habe sich bereits im Verfahren 6 F 66/06 ausführlich mit diesen Fragen unter Berücksichtigung der die persönliche Situation des Klägers prägenden Umständen auseinandergesetzt. Bei dieser Bewertung bleibe es letztlich auch unter Berücksichtigung der weiter vorgetragenen Umstände. Die weitere Entwicklung des Klägers könne vorliegend noch in die Entscheidung einfließen, da es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung und unterlassenen Befristung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 ERMK auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankomme. Die Bescheinigung über die erfolgreiche Weiterführung der Berufsausbildung und die weitere Unauffälligkeit des Klägers in strafrechtlicher Hinsicht könnten das Ergebnis der Abwägung, das entscheidend von der Schwere der ihm zur Last gelegten Straftaten und der mit ihnen bekanntermaßen einhergehenden Wiederholungsgefahr sowie der unveränderten familiären Situation des Klägers nicht zu seinen Gunsten beeinflussen. Dies gelte gerade für den Umstand, dass die familiären Bindungen des ledigen Klägers zu seinen in Deutschland lebenden Verwandten nicht über die üblichen zwischen Erwachsenen bestehenden Beziehungen hinausgingen, er einen Teil seiner Kindheit in seinem Heimatland verbracht und dort auch noch Verwandte, zumindest die Großmutter habe.

Auf den fristgerecht gestellten Zulassungsantrag wurde die Berufung mit Beschluss vom 1.12.2008 - 2 A 435/07 - zugelassen. Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht habe den Schutzbereich des Art. 8 EMRK verkannt. Die angefochtenen Bescheide seien unter Berücksichtigung des Schutzbereichs dieser Vorschrift rechtsfehlerhaft ergangen, da eine Unterschreitung des Ermessens offensichtlich sei. Der Beklagte habe nach seinen eigenen Ausführungen offensichtlich nicht erkannt, dass bei der Prüfung des Art. 8 EMRK zwischen der Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben und der Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben zu differenzieren sei. Nach der neueren Rechtsprechung des EGMR liege der Auslegung von Art. 8 EMRK eine konzeptionelle Trennung zugrunde. Sowohl der Beklagte als auch das Gericht hätten jedoch lediglich eine mögliche Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben geprüft. Eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit einer möglichen Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben durch die Ausweisung sei nicht erkennbar. Zu dem Privatleben gehöre die Gesamtheit der im Aufenthaltsort gewachsenen Bindungen, wobei das Alter im Zeitpunkt der Einreise, der Stand der Kenntnisse der Sprache des Aufenthaltsstaates, die berufliche Tätigkeit und der Stand der wirtschaftlichen Integration usw. zu berücksichtigen seien. Der Beklagte habe die lange Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet, der als Siebenjähriger eingereist und sich seit 23 Jahren hier aufhalte, ebenso wie die damit offensichtlich gegebene „vollständige Integration“ bei seiner „Ermessensausübung“ gänzlich unberücksichtigt gelassen. Mit der Tatsache, dass es sich bei dem Kläger um einen sogenannten „faktischen Inländer“ handele, dem bereits vor 14 Jahren eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden sei und der einen Einbürgerungsantrag gestellt habe, setze sich weder der Beklagte noch das Gericht auseinander. Der Beklagte gehe vielmehr rechtsfehlerhaft davon aus, dass der Umstand der Einreise als Minderjähriger und die damit verbundene Aufenthaltsdauer schon bei der Zurückstufung der Ist- zur Regelausweisung berücksichtigt worden sei und daher quasi für die Frage des Vorliegens eines atypischen Falls „als verbraucht“ anzusehen sei. Tatsächlich stelle § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG allein auf den Besitz einer Niederlassungserlaubnis und einen mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet ab, nicht hingegen auf das Einreisealter. Indem das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide als ermessensfehlerfrei erachte, weiche es von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab, da im Fall einer ordnungsgemäßen Ermessensabwägung unter Einbeziehung des Rechts des Klägers auf Achtung seines Privatlebens der Beklagte vermutlich eine andere Entscheidung getroffen hätte, nicht zuletzt im Hinblick auf das eingegangene Ausbildungsverhältnis. Auch hinsichtlich der vom Beklagten behaupteten Wiederholungsgefahr sei eine sogenannte „Ermessensunterschreitung“ offensichtlich. Eine individuelle Prüfung der Wiederholungsgefahr sei rechtsfehlerhaft unterlassen worden. Die pauschale Bezugnahme auf die Verurteilung wegen Verstoßes gegen das BtMG sei unzulässig. Die Ausweisungsverfügung sei auch unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK. Die Schwierigkeit einer „Reintegration“ beziehungsweise „Neuintegration“ des Klägers in Algerien sei bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht beziehungsweise nicht in ausreichendem Maße geprüft worden. Während der Beklagte im Ausgangsbescheid lediglich davon ausgegangen sei, dass der Kläger seine Muttersprache zumindest in Grundzügen noch beherrsche, habe sich weder die Widerspruchsbehörde noch das Verwaltungsgericht mit seinem Vortrag, dass er lediglich einen arabischen Dialekt mit seinen Eltern spreche, diese Sprache weder lesen noch schreiben könne und auch die französische Sprache nicht beherrsche, auseinandergesetzt. Die Frage einer Neuintegration nach Einreise in das Bundesgebiet als Siebenjähriger und nach nahezu dreiundzwanzigjährigem Aufenthalt sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von maßgeblicher Bedeutung. Bei der Prüfung der Bindungen im Herkunftsstaat sei zu berücksichtigen, dass in Algerien lediglich noch eine Großmutter des Klägers lebe und er im Alter von dreißig Jahren sämtliche sozialen Kontakte im Bundesgebiet und auch seine Ausbildungsstelle verlieren würde. Maßgeblich sei auch die Frage des Vertrautseins mit den Verhältnissen im Herkunftsland. Letztendlich ergebe sich die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung auch aus der fehlenden Befristung. Diese sei erforderlich, da der Kläger der zweiten Ausländergeneration angehöre. Die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 I EMRK gemäß dessen Absatz 2 gälten, seien auch hier heranzuziehen und zwar ungeachtet des Systems der Abstufung in Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 - den Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Verwaltungsgerichts und trägt im Übrigen im Wesentlichen vor, die Ausweisung eines niedergelassenen Einwanderers stelle unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines „Familienlebens“ einen Eingriff in sein Recht auf Achtung seines „Privatlebens“ dar. Dieser Eingriff der Ausländerbehörde sei im Falle des Klägers gesetzlich vorgesehen und auch verhältnismäßig. Dieser habe zunächst den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG durch seine Straftaten, die zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten geführt hätten, verwirklicht. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG der Verhältnismäßigkeit auch dadurch Rechnung getragen, dass er die zwingende Ausweisung nach § 53 Nr. 2 AufenthG gemäß § 56 I 4 AufenthG zu einer Regelausweisung herabgestufte und damit den besonderen Verhältnissen bestimmter Ausländergruppen Rechnung getragen und auch die Forderung des Art. 8 EMRK auf Achtung des Privatlebens beachtet habe. Sofern die Voraussetzungen für eine Regelausweisung erfüllt seien, habe die Ausländerbehörde in der Regel auszuweisen. Hierbei habe sie grundsätzlich die Ausweisung zu verfügen, ohne dass ihr dabei ein Ermessensspielraum zustehe. Sie könne nur ausnahmsweise von der Ausweisung absehen, wenn im konkreten Einzelfall besondere Umstände vorlägen, durch die sich dieser von der Menge gleichgelagerter Fälle unterscheide. Ausnahmefälle in diesem Sinne seien durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam sei, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelausweisung beseitige. Solche besonderen Umstände seien beim Kläger weder im Hinblick auf die begangenen Straftaten noch auf die persönlichen Lebensverhältnisse gegeben. Eine Integration möge ihm zwar wirtschaftlich gelungen sein, jedoch nicht sozial. Dies zeigten seine Drogenkarriere und seine Verurteilungen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen. Dadurch lasse der Kläger erkennen, dass er nicht gewillt sei, die deutsche Rechtsordnung zu beachten und er mache dabei auch vor der körperlichen Unversehrtheit anderer, insbesondere der von Jugendlichen nicht Halt, indem er in einem nicht geringen Maße mit Drogen gehandelt habe. Seine Ausweisung sei geeignet, insbesondere andere Ausländer von der Begehung von Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität abzuschrecken. Gleichzeitig diene die Ausweisung der Verhinderung weiterer Straftaten durch den Kläger selber und somit insgesamt der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bundesgebiet. Die Ausweisung sei erforderlich, weil kein milderes Mittel gleicher Eignung zur Verfügung stehe, das in gleicher oder in besserer Weise geeignet gewesen wäre, den beabsichtigten Zweck der Ausweisung zu erreichen, den Kläger aber weniger belastet hätte. Der Schutz des Art. 6 I GG greife nur dann ein, wenn die Folgen der Ausweisung für den Betroffenen mit Rücksicht auf seine Familienangehörigen unverhältnismäßig hart wären. Der Kläger sei nicht so weit in die deutsche Gesellschaft integriert, dass man von ihm als einem faktischen Inländer im Sinne des Art. 8 EMRK sprechen könne. Die Ausweisung sei auch angemessen, weil ihre Nachteile nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stünden, die sie bewirke. Wegen der hohen Sozialschädlichkeit des Drogenhandels an sich sei das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers sowohl unter spezial- als auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten entsprechend hoch zu gewichten. Die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ergebe sich auch nicht aus der fehlenden Befristung.

Der Kläger hat auf eine entsprechende gerichtliche Aufklärungsverfügung vom 7.12.2009 unter dem 12.1.2010 mitgeteilt, er habe am 20.6.2009 die Abschlussprüfung bestanden und sei hieran anschließend bei dem Malermeister W. als Bauten-Maler beschäftigt worden. Ab 3.8.2009 habe er für ein Personaldienstleistungsunternehmen bei dem Malerbetrieb H. gearbeitet, der ihn am 5.10.2009 eingestellt habe. Seit ca. zwei Jahren lebe er in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen, mit der er seit August 2009 eine gemeinsame Wohnung bezogen habe. Der Kläger hat hierzu u.a. einen Arbeitsvertrag mit dem Personaldienstleistungsunternehmen, Lohnabrechnungen dieses Unternehmens und der Fa. H. sowie den auch von der Lebensgefährtin unterschriebenen Mietvertrag über die derzeitige Wohnung vorgelegt. Dem Beklagten ist der Schriftsatz des Klägers mit Anlagen unter dem 13.1.2010 übersandt worden.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 124 II Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 124a VI i.V.m. III 4 VwGO begründet worden. Die Berufung hat auch Erfolg.

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des (Rechtsvorgängers des) Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2006, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem Hinweis auf seine Ausreisepflicht – wegen seiner damaligen Inhaftierung ohne Setzung einer Ausreisefrist – seine Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe, angedroht wurde, ist begründet.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (Zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004– 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008,116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt. (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443) Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar, (Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116)

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten
- Dauer des Aufenthalts im Gastland
- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase
- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (Vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II))

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig.

Zu der Person des Klägers und seinen Straftaten lässt sich dem bei den Verwaltungsunterlagen befindlichen Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 (Bl. 70 ff. Verwaltungsunterlagen) folgendes entnehmen:

Der 1977 in Algerien geborene Kläger reiste 1985 im Alter von 7 Jahren mit seiner Mutter zu dem aufenthaltsberechtigten Vater ins Bundesgebiet ein. Nach der Grundschule besuchte er die Gesamtschule, die er im neunten Schuljahr ohne Abschluss verließ. Anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Maler- und Lackierer, die er nicht abschloss, da er den theoretischen Teil der Prüfung nicht bestand. Nach einem halbjährigen Besuch eines Arbeitsvorbereitungskurses arbeitete er ein halbes Jahr bei einer Maler- und Lackiererfirma auf Montage, danach für eine Leiharbeiterfirma, bis er nach einjähriger Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei einem Unternehmen von diesem übernommen und festangestellt wurde; dort war er sodann dreieinhalb Jahre bis zu seiner Festnahme als Produktionshelfer beschäftigt.

Im Alter von 19 Jahren begann er mit gelegentlichem Konsum von Haschisch. Später steigerte sich der Konsum und umfasste auch Marihuana, Ecstasy und Amphetamin und schließlich mit 21 Jahren konsumierte der Antragsteller – aus Preisgründen selten - auch Kokain. Ab Mitte 2004 rauchte er nur noch Haschisch, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Aufgrund eines Anfang 2004 mit einem Mittäter gefassten Beschlusses erwarb er Drogen und veräußerte in 7 Fällen nicht nur geringe Mengen Gewinn bringend. Seine Festnahme erfolgte am 4. 10. 2004. Am 16.6.2005 wurde der Kläger wegen Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

In seinen polizeilichen Vernehmungen machte der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger – im Urteil des Amtsgerichtes B-Stadt vom 22.2.1996 war er zwar des (als 17jähriger begangenen) Diebstahls für schuldig befunden worden, es war aber von Strafe abgesehen worden - umfassende Angaben zu seinen Geschäften und zu Personen, die an den Geschäften beteiligt waren. Dabei leistete er Hilfe bei der Aufklärung weiterer Taten über seinen Tatbeitrag hinaus. Er hat insbesondere seine Mittäter und Abnehmer benannt und zu ihrer Identifizierung beigetragen. Aufgrund seiner Aussage wurden Haftbefehle erlassen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.

Strafverschärfend hat sich im Urteil ausgewirkt, dass der Kläger Handel mit Mengen, die ein Vielfaches der nicht geringen Menge ausmachten, betrieben hat. Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass sich der Kläger in vollem Umfang geständig eingelassen hat, alle Anklagepunkte ausschließlich auf seiner eigenen Aussage beruhten, er zudem wertvolle Hinweise zur Aufklärung weiterer Straftaten gegeben hat und auch noch Teile der gehandelten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Ferner hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sei, zudem glaubhaft dargelegt habe, dass er seine Drogenprobleme erkannt habe und aktiv angehen wolle. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme habe er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Außerdem wolle er sich aus dem Drogenmilieu lösen. Wegen des ernsthaften Bemühens des Klägers, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, hat das Landgericht schon im Urteil in Aussicht gestellt, einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zu einer Therapie nach § 35 BtMG zuzustimmen.

Die Ausweisung ist zum einen spezialpräventiv auf die vom Kläger ausgehende Gefahr (hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Drogendelikten) und zum anderen generalpräventiv (Abschreckung potentieller Straftäter im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität) gestützt.

Die Verurteilung basiert im Wesentlichen auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, während der Besitz von Drogen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Drogenhandel, den der seit etlichen Jahren betäubungsmittelabhängige Kläger erst 2004 begonnen hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt – im Normalfall zur Ausweisung des Straftäters führt. Dass ein unverbüßter Strafrest von 351 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an der Schwere der vom Kläger begangenen Drogendelikte nichts. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“ (EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)) . Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen, (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007,443) was ein generalpräventives Vorgehen der Ausländerbehörde nicht ausschließt. (Hailbronner, Ausländerrecht, A1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 23)

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen „Schlussstrich“ unter seine rund 8jährige „Drogenkarriere“ ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte „nahtlose“ Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist. (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27) Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33) Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem „Wohlverhalten“ des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat. (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70/86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel) Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als „verbraucht“ anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen) , ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte) . Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (Vgl. „Aufenthaltsbescheinigung“ des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete. (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte) Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) , unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

Gründe

Die gemäß § 124 II Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 124a VI i.V.m. III 4 VwGO begründet worden. Die Berufung hat auch Erfolg.

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des (Rechtsvorgängers des) Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2006, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem Hinweis auf seine Ausreisepflicht – wegen seiner damaligen Inhaftierung ohne Setzung einer Ausreisefrist – seine Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe, angedroht wurde, ist begründet.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (Zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004– 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008,116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt. (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443) Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar, (Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116)

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten
- Dauer des Aufenthalts im Gastland
- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase
- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (Vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II))

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig.

Zu der Person des Klägers und seinen Straftaten lässt sich dem bei den Verwaltungsunterlagen befindlichen Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 (Bl. 70 ff. Verwaltungsunterlagen) folgendes entnehmen:

Der 1977 in Algerien geborene Kläger reiste 1985 im Alter von 7 Jahren mit seiner Mutter zu dem aufenthaltsberechtigten Vater ins Bundesgebiet ein. Nach der Grundschule besuchte er die Gesamtschule, die er im neunten Schuljahr ohne Abschluss verließ. Anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Maler- und Lackierer, die er nicht abschloss, da er den theoretischen Teil der Prüfung nicht bestand. Nach einem halbjährigen Besuch eines Arbeitsvorbereitungskurses arbeitete er ein halbes Jahr bei einer Maler- und Lackiererfirma auf Montage, danach für eine Leiharbeiterfirma, bis er nach einjähriger Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei einem Unternehmen von diesem übernommen und festangestellt wurde; dort war er sodann dreieinhalb Jahre bis zu seiner Festnahme als Produktionshelfer beschäftigt.

Im Alter von 19 Jahren begann er mit gelegentlichem Konsum von Haschisch. Später steigerte sich der Konsum und umfasste auch Marihuana, Ecstasy und Amphetamin und schließlich mit 21 Jahren konsumierte der Antragsteller – aus Preisgründen selten - auch Kokain. Ab Mitte 2004 rauchte er nur noch Haschisch, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Aufgrund eines Anfang 2004 mit einem Mittäter gefassten Beschlusses erwarb er Drogen und veräußerte in 7 Fällen nicht nur geringe Mengen Gewinn bringend. Seine Festnahme erfolgte am 4. 10. 2004. Am 16.6.2005 wurde der Kläger wegen Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

In seinen polizeilichen Vernehmungen machte der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger – im Urteil des Amtsgerichtes B-Stadt vom 22.2.1996 war er zwar des (als 17jähriger begangenen) Diebstahls für schuldig befunden worden, es war aber von Strafe abgesehen worden - umfassende Angaben zu seinen Geschäften und zu Personen, die an den Geschäften beteiligt waren. Dabei leistete er Hilfe bei der Aufklärung weiterer Taten über seinen Tatbeitrag hinaus. Er hat insbesondere seine Mittäter und Abnehmer benannt und zu ihrer Identifizierung beigetragen. Aufgrund seiner Aussage wurden Haftbefehle erlassen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.

Strafverschärfend hat sich im Urteil ausgewirkt, dass der Kläger Handel mit Mengen, die ein Vielfaches der nicht geringen Menge ausmachten, betrieben hat. Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass sich der Kläger in vollem Umfang geständig eingelassen hat, alle Anklagepunkte ausschließlich auf seiner eigenen Aussage beruhten, er zudem wertvolle Hinweise zur Aufklärung weiterer Straftaten gegeben hat und auch noch Teile der gehandelten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Ferner hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sei, zudem glaubhaft dargelegt habe, dass er seine Drogenprobleme erkannt habe und aktiv angehen wolle. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme habe er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Außerdem wolle er sich aus dem Drogenmilieu lösen. Wegen des ernsthaften Bemühens des Klägers, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, hat das Landgericht schon im Urteil in Aussicht gestellt, einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zu einer Therapie nach § 35 BtMG zuzustimmen.

Die Ausweisung ist zum einen spezialpräventiv auf die vom Kläger ausgehende Gefahr (hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Drogendelikten) und zum anderen generalpräventiv (Abschreckung potentieller Straftäter im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität) gestützt.

Die Verurteilung basiert im Wesentlichen auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, während der Besitz von Drogen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Drogenhandel, den der seit etlichen Jahren betäubungsmittelabhängige Kläger erst 2004 begonnen hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt – im Normalfall zur Ausweisung des Straftäters führt. Dass ein unverbüßter Strafrest von 351 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an der Schwere der vom Kläger begangenen Drogendelikte nichts. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“ (EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)) . Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen, (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007,443) was ein generalpräventives Vorgehen der Ausländerbehörde nicht ausschließt. (Hailbronner, Ausländerrecht, A1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 23)

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen „Schlussstrich“ unter seine rund 8jährige „Drogenkarriere“ ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte „nahtlose“ Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist. (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27) Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33) Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem „Wohlverhalten“ des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat. (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70/86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel) Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als „verbraucht“ anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen) , ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte) . Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (Vgl. „Aufenthaltsbescheinigung“ des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete. (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte) Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) , unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 – wird der Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 30.7.1977 in Algerien geborene Kläger begehrt die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Rechtsvorgängers des Beklagten.

Der Kläger reiste 23.1.1985 mit seiner Mutter zu seinem aufenthaltsberechtigten Vater in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Auf seinen Antrag vom 2.8.1993 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Durch Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 22.2.1996 - 24-9/96 / 21 Js 453/95 - wurde er des Diebstahls in drei Fällen, darüber hinaus eines tatmehrheitlich begangenen besonders schweren Falles des Diebstahles für schuldig befunden, von Strafe wurde jedoch abgesehen und ihm wurde aufgegeben, 40 unentgeltliche Arbeitsstunden zu leisten und eine Geldbuße in Höhe von 400,-- DM zu zahlen.

Ferner wurde er durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Daraufhin wies ihn die damals zuständige Ausländerbehörde mit Bescheid vom 5.10.2005 nach vorheriger Anhörung gemäß §§ 53 Nr. 2, 56 I 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG aus, wies auf das Erlöschen der ihm erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes und die damit gegebene Ausreisepflicht hin und drohte ihm die Abschiebung nach Algerien beziehungsweise in einen anderen Staat an, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe. Die Behörde führte hierzu im Wesentlichen aus, von der Setzung einer Ausreisefrist sei mit Blick auf die Inhaftierung des Klägers Abstand genommen worden. Aus der Urteilsbegründung gehe eine langjährige „Drogenkarriere“ hervor, wobei der Kläger nicht nur über einen recht langen Zeitraum hinweg selbst Betäubungsmittel konsumiert, sondern etwa ab Anfang 2004 auch mit Betäubungsmitteln gehandelt habe. Ausdrücklich gewürdigt habe das Strafgericht bei der Strafbemessung zu seinen Gunsten die von ihm geleistete Aufklärungshilfe im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen sowie sein vollumfängliches Geständnis. Durch seine Hinweise hätten weitere Taten aufgeklärt und so Teile der gehandelten Betäubungsmittel noch sichergestellt werden können. Auch seine Einsicht in das Unrechte seines Tuns sei positiv gewürdigt worden. Strafverschärfend sei allerdings gewesen, dass ein Handel in solch großen Mengen erfolgt sei. Insgesamt sei jedoch eine sehr empfindliche Freiheitsstrafe gegen den als Ersttäter eingestuften Kläger verhängt worden. Die Gelegenheit, im Rahmen der Anhörung positive Aspekte in das Verfahren einzubringen, habe er nicht genutzt. Daher müsse es bei seiner Einschätzung verbleiben, dass keine die Regelausweisungsentscheidung überwindenden Ausnahmegründe bei dem Kläger vorlägen und der Ausländerbehörde daher bei der zu treffenden Entscheidung kein Ermessen zustehe. Unabhängig davon sei sie jedoch gehalten, die Vorgaben des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK zu beachten. So bestehe ein Abschiebungshindernis, wenn dem Betroffenen nicht zuzumuten sei, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen. Familiäre Beziehungen seien im Falle des Klägers jedoch nicht zu erkennen, zumindest nicht in einem schutzwürdigen Umfang. Trotz der Einreise des Klägers im frühen Lebensalter und der sich anschließenden rechtmäßigen Aufenthaltsdauer verbunden mit dem Aufwachsen in Deutschland sei seine Entscheidung mit Blick auf die Schwere der vom Kläger begangenen und entsprechend abgeurteilten Straftaten, die bei Drogendelikten enorm hohe Rückfallwahrscheinlichkeit und die Versuchung zu erneutem Tätigwerden im Betäubungsmittelhandel in der Erwartung ungewöhnlich hoher Gewinne verhältnismäßig.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 19.10.2005 Widerspruch ein.

Unter dem 20.10.2005 teilte die Staatsanwaltschaft B-Stadt mit, dass ein Absehen von der Vollstreckung gemäß § 456 a StPO ab 1.12.2005 möglich sei und die Staatsanwaltschaft sich ab diesem Zeitpunkt mit der Abschiebung des Klägers einverstanden erkläre.

Am 17.1.2006 wurde der Kläger, der sich ab 4.10.2004 zunächst in Untersuchungshaft und danach in Strafhaft befunden hatte, entlassen. Der unverbüßte Rest der Strafe wurde gemäß § 35 BtMG ausgesetzt. Am selben Tag wurde er in den Kliniken Daun zur Behandlung seiner Polytoxikomanie aufgenommen.

Der Widerspruch des Klägers gegen die Ausweisungsverfügung wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.2.2006, ihm zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten zugestellt am 17.3.2006, zurückgewiesen. In der Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass weder Ermessensfehler noch grobe Unverhältnismäßigkeit festzustellen seien. Es seien auch keine ausreichenden Gründe erkennbar, die ein Absehen von der Regelausweisung nahelegen könnten. Der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Stellungnahme des Therapeuten der Klinik könne nach wenigen Wochen Aufenthalt keine übergroße Bedeutung zukommen, da bei Betäubungsmitteldelikten im Zusammenhang mit Drogenabhängigkeit von einer hohen Wiederholungsgefahr ausgegangen werden müsse, die neben der Abschreckung für andere potentielle Täter eine Ausweisung rechtfertige.

Ab dem 17.7.2006 befand der Kläger sich im Adaptionshaus A-Stadt in einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Rehabilitationsmaßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber, Malermeister W., ab dem 31.7. 2006 ein Praktikum ab, an das sich ab dem 4.10.2006 ein Berufsausbildungsverhältnis im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer anschloss.

Unter dem 21.8.2006 ordnete die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung vom 5.10.2005 an.

Auf den Aussetzungsantrag des Klägers vom 23.8.2006 stellte letztlich das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes mit Beschluss vom 22.1.2007 - 2 W 39/06 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her beziehungsweise ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen die Abschiebungsandrohung an. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, zwar bestünden keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung, der der Kläger bei Erlass des Verwaltungsaktes im Oktober 2005 keine beachtlichen schutzwürdigen Belange entgegenzusetzen gehabt hätte. Eine entsprechende zeitnahe Sofortvollzugsanordnung der Abschiebung des Antragstellers aus der Strafhaft heraus hätte seinerzeit keinen ernsthaften rechtlichen Bedenken unterlegen. Stattdessen sei dem Kläger ab Januar 2006 in der bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten Anwendung des § 35 BtMG unter teilweiser Zurückstellung einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe eine Therapie zur Behandlung seiner Polytoxikomanie in dem „verhaltensmedizinischen Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen und Psychosomatik“ in Daun ermöglicht worden. Erst acht Monate später, als sich der Kläger bereits nach Abschluss seiner stationären Behandlung zur Vorbereitung einer sozialen und beruflichen Reintegration in das Adaptionshaus in A-Stadt begeben gehabt habe, sei die Sofortvollzugsanordnung erlassen worden. Die insoweit hinsichtlich der Eilbedürftigkeit der Aufenthaltsbeendigung bei Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit angestellten fiskalischen Erwägungen seien bei der mit Blick auf die Grundrechte des Betroffenen im konkreten Fall erforderlichen Feststellung eines überwiegenden öffentlichen Vollzugsinteresses für sich genommen nicht nachvollziehbar. Dem Antragsgegner hätte klar sein müssen, dass der Antragsteller sowohl in der Zeit der Inhaftierung als auch der bekannten therapeutischen Maßnahme in Daun beziehungsweise A-Stadt seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestritten habe. Da die Ausländerbehörde ohne ersichtlichen Grund lange zugewartet habe und dem Kläger auf der Grundlage des § 35 BtMG in dieser Zeit umfangreiche öffentlich finanzierte Maßnahmen zur Wiedereingliederung mit dem Ziel künftig straffreier Lebensführung gewährt worden seien, die er allem Anschein nach auch ernsthaft genutzt habe, überwiege sein Interesse, von einem plötzlichen Vollzug bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse zumindest dann, wenn die Beweggründe der Behörde für eine nachträgliche Sofortvollzugsanordnung im Grunde bereits von Anfang an und im Wesentlichen unverändert vorgelegen hätten, im Ergebnis also keine eine abweichende Sicht rechtfertigende Veränderungen eingetreten seien.

Am 21.3.2006 hat der Kläger Klage erhoben (6 K 30/06). Zur Begründung hat er ausgeführt, seit seinem 16. Lebensjahr sei er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung (jetzt: Niederlassungserlaubnis). Seine Eltern lebten im Bundesgebiet und sämtliche Geschwister seien im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Beklagte habe bei seiner auf spezialpräventive Gründe gestützten Ausweisung nicht geprüft, ob Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Klägers ernsthaft drohe und eine bedeutsame Gefahr auch in der Zukunft von ihm ausgehe. Zu berücksichtigen sei jedoch gewesen, dass der Kläger sich vollumfänglich in seiner Strafsache eingelassen habe und alle Anklagepunkte ausschließlich auf seinen eigenen Einlassungen beruhten. Zudem sei sein Bemühen zu würdigen, seine Suchterkrankung behandeln zu lassen. Auch die Stellungnahme des behandelnden Therapeuten des Klägers in der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen vom 14.2.2006 sei zu würdigen. Unter Berücksichtigung aller Umstände könne keinesfalls eine konkrete schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Zukunft angenommen werden. Rechtsfehlerhaft sei die Ausweisungsverfügung auch aufgrund der fehlenden Befristung. Sie sei zudem in hohem Maße unverhältnismäßig, da der Kläger die arabische Sprache weder lesen noch schreiben könne. Lediglich mit seinen Eltern spreche er arabisch. Auch beherrsche er nicht ansatzweise die französische Sprache.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 und den Widerspruchsbescheid des Stadtverbandsrechtsausschusses vom 22.2.2006 aufzuheben.

Der Beklagte hat im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die angefochtenen Verfügungen beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 10. 8.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Unter Bezugnahme auf die Entscheidungen der Kammer im Eilverfahren - 6 F 66/06 - und im Prozesskostenhilfeverfahren einschließlich der jeweils ergangenen Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts in den Verfahren 2 W 39/06 und 2 D 34/07 hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass vorliegend eine Befristung der Ausweisungsfolgen erforderlich gewesen sei. Es könne offen bleiben, ob der gemäß § 11 I AufenthG erforderliche Antrag des Klägers vorliegend gestellt worden sei. Jedenfalls fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass eine fehlende Befristung der Ausweisungsfolgen schon bei Erlass der Ausweisungsentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK habe darstellen können. Die Kammer habe sich bereits im Verfahren 6 F 66/06 ausführlich mit diesen Fragen unter Berücksichtigung der die persönliche Situation des Klägers prägenden Umständen auseinandergesetzt. Bei dieser Bewertung bleibe es letztlich auch unter Berücksichtigung der weiter vorgetragenen Umstände. Die weitere Entwicklung des Klägers könne vorliegend noch in die Entscheidung einfließen, da es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung und unterlassenen Befristung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 ERMK auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankomme. Die Bescheinigung über die erfolgreiche Weiterführung der Berufsausbildung und die weitere Unauffälligkeit des Klägers in strafrechtlicher Hinsicht könnten das Ergebnis der Abwägung, das entscheidend von der Schwere der ihm zur Last gelegten Straftaten und der mit ihnen bekanntermaßen einhergehenden Wiederholungsgefahr sowie der unveränderten familiären Situation des Klägers nicht zu seinen Gunsten beeinflussen. Dies gelte gerade für den Umstand, dass die familiären Bindungen des ledigen Klägers zu seinen in Deutschland lebenden Verwandten nicht über die üblichen zwischen Erwachsenen bestehenden Beziehungen hinausgingen, er einen Teil seiner Kindheit in seinem Heimatland verbracht und dort auch noch Verwandte, zumindest die Großmutter habe.

Auf den fristgerecht gestellten Zulassungsantrag wurde die Berufung mit Beschluss vom 1.12.2008 - 2 A 435/07 - zugelassen. Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht habe den Schutzbereich des Art. 8 EMRK verkannt. Die angefochtenen Bescheide seien unter Berücksichtigung des Schutzbereichs dieser Vorschrift rechtsfehlerhaft ergangen, da eine Unterschreitung des Ermessens offensichtlich sei. Der Beklagte habe nach seinen eigenen Ausführungen offensichtlich nicht erkannt, dass bei der Prüfung des Art. 8 EMRK zwischen der Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben und der Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben zu differenzieren sei. Nach der neueren Rechtsprechung des EGMR liege der Auslegung von Art. 8 EMRK eine konzeptionelle Trennung zugrunde. Sowohl der Beklagte als auch das Gericht hätten jedoch lediglich eine mögliche Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben geprüft. Eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit einer möglichen Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben durch die Ausweisung sei nicht erkennbar. Zu dem Privatleben gehöre die Gesamtheit der im Aufenthaltsort gewachsenen Bindungen, wobei das Alter im Zeitpunkt der Einreise, der Stand der Kenntnisse der Sprache des Aufenthaltsstaates, die berufliche Tätigkeit und der Stand der wirtschaftlichen Integration usw. zu berücksichtigen seien. Der Beklagte habe die lange Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet, der als Siebenjähriger eingereist und sich seit 23 Jahren hier aufhalte, ebenso wie die damit offensichtlich gegebene „vollständige Integration“ bei seiner „Ermessensausübung“ gänzlich unberücksichtigt gelassen. Mit der Tatsache, dass es sich bei dem Kläger um einen sogenannten „faktischen Inländer“ handele, dem bereits vor 14 Jahren eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden sei und der einen Einbürgerungsantrag gestellt habe, setze sich weder der Beklagte noch das Gericht auseinander. Der Beklagte gehe vielmehr rechtsfehlerhaft davon aus, dass der Umstand der Einreise als Minderjähriger und die damit verbundene Aufenthaltsdauer schon bei der Zurückstufung der Ist- zur Regelausweisung berücksichtigt worden sei und daher quasi für die Frage des Vorliegens eines atypischen Falls „als verbraucht“ anzusehen sei. Tatsächlich stelle § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG allein auf den Besitz einer Niederlassungserlaubnis und einen mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet ab, nicht hingegen auf das Einreisealter. Indem das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide als ermessensfehlerfrei erachte, weiche es von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab, da im Fall einer ordnungsgemäßen Ermessensabwägung unter Einbeziehung des Rechts des Klägers auf Achtung seines Privatlebens der Beklagte vermutlich eine andere Entscheidung getroffen hätte, nicht zuletzt im Hinblick auf das eingegangene Ausbildungsverhältnis. Auch hinsichtlich der vom Beklagten behaupteten Wiederholungsgefahr sei eine sogenannte „Ermessensunterschreitung“ offensichtlich. Eine individuelle Prüfung der Wiederholungsgefahr sei rechtsfehlerhaft unterlassen worden. Die pauschale Bezugnahme auf die Verurteilung wegen Verstoßes gegen das BtMG sei unzulässig. Die Ausweisungsverfügung sei auch unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK. Die Schwierigkeit einer „Reintegration“ beziehungsweise „Neuintegration“ des Klägers in Algerien sei bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht beziehungsweise nicht in ausreichendem Maße geprüft worden. Während der Beklagte im Ausgangsbescheid lediglich davon ausgegangen sei, dass der Kläger seine Muttersprache zumindest in Grundzügen noch beherrsche, habe sich weder die Widerspruchsbehörde noch das Verwaltungsgericht mit seinem Vortrag, dass er lediglich einen arabischen Dialekt mit seinen Eltern spreche, diese Sprache weder lesen noch schreiben könne und auch die französische Sprache nicht beherrsche, auseinandergesetzt. Die Frage einer Neuintegration nach Einreise in das Bundesgebiet als Siebenjähriger und nach nahezu dreiundzwanzigjährigem Aufenthalt sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von maßgeblicher Bedeutung. Bei der Prüfung der Bindungen im Herkunftsstaat sei zu berücksichtigen, dass in Algerien lediglich noch eine Großmutter des Klägers lebe und er im Alter von dreißig Jahren sämtliche sozialen Kontakte im Bundesgebiet und auch seine Ausbildungsstelle verlieren würde. Maßgeblich sei auch die Frage des Vertrautseins mit den Verhältnissen im Herkunftsland. Letztendlich ergebe sich die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung auch aus der fehlenden Befristung. Diese sei erforderlich, da der Kläger der zweiten Ausländergeneration angehöre. Die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 I EMRK gemäß dessen Absatz 2 gälten, seien auch hier heranzuziehen und zwar ungeachtet des Systems der Abstufung in Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.8.2007 - 6 K 30/06 - den Bescheid des Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Verwaltungsgerichts und trägt im Übrigen im Wesentlichen vor, die Ausweisung eines niedergelassenen Einwanderers stelle unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines „Familienlebens“ einen Eingriff in sein Recht auf Achtung seines „Privatlebens“ dar. Dieser Eingriff der Ausländerbehörde sei im Falle des Klägers gesetzlich vorgesehen und auch verhältnismäßig. Dieser habe zunächst den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG durch seine Straftaten, die zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten geführt hätten, verwirklicht. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG der Verhältnismäßigkeit auch dadurch Rechnung getragen, dass er die zwingende Ausweisung nach § 53 Nr. 2 AufenthG gemäß § 56 I 4 AufenthG zu einer Regelausweisung herabgestufte und damit den besonderen Verhältnissen bestimmter Ausländergruppen Rechnung getragen und auch die Forderung des Art. 8 EMRK auf Achtung des Privatlebens beachtet habe. Sofern die Voraussetzungen für eine Regelausweisung erfüllt seien, habe die Ausländerbehörde in der Regel auszuweisen. Hierbei habe sie grundsätzlich die Ausweisung zu verfügen, ohne dass ihr dabei ein Ermessensspielraum zustehe. Sie könne nur ausnahmsweise von der Ausweisung absehen, wenn im konkreten Einzelfall besondere Umstände vorlägen, durch die sich dieser von der Menge gleichgelagerter Fälle unterscheide. Ausnahmefälle in diesem Sinne seien durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam sei, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelausweisung beseitige. Solche besonderen Umstände seien beim Kläger weder im Hinblick auf die begangenen Straftaten noch auf die persönlichen Lebensverhältnisse gegeben. Eine Integration möge ihm zwar wirtschaftlich gelungen sein, jedoch nicht sozial. Dies zeigten seine Drogenkarriere und seine Verurteilungen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen. Dadurch lasse der Kläger erkennen, dass er nicht gewillt sei, die deutsche Rechtsordnung zu beachten und er mache dabei auch vor der körperlichen Unversehrtheit anderer, insbesondere der von Jugendlichen nicht Halt, indem er in einem nicht geringen Maße mit Drogen gehandelt habe. Seine Ausweisung sei geeignet, insbesondere andere Ausländer von der Begehung von Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität abzuschrecken. Gleichzeitig diene die Ausweisung der Verhinderung weiterer Straftaten durch den Kläger selber und somit insgesamt der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bundesgebiet. Die Ausweisung sei erforderlich, weil kein milderes Mittel gleicher Eignung zur Verfügung stehe, das in gleicher oder in besserer Weise geeignet gewesen wäre, den beabsichtigten Zweck der Ausweisung zu erreichen, den Kläger aber weniger belastet hätte. Der Schutz des Art. 6 I GG greife nur dann ein, wenn die Folgen der Ausweisung für den Betroffenen mit Rücksicht auf seine Familienangehörigen unverhältnismäßig hart wären. Der Kläger sei nicht so weit in die deutsche Gesellschaft integriert, dass man von ihm als einem faktischen Inländer im Sinne des Art. 8 EMRK sprechen könne. Die Ausweisung sei auch angemessen, weil ihre Nachteile nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stünden, die sie bewirke. Wegen der hohen Sozialschädlichkeit des Drogenhandels an sich sei das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers sowohl unter spezial- als auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten entsprechend hoch zu gewichten. Die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ergebe sich auch nicht aus der fehlenden Befristung.

Der Kläger hat auf eine entsprechende gerichtliche Aufklärungsverfügung vom 7.12.2009 unter dem 12.1.2010 mitgeteilt, er habe am 20.6.2009 die Abschlussprüfung bestanden und sei hieran anschließend bei dem Malermeister W. als Bauten-Maler beschäftigt worden. Ab 3.8.2009 habe er für ein Personaldienstleistungsunternehmen bei dem Malerbetrieb H. gearbeitet, der ihn am 5.10.2009 eingestellt habe. Seit ca. zwei Jahren lebe er in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen, mit der er seit August 2009 eine gemeinsame Wohnung bezogen habe. Der Kläger hat hierzu u.a. einen Arbeitsvertrag mit dem Personaldienstleistungsunternehmen, Lohnabrechnungen dieses Unternehmens und der Fa. H. sowie den auch von der Lebensgefährtin unterschriebenen Mietvertrag über die derzeitige Wohnung vorgelegt. Dem Beklagten ist der Schriftsatz des Klägers mit Anlagen unter dem 13.1.2010 übersandt worden.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsunterlagen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 124 II Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 124a VI i.V.m. III 4 VwGO begründet worden. Die Berufung hat auch Erfolg.

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des (Rechtsvorgängers des) Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2006, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem Hinweis auf seine Ausreisepflicht – wegen seiner damaligen Inhaftierung ohne Setzung einer Ausreisefrist – seine Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe, angedroht wurde, ist begründet.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (Zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004– 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008,116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt. (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443) Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar, (Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116)

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten
- Dauer des Aufenthalts im Gastland
- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase
- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (Vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II))

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig.

Zu der Person des Klägers und seinen Straftaten lässt sich dem bei den Verwaltungsunterlagen befindlichen Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 (Bl. 70 ff. Verwaltungsunterlagen) folgendes entnehmen:

Der 1977 in Algerien geborene Kläger reiste 1985 im Alter von 7 Jahren mit seiner Mutter zu dem aufenthaltsberechtigten Vater ins Bundesgebiet ein. Nach der Grundschule besuchte er die Gesamtschule, die er im neunten Schuljahr ohne Abschluss verließ. Anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Maler- und Lackierer, die er nicht abschloss, da er den theoretischen Teil der Prüfung nicht bestand. Nach einem halbjährigen Besuch eines Arbeitsvorbereitungskurses arbeitete er ein halbes Jahr bei einer Maler- und Lackiererfirma auf Montage, danach für eine Leiharbeiterfirma, bis er nach einjähriger Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei einem Unternehmen von diesem übernommen und festangestellt wurde; dort war er sodann dreieinhalb Jahre bis zu seiner Festnahme als Produktionshelfer beschäftigt.

Im Alter von 19 Jahren begann er mit gelegentlichem Konsum von Haschisch. Später steigerte sich der Konsum und umfasste auch Marihuana, Ecstasy und Amphetamin und schließlich mit 21 Jahren konsumierte der Antragsteller – aus Preisgründen selten - auch Kokain. Ab Mitte 2004 rauchte er nur noch Haschisch, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Aufgrund eines Anfang 2004 mit einem Mittäter gefassten Beschlusses erwarb er Drogen und veräußerte in 7 Fällen nicht nur geringe Mengen Gewinn bringend. Seine Festnahme erfolgte am 4. 10. 2004. Am 16.6.2005 wurde der Kläger wegen Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

In seinen polizeilichen Vernehmungen machte der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger – im Urteil des Amtsgerichtes B-Stadt vom 22.2.1996 war er zwar des (als 17jähriger begangenen) Diebstahls für schuldig befunden worden, es war aber von Strafe abgesehen worden - umfassende Angaben zu seinen Geschäften und zu Personen, die an den Geschäften beteiligt waren. Dabei leistete er Hilfe bei der Aufklärung weiterer Taten über seinen Tatbeitrag hinaus. Er hat insbesondere seine Mittäter und Abnehmer benannt und zu ihrer Identifizierung beigetragen. Aufgrund seiner Aussage wurden Haftbefehle erlassen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.

Strafverschärfend hat sich im Urteil ausgewirkt, dass der Kläger Handel mit Mengen, die ein Vielfaches der nicht geringen Menge ausmachten, betrieben hat. Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass sich der Kläger in vollem Umfang geständig eingelassen hat, alle Anklagepunkte ausschließlich auf seiner eigenen Aussage beruhten, er zudem wertvolle Hinweise zur Aufklärung weiterer Straftaten gegeben hat und auch noch Teile der gehandelten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Ferner hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sei, zudem glaubhaft dargelegt habe, dass er seine Drogenprobleme erkannt habe und aktiv angehen wolle. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme habe er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Außerdem wolle er sich aus dem Drogenmilieu lösen. Wegen des ernsthaften Bemühens des Klägers, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, hat das Landgericht schon im Urteil in Aussicht gestellt, einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zu einer Therapie nach § 35 BtMG zuzustimmen.

Die Ausweisung ist zum einen spezialpräventiv auf die vom Kläger ausgehende Gefahr (hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Drogendelikten) und zum anderen generalpräventiv (Abschreckung potentieller Straftäter im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität) gestützt.

Die Verurteilung basiert im Wesentlichen auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, während der Besitz von Drogen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Drogenhandel, den der seit etlichen Jahren betäubungsmittelabhängige Kläger erst 2004 begonnen hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt – im Normalfall zur Ausweisung des Straftäters führt. Dass ein unverbüßter Strafrest von 351 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an der Schwere der vom Kläger begangenen Drogendelikte nichts. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“ (EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)) . Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen, (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007,443) was ein generalpräventives Vorgehen der Ausländerbehörde nicht ausschließt. (Hailbronner, Ausländerrecht, A1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 23)

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen „Schlussstrich“ unter seine rund 8jährige „Drogenkarriere“ ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte „nahtlose“ Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist. (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27) Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33) Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem „Wohlverhalten“ des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat. (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70/86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel) Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als „verbraucht“ anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen) , ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte) . Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (Vgl. „Aufenthaltsbescheinigung“ des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete. (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte) Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) , unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

Gründe

Die gemäß § 124 II Nr. 1 VwGO zugelassene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß den Anforderungen des § 124a VI i.V.m. III 4 VwGO begründet worden. Die Berufung hat auch Erfolg.

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des (Rechtsvorgängers des) Beklagten vom 5.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2006, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem Hinweis auf seine Ausreisepflicht – wegen seiner damaligen Inhaftierung ohne Setzung einer Ausreisefrist – seine Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat, der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei oder in den er einreisen dürfe, angedroht wurde, ist begründet.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung ist nach der Änderung der – bis dahin auf die letzte Behördenentscheidung abstellenden - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 15.11.2007 (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr bei allen Ausländern (Zuvor bereits für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004– 1 C 30.02 -, BVerwGE 121,297, und – 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315) einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich; dabei ließ sich das Bundesverwaltungsgericht davon leiten, dass zum einen der EGMR in seiner Rechtsprechung die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung vor dem Hintergrund der Situation bewertet, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde, und zum anderen auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen in diese Richtung weist.

Der angefochtene Bescheid stellt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats als rechtswidrig dar.

Der Kläger, der durch Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 - 5-19/05 / 24 Js 609/04 - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von solchen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde, erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG. Ebenso unstreitig genießt er besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG, da er im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung vom 5.10.2005 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis - als solche gilt die ihm 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 101 I 1 AufenthG fort - war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte. Somit wird er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen (§ 56 I 2 AufenthG) und die Ist-Ausweisung wird zur Regelausweisung zurückgestuft (§ 56 I 4 AufenthG).

Regelfälle sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände einer evtl. strafrichterlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 III AufenthG nicht abschließend genannt werden. (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008,116 m.w.N.) Ein Ermessensspielraum steht der Behörde nur dann zu, wenn kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall im genannten Sinne vorliegt. (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1995 – 1 B 237/94 -, InfAuslR 1996, 103) Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116) bereits dann anzunehmen, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass nach seinen Erfahrungen der bisherige Maßstab, der ergebnisbezogen auf die Unvereinbarkeit der Ausweisung mit höherrangigem Recht abgestellt habe, nicht ausreiche, um den von Art. 6, Art. 2 I GG und Art. 8 EMRK geschützten Belangen in der Praxis zu einer ausreichenden Berücksichtigung zu verhelfen. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass schutzwürdige, von den Tatbeständen des § 48 I AuslG bzw. § 56 I AufenthG nicht (voll) erfasste Belange des Betroffenen im Verwaltungsvollzug schematisierend ausgeblendet würden. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedürfe es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt sei und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegenstehe. Aber auch in anderen Fällen erweise sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Die Ermessensentscheidung als der dritte vom Gesetzgeber vorgesehene Entscheidungsmodus biete demgegenüber in der Verwaltungspraxis höhere Gewähr für eine Berücksichtigung aller Aspekte des jeweiligen Einzelfalles und die angemessene Gewichtung anlässlich der Entscheidung über den Erlass einer Ausweisung.

Hiervon ausgehend ist festzuhalten: Die Ausweisung des Klägers greift zum einen in sein durch Art. 2 I GG geschütztes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, da ihm durch diese Maßnahme sein Aufenthaltsrecht entzogen wird und er infolgedessen zur Ausreise verpflichtet ist. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs setzt seine Verhältnismäßigkeit voraus. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007,1300 = InfAuslR2007,443) Zum anderen stellt die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 I EMRK geschützte Recht des betroffenen Ausländers auf Privatleben dar, (Vgl. etwa EGMR, Urteile vom 23.6.2008 – 1638/03 – (Maslov II), InfAuslR 2008, 333, und vom22.4.2004 – 42703/98 -, InfAuslR 2004, 374) der ebenfalls nur rechtmäßig ist, wenn er sich als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 II EMRK darstellt. Die persönliche Entwicklung des Klägers nach seiner Verurteilung vom 16.6.2005, der seine Drogensucht energisch bekämpfte und sich für einen Neubeginn von seinem bisherigen Umfeld auch räumlich trennte, lässt vorliegend eine Einzelfallbeurteilung unter Würdigung sämtlicher Umstände geboten erscheinen. Liegt also ein Ausnahmefall vor, sind die Ausweisungsgründe mit dem Gewicht, das in dem gestuften System der Ausweisungstatbestände zum Ausdruck kommt, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 1 C 10/07 -, BVerwGE 129, 367 =  InfAuslR 2008, 116)

Der EGMR hat allgemeine Leitlinien (Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.6.2007 – 31753/02 -, InfAuslR 2007, 325 m.w.N.) zur Bewertung entwickelt, ob die Ausweisung eines Ausländers in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Von diesen Kriterien sind – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der in Deutschland aufgewachsene Kläger unverheiratet ist und keine Kinder hat – vorliegend die folgenden anzuwenden:

- Art und Schwere der begangenen Straftaten
- Dauer des Aufenthalts im Gastland
- die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Phase
- die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (Vgl. EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II))

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien des EGMR und unter Würdigung sämtlicher sich aus den Akten ergebender relevanter Umstände ist die Ausweisungsverfügung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht – mehr - rechtmäßig.

Zu der Person des Klägers und seinen Straftaten lässt sich dem bei den Verwaltungsunterlagen befindlichen Urteil des Landgerichts B-Stadt vom 16.6.2005 (Bl. 70 ff. Verwaltungsunterlagen) folgendes entnehmen:

Der 1977 in Algerien geborene Kläger reiste 1985 im Alter von 7 Jahren mit seiner Mutter zu dem aufenthaltsberechtigten Vater ins Bundesgebiet ein. Nach der Grundschule besuchte er die Gesamtschule, die er im neunten Schuljahr ohne Abschluss verließ. Anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Maler- und Lackierer, die er nicht abschloss, da er den theoretischen Teil der Prüfung nicht bestand. Nach einem halbjährigen Besuch eines Arbeitsvorbereitungskurses arbeitete er ein halbes Jahr bei einer Maler- und Lackiererfirma auf Montage, danach für eine Leiharbeiterfirma, bis er nach einjähriger Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei einem Unternehmen von diesem übernommen und festangestellt wurde; dort war er sodann dreieinhalb Jahre bis zu seiner Festnahme als Produktionshelfer beschäftigt.

Im Alter von 19 Jahren begann er mit gelegentlichem Konsum von Haschisch. Später steigerte sich der Konsum und umfasste auch Marihuana, Ecstasy und Amphetamin und schließlich mit 21 Jahren konsumierte der Antragsteller – aus Preisgründen selten - auch Kokain. Ab Mitte 2004 rauchte er nur noch Haschisch, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Aufgrund eines Anfang 2004 mit einem Mittäter gefassten Beschlusses erwarb er Drogen und veräußerte in 7 Fällen nicht nur geringe Mengen Gewinn bringend. Seine Festnahme erfolgte am 4. 10. 2004. Am 16.6.2005 wurde der Kläger wegen Besitzes und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

In seinen polizeilichen Vernehmungen machte der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger – im Urteil des Amtsgerichtes B-Stadt vom 22.2.1996 war er zwar des (als 17jähriger begangenen) Diebstahls für schuldig befunden worden, es war aber von Strafe abgesehen worden - umfassende Angaben zu seinen Geschäften und zu Personen, die an den Geschäften beteiligt waren. Dabei leistete er Hilfe bei der Aufklärung weiterer Taten über seinen Tatbeitrag hinaus. Er hat insbesondere seine Mittäter und Abnehmer benannt und zu ihrer Identifizierung beigetragen. Aufgrund seiner Aussage wurden Haftbefehle erlassen und Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten.

Strafverschärfend hat sich im Urteil ausgewirkt, dass der Kläger Handel mit Mengen, die ein Vielfaches der nicht geringen Menge ausmachten, betrieben hat. Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass sich der Kläger in vollem Umfang geständig eingelassen hat, alle Anklagepunkte ausschließlich auf seiner eigenen Aussage beruhten, er zudem wertvolle Hinweise zur Aufklärung weiterer Straftaten gegeben hat und auch noch Teile der gehandelten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten. Ferner hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft sei, zudem glaubhaft dargelegt habe, dass er seine Drogenprobleme erkannt habe und aktiv angehen wolle. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme habe er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Außerdem wolle er sich aus dem Drogenmilieu lösen. Wegen des ernsthaften Bemühens des Klägers, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, hat das Landgericht schon im Urteil in Aussicht gestellt, einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zu einer Therapie nach § 35 BtMG zuzustimmen.

Die Ausweisung ist zum einen spezialpräventiv auf die vom Kläger ausgehende Gefahr (hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Drogendelikten) und zum anderen generalpräventiv (Abschreckung potentieller Straftäter im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität) gestützt.

Die Verurteilung basiert im Wesentlichen auf dem Handel mit Betäubungsmitteln, während der Besitz von Drogen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Der Drogenhandel, den der seit etlichen Jahren betäubungsmittelabhängige Kläger erst 2004 begonnen hatte, stellt zweifellos angesichts seiner gravierenden Sozialschädlichkeit und der regelmäßig zu bejahenden Wiederholungsgefahr insbesondere bei Drogenabhängigen („Beschaffungskriminalität“) eine schwerwiegende Straftat dar, die – wie schon die Regelung der Ist-Ausweisung gemäß § 53 Nr. 2 AufenthG vorgibt – im Normalfall zur Ausweisung des Straftäters führt. Dass ein unverbüßter Strafrest von 351 Tagen zur Bewährung ausgesetzt wurde, ändert an der Schwere der vom Kläger begangenen Drogendelikte nichts. Auch der EGMR hat im Bereich des Drogenhandels „Verständnis für die Härte der innerstaatlichen Behörden gegenüber jenen gezeigt, die aktiv an der Verbreitung dieser Plage beteiligt sind“ (EGMR, Urteil vom 23.6.2008 – 1638/03 -, InfAuslR 2008, 333 (Maslov II)) . Allerdings verfolgt die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens, sondern sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen, (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300 = InfAuslR 2007,443) was ein generalpräventives Vorgehen der Ausländerbehörde nicht ausschließt. (Hailbronner, Ausländerrecht, A1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 23)

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Kläger seine Drogenabhängigkeit überwunden und sich dauerhaft vom Drogenmilieu – also auch vom Drogenhandel - gelöst hat, dass somit von ihm aller Voraussicht nach künftig keine Drogendelikte mehr drohen.

Ausweislich des Urteils vom 16.6.2005 hatte der Kläger bereits ab Mitte 2004 seinen Drogenkonsum modifiziert und nur mehr Haschisch geraucht, weil er mit dem Drogenkonsum aufhören wollte. Schon das Aussageverhalten, die geleistete Aufklärungshilfe und die vollumfängliche geständige Einlassung des Klägers im Strafverfahren hatten deutlich gemacht, dass er einen „Schlussstrich“ unter seine rund 8jährige „Drogenkarriere“ ziehen wollte und seine Inhaftierung als – vielleicht letzte - Chance zu einem Neuanfang begriff. Er hat seinen Entschluss bisher soweit ersichtlich auch konsequent in die Tat umgesetzt. Bereits einen Tag nach seiner Festnahme hat er sich an die Drogenhilfestelle in der Justizvollzugsanstalt gewandt. Nachdem der unverbüßte Rest seiner Strafe gemäß § 35 BtMG ausgesetzt worden war, hat er ab dem Tag seiner Entlassung aus der Haft seine Polytoxikomanie in den Klinken Daun behandeln lassen. Daran anschließend unterzog er sich ab dem 17.7.2006 im Adaptionshaus in A-Stadt einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Im Rahmen dieser Maßnahme leistete er bei seinem späteren Arbeitgeber in A-Stadt ab dem 31.7.2006 ein Berufspraktikum ab, das am 4.10.2006 zum Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages im Ausbildungsberuf Bauten- und Objektbeschichter/ Schwerpunkt Maler und Lackierer führte. Am 20.6.2009 hat der Kläger die Abschlussprüfung vor der Handwerkskammer A-Stadt bestanden und wurde hieran anschließend bei seinem Ausbilder als Bauten-Maler eingestellt.

Der Kläger hat seine gegenüber dem Landgericht dargelegte Absicht, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, umgesetzt. Er hat zu diesem Zweck nicht nur seine Drogensucht bekämpft, sondern seiner glaubhaften und vom Beklagten nicht in Frage gestellten Darlegung nach auch seine Verbindungen zu seinem früheren Bekanntenkreis im saarländischen Drogenmilieu abgebrochen und sich dafür entschieden, auf Dauer im Bereich A-Stadt zu wohnen. Schließlich hat der Kläger, der bereits vor seiner Inhaftierung – trotz fehlendem Schul- und Ausbildungsabschluss – wirtschaftlich integriert war, seine beruflichen Chancen durch einen Berufsabschluss generell deutlich verbessert und – wie der von ihm mit Schriftsatz vom 12.1.2010 glaubhaft dargelegte „nahtlose“ Übergang von der Lehre in eine anschließende Beschäftigung zeigt - den Weg – zurück – in das Erwerbsleben erfolgreich beschritten. Somit hat er seit seiner Entlassung aus der Haft am 17.1.2006 in nunmehr vier Jahren eine gute Grundlage für ein künftig straffreies Leben geschaffen. Für eine erneute Straffälligkeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung zu stellen sind, können nicht einheitlich festgelegt werden; der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße gegen die Rechtsordnung differiert vielmehr nach der Schwere des Verstoßes nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Bei schweren Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung reicht ein geringerer Wahrscheinlichkeitsgrad aus, während bei leichteren Verfehlungen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist. (Hailbronner, Ausländerrecht, A 1, vor § 53 AufenthG, Rdnr. 27) Entscheidend ist vielmehr, ob bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht mehr in Rechnung zu stellen sind, das vom Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. (BVerwG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 B 61/84 -, InfAuslR 1985, 33) Trotz des vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuteten Zusammenhangs zwischen dem „Wohlverhalten“ des Klägers und der ihm gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, die im Falle einer erneuten Straffälligkeit widerrufen worden wäre, hält es der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände für gerechtfertigt, eine Wiederholungsgefahr im dargelegten Sinne im Falle des Klägers zu verneinen, da er nicht nur erneute Straftaten unterlassen, sondern alles ihm Mögliche unternommen hat, nachhaltig sich aus dem kriminellen Umwelt zu lösen, durch Absolvieren und erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung seine Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern und neue soziale Kontakte am neuen Lebensmittelpunkt zu knüpfen. Auch die Begründung einer seit nunmehr zwei Jahren bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen belegt, dass er sein Leben neu geordnet und stabile Strukturen gefunden hat, die ihn bei seinem weiteren straffreien Leben unterstützen.

Soweit die Begründung des angefochtenen Bescheides auf Generalprävention abstellt, ist die Maßnahme zwar grundsätzlich zulässig, denn die Straftat wiegt schwer und deshalb besteht ein erhebliches Bedürfnis dafür, über eine etwaige Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Von einer abschreckenden Wirkung kann in Fällen schwerer Kriminalität selbst dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene zeitweilig mit der Polizei zusammengearbeitet und damit zur Überführung anderer Straftäter beigetragen hat. (BVerwG, Urteil vom 6.4.1989 – 1 C 70/86 -, InfAuslR 1989, 225 in Bezug auf illegalen Rauschgifthandel) Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers aber gleichwohl – nunmehr - unverhältnismäßig.

Zu sehen ist, dass der Kläger, der mit seiner Mutter im Alter von 7 Jahren ausweislich des angefochtenen Bescheids im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet zu seinem hier aufenthaltsberechtigten Vater eingereist war, sich im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung bereits seit 20 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhielt. Die Zeiten seines rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland sind auch nicht mit Blick auf den besonderen Ausweisungsschutz des Klägers nach § 56 I 1 Nr. 1 AufenthG als „verbraucht“ anzusehen, denn diese Vorschrift setzt nur einen rechtmäßigen Aufenthalt des Niedergelassenen von mindestens fünf Jahren voraus. Der Kläger hielt sich jedoch bei Erlass der Ausweisungsverfügung allein seit 12 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf, so dass der fünf Jahre ganz erheblich übersteigende rechtmäßige Aufenthalt ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Die Familie des Klägers, die ihn während der Ausbildung finanziell unterstützt hat, lebt seit langem in Deutschland; sein Vater, der bereits seit mindestens 1974 in Deutschland arbeitete (Bl. 9 Verwaltungsunterlagen) , ist mittlerweile in Rente und seine sämtlichen Geschwister besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (Bl. 20 Gerichtsakte) . Auch der Kläger hatte 2002 einen – wohl unbeschieden gebliebenen - Antrag auf Einbürgerung gestellt, der jedoch wegen seiner Straffälligkeit offensichtlich keinen Erfolg hatte. Der Kläger, der die Grundschule und danach die Gesamtschule bis zur 9. Klasse besucht hat und demzufolge sicherlich über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügt, entstammt somit einer Familie, die nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Dass er selbst sich in die deutschen Lebensverhältnisse unbedingt (re-) integrieren will bzw. integriert hat, hat er durch seinen Kampf gegen seine Drogensucht und seine konsequente Abkehr vom Drogenmilieu durch – auch – räumliche Entfernung zur Minderung der Rückfallgefahr (Vgl. „Aufenthaltsbescheinigung“ des Adaptionshauses Koblenz vom 10.8.2006, Bl. 47Gerichtsakte) sowie Stärkung seiner beruflichen Situation durch Beginn einer erneuten Berufsausbildung noch im Alter von 29 Jahren und Nachholung eines Berufsabschlusses eindrucksvoll gezeigt. Er hat somit die Chance, die ihm, mit dessen Abschiebung sich die Staatsanwaltschaft bereits unter dem 20.10.2005 zum 1.12.2005 einverstanden erklärt hatte, der deutsche Staat mit der – bereits im Urteil des Landgerichts in Aussicht gestellten – Aussetzung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, der Behandlung seiner Polytoxikomanie sowie der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährt und finanziert hat, zweckentsprechend genutzt.

Zu den familiären Beziehungen des Klägers geht aus den Akten hervor, dass er weiterhin auf den persönlichen Kontakt zur Familie angewiesen sei, die ihm jegliche Unterstützung biete. (Schriftsatz vom 11.8.2008, Bl. 32 Gerichtsakte) Da der Kläger jedenfalls mit Beginn seiner Behandlung in den Kliniken Daun den Kontakt zu seinem – kriminellen – Bekanntenkreis im Saarland abgebrochen hat, ist zweifellos ein Großteil seiner – allerdings negativen - sozialen Beziehungen im Bundesgebiet zum Erliegen gekommen. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass die familiären Beziehungen zu Eltern und Geschwistern in der bisher zweifellos schwierigen Zeit des Kampfes gegen die Drogen und für einen Berufsabschluss im Alter von um die 30 Jahre für den aus eigenem Entschluss von seiner bisherigen Umgebung isoliert lebenden Kläger große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist ihm mittlerweile aber auch gelungen, in der neuen Umgebung – ab Juli 2006: A-Stadt - neue soziale Kontakte aufzubauen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei seine seit zwei Jahren bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen.

Außerdem hat er nach Ausbildungsabschluss und vorübergehender Übernahme durch den Ausbildungsbetrieb, der ihn aber aus Auslastungsgründen nicht auf Dauer beschäftigen konnte, eine Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen gefunden, die zu seiner Festeinstellung bei einem Betrieb geführt hat, für den er zuvor als Leiharbeiter tätig war. Es ist insofern besonders zu würdigen, dass er sich nach Ausbildungsende zielstrebig um eine Weiterbeschäftigung bemüht und eine Festeinstellung ohne jegliche zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit erreicht hat.

Den dargestellten starken Bindungen familiärer, persönlicher und wirtschaftlicher Natur in Deutschland stehen bezogen auf sein Heimatland nur seine algerische Staatsangehörigkeit, seine einen arabischen Dialekt beinhaltenden Sprachkenntnisse und eine Großmutter als dortige einzige Verwandte gegenüber.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Ausländerbehörde, die in Ausweisungsfällen zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 – 1 C 45/06 -, BVerwGE 130, 20 = InfAuslR 2008, 156) , unter Würdigung aller Aspekte des vorliegenden Einzelfalls und angemessener Gewichtung mit Blick auf Art. 8 I EMRK ermessensfehlerfrei nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die Ausweisung des Klägers keinen Bestand haben kann. Zwar hat die Ausländerbehörde im angefochtenen Bescheid, in dem sie sich zu einer Ermessensausübung nicht berechtigt geglaubt, aber in der Sache gleichwohl hilfsweise u.a. familiäre Beziehungen, die Einreise des Klägers im Kindesalter sowie seinen langen rechtmäßigen Aufenthalt unter Verhältnismäßigkeitaspekten gewürdigt hat, zu Recht die Schwere der Straftaten des Klägers hervorgehoben und auf die - neben der beabsichtigten Spezialprävention - mit seiner Ausweisung bezweckte generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Ausländer, die von - insbesondere ähnlichen – Straftaten abgehalten werden sollen, abgestellt. Im nunmehr für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt sind jedoch auch die veränderten Umstände in die Abwägung einzubeziehen. Ausgehend von den 2004 begangenen schweren Straftaten hat sich in Verhalten und Persönlichkeit des Klägers – unmittelbar beginnend nach seiner Festnahme - eine grundlegende positive Entwicklung ergeben, die zum einen zu erfolgreicher Drogentherapie, Berufsabschluss und (Re-)Integration in die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet und zum anderen zu einer Stabilisierung im persönlichen Bereich durch eine nunmehr bereits seit zwei Jahren bestehende nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen geführt haben. Diese Entwicklung lässt nicht nur eine Rückfallgefahr verneinen, sondern sie verdeutlicht insbesondere seine besondere – während seines langen rechtmäßigen Aufenthalts gewachsene - Bindung an Deutschland. Daher gebührt dem Interesse des Klägers, in Deutschland bleiben zu können und nicht den beträchtlichen Einschränkungen seines Rechts auf Privatleben ausgesetzt zu werden, nachdem er die mit der Strafvollstreckung, Suchtbehandlung und Rehabilitationsmaßnahme verbundenen Erwartungen des deutschen Staates voll erfüllt hat, Vorrang vor dem staatlichen Interesse an seiner Ausweisung aus insbesondere generalpräventiven Gründen, so dass das behördliche Ermessen sich dahingehend verdichtet, dass von einer Ausweisung abzusehen ist. Die angefochtene Entscheidung, an der der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, auch in Ansehung der dargelegten positiven Entwicklung der Lebensumstände des Klägers festhält, kann daher keinen Bestand (mehr) haben.

Der Berufung war somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.

(1) Dem Ehegatten eines Ausländers ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben,
2.
der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann und
3.
der Ausländer
a)
eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
b)
eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt,
c)
eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18d, 18f oder § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative besitzt,
d)
seit zwei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und die Aufenthaltserlaubnis nicht mit einer Nebenbestimmung nach § 8 Abs. 2 versehen oder die spätere Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht auf Grund einer Rechtsnorm ausgeschlossen ist; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
e)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Absatz 1 Satz 3 oder nach den Abschnitten 3, 4, 5 oder 6 oder § 37 oder § 38 besitzt, die Ehe bei deren Erteilung bereits bestand und die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet voraussichtlich über ein Jahr betragen wird; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
f)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a besitzt und die eheliche Lebensgemeinschaft bereits in dem Mitgliedstaat der Europäischen Union bestand, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat, oder
g)
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzt.
Satz 1 Nummer 1 und 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 3 Buchstabe f vorliegen. Satz 1 Nummer 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn
1.
der Ausländer, der einen Aufenthaltstitel nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder 2, § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 4 besitzt und die Ehe bereits bestand, als der Ausländer seinen Lebensmittelpunkt in das Bundesgebiet verlegt hat,
2.
der Ehegatte wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen,
3.
bei dem Ehegatten ein erkennbar geringer Integrationsbedarf im Sinne einer nach § 43 Absatz 4 erlassenen Rechtsverordnung besteht oder dieser aus anderen Gründen nach der Einreise keinen Anspruch nach § 44 auf Teilnahme am Integrationskurs hätte,
4.
der Ausländer wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf,
5.
der Ausländer im Besitz einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte oder eines Aufenthaltstitels nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, § 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 ist,
6.
es dem Ehegatten auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen, oder
7.
der Ausländer unmittelbar vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU Inhaber einer Blauen Karte EU oder einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, den §§ 18d, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 war.

(2) Die Aufenthaltserlaubnis kann zur Vermeidung einer besonderen Härte abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 erteilt werden. Besitzt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis, kann von den anderen Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe e abgesehen werden; Gleiches gilt, wenn der Ausländer ein nationales Visum besitzt.

(3) Die Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 verlängert werden, solange die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(4) Ist ein Ausländer gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet und lebt er gemeinsam mit einem Ehegatten im Bundesgebiet, wird keinem weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 oder Absatz 3 erteilt.

(5) Hält sich der Ausländer gemäß § 18e berechtigt im Bundesgebiet auf, so bedarf der Ehegatte keines Aufenthaltstitels, wenn nachgewiesen wird, dass sich der Ehegatte in dem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig als Angehöriger des Ausländers aufgehalten hat. Die Voraussetzungen nach § 18e Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 und 4 und Absatz 6 Satz 1 und die Ablehnungsgründe nach § 19f gelten für den Ehegatten entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.